MDK-Forum Heft 2/2008

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Heft
12. Jahrgang
Juni 2008
MDK2 Forum
Das Magazin der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung
In dieser Ausgabe
Neues Begutachtungsverfahren zur Feststellung
von Pflegebedürftigkeit
Seite 16
Deutliche Verbesserungen
für Demenzkranke
Seite 19
Patientenschulungen –
Jacqueline kriegt keine Luft!
Seite 21
Unbestechliche Ärzte –
„Mein Essen zahl‘ ich selbst“
Seite 30
MDS mit neuem Träger –
Umstieg mit Augenmaß
Seite 31
ISSN 1610-5346
Fern und doch so nah?
Telemedizin in
Deutschland
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
„Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von
Preußen … thun kund und fügen hiermit zu wissen“, so begann
die Kaiserliche Botschaft am 17. November 1881. Sie wurde verlesen durch Otto von Bismarck im Weißen Saal des Schlosses –
„mit ausdrucksvoller Stimme“ wie es in zeitgenössischen Berichten
heißt. Damit wurde der Grundstein für das im Mai 1883 verabschiedete und im Juni 1883 verkündete „Gesetz, betreffend die
Krankenversicherung der Arbeiter“ gelegt.
Explodierende Bevölkerungszahlen, schwerste Arbeitsbedingungen
und schlechte Wohnverhältnisse führten in der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts zu massivem sozialen Elend der Arbeiter. Bismarck erkannte die Sprengkraft dieser sozialen Problematik. Aber
es war weniger der soziale Fürsorgegedanke als der Versuch, der
erstarkenden Sozialdemokratie den politischen Nährboden zu
entziehen, der ihn die Krankenversicherung einführen ließ. Seine
politischen Mittel waren erst Repression, dann Reform –
erst Sozialistengesetze, dann Sozialgesetzgebung.
In den 1880er Jahren entstanden die noch heute tragenden Systeme
der sozialen Sicherung: Krankenversicherung, Unfallversicherung
und Invaliditäts- und Altersversicherung. Zwei Weltkriege, wirtschaftlich schwierigste Zeiten und unzählige Reformen hat das
Modell überstanden – und es funktioniert noch immer!
Allerdings haben die aktuellen Probleme kaum noch mit denen
zu tun, deretwegen die Krankenversicherung vor 125 Jahren eingeführt wurde: Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung im
Jahr 2007 von 76,6 Jahren für neugeborene Jungen und 82,1 Jahren für neugeborene Mädchen geht es heute darum, dass jeder
Bürger gleichberechtigt vom Know How der Medizin profitieren
und an modernen Entwicklungen teilhaben soll.
Ein Beispiel für die rasanten Entwicklungsmöglichkeiten ist die
Telemedizin, das Schwerpunktthema dieser Ausgabe. Die Möglichkeiten, die in Diagnostik und Therapie selbst unter Überwindung
zeitlicher und räumlicher Distanzen zwischen Ärzten und Patienten durch die Telemedizin bereit stehen, waren noch vor wenigen
Jahren unvorstellbar. Die Fragen, die uns heute beschäftigen,
lauten daher: Was ist machbar? Was ist sinnvoll und nützt dem
Patienten? Und: Was ist bezahlbar?
Die Möglichkeiten scheinen beinahe unbegrenzt – die Mittel nicht!
Ihr
Dr. Ulf Sengebusch
MDK-Forum 2/2008
Inhalt
3
Die Gesetzliche Krankenversicherung hat Geburtstag 2
Schwerpunkt
Fern und doch so nah? – Telemedizin in Deutschland
3
„Datenschutz nicht über Patientenschutz stellen!“
6
Interview mit Prof. Dr. Roland Trill
Muss die Telemedizin in Zukunft eine größere
Rolle in der medizinischen Versorgung spielen?
8
Pro und Contra
Telemedizinische Projekte in Deutschland –
Drei Beispiele 12
9
Intelligentes Wohnen im Alter
Kann eine High-Tech-Wohnung
den Umzug ins Pflegeheim ersetzen? 12
Elektronische Krankenakte auf „Google Health“ 13
Telemedizin für Reisende 14
Kranken- und Pflegeversicherung
Neues Begutachtungsverfahren zur
Feststellung von Pflegebedürftigkeit
16
PEA-Begutachtungs-Richtlinie tritt zum 1. Juli in Kraft
Deutliche Verbesserungen für Demenzkranke
21
Was leisten Patientenschulungen?
Jacqueline kriegt keine Luft
19
21
Neue Gefahren durch Online-Spieleplattformen
Ambulanz für Spielsucht eröffnet
23
Gesundheits- und Sozialpolitik
Gesundheitsreform
Jetzt kommt der Fonds erst recht!
28
26
24
Demenz
Vorzeigeprojekte in Rheinland-Pfalz
26
Bessere Koordination von Beratung und Betreuung
BMG wählt Pilot-Pflegestützpunkte aus
Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte
„Mein Essen zahl‘ ich selbst“
28
30
Organisation und Management
MDS mit neuem Träger
Umstieg mit Augenmaß
31
„Inhaltlich steht der Übergang für Kontinuität“
32
Interview mit Dieter F. Märtens und Dr. Volker Hansen
MDK im Dialog
34
MDK Niedersachsen und MDK Westfalen-Lippe
MDK-Fortbildungen zur Palliativ-Versorgung
34
Menschen und Nachrichten
Veranstaltungen
1
36
MDK-Forum 2/2008
Die Gesetzliche Krankenversicherung
hat Geburtstag
V
or 125 Jahren, am 31. Mai
1883, wurde das „Gesetz
betreffend die Krankenver­
sicherung der Arbeiter“ auf Ini­
tiative des Reichskanzlers Otto
von Bismarck im Reichstag ver­
abschiedet. Es legte den Grund­
stein für die große Karriere der
Prinzipien Solidarität, Selbst­
verwaltung und Sachleistung,
die bis heute weiter wirken.
Dieses Gesetz war kluges politisches Kalkül. Kaiser Wilhelm I
und sein Reichkanzler wollten
verhindern, dass immer mehr
Menschen, die unter unzumutbaren Bedingungen in Fabriken
arbeiten und in feuchten Wohnungen mehr vegetieren als leben mussten, sich der sozialistischen Bewegung zuwandten.
Das Krankengeld wurde die erste
und wichtigste Leistung der neuen Pflichtversicherung. Ärztliche
Behandlung, Arzneien, Krankenhausbehandlung, Sterbegeld und
Unterstützung für Wöchnerinnen
kamen wenig später hinzu. Die
Beiträge der neu eingeführten
Pflichtversicherung wurden zu
einem Drittel von den Arbeitgebern und zu zwei Dritteln von
den Versicherten finanziert.
Kasseneigenes Versorgungs­
angebot
1911 wurde die Reichsversicherungsordnung eingeführt, mit
der alle Zweige der Sozialversicherung in einem einheitlichen
Gesetzeswerk zusammengeführt
wurden. In den 1920er Jahren
bauten vor allem die großen
Ortskrankenkassen kasseneigene medizinische Versorgungsangebote auf.
In ernste finanzielle Schwierigkeiten geriet die Krankenver­
MDK-Forum 2/2008
sicherung ebenso wie die anderen Versicherungszweige mit
beginnender Weltwirtschaftskrise in den 1920er Jahren. Leistungen wurden eingeschränkt
und zusätzliche Gebühren zum
Beispiel bei Arzneimitteln erhoben. Wenn Entlassung drohte,
war das Krankengeld neben
dem Arbeitslosengeld häufig
die einzige sichere Einnahmequelle. Viele Arbeiter meldeten
sich krank, um wenigstens für
ein paar Wochen noch Krankengeld zu erhalten. Die Krankenkassen reagierten mit scharfen
Kontrollen.
Vertrauensärztlicher Dienst ins
Leben gerufen
1930 wurden die Krankenkassen
per Gesetz verpflichtet wurden,
so genannte Vertrauensärzte einzustellen. In der Rechtsverordnung hieß es, „dass die Kassen
verpflichtet sind, die Bescheinigung des behandelnden Arztes
über die Arbeitsunfähigkeit und
seine Verordnungen, insbeson­
dere soweit sie ärztliche Sach­
leistungen betreffen, in den erforderlichen Fällen durch einen
anderen Arzt (Vertrauensarzt)
rechtzeitig nachprüfen zu lassen.“
Dies war die Geburtsstunde des
Vertrauensärztlichen Dienstes
(VÄD). Der VÄD war organisatorisch bei der Rentenversicherung angesiedelt, wurde aber von
Krankenversicherung finanziert.
Die Kontrolle der Arbeitsunfähigkeit machte den größten Teil
seiner Tätigkeit aus. Bis zur Einführung der Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall durch die Arbeitgeber im Jahr 1969 wurde nahezu jeder dritte Arbeitsunfähigkeitsfall dem VÄD vorgelegt.
Entsprechend war das Image des
Vertrauensarztes schlecht: Vielen
2
Arbeitnehmern galt er als Kontrolleur und „Gesundschreiber“.
Gesundheitsreform 1989: Aus
VÄD wird MDK
In den 1970er und 1980er Jahren
verstärkten sich die Bestrebungen
der Krankenkassen, einen medizinischen Beratungs- und Begutachtungsdienst in eigener Trägerschaft
zu begründen. Das Gesundheitsreformgesetz, das am 1. Januar 1989
in Kraft trat, brachte den Durchbruch: Der Medizinische Dienst
der Krankenversicherung wurde
ins Leben gerufen. Nicht mehr nur
Begutachtung, sondern die medizinische Beratung der Krankenkassen und ihrer Verbände sollte im
Vordergrund stehen.
Die Krankenversicherung ist
durch das Fünfte Sozialgesetzbuch aufgefordert, selbst gesundheitspolitisch gestaltend aktiv zu
werden. Darin wird sie von ihrem Medizinischen Dienst zum
Beispiel durch dessen Mitwirkung in den Arbeitsgremien des
gemeinsamen Bundesausschusses oder in den Ausschüssen für
Fragen der pflegerischen Versorgung auf Bundes- und Landesebene unterstützt.
Die Geschichte der GKV ist bis
heute eine Erfolgsstory: Für rund
86 Prozent der Bevölkerung bietet die Gesetzliche Krankenversicherung die Sicherheit, im
Krankheitsfall schnelle und umfassende medizinische Unterstützung zu erhalten. Fast 220 Kassen, über 2.000 Kliniken und
rund 136.000 Vertragsärzte garantieren eine medizinische Versorgung nach neuestem Stand
und auf höchstem Niveau.
Herzlichen Glückwunsch,
GKV!
(se)
Schwerpunkt
Fern und doch so nah?
Telemedizin in Deutschland
Von Melanie Volberg
T
elemedizin hat sich vor
allem bei der räumlichen
Trennung von Arzt und Patient
bewährt. Die Regierungen Eu­
ropas sind überzeugt: Sie wird
die Qualität der Versorgung
vor allem chronisch Kranker
verbessern und die Kosten im
Gesundheitssystem senken.
Realität oder Illusion? Wo geht
die Entwicklung hin?
Scotty, Ingenieur von „Raumschiff Enterprise“, wird plötzlich
ohnmächtig und atmet kaum
noch. Problem: Die Enterprise ist
auf Mission im Weltall und Licht­
jahre von der Erde entfernt. Für
die Ärzte an Bord aber kein
Grund zur Sorge: Nur einmal
mit einer Art Scanner über Scottys
Körper, die gesammelten Daten
an den Computer gefunkt, und
schon spuckt der, nachdem er
mit den Experten auf der Erde
gesprochen hat, die Behandlungsmethode aus. Den Weg zur
Weltall-Apotheke kann sich das
Raumschiff auch sparen, denn
der Computer mixt auch gleich
das passende Medikament.
In Friedrichshafen wurde auch
geprüft, wie Patienten sich fühlen,
wenn die Sprechstunde mit dem
Kardiologen vor dem heimischen
Fernseher stattfindet. Die meisten
Patienten fühlen sich zu Hause
wohler. „Die private Umgebung
wirkt sich positiv auf das Befinden, und damit auf die Genesung
der Patienten, aus“, sagt Jäger.
Betreuung rund um die Uhr
Telemedizinanwendungen gibt
es in Deutschland bisher nur ansatzweise. Sie sind noch nicht
Teil der Gebührenordnung der
Ärzte. Sie müssen in der Regel
von den Kliniken selbst finanziert
werden, wenn sie nicht im Rahmen von Forschung (Universitätskliniken, Programme der EU
oder einzelner Bundesländer)
gefördert werden. Diana Schmidt,
Professorin im Studiengang Medizinische Informatik an der
Hochschule Heilbronn, ist letztes
Jahr von einer Forschungsreise
zum Vergleich der Telemedizin
in Deutschland und den USA
zurückgekehrt. Ihre Ergebnisse:
In den USA hat Home Telehealth
eine 20-jährige Geschichte und
ist entsprechend weit entwickelt.
Im Gegensatz dazu gab es in
Deutschland vor der Jahrtausend­
wende kaum Publikationen zu
diesem Thema.
Die Episode der Serie aus den
1960er Jahren ist längst keine
Science Fiction mehr. Zwar gibt
es noch nicht den Super-Scanner, aber medizinische Befunde
oder Vitaldaten können heute
mittels der Internet- und Telekommunikationstechnik bequem ausgetauscht werden. „Die
Telemedizin nimmt uns Arbeit
und dem Patienten viel Fahrtund Wartezeit ab“, stellt Detlef
Jäger, Kardiologe und Chefarzt
am Klinikum Friedrichshafen,
zufrieden fest.
Das Klinikum testete die Betreuung von Herzpatienten zu Hause
per Datenleitung. Medizinische
Sensoren am Körper erfassen
zum Beispiel rund um die Uhr
Herzschlag- und Blutdruckwerte.
Ist der Patient außerhalb seiner
Wohnung, trägt er ein Empfangs­
gerät. Das kann auch einfach
sein bluetooth-fähiges Handy
sein. Kommt es zu auffälligen
Veränderungen, sendet das Handy
eine SMS an ein telemedizinisches
Zentrum, einen Arzt oder das
Krankenhaus. Die werten die
Informationen aus und rufen den
Patienten bei Gefahr sofort an.
3
Bei Langzeitanwendungen lässt
Patientenmotivation nach
An der 20-jährigen Entwicklung
der Projekte sehe man, wie lange
es dauere, bis ein solches Projekt
reif für die klinische Routine ist.
Und die Forscherin Schmidt
stellte fest, dass die Erfahrungen
der USA-Ärzte aus einem Langzeitprojekt, der Behandlung von
Mukoviszidose, hochfliegende
MDK-Forum 2/2008
Schwerpunkt
Pläne auf den Boden der Tatsachen zurückholen: Die Motivation der Patienten ließ nach einem Jahr nach, Messungen
blieben aus. Wenn aber die
häuslichen Messungen nicht
langfristig anhaltend durchgeführt werden, nutzen auch die
besten Daten nichts. Eine weitere
Erfahrung aus den USA: Die
Menge der Daten, die häusliche
Messungen erzeugen, ist für die
manuelle Auswertung durch vor­
handenes klinisches Personal oft
zu groß. Der Sprung in die klinische Routine gelingt nur, wenn die
Daten automatisch ausgewertet
werden.
Telemedizin bei Herzinsuffizienz: Per Messgerät werden Vitaldaten wie
EKG-Werte kontinuierlich erfasst und vom Patienten an die Klinik gesendet
Auf dem Land oft die Rettung
Trotzdem ist die Gesundheitsversorgung zu Hause per Datenübertragung das am schnellsten
wachsende Gebiet der Telemedizin in den USA. Die Staaten sind
ländlich strukturiert: 32 Menschen leben auf einem Quadratkilometer (Deutschland: 222).
Telemedizin ist auch in Deutschland für Patienten auf dem Land
oft die Rettung. Die Klinik im
westfälischen Balve beispielsweise, einem Ort mit 6.000 Einwohnern, kann sich keine medizinischen Experten für verschiedene
Fachgebiete leisten. Sie sendet
ihre Befunde an ein kooperierendes Krankenhaus, wo Experten
zeitnah ein Feedback geben.
„Schnell lebensrettende Entscheidungen treffen“, darin sieht
auch Dr. Uwe Engelmann,
Wissen­schaftler am Deutschen
Krebsforschungszentrum und
Koordinator der jährlich stattfindenden Telemed-Tagung des
Berufsverbandes Medizinischer
Informatiker, die Vorteile der
Telemedizin: „Beim Schlaganfall
eines Patienten müssen sie als
Arzt sehr schnell die lebensentscheidende Wahl zwischen zwei
Behandlungsmethoden treffen.
Ist die Ursache eine Blutung
oder eine Verstopfung? Bei einer Verstopfung müsste das Blut
verdünnt werden. Ist die Ursache aber eine Blutung und man
MDK-Forum 2/2008
würde das Blut auch noch verdünnen, kann der Patient sterben.“
Finanzierung der Telemedizin
Die Ärzte fordern daher IT-Maß­
nahmen, die ihre Kommunikation
untereinander unterstützen; sind
aber skeptisch, wenn es um die
Behandlung der Patienten geht:
„Telematik ist eine Geldvernichtungsmaschine,“ sagt der Hausarzt und Vorstandsmitglied der
KV Westfalen-Lippe, Dr. Arnold
Greitemeier. Das Geld solle lieber
ins Personal gesteckt werden als
in Geräte, die vor allem ältere
Patienten nicht bedienen können.
Und Ärzteverbände betonen,
dass Telemedizin das persönliche
Arzt-Patienten-Gespräch nicht
ersetzen, sondern nur ergänzen
darf.
Die Krankenkassen stehen den
meisten Telematikprojekten kritisch gegenüber: „Oft fehlt ein
klarer Kosten-Nutzen-Nachweis,“ sagt Steffen Hilfer vom
AOK-Bundesverband. Bei Home
Telehealth sehe er die Gefahr,
dass zu viele Daten gesammelt
werden, die nicht ausgewertet
werden können. „Wichtig ist,
dass Prozesse und Inhalte verbessert werden können.“ Handelt
es sich dabei aber um Investitionen in die informationstechni-
4
sche Infrastruktur des Krankenhauses, wie beim Beispiel der
Röntgenbilder, ist die Krankenkasse gar nicht zuständig. Auch
fehle ihm bei vielen Projekten
der unmittelbare Patientennutzen, sagt Hilfer. Als positives
Beispiel nennt der Kassenvertreter die Betreuung von Herzinsuffizienz-Kranken. Die Patienten schicken ihre Gewichts- und
EKG-Werte während der Projektzeit in die Klinik und lernen
so, selber mehr auf ihre Gesundheit zu achten. An einem ähnlichen Projekt ist die Techniker
Krankenkasse beteiligt.
Neue Form des
Gesundheitswesen
Die Telemedizinoptimisten sehen
in der Technik eine Vision:
„E-Health wird die Gesellschaft
verändern“, ist Reinhold Mainz
überzeugt. Der Informatiker beschäftigt sich seit den 80er Jahren
mit der Informationstechnik in
der Medizin. Während seiner
beruflichen Stationen im Bundes­
gesundheitsministerium und bei
der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hat er den Wandel
des Begriffes von der Telemedizin
zu E-Health beobachtet. „Bei EHealth geht es um eine patienten­
zentrierte Dienstleistung. Das
geht über die technische Betrach­
tungsweise hinaus.“ Ein chronisch
Schwerpunkt
Kranker brauche mehrere Ärzte
und Sektoren. Und bei jedem
Besuch bei einem neuen Arzt
müsse er seine Krankheitsgeschichte neu erzählen und Dokumente durch die Weltgeschichte tragen. Die IT-Systeme
zwischen ambulantem und stationärem Sektor sind nicht kompatibel. Die Bundesregierung
arbeitet daher daran, mit der
Einführung einer elektronischen
Gesundheitskarte und elektronischen Gesundheitsakte sämtliche
Gesundheitsinformationen über
einen Patienten zu digitalisieren
und die Infrastruktur anzupassen.
Die integrierte und auf den Patienten ausgerichtete Versorgung
könnte wirklich realisiert werden.
Die Versorgung des Patienten
würde verbessert.
Viele Märchen
„Im Bereich der Versorgungsverbesserung werden viele Märchen
erzählt,“ sagt Achim Jäckel, längjähriger Herausgeber des „Telemedizinführer Deutschland“. Dass
zum Zeitpunkt der Behandlung
wirklich alle Daten über den Patienten vorliegen, hält er für eine
Idealvorstellung. Auch dass mit
wenig Aufwand Kosten eingespart
werden können, hält er für nicht
richtig: Die Beteiligten müssten
zum Beispiel geschult werden,
der ganze Prozess müsse organisiert werden – solche Kosten
werden oft außer Acht gelassen.
Auch Mainz gibt zu Bedenken:
„Nicht jeder Arzt braucht alle Informationen. Zudem sind zum
Beispiel die Operationsberichte
für die Krankenkassen geschrieben worden, um die Leistung abzurechnen oder Statistiken anzufertigen. Die ärztlichen Kollegen,
die den OP-Bericht schnell auswerten wollen, müssen sich durch
für sie unnötige Details quälen
und vermissen auf der anderen
Seite medizinische Informationen.
Der Arzt steht unter Druck, denn
er hat neben dem Zeit- auch ein
Haftungsproblem. Die Frage ist
daher: Wer wählt die richtigen Informationen aus? Der Compu-
Telematik: Telematik (zusammengesetzt aus Telekommunikation und
Informatik) verknüpft die Technologiebereiche Telekommunikation und Informatik. Sie ist Mittel der Informationsverknüpfung von mindestens zwei
EDV-Systemen mit Hilfe eines Telekommunikationssystems, sowie einer speziellen Datenverarbeitung.
Telemedizin: Telemedizin ist ein Teilbereich der Telematik im Gesundheitswesen und bezeichnet Diagnostik und Therapie unter Überbrückung einer
räumlichen oder auch zeitlichen („asynchron“) Distanz zwischen Arzt und
Patienten oder zwischen zwei sich konsultierenden Ärzten mittels Telekommunikation.
