Wenn Flimmerhärchen nicht mehr flimmern

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Wenn Flimmerhärchen nicht mehr flimmern
Ein Forscherteam des Universitätsklinikums Freiburg hat Mutationen zweier Gene
identifiziert, die die Primäre Ciliäre Dyskinesie (PCD) hervorrufen. Die PCD ist eine schwere
chronische Erkrankung der Atemwege.
Permanent Bronchitis, andauernd Nasennebenhöhlenentzündung, ständig Schnupfen. Und das
nicht nur im Winter, sondern ein ganzes Leben lang. Die Primäre Ciliäre Dyskinesie (PCD) ist
eine schwere angeborene Krankheit und trifft in Deutschland eines von 20.000 Neugeborenen.
„Die Betroffenen leiden von klein auf an chronischen Atemwegsentzündungen“, erklärt Anita
Becker-Heck, Biologin an der Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen am
Universitätsklinikum Freiburg.
Seit Jahren schon erforscht Becker-Heck gemeinsam mit anderen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern aus dem Labor von Prof. Dr. med. Heymut Omran am Freiburger
Universitätsklinikum die genetischen Ursachen dieser Krankheit. Im Jahr 2002 hatten sie
bereits ein Gen identifiziert, das für eine Spielart von PCD verantwortlich ist. Jetzt konnte die
Freiburger Arbeitsgruppe zwei weitere verantwortliche Gene bestimmen. Dafür wurden seit
dem Jahr 1998 in einer Studie an der Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen über
1.000 Patientinnen und Patienten untersucht. Die jüngsten Forschungsergebnisse wurden
Anfang Dezember 2010 im renommierten Fachmagazin „Nature Genetics“ veröffentlicht.
Zilien für Atmung und Organentwicklung wichtig
„Bei der PCD ist die Funktion der Flimmerhärchen, der sogenannten Zilien, besonders schwer
gestört“, erklärt Anita Becker-Heck. „Die Flimmerhärchen in der Lunge sind entscheidend für
den Transport von Schleim und Bakterien. Sie reinigen die Atemwege von Krankheitskeimen.
Bewegen die Zilien sich nicht mehr richtig oder sind komplett unbeweglich, kann es zu
chronischen Entzündungen der oberen und unteren Atemwege kommen.“ Bewegliche Zilien
kommen nicht nur in der Lunge vor: Im Embryo sind sie entscheidend für die richtige
Anordnung der Organe im Körper. Bei etwa der Hälfte der Betroffenen kommt es daher zu
einer seitenverkehrten Anlage der inneren Organe (Situs inversus). Manche PCD-Patientinnen
und -Patienten besitzen zusätzlich einen angeborenen Herzfehler.
Einzelne Zilien sind jeweils aus mehreren hunderten Proteinen aufgebaut. Von diesen sind nur
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einige wenige entscheidend für die Beweglichkeit dieser hochspezialisierten Organellen. Fehlt
eines dieser Proteine , so führt dies zur funktionellen Störung der Zilien. Je nachdem, welches
Protein fehlt, weisen funktionsgestörte Zilien zum Beispiel defekte Schlagmuster auf oder sind
gänzlich unbeweglich.
Genetische Ursache oft noch unklar
Zwar konnten bisher bereits unterschiedliche Gendefekte beschrieben werden, die eine PCD
hervorrufen. Doch bei vielen Betroffenen liegen die genetischen Ursachen ihrer speziellen PCDErkrankung nach wie vor im Dunkeln. Die Freiburger Forscherinnen und Forscher konnten
diesen Kreis nun noch weiter eingrenzen. „Es gibt unterschiedliche Methoden, um das
Vorliegen einer PCD nachzuweisen“, erklärt Anita Becker-Heck: „Mittels HochfrequenzVideomikroskopie kann man direkt die Beweglichkeit von zilientragenden Zellen aus der Nase
nachweisen. Unter dem Elektronenmikroskop können wir die typische Ultrastruktur der Zilien
eines Patienten untersuchen und Veränderungen erkennen. Mittels ImmunfluoreszenzMikroskopie kann schließlich nachgewiesen werden, welche Proteine in den Zilien tatsächlich
fehlen.“
Mithilfe der oben genannten Methoden konnten die Freiburger Forscherinnen und Forscher
PCD-Kranke in unterschiedliche Gruppen aufteilen, um die Suche nach neuen Gendefekten zu
vereinfachen. „Bei unserer Studie mit 750 PCD-Betroffenen war eine Gruppe mit 31
Patientinnen und Patienten gekennzeichnet durch einen sehr steifen Zilienschlag sowie
fehlende Radialspeichen“, erklärt Anita Becker-Heck die Forschungsergebnisse. „Zusätzlich
fehlen in den Zilien Proteine des inneren Dyneinarms (DNALI1) und des Dynein-regulierenden
Komplexes (GAS11), die für eine normale Zilienbewegung entscheidend sind.“
Neue Genvarianten für PCD entdeckt
„Wir konnten zwei neue Gene identifizieren, die bei den Patienten mit fehlenden Radialspeichen
defekt sind“, sagt Becker-Heck. Die Identifizierung gelang in Kooperation mit
Entwicklungsbiologen aus den USA, die mit Zebrafischen und Mäusen arbeiten, einem
Forscherteam aus Frankreich, das ebenfalls PCD bei Menschen erforscht, und Genetikern aus
Belgien, die an PCD erkrankte Bobtails untersucht haben. Wie die Menschen besitzen auch die
Fische und die Hunde den gleichen ultrastrukturellen Defekt.
Die Gene CCDC39 und CCDC40 (coiled coil domain containing protein) liegen zwei Proteinen
zugrunde, die in den Zilien vorkommen und entscheidend für deren korrekte Ultrastruktur
sind. Mithilfe der DNA-Sequenzierung konnten bei der Freiburger PatientInnengruppe sowie
beim Zebrafisch, der Maus und den kranken Hunden Mutationen in diesen Genen identifiziert
werden. Über 50 Prozent der untersuchten Patientinnen und Patienten mit fehlenden
Radialspeichen tragen Mutationen in CCDC40, und bei etwa 15 Prozent wurden Mutationen in
dem Gen CCDC39 nachgewiesen. Alle Patienten mit Defekten in einem der beiden Gene sowie
die kranken Hunde leiden unter den typischen chronischen Entzündungen der Atemwege und
mehr als die Hälfte der Patienten haben einen situs inversus.
Ein Screening auf Mutationen dieser beiden Gene könnte künftig die Diagnostik von PCD
verbessern. Zusätzlich kann das Erforschen der Proteine zum Verständnis der
Zilienbeweglichkeit beitragen.
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Pressemitteilung
10.01.2011
Quelle: Universitätsklinikum Freiburg (P) (22.12.10)
Weitere Informationen
Anita Becker-Heck
Biologin
Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen
Universitätsklinikum Freiburg
Tel.: 0761 270-4365
E-Mail: anita.becker-heck(at)uniklinik-freiburg.de
nature
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