Tanja Kohlpoth Systemtheorie und struktur

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Tanja Kohlpoth
Systemtheorie und struktur-individualistischer Ansatz in den
Internationalen Beziehungen
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Tanja Kohlpoth
Systemtheorie und struktur-individualistischer Ansatz in den Internationalen Beziehungen
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ISBN 3- 933146-22-4
© Kassel University Press GmbH, 1999
Vorwort
Einleitung
1. Grundlagen sozialwissenschaftlichen theoretischen Arbeitens
1.1 Aspekte der Methodologie der Sozialwissenschaften
1.2 Grundbegriffe sozialwissenschaftlichen Erkenntnisinteresses
1.2.1 Die Definition von Theorie
1.2.2 Der Begriff der Erklärung
1.2.2.1 Das kausale Erklärungsschema
1.2.2.2 Das funktionale Erklärungsschema
1.3 Kurze Zusammenfassung
4
4
10
11
19
19
22
23
2. Das Programm der Allgemeinen Systemtheorie
24
2.1 Die Dimensionen des Systembegriffs
2.2 Entwicklungslinien des systemtheoretischen Programms
2.2.1 Die Definition von System
2.2.2 Die Präzisierung des Systembegriffs
2.3 Terminologische Gesichtspunkte
2.4 Die Methoden der Systemanalyse
2.5 Die Übertragung der organismischen Heuristik auf den Bereich der Sozialwissenschaften
25
26
29
32
34
35
36
3. Sozialwissenschaftliche Heuristik der Allgemeinen Systemtheorie Der Strukturfunktionalismus
39
3.1 Die struktur-funktionale Systemtheorie nach T. PARSONS
3.2 Der Theorieansatz der voluntaristischen Handlungstheorie
3.3 Zum Funktionalismus in den Sozialwissenschaften
3.3.1 Definition des Begriffs Funktion
3.3.2 Funktionale Ansätze in der Gesellschaftstheorie
3.4 Die Allgemeine Theorie der Handlungssysteme
3.4.1 Die Einführung von Handlungssystemen
3.4.2 Der handlungstheoretische Bezugsrahmen und die Systemtheorie
3.4.3 Das Sozialsystem
3.4.4 Das AGIL-Schema und die Subsysteme des Handlungssystems
3.5 Das Konzept der generalisierten Medien
3.6 Evolution und gesellschaftlicher Wandel
3.7 Kurze Zusammenfassung
40
42
50
50
51
55
57
58
66
71
73
77
80
4. Der struktur-individualistische Ansatz
82
4.1 Grundlagen der theoretischen Konzeption des struktur-individualistischen Ansatzes
4.2 Theoriegeschichtlicher Hintergrund des struktur-individualistischen Ansatzes
4.3 Das Modell des homo oeconomicus
4.4 Das Modell des homo sociologicus
4.5 Metholodogisch-theoretische Grundannahmen im Bereich der Modellierung sozialer
Prozesse
4.6 Die Rational Choice-Theorien
4.6.1 Die Grundannahmen der Rational Choice-Theorien
83
86
93
94
96
99
99
4.6.2 Die Theoriebildung
4.6.3 Das Grundmodell der Erklärung
4.6.3.1 Die Entwicklung des Mikrodells
4.6.3.2 Der Makroeffekt im Mikromodell und das Problem der Transformation
4.6.3.3 Die rationale Wahl als Handlungstheorie
4.6.7 Die Verbindung von Individual-und Kollektivebene im Rahmen der Formulierung von
Brückenhypothesen
4.6.8 Die Methode der abnehmenden Abstraktion
4.6.8.1 Brückenhypothesen und abnehmende Abstraktion
4.6.8.2 Handlungstheorie und abnehmende Abstraktion
4.6.8.3 Transformationregeln und abnehmende Abstraktion
5. Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen des systemtheoretischen und des strukturindividualistischen Ansatzes in der politikwissenschaftlichen Teildisziplin der
Internationalen Beziehungen
101
102
105
105
106
107
109
112
112
112
117
5.1 Die politikwissenschaftliche Teildisziplin der Internationalen Beziehungen
5.1.1 Außenpolitisches Entscheiden und Handeln im Bereich der
Internationalen Beziehungen
5.1.2 Vergleich von Systemtheorie und Rational Choice-Theorie
5.2 Die Analyse der Internationalen Beziehungen im Rahmen der Systemkonzepte der
Allgemeinen Systemtheorie und des Strukturfunktionalismus
5.3 Grenzen der Anwendung systemtheoretischer Ansätze im Bereich der
Internationalen Beziehungen
5.4 Rationale Akteure als Träger von Entscheidungen im Bereich der
Internationalen Beziehungen
5.4.1 Theorie(n) des rationalen Handelns in den Internationalen Beziehungen
5.4.2 Spieltheoretische Modelle als Analyseansätze außenpolitischer Entscheidungs- und
Handlungsprozesse
5.4.2.1 Das Rationalitätskonzept
5.4.2.2 Formale Modellierung
5.5 Die Problematik der Verteilung knapper Ressourcen
5.6 Die Erlangung von Kooperation
5.7 Die Grenzen der Anwendung von Rational Choice-Modellen im Bereich der
Internationalen Beziehungen
118
Schlußwort
176
Literaturverzeichnis
121
123
127
139
154
155
157
160
162
164
168
172
i-xiii
Vorwort
Dieser Publikation liegt die Magisterarbeit
Darstellung zweier grundlagentheoretischer Ansätze - der Systemtheorie und
des struktur-individualistischen Ansatzes - und die Erörterung ihrer Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen im Rahmen der politikwissenschaftlichen
Teildisziplin der Internationalen Beziehungen
zugrunde. Sie wurde an der Gesamthochschule Kassel, Universität des Landes
Hessen, Fachbereich 05, Gesellschsftswissenschaften, von Prof. Dr. Werner
Ruf und Prof. Dr. Lothar Döhn, im Januar 1998 angenommen.
Einleitung
In der Politikwissenschaft können die Analysemethoden sowohl hinsichtlich der
zugrundegelegten theoretischen Konzepte als auch bezüglich der Auswahl
empirischer Daten unterschieden werden. Darüber hinaus ist das Forschungsinteresse an sozialen Sachverhalten auch durch die Ungleichheit metatheoretischer Fragestellungen und den damit verbundenen, teilweise auch
miteinander konkurrierenden methodologischen Regeln1 gekennzeichnet. Der
Status von Theorie, allgemein verstanden als Ansatzpunkt einer anwendungsbezogenen Realwissenschaft- hier der Politikwissenschaft- bedingt demungeachtet die kritische Einschätzung der Voraussetzungen, Möglichkeiten und
Grenzen der praktischen Umsetzung theoretischer Erkenntnisse.
Auf den Objektbereich der Internationalen Beziehungen bezogen, die auf dem
außenpolitischen Entscheiden und Handeln von Staaten und Gesellschaften,
d.h. der für sie handelnden Personen und Gruppen, basieren, wird die
Beschreibung und Erklärung des „Wie“ und „Warum“ außenpolitischen
Entscheidens und Handelns im Rahmen unterschiedlicher theoretischer
Modelle erfolgen, wobei in der vorliegenden Arbeit die grundlagentheoretischen
Konzeptionen
der
Systemtheorie
und
des
strukturell-individualistischen
Ansatzes diskutiert werden.
Zwei scheinbar grundsätzlich unterschiedliche Theorieansätze hinsichtlich ihrer
deskriptiven und erklärenden Kapazitäten zu erörtern, läßt sich aufgrund einiger
wesentlicher Annahmen, die in beiden Konzeptionen identifizierbar sind, aber
unterschiedliche Entwicklungsperspektiven der Erklärung sozialer Sachverhalte
aufweisen, begründen. Da, hinsichtlich der Betrachtung systemtheoretischer
Konzeptionen, der thematische Schwerpunkt in dieser Arbeit auf der
Betrachtung des struktur-funktionalen Ansatzes liegt, wird auch explizit auf die
Differenzierung zwischen struktur-funktionaler Systemtheorie und der Rational
Choice-Theorie, als struktur-individualistischem Ansatz, fokusiert.
1
Wobei in der Literatur in diesem Zusammenhang auch immer wieder auf die „in der
Gesamtbilanz fruchtbare Pluralität von Theorien“ (RITTBERGER 1990:12) verwiesen wird, die
damit auch teilweise unterschiedliche metatheoretische Überlegungen mit einbeziehen (vgl.
FREI 1977).
1
Den Ausgangspunkt markiert dabei der Sachverhalt, daß im strukturfunktionalen Ansatz PARSONS‘ zunächst - in Toward a General Theory of
Action - eine, dem individuellen Handlungsakt inhärente Rationalität, eingebettet in einen sozialen Kontext aus Normen, Werten und Institutionen und der
Thematisierung des Verhältnisses beider zueinander, festgestellt werden kann.
Dies entspricht im wesentlichen auch der Ausgangsüberlegung von Rational
Choice-Ansätzen. PARSONS modifiziert dann jedoch seinen theoretischen
Ansatz dahingehend, daß er Rationalität als geschichtsabhängige gesellschaftliche Institution deutet und diese damit aus dem Bereich des Subjektiven
herausnimmt. Auf die relevanten Theorieentscheidungen in den jeweiligen
Ansätzen wird in Kap.5 näher eingegangen.
Aufgrund beachtlicher Differenzen hinsichtlich der Definition von Theorie und
des hieraus abgeleiteten Verständnisses von Erklärung wird der Arbeit ein
Kapitel
vorangestellt,
das
sich
ausschließlich
der
Erörterung
dieser
Grundbegrifflichkeiten widmet. Die unterschiedlichen Orientierungen sozialwissenschaftlicher Positionen werden dabei ebenfalls kurz dargestellt, um auf
diese Weise verdeutlichen zu können, welche „Perspektive“ mit welchem
Theorieverständnis verbunden ist. Eine dezidierte Auseinandersetzung mit der
Grundlagendiskussion im Rahmen des Werturteils- bzw. Positivismusstreits ist
jedoch nicht Anlage des Kapitels. Entwickelt werden soll statt dessen ein
Grundverständnis, das die wissenschaftliche Einordnung der, in dieser Arbeit
behandelten, sozialwissenschaftlichen Ansätze ermöglicht.
In den weiteren Kapiteln werden die einzelnen theoretischen Konzeptionen
vorgestellt, wobei in der Darstellung wesentlicher Enwicklungsschritte der
Systemtheorie zunächst die überblicksartige Erläuterung der wichtigsten
Begrifflichkeiten dieses Paradigmas erfolgt (Kap.2), von dem aus die
Darstellung
der
sozialwissenschaftlichen
Heuristik
im
Rahmen
des
Strukturfunktionalismus eingeleitet wird (Kap.3). Zudem erscheint es von
Bedeutung auf das Programm der Allgemeinen Systemtheorie einzugehen, da
im Bereich der Internationalen Beziehungen die Systemansätze auf dieses
allgemeine Programm zurückgehen (Kap.5).
2
In der Erarbeitung des struktur-individualistischen Ansatzes, d.h. der Rational
Choice-Theorie(n), werden neben wesentlichen Aspekten der Entwicklung des
Ansatzes (Kap. 4) die Möglichkeiten der Analyse im Rahmen dieses
forschungsanleitenden Programms insbesondere durch die Analysemöglichkeiten
anhand
spieltheoretischer
Konzeptionen
in
den
Internationalen
Beziehungen vorgestellt (Kap.5).
Den Abschluß der Arbeit bildet die Erörterung der Anwendungsmöglichkeiten
und
Grenzen
der
vorgestellten
Ansätze
im
Forschungsbereich
der
Internationalen Beziehungen (Kap.5).
3
1. Grundlagen sozialwissenschaftlichen theoretischen Arbeitens
In diesem Kapitel werden überblicksartig wesentliche Aspekte der Wissenschaftstheorie im Bereich der Sozialwissenschaften angeschnitten. Der
Beweggrund hierfür entwickelte sich aufgrund der Notwendigkeit der Klärung
ausgewählter Positionen wissenschaftlicher Methoden, anhand derer im
Rahmen der vorliegenden Arbeit sozialwissenschaftliche Aneignung von
Wirklichkeit dargestellt werden wird.
1.1 Aspekte der Methodologie der Sozialwissenschaften
Der Theoriebegriff in den Sozialwissenschaften hat viele, teilweise auch
verschiedenartige Bedeutungen. Verwendet wird er sowohl als Synonym für
Methodologie, Begriffsanalyse, theoretisches Modell usw., als auch für Theorie
im engeren Sinn. Das Begriffsfeld Theorie läßt sich folglich in einen
erkenntnistheoretischen und einen sachproblembezogenen Teil gliedern. Für
den erstgenannten wäre von Wissenschaftstheorie zu sprechen, für den
letzteren von Ansätzen oder Modellen.
Zur
Begriffsfassung
Metatheorie
sollen
Standortbestimmung
von
Theorie
aus
der
im
als
Vielfalt
folgenden
Methodologie,
Paradigma2
unterschiedlicher
einige
zentrale
Kriterien
oder
zur
Diskussionspunkte
angesprochen werden. Generell ist im Rahmen dieser Definition eine Menge
von metatheoretischen Aussagen gemeint, die sich auf die bei der Analyse der
2
4
Die Diskussion über Paradigmen in den Wissenschaften begann Ende der 60er Jahre mit dem
Buch Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen von Thomas S. KUHN, wobei er im
wesentlichen formuliert, daß Wissenschaft nicht eine von den Wissenschaftlern allein nach
rationalen Gesichtspunkten gesteuerte Tätigkeit sei und zu immer wahreren Theorien der
Natur führe, sondern schließlich nur eine modellhafte Lösung für ein wissenschaftliches
Problem darstellt, welches zum Ursprung einer kollektiven Forschungstradition wird. Darüber
hinaus wird in der Paradigmendiskussion die Frage nach der Bearbeitung ungelöster
Probleme aufgeworfen, die zur Generierung eines forschungsanleitenden Konzepts notwendig
sind (vgl. KUHN 1967). Im Rahmen der Erörterung dieser Problemstellung muß jedoch darauf
hingewiesen werden, daß für die Sozialwissenschaften ein rigider Paradigma-Begriff schwierig
zu entwickeln ist, da der Forschungsgegenstand aus sozialen Akteuren besteht, die eine
eigenständige Realitätsdeutung besitzen. Grundsätzlich muß für die Sozialwissenschaften
dabei im Auge behalten werden, daß es keine unumstrittene Idee gesellschaftlicher Ordnung
gibt.
sozialen Wirklichkeit zugrunde gelegten wissenschaftstheoretischen Positionen
beziehen (vgl. BOUDON/BAURRICAULD 1992:576ff.).3
Die Unterscheidung der einzelnen theoretischen Grundpositionen ist in der
Literatur außerordentlich vielfältig angelegt. Oft wird die Differenzierung
zwischen
ontologisch-normativer,
empirisch-analytischer
und
kritisch-
dialektischer Theorie vorgenommen (vgl. ALEMANN 1995:124ff.). Der erstgenannte Theorietypus geht in seinen Grundannahmen davon aus, daß das
Wesen der sozialen Realität objektiv richtig erkannt werden kann und auf
dieser Basis die Planung und Steuerung der Gesellschaft möglich ist.
Empirisch-analytische Theorien legen den thematischen Schwerpunkt auf die
empirische Beschreibung und Analyse gesellschaftlicher Phänomene. Das
Wesen von Gesellschaft wird dabei in phänomenologisch reduktionistischer
Weise beschrieben.
4
Die kritisch-dialektische Theorie hat als zentralen
Themenpunkt die wechselseitige Beeinflussung von Wissenschaftler und
Objektbereich Gesellschaft und formuliert auf dieser Grundlage aufbauend
einen emanzipatorischen Ansatz theoretischer Modelle.
Sozialwissenschaftliche Konzeptionen können auch entlang der Positionen des
sogenannten
normativen
Wissenschaftsverständnisses,
dessen
Vertreter
neben der Erarbeitung theoretischer Lösungswege sozialer Problemstellungen
auch eine Zielbegründung, im Sinne normativer Empfehlungen, anstreben,
gegenüber der Auffassung von wissenschaftlichem Arbeiten im Rahmen des
analytischen Wissenschaftsverständnisses, deren Vertreter formulieren, daß
"normative Begründungen und Wertsetzungen nicht Aufgabe von Wissenschaft
sind, weil dies logisch unmöglich sei, da sich Normen und Ziele im
wissenschaftlichen Sinne nicht begründen und rechtfertigen ließen"
(BÜSCHGES u.a. 1995:72f.)
3
4
Methodologie betrifft auch die Methoden der Forschung, ist aber nicht mit der Lehre von den
Forschungstechniken zu verwechseln. Methodologie ist eine Metatheorie, welche sich, als
Theorie über mehrere Theorien, der grundlegenden Untersuchung wissenschaftlicher
Methoden widmet. Sie ist als solche Teil der Wissenschaftstheorie (vgl. LANKENAU/
ZIMMERMANN in Schäfers 1995:203).
Edmund HUSSERL begründete die philosophische Richtung der Phänomenolgie, wobei
wesentlich ist, die reinen Phänomen (von griechisch: phainomenon = das Erscheinende) ins
Zentrum der Betrachtung zu stellen (vgl. LENK 1991:325).
5
unterschieden
werden
kontroversen
zwischen
(vgl.
BÖTTCHER
normativem
und
1979:15ff.).
Die
analytischem
Methoden-
Wissenschafts-
verständnis führten zu Beginn dieses Jahrhunderts zum Werturteilsstreit. In der
Fortsetzung des Konflikts hinsichtlich des "richtigen" Verständnisses von
Sozialwissenschaft kam es, in den 60er Jahren, zu einem Höhepunkt der
Auseinandersetzung in den Streitigkeiten zwischen Theodor W. ADORNO (als
Vertreter
der
Kritischen
Theorie)
und
Karl
R.
