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Kasimir und Karoline
Ein Volksstück
von Ödön von Horváth
KAROLINE: (vor sich hin) Man hat halt oft so eine Sehnsucht
in sich — aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen
Flügeln und das Leben geht weiter, als wär’ man nie dabei
gewesen —
(Aus: Ödön von Horváth, »Kasimir und Karoline«)
Anuschka Herbst (Karoline)
Kasimir und Karoline
Ein Volksstück
von Ödön von Horváth
Inszenierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . László Bagossy
Bühnenbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Levente Bagossy
Kostüme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Renáta Balogh
Musikalisches Arrangement . . . . . . . . . . Dietrich Lutz
Pianist und Erzähler . . . . . . . . . . . . . . . . Dietrich Lutz
Kasimir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marcus Michalski
Karoline . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anuschka Herbst
Merkl Franz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . André Scioblowski
Dem Merkl Franz seine Erna . . . . Julianna Herzberg
Schürzinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Robert Kerbler
Speer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelius Nieden
Rauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Max Rossmer
Elli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nadine Balbach
Maria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefani Matkovic
Sanitäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicolai Kaufmann
Juanita, das Affenmädchen . . . . . Julianna Herzberg
Ein Liliputaner . . . . . . . . . . . . . . . . André Scioblowski
Stimme u. Beine des Liliputaners . . . Nadine Balbach
Der Mann mit d. Bulldoggkopf . . . . Marcus Michalski
Die Frau mit Bart . . . . . . . . . . . . . . . Stefani Matkovic
Die dicke Dame . . . . . . . . . . . . . . . . Nicolai Kaufmann
Das kurzsichtige Mädchen . . . . . . . . . . Mike Michelus
Mann mit dem Durchblick . . . . . . . . . Florian Dehmel
Zuschauer, Orchester, Festzeltbesucher
und Schauplatzwechsel / Umbauten . . . Das Ensemble
Regieassistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Dehmel
Kostümassistenz . . . . . Helga Flory, Gabriele Wilsing
Hospitanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tatjana Witeke
Redaktion Programmheft . . . . . . . . Stefan Kirchknopf
Grafikdesign Programmheft . . . . . . . Klaus H. Pfeiffer
Probenfotos . . . . Stefan Kirchknopf, Klaus H. Pfeiffer
Technische Leitung . . . . . . . . . . . . . . . . Stephen Crane
Technik . . . . . . . . . . . . . Jochen Kunze, Mike Michelus,
. . . . . . . . . . . . . . . . Gernot Richter, Daniel Winkenbach
Schauplatz: Das Münchner Oktoberfest.
Premiere am 5. Juli 2008.
Dauer der Aufführung: 1 Std. 45 Min. (keine Pause).
Die Aufführungsrechte liegen beim Thomas Sessler
Verlag, Wien. Musik: Hans Gál / Mathias Spohr.
Eine Ballade über die Liebe in ökonomisch rauer Zeit, »von
stiller Trauer, gemildert von Humor« — so Ödön von Horváth.
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An solchen Tagen wachte er meistens mit einem eigentümlichen Gefühl hinter der Stirne auf. Es tat nicht weh,
ja es war gar nicht so häßlich, es war eigentlich nichts.
Das einzig Unangenehme dabei war ein gewisser Luftzug,
als stünde ein Ventilator über ihm. Das waren die Flügel der
Verblödung.
(Aus: Ödön von Horváth, »Der ewige Spießer«)
Robert Kerbler (Schürzinger),
Anuschka Herbst (Karoline),
Max Rossmer (Rauch)
und Cornelius Nieden (Speer)
László Bagossy
Levente Bagossy
Regisseur
Bühnenbildner
Geboren 1967 in Dombóvár (Ungarn).
Nach seinem Abitur studierte er zunächst Literaturund Kunstgeschichte, dann von 1990 bis 1995 Theaterregie an der Hochschule für Theater- und Filmkunst in
der Klasse von Gábor Székely.
