von maxwellschen

Werbung
2.5.7
Erhaltungssatz für die Gesamtladung
Der zweite Satz von MAXWELLschen Gleichungen beruht auf dem Erhaltungssatz für die Ladung innerhalb eines materiellen Volumens, das durch eine singuläre Fläche A in Bereiche
∂V + und ∂V − aufgeteilt ist, so wie in der Abbildung 2.5.3 dargestellt. Innerhalb von V + und
V − ist die (skalare) Ladungsdichte durch q (in C m3 ) gegeben, auf der singulären Fläche
hingegen durch q S (in C m 2 ). Die Gesamtladung ist somit:
Q=
∫∫∫ q(x, t ) dV + ∫∫ q (x, t ) dS .
S
+
V ∪V
−
(2.5.30)
A
∂V −
∂A
ν
∂V +
e
V−
A
n
Abb. 2.5.3:
Materielles Volumen geschnitten von singulärer Fläche.
Die Gesamtladung kann sich zeitlich ändern und zwar dadurch, dass über die Oberflächen
∂V + ∪ ∂V − ∪ ∂A Ströme fließen. Wir beschreiben diese gerichteten Größen durch nicht konL
vektive flächen- bzw. linienförmig verteilte Stromdichtevektoren j (in C (m 2 s ) ) und j (in
C (ms ) ) und gelangen so zu dem folgenden Erhaltungssatz für die Ladung in Form einer Bi-
lanz:
d
Q=J
dt
⇔
d
dt
⎡
⎤
S
L
⎢ ∫∫∫ q(x, t ) dV + ∫∫ q ( x, t ) dS ⎥ = − ∫∫ ji ni dA − ∫ ji ν i dl . (2.5.31)
⎢⎣V + ∪V −
⎥⎦
A
∂A
∂V + ∪ ∂V −
Die Minuszeichen auf der rechten Seite sind letztlich reine Konvention. Sie lassen sich allerdings aus der Anschauung heraus motivieren, denn die Gesamtladung in einem materiellen
Volumen wird sich verringern, wenn die Ströme über die Oberfläche aus dem Inneren Ladung
heraustragen.
163
Es sei außerdem nochmals betont, dass es keine Volumenzufuhr noch -produktion von Ladungen gibt. Dies lehrt die Erfahrung, und mathematisch gesprochen bedeutet dies (vgl. die
Ausführungen des Abschnitts 1.5.2), dass gilt:
pV = 0 , p S = 0 , s V = 0 , s S = 0 .
(2.5.32)
Die Gleichung (2.5.31) wird nun formal gelöst, indem man in Bezug auf die gesamten Ladungen und die gesamten Ströme zwei vektorielle „Potentiale“, das Ladungspotential D und das
Strompotential H einführt wie folgt:
∫∫ D n
i i
∂V
dA =
∫∫∫ q(x, t ) dV + ∫∫ q (x, t ) dS .
S
+
V ∪V
−
(2.5.33)
S
und:
d
Di ni dA = ∫ [H i + (D × υ )i ]τ i dl − ∫∫ ji ni dA − ∫ jiLν i dl .
∫∫
dt S
∂S
L
S + ∪S −
(2.5.34)
Die Größen D und H werden oft salopp auch als dielektrische Verschiebung und magnetisches Feld bezeichnet. Beachte, dass die Ladungsdichten als im Volumen bzw. in der Fläche
definierte skalare Größen über ein aus V = V + ∪ V − ∪ A bestehendes materielles Volumen
bilanziert wurden. An der (offenen) singulären Fläche A können die Ladungsdichten springen, sich also unstetig verhalten. Die Stromdichten hingegen, welche über Flächen bzw. über
Flächenränder erklärt sind, wirken über einer (offenen) Fläche S = S + ∪ S − ∪ L mit einer
(offenen) Linie L , an der sie springen, also sich unstetig verhalten können: Abbildung 2.5.4.
t
n
ν
S−
S+
L
∂S
τ
−
∂S
Abb. 2.5.4:
∂S +
Offene Fläche S durchzogen von singulärer Linie L.
Die zweite Gleichung lässt sich auch folgendermaßen interpretieren: Die zeitliche Änderung
des aufgrund des Ladungspotentiales D resultierenden Flusses, ∫∫ Di ni dA , über die offene
S
Fläche S ist gegeben durch den Fluss dieser Größe,
∫ [H + (D × υ ) ]τ
i
∂S
164
i
i
dl , über die Hülle ∂S
∫∫ j n
sowie Zufuhren durch Stromdichten,
i i
+
S ∪S
+
dA bzw.
