Können Quanten rechnen?

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Können Quanten rechnen?
Quanteninformatik – Einführung in die Grundprinzipien
Teil 1: Grundbegriffe der Quantenphysik
von Peter Bussemer
Um die Grundzüge des Rechnens mithilfe von
Quanten als eine Anwendung der Quantenphysik und
die Grundlagen des interdisziplinären Forschungsgebiets Quanteninformatik zu verstehen, werden in dieser Artikelserie zunächst die wesentlichen Begriffe der
Quantentheorie entwickelt. Anschließend wird das
Quantenbit definiert und auf die Besonderheiten des
reversiblen Rechnens eingegangen; auch werden einige
Ein- und Zweibit-Operationen vorgestellt. Ein einfacher Quantenalgorithmus zeigt (in der Reduktion der
Rechenzeit gegenüber klassischen Algorithmen) den
Vorteil der Nutzung quantentheoretischer Phänomene
wie Überlagerung und Verschränkung. Die neuen Möglichkeiten bei der Chiffrierung (Quantenkryptografie)
und der Nachrichtenübertragung (Quantenteleportation) werden diskutiert, ebenso der Entwicklungsstand
der Quantenhardware.
Physik und Informatik
Die modernen Computer, die die logischen Operationen mittels Silizium-Chips realisieren, arbeiten auf
der Grundlage der Gesetze der klassischen Physik
(Mechanik, Elektrodynamik, Thermodynamik). In den
letzten Jahrzehnten hat sich ihre Leistungsfähigkeit
nach dem sogenannten Moore’schen Gesetz ständig
verbessert, mit dem behauptet wird, dass sich die Anzahl der auf einem Chip integrierten Transistoren alle
zwei Jahre verdoppelt (inzwischen geht man von anderthalb Jahren aus). Dieses exponentielle Wachstum
ist mit einer starken Miniaturisierung der Rechnerkomponenten verbunden, sodass in absehbarer Zeit
Strukturen von einer charakteristischen Breite von
etwa 10 nm, etwa 100 Atomen entsprechend, notwendig
werden. Damit gelangt man in den Bereich der Nanotechnologie, wo bereits die in der Mikrowelt geltenden
Gesetze der Quantentheorie zu berücksichtigen sind.
Die in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts von Werner Heisenberg, Erwin Schrödinger, Paul
Dirac und anderen entwickelte Quantenmechanik bedient sich zur Beschreibung des physikalischen Verhaltens der Mikroobjekte (Quanten) einer im Gegensatz
zur anschaulichen Newton’schen Mechanik recht ab-
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strakten mathematischen Sprache. Dennoch hat ihre
Anwendung bereits zu technischen Errungenschaften
wie Transistor, Laser u. a. geführt, die in Geräten wie
PC, CD, DVD und Mobiltelefon alltagstauglich geworden sind.
Auch in der Rechentechnik und Informatik gibt es
seit den Achtzigerjahren Bemühungen, die eigenartigen Gesetzmäßigkeiten des Quantenverhaltens für den
Rechenprozess selbst zu nutzen – beginnend mit einem
Vortrag des amerikanischen Physikers Richard Feynman (1918–1988) unter dem Titel There’s Plenty of
Room at the Bottom (1959), wo er die Frage stellte,
warum wir nicht alle 24 Bände der Encyclopædia Britannica auf eine Nadelspitze schreiben können, wo
doch übergenug Platz vorhanden sei (Bild 1). In seinem
Artikel Simulating Physics with Computers (1982), der
häufig als Geburtsstunde des Quantencomputers angesehen wird, stellte Feynman fest, dass es extrem
schwierig ist, quantenmechanische Systeme auf klassischen Computern zu berechnen. Als Ausweg überlegte
er, ob nicht eventuell jedes beliebige quantenmechanische System von einer Maschine simuliert werden könne, die selbst auf quantenmechanischen Prinzipien beruht.
Seither wird auf den Gebieten des Quantenrechnens
und der Quanteninformatik eine intensive Forschung betrieben, die bereits zu ersten Implementationen kleiner
Prototypen von Quantenrechnern geführt hat. Die klassischen Bits mit den logischen Werten 0 und 1 werden
durch Quantenbits (Qubits) ersetzt, die einen Überlagerungszustand der klassischen Bits darstellen und ein
prinzipiell paralleles Rechnen (Quantenparallelismus)
ermöglichen. Zum Verständnis der Besonderheiten des
Quantenverhaltens wird (im vorliegenden ersten Teil
dieser Beitragsserie) ein Graphenmodell mittels Adjazenzmatrizen analysiert, wobei der Übergang vom klassisch-deterministischen zum quantentheoretisch-proba-
Bild 1:
Richard P. Feynman: ,,Es ist noch
viel Platz da unten“
(1959).
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bilistischen Verhalten mit der Möglichkeit von Interferenzeffekten erfolgt. Diese Überlagerungen (Superpositionen) verknüpfen die Qubits miteinander. Die zur Ausführung von Algorithmen notwendigen Rechenschritte
werden durch unitäre (reversible) Operatoren (sogenannte Quantengatter) ausgeführt, die im Wesentlichen
mit Ein- und Zwei-Bit-Operationen auskommen. Eine
wichtige Rolle spielen die verschränkten Zustände, die
die beiden Bits korrelieren lassen und in der klassischen
Physik kein Analogon besitzen.
Die Analyse eines einfachen Quantenalgorithmus
zum Auffinden einer Boole’schen Funktion zeigt den
Vorteil solcher Superpositionen gegenüber klassischen
Algorithmen, der bei komplizierteren Problemen so
beträchtlich werden kann, dass beispielsweise bisher
als sicher betrachtete Chiffriermethoden sich künftig
als unsicher erweisen könnten, worüber im dritten Teil
dieses Collegs berichtet werden soll.
Systeme der klassischen Physik
Um die Besonderheiten quantenmechanischer Systeme zu verstehen, gehen wir zunächst von einem klassischen System aus, das durch ein deterministisches Verhalten charakterisiert ist. Im nächsten Schritt modifizieren wir das System durch den Übergang zu einem
nicht-deterministischen Verhalten, indem wir den Zustandsübergängen reelle Zahlen als Wahrscheinlichkeiten zuordnen. Erst die Zulassung komplexer Zahlen
führt zur Beschreibung echten Quantenverhaltens, mit
den Effekten von Überlagerung und Interferenz – entsprechend dem Wellencharakter der Quantenteilchen.
Klassische deterministische Systeme
Wir gehen von einem Graphen aus, einer in der Informatik häufig vorkommenden mathematischen Struktur,
bestehend aus einer Menge von Punkten (,,Knoten“) und
einer Menge von Verbindungslinien (,,Kanten“). Auf die
Kanten setzen wir Spielsteine, die schrittweise (,,Klick“)
verschoben werden können, und definieren damit die
Dynamik des Systems. Der Anfangszustand wird durch
einen Spaltenvektor x festgelegt, der angibt, wie viele
Steine sich auf welchem Knoten befinden.
Beispiel: x = (6, 2, 1)T bedeutet, dass sich 6 Steine auf
dem ersten Knoten befinden, 2 auf dem zweiten usw.
Die Topologie des Graphen wird durch eine Adjazenzmatrix M erfasst (auch Nachbarschaftsmatrix genannt),
deren Elemente Mij = 1 sind, falls eine gerichtete Kante
(Pfeil) von Knoten j nach Knoten i zeigt, andernfalls ist
Mij = 0. Wendet man M auf den Anfangszustand x an, so
ergibt sich ein neuer Zustand y = Mx, entsprechend einer Verschiebung der Spielsteine mit einem Klick. Das
System geht vom Zustand x zur Zeit t in den Folgezustand y zum Zeitpunkt t + 1 über. Anwendung von M
auf y liefert den zweiten Folgezustand zu x, nämlich z =
My = (M ⴢ M)x = M2x. Das heißt: Das Quadrat der Matrix M gibt den Systemzustand nach zwei Zeitschritten
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(bei t + 2) an. Die Matrixelemente von M2 sind nur
dann ≠ 0, wenn ein durchgehender Weg (,,Pfad“) der
Länge 2 von j nach i existiert. Entsprechend muss es für
k Schritte einen Pfad der Länge k geben.
Klassische stochastische Systeme
Um die Besonderheiten des quantentheoretischen
Verhaltens zu verstehen, verlassen wir zunächst unsere
klassische Systembeschreibung noch nicht, berücksichtigen jedoch die Möglichkeit zufälligen Verhaltens.
Während bei einem deterministischen System von einem bestimmten Knoten stets nur ein Pfeil ausgeht,
der eindeutig den Nachfolgerknoten festlegt, verwenden wir jetzt gewichtete Graphen, bei denen die Pfeile
mit reellen Zahlen zwischen 0 und 1 bewertet werden.
Diese Zahlen geben die Übergangswahrscheinlichkeiten dafür an, dass ein Spielstein vom Knoten j zum
Knoten i verschoben wird.
Beispiel: Graph mit drei Knoten i = 0, 1, 2. Die Adjazenzmatrix lautet:
⎛ 0 1⁄6 5⁄6⎞
⎟
⎜
M = ⎜1⁄3 1⁄2 1⁄6⎟ ,
⎜2⁄ 1⁄3 0 ⎟
⎠
⎝ 3
wobei etwa M01 = 1/6 bedeutet, dass der Übergang vom
Knoten 1 zum Knoten 0 mit der Wahrscheinlichkeit 1/6
erfolgt. Wegen der Normierung der Wahrscheinlichkeiten müssen in M sowohl die Spalten- als auch die Zeilensummen = 1 sein (doppelt-stochastische Matrix).
Der Anfangszustand x wird jetzt durch die Angabe der
Wahrscheinlichkeit p beschrieben, mit der sich ein Spielstein an einem bestimmten Knoten befindet (Aufenthaltswahrscheinlichkeit). Ist beispielsweise x = (1/6, 1/6, 2/3)T,
so befindet sich der Stein mit p = 1/6 am Knoten Nr. 0 usw.
Für beliebige Zustandsvektoren muss die Summe der
Komponenten = 1 sein, da sich der Stein auf irgendeinem
der Knoten befindet (sicheres Ereignis). Nach Anwendung von M ergibt sich der neue Zustand y (zum Zeitpunkt t + 1):
y = Mx = (21/36, 9/36, 6/36)T.
Kehrt man die Pfeilrichtungen im Graphen um, so
wird der Rückwärtsprozess von t nach t – 1 beschrieben. Hierzu sind in der Adjazenzmatrix M die Zeilen
und Spalten zu vertauschen, d. h. man bildet die transponierte Matrix MT. Bei zeitinvarianten Systemen sind
die Prozesse reversibel, weshalb die Kombination von
M und MT zum Ausgangszustand zurückführt:
M ⴢ MT = M T ⴢ M = E
mit E als Einheitsmatrix. Die transponierte Matrix MT
ist somit hier gleich der inversen Matrix M–1. Analog
zu vorher bedeutet das Quadrat M ⴢ M = M2 die Ausführung von zwei Zeitschritten. Das Matrixelement
M2ij gibt die Wahrscheinlichkeit dafür an, in 2 Schritten
vom Knoten j zum Knoten i zu gelangen.
Beispiel (klassisches stochastisches Billardspiel): Eine
Kugel kann sich auf 4 Knoten bewegen, wobei die mögFortsetzung übernächste Seite
99
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Vor mehr als dreihundert Jahren schuf Isaac Newton (1643–1727) mit der Aufstellung seiner Bewegungsgesetze für feste Körper und mit seiner Gravitationstheorie die Grundlagen dessen, was wir heute
als klassische Physik bezeichnen. Mehr als zweihundert Jahre hat das von ihm geprägte naturwissenschaftliche Weltbild unangefochten Gültigkeit besessen. Der Erfolg dieser Theorie für die Beschreibung
von Bewegungen, insbesondere der von Himmelskörpern, führte Newton wohl dazu, auch das Verhalten des Lichts im Sinne von Teilchen, also festen
(kleinen) Gegenständen, zu verstehen. Man sieht ja,
dass Lichtstrahlen sich geradlinig fortpflanzen und
dass Licht von einem Spiegel in ganz ähnlicher Weise
abprallt wie ein Ball von einer harten Wand. Mit seiner Korpuskulartheorie des Lichts konnte Newton
eine Reihe optischer Phänomene bis hin zur Brechung von Lichtstrahlen widerspruchsfrei erklären.