E-Health: Was der Kunstbegriff E-Health bzw. E-Gesundheit genau bezeichnet, darüber herrscht bisher keine Einigkeit. Eine gemeinsame Definition
fehlt. Entsprechend umfassend angelegt ist daher der Definitionsversuch
für den Begriff E-Health von Eysenbach (2001): Er sieht darin nicht nur
„eine technische Entwicklung, sondern auch eine [...] (besondere) Denkweise, Einstellung und Verpflichtung zu vernetztem und globalem Denken,
um die Gesundheitsversorgung [...] durch den Gebrauch von Informationsund Kommunikationstechnologie zu verbessern“.
ter?“ Mainz setzt auf intelligente
Software, deren Entwicklung aber
seine Zeit bräuchte. Von den
skandinavischen Ländern könne
man hier durchaus lernen.
Deutschland holt auf
Diese Einschätzung bestätigen
auch die im Mai veröffentlichten
Ergebnisse der Europäischen
Kommission: Für die Dänen,
Schweden, Finnen und mit etwas Abstand die Niederländer
sind E-Health Anwendungen
selbstverständlich. Der Grund:
Es gibt vielfach bereits eine
funktionierende Vernetzung
zwischen Ärzten, Krankenhäusern, Laboren, Apotheken und
Wohnungen der Patienten. Die
Europäische Kommission bescheinigt Deutschland gute
Chancen, die Verspätung auf
dem Weg ins digitale Zeitalter
bald wieder aufzuholen. Der
Optimismus begründet sich so:
Im Bereich E-Government (Serviceverbesserung der öffentlichen
Hand durch Onlinetechnik) habe
sich Deutschland gerade letztes
Jahr um 30 Prozent gesteigert und
liege damit unter den zehn Besten Europas. Alle europäischen
5
Länder stehen unter Druck.
Denn Gesundheit wird hier über­
wiegend aus staatlichen Töpfen
finanziert und die steigende Lebenserwartung sowie veränderte
Haushaltsstrukturen fordern
neue Lösungen zum Beispiel in
der häuslichen Pflege.
Fazit
Achim Jäckel meint, dass aus
heutiger Sicht von der Telemedizin
für Deutschland keine flächendeckende Versorgungsverbesserung erwartet werden kann.
Aber Telemedizin könne in einem
von Sparzwang und Kostendruck
geprägten Gesundheitssystem
helfen, die schlimmsten zukünftigen Engpässe in Organisation
und Versorgung zu begrenzen.
Und Reinhold Mainz weist da­
rauf hin, dass die europäischen
Regierungen zunehmend Telematikprojekte mit finanziellen
Mitteln fördern. Dies verleihe
auch den in der Medizintechnik
wettbewerbsstarken deutschen
Herstellern Auftrieb. Es sei allerdings ein langer Atem nötig.
Melanie Volberg
ist freie Journalistin
MDK-Forum 2/2008
Schwerpunkt
„Datenschutz nicht über Patientenschutz stellen!“
Wachstumsmarkt eHealth – Interview mit Prof. Dr. Roland Trill
N
eben dem klassischen Ge­
sundheitssektor, zu dem u.a.
Dienstleistungen wie ärztliche
Behandlung oder häusliche
Krankenpflege zählen, spielt
auch der so genannte „neue
Gesundheitsmarkt“ wirtschaft­
lich eine immer größere Rolle.
An der Fachhochschule Flens­
burg arbeitet Prof. Dr. Roland
Trill vom Fachgebiet „Kranken­
hausmanagement & eHealth“
schon länger zu diesem Thema.
Mit MDK-Forum sprach er über
seine Einschätzung des Wachs­
tumsmarktes eHealth in
Deutschland. Der Begriff
eHealth fasst in diesem Kon­
text den „Einsatz moderner
Technologien der Telekommu­
nikation und Informatik im
Gesundheitswesen“ zusammen.
der Zukunft Partner und nicht
„Opfer“ des Gesundheitswesens
sein will. Das gewollte PatientEmpowerment verlangt nach
Transparenz, was ein gestiegenes
Informationsbedürfnis beinhaltet.
? MDK-Forum: Wie definieren
Sie in diesem Kontext den Begriff
„eHealth“?
! Prof. Roland Trill: Ich
möchte eHealth ganz allgemein
? MDK-Forum: Herr Prof.
Trill, vor einem Jahr haben Sie
die Studie „eHealth in Deutschland – Bestandsaufnahme, Per­
spektiven und Chancen eines
Wachstumsmarktes!“ veröffentlicht. Am Ende des Titels steht
ein Ausrufezeichen. Warum?
!
Prof. Roland Trill: Weil die
Herausforderungen des Gesundheitswesens der Zukunft ohne
Unterstützung durch Informations- und Kommunikationstechnologien nicht werden bewältigt werden können. Ein
Gesundheitswesen, das vor der
Bewährungsprobe steht, eine
immer älter werdende Bevölkerung mit sich dynamisch entwickelndem medizinischen Fortschritt zu versorgen, muss ganz
einfach auf diese Technologien
zurückgreifen, will es Qualität
mit Wirtschaftlichkeit in Einklang bringen. Und vergessen
Sie bitte nicht, dass der Patient
MDK-Forum 2/2008
Stellenwert von eHealth auch
für die kommenden Jahre eindrucksvoll bestätigt. Wenn über
80 Prozent der Leistungsanbieter
(und wir haben alle Sektoren
abgefragt) eHealth-Applikationen als wichtigen Wettbewerbsfaktor sehen, dann ist das ein
beeindruckendes Ergebnis und
ein Hinweis auf die Investitionsnotwendigkeiten in den kommenden Jahren. Noch „dramatischer“ scheint mir die Einschätzung hinsichtlich des Wirtschaftsstandortes Deutschland.
Ich kann schon sehr gut nachvollziehen, dass eHealth im globalen Wettbewerb immer wichtiger werden wird. Der Gesund­heitsmarkt ist in allen Industrieländern ein Wachstumsmarkt.
Sich hier zu behaupten, wird von
großer Bedeutung sein!
?
MDK-Forum: Wenn Sie
die Entwicklung im internationalen Kontext sehen: Wo steht
Deutschland?
Prof. Dr. Roland Trill,
Fachhochschule Flensburg
als den Technologie-Einsatz
(IT und KT) in einem vernetzten
Gesundheitswesen verstehen,
in dem der Bürger – nicht nur in
seiner Rolle als Patient – eine
aktive Rolle übernimmt. In diesem Sinne ist Telemedizin eine
eHealth-Anwendung.
?
MDK-Forum: Können Sie die
Ergebnisse der Studie und ihren
Nutzen für uns kurz umreißen?
!
Prof. Roland Trill: Die Studie hat den schon heute hohen
6
! Prof. Roland Trill: Leider
nicht vorn, da wo es hingehört!
Mittlerweile gibt es in sehr vielen
europäischen Ländern eCardoder Portalprojekte, die weiter
sind als unser deutsches Projekt.
Gerade der Blick nach Nordeuropa, z.B. nach Dänemark, zeigt,
wie es gehen kann.
Wir sollten uns davon verabschieden, den Datenschutz über den
Patientenschutz zu stellen. Der
selbstbewusste Bürger braucht
keine Behörde, um seine Daten
zu schützen, er kann und will selber entscheiden, wo im Gesundheitssystem seine Daten gespeichert werden und wie sie angewendet werden sollen. In unserer
Studie wurde sehr deutlich, dass
Schwerpunkt
dem Bürger seine Sicherheit in
Gesundheitsfragen mehr bedeutet
als das abstrakte Gut „Datenschutz“.
? MDK-Forum: Auf welchen
Feldern ist die eHealth-Entwicklung am weitesten fortgeschritten?
Gibt es Ihrer Erfahrung nach inhaltliche „Mega-Trends“?
! Prof. Roland Trill: Sie erwarten jetzt bitte nicht, dass ich
die eCard als Erfolgsmodell einordne. Leider wird dieses Beispiel von Gegnern der eHealthApplikationen dazu verwandt,
um die Umsetzbarkeit generell
in Frage zu stellen. Dabei wird
aber übersehen, dass das wichtigste Element der Entwicklung
die Telematikplattform und
nicht die eCard ist.
Sehr positive Erfahrungen wurden beispielsweise mit der Teleradiologie gemacht. Und durch
telemedizinische Unterstützung
konnten auch bei der Betreuung
im Bereich der Kardiologie große
Fortschritte erzielt werden. Fortschritte, die dem Patienten dienen (z.B. seine Überlebenswahrscheinlichkeit verbessern), aber
auch die Wirtschaftlichkeit der
Versorgung positiv verändert
haben. Qualität und Wirtschaftlichkeit gegeneinander auszuspielen ist beliebt, geht aber an
der Sache vorbei!
Die Zukunft wird den Patienten­und Gesundheitsakten gehören,
die eine arztmoderiert, die andere bürgermoderiert. Die ersten
Erfahrungen mit der elektronischen Fallakte machen Mut, diesen Weg konsequent weiter zu
gehen. Beeindruckend finde ich,
dass das Projekt von Krankenhäusern angestoßen wurde!
? MDK-Forum: Sie bezeichnen die Studie als Hilfe für Entscheidungsträger im Gesundheitswesen. Wozu wurden die
Erkenntnisse bisher verwandt?
!
Prof. Roland Trill: Unsere
Studie kursiert bei fast allen
Technologieanbietern, erlaubt
sie doch eine Abschätzung der
Entwicklung des Marktpotenzials,
nicht nur global, sondern auch
auf einzelne Anwendungen bezogen. Interessant ist auch, dass
sich die Kostenträger besonders
für technologische Verfahren interessieren. In ihnen sehe ich
persönlich wichtige Anwender
in den kommenden Jahren. Und
nicht zuletzt hat uns die Studie
in den Planungen bestätigt, einen
Masterstudiengang „eHealth“ an
unserer Hochschule zu implementieren. Obwohl noch kein
Absolvent „auf dem Markt“ ist,
nehmen die Stellenangebote kein
Ende. Der nächste Durchgang
beginnt übrigens in Herbst 2008.
?
MDK-Forum: Wo liegen Ihrer Meinung nach die Grenzen
telemedizinischer Anwendungen?
! Prof. Roland Trill: Technologisch sehe ich kaum Grenzen.
Wir haben ja bereits alle notwendigen Basistechnologien.
Neben dem Datenschutz bleiben
noch zwei Punkte: die Finanzierung und die Grenzen in den
Köpfen der Entscheidungsträger.
eHealth muss natürlich finanzierbar sein und ich habe keine
Bedenken, dass geeignete Business-Modelle entwickelt werden
können. Sie müssen Eingang in
die Finanzierungssysteme finden,
auch indem mehr Wettbewerb
zugelassen wird. Und der Einsicht, dass „eHealth einen Wettbewerbsfaktor“ darstellt, müssen
vermehrt auch Taten folgen. Den
Mutigen, den Vorreitern soll dann
aber auch die Zukunft gehören.
Diese Forderung muss dann
gegebenenfalls auch gegen die
Verbände durchgesetzt werden.
?
MDK-Forum: Was wünschen
Sie – als Befürworter moderner
Technologien und Projekte im
Gesundheitswesen – sich für die
kommenden fünf Jahre?
! Prof. Roland Trill: Unser
Gesundheitssystem ist bereits
jetzt und in Zukunft abhängig von
intelligenten eHealth-Lösungen.
7
Es muss uns gelingen, zukünftig
mehr ältere Menschen länger in
ihren Haushalten medizinisch
zu versorgen. Wir müssen es
schaffen, auch in der Fläche
(z.B. auf den Inseln) eine hochwertige medizinische Versorgung aufrecht zu erhalten. Ich
verspreche mir von den Kostenträgern Anreize, um eHealthLösungen auch in die Regelversorgung zu übernehmen. Ich
erwarte, dass sich zunehmend
der Druck der Bürger erhöht,
aktiver am Gesundheitswesen
teilzunehmen. Auch hier sind
die Kostenträger mit ihren Überlegungen oft schon viel weiter als
viele Leistungsanbieter.
Ich bin überzeugt, dass das Jahrzehnt der eHealth-Anwendungen
erst noch beginnen wird. Alle
Beteiligten sollten versuchen,
ihre nur die Partikularinteressen
sehenden Brillen abzulegen und
an einem Gesundheitswesen zu
arbeiten, das Technologien dort
einsetzt, wo sie zum Wohle der
Bürger heute und zukünftig notwendig sein werden.
Die Fragen stellte
Andrea Steidle, MDS
Zur Person
Prof. Dr. Roland Trill
Fachhochschule Flensburg
University of Applied Sciences
Fachgebiet „Krankenhausmanagement & eHealth“
Kanzleistraße 91-93
24943 Flensburg
Tel: 0461 / 805 1473
E-Mail: [email protected]
www.wi.fh-flensburg.de/rolandtrill.html
www.fh-flensburg.de/eHealth
Die Studie „eHealth in Deutschland“ (Hrsg.: Fachhochschule
Flensburg und GEMINI Executive
Search) kann in der 2. Auflage bei
Prof. Trill angefordert werden.
MDK-Forum 2/2008
Schwerpunkt
Muss die Telemedizin in Zukunft eine
größere Rolle in der medizinischen
Versorgung spielen?
JJa
Nein
, meint Dr. Heinrich Audebert, Consultant
Stroke Neurologist am St. Thomas Hospital in
London. Bis 2006 leitete er das TEMPiS-Netz­
werk (Telemedizinisches Projekt zur integrierten
Schlaganfallversorgung) am Klinikum Harlaching
in München.
, ist Martin Grauduszus überzeugt.
Der Facharzt für Allgemeinmedizin und Sport­
medizin mit Praxis in Erkrath bei Düsseldorf
steht seit Juni 2005 an der Spitze der Freien
Ärzteschaft.
Speziell in der Prävention, der
Notfallbehandlung, der Rehabilitation bis hin zu „ferngesteuerten“ Operationen wurden telemedizinische Verfahren
in den vergangenen Jahren
evaluiert. Bewährt haben sich
vor allem jene Anwendungen,
bei denen die Übermittlung
entscheidender Untersuchungsparameter einfach und ohne
Zeitverzögerung zu relevanten
Therapieentscheidungen führt.
Dies gilt z. B. beim Telemonitoring von Herzfrequenz
und Körpergewicht bei herzinsuffizienten Patienten.
Medizin ist heute ohne
moderne Technologien nicht
mehr vorstellbar. Die zeitnahe
Übermittlung von Informationen durch Telemedizin ist
technisch möglich und wird
deshalb auch immer mehr
Einzug in den Alltag halten.
Aber: Eine zentrale Rolle
wird sie dabei nicht spielen
können. Im Mittelpunkt
ärztlicher Behandlung steht
immer der Mensch als Individuum, und er muss ganzheitlich betrachtet
werden. Das setzt in aller Regel einen direkten
Kontakt am selben Ort zwischen Arzt und
Patient voraus.
Telemedizin wird häufig als unpersönliche Fernsteuerung der Patientenbehandlung interpretiert. Gerade
die persönliche Beziehungsbildung lässt sich jedoch
durch die moderne Videotechnologie wesentlich besser fördern als nur durch das Telefon.
Telefonische Therapieanweisungen ohne persönliche Untersuchung werden von jeher zu Recht kritisch betrachtet und sind meist nur bei persönlicher
Kenntnis des Patienten möglich. Die Übermittlung
von Bildern, Befunden und weiteren Informationen
kann deshalb nur ein unterstützendes Element im
gesamttherapeutischen Kontext sein – mehr aber
auch nicht!
Telemedizin macht spezialisiertes Fachwissen auch
in unterversorgten Regionen verfügbar. Nachdem die
Erwartungen an medizinische Expertise immer höher werden, Spezialwissen aber nicht überall und immer vorgehalten werden kann, wird der Stellenwert
der Telemedizin in Zukunft noch zunehmen. Drei
wesentliche Vorzüge sind aus meiner Sicht:
• Telemedizin macht Spezialwissen leichter
verfügbar
• ermöglicht Therapieentscheidungen ohne Zeit verzug
• kann als Kommunikations- und Qualitäts sicherungsinstrument verwendet werden
Unterschätzt wird vielfach die belastende Seite
von Telemedizin: Denn was zunächst faszinierend
klingt, kann auch weitreichende negative Konsequenzen haben. Bei einem Patienten, der kontinuierlich überwacht wird, kann der Leidensdruck so
stark werden, dass dieser krank macht. Es ist bekannt, dass Patienten, die einen ICD-Schrittmacher
tragen, häufig an der Überwachung durch das Gerät
leiden.
Für die kommenden Jahre ist vor allem wünschenswert, dass die Telemedizin in abgestimmte,
evidenz­basierte Behandlungs­konzepte integriert
wird, dass es Maßnahmen der Qualitätssicherung
für telemedizinische Prozesse und EffektivitätsNachweise für jeden Indikationsbereich gibt.
Moderne Technologien werden heute bisweilen
zum Selbstzweck und der tatsächliche Nutzen für
Patienten bleibt gering. Deshalb ist der Nachweis
einer deutlichen Verbesserung der Behandlungsbzw. Ergebnisqualität zwingende Voraussetzung
für die Anwendung von Telemedizin.
MDK-Forum 2/2008
8
Schwerpunkt
Telemedizinische Projekte
in Deutschland – Drei Beispiele
Von Andrea Steidle
K
rankheiten wie Diabetes,
Herzinsuffizienz oder Glau­
kom überwachen, gesundheit­
liche Auffälligkeiten frühzeitig
diagnostizieren oder Schlag­
anfallpatienten gezielt helfen:
Telemedizinische Projekte sind
vielfältig motiviert und werden
auf verschiedensten medizini­
schen Feldern praktisch erprobt.
Drei der jüngsten Projekte
wollen wir Ihnen hier vorstellen.
Projekt „HerzAs“
Mehr Selbstverantwortung durch Kontrolle
Dr. Heinrich Körtke vom Institut
für Angewandte Telemedizin
(IFAT). „Durch unser Projekt
sollen die Patienten lernen,
mehr Selbstverantwortung zu
übernehmen“, erklärte Dr. Körtke auf einer Tagung des Zentrums für Telematik im Gesundheitswesen GmbH (ZTG) am 27.
Mai in Düsseldorf. „Die Maßnahmen helfen dabei, sich zum
Manager der eigenen Gesundheit zu qualifizieren“. Das IFAT
steht den Patienten mit seinen
35 Mitarbeitern, zu denen auch
elf Ärzte zählen, dabei rund um
die Uhr zur Verfügung.
Institut für Angewandte
Telemedizin wertet Daten aus
Mobil und überwacht: Patientin mit
Meßgerät
Für Patienten mit Herzinsuffi­
zienz bietet beispielsweise im
Bundesland Nordrhein-Westfalen
seit Anfang des Jahres das Projekt
„HerzAs“ gezielte telemedizinische Unterstützung. Hinter
„HerzAs“ stehen die AOK Westfalen-Lippe, der Bundesverband
Nieder­gelasse­ner Kardiologen
(BNK), der Landesverband Praxisnetze Westfalen-Lippe (LPWL)
und das Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen.
Am Herz- und Diabeteszentrum
in Bad Oeynhausen arbeitet auch
Doch wie genau funktioniert das
Projekt „HerzAs“? Freiwillige
Teilnehmer mit nachgewiesener
Herzinsuffizienz werden eingangs ausführlich geschult und
beraten. „Sie werden zunächst
über Ernährung, Bluthochdruck
und über Maßnahmen zur Rauch­
entwöhnung informiert“, so
Dr. Körtke. Im Anschluss daran
erhalten die Teilnehmer Geräte
zur täglichen Übermittlung von
Daten wie Gewicht, Blutdruck
und EKG, die vom IFAT ausgewertet werden. Gibt es auffällige
Abweichungen bei den Ergebnissen oder weiteren Klärungsbedarf, so setzt sich ein betreuender
9
Arzt oder Kardiologe ohne Zeitverluste mit dem Betroffenen in
Verbindung.
Vorteile für die Patienten: Die
engmaschigen Messungen, begleitet von regelmäßigen Telefonaten mit den Betreuern, geben
den Herzkranken deutlich mehr
Sicherheit. Durch die gezielte
Eingangsschulung und den Umgang mit den Messergebnissen
lernen sie im Laufe der Zeit ihren
Körper bzw. das individuelle
Krankheitsbild besser kennen und
Symptome und Entwicklungen
besser einzuschätzen. Langfristiges
Ziel der AOK ist es auch, dass
die Zahl der Selbsteinweisungen
ins Krankenhaus durch „Herz­
As“ nachweislich sinkt.
Enge Zusammenarbeit von
Kardiologen und Hausärzten
Insgesamt dauert das Projekt jeweils zwölf Monate. Im Verlauf
dieses Zeitraums gehen die
Patienten mindestens viermal
zur Kontrolle zum Hausarzt und
dreimal zu einem Kardiologen.
Von Jahresbeginn bis Ende Mai
hatten sich bereits rund 100
Versicherte für „HerzAs“ eingeschrieben, Tendenz steigend.
Auf der Mediziner-Seite nehmen
90 Kardiologen und 26 Hausärzte, die eng zusammen
arbeiten, am Projekt teil.
MDK-Forum 2/2008
Schwerpunkt
„Teleaugendienst GmbH“
hilft Patienten mit Glaukom (Grüner Star)
Mit einem Selbsttonometriesystem können Patienten mit Grünem Star Messwerte, wie den Augeninnendruck, zu Hause selbst ermitteln und versenden
Im vergleichsweise dünn besiedelten Mecklenburg-Vorpommern spielt die räumliche Distanz zwischen Arzt und Patient
und deren Überwindung eine
ganz besondere Rolle. Daher
gibt es im Nordosten der Re­
publik auch relativ viele telemedi­
zi­nische Ansätze zur Behandlung
und Betreuung der immer älteren
Versicherten. Außerdem war ecklenburg-Vorpommern das erste
Bundesland, das gemäß dem telemedizinischen Motto „Bewege
die Daten, nicht den Patienten“
ein dezentrales digitales Mammographie-Screening eingeführt hat.
Mit der telemedizinischen Überwachung von Glaukompatienten
(Teletonometrie) befasst sich ein
bereits 2004 gestartetes Forschungsprojekt an der Universitäts-Augenklinik Greifswald unter der Leitung von Prof. Dr.
Frank Tost (Leitender Oberarzt).
In seinem siebenköpfigen interdisziplinären Team arbeiten Informatiker, Augenärzte, Physiker
und Gesundheitsökonomen zusammen.