−
∫jν
L
i i
dl , über die offene Fläche
L
−
S = S ∪ S ∪ L.
Wir können außerdem die zweite Gleichung auf den Fall einer geschlossenen Fläche spezialisieren, dann verschwindet das Integral ∫ [H i + (D × υ )i ]τ i dl , da ∂S → 0 gilt. Ferner wird:
∂S
∫∫
S
→ ∫∫ ,
∂V
∫∫
+
S ∪S
→
−
∫∫
+
∂V ∪ ∂V
,
−
∫
L
→
∫
(2.5.35)
∂A
und wir schließen, dass:
d
Di ni dA = − ∫∫ ji ni dA − ∫ jiSν i dl .
dt ∫∫
∂V
∂A
∂V + ∪ ∂V −
(2.5.36)
In Kombination mit Gleichung (2.5.33) stellt man also fest, dass Gleichung (2.5.31) identisch
erfüllt wird. Die Gleichungen (2.5.33) repräsentieren die erste und die zweite MAXWELLsche
Gleichung in integraler Form, und sie sind physikalisch als Erhaltungssätze der Ladung interpretierbar. Man bezeichnet in der Literatur zur Elektrodynamik die Gleichung (2.5.33) oft
auch bereits als COULOMB's Erhaltungssatz von der Ladung und die Gleichung (2.5.34) als
das OERSTEDsche Gesetz. OERSTED hatte nämlich im Jahre 1820 experimentell herausgefunS
den, dass ein elektrischer Strom (genauer gesagt j bzw. j stets von einem Magnetfeld (genauer gesagt vom Feld H ) begleitet ist. Die zugehörigen Messvorschriften werden im nächsten Abschnitt noch im Detail untersucht.
Man sollte sich aber schon bereits jetzt fragen, warum überhaupt die Felder D und H eingeführt werden und man sich nicht mit dem Erhaltungssatz (2.5.31) zufriedengibt. Der Grund
besteht darin, dass man in Bezug auf einen geeignet gewählten Beobachter einfache algebraische Relationen zwischen den Feldern D und H auf der einen und den Feldern E und B
auf der anderen Seite angeben kann, wohingegen die Relationen zwischen q und j sowie E
und B komplexe Differentialbeziehungen sind. Darauf werden wir weiter unten bei den sogenannten MAXWELL-LORENTZ-Ätherrelationen zu sprechen kommen.
Abschließend sollen noch die aus den Gleichungen (2.5.33/34) folgenden lokalen MAXWELLschen Gleichungen in regulären Punkten hergeleitet werden. Wenn wir annehmen, dass
im Inneren des Volumens V keine singuläre Fläche vorhanden ist, so kann man ohne Umschweife in Gleichung (2.5.33) den GAUßschen Satz in der üblichen Form anwenden und
schreiben:
165
∂Di
∫∫∫ ∂x
V
i
dV = ∫∫∫ q( x, t ) dV
⇒
V
∂Di
= q.
∂xi
(2.5.37)
Wenn die singuläre Fläche S vorhanden ist, so greift das sinngemäß übertragene
Pillboxargument aus Abschnitt 1.5.9 und man erhält stattdessen in einem Punkt dieser Fläche,
welche durch die Normale e gekennzeichnet ist (vgl. Abbildung 2.5.3):
[Di ]− ei = q S .
(2.5.38)
Ferner gilt bei regulären offenen Flächen die folgende (2.5.34) entsprechende Gleichung:
d
Di ni dA = ∫ [H i + (D × υ )i ]τ i dl − ∫∫ ji ni dA .
dt ∫∫
S
∂S
S
(2.5.39)
Anwendung des Transporttheorems nach Gleichung (2.5.15) liefert für die linke Seite:
⎡ ∂D
d
∂D ⎤
Di ni dA = ∫∫ ⎢ i + υi k ⎥ ni dA + ∫ (D × υ )i τ i dl .
∫∫
dt S
∂t
∂xk ⎦
S ⎣
∂S
(2.5.40)
Also folgt nach Anwendung des STOKESschen Satzes in der Form nach Gleichung (2.5.14)
durch Kombination beider Gleichungen und unter Beachtung der Beziehung (2.5.36) lokal in
regulären Punkten:
−
∂Di
+ (∇ × H )i = ji + qυi .
∂t
(2.5.41)
Die Anwendung eines zum Pillboxargument analogen Verfahrens einer Schleife um die singuläre Linie L führt auf die folgende lokale Gleichung in singulären Punkten:
(n × [H ]− )i + [Di ]− υS ⊥ =
jiL + q S wi ,
(2.5.42)
wobei wi die Geschwindigkeit der singulären Fläche bezeichnet und ansonsten die Ausführungen aus Abschnitt 1.5.9 gelten.