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Einstein: ,,Gott würfelt nicht.“
Bohr: ,,Sie behaupten also, Gottes Handeln zu kennen?“
Newton:
Licht als Teilchenstrom.
Huyghens:
Licht als Wellenfront.
Und doch gab es bereits zu Newtons Zeiten eine
andere Erklärung. Der niederländische Physiker und
Mathematiker Christiaan Huyghens (1629–1695)
entwickelte die Vorstellung, dass Licht aus Stoßwellen besteht, die mit endlicher Geschwindigkeit durch
den Äther laufen. Den Äther dachte er sich homogen und aus winzigen elastischen Partikeln bestehend. Jedes angeregte Ätherpartikel ist Ausgangspunkt einer schwachen Elementarwelle; diese zusammen ergeben durch Überlagerung die tatsächliche
Lichtwellenfront (Huyghens’sches Prinzip). Die Wellentheorie erklärte Beugung und Brechung ebenso
gut wie die Korpuskulartheorie, doch nahm sie im
achtzehnten Jahrhundert (außer Leonhard Euler)
kaum jemand ernst. Erst zu Beginn des neunzehnten
Jahrhunderts stellten der Engländer Thomas Young
(1733–1829) und der Franzose Augustin Fresnel
(1788–1827) neue Experimente an, die zur Wellentheorie des Lichts führten, wobei als Trägermedium
(nach wie vor) ein hypothetischer Äther diente. Als
es dem schottischen Physiker James Clerk Maxwell
(1831–1879) gelang, die Natur des Lichts auf die wellenförmig sich ausbreitenden Änderungen elektrischer und magnetischer Felder zurückzuführen und
damit die Synthese von Optik und Elektrizitätslehre
herzustellen, war der Triumph der Wellentheorie des
100
Lichts vollendet. Die Entdeckung von Radiowellen
durch Heinrich Hertz (1857–1894) um 1887 führte
dann zu dem uns vertrauten theoretischen System
der Elektrodynamik und der
elektromagnetischen Wellen.
Gleichzeitig formte sich im
neunzehnten Jahrhundert – gegen vielfältige philosophische
Einwände – der Begriff des
Atoms und Moleküls heraus.
Die kinetische Gastheorie Ludwig Boltzmanns (1844–1906)
und die Erklärung der Brown’
schen
Molekularbewegung
durch atomare Stöße mit PolLudwig Boltzmann.
lenkörnern durch Albert Einstein (1879–1955) im Jahr 1905 erhärteten das Bild
vom atomaren Aufbau der Materie.
Als man nun zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts versuchte, die Gesetze der klassischen Physik
auf den atomaren Bereich zu übertragen, gelangte
man zu Ergebnissen,
die im Widerspruch
zur Erfahrung standen. Dies erkannte
man beispielsweise
bei der Anwendung
der Elektrodynamik
auf das experimentell
gut bestätigte Ruther- Heinrich Hertz und
ford’sche Atommodell, James Clerk Maxwell.
wonach das Atom
nach Art eines Planetensystems aus einem Kern und
einer Anzahl von diesen umkreisenden Elektronen
besteht. Letztere müssten bei dieser Bewegung kontinuierlich elektromagnetische Wellen aussenden
und dadurch Energie verlieren, sodass sie schließlich
in den Kern stürzen würden; danach gäbe es also keine stabilen Atome. Ebenso hatte es sich als unmöglich erwiesen, die Absorption und Emission von
Strahlung durch die Atome nach der klassischen
Physik in Übereinstimmung mit der Erfahrung zu erklären. Max Planck (1858–1947), ein im tiefsten Innern konservativer Physiker, machte anlässlich des
Rätsels der Hohlraumstrahlung die revolutionäre
Annahme, dass Energie ,,gequantelt“, d. h. nur bestimmter diskreter Werte fähig sei. ,,In einer Art von
Verzweiflung muss er wohl diesen Schluss der Quantelung des Lichtfeldes gezogen haben, der in krassem
Widerspruch zur elektromagnetischen Feldtheorie
von kontinuierlichen und magnetischen Feldern
stand. Die Annahme führte in der Tat auf die verworfene Korpuskulartheorie des Lichtes von Newton zurück“ (Lüth, 2009, S. 2).
Max Planck schuf die Bezeichnung Quanten, die
dem ganzen späteren Gebiet der Quantenphysik den
Namen gab. Aus dem vergeblichen Bemühen, die
Rutherford’sche Atomtheorie einerseits und die
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Von der klassischen Physik zur Quantenphysik
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Planck’sche Quantenhypothese
klassischen Physik in Einklang
Bohr (1885–1962) im Jahr 1913
mare Erscheinungen außerhalb
andererseits mit der
zu bringen, zog Niels
den Schluss, dass atodes Zuständigkeitsbereichs der klassischen Physik lägen und initiierte
mit dem Bohr’
schen Atommodell
eine neue Theorie.
Er
postulierte,
dass keine Energieänderung einMax Planck.
tritt, solange ein
sich bewegendes Elektron innerhalb der gleichen Schale bleibt; nur beim Sprung von einer Schale in die andere trete eine diskontinuierliche Energieänderung auf.
Der Formalismus der Quantentheorie wurde Ende
der Zwanzigerjahre des vorigen Jahrhunderts vor allem von Werner Heisenberg, Max Born, Pascual
Jordan, P. A. M. Dirac, Wolfgang Pauli und Erwin
Schrödinger gefunden. (Davon im nächsten Teil dieser
Beitragsserie mehr.) Das Verständnis der neuen Theorie bereitete jedoch von Anfang an außerordentliche
Schwierigkeiten, da das Verhalten atomarer Objekte
mit unseren gewöhnlichen Vorstellungen unvereinbar
ist. Die Welt der Quanten ist so merkwürdig, dass sogar Albert Einstein sie unverständlich fand und sich
lichen Pfeile durch folgende stochastische Matrix gegeben sind:
⎛0
⎜1
M = ⎜⎜ ⁄2
⎜1⁄2
⎜0
⎝
0 ⎞⎟
1
0 0 ⁄2⎟ .
0 0 1⁄2⎟⎟
1⁄2 1⁄2 0 ⎟
⎠
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weigerte, ihre sämtlichen Implikationen anzuerkennen.
Während die Quantenphysik ursprünglich
als eine Theorie zum
Verständnis der atomaren Welt konzipiert
war, hat sich mittlerNiels Bohr.
weile
herausgestellt,
dass sie universelle Bedeutung für das Verständnis
der ganzen uns umgebenden Welt hat – bis hin zu
kosmologischen Fragestellungen. Im Verhältnis zur
klassischen Physik ergeben sich zwei Aspekte:
䉯 Einerseits werden alle materiellen Objekte als aus
Atomen zusammengesetzt gedacht, die der Quantentheorie gehorchen. Erwartungsgemäß ist daher
die klassische Physik der Grenzfall der Quantenphysik für den makroskopischen Bereich.
䉯 Andererseits ist die Quantenphysik ohne die klassische Physik undenkbar. Denn die Messungen,
Grundelemente jeder physikalischen Theorie, lassen sich in der Quantenphysik allein nicht beschreiben: Jedes Messinstrument muss, um als solches überhaupt wirksam zu sein, klassische Eigenschaften haben.
Red.
Quantensysteme
1⁄2 1⁄2
Befindet sich die Billardkugel im Anfangszustand genau am Knoten 0, so lautet der Anfangsvektor x = (1, 0,
0, 0)T. Nach einem Zeitschritt ergibt sich der Vektor y =
Ax = (0, 1⁄2, 1⁄2, 0)T, nach 2 Schritten z = Ay = (A ⴢ A)y =
A2y = (1⁄2, 0, 0, 1⁄2)T. Ein dritter Schritt führt wieder zu y
zurück: A3x = y, d. h. die Kugel pendelt zwischen den
Knoten 1, 2 und 0, 3 hin und her, ohne jemals den Anfangszustand wieder zu erreichen.
Bild 2a, b:
Billard (a) und Quantenbillard (b) sind verschieden.
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Haben wir bisher die Kanten unseres Graphen mit
klassischen Wahrscheinlichkeiten, d. h. reellen Zahlen p
zwischen 0 und 1 gewichtet, so gehen wir jetzt einen
Schritt weiter und bewerten die Verbindungspfeile mit
komplexen Zahlen c. Um eine Interpretation als Wahrscheinlichkeiten zu ermöglichen, soll deren Betragsquadrat |c|2 =1 sein.
Komplexe Wahrscheinlichkeiten
Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass sich
reelle und komplexe Wahrscheinlichkeiten hinsichtlich
der Addition unterscheiden: Addiert man reelle Zahlen
p, q zwischen 0 und 1, so ist ihre Summe stets größer als
die Einzelwerte: p + q > p und p + q > q. Addiert man
jedoch zwei komplexe Zahlen c und d, so ist das Betragsquadrat ihrer Summe |c + d|2 nicht immer größer
als |c|2 oder |d|2; ja es kann auch kleiner oder Null sein.
Physikalisch entspricht das dem Phänomen der Interferenz, die im Doppelbild der Quantenobjekte den Wellenaspekt erfasst.
Als Beispiel gestalten wir unser stochastisches Billardspiel zu einem Quantenbillard um, indem wir die
Adjazenzmatrix A durch den Eintrag auch negativer
Werte (als Spezialfall komplexer Werte) etwas abändern:
101
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⎛
⎜ 0
⎜ 1
A = ⎜ √⎯⎯21
⎜ √⎯⎯2
⎜ 0
⎝
1
⎯√⎯2
1
⎯√⎯2
0
0
0
0
−
1
⎯⎯2
√
1
⎯√⎯2
0 ⎞⎟
⎟
⎟ .
⎟
0 ⎟⎠
1
√⎯2
⎯
1
⎯⎯2
√
−
Bildet man das Betragsquadrat der einzelnen Matrixelemente, so erhält man die frühere Adjazenzmatrix des
klassischen stochastischen Billardspiels.
Geht man von dem früheren Anfangsvektor x = (1, 0,
0, 0)T aus, so ist der Zustandsvektor nach einem Zeitschritt y = Ax = (0, 1/⎯√⎯2 , 1/⎯√⎯2 , 0)T, entsprechend dem
klassischen Spiel, wenn man die Quadrate der Vektorkomponenten als Wahrscheinlichkeiten interpretiert.
Nach zwei Schritten ergibt sich der Zustand z = Ay =
A2x = (1, 0, 0, 0)T = x, also wieder der Anfangszustand x
– in deutlichem Unterschied zum klassischen Fall, wo
das Spiel nie wieder zum Anfangszustand zurückführte.
Der Grund besteht darin, dass die in zwei Schritten zu
den Knoten 1, 2, 3 führenden Pfade sich durch Interferenz auslöschen.
Adjazenzmatrizen in der Quantentheorie müssen
zeitlich reversible Prozesse beschreiben, was durch unitäre Matrizen U geschieht. Anstelle der früheren transponierten Matrix benötigt man jetzt die adjungierte Matrix A†, die aus der transponierten Matrix durch die zusätzliche Bildung der konjugiert-komplexen Matrixelemente erhalten wird: A†jk = Akj*, wobei das Sternsymbol die Bildung des Konjugiert-Komplexen bedeutet.
Für unitäre Matrizen U gilt: U† ⴢ U = U ⴢ U† = E (Einheitsmatrix). Bedeutet die Anwendung das Operators U
die Ausführung eines Zeitschritts von t nach t + 1, so ergibt die adjungierte Matrix U† analog dazu einen Schritt
zurück von t nach t – 1. Die Nacheinander-Anwendung
beider führt zum Ausgangszustand zurück, was der Anwendung der Einheitsmatrix als neutralem Element bei
der Matrizenmultiplikation entspricht.
beitung macht ein Quantencomputer gewissermaßen
,,von selbst“ (sog. Quantenparallelismus).
Die Messung eines Quantenzustands geschieht durch
den Messprozess. Hierbei wird der ursprüngliche Überlagerungszustand zerstört (daher ist der Messprozess
selbst irreversibel – er kann nicht durch einen unitären
Operator beschrieben werden und ist im Gebäude der
Quantentheorie eigentlich ein Fremdkörper).