Vertrag zur Integrierten
Versorgung mit TK
Im Jahr 2006 wurde das Projekt,
an dem bislang rund 170 Patienten teilnahmen, im Rahmen des
29. Deutschen Hausärztetages
in Potsdam mit dem Richard-
MDK-Forum 2/2008
Merten-Preis zur Förderung der
Qualitätssicherung in der Medizin ausgezeichnet. Erst kürzlich
wurde mit der Techniker Krankenkasse ein Vertrag zur Integrierten Versorgung abgeschlossen. Im Bereich der Augenheil-­
kunde ist das medizinische Angebot der inzwischen von der
Universität ausgegründeten
„Teleaugendienst GmbH“ somit
einzigartig in ganz Deutschland.
Ziele bei der Vorsorge von Patienten mit einer Glaukomerkrankung sind eine rechtzeitige
Diagnose und ausreichende Behandlung. Von besonderer Bedeutung ist dabei unter anderem
die Bestimmung eines Zielwertes
für den Augeninnendruck sowie
die Berechnung des okulären
Perfusionsdruckes (OPD). Dieser
wird aus Blutdruck und Augeninnendruck errechnet. Der okuläre
Perfusionsdruck ist ein wichtiger
Prognosefaktor für den Erkrankungsverlauf, der sich zur Beurteilung der Augendurchblutung
eignet.
Rico Großjohann, Geschäftsführer der Teleaugendienst GmbH,
erklärt, wie Interessenten zum
Teletonometrie-Angebot kommen: „Normalerweise überweisen Augenärzte ihre GlaukomPatienten an unsere Klinik. In
einer Folgeuntersuchung ermitteln wir dann auch, ob sich der
10
Patient auch wirklich für die
Teilnahme an unserem Angebot
eignet“, so Physiker Großjohann.
Falls ja, so erhält der potenzielle
Teilnehmer ein e-learning-Modul mit Software (lesbar am PC
oder Handy), das die Hintergründe zum Einsatz des Messgerätes erklärt. Den konkreten
Umgang mit dem Selbsttonometriesystem erlernen die teilnehmenden Patienten dann jedoch unter
fachlicher Anleitung.
Messwerte werden telefonisch
übertragen
Im Anschluss daran steht dem
praktischen Einsatz der Messung und des telemetrischen
Übertragungssystems nichts
mehr im Weg. „Die Messwerte
werden von den Patienten selbst
ermittelt und von zu Hause in
die Arztpraxis und in die Klinik
gesendet“, so Großjohann. Alle
automatisch gespeicherten
Messwerte werden verschlüsselt
durch den Patienten per Knopfdruck über Telefon in ein Kon­
trollzentrum übertragen. Im Bedarfsfall wird so eine sofortige
Rückmeldung an den Patienten
und seinen Augenarzt gewährleistet.
„Auf diese Weise können Patienten nicht nur den Augeninnendruck, sondern auch ihren
Blutdruck und ihren Blutzucker
selbst kontrollieren. In Ergänzung zum Arztbesuch können
Messwerte sowohl zu beliebig
gewählten Zeitpunkten als auch
im vorgegebenen Tagesverlauf
erfasst werden“, erläutert Großjohann. Die Messwerte werden
automatisch in eine speziell entwickelte elektronische Patientenakte (EPA) eingetragen. Durch
die verschlüsselte elektronische
Patientenakte bleibt der Versicherte stets Herr seiner Daten
und entscheidet selbst, wer Einblick in seine Daten hat.
Schwerpunkt
Projekt ASTER
will Akutversorgung von Schlaganfallpatienten optimieren
Noch in der Aufbauphase
befindet sich das Projekt ASTER
(Akut-Schlaganfall-VersorgungTelemedizin im Rettungswagen)
in Sachsen-Anhalt, das vom
Bundesministerium für Bildung
und Forschung im Rahmen der
„Initiative Unternehmen Region“
gefördert wird. Durchgeführt
wird ASTER von Innomed e.V.,
einem „Netzwerk für Neuromedizintechnik“, und dem Lehr­
stuhl für Medizinische Telematik
der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.
In Deutschland ereignet sich
alle drei Minuten ein Schlaganfall, und etwa jeder dritte Betroffene stirbt an den Folgen. Ein
weiteres Drittel überlebt mit
schweren Behinderungen. Der
Schlag kann jeden treffen, tritt
jedoch am häufigsten im Alter
auf. Aufgrund der demographischen Entwicklung rechnet man
mit direkten Behandlungskosten
von über 100 Milliarden Euro in
Deutschland in den nächsten
zwei Dekaden. Gerade bei
Schlaganfällen zählt – mehr als
bei manch anderem medizini-
schen Notfall – die erste Behandlungsphase nach Eintritt
der Symptome.
Für die häufigste Schlaganfallart
gibt es eine sehr effektive, aber
risikoreiche Therapie – die
Thrombolyse (Auflösung eines
Blutpfropfes). Da hierbei die
Blutgerinnung maximal gehemmt wird, kann es zu
Blutungs­komplikationen kommen. Die Thrombolyse kann jedoch nur innerhalb von drei
Stunden nach Symptombeginn
von erfahrenen Ärzten durchgeführt werden. Dazu ist zunächst
eine Computertomographie des
Kopfes und eine Begutachtung
durch eine Schlaganfallspezialeinheit (Stroke Unit) nötig.
Einsatzmöglichkeiten
„Präklinischer Telemedizin“
Das Projekt ASTER will so früh
wie möglich ansetzen und die
Schlaganfallversorgung innerhalb
der Rettungskette optimieren.
Dazu gehört, dass der Rettungsdienst die Krankheit zuverlässig
erkennt, eine geeignete Klinik
auswählt und diese frühzeitig in
das Rettungsszenario einbindet.
Langfristig soll so die Schlaganfallversorgung, vor allem im
medizinisch nicht flächendeckend
gut versorgten Bundesland Sach­
sen-Anhalt deutlich verbessert
werden.
Entwicklung von Szenarien
und Konzepten
ASTER untersucht dazu die Telemedizin-Technologie „Intelligenter Rettungswagen“ und
entwickelt gemeinsam mit
Notfall­versorgern, Ärzten und
Kranken­kassen geeignete Szena­
rien und Konzepte. Konkret will
ASTER
• ein überregionales Netzwerk
aus Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Notfallver­
sorgern, Krankenkassen,
Ärzte­kammern und Kliniken
initiieren,
• Innovationspotenziale aufzeigen und neue Konzepte für innovative Produkte und Dienstleistungen entwickeln,
• eine Informations- und
Kommunikationsplattform
entwickeln.
Bisheriger Höhepunkt des Projektes war ein Innovationsforum
in Magdeburg Mitte Februar, an
dem über 100 Fachbesucher teilnahmen. Dort wurde vor allem
der Ansatz der „Präklinischen
Telemedizin“ diskutiert, also der
gezielte Einsatz telemedizinischer
Geräte noch vor einem Klinik­
aufenthalt.
Weitere Informationen unter:
www.telestroke.net/aster
Mit dem „Intelligentem Rettungswagen“ soll die Schlaganfallversorgung
innerhalb der Rettungskette optimiert werden
11
Andrea Steidle
ist Mitarbeiterin im Bereich
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
beim MDS
E-Mail: [email protected]
MDK-Forum 2/2008
Schwerpunkt
Intelligentes Wohnen im Alter
Kann eine High-Tech-Wohnung den
Umzug ins Pflegeheim ersetzen?
Von Friederike Geisler
G
erne gibt man es nicht zu,
aber irgendwann erreicht
jeder einmal das Alter, in dem
einfach nicht mehr alles mög­
lich ist. Das fängt zum Beispiel
damit an, dass man den Fern­
seher immer lauter stellt oder
es plötzlich nicht mehr so ein­
fach ist, aus seinem Lieblings­
sessel aufzustehen. Wenn sich
diese Einschränkungen häufen
oder stärker werden, ist es an
der Zeit, über Hilfe nachzu­
denken – eventuell sogar einen
Umzug ins Pflegeheim zu erwä­
gen. Dieser Schritt fällt vielen
nicht leicht – und ist vielleicht
auch nicht unbedingt nötig.
Das Informatik-Institut OFFIS
in Oldenburg hat eine senio­
rengerechte „High-Tech-Woh­
nung“ entwickelt, die es Allein­
stehenden möglich machen soll,
in ihren eigenen vier Wänden
wohnen zu bleiben.
Eine Wohnung voller Technik
Auf den ersten Blick wird man
von der ganzen Technik und
EDV förmlich erschlagen. Zur
Veranschaulichung haben die
Mitarbeiter von OFFIS (Oldenburger Forschungs- und Ent-
Nahezu alle elektronischen Geräte
können per Touch-Screen gesteuert
werden
MDK-Forum 2/2008
Bildschirme, Kameras und eine Menge EDV zeichnen das Bild der DemoWohnung beim Informatikinstitut OFFIS in Oldenburg
wicklungsinstitut für InformatikWerkzeuge und -Systeme) einen
Prototyp der Spezial-Wohnung
in ihrem Institut eingerichtet.
„Hier haben wir natürlich alles
installiert, was möglich ist. So viel
Technik würde es in einer realen
Wohnung nicht geben“, erklärt
OFFIS-Bereichsleiter Jochen
Meyer. Wenn man die Wohnung
betritt, empfängt den Bewohner
ein Bildschirm, auf dem der
Grundriss abgebildet ist. „Von
hier aus kann man fast alle elektronischen Elemente bedienen“,
sagt Meyer und schaltet per
Touch-Screen verschiedene
Lampen in der Wohnung an.
Diese Art der Überwachung bietet Sicherheit – unter anderem
zeigt das System an, ob Herdplatten in der Küche eingeschaltet
sind. Und weil man sogar einen
Zugang per Internet hat, kann
man auch von unterwegs prüfen,
12
welche Geräte in der Wohnung
eingeschaltet sind – und sie sogar ausschalten. Diese Funktion
könnte zum Beispiel für Angehörige oder Pflegefachkräfte interessant sein.
Fernseher mit Hörgerät
Auch über den Fernsehapparat
kann der Bewohner auf das System zugreifen. Dabei handelt es
sich natürlich nicht um einen
Standard-Fernseher, sondern
um ein spezielles Gerät für Hörgeschädigte. Durch eine außergewöhnliche Technologie muss
der Zuschauer beim Fernsehen
das Hörgerät nicht tragen – der
Fernseher wandelt den Ton so um,
dass auch Schwerhörige einwandfrei hören können. „Diese
Unterstützung ist für den Nutzer
sehr angenehm“, meint Meyer,
„weil es eine alltägliche Tätigkeit
Schwerpunkt
wieder erlebbar macht, ohne für
den Bewohner einen zusätzlichen
Aufwand darzustellen.“ Genau
hier liegt ein Problem der HighTech-Wohnung. „Bei vielen der
speziellen Anfertigungen fühlen
sich die Benutzer stigmatisiert.
Der Bewohner der Wohnung hat
zum Beispiel die Möglichkeit einen Notfall-Knopf bei sich zu
tragen. Da man ihn sich um den
Hals hängt – und das zu jeder
Tages- und Nachtzeit, ist das für
viele sehr unangenehm. Man hat
den Eindruck als würde man ein
Schild tragen, auf dem steht: Seht
her, ich bin hilflos“, sagt Meyer.
Ein intelligentes Fahrrad
Für die körperliche Fitness haben
sich die Informatiker auch etwas
einfallen lassen: Ein TrainingsFahrrad mit spezieller EDV. Vor
dem Training muss der Patient
einige Fragen beantworten. Wie
ist der aktuelle Gesundheitszu-
stand? Wie intensiv soll trainiert
werden? Während des Fahrens
messen Puls- und Blutdrucksensoren den Zustand des Patienten. Auf diese Weise hat er einen
Überblick über seinen TrainingsVerlauf. Auch der behandelnde
Arzt kann – zum Beispiel bei
Patienten mit Herzinfarkt-Risiko
– die Daten einsehen und damit
die Behandlung optimieren.
Nicht alles ist sinnvoll
Zur Entwicklung der Wohnung
haben die Informatiker verschiedene Experten aus den Bereichen
Medizin und Pflege herangezogen,
die auch die Handhabung der
Wohnung prüften. „Dabei sind
natürlich auch Schwierigkeiten
aufgetaucht“, sagt Meyer. „Zum
Beispiel stellt der Teppich, unter
dem Drucksensoren angebracht
sind, die einen Sturz registrieren
können, eine Stolperfalle dar, die
selbst zum Sturz führen kann.“
Ließe man die eigene Wohnung
mit den Entwicklungen von
OFFIS aufrüsten, würde jeder
Fall individuell betrachtet.
„Nicht jede Anfertigung ist für
jeden Bewohner sinnvoll, das ist
einmal altersabhängig und richtet
sich auch nach dem Krankheitsbild des Nutzers“, sagt Meyer.
Bis die Spezial-Entwicklungen
in eine richtige Wohnung installiert werden, kann es noch eine
Weile dauern: „Ein entscheidender
Faktor ist dabei das Finanzielle.
Zunächst müsste geklärt werden,
ob Kostenträger einen Teil des
Umbaus übernehmen.“
Weitere Informationen unter:
www.offis.de
Friederike Geisler ist
Mitarbeiterin der Stabsstelle
Unternehmenskommunikation
beim MDK Niedersachsen
E-Mail: [email protected]
Elektronische Krankenakte auf „Google Health“
Das Internet macht‘s möglich:
Nachdem man im World Wide Web
Überweisungen tätigen, sein gesamtes Hab und Gut versteigern und den
Partner fürs Leben finden kann, bietet der Provider Google nun eine
elektronische Krankenakte an, die jeder selbst bearbeiten und nach Belieben für andere freigeben kann. Das
Gesundheitsportal „Google Health“
bietet den Nutzern (zunächst nur in
den USA) eine kostenlose Plattform
für die eigenen medizinischen Daten.
Die ersten Nutzer waren die Patienten
der Cleveland Clinic. Die behandeln­
den Ärzte haben die Daten – mit
dem Einverständnis der Patienten –
online gestellt. Nun können alle
US-Amerikaner das Portal nutzen,
um ihre Daten einzustellen. Dabei
hat zunächst nur der Patient selbst
das Recht, die Informationen einzusehen und zu bearbeiten, er entscheidet
selbst, ob er auch anderen den Zugriff
gewähren will. Die Vorteile sind klar:
Der Nutzer hat einen besseren Überblick über seine Krankengeschichte
und wird an Termine, Impfungen oder
die Einhaltung von Diäten erinnert.
Der Arzt weiß, welche Behandlungen
vorgenommen wurden und welche
Medikamente der Patient einnimmt,
um Wechselwirkungen zu verhindern.
Wie mit allen Daten, die man im Internet preisgibt, sollte man jedoch
auch mit „Google Health“ vorsichtig
umgehen. Zwar verspricht der Konzern, die Informationen nicht weiterzuverkaufen und verschlüsselt den
Zugang mit einem hohen Sicherheitsstandard – eine hundertprozentige Garantie, dass die Daten nicht an
13
Dritte gehen, gibt es jedoch nicht.
Gerade private medizinische Daten
würden viele Abnehmer finden.
Google ist nicht das einzige Unternehmen, das eine elektronische
Krankenakte anbietet. Bereits 2007
startete Microsoft das Portal „Health
Vaulth“, das sich im Gegensatz zu
„Google Health“ durch Werbung finanziert. Auch in Deutschland gibt
es erste Versuche in diese Richtung.
So bieten einige Kassen Kunden die
Möglichkeit, die Daten elektronisch
einzusehen. Das Angebot hat sich allerdings bisher nicht durchgesetzt.
Neben der Kritik an der Sicherheit
der Daten stellt auch der hohe Verwaltungsaufwand ein Hindernis dar.
Friederike Geisler,
MDK Niedersachsen
MDK-Forum 2/2008
Schwerpunkt
Telemedizin für Reisende
F
ür viele gehört zur Urlaubs­
buchung der Abschluss eines
Rundum-Sorglos-Paketes bei
einem Reiseversicherer. Eine
Auslandsreise-Krankenversi­
cherung ist darin eingeschlossen.
Damit ist es für die meisten ge­
tan und den schönsten Wochen
im Jahr steht nichts mehr im
Wege. Doch die Wenigsten ma­
chen sich vor der Reise Gedan­
ken, wo sie im Bedarfsfall eine
qualitativ hochwertige medizi­
nische Behandlung im Ausland
finden können. Immerhin be­
nötigen von den rund 900 Mil­
lionen Reisenden im Jahr
schätzungsweise 70 Millionen
medizinische Hilfe. In einem
Projekt zertifizieren zurzeit das
Deutsche Zentrum für Luftund Raumfahrt (DLR) und die
Europäische Weltraumagentur
(ESA) weltweit Behandlungs­
einrichtungen. Für Urlaubs- und
Geschäftsreisende soll dadurch
ein Netzwerk von international
hochwertigen Behandlungsan­
geboten entstehen. Telematische
Anwendungen helfen den Pro­
jektentwicklern dabei.
Zu den Aufgaben des Institutes
für Luft- und Raumfahrtmedizin
beim DLR gehört auch die Betreuung der mobilen Gesellschaft,
die über die Mobilität von Piloten
und Astronauten hinaus geht.
Daraus entstand das Projekt „Tele­
medicine for the Mobile Society“
(TEMOS), mit dem das Institut
seinen gewohnten Aufgabenbereich erweitert und sich an die
Zielgruppe der Reisenden wendet.
Das TEMOS-Projekt setzt sich
aus drei Teilprojekten zusammen.
Neben den Bereichen Telemedizin-Anwendung und Teleteaching startete im Jahr 2004
zunächst das erste Teilprojekt,
das sich mit der Bildung eines
internationalen Netzwerkes von
Kliniken befasst. „Ziel des Pro-
MDK-Forum 2/2008
jektes ist es, die Versorgung von
deutschen Touristen und Geschäftsleuten im Ausland im
Falle eines krankheitsbedingten
Notfalles zu optimieren“, sagt
Projektmanagerin Dr. Claudia
Mika vom DLR. Dazu wird ein
Netzwerk von Partnerkliniken
aufgebaut, die nach festgelegten
„TEMOS“-Qualitätskriterien
zertifiziert werden. In der Abstimmung des Anforderungskatalogs waren auch führende Reisekrankenversicherer beteiligt.
Mahlzeiten sind nicht
überall Standard
Die Evaluation und Zertifizierung der Klinken wird vom DLR
durchgeführt. Die Namen dieser
zertifizierten „TEMOS“-Kliniken
werden über das Centrum für
Reisemedizin (CRM) veröffentlicht, so dass alle Ärzte, Apotheken und natürlich auch Reisende
direkt Zugang zu diesen Informationen bekommen können.
Für einen akuten Behandlungsfall kann man sich also schon
vor der Reise über die nächste
Anlaufstelle informieren. „Uns
ist wichtig, dass die Daten über
Behandlungsangebote auch valide
sind. Alle Angaben bis hin zur
Telefonnummer werden von uns
laufend gecheckt“, sagt Dr. Mika.
Kliniken, die in das TEMOSNetzwerk aufgenommen werden
wollen, müssen einen speziellen
Zertifizierungsprozess durchlaufen. Die Anforderungen beziehen
sich auf die Bedürfnisse der Reisenden. Über die Prüfpunkte
zum Qualitätsmanagement und
zur Hygiene hinaus bezieht die
DLR-Zertifizierung noch weitere
Faktoren mit ein. Ein Patient
muss zum Beispiel in der aufgesuchten Behandlungseinrichtung
auch sprachlich verstanden werden. Ein weiteres Kriterium ist
die Unterbringung einer Begleit-
14
Dr. Claudia Mika,
Projektmanagerin beim DLR
person in räumlicher Nähe.
Nicht in jedem Land gehört die
Versorgung mit Mahlzeiten zum
Versorgungsstandard eines
Krankenhauses. Auch das muss
gewährleistet sein. Die Zertifizierer, zumeist Ärzte, interessieren sich vor allem für die Behandlungsprozesse. „Wir lassen
uns alle Prozessschritte von der
Notaufnahme bis zum Patienten­
zimmer genau zeigen und dokumentieren die Standard Operations Procederes“, sagt Dr. Mika.
Spezieller Qualitätscheck
Ralf Krewer, Marketingleiter des
Bangkok Hospitals, hat schon
einige Qualitätsprüfungen nach
internationalen Standards hinter
sich gebracht. „Die TEMOS-Zer­
tifizierung war für das Bangkok
Hospital Medical Centre eine
ganz besondere Herausforderung,
da uns nicht wie bei anderen
internationalen Krankenhauszertifizierungen eine Liste von
erwarteten Standards zur Vorbereitung gegeben wurde. Vielmehr
Schwerpunkt
war dem Zertifizierungsteam daran gelegen, die Qualität des
Krankenhauses im täglichen Betrieb zu beurteilen und ad hoc zu
entscheiden, welche Abteilung,
Apparatur oder SOP (Standard
Operational Procedure) als
nächstes evaluiert werden soll“,
erklärt Krewer.
Mit deutschem Arzt über
Videokonferenz sprechen
Wer Hilfe im Ausland braucht
und die nächstgelegene TEMOSBehandlungsmöglichkeit aussucht, dem bieten die Häuser per
Videokonferenz Konsultationen
mit deutschen Fachärzten an.
Die Videokonferenztechnik erlaubt es, spezielle Fachkollegen
des TEMOS-Netzwerkes weltweit in den Behandlungsfall mit
einzubeziehen. Solange es noch
keine internationale Patientenkarte gibt, kann die Klinik über
die EDV-Plattform bei TEMOS
eine elektronische Patientenakte
anlegen, die für spätere Behandlungsfälle wichtige Informationen
enthält.
Zielgruppe:
Ältere und chronisch Kranke
In Vorbereitung ist ein spezielles
elektronisches Monitoring-System
für ältere und chronisch kranke
Patienten. „Darin sehen wir einen wichtigen Baustein für die
Zukunft. Denn für immer mehr
Menschen gehört es zur Lebensqualität, im Alter oder bei Krank­
heit auch reisen zu können“,
meint Dr. Mika. In Deutschland
erhobene Referenzdaten werden
zum Beispiel für Herz- und Diabeteskranke in ein elektronisches
Gerät eingespeist, das der Urlauber oder Geschäftsreisende mitnimmt. Weichen die auf der Reise
gemessenen Daten von den Basisdaten ab, wirft das Gerät nach
einem erneuten Abgleich der
Daten die Empfehlung aus, die
nächste TEMOS-Einrichtung
aufzusuchen. Ist diese nicht in
der Nähe, kann natürlich auch
andere medizinische Hilfe in
Anspruch genommen werden.