POPPER
(Kritischer
Rationalismus) und der später, vor allem von Jürgen HABERMAS und Hans
ALBERT, weitergeführten Grundsatzdiskussion über die Logik sozialwissen5
schaftlicher Forschung. Die schließlich als Positivismusstreit in die Geschichte
der Sozialwissenschaften eingegangene Methodendiskussion erweitert den
Bereich der Methodenstreitigkeiten insoweit, daß es
"nun endgültig zu einem Kampf nicht mehr um die rechten Mittel, die wir
zwecks kontrollierten Erkenntnisgewinns und zwecks kalkulierter Handlungschancen anwenden sollen, sondern unmittelbar zu einem Kampf um die
Aufgaben soziologischer Wissenschaft" (BÖTTCHER 1979:10)
kommt. Die Divergenzen zwischen empirisch-analytischer Wissenschaftstheorie und Kritischer Theorie beziehen sich demzufolge auf ein grundsätzlich
unterschiedliches
Anliegen
sozialwissenschaftlicher
Arbeit:
Während
im
Rahmen des Kritischen Rationalismus die Gesellschaft empirisch erfaßt und
deskriptiv bearbeitet wird, um die objektive Wirklichkeit wertfrei zu erkennen, ist
die Anlage der Kritischen Theorie nicht nur beschreibend sondern emanzipatorisch tätig zu sein. Der Begründung, daß Erscheinung und Wesen gleich
sind und daher bereits die Beschreibung als "Aufklärung" verstanden wird, folgt
die
Ablehnung
normativer
Empfehlungen
im
Rahmen
des
Kritischen
Rationalismus. Die Kritische Theorie geht jedoch von der Annahme aus, daß
Erscheinung nicht gleich Wesen ist und Theorie erklärende Funktion in bezug
auf die vorfindbaren Erscheinungen haben muß. Als Folge der aufklärerischen
Position Kritischer Theorie wird der Bereich der normativen Empfehlungen als
Teil wissenschaftlicher Arbeit betrachtet. Die in dieser Arbeit miteinander zu
5
6
DAHRENDORF (1977) verweist auf die Ungenauigkeit der Verwendung des Begriffs
Positivismus im Rahmen der Grundlagendebatte: Die Vertreter der Kritischen Theorie
bezeichneten die am Streit beteiligten Vertreter des Kritischen Rationalismus als Positivisten.
vergleichenden Theoriekonzeptionen, unterscheiden sich nur hinsichtlich der
Mittel der Erkenntnisgewinnung, nicht jedoch in der Frage der Aufgabe
sozialwissenschaftlicher
Erkenntnis.
Weder
der
struktur-individualistische
Ansatz noch die struktur-funktionale Systemtheorie formulieren in ihren
Annahmen eine aufklärerische Funktion im Sinne der Kritischen Theorie. Die
Erklärung sozialer Sachverhalte wird sich daher, gemäß der angegebenen
Differenzierung, im Rahmen dieser Arbeit explizit an ihrer Themenstellung
orientieren.
Die Untersuchung sozialer Sachverhalte im Rahmen von theoretischen
Modellen ist weiterhin begleitet von der grundsätzlichen Kontroverse, ob soziale
Phänomene nur sozial erklärbar sind und Gesellschaft demzufolge als Wesen
sui generis betrachtet werden muß oder ob individuelles Verhalten gesellschaftliche Erscheinungen determiniert und diese damit vollständig oder
zumindest teilweise erklärt. Die Differenzierung verläuft somit entlang einer
kollektivistisch-holistischen gegenüber einer individualistischen Linie. Beide
Ansätze bestehen nebeneinander und sind in verschiedenen Formen sogar
miteinander kombiniert.
In den Arbeiten WEBERs sind die unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten zur
Erklärung sozialer Sachverhalte ausführlich thematisiert. Er versteht dabei
soziales Handeln als ein Verhalten, dem ein subjektiv gemeinter Sinn in bezug
auf das Verhalten anderer unterlegt und dadurch erklärbar ist. Sinn und
Sinnzusammenhang sind somit entscheidend für das Verstehen (vgl. WEBER
6
1985:1). Neben dem subjektiv gemeinten Sinn bestehen auch kulturell und
gesellschaftlich vermittelte Sinnzusammenhänge, die als Werte und Normen
erfaßbar sind (vgl. WEBER 1985:4f.). Kollektive soziale Gebilde werden
demzufolge nur als Kategorien für bestimmte Formen des Zusammenlebens
aufgefaßt und können auf das Handeln der beteiligten Individuen reduziert
werden.
6
Als Beispiel kann die Orientierung im Rahmen von Zweckrationalität angeführt werden, was in
Rational Choice-Konzeptionen auch als Nutzenorientierung ausgelegt wird.
7
Demgegenüber wird z.B. in der theoretischen Konzeption DURKHEIMs der
thematische Schwerpunkt auf das Zustandekommen von Strukturen, die
Verhaltensregelmäßigkeiten bedingen, gelegt. Dem gesellschaftlichen Gebilde
wird hierbei gegenüber der Individualebene Vorrang eingeräumt.
Die Differenzierung zwischen diesen beiden Positionen leitet zu einem weiteren
Aspekt über, der die Unterscheidung zwischen sozialwissenschaftlichen und
naturwissenschaftlichen Erklärungsweisen sozialer Sachverhalte thematisiert.
In den Naturwissenschaften ist der Objektbereich weitgehend „unbelebte
7
Materie“, in den Sozialwissenschaften sind die Objekte hingegen Menschen .
Und
„Gesellschaft ist das Produkt menschlicher Handlungen, und Menschen sind in
ihren Aktivitäten von Glauben und Wissen, von Selbstreflexion und
Wahrnehmung ihrer sozialen Umwelt zutiefst beeinflußt.“ (WEISS 1993:1)
Der Forschungsbereich sozialen Handelns umfaßt somit Handlungselemente,
die nur subjektiv rational sind und daher nicht „berechenbar“. Hier schließt sich
auch die Frage an, ob aufgrund des besonderen Forschungsbereichs die
Sozialwissenschaften einen methodischen Sonderstatus benötigen oder ob sie
den Naturwissenschaften ähnliche Forschungstechniken anwenden können.
Die Orientierung an naturwissenschaftlichen Forschungstechniken basiert als
Wissenschaftskonzeption auf einem mechanistisch-naturwissenschaftlichen
Vorgehen,
das
auf
die
durch
Beobachtung
gewonnenen,
positiven,
Sachverhalte abzielt. Dadurch, daß Erscheinungen als Wirkungen bestimmter
Ursachen aufgefaßt werden, d.h. der Herleitung von kausalen Beziehungen
zwischen Erscheinungen, werden Erklärungen formuliert. Die Ergebnisse
derartiger Untersuchungen werden in der Regel als allgemeingültige Aussagen
in Form von Gesetzen formuliert, mit deren Hilfe wiederum weitere
Erscheinungen erklärt werden sollen (vgl. BÖTTCHER 1979:17). Inhaltlich wird
im Rahmen dieser wissenschaftstheoretischen Linie die Position des
„Erklärens“ vertreten.
7
8
Der Sozialwissenschaftler selbst ist zudem Gegenstand seines Erkenntnisbereichs und verfügt
somit nicht über die Distanz des Naturwissenschaftlers zu dessen Objektbereich.
Im Rahmen der Verstehenden Soziologie, als ideographische Wissenschaftsauffassung, steht hingegen die „interpretative Perspektive“ für die Erklärung
sozialer Sachverhalte im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses. (TREIBEL
1995:109), Ausgangspunkt ist auch hier die Darstellung empirisch vorfindbarer
sozialer Tatbestände, aber aufgrund des deskriptiven Untersuchens von
Einmaligem, d.h. Individuellem, sollen interessierende soziale Sachverhalte
8
nicht nur kausal erklärt, sondern auch teleologisch verstanden werden. Die
interpretative
Dimension
sozialen
Handelns
(gegenüber
der
kausal-
analytischen Erklärweise) wirft die Frage auf, ob eine andere Logik der
Erklärung zugrunde gelegt werden muß. Die Berücksichtigung der subjektiven
Konstruktionen erster Ordnung der Akteure könnten auch nicht-objektive
Konstruktionen
zweiter
Ordnung
bedingen.
WEBER
gibt
in
diesem
Zusammenhang an, daß das Subjekt des Sozialen mit den gleichen Methoden
angegangen werden muß, wie sie für alle Wissenschaften gelten. Die
Konstruktionen zweiter Ordnung müssen rational sein, auch wenn die
Konstruktionen erster Ordnung, auf denen sie beruhen, nicht-rational/nichtlogisch sind. Damit kann auch der Komplex sozialen Verhaltens logisch erfaßt
und dargestellt werden, der scheinbar irrationalen Motivationen unterworfen ist
(vgl. ESSER 1993:84).
Die genannten methodologischen Aspekte sozialwissenschaftlichen Arbeitens
bedingen ein unterschiedliches Verständnis hinsichtlich der Konstruktion
theoretischer Modelle, was im folgenden dargestellt wird.
8
Der Objektbereich der Sozialwissenschaften besteht neben beobachtbaren Merkmalen (im
positivistischen Sinn des empirisch nachweisbaren) auch aus Ideen und Motiven der
9
1.2 Grundbegriffe sozialwissenschaftlichen Erkenntnisinteresses
Jeder wissenschaftlichen Untersuchung ist eine Theorie vorangestellt - ganz
gleich wie deutlich sie formuliert wird - denn Theorie
„[...] dient der Präzisierung der Fragestellung und der Rekonstruktion Nachbildung - des Untersuchungsgegenstandes, des Erkenntnisobjektes.“
(KONEGEN/SONDERGELD1985:138)
Theorie kann somit verstanden werden als Bezugsrahmen, der einen
bestimmten interessierenden Sachverhalt in einer bestimmten Weise fokusiert
und festlegt, welche Informationen als relevant bzw. irrelevant für die
Untersuchung gelten sollen. Die aufgenommenen Informationen müssen
darüber hinaus in eine Ordnung, d.h. systematischen Zusammenhang gebracht
werden, was bedeutet,
„daß den als relevant ausgewählten und zu ordnenden Fakten ein Sinn
zugrunde gelegt wird.“ (FREI 1977:14)
In der darauf folgenden Interpretation der ausgewählten Informationen liegt die
Erklärungsfunktion von Theorie (vgl. FREI 1977:13 f.).
Die Betrachtung sozialer Sachverhalte ist darüber hinaus durch zeitliche und
gesellschaftliche Rahmenbedingungen bzw. Kontexte bedingt. Theorien
enthalten somit Traditionen und formulieren Interessen. Auf diese Weise
beeinflussen sie den gesellschaftlichen Rahmen, in dem sie wirken.
Eine
grundlagentheoretische
Auseinandersetzung
im
Rahmen
(politik-)
wissenschaftlicher Theorien setzt voraus, den Begriff Theorie zunächst zu
bestimmen und weiterhin Merkmale von Theorie(n) darzustellen. Im Auge
behalten werden muß auch, daß Theorien zur Erklärung interessierender
sozialer Tatbestände dienen und erst über eine grundlegende Verständigung
hinsichtlich der unterschiedlichen Auffassungen von Erklärung in theoriespezifische Diskurse eingeleitet werden kann.
Menschen, die es bedingen die kausale Verknüpfung durch Interpretation zu erweitern.
10
1.2.1 Die Definition von Theorie
Der Begriff Theorie leitet sich vom griechischen theoria ab (das Anschauen,
das Betrachten von etwas; theorein: anschauen). Gegenüber der Praxis
(griechisch. praxis: Das Handeln, die Tat) und Empirie (griechisch: empeiria:
Erfahrung, Übung) nimmt Theorie somit einen abstrakteren Charakter an.
Unter Theorie im engeren Sinn ist die dem naturwissenschaftlichen
Erkenntnisprozeß nachgebildete Form der Abgrenzung, Einheitlichkeit und
Überprüfbarkeit des Aussagezusammenhangs hinsichtlich einer Menge von
Aussagen, die ein System bilden, aus dem sich empirisch überprüfbare
Folgerungen ableiten lassen, zu verstehen (vgl. SCHÄFERS 1995:314). In der
Ausformulierung dieser Auffassung wird Theorie als ein System logisch
widerspruchsfreier
und
empirisch
aussagekräftiger
Hypothesen,
das
Basisannahmen (Axiome) enthält, aus denen weitere Aussagen abgeleitet
werden können, definiert. In diesem Sinn bedeutet Theorie eine Menge
empirisch überprüfbarer Aussagen über die Wirklichkeit.
Das Spektrum der Anwendung von Theorien reicht von der Analyse des
individuellen sozialen Handelns über die Untersuchung von Gruppen und
Institutionen bis zum Versuch der Erklärung der Entstehung, Strukturiertheit
und
dem
Veränderungsprozeß
der
verschiedenen
gesellschaftlichen
Zusammen-schlüsse. Hier ist wieder eine wesentliche Komponente der
Paradigmen-diskussion angesprochen: Eine derartige Themenvielfalt kann
kaum von einer Metatheorie erfaßt und bearbeitet werden.
9
Neben der Definition des Begriffs Theorie müssen im Rahmen der
Beschreibung einer solchen ihre Haupteigenschaften und somit auch die
Definition der in der Theorie enthaltenen Begriffe erörtert werden.
Da in den Sozialwissenschaften zwischen unterschiedlichen Auffassungen von
Theorie unterschieden werden muß, behandelt der folgende Abschnitt das
Verständnis
9
von
Theorie
zunächst
nach
den
Gesichtspunkten,
wie
Hinsichtlich der Inhalte von Theorien finden sich Unterscheidungen in: Systemtheorien,
Gesellschaftstheorien und Verhaltens- und Handlungstheorien als auch Kombinationen dieser
(vgl. GUKENBIEHL/SCHÄFERS in Schäfers 1995:316).
11
beispielsweise HOMANS (1972) sie formuliert und nach denen unter Theorie
die Erklärung eines Phänomens mit Hilfe eines deduktiven Systems verstanden
werden soll. Demgegenüber steht die Auffassung von Theorie, wie sie im Werk
Talcott PARSONS’ ausgearbeitet ist.
Für HOMANS gehören zu den allgemeinen Merkmalen von Theorie zunächst
eine Reihe von Begriffen (bzw. ein Begriffsschema). Einige der Terme im
Schema klassifiziert er als deskriptive Begriffe, die aufzeigen, worauf Bezug
genommen wird (z.B. Individualismus oder Kollektivismus etc.). Diese Begriffe
werden durch die Kriterien, nach denen Beobachtungen unter ihnen subsumiert
werden, definiert.10 Eine zweite Kategorie bezeichnet er als operative Begriffe,
die Eigenschaften der Realität benennen. Diese Eigenschaften sind Variablen,
die Wahrscheinlichkeiten sein können, so z.B. Nutzenmaximierung oder
Erhaltung des Systemgleichgewichts. Die Variablen können stetig Veränderliche sein oder lediglich zwei Werte annehmen.
11
Eine Theorie besteht, nach HOMANS, darüber hinaus aus einer Reihe von
Hypothesen, von denen jede eine Beziehung zwischen mindestens zwei
Eigenschaften feststellt.12 Diese Hypothesen bilden ein deduktives System13,
wobei einige der Hypothesen kontingent sein müssen.14 Hinsichtlich ihres
Allgemeinheitsgrades
können
sich
die
Hypothesen
unterscheiden.
Die
Unterschiede leiten sich aus den Bezügen ab, so beispielsweise hinsichtlich
einer bestimmten Gesellschaft, einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe
oder Einheit auf die näher eingegangen werden soll (vgl. HOMANS 1972:10)
Die allgemeineren Hypothesen werden Hypothesen höherer Ordnung genannt,
10
Wichtig ist, daß die Operationen, die durch solche Begriffe definiert werden unabhängig sind
von denjenigen, die durch andere Begriffe definiert werden.
11
Eine Eigenschaft ist vorhanden oder sie ist es nicht.
12
Alle Verknüpfungen von Aussagen müssen logisch konsistent sein.
13
Die Reihe der Hypothesen bildet den theoretischen Kern und entsprechend den Festlegungen
des Theoriekerns, müssen Hypothesen in logischer Folgerung auseinander abgeleitet werden
können. Wenn Hypothesen so deduziert wurden, sagt man sie seien erklärt. HOMANS
resümiert: “Eine Theorie ist nichts wenn sie keine Erklärung ist“ (1972:10).
14
HOMANS verwendet den Begriff Kontingenz in der Weise, daß für die „Wahrheit oder
Falschheit oder für die der aus ihnen abgeleiteten Hypothesen die Erfahrung von Bedeutung
ist (vgl. 1972:10). Nicht-kontingente Hypothesen werden in den Kalkül eingeführt um die
Deduktion zu vereinfachen. Nicht-Kontingenz bedeutet hier Wahrheit aus rein logischen
Gründen.
12
die weniger allgemeinen Hypothesen niederer Ordnung oder empirische
Hypothesen (vgl. HOMANS 1972:11).
Eine Theorie kann in der Zuweisung von Hypothesen unterschiedlich angelegt
sein. Gewöhnlich spricht man von einer Theorie, wenn eine Klasse von
Phänomenen behandelt wird. Dem zugrundeliegenden Verständnis folgend
kann Theorie verstanden werden als ein Bündel von deduktiven Systemen,
welche sich zwar hinsichtlich ihrer Hypothesen niederer Ordnung einschließlich
der zu erklärenden Hypothese differenzieren, die jedoch eine oder mehrere
Hypothesen höherer Ordnung gemeinsam haben (vgl. HOMANS 1972:11).
Somit kann eine Vielzahl empirischer Hypothesen aus einer kleinen Anzahl von
Hypothesen
höherer
Ordnung
unter
verschiedenen
Randbedingungen
abgeleitet werden. Dies umfaßt in der Gesamtkomplexität und Ausformulierung
dann den Gehalt einer Theorie.