Grundprinzipien des Quantenrechnens
Als Grundprinzipien des Rechnens mithilfe von Quanten können deshalb die folgenden vier genannt werden:
1. Die Arbeitszustände des Computers (Anfangszustand, Zwischenzustände, Endzustand) werden durch
Zustandsvektoren mit komplexen Werten ihrer Komponenten gegeben, wobei die Summe der Betragsquadrate 1 ergibt (Normierungsbedingung).
2. Die Dynamik (zeitliche Entwicklung des Systems)
wird durch die Anwendung unitärer Operatoren auf
die Zustandsvektoren beschrieben. Sie ist zeitlich
umkehrbar (reversibel).
3. Die (Aufenthalts-)Wahrscheinlichkeiten werden
durch die Betragsquadrate komplexer Zahlen gegeben.
4. Quantenzustände können einander überlagern (Superpositionsprinzip), d. h. das physikalische System
kann gleichzeitig in mehr als einem Zustand sein.
(wird fortgesetzt)
Prof. Dr. Peter Bussemer
Berufsakademie Gera
Weg der Freundschaft 4a
07546 Gera
E-Mail: [email protected]
Quantentheoretische Interpretation des Zustandsvektors
Ein n-dimensionaler Zustandsvektor x = (c0, c1, ...,
cn–1)T mit den komplexen Komponenten ci wird so interpretiert, dass das komplexe Betragsquadrat |ci|2 die
Wahrscheinlichkeit angibt, mit der sich das Quantenobjekt im Zustand i befindet (Aufenthaltswahrscheinlichkeit). Deshalb muss die Summe der Betragsquadrate
gleich 1 sein (Normierungsbedingung). Im Gegensatz
zum klassisch-probabilistischen Modell befindet sich
das Quantenobjekt jedoch gleichzeitig (simultan) mit
diesen Wahrscheinlichkeiten in allen möglichen (unendlich vielen) Zuständen, d. h. im Zustand einer Überlagerung (Superposition) der Grundzustände (Basisvektoren des Zustandsraums).
Diese Überlagerung macht den wesentlichen Unterschied zwischen einem klassischen und einem Quantenrechner aus: Ein klassischer Computer befindet sich
zu einem festen Zeitpunkt nur in einem einzigen Zustand. Würde er zu diesem Zeitpunkt in verschiedene
Zustände versetzt, so hätte man im Prinzip eine Parallelverarbeitung realisiert (im Gegensatz zu einer sequenziellen Verarbeitung). Eine solche Parallelverar-
102
Literatur und Internetquellen
Feynman, R. P.: There’s Plenty of Room at the Bottom (29.12.1959).
http://www.zyvex.com/nanotech/feynman.html
[zuletzt geprüft: 4. Januar 2010]
Feynman, R. P.: Simulating Physics with Computers. In: International
Journal of Theoretical Physics, 21. Jg. (1982), H. 6/7, S. 467–468.
http://www.scribd.com/doc/15268103/Simulating-Physics-with-Compu
ters-by-Richard-Feynman
[zuletzt geprüft: 4. Januar 2010]
Gribbin, J.: Auf der Suche nach Schrödingers Katze – Quantenphysik
und Wirklichkeit. München, Zürich: Piper, 72009.
Hey, A. J. G. (Hrsg.): Feynman and Computation. Boulder (CO, USA):
Westview Press, 2002.
Homeister, M.: Quantum Computing verstehen. Wiesbaden: Vieweg, 2005.
Lüth, H.: Quantenphysik in der Nanowelt – Schrödingers Katze bei den
Zwergen. Berlin, Heidelberg: Springer, 2009.
Stolze, J.; Suter, D.: Quantum Computing. Weinheim: Wiley, 2004.
Yanofsky, N. S.; Manucci, M. A.: Quantum Computing for Computer
Scientists. Cambridge (MA, USA): Cambridge University Press, 2008.
LOG IN Heft Nr. 160/161 (2009)
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Können Quanten rechnen?
Quanteninformatik – Einführung in die Grundprinzipien
Teil 2: Komponenten von Quantencomputern
von Peter Bussemer
Im ersten Teil dieses Collegs wurde (zum Verständnis der Besonderheiten des Quantenverhaltens) ein
Graphenmodell mittels Adjazenzmatrizen analysiert,
bei dem der Übergang vom klassisch-deterministischen
zum quantentheoretisch-probabilistischen Verhalten
(mit der Möglichkeit von Interferenzeffekten) erfolgt.
Im vorliegenden Beitrag werden die Komponenten von
Quantencomputern (Quantenregister und Quantengatter) vorgestellt.
eine Ziffer (0 oder 1) rechnerintern durch genau 1 Bit
(Abkürzung von binary digit) im Speicher codiert wird.
Ein Bit wird physikalisch durch zwei Zustände (Spannungspegel) realisiert (vgl. Müller, 2008, S. 77). Wichtig
ist, dass ein klassisches System entweder im Zustand 0
oder im Zustand 1 sein kann, jedoch nicht gleichzeitig
in beiden (Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten der
klassischen Logik).
Quantenbits
Bits und Quantenbits
Nahezu alle der heute eingesetzten Computerarchitekturen unterscheiden intern genau zwei Logikzustände und stellen Zahlen daher durchweg im Binärsystem
dar. Jede positive ganze Zahl kann damit umkehrbar
eindeutig im Speicher repräsentiert werden, indem
Ein Qubit (Abkürzung von quantum bit) kann prinzipiell durch jedes quantenphysikalische System realisiert werden, das sich mittels zweier Zustände beschreiben lässt (Zwei-Niveau-System). Die Zustände
bezeichnen wir mit 兩0典 und 兩1典 (gesprochen ,,Ket“, siehe
Kasten ,,Diracs Bra-Ket-Notation“, nächste Seite). Sie
können als zueinander orthogonale Einheitsvektoren
im zweidimensionalen komplexen Vektorraum ⺓2 dargestellt werden:
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bloch_sphere.svg
⎛ ⎞
⎛ ⎞
(1) 兩0典 entspricht ⎜1⎟ und 兩1典 entspricht ⎜0⎟ .
0
⎝1⎠
⎝ ⎠
Der entscheidende Unterschied zu klassischen Computern besteht darin, dass auch jede Linearkombination dieser Basisvektoren einen Zustand des Qubits darstellt; er wird als Überlagerung (Superposition) bezeichnet. Es ist also
(2) 兩␺典 = c0 兩0典 + c1 兩1典 = c0 (1, 0)T + c1 (0, 1)T
mit komplexen Koeffizienten c0 und c1, die einer Normierungsbedingung genügen:
(3) 兩c0兩2 + 兩c1兩2 = 1.
Bild 1: Bloch-Kugel (sphärische Polarkoordinaten).
LOG IN Heft Nr. 162 (2010)
Während es bei einem klassischen Bit möglich ist, zu
untersuchen, ob es im Zustand 0 oder 1 ist, kann bei einem Qubit der Quantenzustand (d. h. die Koeffizienten
c0 und c1) nicht bestimmt werden. Die reelle Zahl 兩c0兩2
ist vielmehr die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich das
System nach einer Messung im Zustand 兩0典 befindet,
und 兩c1兩2 die Wahrscheinlichkeit für den Zustand 兩1典;
man nennt c0 und c1 daher auch Wahrscheinlichkeitsamplituden. Der Messprozess ändert also den Zustand
des Systems: Es geht von 兩␺典 = c0 兩0典 + c1 兩1典 in 兩0典 oder
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Diracs Bra-Ket-Notation
Von Paul A. M. Dirac
(1902–1984), einem der
Mitschöpfer der Quantentheorie, stammt eine eingängige Schreibweise für
Quantenzustände mit dem
seltsamen Namen ,,BraKet-Notation“, deren Vorteil u. a. darin besteht, dass
sie invariant gegenüber Koordinatentransformationen
ist. Sie ist nicht nur in der
Quantentheorie, sondern in
der Linearen Algebra ganz
allgemein verwendbar (siePaul Dirac führte die
he Sadun, 2001, S. 153 ff.).
Bra-Ket-Schreibweise ein.
Sind x und y Spaltenvektoren im n-dimensionalen
reellen Vektoraum ⺢n, so wird die Zahl
nem ,,Ket“ 兩 y典 auffassen. Die Menge der Zeilenvektoren x* = (x1*, x2*, …, xn*) mit konjugiert-komplexen Komponenten lässt sich übrigens mit dem zu ⺓n
dualen Raum ⺓n* identifizieren.
Fasst man den Spaltenvektor x als (n, 1)-Matrix
und yT als (1, n)-Matrix auf, so kann man das Matrizenprodukt xyT bilden; es ist eine (n, n)-Matrix und
wird als dyadisches Produkt der Vektoren x und y bezeichnet. In Dirac-Notation schreibt man
(3) 兩x典具y兩 = xyT.
⎛ ⎞
Beispiel: x = ⎜x1⎟
x
⎝ 2⎠
⎛ ⎞
y = ⎜y1⎟
y
⎝ 2⎠
⎞
⎛
兩x典具y兩 = xyT = ⎜ x1y1 x1y2 ⎟
⎝ x2y1 x2y1 ⎠
(1) 具x 兩 y典 = xTy = x1y1 + x2y2 + … + xnyn
als Skalarprodukt oder inneres Produkt von x und y
bezeichnet. Diese Definition geht auf Hermann
Grassmann (1809–1877) zurück, der sie in seiner
Ausdehnungslehre von 1862 als Gegensatz zur ,,äußeren Multiplikation“ einführte. Zuweilen findet man
auch die Schreibweise x ⴢ y (engl.: dot product). Die
Verwendung der spitzen Klammern wurde von Dirac
vorgeschlagen, weil sie sich leicht auf andere lineare
Räume erweitern lässt.
Im komplexen Vektorraum ⺓n wird das innere
Produkt mithilfe des Konjugiert-Komplexen gebildet:
Es gilt, wie man leicht nachrechnet,
(4) (兩x典具y兩)z = 兩x典(具y兩z典),
d. h. der ,,Ket-Bra“ oder ,,Schmetterling“ 兩x典具y兩 , angewandt auf einen Vektor z, ist ein Vielfaches von x
bzw. 兩x典. Das dyadische Produkt ist übrigens nicht mit
dem direkten oder Tensorprodukt zu verwechseln;
letzteres macht aus zwei Vektoren im Kn einen Vektor im K2n.
(2) 具x 兩 y典 = x*Ty = x1*y1 + x2*y2 + … + xn*yn.
Literatur
Die Klammer (engl.: bracket) in Gleichung (2)
lässt sich somit als Produkt eines ,,Bra“ 具x 兩 mit ei-
Sadun, L.: Applied Linear Algebra. Upper Saddle River (N. J.): Prentice Hall, 2001.
兩1典 über; die gesamte in 兩␺典 steckende Information ist
damit verloren. Obwohl der Zustand eines Qubits also
nicht bestimmbar ist, ist es dennoch real, da sein Verhalten in Experimenten beobachtet werden kann.
Jeder solche Zustand 兩␺典 lässt sich wegen (3) im dreidimensionalen euklidischen Raum als Punkt auf der
Einheitskugel – hier nach dem Physiker Felix Bloch
(1905–1983) auch Bloch-Kugel genannt – darstellen.
Seine Position ist durch die geografische Breite ␪ und
Länge ␸ gegeben (siehe auch Bild 1, vorige Seite):
(4) 兩␺典 = cos(␪) 兩0典 + ei␸ sin(␪) 兩1典.
Rechenoperationen mit einem Qubit entsprechen
Rotationen des Zustandsvektors 兩␺典, d. h. dessen Spitze
bewegt sich auf der Bloch-Kugel ähnlich der Fahrt eines Schiffes auf der Erdkugel. Jeder Vektor 兩␺典 kann
durch eine unitäre Rotation auf der Bloch-Kugel aus
dem Vektor 兩0典 gewonnen werden.
66
Quantenregister
Ein Quantenregister der Länge n setzt sich aus n ⱖ 1
Qubits zusammen; es lässt sich durch einen Punkt
(Ortsvektor) im komplexen Vektorraum der Dimension N = 2n darstellen. Die N Grundzustände bzw. Basisvektoren können mittels k = 0, 1, …, N–1 durchnummeriert werden; der Zahl k entspricht das Bitmuster
k0k1…kn–1 (Binärdarstellung von k).