Sonderprojekt Teleteaching
Das DLR, das Institut für Flugmedizin und das Audio-Visuelle Medienzentrum
des Universitätsklinikums Aachen starteten ein Sonderprojekt: Studenten
aus Aachen und von der Universität von Porto Alegre in Brasilien setzten
sich mit dem didaktischen Modell des problemorientierten Lernens und der
Unterstützung von Fachexperten selbst Themen und Lernziele. Sie schulten
sich über die Dauer von zwei Monaten gegenseitig. Auch dabei nutzten sie
die Videokonferenztechnik. Die deutschen Studenten haben sich zum Beispiel über die Krankheit FSME so weit vertraut gemacht, dass die brasilianischen Kommilitonen von den Lernergebnissen ebenfalls profitieren konnten. Mittlerweile beteiligen sich zwei weitere Universitäten aus Litauen und
Polen am Teleteaching-Projekt.
Fachlicher Austausch gefördert
TEMOS ist für alle Behandlungs­
einrichtungen offen. „Jeder kann
sich um eine Zertifizierung bewerben“, sagt Projektmanagerin
Dr. Mika. „Wir greifen aber auch
Empfehlungen von Reisekranken­
versicherern und Auslandsbotschaften auf und recherchieren
selber. Inzwischen werden Kliniken auch durch unser eigenes
Magazin „The Travel Medicus“,
den Internetauftritt und über
Kontakte auf Reisemessen auf
uns aufmerksam.“
In dem noch jungen Projekt gehören etwa 30 zertifizierte Kliniken zum Netzwerk. Vom Antrag
über die Aufnahme bis zur Aushändigung des Qualitätszertifikats
vergehen etwa sechs bis neun
Monate. Alle drei Jahre muss die
Prüfung wiederholt werden.
„Natürlich sollen noch viel mehr
Kliniken zu unserem Netzwerk
stoßen“, versichert Dr. Mika.
TEMOS geht über die optimale
Versorgung der Reisenden hinaus.
Die Projektbetreiber fördern die
internationale Vernetzung der
Behandler. Dazu gehören zum
Beispiel die Nutzung der gemeinsamen Datenbank und der
Austausch von Fachvorträgen
und Publikationen. Über eine
eigene Videokonferenzschaltung
können auch Kongressprogramme
„live“ verfolgt werden.
15
Noch wissen nicht allzu viele
Reisenden etwas über das
TEMOS-Projekt. „Das soll sich in
Zukunft ändern“, sagt Dr. Mika.
„Relativ schnell stößt man zurzeit über das Internetangebot
vom Centrum für Reisemedizin
auf uns. Wir wollen aber mit
eigenen Marketinginstrumenten
die Patienten ansprechen und die
Kanäle über die Ärzte, Apotheken
und ReisekrankenversicherungsUnternehmen nutzen“, erklärt
Dr. Mika ihr Vorhaben.
Vom Projekt zum
Unternehmen
Das zurzeit noch von DLR und
ESA finanzierte Projekt wird
voraussichtlich Ende des Jahres
in eine sich selbst tragende Unternehmensstruktur überführt.
„Wir konzentrieren uns jetzt auf
die Überarbeitung des Geschäfts­
plans und die Suche nach weiteren
Investoren“, so Dr. Mika.
(dt)
Mehr Informationen unter:
www.temos-international.com
www.dlr.de/medizin
www.temos.biz
Das Magazin
„The Travel Medicus“ kann per
E-Mail angefordert werden bei
[email protected]
MDK-Forum 2/2008
Kranken- und Pflegeversicherung
Neues Begutachtungsverfahren zur
Feststellung von Pflegebedürftigkeit
Von Dr. Barbara Gansweid und Dr. Ulrich Heine
E
nde Februar haben der
MDK Westfalen-Lippe
(MDK WL) und das Bielefelder
Institut für Pflegewissenschaft
(IPW) einen Vorschlag für ein
neues Ver­fahren zur Begutach­
tung von Pflegebedürftigkeit
vorgelegt. Das neue Begutach­
tungsverfahren wird zurzeit
unter der Leitung des Medizi­
nischen Dienstes der Spitzen­
verbände der Krankenkassen
(MDS) in acht MDK auf seine
Praktikabilität und Plausibilität
hin getestet. Die Ergebnisse
werden vom Institut für Public
Health und Pflegeforschung an
der Universität Bremen (IPP)
ausgewertet.
Im Jahr 2006 hat das Bundesministerium für Gesundheit einen
Beirat eingerichtet, der bis Ende
2008 Entscheidungsgrundlagen
für eine Überarbeitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs erarbeiten soll. Gleichzeitig gaben die
Spitzenverbände der Pflegekassen eine wissenschaftliche Studie in Auftrag. Die Studie des
Bielefelder Instituts für Pflegewissenschaft (IPW) kam zu dem
Ergebnis, dass ein neues Begutachtungsverfahren entwickelt
werden sollte. Näheres zur Studie im Kasten auf Seite 17.
Begutachtungsverfahren
im Detail
Der jetzt vorliegende Vorschlag
für ein neues Begutachtungsverfahren geht von einem umfassen­­
deren Verständnis von Pflegebedürftigkeit aus als bisher. Es
berücksichtigt Beeinträchtigungen
der Selbstständigkeit und Funktionseinbußen in den acht Bereichen („Modulen“):
MDK-Forum 2/2008
1. Mobilität
2. Kognitive und kommunikative
Fähigkeiten
3. Verhaltensweisen und
psychische Problemlagen
4. Selbstversorgung (Nahrungsaufnahme, Sich-Kleiden, Körperpflege, Ausscheidungen)
5. Umgang mit krankheitsund therapiebedingten Anforderungen
6. Gestaltung des Alltagslebens
und soziale Kontakte
7. Außerhäusliche Aktivitäten
8. Haushaltsführung.
Diese Module sind wiederum
in einzelne Aktivitäten wie z.B.
in „Essen“, „Trinken“, „Toilette
benutzen“ im Modul 4 unterteilt. Alle Module zusammen
enthalten insgesamt 77 Items.
Der Grad der Pflegebedürftigkeit
wird über die Beeinträchtigungen
in den ersten sechs Bereichen
ermittelt. Beeinträchtigungen bei
außerhäuslichen Aktivitäten und
der Haushaltsführung hingegen
werden als Hilfebedürftigkeit
verstanden, da der daraus resultierende Bedarf primär hauswirt­
schaftlichen oder sozialen Charakter hat.
Neuer Maßstab:
Grad der Selbstständigkeit
Im Gegensatz zum bisherigen
Begutachtungsverfahren wird
das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit nicht mehr nach dem Zeitaufwand bemessen, „den ein Familienangehöriger oder eine
andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die
erforderlichen Leistungen der
Grundpflege und hauswirt­
schaftlichen Versorgung benötigt“
16
(§ 15 Abs. 3 SGB XI). Neuer
Maßstab für die Einschätzung
von Pflegebedürftigkeit ist der
Grad der Selbstständigkeit bei
den Aktivitäten in den einzelnen
Modulen.
Im neuen Verfahren ist Selbstständigkeit definiert als die Fähig­
­keit einer Person, die jeweilige
Handlung bzw. Aktivität allein,
d.h. ohne Unterstützung durch
andere Personen durchzuführen.
Demnach ist es ohne Bedeutung,
ob Hilfsmittel verwendet werden
(müssen). Als selbstständig gilt
eine Person also auch dann,
wenn sie die jeweilige Handlung
bzw. Aktivität unter Nutzung
von Hilfsmitteln ohne Hilfe
durch andere Personen durchführen kann.
Die Beeinträchtigung bei einer
Aktivität wird ermittelt unter der
Annahme, dass die Person diese
ausführen möchte. So werden
zum Beispiel bei einem bettlägerigen Patienten auch seine
Schwierigkeiten beim Treppensteigen berücksichtigt. Dies entfiel im alten Verfahren, da der
Versicherte wegen Bettlägerigkeit
keinen zeitlichen Hilfe­bedarf
beim Treppensteigen geltend machen konnte. Im neuen Verfahren
ist es unerheblich, ob Hilfeleistungen tatsächlich erbracht werden und welche diese sind.
Vier Stufen
der Selbstständigkeit
Selbstständigkeit wird in den
meisten Modulen mit Hilfe einer
vierstufigen Skala bewertet.
Sie umfasst die Ausprägungen
• selbstständig
• überwiegend selbstständig
Kranken- und Pflegeversicherung
• überwiegend unselbstständig
• unselbstständig
Ihnen wird je ein Punktwert von
null bis drei Punkten zugeordnet
(s. Abb. S. 18). Dabei gilt: Je
höher die Punktzahl, desto unselbstständiger. In einigen Modulen wird eine abgewandelte
vierstufige Skala benutzt, z. B.
für die Ermittlung der kognitiven
und kommunikativen Fähigkeiten
oder der Häufigkeit des Auftretens von Verhaltensauffälligkeiten.
In diesen Fällen wird nicht der
Grad der Selbstständigkeit, sondern das Ausmaß der vorhandenen Fähigkeiten oder Häufigkeiten
gemessen.
Fünf statt drei Pflegestufen
Fasst man die Punkte der einzelnen Aktivitäten eines Moduls
zusammen, erhält man eine Aus­­
sage zum Grad der Beeinträchtigung in diesem Lebensbereich.
Aus der Zusammenführung der
Ergebnisse aller Module sollen
die „neuen“ Pflegestufen ermittelt werden. Nach dem Vorschlag von MDK WL und IPW
sollen dabei fünf Pflegestufen
unterschieden werden, wobei
die niedrigste Stufe auch Personen mit geringem Unterstützungs­bedarf erfasst, die heute
nicht die Pflegestufe I erreichen
(weil sie z.B. nur 30 statt mindestens 46 Minuten Grundpflegebedarf aufweisen), obwohl sie
aus fachlicher Sicht als pflegebedürftig gelten müssen. Die
höchste Stufe ist für Personen
vorgesehen, die nicht nur weitreichende Verluste ihrer Selbstständigkeit, sondern gleichzeitig
„besondere Bedarfskonstellationen“ aufweisen, die eine ungewöhnlich intensive pflegerische
Versorgung erforder­lich machen.
Modifiziertes Verfahren
bei Kindern und Jugendlichen
Die Einschätzung der Pflegebedürftigkeit von Kindern und
Jugendlichen erfolgt mit dem gleichen Erfassungsbogen. Der Bereich „Haushaltsführung“ bleibt
Das Projekt „Neues Begutachtungsverfahren“ im Überblick
Seit Jahren wird über eine Erweiterung des Begriffs der Pflegebedürftigkeit
im SGB XI diskutiert. In der Kritik steht die derzeitige enge Definition mit
überwiegend somatischer und verrichtungsbezogener Orientierung.
Insbesondere wurde bemängelt, dass der spezielle Beaufsichtigungs- und
Betreuungsbedarf von kognitiv oder psychisch beeinträchtigten Menschen
nicht ausreichend berücksichtigt wird.
Zur Entwicklung und Erprobung eines neuen Verfahrens für die Begutachtung von Pflegebedürftigkeit haben die Spitzenverbände der Pflegekassen
im Jahr 2006 ein Modellprojekt nach § 8 Abs. 3 SGB XI ausgeschrieben.
Den Auftrag für das Projekt erhielt eine Bietergemeinschaft. Dazu zählen:
• Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe
(MDK WL) – Projektleitung: Dr. Barbara Gansweid und Dr. Ulrich Heine
• Das Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld
(IPW) – Projektleitung: Dr. Klaus Wingenfeld, Prof. Dr. Doris Schaeffer und
Dr. Andreas Büscher
• Der Medizinische Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen
(MDS) – Projektleiter: Prof. Dr. Jürgen Windeler
• Das Institut für Public Health und Pflegeforschung an der Universität
Bremen (IPP) – Projektleitung: Prof. Dr. Stefan Görres
Das Projekt besteht aus drei Phasen:
Vorphase: Recherche, Analyse und Bewertung von Begutachtungs­
instrumenten und Pflegebedürftigkeitsbegriffen (Projektnehmer: IPW).
Ergebnisbericht: Wingenfeld K, Büscher A, Schaeffer D (2007): Recherche
und Analyse von Pflegebedürftigkeitsbegriffen und Einschätzungsinstrumenten. Projektbericht. Bielefeld 2007
Hauptphase 1: Entwicklung eines neuen Begutachtungsverfahrens
(Projektnehmer: MDK WL und IPW). Abschlussbericht zur Instrumenten­
entwicklung und der Anlagenband zum Download unter
http://www.vdak.de/vertragspartner/Pflegeversicherung/Modellprogramm/
Projekte/modellprg_projekt_16/index.htm
Hauptphase 2: Erprobung des neuen Begutachtungsverfahrens und
Auswertung der Ergebnisse (Projektnehmer: MDS und IPP). Die Erprobung
läuft zur Zeit in acht MDK. Die Ergebnisse werden vom IPP ausgewertet.
Geplanter Abschluss des Projektes: Oktober 2008
allerdings unberücksichtigt. Der
Gutachter ermittelt den tatsächlich vorliegenden Grad der Abhängigkeit des Kindes. Dabei
spielt es keine Rolle, ob die Beeinträchtigungen krankheitsbedingt oder noch altersgemäß bestehen. Das Ergebnis der
Einschätzung beschreibt jedoch
nicht den Grad der Selbstständig-
17
keit, sondern dessen Abweichung
von der Selbstständigkeit gesunder, alters­­entsprechend entwickelter Kinder. Denn die ermittelten
Punktewerte werden automatisch
um die hinterlegten Punktwerte
für die altersgemäße Abhängigkeit
bereinigt. Dieser Berechnung liegt
eine umfassende Literaturanalyse
zur altersgemäßen kindlichen
MDK-Forum 2/2008
Kranken- und Pflegeversicherung
Entwicklung zugrunde, die im
Anlagenband zum Abschlussbericht enthalten ist.
1. Mobilität
0
1
2
3
1.1 Positionswechsel im Bett
0
1
2
3
Praktikabel und plausibel
1.2 Stabile Sitzposition halten
0
1
2
3
Fünf Ärzte und fünf Pflege­fach­
kräfte des MDK WL haben das
neue Instrument bei 100 Erwachsenen und 41 Kindern auf
seine Praktikabilität hin getestet.
Dieser Pretest erfolgte jeweils im
Anschluss an die reguläre Pflege­­
begutachtung. Neben den mit
dem neuen Instrument erfassten
Daten wurden Basisinformationen
wie etwa Pflegestufe, Alter des
Versicherten, Diagnosen, Feststellung einer eingeschränkten
Alltagskompetenz oder Dauer der
Begutachtung und weitere charakteristische gesundheitliche
Merkmale erfasst. Damit standen
für die überwiegende Mehrzahl
der einbezogenen Personen aussagekräftige Kurzprofile ihrer
gesundheitlichen Situation und
der Art ihrer Pflegebedürftigkeit
zur Verfügung.
1.3 Aufstehen aus sitzender Position/Umsetzen 0
1
2
3
1.4 Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs
0
1
2
3
1.5 Treppensteigen 0
1
2
3
Im Test zeigte das neue Begutachtungsverfahren überzeugende Praktikabilität. Aus der Sicht
der beteiligten Gut­achter erwies
es sich als relativ einfaches Verfahren, das allerdings ein erhebliches Umdenken erforderlich
macht (z.B. Abkehr von der Ermittlung notwendiger Pflegezeiten). Doch die neue Methodik
ist nicht nur praktikabel, sie
führt auch zu plausiblen Ergebnissen. Und auch das Ziel, Personen mit kognitiven Beeinträchtigungen und psychischen
Störungen adäquat zu beurteilen,
kann den Ergebnissen des Pretests
zufolge erreicht werden.
Darüber hinaus sollen die Gutachter im neuen Begutachtungsformular gezielte Empfehlungen
zur Verbesserung der Pflegesitua­
tion abgeben. Wie im bisherigen
Verfahren sind umfangreiche Informationen zu den medizinischen
und pflegerischen Problemen
aus Sicht der Betroffenen, zum
bisherigen Krankheits- und
Behandlungsverlauf, zur Hilfs-
MDK-Forum 2/2008
0 = selbstständig, 1 = überwiegend selbstständig,
2 = überwiegend unselbstständig, 3 = unselbstständig
Auszug aus dem Begutachtungsbogen am Beispiel „Mobilität“
mittelversorgung, zur Wohnund Betreuungssituation und
anderen Kontextfaktoren im
Formular festzuhalten. Auf diesen Anamneseteil folgt der gutachterliche Befund, in dem die
festgestellten Schädigungen und
Beeinträchtigungen aufgeführt
werden. Zusätzlich wurde ein
Verfahren zur systematischen
Erfassung von Risiken entwickelt.
Der Gutachter wird durch einen
formalisierten Fragenkatalog geleitet, um Hinweise zur Rehabi­
litationsbedürf­tig­­keit, -fähigkeit
und -prognose zu erfassen. Aus
der abschließen­den Gesamtbewertung ergibt sich gegebenenfalls die Feststellung einer Rehabilitationsindikation.
Begutachtungsergebnisse kön­
nen individuell genutzt werden
In dem neu entwickelten Begutachtungsverfahren werden vielfältige Informationen über den
Versicherten und seine Lebensumstände erhoben. Diese wertvollen Informationen können
außerdem für die Planung der
individuellen Pflege nützlich sein.
Betrachtet man das neue Begutachtungsverfahren als Ganzes
(Informationssammlung plus
Befunderhebung plus Assessment
plus Empfehlungsteil), so liegt
eine Informationsstruktur vor,
die eine gute Grundlage für das
pflegerische Assessment in der
professionellen Pflegeprozess­
planung bietet. Nutzen für die
Pflegepraxis brächte das neue
Verfahren der Zusammenarbeit
18
zwischen dem Pflegebedürftigen
und beruflich Pflegenden vor allem zu Beginn, d.h. in einer Situation, in der nur wenige Informationen für die Entwicklung einer
ersten Pflegeplanung zur Verfügung stehen. Eine mit dem neuen
Begutachtungsverfahren entwickelte Arbeitshilfe gibt Auskunft,
wie die Begutachtungsergebnisse
bei der individuellen Pflegeplanung genutzt werden können.
Die Ergebnisse des Pretests und
die bisherigen Reaktionen der
Fachwelt auf das neue Begutachtungsverfahren sind vielversprechend. Wenn auch die derzeit laufende umfangreiche
Erprobung in acht MDK diese
Ergebnisse bestätigt und eine
Harmonisierung zwischen dem
neuen Verfahren und der noch
ausstehenden Neufassung des
sozialrechtlichen Begriffs der
Pflegebedürftigkeit gelingt, kann
das neue Verfahren dazu beitragen, zentrale, seit vielen Jahren
intensiv diskutierte Probleme der
Pflegeversicherung zu beheben.
Dr. med. Barbara Gansweid ist
Leiterin des Fachreferats Pflege
und der Sozialmedizinischen
Expertengruppe „Pflege“ (SEG 2)
der MDK-Gemeinschaft
beim MDK Westfalen-Lippe
E-Mail: [email protected]
Dr. med. Ulrich Heine
ist Ärztlicher Direktor und
stv. Geschäftsführer
des MDK Westfalen-Lippe
E-Mail: [email protected]
Kranken- und Pflegeversicherung
PEA-Begutachtungs-Richtlinie tritt zum 1. Juli in Kraft
Deutliche Verbesserungen
für Demenzkranke
Von Uwe Brucker
F
ür Demenzkranke treten
zur Jahresmitte wichtige
Neuerungen des Pflege-Weiter­
entwicklungsgesetzes in Kraft:
Personen mit einer einge­
schränkten Alltagskompetenz
(PEA) haben nun Anspruch
auf finanzielle Unterstützung –
und zwar auch dann, wenn der
verrichtungsbezogene Hilfebe­
darf unterhalb der Pflegestufe I
liegt. Sie erhalten künftig pro
Monat einen Grund-Betreuungs­
betrag von 100 Euro oder einen
erhöhten Betreuungsbetrag von
200 Euro. Vom 1. Juli an soll
der MDK in seinem Gutachten
die Höhe der Leistung empfeh­
len. Wie das Begutachtungsver­
fahren aussieht, regelt die
„Richt­linie zur Feststellung von
Per­so­nen mit erheblich einge­
schränkter Alltagskompetenz
und zur Bewertung des Hilfe­
bedarfs“.
renden und qualitätsgesicherten
Beratungsangeboten profitieren.
Sie werden deshalb nicht als
Geldleistungen ausgezahlt, sondern die Versicherten können
damit qualitätsgesicherte niedrig­
schwellige Betreuungsangebote
nutzen und mit der Pflegekasse
abrechnen.
Einen Anspruch auf den Betreuungsbetrag nach § 45 b SGB XI
haben Pflege­bedürftige der Pflegestufen I, II und III, aber auch
Personen mit einem Hilfebedarf
im Bereich der Grundpflege und
hauswirtschaft­lichen Versorgung,
der nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreicht. Denn viele Demenzkranke gingen bisher leer
aus. Sie hatten zwar einen Betreuungsbedarf, aber der verrichtungsbezogene Hilfebedarf reichte für die Pflegestufe I nicht aus.
Tatsächlicher Hilfebedarf
ist entscheidend
Sachleistungen und mehr
Personal
Mit den neuen Leistungen sollen
insbesondere die Pflegenden
entlastet werden und die Versicherten selbst sollen von aktivie-
Auch die Bewohnerinnen und
Bewohner von Pflegeheimen, die
an einer dementiellen Erkrankung leiden, werden ein Mehr
an Leistungen erhalten: Für je
25 Demenzkranke soll es künftig speziell geschulte Betreuungskräfte geben – zusätzlich
zum bereits vorhandenen Pflegepersonal. Voraussetzung ist allerdings, dass tatsächlich zusätzliches Personal eingestellt wird
und dass die Pflegeeinrichtungen explizit auf diese Betreuungsangebote hinweisen.