Im Rahmen dieser Auffassung finden sich in der Entwicklung einer Theorie
folglich Begriffe und Hypothesen, die hinsichtlich der Leistung an ihrer
Deduktionsfähigkeit gemessen werden können. Die Darstellung der Merkmale
von Theorie verweist auf eine wesentliche Schlußfolgerung, denn
„Als Ideal unterscheidet sich das Wesen von Theorie, von Erklärung, in den
Sozialwissenschaften nicht von den Naturwissenschaften [...]. Die beiden
Gebiete unterscheiden sich natürlich in der Art der Hypothesen, die in ihre
deduktiven Systeme eingehen, keineswegs jedoch darin, daß deduktive
Systeme gemeint sind, wenn von Theorien gesprochen wird.“ (HOMANS
1972:15)
Demgegenüber formuliert PARSONS ein Verständnis von Theorie, das im
wesentlichen auf drei Funktionen begründet ist:
„First, it should aid in the codification of our existing concrete knowledge.“
(PARSONS 1953:3)
Dabei geht es PARSONS um die Bereitstellung von generalisierenden
Hypothesen, die eine systematische Reformulierung von bestehenden
Tatbeständen ermöglichen. Hierbei sollen Teilhypothesen erweitert und im
13
Rahmen von umfassenderen Konzepten verknüpfbar gemacht werden. Das
entstehende Kodifikationsschema
„[...] will help to promote the process of cumulative growth of our knowledge.“
(PARSONS 1953:3)
Dabei verweist PARSONS auch auf die Möglichkeit der Verdeutlichung von
„points where further work must be done.“ (PARSONS 1953:3)
Die zweite Funktion von Theorie lokalisiert PARSONS den Aspekt, daß Theorie
als Leitfaden der Forschung zu dienen hat. Als wesentliches Kriterium führt er
die einheitliche Nutzung von Forschungsstrategien an, die zur
„validation and revision of the theory“ (PARSONS 1953:3)
führen sollen. Die Möglichkeit im Rahmen einer umfassenden Theorie
Teilanalysen eine verläßliche
„control of the biases of observation and interpretation“ (PARSONS 1953:3)
zu liefern, wird als dritte Funktion von Theorie gekennzeichnet.
In der Zusammenfassung der drei Funktionen kann formuliert werden, daß
Theorie als
„Gesamtheit allgemeiner Begriffe, die logisch interdependent sind und einen
empirischen Bezug haben“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:31)
aufgefaßt werden kann. Die logische Geschlossenheit der Gesamtkonzeption
ermöglicht im Idealfall ein Ausmaß logischer Integration, in dem
„[...] jede logische Implikation aus einer beliebigen Kombination von Sätzen des
Systems in einem anderen Satz des gleichen Systems ausdrücklich festgestellt
wird.“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:31f.)
14
Ein hochentwickeltes theoretisches System kann weiterhin eine Vielzahl
verschiedener allgemeiner Begriffstypen umfassen, die zudem unterschiedliche
Funktionen aufweisen können. Nach PARSONS gehört zu den wichtigsten
Funktionen von Theorie:
1. die Beschreibung der Sachverhalte
2. die Analyse derselben
woraus er ableitet, daß Analyse nur nach genauer Beschreibung der
wesentlichen
Tatsachen
möglich
ist.
Als
Grundkategorie
aller
wissenschaftlichen Deskription legt er das empirische System als Explanandum
zugrunde (vgl. PARSONS in Rüschemeyer 1964:32). Hierbei nimmt er Bezug
zur Relation zwischen der Tatsachenfeststellung und der ihr nachfolgenden
theoretischen Begriffsbildung, die selektiv erfolgen muß und dennoch ein
möglichst kohärentes Ganzes ergeben sollte. Die Angemessenheit der
Deskription läßt sich nach PARSONS zeigen, wenn
„auf alle in dem jeweiligen Zusammenhang wissenschaftlich wichtigen Fragen
genaue und verifizierbare Antworten gegeben werden können“ (PARSONS in
Rüschemeyer 1964:32),
Auf der Ebene der Beschreibung lokalisiert PARSONS dann zwei Elemente, die
die Funktion eines allgemeinen Begriffsschemas erfüllen:
1. einen Bezugsrahmen bzw. ein Kategorienschema, innerhalb dessen sich die
wissenschaftliche Untersuchung verortet (vgl. PARSONS in Rüschemeyer
1964:33). Wesentlich ist dabei, daß
„[...] für eine begrenzte Anzahl von Grundkategorien bestimmte Werte
festgestellt worden sein müssen, ehe man von einer genauen Beschreibung
sprechen kann.“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:33).
2. Die Erscheinungen, die zusammenhängend ein System bilden weisen auch
auf der strukturellen Ebene Zusammenhänge auf (vgl. PARSONS in
Rüschemeyer 1964:34).
15
Die Strukturkategorie dient dabei zur Beschreibung der wesentlichen
Sachverhalte und schafft die Ausgangsposition für die Lösung von Problemen
in der dynamischen Analyse.
PARSONS differenziert hier die kausale Erklärung von der Auffindung von
Gesetzen. Beide Aspekte werden aber in der Zielperspektive wieder
zusammengeführt (vgl. PARSONS in Rüschemeyer 1964:34).
Das Kennzeichen der dynamischen Analyse ist dann:
„eine Reihe interdependenter Erscheinungen simultan im Sinn der Mathematik
zu formulieren“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:35)
und dies als Differentialgleichungssystem wiederzugeben. Um eine solche
Ebene erreichen zu können, glaubt PARSONS zwei Voraussetzungen in
seinem theoretischen Konstrukt erfüllt zu haben:
1. Variablen müssen empirischen Charakter haben
und
2. sie müssen so beschaffen sein, daß bestimmte Techniken auf sie
anwendbar sind (vgl. PARSONS in Rüschemeyer 1964:36).
Die Problemperspektive, die hier entsteht erfaßt PARSONS folgendermaßen:
„Dieser Art der analytischen Behandlung sind jedoch nur ganz bestimmte
Variablen zugänglich - nämlich solche, die nur ihren numerisch quantitativen
Wert entlang eines Kontinuums verändern.“ (PARSONS in Rüschemeyer
1964:36)
Eine erfolgreiche dynamische Analyse kann sich daher nur über die
„ständige systematische Rückbeziehung jedes Problems auf den Zustand des
Systems als Ganzem“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:36)
ergeben. Sollte dies nicht möglich sein, schweift er ab, soll eine methodische
Vereinfachung vorgenommen werden:
„Logisch ist dies nur in der Form möglich, daß man einigen allgemeinen
Kategorien die Rolle von Variablen entzieht und sie als Konstante behandelt.
Genau dies tut ein analytisches System wie die Mechanik mit gewissen
16
Elementen außerhalb des Systems, die als Bedingungen behandelt werden.
Das gleiche ist jedoch auch innerhalb des Systems logisch möglich. Die
Verwendung von strukturellen Kategorien bei der Behandlung dynamischer
Probleme erfüllt im wesentlichen diese Funktion.“ (PARSONS in Rüschemeyer
1964:37).
Sie, so führt PARSONS aus, kann somit als Vereinfachung der dynamischen
Elemente betrachtet werden, wobei auf die Möglichkeit einer mathematischen
Analyse verzichtet wird (vgl. PARSONS in Rüschemeyer 1964:37). Das
Problem, das dabei entsteht, reduziert sich in seinem Ausmaß wiederum
dadurch, daß immer die Beziehung von Teil zum Ganzen thematisiert wird.
„Denn die Struktur eines Systems, wie sie durch ein allgemeines
Begriffsschema beschrieben wird, ist ein echtes technisch-analytisches
Werkzeug.“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:37)
Ableitend aus mechanistischen Systemvorstellungen kann er so ein Fundament
der Erklärung schaffen und faßt zusammen:
„Es gibt die Gewähr dafür, daß nicht wirklich wichtiges Wichtiges vernachlässigt
wird; und indem es einen festen Zusammenhang schafft, trägt es zur
Genauigkeit der Problemstellungen und Lösungen bei.“ (PARSONS in
Rüschemeyer 1963:37)
Während er die Art der Struktur als selbständiges theoretisches Element für die
Beschreibung des Systems aus mechanistischen Vorstellungen ableitet,
zergliedert er es auf dynamischer Ebene in Prozeß und Interdependenz. Damit
werden diese Aspekte zu wichtigen Kategorien seines theoretischen Modells.
Struktur bezeichnet dabei die relative Stabilität und Gleichförmigkeit im
Ergebnis bestimmter zugrundeliegender Prozesse.
Weiterhin wird der Begriff der Funktion ein wesentliches Element der
theoretischen Konzeption und PARSONS verdeutlicht dies folgendermaßen:
„Führt man die Struktur eines Systems als einen positiven Grundbestandteil in
die dynamische Analyse ein, so müssen diese >statischen< Strukturkategorien
und die jeweiligen, sich aus ihnen ergebenden Tatsachenfeststellungen auf
irgendeine Weise mit den dynamisch variablen Elementen des Systems
verknüpft werden.“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:38)
17
Wichtig ist hierbei, daß PARSONS Kriterien für die Wichtigkeit der
unterschiedlichen dynamischen Faktoren und Prozesse innerhalb des Systems
festlegt. Sie sind von funktionaler Bedeutung für das System und ermittelbar
aus der
„Analyse der jeweiligen funktionalen Beziehungen zwischen den Teilen des
Systems, sowie dem System und seiner Umgebung.“ (PARSONS in
Rüschemeyer 1964:38)
Über den Begriff der Funktion kann PARSONS auch die Dynamik des
empirischen Systems verdeutlichen, denn Struktur meint Zusammenhänge
innerhalb von Grenzen, Funktion verdeutlicht eine Entwicklungsperspektive.
Auch wenn PARSONS den teleologischen Charakter dieser Annahme erkennt denn Prozesse können funktional oder dysfunktional verlaufen - ist hierbei
vordergründig wichtig, daß das funktionale Moment in seinem ganzen Umfang
„[...] das logische Äquivalent für die Simultangleichungen in einem voll
entwickelten System der analytischen Theorie dar[stellt/Anm/TK].“ (PARSON in
Rüschemeyer 1964:38)
Auf diese Weise kann schlußfolgernd auch ohne entsprechende mathematische Techniken die dynamische Interdependenz variabler Faktoren in
einem System analysiert werden.
Theorie hat damit als Hauptfunktion die vollständige Beschreibung, aufgrund
derer die Interpretation des interessierenden Sachverhalts erfolgt. Systeme
enthalten dabei eine dysfunktionale funktionale Kategorie, die mit strukturellen
Kategorien verknüpft werden müssen, d.h.
„sie müssen Prozesse beschreiben, die diese bestimmten Strukturen erhalten
bzw. abbauen und die Beziehungen des Systems zu seiner Umwelt vermitteln.
Dieser Aspekt des Systems muß gleichfalls in dem oben beschriebenen Sinne
vollständig sein“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:39)
um darüber zu einer Interpretation zu gelangen.
18
PARSONS rekurriert in der Darstellung der Konzeption seines Theoriebegriffs
auf Systeme der Physiologie und Psychologie, die beide als Bezugspunkt einen
Organismus haben. Und verdeutlicht
„Die Kriterien für die Bedeutung von Prozessen [...] und ihrer dynamischen
Interdependenz ergeben sich aus ihrer Funktion in Bezug auf die Erhaltung
dieser Struktur in einer gegebenen Umwelt.“ (PARSONS in Rüschemeyer
1964:39)
1.2.2 Der Begriff der Erklärung
Die Lösung sozialer Problembereiche erfordert eine Antwort auf die Frage,
warum der interessierende Sachverhalt so besteht, so funktioniert und sich
gegebenenfalls so verändert, wie es erfaßt worden ist (vgl. ESSER 1993:39ff.).
Das der Erklärung zugrundeliegende Wissenschaftsverständnis determiniert die
Formulierung der Antworten. In den Sozialwissenschaften werden dabei
verschiedene Erklärungsschemata von einander differenziert.
1.2.2.1 Das kausale Erklärungsschema
Das Grundschema der Erklärung orientiert sich hier an dem von HEMPEL und
OPPENHEIM (vgl. ESSER/KLENOVITS/ZEHNPFENNIG 1977:101ff.) entwickelten Konzept der deduktiv-nomologischen Erklärung.
15
Die Erklärung
eines Phänomens bedeutet hier, daß das zu erklärende Phänomen als Folge
bestimmter kausaler Ursachen zu erkennen ist. Im Zentrum steht die Frage
warum das explanandum-Ereignis geschah. Den Ausgangspunkt bildet die
genaue Deskription, wobei es sich meist um Einzelfallanalysen handelt, die die
15
In der Literatur auch als Hempel-Oppenheim-Modell oder H-O-Schema bekannt. Diese
Konzeption von Erklärung hat man auch als covering law model oder deduktives
Erklärungsmodell bezeichnet. Ursprünglich nur für die Erklärung naturwissenschaftlicher
Phänomene entwickelt, antizipiert dieser Erklärungstyp deterministische Gesetze und ist in der
Übertragung auf die Gesellschaft umstritten, da für den Bereich der Sozialwissenschaften die
Annahme einer interpretativen Dimension aller sozialen Prozesse besteht, vor deren
Hintergrund jede kausale Erklärung in wichtiger Hinsicht unvollständig bleiben muß (vgl.
ESSER 1993:40, vgl. auch ESSER/KLENOVITS/ZEHNPFENNIG 1977:106f.).
19
Eingrenzung eines
Phänomens
auf
zeitliche,
räumliche
und
situative
Konstellationen vorsieht. Das Schema entwickelt sich sodann wie folgt:
Das Explanandum umfaßt die Beschreibung des Phänomens des „zu
erklärenden“. Und im Explanans sind die Aussage über das Explanandum in
einer Klasse von anderen Aussagen logisch enthalten (vgl. ESSER 1993:40f.).
Das Explanans hat darüber hinaus zwei Bestandteile:
allgemeine Gesetze, die Ursachen und Konsequenzen (Folgen) in „wenn dann“ Gesetzen verbinden, indem Folgen als Funktion der Ursachen benannt
und als Kausalbeziehung(en) aufgefaßt werden und
Randbedingungen (engl. initial conditions), d.h. Beschreibungen, daß die
Ursachen (singuläre Ereignisse) tatsächlich vorliegen (vgl. ESSER 1993:41).
„Die Erklärung eines Explanandums ist dann erfolgt, wenn es ein Gesetz gibt,
daß das Explanandum allgemein als Folge der Randbedingungen aufführt, und
wenn gezeigt werden kann, daß die im Gesetz für diese Folgen geforderten
Randbedingungen im speziellen Fall auch wirklich erfüllt waren.“ (ESSER 1993:
41).
Zusammenfassend läßt sich für das Prinzip der Erklärung folgendes angeben:
Das Explanadum E(i) ist eine Aussage über ein zu erklärendes Phänomen,
welches in einem Satz von Aussagen über allgemeine Gesetze L1, L2, L3...Lr
und in einem Satz über relevante Randbedingungen C1,C2,C3...Ck aufgeführt
werden kann. Die Erklärung von E(i) ergibt sich somit aus L1, L2, L3...Lr und
C1, C2, C3...Ck.
Gemäß den Bedingungen, daß 1. das E(i) im Explanans tatsächlich enthalten
sein und aus den Aussagen schlüssig folgen muß und 2. das Explanans ein
allgemeines Gesetz enthalten, empirisch Gehalt besitzen und somit überprüfbar
ist, müssen außerdem die Aussagen im Explanans wahr sein, als auch das
Explanandum selbst, um eine ausreichende Erklärung interessierender sozialer
20
Sachverhalte liefern zu können.16 Gilt das Gesetz (welches im Explanans
formuliert wurde) und bestehen tatsächlich die Randbedingungen muß das
Explanandum vorliegen. Wenn dies nicht der Fall ist, ist der Erklärungsversuch
gescheitert.
Für den Bereich der Naturwissenschaften, d.h. den Typ der kausal-analytischen
Erklärung, mutet die Anwendung dieses Schemas der Erklärung noch recht
einfach an. Im Bereich der sinnhaften Handlungen sind kausale oder
allgemeine Gesetze aber nicht ohne weiteres auszumachen. Die Erklärungen
über interessierende Phänomene in den Sozialwissenschaften müssen daher
Besonderheiten aufweisen, die in ihrer Entwicklungslinie nur von differenzierten
Ausgangsbedingungen
her
interpretiert
werden
können.
Die
zentrale
Überlegung ist, ob die erforderlichen Bedingungen für das Explanans gefunden
werden können, um das Explanandum zu erklären? Von Bedeutung ist an
dieser
Stelle
zu
erwähnen,
daß
es
keinerlei
ontologischen
oder
methodologischen Zwang zu einer Entsprechung der logischen Form der
Theorie und des Inhaltes des Explanandums gibt.
17
Theorie und Wirklichkeit
müssen sich nur gleichen, um zu Erklärungen zu verhelfen. Theorien sind
aufzufassen als bewußt konstruierte Vereinfachungen zur Erklärung bestimmter
Phänomene
und
daher niemals
mit
der
Realität
gleichzusetzen.
Es
interessieren nur bestimmte Zwecke und für diese müssen Theorien (nur)
isomorph mit der Realität sein, jedoch keineswegs identisch. Die Besonderheit
des
Objektbereichs
der
Sozialwissenschaften
liegt
im
Rahmen
der
Untersuchung von handlungsfähigen Subjekten, die mit ihrem Handeln einen
subjektiven Sinn verbinden und anhand des deutenden Verstehens im
WEBERschen Sinn, das hier als Orientierung dient, erfaßt werden kann.
16
Dies sind nach HEMPEL/OPPENHEIM die vier Adäquatheitsbedingungen, die bei einer
angemessenen Erklärung erfüllt sein müssen. Darüber hinaus umfassen Tiefenerklärungen
die Reduktionen des spezielleren auf das allgemeine Gesetz und dienen so zur Integration
von nebeneinander stehenden Einzelphänomen. Der logische Gehalt einer Tiefenerklärung
gibt an, wann eine Variante des Gesetzes gilt und wann nicht. Damit ist ebenfalls eine
Spezifikation der Folgen für die gegebenen Randbedingungen angelegt (vgl. ESSER
1993:43ff.).
17
Die Vorstellung, daß sich die inhaltlichen Strukturen eines Gegenstandes in den formalen
Strukturen der Theorie manifestieren müssen geht auf ARISTOTELES zurück. Die
Problematik einer solchen Auffassung wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß
Theorien über komplexe Sachverhalte gemäß dieser Annahme dann selbst komplex sein
müßten. Oder Widersprüchlichkeiten der Wirklichkeit nur erfaßbar werden, wenn eine Theorie
selbst Widersprüche enthält (HEGEL) (vgl. ESSER 1993: 49ff.).