Im Fall n = 2 geht es um Zwei-Qubit-Register; sie lassen sich mittels der vier Paare 00, 01, 10, 11 darstellen,
wobei jedem ein Basisvektor im Raum ⺓4 entspricht:
00
01
10
11
↔ e0 = (1, 0, 0, 0)T,
↔ e1 = (0, 1, 0, 0)T,
↔ e2 = (0, 0, 1, 0)T,
↔ e3 = (0, 0, 0, 1)T.
LOG IN Heft Nr. 162 (2010)
COLLEG
In der Dirac-Notation schreiben wir statt 兩e0典 einfach
兩00典, was bedeutet, dass sich sowohl das erste als auch
das zweite Qubit im Zustand 兩0典 befindet, entsprechend
für 兩11典. Dagegen bedeutet der Ket 兩10典, dass sich das
erste Qubit im Zustand 兩1典, das zweite jedoch im Zustand 兩0典 befindet, und umgekehrt für 兩01典. Man beachte, dass es auf die Reihenfolge der Qubits (bzw. Messungen) ankommt, denn es ist 兩10典 ⬆ 兩01典. Der allgemeine Überlagerungszustand lautet jetzt
(4) 兩␺典 = c0 兩00典 + c1 兩01典 + c2 兩10典 + c3 兩11典
= c0 (1, 0, 0, 0)T + c1 (0, 1, 0, 0)T + c2 (0, 0, 1, 0)T
+ c3 (0, 0, 0, 1)T.
Es handelt sich also um einen Vektor (c0, c1, c2, c3)T
im ⺓4, wobei die komplexen Koordinaten (Amplituden) der Normierungsbedingung ⌺兩ci兩2 = 1 genügen.
Wie beim einzelnen Qubit treten bei einer Messung die
Resultate 00, 01, 10, 11 mit der Wahrscheinlichkeit 兩ci兩2
(i = 0, 1, 2, 3) auf. Es ist auch möglich, nur eines der beiden Qubits zu messen; die Wahrscheinlichkeit dafür,
z. B. beim ersten Qubit den Wert 0 zu messen, ergibt
sich zu 兩c0兩2 + 兩c1兩2.
Der Raum ⺓4 wird auch als Tensorprodukt ⺓2 䊟 ⺓2 bezeichnet; das Produkt zweier Vektoren x, y aus ⺓2 ist x 䊟 y
= (x1y1, x1y2, x2y1, x2y2) und somit Element des Raums
⺓4. Folgende Schreibweisen sind üblich:
(5) 兩0典 䊟 兩0典 = 兩0典兩0典 = 兩00典
und entsprechend für 01, 10, 11. Ein beliebiger Zustandsvektor im ⺓N stellt sich wie folgt dar:
(6) 兩␺典 = c0 兩0典 + c1 兩1典 + … + ck 兩k典 + … + cN–1 兩N–1典
= c0 兩0…000典 + c1 兩0…001典 + c2 兩0…010典
+ c3 兩0…011典 + … + cN–1 兩11…1典
= c0 兩(1, 0, …, 0)T典 + c1 兩(0, 1, …, 0)T典 + …
+ ck 兩(0, …, 1, …, 0)T典 + … + cN–1 兩(0, 0, …, 1)T典,
wobei die Eins im Basisvektor an der Stelle k steht
(und sonst nur Nullen vorhanden sind).
Schaltelemente (Gatter)
Klassische Gatter
Die grundlegenden Schaltungen in Computern folgen den Gesetzen der Boole’schen Algebra (Schaltalgebra). Boole’sche (binäre) Variablen a, b mit Werten
aus {0, 1} werden mit den Logikgattern NOT (Negation), AND (Konjunktion) und OR (Disjunktion) verknüpft. Damit lassen sich beliebige Rechenoperationen
(als Hardware sind das binäre Schaltkreise) realisieren.
Mathematisch handelt es sich um Boole’sche Funktionen f: {0, 1}n → {0, 1}m.
Die NOT-Operation bewirkt eine Negation der logischen Werte: 0 → 1, 1 → 0; die zugehörige Matrix N (als
Operator im zweidimensionalen Vektorraum) lautet:
⎛
⎞
N=⎜0 1⎟
⎝1 0⎠
LOG IN Heft Nr. 162 (2010)
denn N(1, 0)T = (0, 1)T und N(0, 1)T = (1, 0)T. Beim logischen UND werden zwei Eingabebits auf ein Ausgabebit abgebildet; die Zuordnungsvorschrift für Bitmuster lautet: 00 → 0, 01 → 0, 10 → 0, 11 → 1. Daher ist die
zugehörige Matrix A rechteckig, mit zwei Zeilen (für
das Ausgabebit) und vier Spalten (für die beiden Eingabebits):
⎞
⎛
A=⎜1 1 1 0⎟
⎝0 0 0 1⎠
etwa A(0, 0, 0, 1)T = (0, 1)T. Das Konstruktionsprinzip
dieser Matrix lautet: In die Spalten schreibe man die
möglichen Kombinationen für die Eingaben, in die Zeilen entsprechend für die Ausgaben. In den Kreuzungspunkt der j-ten Spalte mit der i-ten Zeile wird eine 1
eingetragen, wenn die Wertetabelle eine 1 liefert – andernfalls eine 0. Analog folgt für die Matrix O der Disjunktion (nicht-ausschließendes ODER) aufgrund der
Zuordnungsvorschrift 00 → 0, 01 → 1, 10 → 1, 11 → 1:
⎞
⎛
O=⎜1 0 0 0⎟
0
1
1
1
⎠
⎝
Quantengatter
Ein Quantengatter (engl.: quantum gate) ist ein Operator, der auf Quantenregister wirkt, d. h. den Zustand
des Quantenregisters in einen neuen Zustand überführt. In der Quantenmechanik sind alle Prozesse umkehrbar (reversibel) – außer dem Vorgang der Messung, der nicht rückgängig gemacht werden kann. Die
zugehörigen Transformationen müssen daher invertierbar sein und zudem die Orthogonalität der Zustände
erhalten. Wie wir früher (in Teil 1 dieses Collegs: Bussemer, 2009) gesehen haben, erfüllen gerade unitäre
Matrizen U diese Forderung: U† ⴢ U = E (Einheitsmatrix).
Die NOT-Operation ist umkehrbar, da die zweifache
Anwendung der Matrix N wieder auf den Ausgangszustand zurückführt: N ⴢ N = E (,,doppelte Verneinung ist
Bejahung“). Dagegen sind die anderen Operationen
der Boole’schen Algebra nicht umkehrbar (wie an den
Zuordnungsvorschriften oder Matrizen leicht zu erkennen, siehe oben).
Bei seinen Untersuchungen zu den physikalischen
Prinzipien des (klassischen) Rechnens in den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts fand Rolf Landauer
(1927–1999) heraus, dass fast alle Rechenoperationen
im Prinzip ohne Energieverluste (Wärmeentwicklung
durch Dissipation) durchgeführt werden können (Landauer-Prinzip) – im scheinbaren Widerspruch zum gegenwärtigen Entwicklungsstand der Computer, bei denen die Reduktion bzw. Ableitung der beträchtlichen
Prozesswärme eines der wichtigsten Entwicklungsziele
ist. Der einzige Prozess, der auch im idealen Fall Wärme
verbraucht, ist der Vorgang des Löschens von Daten, da
er irreversibel ist. Um den Rechenprozess theoretisch
verlustfrei zu führen, ist es daher notwendig, ausschließlich invertierbare Gatter vom Typ NOT o. Ä. zu
verwenden und auf nicht-invertierbare Bauelemente
wie AND und OR zu verzichten.
67
COLLEG
⎛1
⎜
CNOT = ⎜ 0
⎜0
⎝0
Baum, K.: Harte Nüsse - Verschlüsselungsverfahren und wie man sie knackt.
Mainz, 2006 (Antrittsvorlesung), Folie 31
Der Grundtyp eines invertierbaren Zwei-Bit-Gatters
ist die gesteuerte Negation, abgekürzt mit CNOT (controlled NOT, von engl.: to control = steuern). Sie verarbeitet 2 Eingabebits a, b. Das erste Bit, das Steuerbit
(engl.: control bit) a, wird nicht geändert, während das
zweite Bit, das Ergebnisbit (oder Zielbit, engl.: target
bit) b, die XOR-Verknüpfung (Addition modulo 2)
durchführt. Die Zuordnungsvorschrift von CNOT lautet damit: 00 → 00, 01 → 01, 10 → 11, 11 → 10. Ist der
Wert des Steuerbits a = 0, so behält b seinen Wert (d. h.
er wird unverändert weitergeleitet). Ist dagegen a = 1,
wird b gemäß der Negation NOT geändert. Somit steuert das a-Bit die Rechenoperation; als Matrix schreibt
sie sich wie folgt:
0
0
0
1
0⎞
0⎟
⎟
1⎟
0⎠
Zweimalige Anwendung ergibt den Ausgangszustand: CNOT ⴢ CNOT = E; daher handelt es sich um einen unitären Operator.
Im Schaltsymbol (siehe Bild 2) werden Qubits durch
horizontale Linien (Drähte) dargestellt; Operatoren,
die auf die Qubits wirken, liegen darüber. Zeitlich parallele Operationen werden untereinander dargestellt.
Beim klassischen Rechnen sind diese Operationen voneinander unabhängig, während sie beim Quantenrechnen dagegen (stark) korreliert sein können (sogenannte Verschränkung; engl.: entanglement, siehe Bild 3).
Eine wichtige Matrix für Rechenoperationen auf
Qubits ist die Hadamard-Matrix
⎛ 1
H = ⎜ √⎯⎯21
⎝ √⎯⎯2
1
√⎯2
⎯
−1
⎯⎯2
√
⎞
1 ⎛1 1⎞
⎟ =
√⎯2 ⎜⎝ 1 −1 ⎟⎠
⎯
⎠
mit H2 = E (nach dem französischen Mathematiker
Jacques Hadamard, siehe Bild 4).
Bild 4 (rechts):
Nach Jacques Hadamard (1865–1963)
ist eine wichtige
Transformation benannt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Jacques_Hadamard
Bild 2:
Schaltsymbol der gesteuerten Negation (CNOT).
0
1
0
0
Bild 5 (unten):
Wirkung der
Hadamard-Matrix.
Bild 3: Verschränkung und Dekohärenz (vgl. auch
,,Exkurs: Schrödingers Katze und Bertlmanns
Socken“, S. 70 ff.).
68
LOG IN Heft Nr. 162 (2010)
COLLEG
Wendet man H auf die Grundzustände (Basisvektoren)
兩0典 und 兩1典 an, so ergibt sich je eine Linearkombination
beider:
H 兩0典 = H (1, 0)T = 1/√⎯⎯2 (1, 1)T = 1/√⎯⎯2 ((1, 0)T + (0, 1)T)
= (兩0典 + 兩1典) / √⎯⎯2
H 兩1典 = H (0, 1)T = 1/√⎯⎯2 (1, –1)T = 1/√⎯⎯2 ((1, 0)T – (0, 1)T)
= (兩0典 – 兩1典) / √⎯⎯2 .
Die Anwendung von H ist geometrisch eine Spiegelung an der Nullpunktsgeraden im Winkel von 22,5º gegen die Horizontale (siehe Bild 5, vorige Seite). Es entstehen dabei zwei Überlagerungszustände 兩+典 = H 兩0典
und 兩–典 = H 兩1典, die wieder eine Orthonormalbasis des
⺓2 (die sogenannte Hadamard-Basis) bilden. H bewirkt
also eine Basistransformation.
on H darauf an, ist es im Zustand 1/√⎯⎯2 (兩0典 + 兩1典). Messen wir es, so ist es mit Wahrscheinlichkeit 1⁄2 im Zustand 兩0典 und mit Wahrscheinlichkeit 1⁄2 im Zustand 兩1典.
Die physikalische Realisierung könnte so aussehen:
Man isoliert ein Teilchen, überführt es bezüglich seiner
Drehrichtung in die Überlagerung 1/√⎯⎯2 (兩0典 + 兩1典) und
misst diese anschließend.