Vom 1. Juli an müssen die Gutachterinnen und Gutachter des
MDK prüfen, ob bei Antragstellern dauerhaft „ein erheblicher
Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung“ besteht,
wie es in der Richtlinie heißt.
Wie bei der Feststellung der
Pflegebedürftigkeit im SGB XI
wird auch hierbei nicht auf bestimmte Krankheitsbilder oder
Diagnosen wie z. B. Demenz abgestellt. Vielmehr kommt es auf
den tatsächlichen Hilfebedarf
an, den jemand hat, weil er in
der Ausführung bestimmter Aktivitäten beeinträchtigt und deshalb in seiner Alltagskompetenz
eingeschränkt ist.
19
Das Begutachtungsverfahren
gliedert sich wie bisher in zwei
Teile, ein Screening und ein Assessment, und baut auf der Pflege­
begutachtung nach § 14 ff. SGB
XI auf. Grundlage für das weitere Verfahren ist die Befunderhebung (Punkt G der Begutachtungs-Richtlinien). Dort werden
bestehende Schädigungen, die
vorhandenen Ressourcen sowie
die Beeinträchtigungen bei den
Aktivitäten des täglichen Lebens
dokumentiert.
Im Kern ist das Screening die
Auswertung der Befunderhebung.
Hierzu ist der spezifische Hilfebedarf (nicht jedoch der Pflegebedarf) bei Personen mit
demenzbedingten Fähigkeitsstö-­
run­­gen, geistiger Behinderung
oder psychischer Erkrankung zu
erfassen. Dazu müssen die Gutachter den Antragsteller bzw.
sein Verhalten in den Punkten
„Orientierung“, „Antrieb/Beschäftigung“, „Stimmung“,
„Gedächtnis“, „Tag-/Nachtrhythmus“, „Wahrnehmung und Denken“, „Kommunikation/Sprache“,
„Situatives Anpassen“ und
„Soziale Bereiche des Lebens
wahrnehmen“ bewerten. Für
jeden Punkt müssen sie entscheiden, ob das Verhalten
„unauffällig“ oder „auffällig“ ist.
Erst Screening, dann Assessment
Ist das Screening positiv, muss
zwingend ein Assessment durchgeführt werden. Dies ist der Fall,
wenn die Gutachter mindestens
eine Auffälligkeit dokumentieren,
die ursächlich auf demenzbedingte Fähigkeitsstörungen, geistige Behinderung oder psychische
MDK-Forum 2/2008
Kranken- und Pflegeversicherung
Erkrankungen zurückzuführen
ist. Weitere Bedingung ist, dass
hieraus ein regelmäßiger Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf resultiert, der voraussichtlich mindestens sechs Monate
andauert. D.h.: der Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf besteht jeden Tag, aber nicht unbedingt rund um die Uhr.
Kriterienkatalog definiert
Betreuungsbedarf
Ein Kriterienkatalog mit insgesamt 13 Einzelaspekten (siehe
Kasten) soll Aufschluss darüber
geben, ob ein „erheblicher allgemeiner Betreuungsbedarf“ vorliegt.
Um Anspruch auf den monatlichen Grundbetrag von 100 Euro
zu haben – dazu muss eine
„erheblich eingeschränkte Alltags­
kompetenz“ vorliegen –, müssen
zwei Aspekte aus unterschied­
lichen Bereichen mit „ja“ beantwortet werden. Mindestens einmal muss ein Item aus den
Bereichen 1 bis 9 positiv beantwortet werden.
Den erhöhten Betreuungsbetrag
in Höhe von 200 Euro erhält ein
Antragsteller, wenn zusätzlich
zu den genannten Kriterien bei
mindestens einem weiteren Item
aus einem der Bereiche 1, 2, 3,
4, 5, 9 oder 11 ein „Ja“ angegeben
wird. Diese Items erfassen die
Bereiche, die für die Betroffenen
besonders belastend sind.
Unbürokratische
Übergangsregelungen
Bisher gab es für ambulant gepflegte Personen einen zusätzlichen Betreuungsbetrag in Höhe
von bis zu 460 Euro pro Jahr,
wenn der MDK eine erheblich
eingeschränkte Alltagskompetenz
festgestellt hatte. Bezieher dieser
Leistung erhalten den monatlichen Grundbetrag ohne neuerliche Prüfung.
Ähnlich unbürokratisch soll verfahren werden, wenn ein PEAAssessment bereits vorliegt und
MDK-Forum 2/2008
Kriterienkatalog zur Erfassung der erheblichen Einschränkung
der Alltagskompetenz
1. Unkontrolliertes Verlassen des Wohnbereiches (Weglauftendenz)
2. Verkennen oder Verursachen gefährdender Situationen
3. Unsachgemäßer Umgang mit gefährlichen Gegenständen oder potenziell
gefährdenden Substanzen
4. Tätlich oder verbal aggressives Verhalten in Verkennung der Situation
5. Im situativen Kontext inadäquates Verhalten
6. Unfähigkeit, die eigenen körperlichen und seelischen Gefühle oder
Bedürfnisse wahrzunehmen
7. Unfähigkeit zu einer erforderlichen Kooperation bei therapeutischen
oder schützenden Maßnahmen als Folge einer therapieresistenten
Depression oder Angststörung
8. Störungen der höheren Hirnfunktionen (Beeinträchtigungen des
Gedächtnisses, herabgesetztes Urteilsvermögen), die zu Problemen bei
der Bewältigung von sozialen Alltagsleistungen geführt haben
9. Störung des Tag-/Nacht-Rhythmus
10. Unfähigkeit, eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren
11. Verkennen von Alltagssituationen und inadäquates Reagieren in
Alltagssituationen
12. Ausgeprägtes labiles oder unkontrolliert emotionales Verhalten
13. Zeitlich überwiegend Niedergeschlagenheit, Verzagtheit, Hilflosigkeit
oder Hoffnungslosigkeit aufgrund einer therapieresistenten Depression
der erhöhte Betrag von 200 Euro
monatlich beantragt wird. Dann
prüft zunächst die Pflegekasse
nach Aktenlage. Wenn die Voraussetzungen für den erhöhten
Betreuungsbetrag vorliegen, gewährt die Pflegekasse den erhöhten Betrag. In Zweifelsfällen soll
der MDK eingeschaltet werden.
Anders sieht es aus, wenn nach
Auswertung eines vorliegenden
PEA-Assessments die Kriterien
für die Gewährung des erhöhten
Betrags nicht vorliegen. In diesen
Fällen muss der MDK regelmäßig in die Begutachtung eingeschaltet werden.
Für die Feststellung, wie viele
zusätzliche Kräfte zur Betreuung
von Demenzkranken in Pflege-
20
heimen benötigt werden, sollen
die Einrichtungen eine Übersicht
der Heimbewohner erstellen.
Die Pflegekasse soll dann die
Feststellung, ob jemand in seiner
Alltagskompetenz erheblich eingeschränkt ist, auf der Grundlage der vorliegenden Informationen nach Aktenlage treffen.
Lediglich in Zweifelsfällen kann
der Medizinische Dienst in die
Prüfung nach Aktenlage einbezogen werden.
Diese Umsetzungsempfehlung
gilt zunächst nur bis zum
31. Dezember 2009.
Uwe Brucker
leitet das Fachgebiet
Pflegerische Versorgung beim MDS
E-Mail: [email protected]
Kranken- und Pflegeversicherung
Was leisten Patientenschulungen?
Jacqueline kriegt keine Luft
Von Dr. Thomas Bode und Dr. Ulrich Heine
E
s war wieder einmal soweit:
Jacqueline kam vom Spielen
auf dem Bauernhof und rang
mit schnellen, pfeifenden Atem­
zügen nach Luft. Der Kinder­
arzt konnte mit einem Medika­
ment zur Inhalation sofort
helfen. Die Eltern hatten wie­
derholt die Frage nach einer
„Kur“ für Jacqueline gestellt.
Stattdessen empfahl der Arzt die
Teilnahme an einer Asthma­
schulung für Kinder. Kranken­
kassen können die Kosten
wirksamer Schulungen für
chronisch Kranke übernehmen.
Der MDK Westfalen-Lippe be­
rät die Kassen nicht nur zum
einzelnen Versicherten, sondern
insbesondere bei der Frage, ob
ein spezielles Programm die
Kriterien erfüllt, die in den Ge­
meinsamen Empfehlungen der
Spitzenverbände der Kranken­
kassen zur Förderung und
Durchführung von Patienten­
schulungen auf der Grundlage
von § 43 SGB V genannt sind.
Der Kinderarzt verordnete die
Teilnahme am „Luftiku(r)s“, einem Schulungsprogramm für
Kinder und Jugendliche mit
Asthma bronchiale. Der Kurs
fand in den Herbstferien statt
und begann mit einem Gespräch
zwischen der Kinderlungenfachärztin, der Familie und einem
Psychologen, der bereits große
Erfahrung mit asthmakranken
Kindern hatte. Im Anschluss an
die „große“ Vorstellungsrunde
der insgesamt sieben Familien
wurde die Krankheit Asthma
bronchiale an Modellen und spielerisch erläutert. An den folgenden Tagen gab es dann getrennte
Schulungsgruppen jeweils für Eltern und die betroffenen Kinder.
Jacqueline konnte endlich ver-
stehen, was in ihrem Fall das
Asthma auslöst, wie sie Atemnotanfälle vermeiden und was sie bei
akuter Atemnot selbst machen
könnte. Ihre Eltern und sie erfuhren, dass bei Jacqueline insbesondere die regelmäßige „Kortison“Inhalation sehr wichtig war.
Jacqueline lernte Entspannungstechniken und konnte sich beim
Asthmasport unter der Leitung
eines Kranken­gymnasten seit langer Zeit wieder richtig austoben,
ohne Luftnot zu bekommen.
Beratung der Kassen im
Einzelfall
Bevor die Krankenkasse jedoch
eine Kostenzusage erteilte, ließ sie
sich durch den MDK WestfalenLippe beraten. Der hatte dieses
Schulungsprogramm bereits früher
positiv bewertet, so dass in diesem Fall nur die individuellen
Voraussetzungen zu prüfen waren.
„Chronisch Krank“ ist ein Patient
im Hinblick auf Patientenschulungen, wenn voraussichtlich
mindestens ein Jahr lang ärztliche
oder andere medizinische Behandlung oder Überwachung
notwendig ist, um eine ausreichende „Beherrschung“ der Erkrankung zu sichern.
Ziel von Patientenschulungen ist
es, die Kenntnisse der Patienten
über ihre Krankheit zu erweitern,
ihre Therapiemotivation zu erhöhen und die Eigenverantwortlichkeit im Umgang mit der Erkrankung zu stärken (Krank­­­heits­selbstmanagement). Durch
die langfristige Änderung von
Lebensgewohnheiten soll eine
Verschlimmerung der Erkrankung vermieden bzw. ein besserer Gesundheitszustand herbeigeführt werden.
21
Jacqueline hat gelernt, mit ihrer
Krankheit umzugehen, und kann
endlich wieder ausgelassen toben
wie diese Kinder
Nur wenige Programme sozial­
medizinisch positiv bewertet
Zwischen 2005 und 2007 hat der
MDK Westfalen-Lippe insgesamt
31 Schulungsprogramme für
chronisch kranke Kinder
bewertet. Anbieter sind meist
regionale Arztpraxen, aber auch
Kinderkliniken. Auftraggeber sind
inzwischen überwiegend die Landesverbände der Krankenkassen.
Bei den meisten Programmen
fehlten bei Erstvorlage wesentliche Angaben zur Konzept-,
Struktur- und Ergebnisqualität,
so dass erhebliche Mängel festgestellt wurden. Ergänzend vorgelegte Unterlagen führten zwar
zur erneuten Prüfung des Programms, häufig jedoch nicht zur
Beseitigung der Mängel. Immerhin: Nach dreimaliger Prüfung
mit konkreten Verbesserungs­
MDK-Forum 2/2008
Kranken- und Pflegeversicherung
vorschlägen zeigten drei Programme nur noch geringe Beanstandungen.
Besonders häufig hatten die
Anbieter die Teilnahme-/Einschlusskriterien deutlich niedrigschwelliger formuliert, als in den
jeweils gültigen Qualitätsanforderungen festgelegt war. So sollten z.B. Adipositasschulungen
häufig auch für Kinder und Jugendliche angeboten werden,
die lediglich übergewichtig waren und somit nicht „chronisch
krank“ im Sinne des SGB V.
Außerdem konnten häufig keine
Manuale für Patienten bzw. Eltern sowie für die Therapeuten
vorgelegt werden.
Bezüglich der Strukturqualität
fanden sich oft Mängel in der
Zusammensetzung des Schulungs­
teams, das häufig nicht multi­dis­
ziplinär war. Zum Teil hatten
die Teammitglieder keine Erfahrungen in der Arbeit mit chronisch
kranken Kindern und Jugendlichen; oft fehlte der Nachweis,
dass sie in den zur Anwendung
kommenden verhaltenstherapeu­
tischen Techniken geschult sind.
Auch bezüglich der Wirksamkeit
blieben in der Regel viele Fragen
offen. Zum Wirksamkeitsnachweis ist nach den Kriterien der
Evidenzbasierten Medizin eine
randomisierte kontrollierte klinische Studie auf der Basis der
CONSORT-Stellungnahme mit
einer ausreichenden Fallzahl, so
genannten Intention-to-treatAnalyse und einer für die Beurteilung der klinischen Relevanz
der Ergebnisse nötigen Nachbeobachtungszeit von mindestens
drei bis fünf Jahren erforderlich.
Ambulante Schulung
berücksichtigt die konkrete
Lebens­situation
Jacqueline profitierte von der
Schulung in mehrfacher Hinsicht:
Mit medizinisch-pädagogischem
Ansatz wurden Auslöser für Asthma-Anfälle aus ihren konkreten
Wohn- und Lebensumständen
MDK-Forum 2/2008
identifiziert. Luftnotanfälle hatte
sie nur noch selten und wenn,
dann konnte sie sie durch die
gelernten Verhaltensregeln
selbst beherrschen. Sie war körperlich belastbarer und konnte
endlich mit ihren Freundinnen
im Schulsport mithalten. Die
Besuche beim Kinderarzt wurden seltener, ihre Fehlzeiten in
der Schule auch. Ihre Medikamente nahm Jacqueline jetzt regelmäßig und insbesondere ihr
Vater verlor seine „Kortisonangst“, als er sah, dass es seiner
Tochter so gut ging. Eltern und
Tochter waren froh, durch die
Schulung Kontakt mit gleichaltrigen Betroffenen am Wohnort gefunden zu haben, was durch eine
wohnortferne „Kur“ nicht möglich gewesen wäre.
Fazit
Patientenschulungen haben bei
der Behandlung zahlreicher Erkrankungen bereits einen festen
Stellenwert, so insbesondere beim
Asthma bronchiale und beim
Diabetes mellitus. Zum Teil sind
Schulungen daher bereits inte­
graler Bestandteil eines Disease
Management Programms. In
Westfalen-Lippe werden – neben
Schulungen für Menschen mit
Asthma bronchiale, atopischer
Dermatitis, Brustkrebs, Epilepsie,
Arterieller Hypertonie, rheumatischen Erkrankungen, Kopfschmerzen und ADHS – immer
mehr Maßnahmen für Personen
mit Übergewicht und Adipositas
angeboten. Für Letztere steht der
geforderte Wirksamkeitsnachweis jedoch noch aus.
Bei regional begrenzten Schulungsprogrammen wird die Begutachtung in der Regel vom jeweils zuständigen MDK durch­geführt. Bei bundesweiten oder
länderübergreifenden Programmen ist zu prüfen, ob die Begutachtung durch die zuständige
Sozialmedizinische Expertengruppe (SEG 3) der MDK-Gemeinschaft erfolgen soll.
Dr. med. Thomas Bode
ist Facharzt für Kinder- und
Jugendmedizin, Sozialmedizin
beim MDK Westfalen-Lippe
E-Mail: [email protected]
Dr. med. Ulrich Heine
ist Ärztlicher Direktor
und stv. Geschäftsführer
des MDK Westfalen-Lippe
E-Mail: [email protected]
Begutachtungsgrundlagen „Patientenschulungsprogramme“
Grundlage der Begutachtung waren insbesondere die „Gemeinsamen Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Förderung und Durch­
führung von Patientenschulungen auf der Grundlage von § 43 Nr. 2 SGB V“
und die Stellungnahmen der jeweiligen medizinischen Fachgesellschaften.
Neben strukturierten Schulungskonzepten und pädagogisch aufbereiteten
Schulungsmaterialien ist ein fachlich, pädagogisch und psychologisch quali­
fiziertes interdisziplinäres Schulungsteam unabdingbar.
Patientenschulungen nehmen nicht nur in Westfalen-Lippe, sondern im gesamten Bundesgebiet an Bedeutung zu. Im Auftrag der Leitenden Ärztinnen
und Ärzte der MDK-Gemeinschaft haben die Sozialmedizinischen Expertengruppen „Leistungsbeurteilung/Teilhabe“ (SEG 1), „Versorgungs­strukturen“
(SEG 3) und „Methoden- und Produktbewertung“ (SEG 7) der MDKGemeinschaft die Arbeitshilfe „Begutachtung von Patientenschulungsprogrammen“ erstellt. Diese Arbeitshilfe gilt sowohl für Patientenschulungen für Kinder/Jugendliche als auch für Schulungen für Erwachsene
unabhängig von der jeweiligen Gesundheitsstörung.
22
Kranken- und Pflegeversicherung
Neue Gefahren durch Online-Spieleplattformen
Ambulanz für Spielsucht eröffnet
Von Andrea Steidle
A
m Anfang war es nur ein
kleiner Part in einem virtu­
ellen Rollenspiel, der Erik K.
faszinierte. Schritt für Schritt
verdrängte das Spiel am PC
jedoch sein reales Leben. Das
Studium lag brach, alte Freunde
meldeten sich nicht mehr. Sein
Bruder erkannte schließlich die
Gefahr und nahm Kontakt zur
im März neu eingerichteten
Ambulanz für Spiel­sucht am
Universitätsklinikum Mainz auf.
Diagnose Spielsucht. Darunter
wird im klassischen Sinn meist
das „Daddeln“ an Automaten oder
das „Zocken“ auf der Pferderennbahn oder in einem Spielcasino verstanden. Neben den
bekannten Gefahren durch herkömmliche pathologische Glücks­
spiele, bei denen der finanzielle
Aspekt im Vordergrund steht,
gibt es jedoch auch eine neue
Gefahrenquelle: Medien wie das
Internet, das vor allem mit seinen
Spieleplattformen seit Anfang der
90er Jahre immer mehr junge
Nutzer in seinen Bann zieht.
Zeit und Raum im Web
aufgehoben
Besonders kritisch: Innerhalb einer
„Gaming community“ kann man
soziales Prestige erwerben, Bindungen aufbauen und pflegen
wie im wahren Leben – aber es
gibt niemals Aus-Zeiten. Um
seinen virtuellen Status zu halten bzw. auszubauen, wird im
schlimmsten Fall zu jeder Tagesund Nachtzeit gespielt. Die virtuelle Parallelwelt nimmt immer
mehr Raum ein. Für das reale
Leben bleibt letztlich kein Platz
mehr. Doch wie erkennen Eltern, Verwandte oder Freunde
eine akute Gefährdung?
Ab wann wird aus dem Spiel
Ernst? Ab wann besteht Handlungsbedarf, um diese neuen
„Verhaltenssüchte“ zu erkennen
und zu therapieren? Die Ambulanz für Spielsucht definiert einige
zentrale Kriterien für problematisches Spielverhalten:
• Das Spiel bzw. der Medienkonsum tritt über einen längeren Zeitraum (mindestens 12
Monate) in einer von der Norm
abweichenden Form auf.
• Versuche, das Spielverhalten
bzw. den Medienkonsum einzuschränken oder aufzugeben,
scheitern wiederholt.
• Bei verhinderter Computerspielnutzung treten Entzugs­
erscheinungen auf (Nervösität,
Unruhe, Schlafstörungen).
•S
chulische, berufliche und familiäre Verpflichtungen werden
spürbar vernachlässigt.
• Spiele bzw. Medien werden zunehmend zur Stimmungs- und
Gefühlsregulation eingesetzt.
• Anfänglich belohnendes Verhalten wird im Verlauf der
Suchtentwicklung als zunehmend belastend empfunden.
In den ersten drei Monaten seit
Bestehen der Ambulanz für
Spielsucht gingen bereits knapp
150 telefonische Anfragen ein,
von denen fast 90 Prozent die
Computer- und Online-Sucht vor
allem junger Spieler betrafen:
„Wenn es um Computernutzer
zwischen 13 und 17 Jahren ging,
so meldeten sich vor allem die
Eltern der Betroffenen“, fasst
Kai Müller, Wissenschaftlicher
Mitarbeiter im Fachbereich
Medizinische Psychologie und
Medizinische Soziologie, zusammen. Ältere Spieler meldeten
sich hingegen meist selbst.
23
Fast alle Betroffenen sind männlich, viele von ihnen Anhänger der
Online-Spiele „World of Warcraft“ bzw. des Vorläufers „Warcraft III“. Hierbei handelt es
sich um ein Massen-MultiplayerOnline-Rollenspiel, das Spieler
gleichzeitig zusammen über das
Internet spielen. Soziologen
schätzen, dass bereits jeder
zwanzigste der weltweit über
9 Millionen Spieler süchtig ist.
Finanzierung langfristig noch
zu klären
Nach einem ersten Vorgespräch
wird entschieden, ob ein Betroffener zu einer diagnostischen
Sitzung bestellt wird. Bislang betraf dies rund 50 Anrufer. Diese
ersten diagnostischen Sitzungen
werden über die Krankenkasse
abgerechnet. Im Falle einer Anschlusstherapie (in den meisten
Fällen Gruppentherapie, wobei
die Anhänger pathologischer
Glücksspiele und Computerspiele
getrennt voneinander behandelt
werden) wird diese bislang im
Rahmen des einjährigen UniProjekts mitfinanziert. Im kommenden Jahr wird über eine
Fortführung des Projektes entschieden und es wird mit den
Krankenkassen verhandelt, ob
eventuell Integrationsverträge
möglich sind.