Seit 1995 arbeitet er als freischaffender Regisseur in
Städten wie Szolnok, Nyíregyháza, Kecskemét, Tatabánya, Eger, Pécs, Szeged, Budapest und Stuttgart.
László Bagossy hat ein besonderes Interesse an der dramatischen Literatur des deutschen Sprachraumes, er
inszenierte unter anderem Stücke von Bernhard (u. a.
»Der Theatermacher« und »Ritter, Dene, Voss«), Brecht
(»Die Dreigroschenoper«), Schimmelpfennig (»Die arabische Nacht«), Keun (»Das kunstseidene Mädchen«)
und Widmer (»Top Dogs« — diese Inszenierung am Katona József Theater war im Theater tri-bühne während
SETT 2004 zu Gast). Horváths »Kasimir und Karoline«
ist das jüngste Beispiel für dieses besondere Interesse.
László Bagossy ist einer der gefragtesten Regisseure seiner Heimat, mehrere seiner Regiearbeiten sind
preisgekrönt. Zuletzt 2007 die Uraufführung von János
Téreys »Tafelmusik« am Miklós Rádnóty Theater in
Budapest.
Wie sein Bruder László arbeitet Levente Bagossy an
den wichtigsten Theatern Ungarns, wo seine szenographischen Lösungen Aufsehen und die Anerkennung der
Fachwelt erregen.
In Zusammenarbeit mit seinem Bruder entstanden bereits mehrere sehenswerte »vierhändige« Theaterproduktionen.
Wichtige Arbeiten: Molières »Der Bürger als Edelmann« am Vig Theater Budapest, die Bearbeitung Kafkas »Der Prozess« am Katona József Theater Budapest
in der Inszenierung von Viktor Bodó, die mittlerweile
in vielen Ländern Europas Beifall erhielt, sowie die
ebenfalls vielgereisten »Top Togs« von Urs Widmer am
Katona József Theater Budapest in der Regie von László Bagossy.
Levente Bagossy erhielt für seine Bühnenbilder mehrere nationale und internationale Preise. Zuletzt wurde
er auf dem Ungarischen Theatertreffen 2008 für das
»beste Bühnenbild« ausgezeichnet.
Am Theater tri-bühne hat Levente Bagossy die Bühnenbilder für die Inszenierungen seines Bruders von
»Avatare« (Ensemble) und »Kasimir und Karoline«
(Ödön von Horváth) entworfen.
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Renáta Balogh
Kostümbildnerin
Sie hat ihre Studien an der Budapester Universität für
Kunsthandwerk 2005 beendet, aber schon zwei Jahre
zuvor arbeitete sie regelmäßig an bekannten ungarischen Bühnen als Kostümbildnerin, so zum Beispiel bei
der Produktion »Picassos Abenteuer« von Alfredson-Danielsson am Pesti Theater in Budapest, oder, ein Jahr
später bei der Inszenierung »Die bitteren Tränen der
Petra von Kant« von Fassbinder am Magyar Theater,
ebenfalls in Budapest. Schnell wurde man auf sie auch
im Ausland aufmerksam, so war sie 2007 am Teatr Polski im polnischen Bielsko Biala bei der Inszenierung
von »Intercity« von Igor Sebo, Regie Robert Talarczyk
dabei. Die beiden wichtigsten Stationen ihrer noch jungen künstlerischen Laufbahn waren jedoch sicherlich
die Inszenierungen des ebenfalls noch jungen, aber
schon europaweit gefragten ungarischen Regisseurs
Viktor Bodó, »Alice im Wunderland« von Lewis Carroll
sowie »Das Schloss« nach Kafka am Schauspielhaus
Graz. »Kasimir und Karoline« von Ödön von Horváth
ist ihre Debut-Arbeit in Deutschland.
Robert Kerbler (Schürzinger)
und Anuschka Herbst (Karoline)
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KASIMIR: Ein jeder intelligente Mensch ist ein Pessimist.