Der erste Quanten-Zufallsgenerator wurde im Jahr
1983 über den radioaktiven Zerfall realisiert. QuantenZufallsgeneratoren mit Einzelphotonen-Detektoren
gibt es seit 1994. Die Schweizer Firma id Quantique
verkauft seit Kurzem Quanten-Zufallsgeneratoren als
fertiges USB-Modul (siehe Bild 6). Es benötigt keine
externe Spannungsversorgung und muss nur noch mit
dem USB-Kabel an den Computer angeschlossen werden. Im Modul befinden sich ein abgeschwächter Laser,
ein Strahlteilerwürfel und zwei Detektoren; pro Sekunde werden 4 MBit an Zufallszahlen erzeugt.
Ein Quanten-Zufallsgenerator
http://www.idquantique.com/
true-random-number-generator/products-overview.html
Klassische Computer erzeugen zu jeder Eingabe eine
exakt festgelegte Ausgabe, denn jeder Rechenschritt ist
durch den aktuellen Zustand der Berechnung determiniert. Möchte man zufallsbestimmtes Geschehen auf
dem Computer simulieren, muss man zu rechnererzeugten Pseudo-Zufallszahlen greifen. Echte Zufallszahlen dagegen werden mithilfe physikalischer Phänomene – als das sind: Münzwurf, Würfel, Roulette, Rauschen, radioaktive Zerfallsprozesse oder quantenphysikalische Effekte – gewonnen.
Ein Zufallszahlen-Quantenalgorithmus geht wie
folgt: Zunächst versetzen wir ein Quantenbit in den
Zustand 兩0典. Wenden wir die Hadamard-Transformati-
Das Klonierungsverbot
Trifft ein Photon spezieller Polarisation auf ein angeregtes Atom, so besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Atom ein Photon aussendet. Dieses
Photon hat dann genau die gleiche Polarisation wie das
auftreffende. Die Frage stellt sich nun, ob es eventuell
möglich ist, mit einem entsprechenden Quanten-Kopierer den Zustand eines quantenmechanischen Systems
exakt zu kopieren, den Zustand somit zu klonen. Dergleichen könnte sehr nützlich sein, denn wenn wir von
einem unbekannten Quantenzustand viele Kopien anfertigen könnten, so ließe sich eine Messung häufig
wiederholen und die Fehlerwahrscheinlichkeit damit
beliebig klein machen.
Wir nehmen also an, ein solcher Kopierer sei möglich.
Dann müsste es eine unitäre Operation U geben, die aus
兩00典 den Zustand 兩00典 und aus 兩10典 den Zustand 兩11典
macht. Allgemein müsste jede Linearkombination
兩␺0典 = (a兩0典 + b兩1典)兩0典 = a兩00典 + b兩10典 unter U einerseits in
兩␺␺典 = (a兩0典 + b兩1典)(a兩0典 + b兩1典) = a2兩00典 + ab兩01典
+ ba兩10典 + b2兩11典
und andererseits, aufgrund der Linearität von U, in
a兩00典 + b兩11典
Foto: http://www.idquantique.com/
Bild 6:
Strahlteilerwürfel-Symbol (oben) und USB-Modul
eines käuflichen Quanten-Zufallsgenerators (unten).
übergehen. Das heißt: Wir hätten 兩␺␺典 auf zwei verschiedene Weisen als Linearkombination linear unabhängiger Zustände dargestellt – ein Widerspruch. Es
gibt also für beliebiges 兩␺典 keine unitäre Transformation, die 兩␺0典 in 兩␺␺典 überführt. Dies scheint eine unangenehme Beschränkung der Arbeit mit Qubits zu sein; es
stellt sich aber in gewissen Fällen, z. B. beim unberechtigten Abhören von Quantenkanälen, als Vorteil heraus
(dazu später mehr).
(wird fortgesetzt)
Prof. Dr. Peter Bussemer
Berufsakademie Gera
Weg der Freundschaft 4a
07546 Gera
E-Mail: [email protected]
LOG IN Heft Nr. 162 (2010)
69
COLLEG
Literatur
http://de.wikipedia.org/wiki/
Erwin_Schr%C3%B6dinger
Bussemer, P.: Können Quanten rechnen? – Quanteninformatik: Einführung in die Grundprinzipien. Teil 1: Grundbegriffe der Quantenphysik.
In: LOG IN, 29. Jg. (2009), H. 160/161, S. 98–102.
Hoffmann, D. W.: Grundlagen der Technischen Informatik. München:
Hanser, 22010.
Müller, J.: Binärzahlen verstehen. In: LOG IN, 28. Jg. (2008), H. 150/151,
S. 74–79.
Sturm, Th. F.; Schulze, J.: Quantum Computation aus algorithmischer
Sicht. München: Oldenbourg, 2009.
Bild 1: Erwin Schrödinger (1887–1961) prägte 1935
den Begriff der Verschränkung.
Exkurs: Schrödingers Katze
und Bertlmanns Socken
When I hear of Schrödingers cat, I reach for my gun.
Stephen Hawking
Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.
Ludwig Wittgenstein
Im Teil 2 dieses Collegs (in diesem Heft, S. 68) findet
sich u. a. der Satz: ,,Beim klassischen Rechnen sind diese Operationen [oder Gatter] voneinander unabhängig,
während sie beim Quantenrechnen dagegen (stark)
korreliert sein können (sogenannte Verschränkung;
engl.: entanglement).“ Was ist damit gemeint?
Im Jahr 1935 prägte Erwin Schrödinger den Begriff
der Verschränkung für ein quantenmechanisches System
von zwei Teilchen, bei dem nach der Vermessung des ersten Teilchens der Zustand des zweiten, auch wenn es
räumlich noch so weit entfernt sein sollte, eindeutig festgelegt ist. Einstein galt diese Erscheinung als ,,spukhafte
Fernwirkung“; heute bildet sie die Grundlage der bekanntesten quantenmechanischen Entwicklungsziele
(über die auch in diesem Colleg berichtet wird).
Im Alltag sind diese ,,starken Korrelationen“ leicht
erklärlich. Der Physiker John Stewart Bell (1928–1990)
erläuterte 1980 in seinem Aufsatz Bertlmann’s socks
and the nature of reality (,,Bertlmanns Socken und die
Natur der Realität“) eine solche starke Korrelation an
folgendem Beispiel (Bell, 1980/1981):
Dr. Bertlmann trägt stets verschiedenfarbige Socken. Welche
Farbe die Socke an diesem oder jenem Fuß und an einem bestimmten Tag hat, ist völlig unvorhersehbar. Sieht man jedoch
Bild 2 (links): Dr. Bertlmanns Homepage.
http://homepage.univie.ac.at/reinhold.bertlmann/about.html
Bild 3 (unten): Dr. Bertlmanns Socken gibt’s auch
als Buchtitel.
70
LOG IN Heft Nr. 162 (2010)
http://eureka4.blogspot.com/2007/11/wigner-fuction.html
COLLEG
Bild 4: Schrödingers Katze in ,,grobsinnlicher Unbestimmtheit“, aber mit einem ganz bestimmten Wunsch.
an dem einen Fuß eine rosa Socke, kann man sicher sein,
dass die andere Socke nicht rosafarben ist. Die Beobachtung
der ersten Socke und die Kenntnis von Bertlmanns Gepflogenheiten vermitteln somit augenblicklich ein Wissen über die andere Socke. Vom Geschmack abgesehen, ist daran nichts
Merkwürdiges.
Diese Geschichte ist unter Quantenphysikern und in
der populärwissenschaftlichen Literatur sprichwörtlich
geworden; sogar Buchtitel zieren sich zwecks Verkaufsförderung damit (siehe Bild 3, vorige Seite). Dr.
Bertlmann gibt es im Übrigen tatsächlich: Er war zu jener Zeit ein Kollege von Bell im CERN und ein guter
Freund von ihm; heute ist Reinhold A. Bertlmann Physik-Professor in Wien (siehe Bild 2).
Noch beliebter ist ,,Schrödingers Katze“, von der es
Folgendes zu berichten gibt (Ernst Schrödinger, 1935,
S. 812):
Man kann auch ganz burleske Fälle konstruieren. Eine Katze
wird in eine Stahlkammer gesperrt, zusammen mit folgender
Höllenmaschine (die man gegen den direkten Zugriff der Katze sichern muß): in einem Geigerschen Zählrohr befindet sich
eine winzige Menge radioaktiver Substanz, so wenig, daß im
Laufe einer Stunde vielleicht eines von den Atomen zerfällt,
ebenso wahrscheinlich aber auch keines; geschieht es, so
spricht das Zählrohr an und betätigt über ein Relais ein Hämmerchen, das ein Kölbchen mit Blausäure zertrümmert. Hat
man dieses ganze System eine Stunde lang sich selbst überlassen, so wird man sich sagen, daß die Katze noch lebt,
wenn inzwischen kein Atom zerfallen ist. Der erste Atomzerfall
würde sie vergiftet haben. Die Psi-Funktion des ganzen Systems würde das so zum Ausdruck bringen, daß in ihr die lebende und die tote Katze (sit venia verbi) zu gleichen Teilen
gemischt oder verschmiert sind. Das Typische an solchen Fällen ist, daß eine ursprünglich auf den Atombereich beschränkte Unbestimmtheit sich in grobsinnliche Unbestimmtheit umsetzt, die sich dann durch direkte Beobachtung entscheiden
läßt. Das hindert uns, in so naiver Weise ein ,,verwaschenes
Modell“ als Abbild der Wirklichkeit gelten zu lassen.
LOG IN Heft Nr. 162 (2010)
Den ,,burlesken Fall“ hatte sich Schrödinger ausgedacht, um auf eine vermeintliche Absurdität der ,,gegenwärtigen Situation in der Quantenmechanik“ hinzuweisen. Da man von außen die Katze nicht beobachten kann, weiß man nicht, ob sie lebt oder schon tot ist.
In diesem Gedankenexperiment wird ein makroskopisches Objekt (Katze) mit einem mikroskopischen
(Atom) verknüpft. Das heißt, dass die Katze als quantenmechanisches Objekt interpretiert wird, während
sie in unserer Welt nicht als solche in Erscheinung tritt.
Schrödinger lehnte die von vielen Quantenphysikern
vertretene Vorstellung ab, die Katze befinde sich ,,in
Wirklichkeit“ (weil niemand sagen könne, wann das
Atom zerfällt) in einer Überlagerung von Zuständen,
in der sie weder tot noch lebendig sei. Albert Einstein
(1879–1955) stimmte zu: Eine Theorie, die eine lebende
und eine tote Katze einschließe, könne nicht als Beschreibung eines realen Zustandes angesehen werden“
(siehe Kumar, 2009, S. 382). Der Physik-Nobelpreisträger Wolfgang Pauli (1900–1958) sprach sich überhaupt
gegen diese Diskussion aus: ,,Ob etwas, worüber man
nichts wissen kann, doch existiert, darüber soll man
sich doch wohl ebensowenig den Kopf zerbrechen, wie
über die alte Frage, wie viele Engel auf einer Nadelspitze sitzen können.“
Mit dem Begriff der Dekohärenz versucht man neuerdings, aus der Schwierigkeit herauszugelangen. Dieser Begriff beschreibt den Umstand, dass streng von
der Umwelt isolierte Objekte (wie die in eine Kiste
eingesperrte Katze) in der Natur überhaupt nicht vorkommen. Es ist also der Einfluss der immer vorhandenen natürlichen Umgebung auf die Entwicklung quantenmechanischer Systeme zu berücksichtigen. Ebenso
wichtig ist die Frage nach dem Übergang zwischen der
mikroskopischen Quantenwelt und unserem klassischen, makroskopischen Erfahrungsbereich.
Zurück zur Verschränkung. In der mathematischen
Sprache der Quantenphysik lässt sich ein Symbol für
einen Überlagerungszustand angeben: a兩00典 + b兩11典,
und Verschränkungen drücken sich wie folgt aus: Wir
betrachten ein Zwei-Qubit-Register im Zustand
⎯⎯2 .
(1) (兩00典 + 兩11典) / √
⎯⎯2 = (1, 0, 0, 1)T / √
Dieser Vektor im ⺓4 hat die Eigenschaft, dass er sich
nicht als Produkt zweier Vektoren im ⺓2 darstellen
lässt, denn der Ansatz
Bild 5:
Der als Perfektionist bekannte und
deshalb von seinen
Kollegen gefürchtete Physiker Wolfgang Pauli lehnte
scholastische
Diskussionen als
unfruchtbar ab.