Informationen zur Ambulanz
für Spielsucht am Klinikum der
Johannes Gutenberg-Universität
Mainz finden Sie unter:
www.verhaltenssucht.de
Andrea Steidle ist
Mitarbeiterin im Fachgebiet
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
beim MDS
E-Mail: [email protected]
MDK-Forum 2/2008
Gesundheits- und Sozialpolitik
Gesundheitsreform
Jetzt kommt der Fonds erst recht!
Von Steffen Habit
N
iemand will den Gesund­
heitsfonds – und dennoch
wird er pünktlich starten.
Daran wird auch der lautstarke
Protest nichts ändern. Sechs
Monate vor dem Tag X scheint
es sogar, dass die wachsende
Kritik die beiden Reform-Müt­
ter Angela Merkel (CDU) und
Ulla Schmidt (SPD) regelrecht
anspornt. Nach dem Motto:
Mögen alle wettern – jetzt
kommt der Fonds erst recht!
Ulla Schmidt ist als resolute
Politikerin bekannt. Doch die
Standfestigkeit, die die Rheinländerin derzeit an den Tag legt,
beeindruckt selbst den politischen Gegner. Was hat die Gesundheitsministerin nicht alles an
Kritik in den letzten Monaten
einstecken müssen? Erst brandmarkt der Sachverständigenrat
den Fonds als „Missgeburt“.
Statt den Wettbewerb im Gesundheitssystem zu stärken, behindere die Reform einen gesunden Konkurrenzkampf, so die
„Fünf Weisen“. Ihr vernichtendes
Resümee: „Der Gesundheitsfonds in seiner bisher geplanten
Ausgestaltung ist durchweg abzulehnen.“
Eine „Autobahnbrücke
ohne Autobahn“
Auch die Krankenkassen lassen
kein gutes Haar an dem mühsam
ausgehandelten Gesundheitskompromiss der Bundesregierung.
Die Vorstände warnen vor einem „Fehlkonstrukt“, das sogar
die medizinische Versorgung in
Deutschland gefährde. Selbst innerhalb der Koalition wächst die
Kritik: „Der Fonds ist so überflüssig wie eine Autobahnbrücke
ohne Autobahn“, schimpft SPD-
MDK-Forum 2/2008
Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und fordert, die Reform
endlich einzustampfen. Ganz zu
schweigen von den harschen
Angriffen der Opposition:
„Planwirtschaft à la DDR“ und
„Staatsmedizin“ wirft FDP-Chef
Guido Westerwelle der Gesundheitsministerin vor.
Geschlossener Rücktritt
Ulla Schmidt lässt alle Vorwürfe
an sich abprallen. Wie quengelnde
Kinder auf dem Spielplatz fertigt
die Ministerin die Kritiker ab.
„Alles Lobbyistengeschrei“,
heißt es selbstbewusst aus Berlin. Aber die Pannenserie bei der
Vorbereitung für den Fonds reißt
nicht ab. Anfang des Jahres wirft
der wissenschaftliche Beirat
beim Bundesversicherungsamt
überraschend das Handtuch.
Das Gremium unter Leitung von
Professor Gerd Glaeske sollte
die Grundlagen für einen neuen
Finanzausgleich zwischen den
Krankenkassen entwickeln – in
Fachkreisen bekannt als morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich (kurz Morbi-RSA). Zu
den Gründen für den geschlossenen Rücktritt schweigen die
Wissenschaftler. Angeblich habe
sich das Bundesgesundheitsministerium allzu sehr in die Arbeit
der Experten eingemischt, heißt
es. Alles nur Gerüchte, dementiert
Ulla Schmidt.
Ein „Fonds auf Probe“?
Schmidts Gleichgültigkeit ist jedoch brandgefährlich. Schließlich geht es nicht um eine neue
Fußgängerampel oder ein paar
Parkverbotsschilder, sondern
um die medizinische Versorgung
von 70 Millionen Versicherten.
24
Wollen am Gesundheitsfonds festhalten: Angela Merkel und Ulla Schmidt
Mit dem Gesundheitsfonds wird
künftig jedes Jahr die gigantische
Summe von 150 Milliarden Euro
umverteilt. Schon kleinste Fehler
können katastrophale Auswirkungen haben. Experten fordern
daher, den Fonds zunächst auf
Probe einzuführen. „Jedes Unternehmen testet ein neues System, bevor es eingeführt wird.
Nur bei der Gesundheitsreform
meint die Politik, auf eine Probephase verzichten zu können“,
kritisiert Norbert Klusen, Vorstandschef der Techniker Krankenkasse.
Quasi im Blindflug steuern Klusen
und seine Vorstandskollegen auf
den 1. Januar 2009 zu. Während
jedes vernünftige Unternehmen
schon jetzt einen Finanzplan für
das nächste Jahr aufstellt, bleibt
den Kassenschefs nichts anderes
übrig als abzuwarten. Erst Anfang November will die Große
Koalition den bundeseinheitlichen Kassenbeitrag für 2009 festsetzen und damit die wichtigste
Größe bei den Einnahmen. Unklar ist auch die Ausgestaltung
des künftigen Finanzausgleichs
Gesundheits- und Sozialpolitik
Gesundheitsfonds
In den Topf fließen ab 2009 die Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber
sowie die für die gesetzliche Krankenversicherung zur Verfügung gestellten
Steuergelder. Aus dem Fonds erhalten die Krankenkassen Pauschalen für
jeden ihrer Versicherten.
Zusatzbeitrag für Versicherte
Kommt eine Kasse mit den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht
aus, kann sie von ihren Mitgliedern einen Zusatzbeitrag verlangen. Dieser
Zusatzbeitrag wird entweder einkommensabhängig oder pauschal erhoben.
Einen Zusatzbeitrag bis zu acht Euro muss jeder bezahlen. Übersteigt der
Zusatzbeitrag diese Grenze, greift eine Härtefallregelung: Danach darf der
Zusatzbeitrag ein Prozent des beitragspflichtigen Einkommens des Mitglieds
nicht übersteigen.
Einheitlicher Beitragssatz
Erstmals legt ab 2009 die Politik die Beitragshöhe jährlich neu fest. Das
heißt: Alle gesetzlich Krankenversicherten zahlen den gleichen Beitrag.
Bisher haben die Verwaltungsräte der Krankenkassen über die Höhe der
jeweiligen Beiträge entschieden.
Morbidititätsorientierter Risikostrukturausgleich
Der seit 1994 bestehende Risikostrukturausgleich (RSA) wird erweitert. Mit
dem neuen Morbi-RSA erhalten Krankenkassen für ihre Versicherten mit
bestimmten schweren Erkrankungen höhere Pauschalen aus dem Gesundheitsfonds, weil die Behandlung teurer und aufwendiger ist. 80 Krankheiten
wurden dazu definiert.
Steuerzuschuss
Für Aufgaben, um die sich eigentlich der Staat kümmern müsste (z. B. Leistungen für Mütter) sollen die Steuermittel schrittweise ausgebaut werden.
2009 soll ein Bundeszuschuss in Höhe von vier Milliarden Euro fließen.
zwischen den Krankenkassen.
Zwar hat das Bundesversicherungsamt nach monatelangem
Streit eine Liste der 80 Krankheiten vorgelegt, die künftig für
den Morbi-RSA berücksichtigt
werden. Die Höhe der Zuschläge wird allerdings ebenfalls erst
im Herbst errechnet.
Kassen können Pleite gehen
Da nützt es den Kassen wenig,
dass sich Schwarz-Rot zumindest
beim Insolvenzrecht geeinigt
hat. Künftig können theoretisch
alle gesetzlichen Krankenkassen
Pleite gehen. Bisher waren nur
Kassen unter Bundesaufsicht wie
Barmer oder DAK insolvenzfähig.
Allerdings soll eine Kassen-Pleite
unter allen Umständen verhindert
werden. „Die Schließung oder
Insolvenz einer Krankenkasse
sind nur die Ultima Ratio“,
verkündet Regierungssprecher
Ulrich Wilhelm. Gerät eine Versicherung dennoch in finanzielle
Schieflage, greifen künftig verschiedene Rettungsmechanismen.
Zunächst sollen die Kassen der
gleichen Kassenart einspringen –
also etwa andere Ortskrankenkassen. Reicht die Finanzhilfe
nicht aus, müssen im Notfall
auch andere Krankenkassen
Beistand leisten. Diese Regelung
stößt auf heftige Kritik: „Der
Versicherte zahlt aus der eigenen Tasche die Insolvenz einer
25
Kasse, die er vielleicht gerade
vom Hörensagen kennt“, warnt
der Vorstandsvorsitzende der
Kaufmännischen Krankenkasse
(KKH), Ingo Kailuweit. Dies sei
„grotesk und höchst unsozial“.
Auch aus Bayern, das sich zuletzt erstaunlich versöhnlich gegenüber Ulla Schmidt und dem
Gesundheitsfonds geäußert hat,
kommt Kritik: „Ich lehne die im
Referentenentwurf vorgesehene
Zwangsfusion von Krankenkassen strikt ab!“, betont Bayerns
Sozialministerin Christa Stewens
(CSU). So will Ulla Schmidt dem
Spitzenverband Bund das Recht
einräumen, im Rahmen von
Sanierungsbemühungen fusionsunwillige Krankenkassen zur
Vereinigung mit einer anderen
Kasse zu zwingen. „Das hat mit
freiwilliger Vereinigung nichts
mehr zu tun“, kritisiert Stewens.
Dadurch werde die Selbstverwaltungsrecht der Krankenkassen
„erheblich geschmälert“.
Schlechte Umfrageergebnisse
Insolvenzgesetz, Morbi-RSA und
bundeseinheitlicher Beitragssatz
– sechs Monate vor dem Start
des Gesundheitsfonds sind noch
viele Baustellen offen. Die Bevölkerung sieht die Arbeiten an
der Reform zunehmend kritisch:
Zwei Drittel der Bürger lehnen
den Gesundheitsfonds ab. Mehr
als 80 Prozent würden den Start
um ein bis zwei Jahre verschieben,
ergab eine Umfrage der Techniker
Krankenkasse. Kanzlerin Angela
Merkel und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt lassen die
Zahlen kalt. Jeder Rückzug, jede
Korrektur würde ihre Macht­
position in der Regierung
schmälern. Doch die Umfragen
haben auch ihre positive Seite:
Offenbar erwartet niemand
Verbesserungen im Gesundheitswesen – da kann die Reform im
Zweifelsfall nur positiv überraschen.
Steffen Habit ist
Redakteur im Politikressort
des Münchner Merkur
MDK-Forum 2/2008
Gesundheits- und Sozialpolitik
Demenz
Vorzeigeprojekte in Rheinland-Pfalz
Von Malu Dreyer und Dr. Gundo Zieres
U
m die Versorgung von
Menschen mit Demenz zu
verbessern, hat die Bundesre­
gierung das Projekt Leuchtturm
„Demenz“ aufgelegt. Ziel des
Projektes ist es, aus den vorhan­­
denen Versorgungsangeboten
die besten zu identifizieren und
weiter zu entwickeln. Zu den
29 vorbildlichen Projekten, die
die Bundesregierung in den
Jahren 2008 und 2009 mit ins­
gesamt 13 Mio. Euro fördert,
sind auch drei Projekte mit
Trägern aus Rheinland-Pfalz.
Das Bundesministerium für
Gesundheit (BMG) fördert Projekte in den Themenfeldern:
• Therapie- und Pflegemaßnahmen: Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen
• Evaluation von Versorgungsstrukturen
• Sicherung einer evidenzbasierten Versorgung
• Evaluation und Ausbau zielgruppenspezifischer Qualifizierung
Projektträger in Rheinland-Pfalz
Die Verbesserung der Versorgung
von Menschen mit Demenz ist als
gesellschaftliche Herausforderung ein wichtiger landespolitischer Schwerpunkt in RheinlandPfalz. Die vielfältigen Aktivitäten
im Land finden auch bei der
Vergabe und Durchführung unterschiedlichster Projekte ihren
Niederschlag. Aktuell haben drei
Projekte aus Rheinland-Pfalz den
Zuschlag für die Teilnahme am
Leuchtturm-Demenz-Programm
des BMG bekommen. Träger
der drei Projekte in RheinlandPfalz sind der Medizinische
Dienst der Krankenversicherung
MDK-Forum 2/2008
(MDK) in Alzey, die Klinik für
Psychiatrie und Psychotherapie
der Universität Mainz und der
Verein Projekt 3 e.V., ein Anbieter von sozialen Dienstleistungen mit Sitz in Mayen.
werden sollten und wie diese
einzuleiten und umzusetzen sind.
Der MDK wird die positiven Effekte für die Bewohnerinnen und
Bewohner und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter evaluieren.
Projektinhalte
Berufsgruppenübergreifende
Qualifizierung zu Demenz
Die Klinik für Psychiatrie und
Psychotherapie der Universität
Mainz erprobt zur Verbesserung
der Frühdiagnostik ein Quali­
fizierungsprogramm für Hausärztinnen und Hausärzte und
vernetzt die medizinische und
psychosoziale Beratung für betroffene Familien.
In einer Pflegeoase des Trägers
Projekt 3 e.V. geht es um die
vergleichende Evaluation der
Versorgung und die Lebensqualität von Menschen mit schwerer
Demenz durch den Arbeitsschwerpunkt Gerontologie und
Pflege an der Evangelischen
Fachhochschule Freiburg in Kooperation mit dem Institut für
Gerontologie der Uni Heidelberg.
Das Projekt „Berufsgruppenübergreifende Qualifizierung zu
Demenz“ des MDK RheinlandPfalz ist im Themenfeld „Evaluation und Ausbau zielgruppenspezifischer Qualifizierung“
angesiedelt. Der MDK wird untersuchen, welche personellen
Qualifizierungsmaßnahmen in
stationären Pflegeeinrichtungen
bereits umgesetzt wurden (vorhandene Qualifizierungen) und
welchen Nutzen sie für die Bewohnerinnen und Bewohner
und die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter haben. Darüber hinaus wird er Vorschläge dazu machen, welche Optimierungspotenziale ggf. noch genutzt
26
Eine wesentliche Voraussetzung
für die Pflege, Förderung und
Begleitung von Menschen mit
Demenz in stationären Pflegeeinrichtungen ist die umfassende
Qualifizierung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Spezifisches Wissen über die Erkrankung Demenz, die daraus
resultierenden Symptome und
Verhaltensweisen müssen bekannt sein, um das Verhalten
von Menschen mit Demenz verstehen, interpretieren und adäquat reagieren zu können.
Daneben ist der Umgang mit
Menschen mit Demenz geprägt
von der Haltung und Wertschätzung, die ihnen seitens der Pflege­
personen entgegengebracht wird.
Sie ist essentiell, damit auch
Menschen mit Demenz trotz ihrer
kognitiven Einschränkungen
Wohlbefinden, Kompetenz, Beschäftigung und Nützlichkeit
empfinden können. Mit den in
diesem Projekt durchgeführten
Maßnahmen und Instrumenten
soll dazu ein wesentlicher Beitrag
geleistet werden.
Bei dem Projekt geht es daher
konkret um Maßnahmen, die
über die unmittelbare Schulung
und Wissensvermittlung hinausgehen und Ansätzen einer
Organisationsentwicklung nahe
kommen. Organisationen bzw.
Orga­nisationseinheiten (Wohn-
Gesundheits- und Sozialpolitik
• eine wertschätzende Haltung
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erreicht werden?
• die Mitarbeiterzufriedenheit
und ihr Belastungserleben verändert werden?
Ausblick
Das Verhalten von Menschen mit Demenz richtig verstehen und ihnen Wertschätzung entgegenbringen – eine große Aufgabe für Pflegeeinrichtungen
bereiche) werden als komplexe
Systeme verstanden, die Qualifizierungsmaßnahmen dementsprechend für alle Hierarchieebenen der Einrichtung ange­­boten und auf ihre jeweiligen
Bedürfnisse angepasst. Diese an
den Nutzern ausgerichtete Umsetzung verspricht die größtmögliche Wirkung und Nachhaltigkeit.
Die für die Patientinnen und Patienten erfahrbaren und relevanten Aspekte stehen im Fokus aller
Bemühungen. Mit Hilfe geeigneter
Test- und Beobachtungsverfahren
werden die Auswirkungen von
Qualifizierungen auf diesen Bereich untersucht.
dieser Maßnahmen auf patienten­
relevante Parameter. Im Rahmen
dieses Projekts sollen die folgenden Fragestellungen bezogen auf
die Bewohnerinnen und Bewohner bearbeitet werden: Kann/
können durch die Qualifizierungs­
maßnahmen
Ziele des Projektes
• das Wohlbefinden der Bewohnerinnen und Bewohner verbessert werden?
• Beschäftigung und Betreuung
demenzspezifisch gefördert
werden?
• eine Einbeziehung der Bewohnerinnen und Bewohner in
Alltagsaktivitäten gefördert
werden?
• Eigenaktivitäten/Eigenständigkeit bei den ADL (z. B. Essen)
erreicht werden?
• herausforderndes Verhalten
der Bewohnerinnen und Bewohner vermindert werden?
• der Einsatz von psychotropen
Medikamenten (z. B. Neuroleptika) vermindert werden?
• die Ernährung und Flüssigkeits­
versorgung verbessert werden?
Ziel des Projektes ist die wissenschaftliche Evaluation und Erprobung von vorhandenen Qualifizierungsmaßnahmen in der
vollstationären Pflege unter Berücksichtigung der Auswirkungen
Im Rahmen dieses Projekts sollen
die folgenden Fragestellungen
bezogen auf die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter bearbeitet werden:
Kann durch die Qualifizierungsmaßnahmen
Für das methodische Vorgehen
konzipiert der MDK RheinlandPfalz eine Interventionsstudie
mit quantitativen und qualitativen
Untersuchungen. Als Datenbasis
werden validierte Test- und Beob­
achtungsverfahren sowie struk­
turierte Mitarbeiterbefragungen
genutzt.
27
Nach Abschluss der Projektdokumentation werden die wesentlichen Erkenntnisse in
einem Handbuch zusammengefasst und veröffentlicht. Andere
Pflegeeinrichtungen können es
nutzen, um ein erfolgreiches
Konzept zur Qualifizierung der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu etablieren. Der trägerübergreifende Charakter dieses
Projektes in Rheinland-Pfalz
gewährleistet eine Multiplikatorenfunktion der teilnehmenden
Einrichtungen. Darüber hinaus
sollen die Ergeb­nisse des Modellprojektes durch das bereits
existierende Beratungs­team des
MDK Rheinland-Pfalz auch für
andere stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen nutzbar
gemacht werden.
Wie das Projekt des MDK
Rhein­land-Pfalz exemplarisch
zeigt, betreffen die für Rheinland-Pfalz ausgewählten Projekte
zentrale Fragen der Versorgung
von Menschen mit Demenz.
Früherkennung, Qualifizierung
und die Betreuung in einem
fortgeschrittenen Stadium der
Demenz sind Ziele, denen sich
alle Einrichtungen, Dienste und
die Ärzteschaft stellen müssen.
Das Land Rheinland-Pfalz beteiligt sich deshalb auch an der
Förderung der Vorhaben und
unterstützt die Projekte im weiteren Verlauf.
Malu Dreyer,
Ministerin für Arbeit, Soziales,
Gesundheit, Familie und Frauen
des Landes Rheinland-Pfalz
Dr. rer. oec. Gundo Zieres
Geschäftsführer des
MDK Rheinland-Pfalz
E-Mail: [email protected]
MDK-Forum 2/2008
Gesundheits- und Sozialpolitik
Bessere Koordination von Beratung und Betreuung
BMG wählt Pilot-Pflegestützpunkte aus
Von Andrea Steidle
U
m die Pflege von Angehö­
rigen zu organisieren, sich
über Unterstützungsangebote
zu informieren und geeignete
Lösungen zu finden, sind bis­
lang meist viele Amtsgänge und
Ansprechpartner nötig. Das
soll nun anders werden: Durch
zentrale und vernetzte Pflege­
stützpunkte als erste Anlaufund Informationsstellen soll
ein großer Teil dieser Umwege
künftig entfallen.
Ziel dieses mit dem Pflege-Weiter­­
entwicklungsgesetz aufgelegten
Projektes der Bundesregierung
ist es, in allen Bundesländern
Pflegestützpunkte und Pflegeberatung zunächst modellhaft zu
erproben. Jeder Pilot-Stützpunkt
wird bis Ende 2008 mit 30.000
Euro gefördert; für das Modellprogramm steht eine Mio. Euro
zur Verfügung. Ab dem 1. Juli,
wenn das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz in Kraft tritt, müssen
die Länder die Entscheidung über
die flächen­deckende Versorgung
mit Pflege­stützpunkten jeweils
einzeln treffen. Insgesamt werden
hierfür 60 Mio. Euro bereitgestellt.
16 Pilot-Pflegestützpunkte
ausgewählt
Bereits zu Beginn des Jahres
fand im Bundesministerium für
Gesundheit (BMG) eine Auftaktveranstaltung zum Modell­
projekt „Werkstatt Pflegestützpunkte und Pflegeberater“ statt.
Mitte März hat das BMG dann
16 Pilot-Pflegestützpunkte – je
einen pro Bundesland – ausgewählt. Sie sollen nun Erfahrungen
im Aufbau einer „quartiersnahen
Beratungsstelle“ und im praktischen Betrieb sammeln. Dabei
soll das Rad nicht neu erfunden
MDK-Forum 2/2008
werden, sondern bereits vorhandene Angebote sollen maximal
genutzt, sukzessive ausgebaut
und künftig bes­ser miteinander
vernetzt werden.
Geplant ist unter anderem, dass
sich die beteiligten Pflegestützpunkte regelmäßig in regionalen
Konferenzen über ihre Erfahrungen austauschen, ihre Ergebnisse dokumentieren und in
Form von Handlungsempfehlungen an interessierte Träger
weitergeben. Neben Beratung
sollen die neuen Pflegestützpunkte vor allem eine Vernetzung
pflegerischer, medizinischer, rehabilitativer und sozialintegrativer
Angebote leisten. Wissenschaftlich begleitet und ausgewertet
werden die Projekte vom Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA)
in Köln.
Pflegestützpunkt Berlin
In Berlin ist das Pilotprojekt im
März an gleich zwei Stellen offiziell angelaufen. Federführer bzw.