21
Daraus folgt, daß die objektive Modellierung sozialer Vorgänge, die als
Grundmodell der sozialen Erklärung dient, folglich die naturwissenschaftliche
Erklärungsweise erweitert zur analytisch-nomologischen Erklärung.
1.2.2.2 Das funktionale Erklärungsschema
Funktionalistische Erklärungen in den Sozialwissenschaften beruhen auf der
Verknüpfung eines Handlungskonzepts mit dem Modell des sozialen Systems,
wobei der Gleichgewichtszustand desselben im Mittelpunkt der theoretischen
Untersuchung steht (vgl. SCHÜTTE 1971: 28). Zentral ist hierbei der Begriff der
Funktion im Zusammenhang mit dem der Struktur, wobei die Strukturkomponente dem Funktionsaspekt vorgelagert ist. Der Zentralbegriff der
Funktion hat seinen Ursprung in mehreren Richtungen sozialwissenschaftlicher
Theoriebildung. Für die struktur-funktionale Systemtheorie, nach Talcott
PARSONS (1902-1979), ist der Funktionsbegriff wesentlich, da er als
Verbindung
zwischen
strukturellen
Kategorien
und
den
relevanten
(dynamischen) Elementen des Systems entwickelt wird.
Das funktionale Modell ist ein Konzept, das von der Annahme ausgeht, daß ein
relativ
stabiler
und
konsistenter
Zusammenhang
objektiver
sozialer
Sachverhalte besteht, der eine bestimmte Struktur aufweist und daß die,
innerhalb dieses strukturellen Zusammenhangs, stattfindende soziale Handlung
in der Weise analysierbar ist, daß ihr funktionaler Beitrag für die Erhaltung der
Struktur des sozialen Systems ermittelt wird. Dies geschieht anhand der
Formulierung eines Rollengeflechts, das die unterschiedlichen individuellen
Handlungsweisen in einer verbindlichen Form reglementiert und als wesentliche
Voraussetzung für den Bestand des sozialen Systems in die Konzeption
eingeführt wird. Die funktionale Fragestellung richtet sich also von bestehenden
Strukturen auf funktionale Vorbedingungen für ihren Bestand. In diesem Sinn
wird nicht nach kausalen bzw. erklärenden Bedingungen gefragt, sondern
danach, welche Rolle Verhaltensweisen für den Bestand eines Systems
spielen. Wissenschaftstheoretisch werden im Rahmen der funktionalen
22
Erklärung
Hypothesen
über
die
Selbstregulierungsmechanismen
eines
Systems aufgestellt, die eine oder mehrere Zielvorstellungen anvisieren. Damit
hebt die funktionale Erklärung von der Ebene des Individuums ab und fokusiert
die des Systems.
Die funktionale Modellbildung geht in der Formulierung allgemein gültiger
Aussagen, über die Kontextuierung sozialer Sachverhalte hinaus und versucht
so unabhängig von jeglicher Gesellschaft theoretisch zu begründen warum und
wie eine bestimmte Handlung zur Erhaltung des gesellschaftlichen Systems
beitragen kann, in dem die Handlung stattfindet.
1.3 Kurze Zusammenfassung
Zusammenfassend
kann
für
den
in
dieser
Arbeit
interessierenden
Themenbereich angegeben werden, daß die für die Erörterung sozialer
Sachverhalte notwendigen Begriffe Verhalten, Handeln, soziales Handeln von
Max WEBER definiert und von einander differenziert worden sind.
Die Erklärung von sozialem Handeln wird nach HOMANS durch „Wenn...,
dann...“-Sätze begründet, wodurch eine Relation zwischen Verhaltensweisen
angegeben werden kann und damit Hypothesenbildung ermöglicht wird. Die
Definition von Theorie orientiert sich dabei an naturwissenschaftlichen
Erklärungsansätzen.
PARSONS’ theoretischer Ansatz verbindet hingegen naturwissenschaftliche
und geisteswissenschaftliche Komponenten. Soziales Handeln wird jedoch nur
als sinnhaftes soziales Verhalten erfaßt, das sich aufgrund internalisierter
Werte in institutionalisierten Rollen zeigt. Die funktionale Erklärung setzt damit
bestimmte kulturelle Muster voraus, die als verbindlich unterstellt werden. Auf
den
in
dieser
außenpolitischen
Arbeit
gewählten
Entscheidens
und
Untersuchungsgegenstand
Handelns
bezogen
kann
des
folglich
angegeben werden, daß die Analysen im Rahmen eines beschreibenden und
eines kausal-erklärenden Modells erfolgen.
23
2. Das Programm der Allgemeinen Systemtheorie18
Allgemeine Systemtheorie19 ist die zusammenfassende Bezeichnung für
fachlich differenzierte Begriffsgefüge, die 1) durch die gemeinsame Verwendung des Systembegriffs und 2) durch das metateheoretische Programm,
empirische Gegenstände als strukturierte und mit ihrer Umwelt in Austauschbeziehungen stehende Einheiten zu analysieren, verbunden sind.
In seinem Entwurf einer Allgemeinen Systemtheorie entwickelt der Biologe
Ludwig von BERTALANFFY in den 30er Jahren den Systembegriff als
zentralen terminus technicus (vgl. GUKENBIEHL in Schäfers 1995:316, vgl.
auch MÜLLER 1996:68ff.).
Davon ausgehend und unter Einflüssen aus den Bereichen u.a. der Kybernetik
(Norbert WIENER) und der Spiel- und Entscheidungstheorie (John v.
NEUMANN und Oskar MORGENSTERN) kommt es zur 1954 gegründeten
Society for General Systems Research (vgl. BERTALANFFY in Händel/Jensen
1974:107). In der Formulierung interdisziplinär zur Vereinheitlichung einer
analytischen Verfahrensweise zu gelangen, wird die Aufgabenstellung im
Rahmen der Allgemeinen Systemtheorie in der Weise verstanden, daß hier der
dazu notwendige begriffliche Bezugsrahmen entwickelt wird.
Zu den grundlegenden Vorwegannahmen des Programms gehört dabei die
Ausgrenzbarbeit eines Teils aus der Realität, welcher als System verstanden
zum Untersuchungsgegenstand wird. In der Analyse von Systemelementen mit
ihren Eigenschaften und Beziehungen untereinander, als auch zum System
und der Umwelt, werden bestimmte Fragestellungen und Problemsichten
vorgegeben, die Komplexität und
Gleichzeitigkeiten von Zusammenhängen im Rahmen einer analytischen
Gesamtheit
thematisieren
und
darüber
hinaus
Erkenntnisse
aus
unterschiedlichen Sachgebieten vergleichbar und übertragbar machen sollen.
18
In der englischen Übersetzung: General Systems Theory (vgl. HÄNDLE/JENSEN 1974:8).
Der Begriff Systemtheorie umfaßt im eigentlichen Sinn systemtheoretische Ansätze, die
inhaltlich, eine vom jeweiligen Autor auf besondere Weise getroffene Auswahl und
Zusammenstellung von Begriffs-, Aussage- und Vermutungszusammenhängen aus Teildisziplinen kennzeichnen. Aus unterschiedlichen Disziplinen kann dabei ein Kernbestand von
Begriffen, Thesen und Programmen abgeleitet werden, der das Konzept der Allgemeinen
Systemtheorie umreißt. Jede Arbeit aus diesem Bereich unterscheidet sich von anderen, auch
wenn ein interdisziplinärer Ansatz verfolgt wird.
24
19
Ziel ist es, allgemeingültige Prinzipien des Aufbaus und der Funktionsweise von
Systemen aufstellen zu können.
2.1 Die Dimensionen des Systembegriffs
Die Kennzeichnung eines Gegenstandes als System, im Sinne einer Ordnung
von zueinander in einer bestimmten Beziehung stehenden Elementen, ist
schon im Altertum von ARISTOTELES
20
thematisiert worden, wobei ein
Rückbezug auf die Organismus-Vorstellung als System vorherrschte.
Die Unterscheidung von Systemen in ideelle und materielle entwickelte sich mit
dem
Axiom
des
cartesianischen
Denkansatzes
„Cogito,
ergo
sum“,
DESCARTES (1596-1650), wobei ein alles umschließender Systembegriff
hervortrat, der die Identität von Denken und Sein auf einer ideellen Basis
thematisierte.
Die Entfaltung der Mechanik ermöglichte später die Interpretation der Welt als
System im Rahmen mechanistischer Modelle. Im 19. Jahrhundert ist, im
Zusammenhang mit der Entwicklung der Biologie als Wissenschaft, die
organismische Betrachtungsweise in bezug auf die Systemvorstellung jedoch
wieder aufgetreten und die Arbeiten KANTs (1724-1804), HEGELs (1770-1831)
und COMTES’ (1798-1857) thematisieren als wesentlichen Aspekt die
strukturelle Komplexität eines Organismus gegenüber strukturellen Formen der
Mechanik. Oberster Bezugspunkt im KANTischen Denkansatz ist dabei die
Selbstgewißheit des Individuums, wobei er gegenüber DESCARTES ein
System der Sachen (an sich) von einem System der Begriffe des Denkens (für
sich) unterschiedet. HEGEL unternahm hiernach den Versuch der Überwindung
dieses Dualismus im Sinn einer dialektischen Einheit. Hierbei werden die
wirklichen Systeme der materiellen Welt als Äußerungen einer absoluten Idee,
d.h. als Stufen, die sie zu durchlaufen hat um zu sich selbst zu gelangen,
aufgefaßt.
20
Die aristotelische Metaphysik formuliert als Zentralaussage, daß das Ganze mehr ist als die
Summe seiner Teile (vgl. ARISTOTELES 1996).
25
Gegenüber dem Ordnungsziel der Klassifikation, im 19. Jahrhundert, entwickelt
sich im 20. Jahrhunderts die Tendenz zur Integration, wobei der Systembegriff
nun
im
Rahmen
mathematisierter
Theorien
gebildet
wird,
die
die
Unterscheidung von konkreten, d.h. empirischen Systemen und abstrakten
(analytischen), d.h. konstruierten Abbildern einer gedachten Wirklichkeit,
nachvollziehen. Beides sind jedoch nur Modellbildungen mit quasi-objektivem
Charakter.
Mit
der
Verbindung
von
Sozialwissenschaften
wird
organizistischer Weise
Funktionalismus
der
und
Systembegriff
interpretiert,
wobei die
Systemtheorie
schließlich
wichtige
in
den
wieder
in
Neuerung
die
Thematisierung der sozialen Handlung als System und Systemaspekt
darstellt.
21
2.2 Entwicklungslinien des systemtheoretischen Programms
Die Entstehung der Gruppe der Systemwissenschaften, beruhend auf
systemtheoretischen Konzepten, begann Anfang der 1940er Jahre dieses
Jahrhunderts (vgl. MÜLLER 1996:180, vgl. auch HÄNDLE/ JENSEN 1974:13).
Ausschlaggebend für die Entwicklung der modernen Systemwissenschaften
sind
die
während
des
Zweiten
Weltkriegs
entwickelten
militärisch-
ökonomischen Analysen und Strategien aus dem Bereich des operations
research - der Analyse militärischer Operationen - die sich in den Kriegsjahren
inhaltlich auf Untersuchungen über Entwicklungsfähigkeit, Kosten und taktische
21
Einher geht damit auch eine Akzentverlagerung von der statischen Betrachtung hin zur
Analyse von Vorgängen, was zunächst im Rahmen einer behavioristischen Phase erfolgt.
LUHMANN differenziert hier 1. Die ontologische Systemtheorie, die in den Kategorien von
Ganzes und Teil und interner Ordnung ausgeht und keinen Bezug zur Umwelt untersucht, 2.
Gleichgewichtstheorien, wobei Systeme aus sich heraus bestehen, die Umwelt dabei nur als
Störfaktor in die Analysen eingeht, 3. Die Theorie der umweltoffenen Systeme, die die
Interdependenz zwischen Umwelt und System thematisiert und 4. die kybernetischen
Systemtheorien, in denen das Verhältnis von System und Umwelt als Differenz in Komplexität
erfaßt wird und eine Theorie der Regelung, Steuerung und Kontrolle notwendig erscheinen
läßt. Die Unterschiede der jeweiligen Konzeptionen liegen in den zentralen Kategorien.
Weiterhin kann aus den unterschiedlichen Disziplinen ein Kernbestand von Begriffen, Thesen
und Programmen abgeleitet werden, der das Programm der Allgemeinen Systemtheorie
umreißt. Im Bereich dieser wissenschaftstheoretischen Linie unterscheiden sich aber auch die
einzelnen Arbeiten von einander, trotzdem ein interdisziplinärer Ansatz verfolgt wird (vgl.
PREWO/RITSERT/STRACKE 1973:12).
26
Einsatzmöglichkeiten neuer Waffensysteme konzentrierte.22 Auch zunehmend
wichtiger werdende wirtschaftliche Aspekte wurden in diesem Rahmen
thematisiert. Wesentlich war darüber hinaus auch die zunehmende Wichtigkeit
theoretisch-wissenschaftlicher Forschungsarbeiten aus dem Bereich der
Biologie, die die Bezugnahme auf einen Organismus im Rahmen der
Formulierung von Systemkonzepten förderte (vgl. MÜLLER 1996:186ff., vgl.
auch BERTALANFFY in Händle/Jensen 1974:1108f.).
Die Entwicklungen in den 40er Jahren markieren auch tiefgreifende
Veränderungen
hinsichtlich
der
Funktion
von
Wissenschaft.
Diese
Veränderungen beziehen sich auf veränderte Anforderungen von Theorie,
einerseits als Grundlagenforschung und andererseits in Bezug auf ihre
technologische Anwendung. Daraus entwickelt sich dann auch die Problematik
zwischen klassischen Wissenschaften und modernen Systemwissenschaften
(vgl. BERTALANFFY in Händle/ Jensen 1974:108), wobei die 40er Jahre noch
von Problemen interdisziplinärer Kommunikation und dem Fehlen einer
einheitlichen Begriffsbildung im Rahmen der Systemwissenschaften gekennzeichnet sind:
„Trotz weitreichender Einsichten in die Grenzen der etablierten
Forschungslogik, trotz vielfältiger Vorgaben zu einer wissenschaftstheoretischen Alternative, blieb ihr theoretischer Status unterbestimmt. Mangels
eines ausgearbeitenden Theoriebegriffs gelang es nicht, eine kritische
Gegenposition zur herrschenden Praxis der Wissenschaft zu begründen.“(MÜLLER 1996:181).
Zunächst muß im Rahmen der neuen Wissenschaften demzufolge formuliert
werden, aufgrund welcher Prinzipien ein eigenes Forschungsfeld begründet,
d.h. welche Eigenschaften als Begründung für die Unterscheidung von den
Gesetzen der gängigen Wissenschaft angeführt werden können. Eine Reflexion
auf den Theoriebegriff der Systemwissenschaften entwickelte sich ab Mitte der
50er Jahre und formuliert als Ausgangspunkt für die Entwicklung einer
synthetisch-holistischen Verfahrensweise, wie sie in der Systemtheorie gegen-
22
Auch als Systemtechnik (engl. system analysis) in der Literatur verwendet (vgl. HÄNDLE/
JENSEN 1974:11).
27
über der traditionellen analytischen Methode begründet ist, die Auffassung, daß
sich für komplexe Fragestellungen, aus denen sich auch u.a. das operations
research oder die Spiel- und Handlungstheorie entwickelten, das bestehende
System der klassischen Wissenschaften, d.h. ein rein analytisches Vorgehen,
keine
ausreichenden
Erklärungsmöglichkeiten
mehr
bieten
(vgl.
HÄNDLE/JENSEN 1974:12). Dem Denken in Kausalbezügen, d.h. der Feststellung von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen, tritt das Problem der
Komplexität, d.h. die Interdependenz der objektiv wahrnehmbaren Sachverhalte, an die Seite. Die Thematisierung von Wechselwirkungen in Systemen
wird somit ein wesentliches Moment der Begründung eines neuen Kodifikationsschemas zur Systematisierung rekonstruierbarer Sachverhalte. Die
Fragestellungen mündeten schließlich in eine interdisziplinäre Bewegung, die
sich
zunehmend
der
Entwicklung
einer
theoretischen
Basis
widmet.
Wesentliche theoretische Bedeutung kommt dabei insbesondere den Arbeiten
Ludwig v. BERTALANFFYs zu, der im Verlauf seiner Tätigkeit zusammen mit
Anatol RAPOPORT und Kenneth BOULDING die General Systems Theory
entwickelt.
„Die hier entwickelten Gedanken wurden zum wissenschaftlichen Paradigma,
daß in allen Disziplinen auf alle möglichen Probleme Anwendung fand. Das
generelle Motiv für die schnelle Übernahme des systemorientierten Denkens
wird zumeist in der Notwendigkeit generalisierender, interdisziplinärer
Grundlagen- und Projektforschung gesehen. Die Notwendigkeit dazu wird in
doppelter Weise begründet: einmal mit der steigende Informationsflut und dem
Bedarf an integrativem Wissen (Boulding, Berrien), zum anderen mit den
Bedürfnissen der Praxis gegenüber den Problemen der Bewältigung
hochkomplexer Zusammenhänge in der ökonomischen, technischen,
politischen und militärischen Planung. Beiden Begründungen ist die Absicht
gemeinsam, Strukturen objektiv gedachter Wirkungszusammenhänge
aufzudecken, um Probleme - praktisch wie theoretisch - lösen zu können.“
(HÄNDLE/JENSEN 1974:13).
Die Arbeiten der Allgemeinen Systemtheorie wirken in den 50er Jahren als
integrativer Faktor. Methodologisch entwirft die Allgemeine Systemtheorie dabei
eine Ontologie, die die Gegenstandswelt der einzelnen Fachwissenschaften
nicht mehr als Entitäten auffaßt, sondern eine eigene systemtheoretische
Konstruktion dieser Einheiten entwickelt.
28
Der Anspruch Grundlagenwissenschaft zu sein, wird dabei konzeptuell in der
Weise hergeleitet, daß erkenntnistheoretisch das ontologische Denken in
Substanzen in ein Denken in Funktionen umformuliert wird. Konstitutiv für das
systemtheoretische Programm werden Erkenntnisse der Informationstheorie23
und der Kybernetik24.