Physics-related Stamps
71
COLLEG
(a兩0典 + b兩1典) 䊟 (c兩0典 + d兩1典)
Bild 6:
Quantenphysiker im
Gefängnis
ihrer
Experimente
und
Deutungsversuche.
= ac 兩00典 + ad兩01典 + bc兩10典 + bd兩11典
= ac(1, 0, 0, 0)T + ad(0, 1, 0, 0)T + bc(0, 0, 1, 0)T
+ bd(0, 0, 0, 1)T
= (1, 0, 0, 1)T
führt zu den Bedingungen a ⬆ 0, b ⬆ 0, c ⬆ 0, d ⬆ 0
und zugleich zu a = 0 oder d = 0 und b = 0 oder c = 0,
die nicht alle erfüllt sein können. Andererseits ist beispielsweise
⎯⎯2
(兩00典 + 兩10典) / √
⎯⎯2 = (1, 0, 1, 0)T / √
zerlegbar, wie – analog dazu – leicht gezeigt werden
kann. Die nach John Stewart Bell (siehe oben) benannten vier Bell-Zustände
aus: R. Osborne,
Philosophie –
Eine Bildergeschichte
für Einsteiger, 1996
⎯⎯2 = (1, 0, 0, 1)T / √
⎯⎯2
␾+ = (兩00典 + 兩11典) / √
␺+ = (兩01典 + 兩10典) / √
⎯⎯2 = (0, 1, 1, 0)T / √
⎯⎯2
␾– = (兩01典 – 兩10典) / √
⎯⎯2 = (0, 1, –1, 0)T / √
⎯⎯2
␺– = (兩00典 – 兩11典) / √
⎯⎯2 = (1, 0, 0, –1)T / √
⎯⎯2
sind sämtlich verschränkt und bilden eine Basis im ⺓4.
Worin liegt nun die Bedeutung der Verschränkung, d. h.
der Eigenschaft, nicht faktorisierbar zu sein? Sie
äußert sich wie folgt: In einem verschränkten Zustand
haben die einzelnen Qubits keine individuellen Eigenschaften, sondern müssen gemeinsam betrachtet werden. Misst man ein Qubit, ist der Zustand des anderen
festgelegt. Die Messung des ersten Qubits von ␾+ beispielsweise ergibt folgende Möglichkeiten (siehe
Sturm/Schulze, 2009, S. 78):
Ergebnis
Wahrscheinlichkeit
Ergebniszustand
0
1⁄
2
兩00典
1
1⁄
2
兩11典
Im Rahmen dieses LOG-IN-Collegs ist es natürlich
nicht möglich, die durch die Quantenphysik aufgeworfenen Fragen ,,nach der Natur der Realität“ auch nur angemessen zu formulieren, geschweige denn zu diskutieren
oder gar zu beantworten. Das Colleg soll vielmehr einen
pragmatischen Standpunkt wiedergeben, indem die mathematischen Zusammenhänge dargelegt und Interpretationsfragen möglichst zurückhaltend beantwortet werden.
Viele Quantenphysiker befolgen, so scheint es, Paulis
beherzigenswerten Rat (siehe oben) nicht, sondern gestatten sich Grenzüberschreitungen ins Philosophische
hinein – mit manchmal recht bedenklichen bis hin zu unsinnigen Aussagen. So macht etwa der Quanten-Experimentator Anton Zeilinger gegen Ende seines Buches
Einsteins Schleier folgenden ,,radikalen Vorschlag“:
,,Wirklichkeit und Information sind dasselbe“ (Zeilinger,
2005, S. 229). Bei dergleichen Äußerungen werden Informatiker natürlich hellhörig und fragen sich: Weiß Zeilinger überhaupt, wovon er redet? Vielleicht hätte er sich an
das obige Wittgenstein-Diktum halten oder sich des philosophischen Vorseminars erinnern sollen, wo man in
den ersten Stunden lernt (Kant, Kritik der reinen Vernunft, Vorrede zur ersten Auflage, 1781):
72
Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt
wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die
Natur der Vernunft selbst aufgegeben; die sie aber auch nicht
beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der
menschlichen Vernunft.
Könnte es vielleicht sein, dass manche Quantenphysiker und ihre Popularisierer sich erheblich überschätzen,
wenn sie vom fundamentalen Wandel des Weltbilds fabulieren und sich sogar dazu versteigen, mit der Quantenmechanik das Leib-Seele-Problem oder das Problem der
Willensfreiheit lösen zu wollen? Vielleicht zeichnet schon
Platons Höhlengleichnis ein treffendes Bild: Die Physiker
starren auf Schatten, die von Gegenständen herrühren,
die sie prinzipiell nicht erkennen können. Ihre erregten
Debatten verfangen sich in den immer komplizierter werdenden Versuchsanordnungen, den immer rätselhafter
werdenden Beobachtungen und den immer aussichtsloser
werdenden Deutungsversuchen (Bild 6).
red./bau
Literatur und Internetquellen
Bell, J. S.: Bertlmann’s socks and the nature of reality. Genf: CERN,
1980, und in: Journal de Physique, 42. Jg. (1981), Heft 3, 1981, Beilage
,,Colloques C2 – Les Implications Conceptuelles de la Physique Quantique“, S. C2-41–C2-62.
http://cdsweb.cern.ch/record/142461/files/198009299.pdf
[zuletzt geprüft: 12. Mai 2010]
Gribben, J.: Auf der Suche nach Schrödingers Katze – Quantenphysik
und Wirklichkeit. München: Piper, 72009.
Kumar, M.: Quanten – Einstein, Bohr und die große Debatte über das
Wesen der Wirklichkeit. Berlin: Berlin-Verlag, 2009.
Schrödinger, E.: Die gegenwärtige Situation in der Quantenmechanik.
In: Die Naturwissenschaften, 23. Jg. (1935), H. 48, S. 807–812.
Sturm, Th. F.; Schulze, J.: Quantum Computation aus algorithmischer
Sicht. München: Oldenbourg, 2009.
Zeilinger, A.: Einsteins Schleier – Die neue Welt der Quantenphysik.
München: Goldmann, 42005.
LOG IN Heft Nr. 162 (2010)
COLLEG
Können Quanten rechnen?
Quanteninformatik – Einführung in die Grundprinzipien
Teil 3: Algorithmen der Quanteninformatik – Überblick
von Peter Bussemer
In den ersten beiden Teilen dieses Collegs wurde zunächst (zum Verständnis der Besonderheiten des Quantenverhaltens) ein Graphenmodell mittels Adjazenzmatrizen analysiert, bei dem der Übergang vom klassisch-deterministischen zum quantentheoretisch-probabilistischen Verhalten mit der Möglichkeit von Interferenzeffekten erfolgt (Teil 1). Anschließend wurden die
Komponenten von Quantencomputern (Quantenbits,
Quantenregister und Quantengatter) vorgestellt (Teil 2).
Im vorliegenden dritten Teil geht es um einige grundlegende Algorithmen, die sich auf Quantenrechnern ausführen lassen.
Quantenrechner jedes beliebige physikalische System
effizient zu simulieren (siehe Kasten ,,David Deutsch“.
nächste Seite). Weitere Beiträge aus der Informatik
sind die Algorithmen von Grover und Shor (siehe weiter unten).
Mathematische Algorithmen sind viel älter als Computer (in der heutigen Bedeutung dieses Worts). Eine
analoge Situation gibt es beim Quantenrechner, wo zuerst grundlegende Quantenalgorithmen entwickelt
wurden, während an der Hardware noch gearbeitet
wird.
Einteilung der Quantenalgorithmen
Algorithmen für Quantenrechner
Obwohl die Quantenmechanik schon in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts entwickelt wurde,
dauerte es lange, bis jemand auf die Idee kam, Informationsverarbeitung auf quantenmechanischem Wege
zu betreiben. Wie im ersten Teil dieses Collegs berichtet, entwickelte Richard Feynman als erster die Idee
von einem Computer, der mit Quanteneffekten Information verarbeitet. Was in den Achtzigerjahren zunächst als theoretisches Anschauungsmodell ohne konkrete Anwendung gedacht war, entwickelte sich zum
handfesten Forschungsgebiet, nachdem mit speziellen
Algorithmen bewiesen worden war, dass Quantenrechner bei manchen Anwendungen den klassischen Computern überlegen sind.
Abgesehen von der Quantenmechanik lieferte auch
die Informatik wichtige Beiträge zur Entwicklung der
Quanteninformationsverarbeitung. Ihre Entstehung in
den Zwanziger- und Dreißigerjahren des verflossenen
Jahrhunderts bedeutet ja neben der Quantenmechanik
die (an die Namen Hilbert, Gödel, Turing u. a. geknüpfte) zweite ,,Revolution des Denkens“. John von Neumann war auf beiden Gebieten schöpferisch tätig. David Deutsch legte im Jahr 1985 mit dem Modell der
Quanten-Turingmaschine die theoretische Grundlage
für einen Quantencomputer und erweiterte die bislang
der klassischen Physik verhaftete Informationstheorie.
Nach Deutsch ist es möglich, mit einem universellen
116
Die derzeit bekannten Quantenalgorithmen können
– je nach den verwendeten Methoden – in drei Gruppen eingeteilt werden:
䉯 Die erste Gruppe bilden Algorithmen, die darauf be-
ruhen, globale Eigenschaften einer gegebenen Funktion zu bestimmen. Zu ihnen gehören der DeutschAlgorithmus sowie der Algorithmus von Shor.
䉯 Zur zweiten Gruppe werden Algorithmen gezählt,
die durch Transformation der Quantenbits die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass ein gewünschtes Ergebnis gemessen werden kann. Der Suchalgorithmus von
Grover arbeitet nach dieser Methode.
䉯 Die dritte Gruppe umfasst Algorithmen, die Methoden aus den ersten beiden Gruppen kombinieren.
Ob es weitere Algorithmen gibt, die nicht in eine dieser Gruppen fallen, ist zurzeit nicht bekannt.
Arbeitsweise von Quantenalgorithmen
Quantenalgorithmen verfolgen das gleiche Ziel wie
klassische Algorithmen: Zu gegebenen Eingangsdaten,
die sich in einem endlichen Speicher ablegen lassen,
werden Ausgangsdaten berechnet, die ebenfalls einen
nur endlich großen Speicher füllen. Die Besonderheit
bei Quantenrechnern gegenüber klassischen Computern besteht darin, dass der Speicherinhalt aus einem
drastisch größeren Zustandsraum stammt. Dies wird
aber dadurch kompensiert, dass die Speicherzustände
nicht beobachtet werden können, sondern durch Mes-
LOG IN Heft Nr. 163/164 (2010)
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David Elieser Deutsch ist – gemeinsam mit und unabhängig von Richard Feynman (siehe Teil 1 dieses Collegs) – einer der Begründer des Quantenrechnens. Er
stammt aus einer österreichisch-jüdischen Familie, wurde
1954 in Israel geboren und kam im Alter von drei Jahren
nach England. Derzeit arbeitet er an der Universität Oxford.
Mit 32 Jahren beschrieb Deutsch in einer grundlegenden Arbeit die quantentheoretische Verallgemeinerung der universellen (klassischen) Turing-Maschine, womit
er seiner Zeit weit voraus war. Im Jahr 1998
erhielt er für diese
,,Pionierarbeit auf dem
Gebiet der Quantenberechnung“ den renommierten Paul-Dirac-Preis. Die DiracMedaille des britischen Institute of Physics (IOP) ist eine seit
1987 verliehene Auszeichnung für theoretische Physik (und Comhttp://www.qubit.org/people/david/structure/
putational Physics) zu
Documents/Non-Technical/Frontiers.html
Ehren von Paul Dirac
(siehe Colleg, Teil 2,
S. 66). Seit 2008 ist sie eine der Goldmedaillen des Instituts und mit 1000 Pfund dotiert.
Im Unterschied zur Standardinterpretation der Quantenmechanik, der Kopenhagener Deutung mit ihren
Wahrscheinlichkeitsaussagen nach der Born’schen Regel,
favorisiert Deutsch die Viele-Welten-Interpretation des
amerikanischen Physikers Hugh Everett aus dem Jahre
1957, nach der es neben unserem Universum noch unendlich viele andere (Parallel-)Universen gibt. Bei einer
Messung kommt es jeweils zu einer Aufspaltung des Universums in neue Universen. Der Quantencomputer benutzt für seine Berechnungen mehrere Universen gleichzeitig (Quanten-Parallelismus). Welche Interpretation
der Quantenmechanik die ,,richtige“ ist, lässt sich gegenwärtig experimentell nicht entscheiden und ist somit
,,Glaubenssache“.