Trä­ger der neuen Pflegestützpunkte Köpenick und Kreuzberg
sind die Koordinierungsstellen
„Rund ums Alter Treptow-Köpenick (Albatros e.V.)“ und „Rund
ums Alter Friedrichshain-Kreuzberg (Diakonisches Werk Berlin
Stadtmitte e.V.)“.
Seit 1999 verfügt Berlin mit den
Koordinierungsstellen „Rund
ums Alter“ über ein flächen­­
deckendes Netz von Beratungsstellen für ältere, behinderte und
pflegebedürftige Menschen – gute
Voraussetzungen für das Modell­
projekt: „Unser zentrales Ziel ist
es, den Verbleib älterer Menschen
in der eigenen Häuslichkeit oder
die Rückkehr dorthin zu ermög-
28
lichen“, sagt Andrea Schulz vom
Pflegestützpunkt Köpenick. „Und
seit vielen Jahren verfügen wir
über Kompetenzen und Erfahrungen in der psychosozialen
Beratung, der Pflegeberatung, im
Case Management sowie über
fundierte sozialrechtliche Kenntnisse zur leistungserschließenden
Beratung“, ergänzt Gisela Seidel
vom Pflegestützpunkt Kreuzberg.
Verbindliche Pfade auf der
Systemebene entwickeln
Was hat sich seit März in der
Arbeit der Koordinierungsstellen
konkret geändert? „Zur Zeit beschäftigen uns vor allem Kooperationsgespräche mit verschiedenen Partnern, zum Beispiel mit
einer Kranken- und Pflegekasse,
der bezirklichen Verwaltung
oder speziellen Fachkräften“,
beschreibt Gisela Seidel. Kooperationen gab es zwar auch zuvor
bereits auf der Einzelfallebene,
aber nun sollen „verbindliche
Pfade auf der Systemebene“ entwickelt werden. Darüber hinaus
gilt es, die Zusammenarbeit mit
Einrichtungen und Institutionen
zu fördern, die für die Versorgung
von pflegebedürftigen Kindern
und Jugendlichen und jüngeren
Erwachsenen zuständig sind.
Denn Ziel ist es, auch für jüngere Pflegebedürftige adäquate Beratung zu erbringen.
Umgestaltung zum offenen
Bürgerbüro
In den kommenden Wochen
werden die Räume Stück für
Stück so gestaltet, dass sie auch
von außen deutlich als Bürgerbüro erkennbar sind. „Bei uns
können Interessenten Angebote
auch selbst am Rechner recher-
Gesundheits- und Sozialpolitik
chieren, aber die individuelle
und persönliche Beratung ist
und bleibt natürlich unser Kerngeschäft“, sagt Gisela Seidel. Vor
allem dabei ist die Koordinierungsstelle künftig auf die Zusammenarbeit mit externen Experten wie Pflegekräften, Ärzten
und Therapeuten angewiesen.
Ab Juli folgt die konkrete Ansprache der Klientel, um diese auf
mögliche Hilfen im Gesundheits­
wesen aufmerksam zu machen.
Das Land Berlin will auch länger­
fristig an den Pflegestützpunkten
festhalten, somit bleibt in den
kommenden Jahren viel zu tun.
Wie die Pflegestützpunkte nach
Inkrafttreten des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes weiter in
Erscheinung treten und wie sie
ausgestattet sein werden, wird
Gegenstand zukünftiger Verhand­
lungen sein.
Pflegestützpunkt Langenhagen
Anfang April hat in Langenhangen
bei Hannover der erste PilotPflegestützpunkt in Niedersachsen
seine Arbeit aufgenommen.
Träger ist die „Region Hannover“.
Sie kooperiert dabei mit dem Ver­
band der Angestellten-Krankenkassen (VdAK), der Stadt Langen­
hagen und einem ortsansäs­sigen
Pflegedienst (als einziger Dienst
im Ort auch Fachpflegedienst für
Psychiatrie). Auch das „Caritas Forum Demenz“ bringt sein Wissen
in das Projekt ein. Neben Leistungen des ambulanten Pflegedienstes
und der stationären Pflege soll der
Fokus hier langfristig auf den ehrenamtlichen Angeboten liegen.
Im Unterschied zu Berlin wurde
dieser Stützpunkt komplett neu
eingerichtet. Bislang gab es
ledig­lich ein Servicetelefon.
„Seit April ging bei uns alles von
Null auf Hundert“, beschreibt
Tanja Krug, bei der „Region
Hannover“ zuständig für Fragen
der vertraglichen Koordination.
In zentraler Lage wurden neue
Räume angemietet, die während
der Öffnungszeiten mit drei Mitarbeitern besetzt sind.
Anfang April hat in Langenhangen bei Hannover der erste Pilot-Pflegestützpunkt in Niedersachsen seine Arbeit aufgenommen
Bisher gute Resonanz
Im Juni wurde das Angebot weiter ausgebaut ausgebaut: „Jetzt
werden auch regelmäßige Beratungen angeboten, beispiels­weise
zu diabetischen Pflegeproblemen
und zur Palliativpflege“, sagt Tanja
Krug. Auch ein Wohn­­berater
bietet seit Juni seine Sprechstunde
im Stützpunkt an.
Das Projekt erfährt derzeit viel
Aufmerksamkeit durch Pressearbeit, außerdem hilft die zentrale
Lage am Marktplatz: Die Fenster
des neuen Pflegestützpunktes
wurden mit Werbung beklebt, ein
großer Aufsteller weist vor allem
Angehörigen von Pflegebedürftigen den Weg in die erste Etage,
und Info-Flyer wurden ebenfalls
in Auftrag gegeben. Dafür, dass
erst vor wenigen Wochen mit den
Arbeiten begonnen wurde, sind
die Mitarbeiterinnen und Mit­
arbeiter des Projektes mit den
bisherigen Erfolgen schon sehr
zufrieden.
Erste Bilanz und Bewertung
des KDA
Auch wenn ein offizieller Zwischenbericht noch aussteht, äußerte sich das KDA in der Hauszeitschrift „ProAlter“ (Ausgabe
1/2008) schon vorab zum Gesamtprojekt: Die bisherigen An-
29
sätze seien zwar chancenreich, ein
erster Überblick über die PilotStützpunkte habe allerdings
gezeigt, dass die bislang vorhandenen Beratungsstrukturen noch
ausbaufähig seien. „Alles, was
gut ist, soll und muss auch für
die Pflegestützpunkte genutzt
werden“, sagt Andreas Kutschke,
Referent für Pflegeorganisation im
KDA-Fachbereich Soziales &
Pflege. Es sei sinnvoll, bereits
bestehende Strukturen zu einem
„koordinierten und flächen­
deckenden Netz von Pflege­stütz­
punkten um- und aus­zubauen,
wenn diese sich zudem zu einer
noch zu bestimmenden Beratungs­
qualität verpflichten“. Andreas
Kutschke: „Doppelstrukturen sind
weder geplant noch erwünscht“.
Weiterer Ablauf des Projektes
Ab dem 1. Juli steht die Entscheidung über die flächendeckende
Versorgung mit Pflegestützpunkten
an. Bis dahin soll das KDA dem
BMG einen Bericht über die
Konstituierungsphase und erste
Projektergebnisse vorlegen. Der
Abschlussbericht wird im Juni
2010 erwartet.
Andrea Steidle ist
Mitarbeiterin im Fachgebiet
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
beim MDS
E-Mail: [email protected]
MDK-Forum 2/2008
Gesundheits- und Sozialpolitik
Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte
„Mein Essen zahl’ ich selbst“
Von Friederike Geisler
S
eit eineinhalb Jahren setzt
sich die Initiative „Mezis –
Mein Essen zahl‘ ich selbst“ –
für die Unabhängigkeit bei Me­
dikamenten-Verordnungen ein.
Ihre Mitglieder verzichten auf
Besuche, Geschenke und An­
gebote von Pharma-Vertretern
und garantieren ihren Patienten
so eine interessenunabhängige
Behandlung. Doch die meisten
Ärzte sehen kein Problem in
der Werbung durch die Unter­
nehmen.
Wenn Dr. P. seine Woche gut
plant, kommt er durch, ohne
auch nur für ein einziges Essen
bezahlen zu müssen: Er wandert
von Fortbildung zu Fortbildung
und „staubt“ auf diesem Weg
auch noch das ein oder andere
Werbe-Geschenk ab. Die Kehrseite der Medaille: All das wird
von Pharma-Firmen gesponsert,
die im Gegenzug ihre neuesten
Medikamente an den Mann
bringen wollen. 15.000 Vertreter
von Unternehmen besuchen täglich die deutschen Praxen. Die
Initiative „Mezis – Mein Essen
zahl‘ ich selbst“ wehrt sich gegen die Beeinflussung der Medizin durch die Industrie.
Das Neueste ist nicht immer
das Beste
Die Marketing-Strategen der
Pharma-Konzerne lassen es sich
einiges kosten, wenn es um Werbung geht: Neben Geschenken
und kostenfreien Fortbildungen
bieten einige Unternehmen sogar ganze Reisen an. Alles mit
dem Ziel, das Verordnungsverhalten der Ärzte zu beeinflussen.
Und es wirkt: „Die Ärzte selbst
schätzen 64 Prozent ihrer Kollegen als beeinflussbar ein“, sagt
MDK-Forum 2/2008
Dr. med. Arne Schäffler, Gründer
der Initiative, „sich selbst halten
sie natürlich für immun.“ Die
Folgen der „Manipulation“ können schwerwiegend sein: „Die
Unternehmen preisen vorrangig
ihre neusten – und zumeist auch
teuersten – Produkte an. In vielen Fällen gibt es eine günstigere
Alternative, die manchmal sogar
besser für den Patienten ist. Und
das Wohl des Patienten sollte in
der Praxis an erster Stelle stehen.“
Oft sind die beworbenen Produkte
noch nicht sehr lange auf dem
Markt: „Es kommt vor, dass die
Nebenwirkungen noch nicht
hinreichend erforscht sind. Das
ist sehr gefährlich“, erklärt Dr.
Schäffler. Hinzu kommt, dass
dadurch die Arzneimittellausgaben ansteigen. „Die Umsatzprognosen gehen in schwindelerregende Höhen. Das ist irgend­wann nicht mehr bezahlbar.“
Die Forderungen von Mezis
Dem will sich die Initiative von
Dr. Schäffler, der selbst schon bei
einer Pharma-Firma gearbeitet
hat und deshalb mit der Marketing-Praxis vertraut ist, entgegen
setzen: „Wir fordern: Keine Besuche von Pharma-Vertretern
mehr bei niedergelassenen Ärzten.
Außerdem sollte nur noch eine
manipulationsfreie Praxis-Software genutzt werden – viele
Programme machen Medikamen­
ten-Vorschläge bei der Rezeptausstellung, weil sie von den Un­ternehmen programmiert worden
sind. Außerdem müssen die
Fortbildungen unabhängig sein.“
Mehr Vertrauen
Mit ihren 100 Mitgliedern ist die
Initiative, die der Augsburger
30
Dr. med. Arne Schäffler,
Gründer der Initiative Mezis
Mediziner vor eineinhalb Jahren
mitgegründet hat, noch relativ
klein. Vielen Ärzten fällt die
Umstellung nicht leicht oder sie
empfinden die Werbung nicht
als problematisch. „Klar ist, als
Mitglied verzichtet man auf die
geldwerten Leistungen der Hersteller“, sagt Dr. Schäffler, „aber
die Vorteile liegen auf der Hand:
Das Vertrauen der Patienten ist
wieder hergestellt. In den Praxen
unserer Mitglieder hängen Plakate,
auf denen steht, dass die Patienten bei ihrem Arzt nur das verschrieben bekommen, was ihnen
wirklich hilft. Wir erhalten unglaublich viele Anfragen von
Leuten, die wissen wollen, ob
sie in ihrer Nähe einen MezisArzt finden.“
Neue Mitglieder sind der Initiative herzlich willkommen. Der
Verein erhebt eine Gebühr von
80 Euro im Jahr. Dadurch, dass
die Mezis dezentral arbeitet, ist
eine Mitgliedschaft nicht ortsgebunden.
Weitere Informationen unter:
www.mezis.de
Friederike Geisler ist
Mitarbeiterin der Stabsstelle
Unternehmenskommunikation
beim MDK Niedersachsen
E-Mail: [email protected]
Organisation und Management
MDS mit neuem Träger
Umstieg mit Augenmaß
Von Caroline Jung
J
etzt wird es ernst. Der Um­
bau in der GKV, der mit
dem Inkrafttreten des GKVWettbewerbsstärkungsgesetzes
begonnen hat, läuft auf Hoch­
touren. Der 1. Juli 2008 markiert
für den MDS das Ende der Vor­
bereitungsphase: Er geht in die
Trägerschaft des Spitzenverban­
des Bund der Krankenkassen
über.
Wenn am 1. Juli der Spitzenverband Bund offiziell die gesetzlichen Aufgaben der Spitzenverbände der Krankenkassen
übernimmt, steht auch sein Medizinischer Dienst in den Startlöchern: Den Spitzenverband Bund
in allen medizinischen Fragen zu
beraten und die Zusammenarbeit
der Medizinischen Dienste in medizinischen und organisatorischen Fragen zu koordinieren,
das hat der Gesetzgeber dem neuen MDS als Aufgaben zugewiesen. Bei seinen Koordinationsaufgaben haben die Länder-MDK
den MDS zu unterstützen.
Was ändert sich denn nun?
Der MDS agiert auch zukünftig
als eingetragener Verein. So konnte eine problemlose Überleitung
erfolgen und ein Zeichen für Kontinuität gesetzt werden. Hauptplayer ist der Spitzenverband
Bund. Ihm stehen als fördernde
Mitglieder die bisherigen Spitzenverbände zur Seite. Auch die Medizinischen Dienste können fördernde Mitglieder des MDS
werden – mehr als zwei Drittel der
MDK sind bereits dabei.
Zentrales Selbstverwaltungsorgan des neuen MDS ist sein
Verwaltungsrat. Er wird künftig
die gesundheitspolitische Aus-
richtung des MDS bestimmen,
die Satzung beschließen und über
den Haushalt entscheiden. Dem
Verwaltungsrat gehören je sieben
Versicherten- und Arbeitgebervertreter an, die der Verwaltungsrat
des Spitzenverband Bund aus seinen Reihen gewählt hat. Dazu
kommen zwei Vorstandsmitglieder des Spitzenverbandes Bund.
Diese 16 Mitglieder sind stimmberechtigt. Außerdem nehmen je
ein Mitglied aus den Vorständen
bzw. den Geschäftsführungen der
Kassenarten an den Beratungen
teil. Die fördernden Mitglieder
aus den Reihen der MDK schicken insgesamt je zwei Vertreter
aus ihrer Selbstverwaltung und
zwei Hauptamt­liche in den Verwaltungsrat. Komplettiert wird
der Verwaltungsrat durch die Geschäftsführung des MDS, die den
Verwaltungsrat berät.
Über die Mitgliederversammlung sind alle Mitglieder in die
Beratungen eingebunden, insbesondere wenn es um Leitlinien
und Grundsätze für die Förderung der Zusammenarbeit in der
MDK-Gemeinschaft und mit
den Krankenkassen geht. Die
Mitgliederversammlung kann
Empfehlungen an den Verwaltungsrat geben.
Rückkoppelungsmechanismen
ausgebaut
Beratungen und Beschlüsse des
MDS-Verwaltungsrates setzen
häufig die Rahmenbedingungen
für die Arbeit der Medizinischen
Dienste. Außerdem sollen die
MDK den MDS in seiner Koordinierungsrolle u­nterstützen.
Deshalb wollen und sollen sie
sich in die Beratungen des MDS
einbringen.
31
Ein Instrument hierfür ist die fördernde Mitgliedschaft im MDS.
Sinnvolle Unterstützung basiert
auf sinnvoller Einbindung. Deshalb ist die Einrichtung eines Beirates für MDK-Koordinierungsfragen vorgesehen, der dem
Verwaltungsrat des MDS gegenüber Empfeh­lungen abgeben
kann. In ihm sollen Hauptamtliche aus den Reihen der fördernden Mitglieder vertreten sein.
Zwei Beiratsmitglieder sollen mit
beratender Stimme an den Sitzungen des Verwaltungsrats teilnehmen. Über die konkrete Ausgestaltung will der MDS-Verwaltungsrat im August entscheiden.
Parallel zur Neu-Konstituierung
des MDS wurde die Einrichtung
eines Kooperationsrates in der
MDK-Gemeinschaft beschlossen. Er löst die bisherige Konferenz der Selbstverwalter ab. Die
Neuerung: Der Kooperationsrat
kann und soll Beschlüsse mit
bindender Wirkung fassen.
Grundlage dafür ist der Abschluss eines Kooperationsvertrages durch MDK und MDS.
Darin verpflichten sich die Vertragspartner, auf definierten Gemeinschaftsfeldern zusammen
zu arbeiten und Beschlüsse des
Kooperationsrates auf diesen
Feldern gemeinsam umzusetzen.
Als Gemeinschaftsfelder wurden
insbesondere die Einheitlichkeit
und Qualitätssicherung der sozialmedizinischen Beratung und
Begutachtung, die Tarifpolitik,
die EDV-Entwicklung und die
gemeinsamen Kompetenz-Einheiten festgelegt.
Caroline Jung leitet das
Fachgebiet Selbstverwaltungsangelegenheiten beim MDS
E-Mail: [email protected]
MDK-Forum 2/2008
Organisation und Management
„Inhaltlich steht der Übergang
für Kontinuität“
Interview mit Dieter F. Märtens und Dr. Volker Hansen,
den neuen Verwaltungsratsvorsitzenden des MDS
A
m 1. Juli nimmt der
Spitzenverband Bund
der Krankenkassen seine Ar­
beit auf, und der Medizinische
Dienst der Spitzenverbände
der Krankenkassen geht in
seine Trägerschaft über. Die
Zusammenarbeit in der MDKGemeinschaft wird zudem mit
dem Kooperationsvertrag auf
verbindlichere Füße gestellt.
MDK-Forum sprach mit den
neuen MDS-Verwaltungsrats­
vorsitzenden Dieter F. Märtens
und Dr. Volker Hansen über
die Aus­wirkungen auf die
künftige Arbeit der Medizini­
schen Dienste.
? MDK-Forum: Der 1. Juli
markiert einen Umbruch: Der
Spitzenverband Bund übernimmt von diesem Datum an
alle gesetzlichen Aufgaben der
bisherigen Spitzenverbände.
Gleichzeitig konstituiert sich der
MDS unter der neuen Trägerschaft des Spitzenverbandes
Bund. Welche Auswirkungen
werden diese Veränderungen auf
die Arbeit von MDS und Medizinischen Diensten haben?
! Dr. Volker Hansen: Für den
MDS ist nun klar festgelegt, dass
er der Berater des neuen Spitzen­
verbandes Bund der Krankenkassen ist – und zwar in medizinischen und pflegefachlichen
Fragen. Damit sind die Zuständigkeiten klargestellt. Inhaltlich
steht der Übergang für Kontinuität: Der MDS wird dem neuen
Träger – wie bisher schon den
Spitzenverbänden – als kompetenter Berater in allen Versorgungs- und Strukturfragen unseres Gesundheitswesens zur Seite
MDK-Forum 2/2008
stehen. Dies gilt unverändert auch
für die medizinische Beratung des
Spitzenverbandes Bund in den
Arbeitsgremien der gemeinsamen
Gesundheitsselbstverwaltung.
!
Dieter F. Märtens: Der Gesetzgeber hat aber nicht nur die
Beratungsfunktion des MDS im
Dieter F. Märtens
Gesetz fixiert. Es war uns als
Selbstverwaltung der Spitzenverbände ein Anliegen, die Koor­
dinationsrolle des MDS klarer
zu fassen, die neben den medizinischen auch organisatorische
Felder einschließt. Und: Die Medizinischen Dienste der Länder
sind verpflichtet, den MDS bei
seiner Koordinationsaufgabe zu
unterstützen. Hier gilt es, mehr
Gemeinsamkeit zu entwickeln –
dafür schafft der Kooperationsvertrag neue Voraussetzungen.
?
MDK-Forum: In der Vergangenheit gab es zwischen Medizinischen Diensten und MDS
Differenzen zum Beispiel über
den Einfluss des MDS und damit der Spitzenverbände auf das
32
Geschehen in den Medizinischen
Diensten. Früher gab es eine
Kooperationsvereinbarung, jetzt
gibt es einen Kooperationsvertrag: Was versprechen Sie sich
von den neuen Regelungen?
! Dieter F. Märtens: Hintergrund der Differenzen zwischen
Bundes- und Landesebene in der
Vergangenheit war doch folgender:
Die Spitzenverbände wollten auf
wichtigen organisatorischen Felder, die den MDK betreffen, zu
einem gemeinsamen Vorgehen
kommen. Dazu haben sie sich
vorbehalten, nicht nur in medizinischen, sondern auch in wich­
tigen organisatorischen Fragen,
ein Wort mitzureden.
Das war letztlich auch der Ansatz, den wir mit der Kooperationsvereinbarung verfolgt hatten.
Die Kooperationsvereinbarung
setzte aber auf Freiwilligkeit und
sah keinerlei Sanktionen für den
Fall vor, wenn sich ein MDK
nicht an gemeinsame Beschlüsse
hielt. Deshalb hat sich die Selbst­
verwaltung nun stärker in die
Pflicht genommen und eine Lösung aus eigener Kraft entwickelt.
Nach dem neuen Kooperationsvertrag erhalten Vertragspartner
nicht nur Rechte, sondern sie
verpflichten sich auch, Beschlüsse
auf den im Kooperationsvertrag
genannten Gemeinschaftsfeldern
umzusetzen.
! Dr. Volker Hansen: Die
neuen Regelungen sind klar und
verbindlich. Wer dem Vertrag
beitritt weiß, was ihn erwartet.
Ich gehe davon aus, dass alle, die
bis jetzt schon beigetreten sind
und noch beitreten werden, dies
Organisation und Management
mit der notwendigen inneren
Überzeugung getan haben, diesen
Vertrag auch konkret zu „leben“.
Nur über die Verständigung auf
Themenbereiche, auf denen man
gemeinsam handeln und verfahren will, werden wir zu einem
Mehr an Gemeinschaft kommen.