„Die Konstitution des Systems und seiner Umwelt, die Festlegung der Elemente
und Eigenschaften sowie die Analyse von Struktur und Verhalten bilden die
Grundlage des systemorientierten Vorgehens.“ (HÄNDLE/JENSEN 1974:26)
Welche Konstruktionen des Programms der Allgemeinen Systemtheorie von
Bedeutung sind, wird im folgenden Abschnitt dargestellt.
2.2.1 Die Definition von System
Als basic science ist die Allgemeine Systemtheorie in der Formulierung ihrer
methodologischen Prämissen angehalten zunächst einen Systembegriff zu
definieren, der generell von inhaltlichen Aussagen absieht, wobei in der
Definition des Systems25 zwei Probleme gelöst werden müssen: 1. der universelle Anspruch des Systembegriffs muß über dem der Einzelwissenschaften
liegen und 2. er muß gleichzeitig Aussagen über gerade spezifische Systeme
zulassen.
Die Definition des terminus technicus erfolgt im Rahmen der Allgemeinen
Systemtheorie in der Weise, daß er auf Systeme allgemein anwendbar sein
muß und gleichzeitig spezifische Aussagen über Systeme im allgemeinen
zuläßt (vgl. MÜLLER 1996:199). Anhand der Definition:
„A system is a set of objects together with relationships between objects and
between their attributes.“ (HALL/FAGEN in Händle/Jensen 1974:127)
23
Die Informationstheorie beschäftigt sich mit der Codierung und Decodierung von Nachrichten
und ihrer Übertragung. Nützlich war die neue Technik vor allem im Rahmen der Entwicklung
„intelligenter“ Waffensysteme und geheimdienstlicher Aufgabenstellungen.
24
Im Rahmen der Kybernetik geht es allgemein um die Anwendung von Kommunikations- und
Steuerungsmethoden in technischen Systemen. Der Untersuchungsbereich umfaßt die
Funktionsweise von komplexen Systemen, wobei als wesentlicher Faktor Rückkopplungsprozesse fokusiert werden.
25
Im sozialwissenschaftlichen Bereich ist der Systembegriff an einzelwissenschaftliche
Gesichtspunkte gefesselt.
29
kann der Begriff des Systems in der Weise verstanden werden, daß es sich
hierbei um ein Gefüge von Elementen handelt, wobei bestimmte Eigenschaften
der Elemente bestimmt werden und in der Weise, wie Verbindungen zwischen
den Elementen bestehen, sie die Struktur des Systems determinieren. Auf
diese Weise wird deutlich, inwieweit das Ganze mehr sein kann als die Summe
26
seiner Teile.
„Diese Minimalbestimmung, die beliebige Elemente einer Menge (formalabstrakt) oder Gegenstände (Ereignisse) eines bestimmten Untersuchungsbereichs (gegenständlich-konkret), vermittelt über Beziehungen (aller denk- und
feststellbaren Art) zu Elementen bzw. Gegenständen und/oder ihren
Merkmalen (Eigenschaften), zu einer gegliederten Einheit zusammenfaßt oder
als solche erkennt, ist in allen Systemvorstellungen wiederzufinden.“
(PREWO/RITSERT/ STRACKE 1973:13).
Diese formale Definition des Systems sagt allerdings nichts über die Qualitäten
der Gegenstände aus, sondern bezieht sich lediglich auf die Beziehungen, die
zwischen den Elementen bestehen. Die Allgemeine Systemtheorie beschäftigt
sich also mit der „Systemhaftigkeit“ als Eigenschaft (vgl. MÜLLER 1996:201),
d.h. konkrete Dinge der Realität erhalten abstrakte Eigenschaften, mit deren
Hilfe die Realität rekonstruiert werden kann.
„Die im Dingschema der Alltagssprache festgelegte ‘Ontologie‘ weicht einer
neuen, zunächst nur schwer greifbaren Auffassung von ‘Wirklichkeit‘. Während
die Gegenstände der alltäglichen Realität konkret unterschieden und einzeln
aufweisbar sind, treten sie in dieser Sichtweise hinter die abstrakten
Eigenschaften, die ihnen aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit bzw. als Gliedern
von Relationen zukommen, zurück [...].“ (MÜLLER 1996:201)
Die Beziehungen geben dabei eine Auswahl aus kombinatorisch möglichen
Anordnungen zwischen den Elementen an und ermöglichen auf diese Weise
Aussagen über die Struktur des betrachteten Systems (vgl. MÜLLER 1996:202,
vgl. auch HÄNDLE/JENSEN 1974:26). Im Rückgriff auf mathematische
Allgemeinformulierungen gelingt dann neben der Erfassung aller Elemente
eines Systems in Klassen auch die Ermittlung der Zustände des Systems (vgl.
26
Die Einheit von Elementen und ihren Beziehungen untereinander kann zu Merkmalsausprägungen führen, die sich von denen der einzelnen Elemente oder ihren
Beziehungen unterscheiden (vgl. PREWO/RITSERT/STRACKE 1973:14)
30
MÜLLER 1996:202). Auf diese Weise sind Strukturanalysen ein wichtiger
Teilaspekt der Systemanalyse, denn hier wird der Frage nachgegangen, welche
Ordnungen bestehen und welchen Gesetzmäßigkeiten sie folgen. Die
genannten Ordnungsbeziehungen können als strukturalistische Systeme27
aufgefaßt werden, daneben erfaßt das Instrumentarium der Allgemeinen
Systemtheorie
aber auch
Systeme
mit
prozessualem
Charakter,
d.h.
Verhaltenssyteme (vgl. HÄNDLE/JENSEN 1974:31). Diesen unterliegen, neben
Strukturgesetzen, zusätzliche Verhaltensgesetze, die das Systemverhalten
determinieren. Dieser Aspekt wird interessant, wenn unter der Bedingung, die
Systemtheorie als Problemlösungsansatz aufzufassen, der jeweilige Problembereich als systemischer Zusammenhang rekonstruiert wird. Dies geschieht
unter der Vorannahme, daß der Problembereich selbst wieder unter
bestimmten Fragestellungen aus einem umfassenderen Zusammenhang, der
Umwelt des Systems, herausgelöst betrachtet wird.
28
Dieser umfassendere
Zusammenhang muß in die Analyse miteinbezogen werden. Neben der
Definition des Begriffs System erfolgt die Konstruktion des Umwelt-Konzepts,
wobei Umwelt auch als Klasse von anderen Systemen, mit dem das
betrachtete System in Interaktionsbeziehungen steht, aufgefaßt werden kann.
Diese Begriffsbildung dient der Einführung von Einflußfaktoren auf das
Systemverhalten, die nicht auf interne Funktionsmechanismen des Systems
zurückgeführt werden können (vgl. PREWO/RITSERT/ STRACKE 1973:18, vgl.
auch HÄNDLE/JENSEN 1974:28). Theoretisch wird dieser Bereich durch die
Annahme offener Systeme erfaßt und behandelt den Aspekt der Kopplung von
Systemelementen des betrachteten Systems an unabhängige Elemente
anderer Systeme. Systemanalysen betreffen folglich Systeme, die bestimmte
Systemzustände aufweisen, die gegenüber der Umwelt als stabil erfaßt
werden.29 Ausgehend von der Annahme, daß das System (mit spezifischer
Innenstruktur) und die Umwelt nebeneinander bestehen, kann die Umwelt auch
in der Weise erfaßt werden, daß sie auf das System in Form von Inputs, die
27
Die Standarddefinition von System als gegliederte Einheit von Elementen steht der
Konzeption des geschlossenen Systems nahe. Dies orientiert sich an den Grundprinzipien
thermodynamischer Systemauffassung. (vgl. PREWO/RITSERT/ STRACKE 1973:16)
28
Geschieht dies nicht spricht man von geschlossenen Systemen.
29
Hier greift bereits der Begriff der Homöostasis, der die Anpassung eines Systems an
Umwelteinflüsse allgemein umfaßt (vgl. BERTALANFFY in Händel/Jensen 1974:112ff.).
31
von Rezeptoren aufgenommen werden, einwirkt (d. h. es muß ebenfalls ein
genau bestimmtes anderes System definiert werden). Im System selbst
bestehen Mechanismen, durch die die Inputs in bestimmte Leistungen
überführt werden, die dann wiederum als Outputs des Systems an die Umwelt
abgegeben werden.30 Verhalten wird in diesem Sinn aufgefaßt als
„Verarbeitung systemspezifischer Inputs zu systemspezifischen Outputs in
Abhängigkeit von der Innenstruktur des Systems“. (HÄNDLE/JENSEN 1974:31)
Bei der Übertragung dieser Begrifflichkeiten in Erklärungsansätze über
gesellschaftliche Zusammenhänge muß das Konzept des Verhaltenssystems in
der Weise modifiziert werden, daß es sich hierbei um Sinnzusammenhänge
handelt, die auch als Programme für die Organisation des Verhaltens von
(Handlungs-)Systemen aufgefaßt werden können.
Der Systembegriff als solcher ist darüber hinaus erweitert im Sinn eines
Stadiums organisierter Beziehungen zwischen den Elementen, deren Einheit
durch Grenzziehung31 zu seiner Umwelt determiniert ist, mit der es in
Interaktionsbeziehungen steht. In der Soziologie ist dies der Bereich der
Handlungssysteme
(vgl.
PREWO/RITSERT/STRACKE
1973:21).
Die
umfassendste Weiterentwicklung dieses Theorieansatzes wurde in den
Sozialwissenschaften insbesondere von Talcott PARSONS vorgenommen.
2.2.2 Die Präzisierung des Systembegriffs
Die Analysen hinsichtlich des Verhaltens von Systemen werden im Rahmen
eines allgemeinen Schemas vorgenommen und anhand eines natürlichen
Systems entwickelt (vgl. MÜLLER 1996:205). Diese Grundlage ist der
Ausgangspunkt für die Erörterung weiterer Begriffe und der Entwicklung der
Methoden der Systemanalyse.
30
Aus der Kybernetik wird der Begriff der Rückkopplung (engl. feed-back) in die systemische
Betrachtung eingebracht. Zusammenfassend geht es hierbei um einen Mechanismus, der
„Input⇒Verarbeitung⇒Output“ beschreibt.
31
Der Begriff der Grenzziehung rührt her aus der Innen-Außen-Differenzierung, die insbesondere LUHMANN thematisiert.
32
Für die Systemtheorie ist der Begriff des Ganzen zentral, der in Analogie eines
biologischen Organismus aufgefaßt wird, wobei BERTALANFFY einräumt, daß
„Nobody should know better than the biologist that civilizations are no
‚organism‘. It is trivial to the extrem that a biological organism, a material entity
and unity in space and time, is something different from a social group
consisting of distinct individuals, and even more from a civilization consisting of
generations of human beings [...].“ (BERTALANFFY in Händel/Jensen 1974:
124).
Jedoch sieht er die Möglichkeit der Erfassung von Entwicklung und Wachstum
im Rahmen einer organismischen Perspektive als gewährleistet an. Die
mathematische Erfassung des Ganzheitskonzepts ermöglicht weiterhin, im
Rahmen eines Differentialgleichungssystems, Abhängigkeiten zwischen Teilen
des Systems und dem System zu ermitteln. Dabei wird angenommen, daß alle
Teile des Systems interdependent sind und auf diese Weise zum Indikator der
Ganzheit des betreffenden Systems werden. Davon ausgehend lassen sich
bestimmte Systemgesetze formulieren, die insgesamt auf die funktionale
Differenzierung innerhalb des Systems abstellen. Dies leitet über zum Aspekt
des Gleichgewichts in einem System, wobei
„ein Gleichgewicht nicht notwendigerweise ein konstantes Verhältnis zwischen
den Elementen eines Systems, einen Zustand der Symmetrie und Ausgeglichenheit unterstellt.“ (MÜLLER 1996:207)
Die Allgemeine Systemtheorie entlehnt zur Konzeptionierung ihres Programms
in dieser Frage Erkenntnisse aus den Bereichen Mechanik und Biologie und
gelangt auf diese Weise zur Formulierung von dynamischen Gleichgewichten,
die innerhalb des Systems stationäre Zustände durch interne Anpassungsleistungen des Systems an sich verändernde Umweltbedingungen erreicht (vgl.
MÜLLER 1996:207).
Schließlich ist der Begriff der Emergenz als wichtige Kategorie systemischer
Begriffsfassung zu nennen: Emergenz spielt in allen organismischen Ansätzen
eine wesentliche Rolle, da im Rahmen dieses Begriffs all jene Phänomene
erfaßbar sind, die auf jeder spezifischen Ebene eines Systems eigene
Wirklichkeiten mit eigenen Gesetzen entwickeln.
33
„Emergenz setzt demnach eine hierarchische Ordnung zunehmend komplexer
Ebenen voraus, die sich jetzt durch die Relation zwischen Elementen und
Gesamtheiten ausdrücken läßt...“ (MÜLLER 1996:210)
Der Systembegriff in der allgemeinen Definition nach HALL und FAGEN war
zunächst angelegt, dem Anspruch eines methodologischen Paradigmas
gerecht zu werden, jedoch benötigte die Anwendung desselben in den
spezifischen Forschungsbereichen eine Erweiterung, die anhand des Schemas
des natürlichen Systems, in Anlehnung an das Organismusprinzip der Biologie,
entwickelt werden sollte. Welche methodischen Rückschlüsse dies bedingt,
behandelt der folgende Abschnitt.
2.3 Terminologische Gesichtspunkte
Systemtheorie beschäftigt sich mit der Struktur und dem Verhalten von
Systemen, wobei Systeme konzeptueller Natur sind und empirische oder
abstrakte Zusammenhänge modelliert werden (vgl. HÄNDLE/ JENSEN
1974:26). Als Erkenntnismethode findet Systemdenken dabei in abstrakten
Zusammenhängen statt, d.h. in der Bereitstellung methodologischer Konstruktionen oder der Systematisierung von Theorien.
Wird ein interessierender Sachverhalt als System rekonstruiert und untersucht,
wird
die
systemorientierte
Methode
auf
empirische
Zusammenhänge
angewendet. Systeme sind als analytische Einheiten keine auffindbaren, d.h.
empirischen Gegenstände. Der Begriff System thematisiert vielmehr die
Systematisierung bestimmter Bedingungen eines Sachverhalts im Rahmen
einer Theorie angesichts bestimmter Probleme. Dabei wird ein realer
Untersuchungsbereich in Form der ihn konstituierenden Elemente und
Eigenschaften und der Beziehungen zwischen den Elementen und weiterhin
der Teile zum Ganzen und schließlich des Systems zu seiner Umwelt
betrachtet. Die systemische Erfassung beruht dabei auf einem begrifflichen
Rahmen, der die Zusammenhänge von Objekten mit ihren Merkmalen und
Beziehungen untereinander erfaßt, diese in Bezug von System und Umwelt
setzt und somit die systemtheoretisch begründete Untersuchung ermöglicht.
34
Systeme sind demzufolge aufzufassen als methodisch-begriffliche Prinzipien
zur Konstitution von Wirklichkeit, nicht als Wirklichkeit an sich.
Die Gegenstände oder Sachverhalte, die als Systeme betrachtet werden,
können also empirischer oder nicht-empirischer, d.h. abstrakter Art sein. Die
wissenschaftliche
Systembildung
führt
jedoch
zunächst
zu
abstrakten
Systemen, d.h. Theorien, die dann wiederum auf empirische oder abstrakte
Sachverhalte bezogen werden können. Theorien sind folglich als abstrakte
Gebilde aufzufassen, ganz gleich auf welche Art Gegenstände oder
Sachverhalte sie sich beziehen.
Jede Aussage über Theorie bezieht sich danach auf ein abstraktes System und
hat analytischen Charakter. Die systemorientierte Methode führt in der
Behandlung eines abstrakten Systems somit zu einem analytischen System
und
die
Allgemeine
Systemtheorie
ist
ein
solches.
Die
spezifischen
disziplinären Systemtheorien sind ebenfalls abstrakte Systeme, beschäftigen
sich aber mit empirischen Systemen (vgl. HÄNDLE/JENSEN 1974:26).
Empirische
Systeme
wiederum
entstehen
durch
wissenschaftliche
Rekonstruktion eines empirisch vorausgesetzten Sachverhalts. Terminologisch
wichtig ist, eine Unterscheidung zwischen dem Sachverhalt und dem Konzept
des zugeordneten empirischen Systems zu treffen. Die Gegenstände werden
als „primäre Objekte“ verstanden, erkenntnistheoretisch können sie jedoch nur
mittels späterer Reflexion (z.B. durch systemorientierte Methoden) ermittelt
werden. Die so konstituierten Systeme stellen demzufolge Rekonstruktionen
der
Realität
dar
und
erfüllen
die
Funktion
eines
erklärenden
und
handlungssteuernden Modells (vgl. HÄNDLE/JENSEN 1974:27).
2.4 Die Methoden der Systemanalyse
Um die mathematische Definition des Systembegriff in den fachspezifischen
Anwendungsbereich übertragbar zu machen, müssen die entwickelten Begriffe
in einen Kontext gebracht werden, der die Definitionen der Allgemeinen
Systemtheorie erkenntnistheoretisch verallgemeinert (vgl. MÜLLER 1996:220).
Das Programm der Allgemeinen Systemtheorie basiert auf dem Modell
35
funktionaler Erklärungen.32 Aufgrund der Orientierung am Organismusprinzip
muß im Rahmen des gegebenen Erklärungstyps entwickelt werden, inwiefern
Anpassungsleistungen von Systemen erfolgen, wenn nicht physikalische
Ursachen als Begründung angegeben werden können. Die Funktionsweise von
Systemen wird folgend nicht in einzelnen Ursachen lokalisiert, sondern in der
Formulierung funktionaler Endzustände festgemacht. Diese Systemkausalität
entwickelt sich entlang der funktionalen Erklärung dahin, daß gewisse
fundamentale Funktionen erfüllt sein müssen, damit das betrachtete System
bestehen kann (vgl. MÜLLER 1996:221). Das funktionale Modell erklärt auf
diese Weise bestandsnotwendige Bedingungen und Gleichgewichtszustände.