166
2.5.8 Übung: Die MAXWELLschen Gleichungen in regulären und in singulären
Punkten
Erläutere im Detail, wie sich die Gleichungen (2.5.37/38) aus den globalen Bilanzen ergeben.
Verwende zu diesem Zweck den GAUßschen Satz ohne bzw. mit Erweiterung auf singuläre
Flächen (vgl. zur Erinnerung Übung 1.5.4). Zeige weiter, dass sich aus dem Erhaltungssatz
für den magnetischen Fluss, also die magnetische Induktion, gemäß den Gleichungen (2.5.7)
in singulären Punkten schreiben lässt:
[Bi ]− ei = 0 .
(2.5.43)
Ohne Beweis sei gesagt, dass sich das Transporttheorem (2.5.10) für den Fall einer offenen
Fläche S = S + ∪ S − ∪ L mit singulärer, sich mit der von den materiellen Teilchen unabhängigen Geschwindigkeit wi bewegenden Linie L wie folgt erweitern lässt:
([ ]
)
⎡ ∂γ
d
∂γ ⎤
γ i ni dS = ∫∫ ⎢ i + υi k ⎥ ni dS + ∫ (γ × υ )i τ i dl − ∫ γ − × w i ti dl .
∫∫
dt S
∂t
∂xk ⎦
L
S ⎣
∂S + ∪ ∂S +
(2.5.44)
Sei ferner die zu S gehörige allgemeine globale Bilanzgleichung für die vektorielle Flussdichte γ i gegeben durch:
(
)
d
γ i ni dS = − ∫ φi τ i dl + ∫∫ ( pi + si ) ni dS + ∫ piL + siL ν i dl .
∫∫
dt S
∂S
S
L
(2.5.45)
Interpretiere diese Gleichung verbal im Sinne von Flüssen, Zufuhren und Produktionen. Ferner gilt dann (ebenfalls ohne Beweis) in singulären Punkten der Linie:
(n× [γ × υ + φ ] ) − [γ ] υ
i −
− i
S
⊥
[ ]
= − γ j − n j wi + piL + siL .
(2.5.46)
Identifiziere nun für den Fall des Strompotentials nach Gleichung (2.5.34) die zugehörigen
Größen γ , φ , etc. und zeige die Gültigkeit von der Sprungbilanz (2.5.42). Dann soll noch in
entsprechender Weise mit Hilfe des FARADAYschen Gesetzes nach Gleichung (2.5.5) gezeigt
werden, dass in singulären Punkten der Linie L gelten muss:
(n× [E ] ) − [B ] υ
− i
i −
S
⊥
= 0.
(2.5.47)
167
Schließlich soll ausgehend von Gleichung (2.5.31) mit Hilfe des REYNOLDSschen
Transportheorems für Volumina gezeigt werden, dass in regulären Punkten eines Volumens
gilt:
∂q ∂
( ji + qυi ) = 0 .
+
∂t ∂xi
(2.5.48)
2.5.9 Übung: Eine Anwendung der Sprungbilanz für das elektrische Feld
Nimm an, dass die Elektronen in einem Metall, also einem elektrisch leitfähigen Werkstoff
i.w. frei verschieblich sind. Betrachte nun eine Ladung q vor einem Metallkörper. Unter
welchem Winkel treffen die Linien des elektrischen Feldes E auf die Oberfläche dieses Körpers? Zerteile zur Lösung den Vektor in Normal- und Tangentialanteil wie folgt:
E = En n + Et t .
(2.5.49)
Interpretiere den Vektor E im Sinne des Abschnittes 2.5.5 als auf die Metallelektronen wirkende Kraft, schließe auf die Richtung der einsetzenden Bewegung und nimm außerdem an,
dass die Kraft zu schwach ist, die Elektronen aus der Metalloberfläche herauszureissen.
Betrachte in einem zweiten Schritt eine Punktladung vor einer (unendlich grossen) ebenen
Metallfläche. Skizziere den Verlauf der Feldlinien vor und hinter der Wand. Was lässt sich
durch Anwendung der Sprungbilanz (2.5.47) und unter Verwendung des vorherigen Ergebnisses für den Eintrittswinkel der E -Feldlinien auf der Metalloberfläche über das elektrische
Feld hinter der Wand aussagen? Erläutere in diesem Zusammenhang auch das aus dem Lexikon bekannte Prinzip des FARADAYschen Käfigs, also das vollständige Verschwinden / Abschirmen elektromagnetischer Felder durch (geschlossenen) Metallgitter. Wie könnte man
also sich vor „giftigem“, krebsauslösenden Elektrosmog einfach schützen?