Wobei – und auch das will ich
klar sagen – es nur um solche
Bereiche geht, auf denen Gemeinsamkeit Sinn macht und wo
sie zu mehr Wirtschaftlichkeit
beiträgt. Der Kooperationsvertrag
ist kein Instrument der Gleichmacherei! Die Medizinischen
Dienste haben weiterhin alle
Chancen, in organisatorischen
Fragen in den Wettbewerb um
beste Verfahren und Abläufe
einzutreten.
Dr. Volker Hansen
? MDK-Forum: Die bisherigen
Spitzenverbände bleiben weiter
Mitglieder des MDS. Bildet sich
der Konflikt zwischen starkem
Spitzenverband Bund und Kassenarten-Verbänden mit Wettbewerbsorientierung dann nicht
auch in den MDS-Gremien ab?
!
Dr. Volker Hansen: Wir haben in der gesetzlichen Krankenversicherung schon immer
ein Nebeneinander von wettbewerblichen Bereichen und von
solchen Feldern, die wir bisher
unter dem Rubrum „gemeinsam
und einheitlich“ abgehandelt haben. Klar ist nach dem GKVWSG, dass für den letztgenannten Bereich zukünftig der
Spitzenverband Bund allein die
Verantwortung trägt. Die wettbewerblichen Felder fallen in die
Zuständigkeit der bisherigen
Spitzenverbände bzw. deren
Nachfolgeorganisationen. Klar
ist auch, dass das die Diskussionen auch in den Gremien des
neuen MDS beleben wird. Da
solche Diskussionen aber auch
in den vergangenen Jahren im
Vorstand des MDS geführt wurden, ist mir davor nicht bange.
?
MDK-Forum: Welchen
Einfluss werden die bisherigen
Krankenkassen-Verbände auf
die inhaltliche Arbeit des MDS
nehmen können?
! Dieter F. Märtens: Durch
die Neufassung der Satzung, die
am 1. Juli in Kraft tritt, werden
sie zu fördernden Mitgliedern
im neuen Verein MDS. Sie sind
damit in der Mitgliederversammlung des MDS vertreten
und beraten mit über Leitlinien
und Grundsätze für die Förderung der Zusammenarbeit in der
MDK-Gemeinschaft und mit den
Krankenkassen. Entsprechend
können sie ihren Einfluss über die
Mitgliederversammlung geltend
machen und Empfehlungen für
den Verwaltungsrat abgeben, die
die Interessen ihrer Mitglieder
widerspiegeln. Da die Satzung des
neuen MDS vorsieht, dass der
Spitzenverband Bund in den
Gremien des MDS allein entscheidungsbefugt ist, ist eine
Entscheidung über derartige
Empfehlungen im Verwaltungsrat zu treffen. Auch hierbei sind
die Kassenarten-Verbände durch
Hauptamtliche vertreten.
? MDK-Forum: Was erwarten
Sie von der Beteiligung der Medizinischen Dienste als fördernde
Mitglieder des MDS?
! Dr. Volker Hansen: In erster
Linie ein höheres Maß an Verständnis und Akzeptanz für Entscheidungen, die auf der Bundes­
ebene im Verwaltungsrat des
Medizinischen Dienstes des
Spitzenverbandes Bund mit
Wirkung für die Medizinischen
33
Dienste und den MDS getroffen
werden. Hier steht letztlich der
Leitgedanke jeder Organisations­
entwicklung Pate, Betroffene zu
Beteiligten zu machen, sie einzubinden und mitzunehmen.
? MDK-Forum: Welches sind
aus Ihrer Sicht die wichtigsten
Aufgaben für die MDK-Gemeinschaft im kommenden Jahr?
! Dieter F. Märtens: Inhaltlich
steht die Umsetzung der Aufgaben aus dem Pflege-Weiter­
entwicklungsgesetz im Vordergrund. Der Ausbau der Qualitätsprüfungen, die laienver­ständliche Veröffentlichung der
Prüfergebnisse und die Änderungen im Begutachtungsbereich
stellen die MDK vor große Herausforderungen. Die jetzt gefundenen Regelungen – davon bin
ich über­zeugt – werden dazu beitragen, dass die Umsetzung auf
diesen Feldern gemeinsam erfolgt
und wir den Praxistest bestehen.
? MDK-Forum: Was wünschen
Sie sich als frisch gewählte Vorsitzende des MDS-Verwaltungsrates für die Kooperation mit
den Medizinischen Diensten?
! Dr. Volker Hansen: Ich hoffe,
dass alle MDK das Angebot nutzen und dem neuen Verein MDS
als fördernde Mitglieder beitreten.
Mit der Neuregelung in unserer
Satzung hat der MDS die Vorleistung dafür erbracht, dass
Bundes- und Landesebene der
Medizinischen Dienste enger
zusammenrücken und Informationen besser austauschen können.
! Dieter F. Märtens: Das,
was Herr Dr. Hansen gesagt hat,
kann ich nur unterstützen. Insgesamt sollte daraus eine größere
Geschlossenheit des MDKMDS-Systems resultieren. Das
kann sich für die Weiterentwicklung als kompetenter Beratungs- und Begutachtungsdienst
der Kranken- und Pflegeversicherung nur positiv auswirken.
Die Fragen stellte C. Grote, MDS
MDK-Forum 2/2008
MDK im Dialog
MDK Niedersachsen
MDK Westfalen-Lippe
MDK-Fortbildungen zur
Palliativ-Versorgung
Von Martin Dutschek, Friederike Geisler
und Dr. Martin Rieger
D
ie MDK Niedersachsen und
MDK Westfalen-Lippe
machten die Behandlung und
Versorgung von Palliativpatien­
ten zum Thema ihrer diesjähri­
gen Frühjahrstagungen. In Han­
nover trafen sich rund 100, in
Bad Lippspringe 200 ärztliche
Gutachterinnen und Gutachter
mit Palliativmedizinern, Hospiz­
mitarbeitern und einer Palliativ
Care-Schwester zum gemeinsa­
men Erfahrungsaustausch.
Als Verena starb war sie gerade 16
Jahre alt. „So schwer dieser Moment für uns war, wir waren froh,
dass wir ihn zu Hause erleben
konnten“, sagt ihre Mutter. Verena
hatte einen bösartigen Hirntumor.
Chancen auf Heilung gab es nicht.
„Verena wusste, wie ihre Krank-
Prof. Dr. Friedemann Nauck,
Professor für Palliativmedizin an der
Universität Göttingen
MDK-Forum 2/2008
heit enden würde, und sie hat immer wieder gesagt, dass sie zu
Hause bleiben will“, sagt ihre
Mutter. Dem Wunsch der Patienten auf einen friedlichen Tod, gut
versorgt, in vertrauter Umgebung
und mit vertrauten Menschen
wird längst nicht immer Rechnung getragen.
Rund 80 Prozent der Menschen
sterben in Krankenhäusern oder
Alten- und Pflegeheimen. In vielen Fällen ist ein Sterben in der
vertrauten Umgebung allerdings
nur möglich, wenn eine qualifizierte palliativmedizinische, palliativpflegerische und hospizliche
Versorgung rund um die Uhr gewährleistet ist.
„Betreuen und nicht kurieren“
„Sterben wird im Krankenhaus
als Zwischenfall erlebt, weil es
oft keinen professionellen Umgang mit dem Tod gibt“, sagte
Prof. Dr. Friedemann Nauck,
Professor für Palliativmedizin an
der Universität Göttingen. Als
Bausteine der Palliativversorgung
nannte er die optimale Symptomkontrolle, das Sensibilisieren
für die Bedürfnisse von Sterbenden und Angehörigen, die Kommunikation und die ethische Orientierung. „Eine unangemessene
Versorgung kann schwerwiegende Folgen haben“, meinte Prof.
Nauck, „im schlimmsten Fall ist
sich die Familie nicht bewusst,
dass der Patient sterben wird,
oder er stirbt unter starken
Schmerzen.“ Die Versorgung
müsse dem Grundsatz folgen:
„To care not to cure“, sagte der
34
Palliativexperte. Prof. Nauck begrüßte die neue Richtlinie über
die Spezialisierte Ambulante
Palliativversorgung (SAPVRichtlinie). „Es ist ein großer
Fortschritt, dass Versicherte nun
einen Anspruch darauf haben.“
Ausbildung auf der
Palliativstation
In Deutschland sei die palliative
Versorgung noch lange nicht genügend ausgebaut: „Die Ausbildung von Medizinern und Pflegepersonal auf dem Gebiet ist
ungenügend. Das Angebot hat
sich zwar gebessert, aber es gibt
immer noch starke regionale Unterschiede.“ Als einen idealen
Aus- und Fortbildungsort nannte
Prof. Nauck die Palliativstationen.
Dort könne das gesamte Spektrum der palliativen Behandlung
studiert werden: Von der Symptomkontrolle über die Kommunikation bis zur Ethik und ganzheitlichen Behandlung.
Probleme bei der Forschung
Auch die Forschung auf dem
Gebiet der Palliativmedizin
zeige Probleme auf: „Bisher
kann man nur von einer Erfahrungswissenschaft sprechen.
Empirische Therapiekonzepte
werden gerade erst etabliert“,
sagte Prof. Nauck. Die Forschung müsse sich sowohl methodischen als auch ethischen
Themen stellen. Nur wenig Palliativ-Patienten stellten sich der
Forschung zur Verfügung. Außerdem stelle die Verschlechterung
MDK im Dialog
des Gesundheitszustandes im
Untersuchungszeitraum ein Problem für die Forscher dar. Vergleichbare Daten können so nur
schwer gewonnen werden. Hinzu
komme, so Prof. Nauck, dass die
Patienten zumeist in ihrem Bewusstsein getrübt seien, so dass
sie keine klaren Aussagen geben
könnten.
ne Therapiemöglichkeiten zur
Symptomkontrolle nutzen,
jedoch ihre Grenzen erkennen“,
kommentierte Lübbe den Einsatz moderner Medizin.
Versorgungssituation in
Niedersachsen
Rund 15.000 Menschen benötigen in Niedersachsen palliative
Betreuung, zwischen 70.000 und
80.000 Sterbebegleitung, sagte
Dr. Rolf Holbe, Vorsitzender der
Akademie für Palliativmedizin
bei der Niedersächsischen Ärztekammer. Inzwischen hätten rund
300 Ärztinnen und Ärzte in Niedersachsen die Zusatzbezeichnung „Palliativmedizin“ erworben. Verbesserungspotenzial sah
der Allgemeinmediziner aus
Kreiensen in der Zusammenarbeit
der verschiedenen Berufsgruppen. Ärzte, Pflegedienste, Heime,
Palliativstationen oder Careteams
könnten noch abgestimmter vorgehen, so Dr. Holbe.
Um die Zusammenarbeit ambulanter und stationärer Angebote
geht es auch dem Sozialministe­
rium in Niedersachsen. Die Vernetzung des ambulanten und des
stationären Versorgungsangebotes
innerhalb von Palliativstützpunkten könne als Fundament für eine
Überleitung in das Leistungsspektrum betrachtet werden, das der
Bundesgesetzgeber den so genannten Palliative Care Teams
zugedacht hat, sagte die niedersächsische Sozialministerin
Mechthild Ross-Luttmann
(CDU) in einem Statement.
Trotz struktureller Fortschritte
werde in Zukunft vermehrtes
ehrenamtliches Engagement
notwendig sein: „Denn es sind
insbesondere die ehrenamtlichen
Kräfte, die menschliche Begleitung und Zuwendung geben“,
sagte die Ministerin.
Das Netzwerk Paderborn
Relevanz für die Sozialmedizin
Prof. Dr. Andreas Lübbe, Chefarzt der Palliativstation der
Karl-Hansen-Klinik in Bad
Lippspringe, war maßgeblich beteiligt am Aufbau eines ambulanten Palliativnetzwerkes für
eine typisch ländliche Region.
Im ost-westfälischen Netzwerk
meldet sich der Hausarzt mit
seinem Patienten an und wird
u.a. in der anspruchsvollen Koordinierung der regionalen Versorgungsangebote für Palliativpatienten geschult. Zusätzlich
bilden zwei qualifizierte Palliativmediziner eine ambulante
24-Stundenbereitschaft für kritische Zustände und Situationen.
Den Menschen soll ein würdevolles Sterben zuhause ermöglicht werden. Gezielt nutzen
aber auch die Pallativmediziner
die Vorteile einer Palliativstation: „Würde heisst auch: Moder-
Wichtigster Berührungspunkt
des MDK mit der Palliativversorgung ist die Begutachtung bei
geplanter Hospizunterbringung,
bei der häufig auch eine Pflegebegutachtung nötig ist. Diese
Kombinationsbegutachtung erfordert nicht nur Fachwissen,
sondern eine schnelle, möglichst
tagesgleiche Begutachtung.
Bessere Zusammenarbeit
möglich
In der Abschlussdiskussion in
Westfalen-Lippe waren sich Palliativmediziner, Palliativ CareSchwester, Vertreter des Paderborner Hospizes „Mutter der
Barmherzigkeit“ und MDK einig, dass sich die bisher enge
Kommunikation zwischen Gutachtern und Einrichtung bewährt hat. „Nicht nur eine funktionierende interprofessionelle
Zusammenarbeit von Hausarzt
bzw. Palliativmedizinern, Pflege-
35
Palliativversorgung: Der MDK begutachtet, wenn eine Unterbringung
im Hospiz geplant ist
diensten und Hospizmitarbeitern ist für die Versorgung der
Patienten erforderlich, sondern
auch eine enge Zusammenarbeit
zwischen den Betreuenden,
MDK und Krankenkasse“ resümierte Dr. Ulrich Heine, Ärztlicher Leiter und stellv. Geschäftsführer des MDK Westfalen-Lippe.
Künftig an Bedeutung zunehmen wird die sozialmedizinische
Beratung der Krankenkassen in
Fragen zur Palliativ- und Hospizversorgung. Diese Versorgungsformen gilt es, in die
sozialmedizinische Betrachtung
einzubeziehen, lautete das
Fazit der Fortbildung in Niedersachsen. Ansätze ergeben sich
unter anderem bei der Beurteilung der Rehabilitationsfähigkeit
und Rehabilitationsbedürftigkeit, insbe­sondere von palliativ
versorgten Tumorpatienten oder
bei Fragen zur Erwerbsunfähigkeit während palliativer Erkrankungssituationen.
Martin Dutschek und
Friederike Geisler sind
Mitarbeiter in der
Unternehmenskommunikation
beim MDK Niedersachsen
Dr. med. Martin Rieger
ist Referent für medizinische
Grundsatzangelegenheiten
beim MDK Westfalen-Lippe
E-Mail: [email protected]
MDK-Forum 2/2008
Menschen und Nachrichten
Sucht, Abhängigkeit, exzessives Verhalten –
Zustände und Zuständigkeiten
VER A N S TA LTUNG
Veranstalter: Fachkonferenz der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS)
Termin: 10. - 12. November 2008 in der Stadthalle Bielefeld
Vor vierzig Jahren urteilte das
Bundessozialgericht: Trunksucht
ist Krankheit im Sinne der Reichs­
versicherungsordnung (RVO).
Es beendete einen langen Streit
um die Verantwortung des Einzelnen und die Zuständigkeiten
für die Behandlung. Eine rasante
Entwicklung des Hilfesystems
für Suchtkranke setzte ein. Die
Fachkonferenzen der DHS in
den Jahren 1983 bis 1985 hinterfragten diese stürmische Entwicklung – verbunden mit dem
dramatischen Anstieg des Konsums illegaler Suchtmittel – und
versuchten sie einzuordnen.
sionen neu. Da geht es einerseits
um die verhaltensbezogenen Abhängigkeiten: Steigen sie so rasant
an, wie es die veröffentlichte
Meinung suggeriert? Was ist
krankhaft, was ist der gesellschaft­
lichen Entwicklung geschuldet?
Welche Erwartungen werden
damit verbunden, wenn auf einmal jedes menschliche Verhalten
süchtig entarten kann? Andererseits geht es um die Weiterentwicklung des Suchtmodells und
die Frage, ob die erfolgreiche
Therapie von Alkohol- und Drogenabhängigen auf weitere Störungen übertragen werden kann.
und Störungen in ihren Konsequenzen darzustellen, neue Tendenzen und neues Wissen bewerten und nach Wegen suchen,
wie das Suchthilfe­system auf die
neuen Anforderungen vorzubereiten ist.
Jetzt, ein Vierteljahrhundert
später, beginnen ähnliche Diskus­
Die Tagung will die verhaltensbezogenen Risiken, Probleme
Weitere Informationen unter:
www.dhs.de
Ein wesentlicher Teil dieser
Fachkonferenz ist der Transport
von wissenschaftlich erprobten
Modellen in die Praxis. Dazu
werden die Suchtforschungsverbünde ihre praxisrelevanten Ergebnisse präsentieren und mit
den Praktikern die Umsetzung
diskutieren.
Die Zukunft ist chronisch –
Erwartungen an Systemberatung zur Versorgungsgestaltung
Veranstalter: Kompetenz-Centren der MDK-Gemeinschaft und des Spitzenverbandes Bund
Termin: 17. und 18. November 2008 in Hamburg
VER AN STA LTUN G
Die angemessene medizinische
und pflegerische Versorgung
chronisch kranker Menschen
ist eine der Herausforderungen
für unser Gesundheitssystem.
Die Kompetenz-Centren (KC)
sind Gemeinschaftseinrichtungen des Spitzenverbandes Bund
der Krankenkassen und der
MDK-Gemeinschaft. Sie beraten
die Verbände der Kranken- und
Pflegekassen in Fragen zu Versorgungsstrukturen, -management und -konzeptionen.
Auf ihrer dritten gemeinsamen
Präsentationsveranstaltung im
November 2008 wollen die
Kompetenz-Centren ausführlich
über ihre Systemberatungsleistungen zur Gestaltung der Versorgung von chronisch Kranken
berichten.
MDK-Forum 2/2008
17.11.2008: Plenum
• Einführung in die System­
beratungsaufgaben der Medizinischen Dienste
• Präventive Hausbesuche im Alter
• Krebs – eine chronische Erkrankung
• Neue Vergütungsformen
in der Versorgung chronisch
psychisch Kranker
• Chronische Wirbelsäulen­
erkrankungen
18.11.2008: Workshops der KC
•K
C Geriatrie: Bedarf an datengestützten Steuerungsmöglichkeiten in der GKV. Stand
und Perspektiven am Beispiel
der Geriatrie
•K
C Onkologie: Klinische Studien in der Onkologie, Verbes-
36
serung der Strukturen bei
der Versorgung onkologischer
Patienten
•K
C Psychiatrie und Psycho­
therapie: Stationäre psycho­
somatische Therapie – Chancen, Möglichkeiten und
Grenzen von Akuttherapie
und Rehabilitation
• KC Qualitätssicherung/Quali­
tätsmanagement: Good
Governance in der Qualitätspolitik – Voraussetzung für die
Nach­haltigkeit von Versorgungs­
konzeptionen?
Informationen/Anmeldung:
KC Geriatrie beim MDK Nord
Telefon: 040/25169 – 491
E-Mail: [email protected]
Internet: www.kcgeriatrie.de
Impressum
MDK-Forum · Das Magazin
der Medizinischen Dienste der
Krankenversicherung
Herausgeber:
Medizinischer Dienst
des Spitzen­verbandes
Bund der Krankenkassen e. V.
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Redaktion:
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Namentlich gekennzeichnete
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37
MDK-Forum 2/2008
Die Medizinischen Dienste
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Bayern
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Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 2
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Telefax: 0228 3077-160
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E-Mail: [email protected]
Berlin-Brandenburg
Rheinland-Pfalz
Knappschaft
MDK Berlin-Brandenburg e. V.
Konrad-Wolf-Allee 1-3 TH III
14480 Potsdam
Telefon: 0331 50567-0
Telefax: 0331 50567-11
Geschäftsführer: Dr. Rolf Matthesius
E-Mail: [email protected]
MDK Rheinland-Pfalz
Albiger Straße 19d
55232 Alzey
Telefon: 06731 486-0
Telefax: 06731 486-270
Geschäftsführer: Dr. Gundo Zieres
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Pieperstraße 14-18
44789 Bochum
Telefon: 0234 304-0
Telefax: 0234 304-8004
Geschäftsführer: Dr. Georg Greve
E-Mail: [email protected]
Bremen
Saarland
MDS e. V.
MDK im Lande Bremen
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Dudweiler Landstraße 5
66123 Saarbrücken
Telefon: 0681 93667-0
Telefax: 0681 93667-33
Geschäftsführer: Dr. Gerhard Minkenberg
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Lützowstraße 53
45141 Essen
Telefon: 0201 8327-0
Telefax: 0201 8327-100
Geschäftsführer: Dr. Peter Pick
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Hessen
Sachsen
MDK Hessen
Zimmersmühlenweg 23
61440 Oberursel
Telefon: 06171 634-00
Telefax: 06171 634-555
Komm. Geschäftsführer: Dr. Gert von Mittelstaedt
E-Mail: [email protected]
MDK im Freistaat Sachsen e. V.
Bürohaus Mitte – Am Schießhaus 1
01067 Dresden
Telefon: 0351 4985-30
Telefax: 0351 4963157
Geschäftsführer: Dr. Ulf Sengebusch
E-Mail: [email protected]
Mecklenburg-Vorpommern
Sachsen-Anhalt
MDK Mecklenburg-Vorpommern e. V.
Lessingstraße 31
19059 Schwerin
Telefon: 0385 7440-100
Telefax: 0385 7440-199
Geschäftsführer: Dr. Karl-Friedrich Wenz
E-Mail: [email protected]
MDK Sachsen-Anhalt e. V.
Allee-Center, Breiter Weg 19c
39104 Magdeburg
Telefon: 0391 5661-0
Telefax: 0391 5661-160
Geschäftsführer: Rudolf Sickel
E-Mail: [email protected]
Niedersachsen
Thüringen
MDK Niedersachsen
Hildesheimer Str. 202
30519 Hannover
Telefon: 0511 8785-0
Telefax: 0511 8785-91001
Geschäftsführer: Jürgen Vespermann
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MDK Thüringen e. V.
Richard-Wagner-Straße 2a
99423 Weimar
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Telefax: 03643 553-120
Geschäftsführer: Kai-Uwe Herber
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