In der Vorstellung, die hier entwickelt wird, werden Probleme der Life Sciences
und der Sozialwissenschaft aufgrund funktionaler Erfordernisse verknüpft.
2.5 Die Übertragung der organismischen Heuristik auf den Bereich der
Sozialwissenschaften33
In der Übernahme wesentlicher Elemente der methodologischen Prämissen der
Allgemeinen Systemtheorie wurde für die Disziplin der Sozialwissenschaften
ein theoretisches Konzept entwickelt, das ein umfassendes Kategorienschema
für die Klassifizierung und die Erklärung von Verhaltensprogrammen liefert, das
von PARSONS weiterentwickelt wird.
Verhaltenssysteme, wie sie die Allgemeine Systemtheorie versteht, sind
physikalische Einheiten (z.B. Maschinen, Organismen etc.). Sie weisen
bestimmte Innenstrukturen auf und können aufgrund ihrer Interaktionsbeziehungen durch eine gewisse Prozeßhaftigkeit gekennzeichnet werden, was
als Verhalten aufgefaßt wird.
„Dieses Verhalten kommt in der beobachtbaren Veränderung von konkreten,
empirisch kontrollierbaren Einheiten (oder ihnen zugeordneten Merkmalswerten) zum Ausdruck und wird insbesondere in Größen wie Input/Output usw.
gemessen.“ (HÄNDLE/JENSEN 1974:34)
32
In Gegenposition zur kausalistischen Sichtweise der empirisch-analytischen Wissenschaftstheorie.
33
Unter der Bezeichnung Behavioral Sciences entwickelte sich ein systemtheoretisches
Grundlagenprogramm, das in seiner Theoriebildung exakt definierte Begriffe und mathematisch formalisierte Modelle entwickelte und anhand methodisch vereinheitlichter Empirie zu
allgemeinen Erklärungsansätzen gelangen wollte (vgl. MÜLLER 1996:276).
36
Verhalten ist allerdings nicht als physikalisches Element aufzufassen, sondern
als „organisierte[r] Prozeß insgesamt“ (vgl. HÄNDLE/JENSEN 1974:34).
Darüber hinaus ist es im Rahmen der Erfassung im Zusammenhang mit
systemischen Konstrukten als theoretisches Konzept zu sehen. Da die
Verhaltenstheorie keinen Anhaltspunkt für die Entstehung eines gesetzmäßig
organisierten Verhaltensablaufs angibt, muß sie als ein Teilbereich der
Systemtheorien des Verhaltens angesehen werden (vgl. HÄNDLE/JENSEN
1974:34). Talcott PARSONS erweitert das o.g. Konstrukt, indem er als
Verhaltenssystem den Menschen annimmt und Erklärungen für das alltägliche
Verhalten sucht. Ausgangspunkt sind bestimmte Schemata, die dem Menschen
zur Verfügung stehen, damit er seine Motive und Bedürfnisse zum Ausdruck
bringen kann. Die Schemata sind sozial konstituiert und werden im
Sozialisationsprozeß internalisiert. Auf diese Weise bilden sie die Grundlage
der Verhaltensorganisation.
In der Übernahme der Emergenzthese gelingt PARSONS die theoretische
Konstruktion, in der er die Konstitution umfangreicherer Handlungssyteme
entwickelt. Sozialsysteme beinhalten demzufolge Persönlichkeitssysteme als
speziellen Fall. Die Konstruktion von kulturellen Systemen schließlich bringt die
systemische Betrachtung gesellschaftlicher Phänomene auf den Aspekt der
symbolischen Bezugssysteme und entwickelt so die Grundlage der Erörterung
der Theorie der Handlungssysteme. Der Einfluß individueller Beiträge auf den
Verlauf von Systemfunktionen bedingt die Betrachtung von Zusammenhängen
als Handlungssysteme, die in ihrer Formulierung Faktoren aufweisen, die
(Handlungs-)Motive von Menschen darstellen. Daher muß die Erklärung
gesellschaftlicher
Zusammenhänge
als
System
die
Beachtung
von
Sinnzusammenhängen beachten, die kollektives oder individuelles Verhalten
steuern. Gesellschaftliche Systeme sind nicht nur Verhaltenssysteme, sondern
Anweisungen für die Organisation von Verhalten (vgl. HÄNDLE/JENSEN
1974:33ff.). Wobei Verhalten in Ableitung biologischer Untersuchungen zu
Gen- und Chromosomenstrukturen als auch technischer Ablaufmechanismen
definiert wird. Diese thematische Linie verweist auf die organismische
Komponente der systemwissenschaftlichen Erklärweise,
37
„... in der dem organischen Leben eine ‘sich selbst verwirklichende Kraft’
(‘Entelechie’ genannt) unterlegt wurde.“ (HÄNDLE/JENSEN 1974:19).
In den Sozialwissenschaften findet sich die Verknüpfung der Systemtheorie mit
einer Handlungstheorie, um so zu Kategorien für die Erklärung von
Verhaltensprogrammen zu gelangen.
38
3. Sozialwissenschaftliche Heuristik der Allgemeinen Systemtheorie - Der
Strukturfunktionalismus34
Bedeutenden Niederschlag fand das Programm der Allgemeinen Systemtheorie
in den 50er Jahren in den Sozialwissenschaften. Im Gegensatz zu den
traditionellen Erklärungsansätzen, die sich auf sachbezogene Fragestellungen
unter historischen Konstellationen beziehen, werden nun, im Rahmen
systemtheoretischer Konzeptionen, die ihre formalen Begrifflichkeiten auf
Aspekte der Struktur und Funktion, als auch der Entscheidung und
Kommunikation begründen, neue Arten der Erklärung sozialer Phänomene
hergeleitet.35
Das erste Werk ausgebildeter soziologischer Systemtheorie ist das frühe Werk
des US-amerikanischen Soziologen Talcott PARSONS’. In den Arbeiten
PARSONS’ werden zunächst, im Rahmen der Entwicklung der Theorie des
Allgemeinen Handlungssystems, systemtheoretische Kategorien auf den
Bereich der Gesellschaftstheorie übertragen, um auf diese Weise
gesellschaftliche Beziehungen und Einrichtungen anhand einer ausreichend
entwickelten Handlungstheorie36 zu beschreiben. Später formuliert PARSONS
seinen frühen Handlungsbegriff in der Weise um, daß der Ausbau einer
soziologischen Systemtheorie gelingt.
34
Deutsche Übersetzung des englischen Begriffs structural functionalism. Die Bezeichnungen
für dieses theoretische Konzept variieren jedoch in der deutsch-sprachigen Literatur, je nach
Schwerpunktsetzung hinsichtlich der als wesentlich betrachteten Komponenten des Ansatzes.
35
In der US-amerikanischen Politikwissenschaft wurde versucht im Rahmen der neuen
wissenschaftlichen Orientierung im Begriff des politischen Systems eine aktuellere Grundlage
zu finden (vgl. MÜLLER 1996).
36
PARSONS entwirft im Rahmen seiner Arbeiten weniger eine Handlungstheorie, als vielmehr
eine Theorie des Handelns. Zur Vereinfachung wird jedoch im Rahmen dieses Kapitels von
Handlungstheorie gesprochen.
39
3.1 Die struktur-funktionale Systemtheorie37 nach T. PARSONS
Unter der Bezeichnung struktur-funktionale Systemtheorie ist ein komplexer
theoretischer Bezugsrahmen zu verstehen, der von Talcott PARSONS zur
Analyse sozialer Gebilde entwickelt wurde. Neben einem handlungstheoretischen Ansatz entwirft PARSONS ein Modell, das generell der Analyse
sozialer Einheiten dienen soll. PARSONS strebt hierbei an, Handlung in
konkreten sozialen Situationen aus dem Zusammenhang kultureller, sozialer
und personaler Aspekte erklären zu können. Systemtheoretisch faßt er diese
Aspekte als Kultur-, Sozial- und Persönlichkeitssystem.
38
Mit der Verknüpfung von Handlungstheorie und Systemtheorie zu einem
Modell, das als Grundlage der Analyse beliebiger Interaktionsabläufe und
struktureller Muster dient, sollen soziale Sachverhalte durch die Analyse des
sozialen Handelns in der Weise erklärt werden, indem dessen strukturelle und
funktionale Beiträge für ein soziales System untersucht werden. Besondere
Bedeutung hat in diesem Rahmen die Erörterung des Zustandekommens eines
geordneten und dauerhaften Zusammenlebens von Menschen, wobei als
wesentliches Kriterium die Verbindung von Handlung im Zusammenhang mit
institutionellen Komplexen ist, welche auf diese Weise als Form eines
übergreifenden Wertsystems interpretierbar gemacht werden können (vgl.
MIEBACH 1991:184).
In der Entwicklung seines theoretischen Konstrukts rekurriert PARSONS auf
Arbeiten
des
kulturanthropologischen
Funktionalismus
Bronislaw
MALINOWSKIs und Alfred R. RADCLIFF-BROWNs. Weiterhin finden sich im
Werk Talcott PARSONS’ Einflüsse der Arbeiten Max WEBERs, Vilfredo
PARETOs und Herbert SPENCERs. Auch die ökonomischen Theorien Alfred
MARSHALLs und John M. KEYNES’, neben Elementen der psycho37
Im Rahmen der Systemtheorie ist im einzelnen von sytemtheoretischen Ansätzen zu
sprechen, wobei vom jeweiligen Autor in besonderer Weise eine Auswahl und Zusammenstellung von Begriffs-, Aussage- und Vermutungszusammenhängen getroffen wird.
38
Die Begriffe der struktur-funktionalen Systemtheorie sind analytische Begriffe und sollen nicht
wirklich existierende Gegenstände als solche bezeichnen, sondern nur zur Analyse ihrer
Funktion dienen. Die genannten Systeme sind folglich Perspektiven oder Bezugspunkte für die
Analyse. Je nachdem welches System als Ausgangspunkt genommen wird, bilden die beiden
40
analytischen Arbeiten Sigmund FREUDs und Forschungsergebnissen der
Gruppenforschung R. F. BALES’ sind in den Arbeiten PARSONS’ rezipiert. Die
struktur-funktionale Systemtheorie weist dadurch deutliche Querverbindungen
zur Sozialanthropologie, Psychologie und Ökonomie auf.
Das theoretische Konzept PARSONS’ hat eine wechselvolle Bewertung in den
Sozialwissenschaften erfahren: In den 50er Jahren wurde die strukturfunktionale
Systemtheorie
39
Theoriebildung
zum
leitenden
Paradigma
soziologischer
und ist in zahlreiche Arbeiten und Modelle verschiedener
Theoretiker eingegangen (vgl. GUKENBIEHL in Schäfers 1995:320). Die 60er
Jahre
brachten
dann
eine
Distanzierung
gegenüber
strukturalistischer
Theoriebildung, da die konkrete Anwendung im Rahmen der Forschung nicht
die Effektivität aufweisen konnte, die zunächst angestrebt worden war.
Verstärkt
wurde
die
Kritik
auch
durch
die
gesellschaftspolitischen
Entwicklungen dieser Jahre. PARSONS’ Arbeiten wurde eine konservative
Grundhaltung und statische Theoriekonstruktion
attestiert,
die
Formen
gesellschaftlichen Konflikts und sozialen Wandels nicht oder nur unzureichend
thematisieren könne.40 Seit den 80er Jahren kann jedoch eine gewisse
Renaissance Parsonianischer Systemtheorie festgestellt werden.41
Im Rahmen der Darstellung des theoretischen Ansatzes von Talcott PARSONS
können nur die wichtigsten Grundannahmen seines theoretischen Ansatzes
hervorgehoben werden. Die Begründung hierfür liegt im Umfang seiner
Arbeiten. Die Schriften The Structure of Social Action (1937), Toward a General
Theory of Action und The Social System (1951) sowie Societies (1966)
anderen das Milieu bzw. die Umwelt des betrachteten Systems (vgl. PARSONS in Hamilton
1985:74, vgl. auch JENSEN 1976:18 f.).
39
Wichtigster Gegenpol zu PARSONS war die Gruppe von Theoretikern um Paul F.
LAZARSFELD an der Columbia University in New York, wo die Methoden der Empirischen
Sozialforschung weiterentwickelt wurden. Die Chicagoer Schule, die in den 20er und 30er
Jahren einen bedeutenden Stellenwert auf den Gebiet der ‘Behavioral Science’ hatte, trat bei
der Harvard-Columbia-“Kontroverse“ in den Hintergrund (vgl. u.a. MIKL-HORKE 1992:164ff.).
40
Hier ist besonders auf die Auseinandersetzung DAHRENDORFs mit den Arbeiten PARSONS’
hinzuweisen.
41
Als prominentester Vertreter ist der US-amerikanische Soziologe Jeffrey C. ALEXANDER zu
nennen.
41
markieren die programmatischen Eckpunkte des Werks und dienen daher als
Grundlage der Darstellung Talcott PARSONS’ theoretischen Konstrukts.
3.2 Der Theorieansatz der voluntaristischen Handlungstheorie
In der 1937 erschienen Schrift The Structure of Social Action entwickelt
PARSONS „the basis of all his later work.“(HAMILTON 1985:65)
Er thematisiert das Problem der adäquaten Erfassung der Grundzüge einer
Handlungstheorie im Rahmen positivistisch-behavioristischer und utilitaristischer Konzeptionen und formuliert demgegenüber den Entwurf einer
voluntaristischen Handlungstheorie, die er im Aspekt des unit act als
Ausgangspunkt eines zusammenhängenden Schemas von Begriffen, dem
action frame of reference, konkretisiert (vgl. PARSONS 1968:731 ff).
Die Frühphase der Arbeiten Talcott PARSONS’ ist gekennzeichnet von der
Abgrenzung gegenüber der damals, in der US-amerikanischen Soziologie,
vorherrschenden Tradition mikrosoziologischer Betrachtungen, wie sie z. B. in
den Arbeiten zum Interaktionismus von George H. MEAD oder zum
Evolutionismus von Herbert SPENCER zum Ausdruck kommen (vgl. WEISS
1993:18, vgl. auch MIKL-HORKE 1992:164ff.). PARSONS lehnt diese
Strömungen ab,
„weil soziale Strukturen darin schon begrifflich ausgeklammert sind.“ (WEISS
1993:18)
Er entwickelt demgegenüber ein theoretisches Konzept, dessen grundlegender
Handlungsbegriff die Auseinandersetzung mit europäischen Denktraditionen
aufweist. Die 1937 erschienene Schrift The Structure of Social Action kann als
Ausgangspunkt der Entwicklung seiner Handlungstheorie aufgefaßt werden.
Erstmals werden hier im Rahmen der soziologischen Handlungstheorie die
Gemeinsamkeiten auf theoretisch-methodischer Ebene in den Arbeiten Max
WEBERs, Emile DURKHEIMs, Vilfredo PARETOs und Alfred MARSHALLs
herausgearbeitet und in der Weise weiterentwickelt, daß PARSONS in ihren
Werken eine konvergente theoretische Entwicklung aufzeigt.
42
„Finally , there is the very impressive fact of convergence, that the work of
these men who started from markedly different points of view converges upon a
single theory.“(PARSONS 1968:722)42
Die grundlegende Annahme, daß soziale Normen dabei als wichtigste
Komponente sozialen Handelns fungieren, wird zum Kern Parsonianischer
Handlungstheorie
(vgl.
PARSONS
1968:731).
Diese
Position
erörtert
PARSONS im Sinn von Ordnung als Zusammenhalt eines in Einheiten
gegliederten gesellschaftlichen Systems. Zur Herleitung seiner Position
rekurriert er auf die von HOBBES formulierte Auffassung
„gesellschaftliche Synthesis als Resultat einer verständigen, zweckrationalen
Kalkulation der Folgen bestehenden Naturzustandes“ (verstanden als
Kriegszustand aller gegen alle/Anm. TK)
(PREWO/RITSERT/STRACKE 1973:78)43
anzunehmen. Davon ausgehend wird die Einsicht in die Notwendigkeit einer
stabilisierenden gesellschaftlichen Ordnung im Rahmen zweckrationaler
Handlungsmotivierung durch die Einbringung einer „Vertragsidee“ in die
theoretische Konzeption HOBBES’ eingearbeitet. PARSONS nimmt dies als
Ausgangslage seiner eigenen Fragestellung hinsichtlich der Integration der
auseinander strebenden Interessen von Individuen in einem gesellschaftlichen
Gebilde. Kritik erfährt in der Problemlösungsstrategie jedoch die LOCKE’sche
Annahme einer „natürlichen Harmonie“ der Interessen ebenso wie Smiths
invisible hand. Die voluntaristische Komponente wird vielmehr im Sinn einer
Willensanstrengung der Handelnden zur Verwirklichung von Werten und
Normen aufgefaßt (vgl. MIEBACH 1991:190, vgl. auch WEISS 1993:19). Damit
distanziert
klassischen
sich
PARSONS
ökonomischen
vom
utilitaristischen
Theorie.
Wobei
Handlungsmodell
seine
Kritik
an
der
diesem
Handlungsmodell insbesondere auf das Zugrundelegen des Profitmotivs als
Ausgangspunkt der Formulierung einer Handlungstheorie abzielt (vgl. HAUCK
1988:134). Seiner Auffassung nach ist auch egoistisches Verhalten als eine
42
Die Konvergenz von Theorien kommt für PARSONS dadurch zustande, daß die in der
positivistischen Tradition stehenden MARSHALL, PARETO und DURKHEIM ideelle Faktoren
berücksichtigen und WEBER eine Vermittlung der idealistischen Tradition mit materialistischen Konzepten anstrebt (vgl. MOREL u.a. 1995:148).
43
Weiterführend siehe HOBBES 1996: Kap. 14.
43
spezifische
Form
institutionalistierten
Verhaltens
aufzufassen,
welchem
demzufolge eine normative Orientierung zugrunde liegt. Als Wesen sui generis
treten gesellschaftliche Strukturen den rationalen Kalkülen als nicht-rationale jedoch auch nicht irrationale - Bestimmungsgröße des Handelns gegenüber.