2.5.10
Prinzipielle Messung des Ladungs- und Strompotentials
Wir betrachten als erstes eine ruhende punktförmige Ladung der Stärke q0 (etwa ein Elektron), deren Ladungspotential interessiert. Aus Symmetriegründen ist es vernünftig anzunehmen, dass das interessierende D -Feld zeitunabhängig ist und (komponentenweise) überall auf
einer (gedachten) Kugelschale mit Radius r um die Punktladung denselben Wert hat (siehe
Abbildung 2.5.5, links):
D = D r (r ) e r + D ϑ (r ) eϑ + D ϕ (r ) eϕ .
168
(2.5.50)
Aufgrund der perfekten Kugelsymmetrie ist es sinnvoll anzunehmen, dass D ϕ (r ) = D ϑ (r ) .
Mehr erfahren wir darüber allerdings im Moment nicht, sondern aufgrund der Orthogonalität
der Basisvektoren läßt sich lediglich die Komponente D r mit Hilfe der DIRACschen Deltafunktion q = q0δ (r ) aus der Grundgleichung (2.5.33) ermitteln:
∫∫ D n
i
∂V
i
dA ≡ ∫∫ D r dA = q0 ∫∫∫ δ (r ) dV ⇒ D r
∂V
V
∫∫ dA = q
∂V
D
⇒ D r =
q0
. (2.5.51)
4πr 2
H
I0
q0
Abb. 2.5.5:
0
D-Feld um eine Punktladung und H-Feld um einen Stromfaden.
Bei messbarer Ladung sowie Abstand stellt diese Gleichung eine Messvorschrift für das Ladungspotential dar. Wie bereits gesagt, erfahren wir über die beiden anderen Komponenten
im Moment nichts weiter. Wir werden weiter unten jedoch sehen, dass sie sich zu Null eichen
lassen lassen. Zusammenfassend stellen wir fest, dass ausgedehnte Ladungsverteilungen im
Prinzip durch Summen über Punktladungen ausdrückbar sind, und hinsichtlich D gilt dann
das Superpositionsprinzip für Vektoren.
Wir betrachten nun einen zeitlich unveränderlichen elektrischen Strom in einem ruhenden
(unendlich langen) Draht. Es interessiert das sich um den Draht zylindersymmetrisch einstellende, ebenfalls zeitunabhängige Feld H für das wir in Zylinderkoordinaten schreiben:
H = H r e r + H ϑ eϑ + H z e z .
(2.5.52)
Wir werden weiter unten sehen, dass sich die Radialkomponente zu Null eichen lässt, was mit
der Erfahrung übereinstimmt, wonach Ströme nur Wirbelfelder entfachen können, also ist:
H r = 0.
(2.5.53)
169
Da der Stromfaden außerdem unendlich lang ist, ist die z -Richtung ohne Belang, und es
muss gelten:
H z = 0.
(2.5.54)
Aus Gründen der Zylindersymmetrie gilt entlang der in der Abbildung 2.5.5 rechts dargestellten Peripherie der Kreisfläche:
H ϑ = H ϑ (r ) .
(2.5.55)
Schließlich schreiben wir für den Stromfaden mit der DIRACschen Deltafunktion:
j = I 0δ (r ) e z .
(2.5.56)
Damit vereinfacht sich das OERSTEDsche Gesetz aus Gleichung (2.5.34) zu ( τ ≡ eϑ , n ≡ e z ):
0 = ∫ H i τ i dl − ∫∫ ji ni dA ⇒ H ϑ
∂S
S
∫ dl = I ∫∫ δ (r ) dA
0
∂S
S
⇒ Hϑ =
I0
. (2.5.57)
2πr
Bei zu experimentell meßbarer Stromstärke I 0 und Abstand r ist dies unsere Messvorschrift
für das Strompotential H . Der Einfluß mehrere Ströme ist gemäß dem Superpositionsprinzip
zu behandeln.
2.5.11 Übung: Einheiten und Meßverfahren für D und H
Zeige mit Hilfe der obigen Gedankenexperimente, dass man für die Einheiten des Ladungsund des Strompotentials schreiben darf:
dim [D ] =
C
As
A C
= 2 , dim [H ] = =
.
2
m
m
m ms
(2.5.58)
Konsultiere ein Lehrbuch der Elektrotechnik, und erläutere die in der Praxis zur Bestimmung
beider Größen verwendeten Methoden. Achte dabei auf Abgrenzung und Unabhängigkeit
von den technischen Messvorschriften für E und B .
170
Herunterladen