(Aus: Ödön von Horváth, »Kasimir und Karoline«)
Anuschka Herbst (Karoline)
und Marcus Michalski (Kasimir)
Prägnantes Sinnbild
Wenn Ödön von Horváth in seinem »Volksstück« Kasimir
und Karoline (1932) — als männliche Hälfte seines Titelpaars, das auf dem Münchner Oktoberfest schmerzvoll
auseinander bricht — just einen soeben arbeitslos gewordenen firmenherrschaftlichen Chauffeur ins dramatische
Treffen schickt, entwirft er ein prägnantes Sinnbild.
Teils vor den äußeren, teils vor den inneren Augen des
Publikums entfaltet es eine paradoxe, aber geläufige
Situation. Es ist die eines stattlichen Automobils, beherrscht und gemeistert vom fachmännischen Fahrer,
der prominent vorn am Lenkrad das Fahrzeug steuert, beschleunigt, bremst — wogegen, unauffällig hinten im Fond, vom eigentlichen Herrn des Wagens plus
Chauffeur alle Befehlsgewalt ausgeht: ob und weshalb gefahren wird, auf welchen Wegen, zu welchem
Ziel. Und eben dieser unscheinbare Hintersasse bestimmt denn auch, wie lange dieser Chauffeur überhaupt noch für ihn fahren darf; wann er ihn früher
oder später hinausschmeißt auf die Straße, arbeitslos
und unmotorisiert.
In dieser Lage, heraus- und aufgeschmissen, befindet
sich jetzt Horváths Kasimir. Und sie schärft sich ihm
noch ein, gellend und grell, wenn hier auf der Oktoberwiese, gleich neben ihm, die Achterbahn ihre geschienten Schleifen durchrast.
Austro-Daimler ADR Sport Cabriolet (1930) — ein Pkw
der Oberklasse.
Und das, wie zum Hohn: ohne ersichtlichen Wagenlenker. Rauf und runter, scheinbar unaufhaltsam, so wie
Kasimirs eigene Lebenslaufbahn, dabei voll besetzt
mit lustvoll kreischenden Fahrgästen. Unter ihnen die
wankelmütige Karoline, voilà, mit einem vorhin erst
angelachten Beisitzer …
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(Aus: Volker Klotz, »Bürgerliches Lachtheater«,
S. 254 f, Heidelberg 2007)
EIN LILIPUTANER: Wenn man bedenkt, wie weit wir Menschen es schon gebracht haben.
(Aus: Ödön von Horváth, »Kasimir und Karoline«)
André Scioblowski (Ein Liliputaner)
Der totale Jargon
Ödön von Horváth, die Kleinbürger und die Sprache.
»Ich wurde in Fiume geboren, bin in Belgrad, Budapest, Gewerbetreibende, Handwerker, kleine Kaufleute, BüPreßburg, Wien und München aufgewachsen und habe ei- roangestellte und Sekretärinnen bevölkern also Hornen ungarischen Paß.«
váths Bühnen- und Romanmilieus. Sie wollen sich
— sofern sie es nicht schon aufgegeben haben und abgerutscht sind — im sozialen Dickicht behaupten. Aber
der Weg zu einem menschenwürdigen Dasein ist ihnen
verbaut, weil das Fundament, auf dem sie sich bewegen, brüchig ist: »Ohne Treu’, ohne Glauben, ohne sittliche Grundsätze.
Alles wackelt, nichts steht mehr fest. Reif für die Sintflut ( … )«, heißt es in den anekdotischen »Geschichten
aus dem Wiener Wald« (1931).
Gezeichnet von Inflation und Krieg, führen die Gestalten daher ein Leben in einer »verkehrten Welt«. Ein oft
tragikomisch-gespenstisches: »Das Leben geht weiter,
und man ist gar nicht dabeigewesen.« (»Kasimir und
Karoline«, 1932)
Aus der Bahn geworfen
Und ein manchmal anarchisch-tobsüchtiges: »Das Blut
Gleichwohl, dieser »hin und her«, von Land zu Land rann mit dem Bier zusammen, und die Ordner schaffgetriebene literarische Geist hatte bei aller äußeren ten Leichen aus dem Saal. Es war sehr gemütlich.« So
Unstetigkeit doch ein konstantes soziologisches Ter- eine Szenerie des Münchener Oktoberfestes im nachrain. Es ist das durch die politischen, sozialen und öko- gelassenen Romanfragment »Charlotte. Roman einer
nomischen Erschütterungen der Zeit nach dem Ersten Kellnerin« (1926–28). Nicht nur ironisch, sondern sarWeltkrieg aus der gewohnten Bahn geworfene, das für kastisch wird hier die »Gemütlichkeit« gebrochen. »Alle
ihn »maßgebende«, weil »für unsere Zeit bezeichnende« meine Stücke sind komisch, weil sie unheimlich sind«,
Kleinbürgertum.