Auf Deutschs Homepage finden sich seine Lectures on
Quantum Computation als Videofilm.
Literatur und Internetquellen
Deutsch, D.: Die Physik der Welterkenntnis. Basel: Birkhäuser,
1996.
Homepages von David Deutsch:
http://www.qubit.org/people/david/index.php
http://www.qubit.org/people/david/David.html
Vasek, Th.: Porträt – Der multiple Physiker. David Deutsch lebt in
Paralleluniversen und arbeitet nur nachts – Ein Besuch in Oxford.
In: DIE ZEIT, Nr. 22 vom 23. Mai 2002, S. 32.
http://www.zeit.de/2002/22/200222_p-deutsch.xml
LOG IN Heft Nr. 163/164 (2010)
Foto: Magna
David Deutsch
Bild 1: David Deutsch erfand den ersten und zugleich
einfachsten Algorithmus, der die Vorteile des Quantenrechnens zeigt.
sung wieder auf eine Zustandsmenge zurückgeführt
werden, die dem klassischen Computer entspricht (siehe Kasten ,,Probleme der Messung in der Quantentheorie“, S. 120).
Ein Quantenalgorithmus besteht typischerweise aus
drei Teilschritten:
䉯 Einspeisung von Eingangsdaten (als klassisches Bit-
muster), die in einen reinen Multi-Qubit-Zustand
versetzt werden.
䉯 Durchführung deterministischer quantenmechanischer Operationen, d. h. Anwendung von einem oder
mehreren unitären Operationen auf das MultiQubit.
䉯 Messung des Multi-Qubits, d. h. Durchführung eines
Zufallsexperiments; als Ergebnis erhält man die Ergebnisdaten in Gestalt eines klassischen Bitmusters.
Der Algorithmus von Deutsch
David Deutsch (Bild 1, siehe auch Kasten), einer der
Gründerväter des Quantenrechnens, formulierte im
Jahr1985 den nach ihm benannte Algorithmus, der erstmals den Vorteil eines Quantenalgorithmus gegenüber
einem klassischen Algorithmus, den sogenannten quantum tradeoff, aufzeigte.
Ermittlung globaler Funktionseigenschaften
Um globale Eigenschaften einer Funktion zu ermitteln, stellt man sich diese als ,,schwarzen Kasten“ vor,
dessen innere Struktur sich durch geeignete Experi-
117
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x
x
y
f(x) 丣 y
Bild 2:
Die Boole’sche Funktion f als reversibles ,,Orakel“.
Es gibt genau vier solcher Funktionen f; zwei davon
sind ausgeglichen, zwei sind konstant. Die Frage lautet
nun: Wie oft muss f ausgewertet werden, um zwischen
den Fällen {,,f ist ausgeglichen“, ,,f ist konstant“} entscheiden zu können?
Ein klassischer Computer benötigt dazu zwei Funktionsauswertungen – und erfährt dabei mehr, als er eigentlich zu wissen braucht (nämlich die Wertetabelle
der Funktion). Deutschs Algorithmus dagegen versetzt
die beiden Qubits durch eine Hadamard-Transformation (siehe Colleg, Teil 2, S. 68) in einen Überlagerungszustand, der sie miteinander verschränkt.
Der Algorithmus lässt sich in vier Schritte gliedern:
1. Die Eingabe bilden die Qubits (Grundzustände) 兩0典
und 兩1典, es ist also 兩x典兩y典 = 兩0典兩1典.
mente erkunden lässt. Man verwendet dafür auch gern
die Vorstellung eines ,,Orakels“, das man befragen
kann. Es geht bei dieser Art von Orakeln allerdings
weniger darum, etwas über das eigene Schicksal zu erfahren, als darum, dass das Orakel etwas über sich
selbst verrät. Der Vorteil von Quantenrechnern gegenüber herkömmlichen Rechnern bemisst sich dann daran, um wie viel geringer die erforderliche Anzahl solcher Befragungen (Funktionsauswertungen) ist, um die
in Rede stehende Auskunft zu erhalten.
Um eine Boole’sche Funktion f : {0, 1}n → {0, 1}m zu
untersuchen, muss sie zunächst in einen Quantenrechner-geeigneten schwarzen Kasten (Orakel) umgewandelt werden. Dies geschieht in der Weise, dass (außer
dem Argument x) ein Bitmuster y der Länge m als Eingabe hinzugefügt und als Ausgabe (x, f(x) 丣 y) genommen wird (siehe Bild 2). Im Fall von y = 00...0 bekommen wir f(x) 丣 00...0 = f(x).
Auf diese Weise wird f unitär bzw. reversibel; wir schreiben jetzt Uf. Durch die Anwendung von Uf geht keine Information verloren, weil (x, y) aus (x, f(x) 丣 y) rekonstruiert werden kann. Setzen wir nämlich z = f(x) 丣 y, so folgt
Wie oben allgemein gezeigt, wird die Funktion f in
reversible Gestalt (,,Deutschs Orakel“; Bild 3) gebracht:
U f : 兩x典兩y典 → 兩x典兩y 丣 f(x)典.
2. Der Hadamard-Operator H wird angewendet, wobei
wir zunächst die Wirkung auf das zweite Qubit untersuchen. Es ist H兩1典 = (兩0典 – 兩1典) / √⎯⎯2 (wie im Colleg,
Teil 2, S. 69, ausgeführt). Die Anwendung von Uf auf
兩x典H兩1典 liefert aufgrund der Linearität den Term
(1)
兩x典 (兩0 丣 f(x)典 – 兩1 丣 f(x)典) / √⎯⎯2 .
Im Fall von f(x) = 0 ist (1) gleich 兩x典 (兩0典 – 兩1典) / √⎯⎯2 , im
andern Fall aber 兩x典 (兩1典 – 兩0典) / √⎯⎯2 . Dies lässt sich in
einem Ausdruck zusammenfassen:
(–1)f(x) 兩x典 (兩0典 – 兩1典) / √⎯⎯2 .
(x, y) → (x, f(x) 丣 y) = (x, z) → (x, f(x) 丣 z) =
(x, f(x) 丣 f(x) 丣 y) = (x, 0 丣 y) = (x, y).
Deutschs Problem
Quelle: LOG-IN-Archiv
Das von David Deutsch gestellte (und gelöste) Problem lautet: Wie viele Versuche sind nötig, um zu entscheiden, ob eine Münze entweder echt (d. h. auf einer
Seite Kopf, auf der anderen Zahl trägt) oder plump gefälscht ist (d. h. auf beiden Seiten das gleiche Symbol
zeigt)?
Ordnet man Kopf und Zahl die Binärwerte 0 bzw. 1
zu, so lässt sich das Münzproblem als die Suche nach einer einstelligen Boole’schen Funktion f : {0, 1} → {0, 1}
auffassen, über die Folgendes bekannt ist:
䉯 Entweder ist f ausgeglichen (engl.: balanced), d. h. sie
nimmt die beiden möglichen Funktionswerte an, es
gilt also f(0) = 0 und f(1) = 1 oder f(0) = 1 und f(1) =
0, was sich mittels der Addition mod 2 (exklusives
Oder, XOR) auch so ausdrücken lässt: f(0) 丣 f(1) = 1.
䉯 Oder aber f ist konstant, d. h. f(0) = f(1) = 0 oder f(0) =
f(1) = 1, bzw. f(0) 丣 f(1) = 0.
118
Bild 3: Deutschs Orakel? Im historischen Orakel von
Delphi prophezeit Themis in der Rolle der Pythia dem
Aigeus einen Sohn (etwa 440/430 v. Chr.).
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0
1
兩0典
兩1典
ungünstigsten Fall n – 1 Schritte. Der Quantenalgorithmus arbeitet mit einer Superposition möglicher Lösungen für die konkrete Eingabe (die gesuchte ,,Nadel
im Heuhaufen“). Schrittweise wird die Amplitude (deren Quadrat die Wahrscheinlichkeit ist) der richtigen
Lösung vergrößert (Methode der Amplitudenverstärkung), während die der ,,falschen“ Amplituden verkleinert wird. Die Laufzeit wird dadurch reduziert, d. h.
beim Suchen ergibt sich ,,nur“ eine quadratische Verkürzung der Rechenzeit.
Bild 4: Deutschs Algorithmus als Schaltplan.
Faktorisierungsalgorithmus von Shor
3. Bei Betrachtung des ersten Qubits ergibt sich wegen
H兩0典 = (兩0典 + 兩1典) / √⎯⎯2 der Term
(2)
(1/ √⎯⎯2 ) ((–1)
f(0)
兩0典 + (–1)
f(1)
兩1典) (兩0典 – 兩1典) / √⎯⎯2 .
4. Nach Ausführung der letzten Hadamard-Operation
haben wir
(3)
± 兩 f(0) 丣 f(1)典 (兩0典 – 兩1典) / √⎯⎯2 .
Man erhält somit den Zustand 兩0典兩1典, falls f konstant
und 兩1典兩1典 andernfalls. Der Quantencomputer benötigte also nur eine einzige Befragung des Orakels
(d. h. der Rechenoperation; vgl. Bild 4).
Fazit: Mithilfe des Quantenparallelismus ist es zwar
nicht möglich, alle Funktionswerte gleichzeitig zu ermitteln, gewisse globale Eigenschaften einer Funktion
sind aber doch effizienter bestimmbar als mit klassischen Algorithmen bzw. Rechnern.
Die Verallgemeinerung von Deutsch-Josza
In Verallgemeinerung des Problems von Deutsch
wird jetzt eine Funktion f : {0, 1}n → {0, 1} mit n > 1 analysiert. Sie heißt ausgeglichen, wenn genau die Hälfte
der Argumente auf 0 abgebildet wird; sie heißt konstant, wenn sie für alle Argumente entweder 0 oder 1
liefert. Während ein klassischer Computer im ungünstigsten Fall 2n–1 + 1 Funktionsaufrufe benötigt, kommt
ein Quantencomputer mit einem einzigen aus, d. h. die
Ersparnis an Rechenzeit ist exponentiell.
Weitere Quantenalgorithmen
Algorithmus von Simon zur Periodensuche
Alle bisher zum Quantenrechnen angestellten Überlegungen waren bis zum Jahr 1994 nur Spezialisten bekannt. Gewaltiges Aufsehen erregten erst Arbeiten von
Peter Shor (siehe Bild 5). Der von Shor gefundene Algorithmus ist der wohl bekannteste Quantenalgorithmus,
da er Konsequenzen für die Sicherheit von klassischen
Verschlüsselungssystemen (wie beispielsweise dem RSAVerfahren) hat, die davon ausgehen, dass die Zerlegung
einer (großen) natürlichen Zahl in ihre Primfaktoren
ohne Kenntnis eines zugehörigen Schlüssels – wegen der
dazu benötigten astronomisch langen exponentiellen
Laufzeiten – praktisch unmöglich ist. Der Quantenalgorithmus führt das Faktorisierungsproblem jedoch auf
dasjenige einer Periodensuche zurück und erreicht dadurch eine Laufzeit von polynomialem Typ, die das
,,Knacken“ der klassischen Verschlüsselungen in relativ
kurzen Zeiten erlauben würde. Shor erhielt für diese
Leistung auf dem Weltkongress der Mathematiker im
Jahr 1998 zu Berlin den renommierten Nevanlinna-Preis
für theoretische Informatik.
Experimentelle Realisierungen
Die Besonderheiten des Doppelcharakters der
Quantenobjekte, der Welle-Teilchen-Dualismus, führen
auch zu einigen Verboten bzw. Einschränkungen im
Vergleich zu klassischen Objekten. Bemerkenswert ist
insbesondere das Klonierungsverbot, auch als NoCloning-Theorem bekannt (siehe Colleg, Teil 2, S. 69).
Bild 5:
Peter W. Shor,
NevanlinnaPreisträger 1998.