Die utilitaritische Position, menschliches Verhalten als zielgerichtetes zu
kennzeichnen
findet
allerdings
Eingang
in
das
theoretische
Konzept
PARSONS’ und ermöglicht so die Thematisierung von zielorientiertem Handeln
als
„Verhalten, welches ein vom Standpunkt des Handelnden aus erwünschtes Ziel
durch Anwendung geeigneter Mittel zu erreichen sucht.“ (HAUCK 1988:134)
Die Verbindung zwischen diesen Determinanten leitet PARSONS somit
theoretisch durch den Aspekt der Anstrengung - effort - her, durch den der
Handelnde versucht den sozialen Determinanten in der Wirklichkeit des
Handelns
Geltung
zu
verschaffen.
Damit
ist
die
Begründung
einer
voluntaristischen Handlungstheorie über den Aspekt der „Anstrengung“ des
einzelnen Handelnden in der Umsetzung der Normen und Werte in seinem
Handeln theoretisch hergeleitet.
44
Im Rahmen der Definition des Begriffs der sozialen Handlung bei PARSONS
kommt dem Werk Max WEBERs wesentliche Bedeutung zu: Die Definition
sozialer Handlung bei Weber, begriffen als Handeln
„welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das
Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist“
(WEBER in Winkelmann 1982:542)
und grenzt sich vor allem vom Verhaltensbegriff der behavioristischen Theorie
45
ab, wie dieser z.B. in den Arbeiten Herbert SPENCERs
Das
44
positivistisch-behavioristische
entwickelt worden ist.
Wissenschaftsmodell
gründete
die
Voluntarismus meint damit vor allem eine Zurückdrängung jeder biologischen Determination
und eine Indienstnahme rationaler Kalküle durch nichtrationale Leitgesichtspunkte (vgl. auch
Kap.5 dieser Arbeit).
44
Auffassung gegenüber philosophisch-spekulativer Stellungnahmen in der
Verhaltenstheorie auf beobacht-bare, empirisch nachweisbare Verhaltensabläufe, die auf experimentell-kausale Reiz-Reaktions-Schemata beschränkt
blieben.
Durch
die
Einführung
des
Handlungsbegriffs
Max
WEBERs
differenzierte sich auf methodologischem Gebiet die Forderung nach Erklärung
von Verhalten zwischen kausaler Verhaltenserklärung und dem Verstehen des
Sinns von Handeln (vgl. MOREL u.a. 1992:140, PREWO/RITSERT/ STRACKE
1973:81). Dies begründet einen wesentlichen Aspekt des theoretischen
Ansatzes Talcott PARSONS’. Im Rekurs auf den Handlungsbegriff WEBERs,
der Handeln am subjektiv gemeinten Sinn ausgerichtet sieht und soziales
Handeln als sinnhaft auf das Verhalten anderer gerichtete Handlung bestimmt
(vgl.
WEBER
1985:1),
bezieht
PARSONS
seine
Position
gegenüber
Utilitarismus und Positivismus-Behaviorismus dahingehend, daß Handeln nicht
allein durch äußere Bedingungen erklärbar noch zweckhaft instrumentell, wie
es im Konzept der ökonomischen Theorie definiert ist , bestimmt sein muß.
Eine weitere Komponente, die PARSONS an dieser Stelle einfügt, ist die
Trennung zwischen tatsächlich nachweisbaren Verhaltensabläufen und der,
aus der sinn-konstituierten Handlungserklärungs-Perspektive abgeleiteten,
Thematik eines Programms zur Steuerung von Verhalten. Die Musterbildung
von Verhaltensabläufen führt er hierbei auf die Entwicklung und Steuerung von
und durch Werte und Normen zurück.
Neben dem voluntaristischen Handlungsbegriff bezieht PARSONS daher Emile
DURKHEIMs makrosoziologischen Blickpunkt in der Untersuchung von
Gesellschaft als Wesen sui generis (siehe PARSONS 1968:709) mit ein, wobei
Gesellschaft zwar als auf Interaktionen begründet verstanden wird, jedoch als
verdichtete
Interaktionsstruktur
losgelöste
Existenz
gewinnt,
die
dem
Individuum gegenübersteht und von diesem als Zwang wahrgenommen wird.
45
Das Buch beginnt mit: „Spencer is dead ! But who killed him and how?“ PARSONS in
Hamilton 1985:67. In seiner späteren Phase kommt PARSONS allerdings auf die biologische
45
„Society in this context is not a concrete entity; it is, above all, not the concrete
totality of human beings in relation to each other. It is a ‘moral reality’.“
(PARSONS 1968:712)46
Die aus diesem Kontext entwickelten Aspekte der Entstehung und dem Wandel
von Steuerungsprogrammen des Verhaltens, von Kontroll-instanzen und
konditionalen
Bedingungen
des
Handelns
markieren
die
zentralen
Programmpunkte der Entwicklung seines Ansatzes. PARSONS verküpft die
Möglichkeiten
von
Handlungsfreiheiten,
gemäß
eines
voluntaristischen
Konzepts, mit den Bedingungen und Strukturen, die für den Handelnden
begrenzend wirken (vgl. WEISS 1993:18f.). Hierbei sieht das methodologische
Konzept PARSONS vor, die theoretischen Begriffe des Theorieprogramms der
voluntaristischen
verknüpfen.
47
Handlungstheorie
mit
der
empirischen
Forschung
zu
PARSONS differenziert daher zwischen der Analyse von
Elementen und Einheiten.
„Die Untersuchung von Einheiten besteht aus der Definition von ‘TypenEinheiten’ und ‘empirischen Generalisierungen’, mit deren Hilfe konkrete
soziale Strukturen und Prozesse beschrieben werden.“ (MIEBACH 1991:193)
Der Ansatz, der von PARSONS verfolgt wird, ist der der Differenzierung
zwischen theoretischen bzw. analytischen Systemen und empirischen. Dem
Theorieverständnis folgend, das den Arbeiten PARSONS unterlegt ist, kann die
Theorie nur ein Modell der Wirklichkeit sein und keinen unmittelbaren
empirischen Bezug aufweisen. In der Annahme, daß Wirklichkeit begrifflich
organisiert ist und damit selektiv wahrgenommen wird, muß die Theorie, die
diese
interpretieren
will,
ebenfalls
eine
selektive
Organisation
von
Wahrnehmung ausmachen und kann folgerichtig nur ein Bereich von einzelnen
Hypothesen über Bereiche der Wirklichkeit darstellen. PARSONS entwickelt
den Ansatz einer allgemeinen Handlungstheorie quasi axiomatisch-deduktiv
aus einigen wenigen Grundannahmen und Begrifflichkeiten, die er als den
Bezugsrahmen des Handelns, den action frame of reference, kennzeichnet.
46
Systemanalogie zurück (vgl. PARSONS 1966)..
Wesentlich ist hierbei die Unterscheidung von „social constraints from naturalistic causation.“
(PARSONS 1968:709)
46
Dieser kategoriale Bezugsrahmen gründet, wie bereits oben erwähnt, jedoch
nicht auf der empirischen Beschreibung von Handlung, sondern ist ein Modell
das Handlung beschreibt. Die Kategorien dienen somit als Anleitung zur
Beschreibung von Wirklichkeit. Die Konkretisierung der einzelnen Komponenten und ihrer gegenseitigen Wechselwirkungen, die PARSONS im Rahmen
der Thematik der unit of action systems formuliert, entwickelt er vom basic unit,
auch unit act, der Einzelhandlung aus (vgl. HAMILTON 1985:73). Denn
„[t]his is the ‘smallest’ unit of an action system which still makes sense as a part
of a concrete system of action.“ (PARSONS 1968:731)
Von mechanistischen Systemanalogien leitet PARSONS die Herangehensweise ab, zunächst das kleinste Element zu identifizieren, um davon
ausgehend die einzelnen Handlungsakte zu einer Einheit zu verknüpfen.
Einleitend formuliert er
„There must be a minimum number of descriptive terms applied to it, a
minimum number of facts ascertainable about ist, before it can be spoken at all
as a unit in a system.“ (PARSONS in Hamilton 1985:73)
Der unit act ist folglich ein Komplex von Elementen, aus denen sich Handlung
zusammensetzt
„It implies an agent, an ‘actor’. For purposes of definition the act must have an
‘end’, a future state of affairs toward which the process of action is oriented. It
must be initiated in ‘situation’ of which the trends of development differ in one or
more important respects from the state of affairs to which the action is oriented,
the end. This situation is in turn analyzable into two elements: those over which
the actor has no control, that is which he cannot alter, or prevent from being
altered, in conformity with this end, and those over which he has such control.
The former may be termed the ‘conditions’ of action , the latter the ‘means’.
Finally there is inherent in the conception of this unit, in its analytical uses, a
certain mode of relationship between these elements. That is, in the choice of
alternatives, there is a ‘normative orientation’ of action’.“ (PARSONS in
Hamilton 1985:73f.)
47
Die Umsetzung erfolgt jedoch erst im Rahmen der struktur-funktionalen Systemtheorie (vgl.
MIEBACH 1991:188).
47
In PARSONS Handlungskonzept, dem frame of reference, wird die „subjektive“
Perspektive der Handlung entworfen.
„That is, it deals with phenomena, with things and events as they appear from
the point of view of the actor whose action is being analyzed and considered.“
(PARSONS in Hamilton 1985:74)
Im Zentrum des action frame of reference steht die Orientierung der Akteure an
der Situation. Das Begriffsschema befaßt sich insbesondere mit den
Beziehungen zwischen den Bestandteilen einer interaktiven Situation, d.h. mit
den Prozessen und daraus entstehenden Strukturen. Wesentliches Kriterium ist
dabei die normative Orientierung der Akteure. Damit wird deutlich, daß
PARSONS
nicht
im
Sinn
des
Behaviorismus
einen
Organismus
als
Bezugspunkt der Analyse wählt, sondern
„The unit of reference which we are considering as the actor is not this
organism but an ‘ego’ or ‘self’.“ (PARSONS in Hamilton 1985:75)
Handeln hat neben der motivationalen Komponente, d.h. daß der Handelnde
die Situation stets auf eigene Bedürfnisse und Ziele bezieht, immer auch eine
Komponente, die durch die Bedürfnislage des Organismus bestimmt ist.
PARSONS reflektiert zwar in diesem Zusammenhang die need disposition des
Organismus, jedoch ist für seine Handlungstheorie lediglich die Organisation
des Handelns von Interesse. PARSONS fokusiert hierbei insbesondere auf die
Erfahrung des Handelnden mit der Bewältigung von Situationen. Nicht
einfaches Reagieren steht im Mittelpunkt, sondern die Entstehung eines
Systems von Erwartungen, die in bezug auf die Situationselemente entwickelt
werden (vgl. PARSONS/SHILS 1962:14). Handlung wird daraus ableitend
verstanden als
„a state of tension between two different orders of elements, the normative and
the conditional.“ (PARSONS 1968: 732)
Das normative Element des unit act grenzt PARSONS von der utilitaristischen
Tradition ab, wobei hier insbesondere die Ablehnung von Irrationalem, wie
48
beispielsweise Glauben, unter dem Gesichtspunkt thematisiert, das dies die
Ziel-Mittel-Erwägung stören würde, von PARSONS kritisiert wird. Das Element
der normativen Orientierung bedingt darüber hinaus die Möglichkeit, auf
Handlung eine Strukturtheorie aufzubauen, da alles soziale Handeln in diesem
Aspekt einen Bezugspunkt findet (vgl. WEISS 1993:21) und dies
„... to the fact of integration of individuals with references to a common value
system, manifested in the legacy of institutional norms, [...] and in various
modes of expression.“ (PARSONS 1968:768)
PARSONS folgt hier DURKHEIM im Sinn der common-value integration
48
als
genereller Eigenschaft aller Handlungsysteme. Dabei sollen Handlungsziele,
Mittel und normative Orientierungen, nach generellen analytischen Prinzipien,
die von speziellen Situationen unabhängig sind, klassifiziert werden (vgl.
WEISS 1993:21). Die voluntaristische Perspektive ist damit als Konzept nur in
bezug
auf
die
Möglichkeiten
einer
nicht
determinierten
Handlung
DURKHEIMscher Provenienz aufzufassen. Wobei im Vordergrund steht, daß
„Within the area of control of the actor, the means employed cannot, in general,
be conceived [...], but must in some sense be subject to the influence of an
independent, determinate selective factor... a normative orientation...“
(PARSONS 1968:44f.)
In der Verbindung des voluntaristischen Handlungskonzepts mit dem Aspekt
der normativen Orientierung entwickelt PARSONS in der Folge die systemtheoretische Komponente seines Ansatzes, die vom Funktionalismus inspiriert
ist, aber eine Umformulierung in der Weise erfährt, daß Gesellschaft als
System interdependenter, einander beeinflussender Teile auch dynamische
Elemente aufweisen muß.
Im Übergang von der Individualebene zur Systemebene treten funktionale
Gesichtspunkte
48
in
den
Mittelpunkt
der
theoretischen
Erörterung.
Der
DURKHEIM folgt in der theoretischen Erfassung gesellschaftlicher Realität nicht der
Vorstellung, dass individuelle Rationalität für Integration sorgt, sondern entwickelt eine, an
ROUSSEAU anlehnende, Konzeption eines Solidaritätsgefühls unter den Mitgliedern einer
Gesellschaft, welches die gemeinsame Willensäußerung zur Einhaltung von Normen bedingt
(vgl. WEISS 1993:18 f.).
49
anschließende Abschnitt widmet sich daher zunächst der Darstellung
wesentlicher
Entwicklungsschritte
des
Funktionalismus
in
den
Sozialwissenschaften.
3.3 Zum Funktionalismus in den Sozialwissenschaften
Talcott PARSONS’ theoretische Konzeption wird als funktionalistische Theorie
gekennzeichnet und weist somit auf eine bestimmte, von der kausalwissenschaftlichen zu unterscheidende Erklärungsweise hin. Da der
Funktionalismus unterschiedliche Ursprünge hat, werden in einem kurzen
Überblick zur funktionalen Betrachtungsweise im Rahmen der Sozialwissenschaften wesentliche Einflußfaktoren PARSONS’ funktionalistischer
Konzeption dargestellt.
3.3.1 Definition des Begriffs Funktion
Der Begriff der Funktion hat unterschiedliche Definitionen. Allgemein finden
sich im Lexikon folgende Ausführungen: Geltung, Tätigkeit, Amt, Stellung und
[klar umrissene] Aufgabe innerhalb eines größeren Zusammenhangs, Rolle.
Fachwissenschaftliche Verwendungen des Funktionsbegriffs gehen allerdings
in abstrakteren Konzeptionen auf, so z.B. in der Mathematik, wo unter einer
Funktion eine veränderliche Größe, die in ihrem Wert von einer anderen
abhängig ist verstanden wird. Im Rahmen kybernetischer Funktionsdefinition ist
ein bestimmtes Systemverhalten, das sich aus dem Verhältnis von Ein- und
Ausgabe bestimmen läßt, zu verstehen. Alle diese Definitionen finden Eingang
in die sozialwissenschaftliche Verwendung des Begriffs der Funktion. Jedoch
ist hier nicht ohne weiteres mit (exakten) naturwissenschaftlichen oder
mathematischen Vorstellungen zu arbeiten.
50
3.3.2 Funktionale Ansätze in der Gesellschaftstheorie
Ansätze funktionalen Denkens finden sich bereits in den Arbeiten Auguste
COMTEs (1798-1857) und werden hier in der Weise formuliert, daß
Erklärungen von Einzelphänomenen nur im Rahmen des Ganzen erfolgen
könnten, da alles in einer Gesellschaft in sehr hohem Masse verflochten sei
(vgl. WEISS 1993:13).
Die struktur-funktionale Systemtheorie geht in ihren Grundlagen allerdings auf
Emile DURKHEIM (1858-1917) zurück. In seinen Arbeiten spielen funktionale
Aspekte eine wesentliche Rolle, da mit den gesellschaftlichen Veränderungen
im 19. Jahrhundert, d.h. dem wissenschaftlichen Fortschritt und der
zunehmenden technischen Beherrschung und Nutzbarmachung der Natur, die
die
Entwicklung
des
industriellen
Kapitalismus
mit
seiner
komplexen
Arbeitsteilung und steigender Bevölkerungszahlen ausmachten, das Thema der
zunehmenden Differenzierung ins Blickfeld theoretischer Erklärungsansätze
tritt.
DURKHEIM
beschäftigt
sich
dabei
im
besonderen
mit
Themen
der
Differenzierung der Gesellschaft in Einheiten, z.B. Familien, unter besonderer
Berücksichtigung der Erklärung von Interdependenz zwischen den Einheiten,
als auch mit den Aspekten des Zerfalls und der Integration(sleistung) sozialer
Systeme.49 Besonders die Relation des Teils zum Ganzen steht hierbei im
Blickpunkt. Aber der Aspekt der Interdependenz allein ist für DURKHEIM kein
ausreichendes Erklärungsschema für den Systemerhalt und er thematisiert
kulturelle Begründungen, z.B. Werte, als integratives Moment gesellschaftlicher
Systembetrachtung.50
Die Thematik der Differenzierung ist allerdings nicht erst bei DURKHEIM
Bestandteil der Theorie, sondern findet sich auch in den Evolutionstheorien, die
auf die Arbeiten Charles DARWINs folgen (vgl. WEISS 1993:14). Ein
49
Die differenzierte Gesellschaft basiert nach DURKHEIM auf einer „organischen Solidarität“,
die sich in der unterschiedlichen Funktionsausübung von Einzelnen und der sich daraus
entwickelnden Interdependenz ausdrückt. Infolge der zunehmenden Komplexität differenzierter Gesellschaften nimmt auch die gegenseitige Abhängigkeit zu und Durkheim entwickelt
seinen theoretischen Ansatz dahingehend, daß die gesellschaftlichen Mitglieder ihre
gegenseitige Verpflichtung schließlich als moralische Tatsache akzeptieren (vgl. DURKHEIM
in Thompson 1985:46 ff.).
51
prominenter Vertreter dieses Theorietypus’ ist Herbert SPENCER (1820-1906).