schreibt Horváth.
Mit diesen Lebenskoordinaten der Heimatlosigkeit
hatte Ödön von Horváth vielen seiner Zeitgenossen
einiges voraus: Länder- und Sprachgrenzen zogen ihn
magisch an, Chauvinismus war ihm fremd. Er fand seine Heimat, wo immer er weilte: »Es ist gleichgültig, ob
wir den Sieg oder auch nur die Beachtung unserer Arbeit erfahren, es ist völlig gleichgültig, solange unsere
Arbeit der Wahrheit und Gerechtigkeit geweiht bleibt.
Solange gehen wir auch nicht unter, solange werden
wir immer Freunde haben und immer eine Heimat,
überall eine Heimat; denn wir tragen sie mit uns — unsere Heimat ist der Geist.«
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SANITÄTER: Ein schöner Saustall sowas! Deutsche gegen
Deutsche!
(Aus: Ödön von Horváth, »Kasimir und Karoline«)
Anuschka Herbst (Karoline), Max Rossmer (Rauch)
und Ensemble (Festzeltbesucher)
Autobiographische Notiz
(auf Bestellung)
Geboren bin ich am 9. Dezember 1901, und zwar in Fiume
an der Adria, nachmittags um dreiviertelfünf (nach einer
anderen Überlieferung um halbfünf).
Als ich zweiunddreißig Pfund wog, verließ ich Fiume,
trieb mich teils in Venedig und teils auf dem Balkan
herum und erlebte allerhand, u. a. die Ermordung S. M.
des Königs Alexanders von Serbien samt seiner Ehehälfte. Als ich 1,20 Meter hoch wurde, zog ich nach
Budapest und lebte dort bis 1,21 Meter. War dortselbst
ein eifriger Besucher zahlreicher Kinderspielplätze
und fiel durch mein verträumtes und boshaftes Wesen unliebenswert auf. Bei einer ungefähren Höhe
von 1,52 erwachte in mir der Eros, aber vorerst ohne
mir irgendwelche besondere Scherereien zu bereiten —
(meine Liebe zur Politik war damals bereits ziemlich
vorhanden).
Mein Interesse für Kunst, insbesondere für die schöne
Literatur, regte sich relativ spät (bei einer Höhe von
rund 1,70), aber erst ab 1,79 war es ein Drang, zwar kein
unwiderstehlicher, jedoch immerhin. Als der Weltkrieg
ausbrach, war ich bereits 1,67 und als er dann aufhörte bereits 1,80 (ich schoß im Krieg sehr rasch empor).
Mit 1,69 hatte ich mein erstes ausgesprochen sexuelles
Erlebnis — und heute, wo ich längst aufgehört habe zu
wachsen (1,84), denke ich mit einer sanften Wehmut an
jene ahnungsschwangeren Tage zurück.
Heut geh ich ja nurmehr in die Breite — aber hierüber
kann ich Ihnen noch nichts mitteilen, denn ich bin mir
halt noch zu nah.
Ödön von Horváth
Und die Leute werden sagen / In fernen blauen Tagen /
Wird es einmal recht / Was falsch ist und was echt
Was falsch ist, wird verkommen / Obwohl es heut regiert. /
Was echt ist, das soll kommen — / Obwohl es heut krepiert.
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(Das letzte Gedicht Ödön von Horváths,
am 1.6.1938 in seiner Jackentasche gefunden)
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