Er dient zur Auffindung von Mustern (Perioden) in
einer Boole’schen Funktion f : {0, 1}n → {0, 1}n. Klassisch benötigt man Funktionsberechnungen, während
der Quantenalgorithmus diese auf n reduziert.
Suchalgorithmus von Grover
Bei einer Suche in einer unstrukturierten Datenbank
mit n Datensätzen benötigt ein klassischer Rechner im
LOG IN Heft Nr. 163/164 (2010)
http://www.emis.de/
mirror/ICM98/prices/
119
COLLEG
Dagegen gibt es die Möglichkeit, einen beliebigen
Quantenzustand von einem System zu einem anderen zu
transportieren (Teleportation), was mithilfe verschränkter Zustände geschieht. Bei miteinander verschränkten
Photonen wurden bereits Quantenbits über Entfernungen im Kilometer-Bereich transportiert. In der Quantenkryptografie werden ebenfalls verschränkte Bit-Paare
zum Aufbau einer abhörsicheren Übertragung genutzt.
Bei der physikalischen Realisierung eines Quantencomputers liegt das Hauptproblem in der zuverlässigen
Isolation des Systems von der Umgebung, da dessen
(unerwünschte) Wechselwirkung mit der Umgebung
zur Dekohärenz führt, d. h. zu einer (Zer-)Störung der
kohärenten Überlagerungszustände, die man beim
Quantenrechnen benötigt. Von DiVincenzo stammt
eine ,,Wunschliste“ mit den wichtigsten Anforderungen
an einen Quantencomputer:
䉯 Die Maschine muss über eine hinreichend große An-
zahl einzeln adressierbarer Qubits verfügen.
䉯 Alle Qubits müssen im Grundzustand 兩00..0典 initiali-
siert werden können.
䉯 Die Fehlerrate während des Rechenprozesses muss
hinreichend klein sein, d. h. die Dekohärenzzeit muss
wesentlich länger als die Zeit für die Gatter-Operationen sein.
䉯 Es müssen 2-Bit-Operationen möglich sein, d. h.
Operationen auf Bit-Paaren.
䉯 Die Endergebnisse müssen zuverlässig durch eine
Messung abgelesen werden können.
Für die Implementierung eines Quantencomputers
werden gegenwärtig vier physikalische Systeme diskutiert und im Labor erprobt:
䉯 Ionenfallen (ion traps): Ein Atom in der Falle kann
sich im Grund- oder im angeregten Zustand befinden, damit werden die Qubits codiert. Das Quantenregister wird mittels optischer Pumpen mit einem
Laser gesteuert.
䉯 Lineare Optik: Benutzung der beiden Polarisationszustände des Lichts (Photonen) als Quantenzustände: Linear Optics Quantum Computing (LOQC) mit
optischen Hilfsmitteln wie Spiegel, PolarisationsStrahlteiler, Einzelphotonen-Detektoren usw.
Probleme der Messung in der Quantentheorie
Quelle: Physics-Related-Stamps
Max Born (1882–1970) erkannte als erster um 1926 in Göttingen, wo er zusammen mit James Franck die berühmte Göttinger Schule bis zur Emigration im Jahre 1933 anführte, dass
die von Erwin Schrödinger (siehe Colleg, Teil 2, S. 70 f.) kurz
zuvor entdeckte quantenmechanische Wellenfunktion sich
nicht mehr im Sinne des klassischen Determinismus auffassen
lässt, sondern nur nicht-deterministisch mithilfe von Wahrscheinlichkeitsaussagen. Für diese statistische Interpretation
der Wellenfunktion – später als Kopenhagener Deutung mit
den Namen von Niels Bohr und Werner Heisenberg verbunden – erhielt er im Jahr 1954 den Nobelpreis für Physik.
Max Born (1882–1970) und Werner Heisenberg (1901–1976).
Auf Max Born geht auch die Interpretation des Messprozesses in der Quantentheorie zurück. Diese Born’sche Regel
wurde dann um 1930 von John von Neumann in die heute als
Von-Neumann-Messung bekannte orthodoxe Form gebracht.
Zum Verständnis der Problematik gehen wir von einem
klassischen Bit (Cbit), mit den beiden Zuständen 兩0典 und
兩1典, aus. Der allgemeine Zustand eines Quantenbits (Qubit)
ist gemäß Colleg, Teil 2, S. 65:
(1)
c0兩0典 + c1兩1典,
mit komplexen Koeffizienten c0, c1 und der Normierungsbedingung 兩c0兩2 + 兩c1兩2 = 1. Deshalb gibt es (4 – 1)∞ = 3∞ viele
Möglichkeiten für ein solches Qubit, für dessen Speicherung man unendlich viele Cbits benötigt. Daraus könnte
man schließen, dass wegen dieses scheinbar unendlichen
Informationspotenzials ein Quantencomputer quasi a priori einen großen Vorteil gegenüber einem klassischen Rechner hat – wenn nicht der quantentheoretische Messprozess
dies im allgemeinen Falle als Illusion erwiese.
Den Zustand eines Cbits kann man prinzipiell, von Messfehlern abgesehen, jederzeit exakt bestimmen (z. B. Strom
fließt oder nicht), ohne das Cbit dabei zu verändern. Eine
solche ,,zerstörungsfreie“ Messung wird beim Lesen klassischer Daten einfach ohne weitere Begründung vorausgesetzt. Beim Auslesen eines Qubits entstehen jedoch am zu
messenden Objekt irreversible Veränderungen, die durch
die nicht zu vernachlässigende Wechselwirkung zwischen
Messapparat und Objekt bedingt sind. Dadurch ist es nicht
möglich, den fast unendlichen Informationsgehalt in einem
Qubit auch auszulesen und praktisch zu nutzen. Welche
(bedeutend reduzierte) Information man bei einer Messung tatsächlich erhält, ist gerade der praktische Aspekt
des quantenmechanischen Messproblems.
In dessen einfachster Version prüft ein Messinstrument –
hier ein 1-Bit-Messgatter – jedes Qubit im Sinne einer
Testreihe, ob eine Null oder eine Eins resultiert. Daraus
kann man deren Wahrscheinlichkeiten p0 und p1 ermitteln.
Nach der Born’schen Regel gilt:
(2)
p0 = 兩c0 兩2
und
p1 = 兩c1 兩2 ,
d. h. die gemessenen Wahrscheinlichkeiten lassen sich als
Betragsquadrat der komplexen Amplituden berechnen.
Umgekehrt kann man aus einer Messung der Wahrscheinlichkeiten pi die Amplituden ci aber nicht festlegen
und damit auch nicht den Zustand (1) des Qubits. Die Frage, ,,was“ man (im Sinne einer Eigenschaft) bei einer
Quantenmessung eigentlich misst, lässt sich so nicht beantworten. Man kann nur sagen, dass man unter einer ,,Messung“ die Anwendung und Ablesung eines geeigneten
Fortsetzung nächste Seite
120
LOG IN Heft Nr. 163/164 (2010)
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Messgatters versteht, das gemäß der Born’schen Regel arbeitet.
Hierzu ein anschaulicher Vergleich: Mit einer klassischen
Messung kann man das Gewicht einer Person als deren numerische, vorher festliegende Eigenschaft bestimmen, während die Messung des Intelligenzquotienten (IQ) erst als
Resultat der Wechselwirkung zwischen dem Befrager, der
Art der Fragen und der Testperson herauskommt.
Wichtig ist, dass nach der Messung M das Qubit in einem Zustand vorliegt, der unabhängig vom Zustand vor der Messung
ist. Man spricht von einer Reduktion oder sogar von einem Kollaps der Wellenfunktion infolge der Messung. Es handelt sich
um einen irreversiblen Vorgang, im Unterschied zu den Zustandsänderungen infolge unitärer Transformationen, die
stets reversibel sind (siehe auch Colleg, Teil 2, S. 67 ff.).
Die Kunst des Quantenrechnens besteht eben darin,
durch geeignete unitäre Operationen einen Endzustand des
Systems zu erreichen, in dem der gesuchte Wert mit einer
hohen Wahrscheinlichkeit vorliegt, die möglichst bei 1
(dem eindeutigen Ergebnis) liegt.
In einem übertragenen Sinne sind die Besonderheiten
des Messprozesses auch für die berühmte und vieldiskutierte, aus physikalischer Sicht stark anfechtbare Polemik Goethes gegen Newton in seiner vor zweihundert Jahren erschienenen Farbenlehre verantwortlich, die man in moderner Interpretation etwa so formulieren könnte:
Newton stellt sich weißes (Sonnen-)Licht als ein Gemisch
(Überlagerung) der Spektralfarben vor, die unabhängig vom
beobachtenden Auge vorhanden sind und durch klassische
Experimente wie den Lichtdurchgang durch ein Prisma oder
durch Wassertröpfchen (Regenbogen) gesehen (gemessen)
werden können. Für Goethe dagegen sind Farben ,,Taten des
Lichts“; sie entstehen erst durch das Zusammenspiel von
Licht (weiß) und Finsternis (schwarz) als Urphänomene –
die Messinstrumente Auge und Gehirn verändern das eigentlich unveränderliche Sonnenlicht so, dass die Farben als
,,Täuschung“ unserer Sinne erscheinen. Diesen Eingriff bei
einer ,,Messung“ des Lichts drückt der Dichter wie folgt aus:
Möget ihr das Licht zerstückeln,
Farb’ um Farbe draus entwickeln,
Oder andre Schwänke führen,
Kügelchen polarisieren,
Daß der Hörer ganz erschrocken
Fühlet Sinn und Sinne stocken.
Literatur
Goethe und die Farbenlehre.
http://www.chemiedidaktik.uni-wuppertal.de/alte_seite_du/material/chonline/images/goethe.gif
Neumann, J. von: Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik.
Berlin: Springer, 1932.
䉯 Nukleare Kernresonanz (NMR): Qubits werden als
globale Spin-Zustände von vielen Molekülen in der
flüssigen Phase realisiert.
䉯 Supraleitung: Verwendung von Josephson-Brücken
zur Darstellung der Qubits.
Literatur und Internetquellen
Kürzlich erklärte eine Arbeitsgruppe am National Institute of Standards and Technology in Boulder (Colorado,
USA), sie habe den ersten vollständigen Quantencomputer
aufgebaut (Home u. a., 2009; vgl. auch Dacey, 2009). Zwei
Beryllium-Atome wurden in einer Ionenfalle lokalisiert
und die Daten mit UV-Laser-Impulsen manipuliert. Zur
Bewegung der Ionen über makroskopische Entfernungen
bis zu fast einem Millimeter zwischen verschiedenen Zonen in der Falle wurden elektrische Felder benutzt. Eine
Folge von 15 logischen Operationen konnte 3150-mal auf
jedem der 16 Qubits durchgeführt werden. Der Quantenprozessor arbeitete mit einer Genauigkeit von 94 Prozent.
Bussemer, P.: Können Quanten rechnen? – Quanteninformatik: Einführung in die Grundprinzipien. Teil 2: Komponenten von Quantencomputern. In: LOG IN, 30. Jg. (2010), H. 162, S. 65–72.
(wird fortgesetzt)
Prof. Dr. Peter Bussemer
Berufsakademie Gera
Weg der Freundschaft 4a
07546 Gera
Bussemer, P.: Können Quanten rechnen? – Quanteninformatik: Einführung in die Grundprinzipien. Teil 1: Grundbegriffe der Quantenphysik.
In: LOG IN, 29. Jg. (2009), H. 160/161, S. 98–102.
Dacey, J.: Tiny device is first complete ‘quantum computer’. physicsworld.com, 11. August 2009.
http://physicsworld.com/cws/article/news/40067
Home, J. P.; Hanneke, D.; Jost, J. D.; Amini, J. M.; Leibfried, D.; Wineland,
D. J.: Complete Methods Set for Scalable Ion Trap Quantum Information Processing. In: Sciencexpress Report, 6. August 2009.
Homeister, M.: Quantum Computing verstehen. Vieweg: Wiesbaden,
22008.
Sturm, Th. F.; Schulze, J.: Quantum Computation aus algorithmischer
Sicht. München: Oldenbourg, 2009.
Alle Internetquellen wurden zuletzt am 31. August 2010 geprüft.
E-Mail: [email protected]
LOG IN Heft Nr. 163/164 (2010)
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