Faktor VIII als Ursache für Hämophilie und Thrombophilie?

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© 2003
Editorial
Schattauer GmbH
Faktor VIII als Ursache für Hämophilie
und Thrombophilie?
D
ie Hämophilie A war eine der ersten genetischen Erkrankungen, für
die Molekularbiologen auf der
ganzen Welt vor etwa 20 Jahren begannen,
die molekularen Ursachen aufzuklären.
Das Ziel war, die der Erkrankung zugrundeliegenden Veränderungen zu identifizieren und herauszufinden, warum manche
Patienten behandlungsbedingt Antikörper
entwickeln und andere nicht. Schon in den
ersten Jahren der Forschung stellte sich
heraus, dass Hämophilie A durch viele unterschiedliche Mutationen ausgelöst werden kann, deren Auffindung arbeits- und
zeitaufwändig war. Doch dies wurde eher
als Herausforderung denn als Entmutigung
aufgefasst und hatte zur Folge, dass sich
weltweit Konsortien zusammenschlossen,
um die Ursachenfindung in Kooperation zu
betreiben.
Auch innerhalb der Gesellschaft für
Thrombose- und Hämostaseforschung e.V.
(GTH) etablierte sich ein Konsortium zur
Aufklärung der Mutationen bei deutschen
und österreichischen Hämophilie-A-Patienten. Geklärt werden sollte unter anderem, welchen Veränderungen sich bei
dieser Patientenpopulation finden, in welchen Regionen des Faktor-VIII-Gens die
Mutationen lokalisiert sind, welche mit Inhibitorbildung assoziiert sind, bzw. welche
Mutationen welche Antikörper auslösen.
Erst die methodischen Fortschritte im vergangenen Jahrzehnt machten ein solches
Projekt durchführbar. Das Konsortium hat
seit seiner Gründung viele Daten gesammelt und es ist sehr erfreulich, dass wichtige
Erkenntnisse zum Verständnis der Erkrankung durch die Arbeit des Konsortiums
beigetragen werden konnten. Die ersten
fünf der in dieser Ausgabe der Hämostaseologie präsentierten Beiträge von Uen et
al., Oldenburg et al., Albert et al., Krebs et
al. und Brackmann et al. geben uns einen
guten Überblick über die Arbeit, die von
Mitgliedern des Konsortiums geleistet wurde, und tragen dazu bei, alle GTH-Mitglieder und alle GTH-Kongressteilnehmer mit
dem aktuellen Wissensstand betreffend
Hämophilie A und Faktor VIII zu versorgen.
Aus den Beiträgen von Uen et al. und
Oldenburg et al. ist herauszulesen, dass es
sich bei Hämophilie A zwar um eine
„monogenetische“ Erkrankung handelt,
dass aber sowohl die Mutation als auch
modulierende Effekte das klinische Erscheinungsbild beeinflussen.
Schon die ersten Ergebnisse in den
Hämophilie A Mutationsdatenbanken zeigten, dass es Patienten mit identischen
Mutationen gab, die unterschiedliche Faktor-VIII-Konzentrationen aufwiesen und
schwer oder weniger schwer bluteten.
Diese Beobachtungen waren lange Zeit
rätselhaft und führten zu intensiven Diskussionen. Unter anderem wurde die Frage
aufgeworfen, ob vielleicht neben dem Faktor-VIII-Gen noch andere Gene und Genprodukte die Hämophlie A beeinflussen
könnten, denn damals waren Gen-GenInteraktionen bzw. der Einfluss von modulierenden exogenen Faktoren bei Hämophilie A noch nicht belegt.
Erst gegen Ende der 1990er Jahre wurde
mehr und mehr klar, dass man das Blutgerinnungssystem als Gesamtheit pro- und
antikoagulatorischer Prozesse betrachten
muss. Auch bei so genannten klassischen
Hämophilien kann die Präsenz von thrombophilen Risikofaktoren das klinische Bild
beeinflussen. Der Beitrag von NowakGöttl et al. beleuchtet dieses wichtige
Thema.
Doch die Diskussion um die Funktionen
des Faktors VIII wäre nicht komplett,
würde man nicht die neuen Erkenntnisse
über seine Rolle bei allen Formen der
Thrombophilie ansprechen. Bis vor wenigen Jahren ging man davon aus, dass die
Hämostaseologie 1/2003
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Editorial
Regulation der Faktor-VIII-Plasmakonzentration nicht sehr genau sein müsste, solange sicher gestellt war, dass eine Mindestmenge an Faktor VIII im Plama vorhanden war. Inzwischen weist alles darauf hin,
dass man diese Annahme revidieren muss.
Erstmalig wurde Mitte der 1990er Jahre in
verschiedenen Publikationen gezeigt, dass
hohe Faktor-VIII-Plasmakonzentrationen
sich negativ auswirken, da sie zu einer Überaktivität im Gerinnungssystem führen und
mit einer erhöhten Neigung für arterielle
Thrombosen assoziiert sind. Bald wurde
klar, dass hohe Faktor-VIII-Spiegel auch
zum venösen Thromboserisiko beitragen
und vor allem das Rezidivrisiko signifikant
erhöhen. Der Beitrag von P. A. Kyrle diskutiert diese Funktionen des Faktor VIII.
Aktuell sind die molekulargenetischen Ursachen für hohe Faktor-VIII-Konzentration
unklar, obwohl die Heredität und der genetische Hintergrund durch mehrere Studien
gesichert sind.
Die Rolle des Faktors VIII als Risikofaktor für Thrombose und Thromboserezi-
div führt dazu, dass weit häufiger als bisher
die Bestimmung von Faktor VIII im Messbereich von 150-250% durchgeführt wird,
was den Einsatz von Labortests, die eine
zuverlässige Bestimmung hoher Plasmaspiegel ermöglichen, notwendig macht. Die
Faktor-VIII-Bestimmung könnte in der
Zukunft auch die Grundlage für Entscheidungen über die Dauer der Antikoagulanzientherapie werden. Allerdings sind die
Ergebnisse prospektiver Studien noch ausständig.
Die Tatsache, dass eine hohe FaktorVIII-Konzentration das Thromboserisiko
erhöht, könnte auch Konsequenzen für die
Gentherapie haben, da eine vollständig
unregulierte Expression von Faktor VIII
negative Folgen haben könnte. Neue Vektormodelle werden wohl eine regulierte
Expression von Faktor VIII ermöglichen
müssen.
Die Erkenntnisse der vergangenen Jahre
unterstreichen die Komplexität des Gerinnungssystems und die multifaktorielle
Rolle der Hämostasefaktoren. Diese Viel-
falt wurde schon vor Jahren von Univ. Prof.
Dr. Klaus Lechner erkannt. Er sah frühzeitig, dass die Hämostaseologie ein Forschungsgebiet voller Herausforderungen
ist und widmete daher einen großen Teil
seines wissenschaftlichen Schaffens der
Hämostaseforschung. Lechner erkannte
die wissenschaftlichen Trends in der Hämostaseologie sehr häufig als einer der ersten
und prägte mit seinen Beiträgen und
Beiträgen seiner Arbeitsgruppe das Fachgebiet nachhaltig.
Diese Ausgabe der Hämostaseologie reflektiert inhaltlich wesentliche wissenschaftliche Schwerpunkte von Lechners
Schaffen. Ich möchte mir daher erlauben,
ihm anlässlich seiner Emeritierung von der
Universität Wien im Oktober 2002 dieses
Heft zu widmen und wünsche ihm noch
viele produktive Jahre.
Ch. Mannhalter, Wien
Hämostaseologie 1/2003
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