Er übernimmt evolutionstheoretische Vorstellungen, um gesellschaftlichen
Fortschritt analysieren zu können. Hierbei vertritt er die Annahme, daß auch in
der gesellschaftlichen Entwicklung ähnliche Gesetzmäßigkeiten bestehen, wie
diese in der Natur nachweisbar sind. Spencer erfaßt die Tendenz zu größerer
Komplexität gesellschaftlicher Strukturen in Form zunehmender Homogenität
der einzelnen Gesellschaftsteile, was auch zunehmende Anpassungsleistungen, innerhalb wie außerhalb des betrachteten gesellschaftlichen
Gebildes bedeutet. Dabei wird der Aspekt von Teil und Ganzem umfassend
thematisiert (vgl. SCHÜLEIN/BRUNNER 1994:83ff.). Nach SPENCER ist
soziale Evolution als Steigerung von Anpassungsleistungen aufzufassen, die
aufgrund zunehmender Differenzierung und gleichzeitiger Integration möglich
wird. Hierbei thematisiert er die Analogie zwischen organischen und sozialen
Gebilden. Dieser Annahme folgend leitet er Funktionen von Teilen des sozialen
Systems her, die wichtig für den Bestand des Gesamtsystems sind (vgl.
SCHÜLEIN/BRUNNER 1994:85, vgl. auch WEISS 1993:15f.).
Aufbauend auf diesen Thesen finden sich im soziologischen Funktionalismus
zwei wichtige Ansatzpunkte:
1. Jede kulturelle Erscheinung muß eine bestimmte Funktion haben,
woraus sich
2. ergibt, daß die Erscheinungsform auf die Funktionserfüllung schließen läßt
(vgl. WEISS 1993:16).
Eine
Fortentwicklung,
teilweise
auch
in
Anlehnung
an
die
Arbeiten
DURKHEIMs, erfährt der funktionale Denkansatz in den 20er und 30er Jahren
im Rahmen der Ethnologie/Anthropologie durch die Arbeiten Bronislaw
MALINOWSKIs (1884-1942) und Alfred R. RADCLIFF-BROWNs (1881-1955).
Gestützt
auf
die
Analyse
primitiver
Gesellschaften
soll
die
Funktionsbestimmung von kulturellen Erscheinungen im Rahmen des Gesamtgefüges möglich werden.
MALINOWSKIs Funktionsbegriff fokusiert hierbei insbesondere auf die
individuellen Auswirkungen gesellschaftlicher Institutionen. Hierbei untersucht
50
Der Versuch der Erklärung gesellschaftlicher Integration durch Werte bedingt die Zurechnung
52
er die Funktionen, welche Institutionen zur Erfüllung der grundlegenden
Bedürfnisse der Mitglieder des betrachteten gesellschaftlichen Gebildes
erfüllen. Malinowski entwickelt ein allgemeines Funktionen-Schema, das sieben
grundlegende individuelle Bedürfnisse thematisiert und diese mit zentralen
gesellschaftlichen Institutionen in Beziehung setzt (vgl. HAUCK 1988:130).
Darüber hinaus hat wesentliche Bedeutung, daß er Kultur bereits als
Handlungssystem auffaßt und bemüht ist Teilbereiche der Kultur mit den
Bedürfnissen des menschlichen Organismus zu verbinden.
Alfred R. RADCLIFF-BROWN definiert den Funktionsbegriff im Zusammenhang
mit der Frage der Erhaltung des Bestands des betrachteten gesellschaftlichen
Gebildes. In Analogie eines biologischen Organismus analysiert er die
Funktionen
der
einzelnen
sozialen
51
gesellschaftlichen Gesamtheit.
Phänomene
für
den
Erhalt
der
RADCLIFF-BROWNs Interesse geht in
Richtung der Formulierung von Gesetzmäßigkeiten zur Aufrechterhaltung von
gesellschaftlichen Systemen.
Die Arbeiten der funktionalen Ethnologie/Anthropologie haben wesentlich zur
Entwicklung des Funktionalismus beigetragen und weisen ebenfalls starken
Einfluß auf die Entwicklung sozialwissenschaftlich gewendeter Systemtheorie
Parsonianischer Prägung auf.
Die Arbeiten MALINOWSKIs und RADCLIFF-BROWNs konzentrierten sich auf
die
Analyse
primitiver
Gesellschaften.
Robert
K.
MERTON
betonte
demgegenüber jedoch, daß die Erkenntnisse nicht ohne weiteres auf die
Untersuchung von modernen, komplexen Gesellschaften übertragen werden
können. MERTON stellt im wesentlichen auf drei Kritikpunkte ab, wobei er
1.
51
die Differenzierung zwischen primitiven und modernen Gesellschaften, zur
Bestimmung des Bezugspunktes von dem aus die Analyse erfolgen soll,
thematisiert.
Außerdem verweist der
zum normativen Paradigma (vgl. MIEBACH 1991:193).
Hier wird noch die, durch die Evolutionstheorien nahegelegte Vorstellung der Nützlichkeit von
bestehenden Verhältnissen unterlegt.
53
2.
3.
auf die Vielschichtigkeit sozialer Realität, die bedingt, daß nicht alle
52
Bestandteile einer Kultur funktional sein müssen.
Und er wendet sich
gegen den Erfordernisanspruch hinsichtlich der Funktionserfüllung
bestimmter Elemente.
Merton bringt hier die Möglichkeit funktionaler Äquivalente in die theoretische
Auseinandersetzung ein (vgl. SCHÜLEIN/BRUNNER 1994:99). Im Rahmen
seiner Arbeiten sind somit wesentliche Unterscheidungen in die funktionale
Analyse eingegangen und die bis dahin bestehende Orientierung des
Funktionalismus
entwickelte
sich
in
Richtung
der
Bestimmung
von
Phänomenen und Folgen für Strukturen, in die sie eingebettet sind.
In der Weiterentwicklung des Funktionalismus liegt der Übergang zur
Systemtheorie. Wobei der Begriff der Struktur, aus funktionalen Grundannahmen entwickelt, direkt in die Systemtheorie überleitet, denn ein System
53
kann nur als solches wahrgenommen werden, wo es sich aufgrund innerer
Strukturbildung gegen seine Umwelt abgrenzt. Der Strukturbegriff ist folglich ein
Systemmerkmal, welches Elemente in einem bestimmten Rahmen als
Konstanten beschreibt. Ausgehend von dieser Fassung des Strukturbegriffs
kann ein System definiert werden als ganzheitlicher
„Zusammenhang von Teilen, deren Beziehungen untereinander quantitativ
intensiver und qualitativ produktiver sind als ihre Beziehungen zu anderen
Elementen. Diese Unterschiedlichkeit der Beziehungen konstituiert eine
Systemgrenze, die System und Umwelt des Systems trennt.“ (WILLKE
1982:149)
Talcott PARSONS verbindet handlungs- und systemtheoretische Begriffe zu
einer Theorie der Handlungssysteme, wobei er den Systembegriff in seiner
technisch-naturwissenschaftlichen Fassung auf die Erklärung von Handlung
erweitert und den Versuch unternimmt, im Rahmen der Formulierung einer
52
MERTON trifft Unterscheidungen zwischen Funktionen, Dysfunktionen und Nicht-Funktionen.
In der Differenzierung von individuellen Absichten und objektiven Folgen, gelingt darüber
hinaus die Formulierung von manifesten und latenten Funktionen, die sich thematisch auf den
gerade beschriebenen Aspekt sozialer Wirklichkeit beziehen (vgl. SCHÜLEIN/BRUNNER
1994:89).
53
Verstanden als analytische Konzeption oder als ein Gebilde im Sinn eines ganzheitlichen
Zusammenhangs.
54
allgemeinen Handlungstheorie alternative Erklärungen sozialer Strukturen und
Prozesse
herzuleiten,
die
nicht
aus
den
Erklärungsansätzen
bereits
bestehender Gesellschaftstheorien darzulegen waren (vgl. MIKL-HORKE
1992:191, vgl. auch WEISS 1993:24).
Die
Umformulierung
der
Handlungstheorie
in
eine
struktur-funktionale
Systemtheorie muß zwangsläufig die Struktur in bezug zur Funktion ableiten,
wobei
„die strukturellen Züge eines sozialen Systems nicht mehr aus den
Propositionen des unit-act hergeleitet werden können.“ (WEISS 1993:22)
PARSONS begründet die Abstrahierung von individueller Variabilität der
Verhaltensweisen und Motivationen mit der Programmatik, soziale Faktoren
identifizieren zu wollen (vgl. HAUCK 1988:137).
3.4 Die Allgemeine Theorie der Handlungssysteme
Im Rahmen des handlungstheoretischen Modells, das systemtheoretische und
interaktionistische Komponenten in einem Theoriekonstrukt verbindet, unternimmt PARSONS den Versuch, eine allgemeine Theorie menschlichen
Handelns zu entwerfen. Alle relevanten Aspekte der gesellschaftlichen Realtität
sollen dabei mithilfe eines Systems von logisch zusammenhängenden Begriffen
erfaßbar gemacht werden. Die Konkretisierung der theoretischen Konzeption
erfolgt in den 1951 erschienen Schriften Toward a General Theory of Action
und The Social System.
Im Gegensatz zur Handlungstheorie, die
„Strukturen als Rollenrechte und -pflichten, als institutionalisierte Werte und
Normen, als primäre und sekundäre Regeln der Alltagshandlung, als im Verlauf
der Biographie aufgebaute Identität und als Grundbedingung sozialen
Handelns.“ (MIEBACH 1991:183)
erfaßt und hierbei Bedingungen aufführt, die von Gruppen oder einzelnen
Individuen beeinflußbar sind, sich aber für den Handelnden in einer konkreten
Interaktionssituation als unveränderbare soziale Gegebenheit aufzeigen, liegt
55
die Betonung, im Rahmen der Systemtheorie, auf den strukturellen Mustern,
die sich in Systemen zu einer eigenen Ebene verfestigen und von dem
einzelnen Handelnden nicht kontrollierbar sind.54
Der Systembegriff, der der theoretischen Konstruktion Talcott PARSONS’
unterlegt ist, setzt sich aus verschiedenen Systemmerkmalen zusammen:
PARSONS’ Verständnis des Systems sozialer Handlungsgefüge entwickelt sich
einerseits am mechanischen Systemmodell Vilfredo PARETOs, der dieses auf
soziale Aspekte anwendet, weiterhin am physikalisch-chemischen Systembegriff, wie ihn Lawrence J. HENDERSON entwickelte und auf biologische
Systeme anwendet und schließlich am Ansatz der Homöostasis und der
kybernetischen Steuerung bei Alfred EMERSON und Norbert WIENER.
EMERSONS’ Auffassung folgend, daß zwischen Genen und Symbolen eine
funktionale Äquivalent bestehe, gelangt PARSONS zur Überzeugung, daß
zwischen den physischen Systemen der organischen Welt und denen der
soziokulturellen Welt eine prinzipielle Beständigkeit von Gesetzmäßigkeit
bestehe und demzufolge dieselben Gesetze für beide Bereiche angenommen
werden können.55
PARSONS Auffassung nach ist ein System durch die Interdependenz der Teile
gekennzeichnet,
welches
aufgrund
des
Ordnungscharakters
der
inter-
dependenten Variablen die Tendenz zur Erhaltung der Struktur und damit dem
Gleichgewicht im System aufweist. Die Ordnungsfrage wird somit im Hinblick
auf Systembezüge und das „Überleben“ eines Systems im Sinn eines
dynamischen Gleichgewichts erörterungsfähig. Die Untersuchung bedingt
folglich die Bezugnahme einzelner Probleme systematisch auf die Gesamtheit.
Auf diese Weise werden Erscheinungen, die systemerhaltend wirken oder die
Integration beeinträchtigen, analysierbar (vgl. HAUCK 1988:135). Dieser
Perspektive sind jene Konzepte untergeordnet, die reflexiv Handlung, im unit
act, auf eine Einheit reduziert und Handlungsentwürfe als Ausdruck von
54
Auf den unterschiedlichen Emergenzniveaus werden strukturelle Verfestigungen beobachtet,
die auf das Handeln der Individuen einwirken (vgl. MIEBACH 1991:183). PARSONS modelliert
darauffolgend im Verlauf seiner Arbeiten die vier verschiedenen Ebenen seiner systemischen
Analyse.
56
Rollenabläufen erfaßt, die dem Sozialsystem zugeordnet werden können. Hier
entwickelt PARSONS den Bezug zu FREUDs Über-Ich-Konzeption und gelangt
durch die Einführung der Prozesse der Internalisierung und Institutionalisierung
zur Möglichkeit, die Subsysteme miteinander zu verbinden. Hierbei wird, im
Rahmen der Definition von System als Menge von wechselseitig von einander
abhängigen Elementen und ihren Beziehungen untereinander, die Problematik
angesprochen, daß je komplexer das System wird desto weniger sind die
Beziehungen untereinander wesentlicher Integrationsfaktor. Dieser Problembereich der theoretischen Konzeption wird im Rahmen einer Hierarchie
thematisiert, wobei eine selektive Verknüpfung der Elemente notwendig wird.
56
3.4.1 Die Einführung von Handlungssystemen
Mit der Einführung von Handlungssystemen in die theoretische Konzeption
kategorisiert PARSONS Systeme nach unterschiedlichen Stufen der Evolution,
die einerseits durch kybernetische Kontrollbeziehungen mit einander verbunden
sind, andererseits durch Stufen konditionaler Voraussetzungen aufeinander
basieren. Handlungssysteme werden dabei von physikalisch-chemischen und
biologischen Systemen in der Weise differenziert, daß erstgenannte aufgrund
einer
„‘Interdependenz-Unterbrechung’ durch ein Fehlen von ausreichenden ‘inniate
organizers’ (angeborenen Steuerungsfunktionen) für menschliches Verhalten“
(MOREL 1992:142)
entstehen. Damit wird der Aspekt der (Nicht-)Determiniertheit menschlichen
Verhaltens
thematisiert
und
PARSONS
ist
vor
diesem
Hintergrund
insbesondere an der Entstehung und Dauerhaftigkeit von sozialer Ordnung
interessiert.
55
56
Die Darstellung der einzelnen System-Modelle findet sich bei TJADEN (1971).
PARSONS führt hierzu die kybernetische Kontrollhierarchie in sein theoretisches Konzept ein.
57
3.4.2 Der handlungstheoretische Bezugsrahmen und die Systemtheorie
In Toward a General Theory of Action (zus. mit E. SHILS 1951) thema-tisiert
PARSONS die Beziehung zwischen den drei Handlungssystemen Persönlichkeitssytem, soziales System und kulturelles System. Jedes System ist dabei als
analytische Abstraktion von konkretem Verhalten aufzufassen.
Einleitend erörtert PARSONS die Unterscheidung zwischen den Aspekten des
physiologischen Organismus als Grundlage des individuellen Akteurs, der
Handlung eines einzelnen Akteurs und den Handlungen von einer Mehrzahl
von Akteuren in einem Kollektiv. Wichtig für PARSONS ist herauszustellen, daß
die Organisation von Handlung im Zentrum der Diskussion steht. Damit stellt er
den Aspekt der Handlungsorientierung in den Vordergrund.
„Whether the acting unit is an individual or a collectivity, we shall speak of the
actor’s orientation of action when we describe the action.“(PARSONS/SHILS
1962:4)
Den Aspekt der Motivation thematisiert Talcott PARSONS im Rahmen der
normativen Orientierung, was den Ausgangspunkt der theoretischen Erörterung
bildet. PARSONS räumt ein, daß
„The concept motivation in a strict sense applies only to individual actors.“
(PARSONS/SHILS 1962:4)
Jedoch liegt das Erkenntnisinteresse auf dem Schwerpunkt der Identifikation
von sozialen Handlungskonzeptionen und PARSONS führt aus, daß
„[t]he motivational components of the action of collectivities are organized
systems of the motivation of the relevant individual actors.“(PARSONS/SHILS
1962:4)
Für die Handlungsorientierung bedeutet dies, daß
„Action has an orientation when it is guided by the meaning which the actor
attaches to it in its relationship to his goals and interests.“(PARSONS/SHILS
1962:4)
58
Der Handlungsorientierung wird ein set of objects of orientation unterlegt (siehe
PARSONS/SHILS 1962:4). PARSONS differenziert dabei zwischen zwei
unterschiedlichen Gruppen von Objekten
„to which the actor who is the point of reference may be oriented.“
(PARSONS/SHILS 1962:4).
Die Klassifikation der Modalitäten von Objekten erfolgt hierbei nicht über ihre
Eigenschaften, sondern über ihre Beziehung zum Handelnden.
„These are either (1) nonsocial, that is, physical objects or accumulated cultural
ressources, or (2) social objects, that is individual actors and
collectivities.“(PARSONS/SHILS 1962:5)
Das Unterscheidungskriterium liegt im Begriff der Interaktion, der gegenseitigen
Orientierung und der damit verbundenen Bildung von Erwartungsstrukturen. In
der spezifischen Kombination der Selektionen hinsichtlich der Objekte in einer
Situation konstituiert sich so allmählich eine Handlungsorientierung für den
einzelnen Akteur. In der organisierten Gesamtheit der Handlungsorientierungen
besteht dann für PARSONS ein Handlungssystem, das durch das bereits
beschriebene Fehlen einer Handlungsdeterminiertheit die Beziehung zwischen
Handelndem und Situation durch bestimmte Orientierungsweisen festlegt.
PARSONS unterscheidet hierbei drei unterschiedliche Orientierungsmodi bzw.
Relationsmodi:
a) den kognitiven,
b) den teleologisch-evaluativen
und
c) den affektiv-kathektischen Relationsmodus. Wesentlich ist, daß zwischen
der Umwelt, den Wünschen des Handelnden und den emotionalen
Bedingtheiten (Bindungen) von Handlungsweisen differenziert wird (siehe
PARSONS/SHILS 1962:4).
Zusammenfassend können diese Relationsmodi aufgefaßt werden, als
„the categories for the description, on the most elementary level, of the
orientation of action, which is a constellation of selections from alternatives.“
(PARSONS/SHILS 1962:5 f.)
59
PARSONS geht in der Untersuchung der Handlungsorientierungen von einer
bestimmten Konstellation der Orientierung aus, wobei er jedoch darauf
hinweist, daß die
„dynamic analysis would treat the process of action and is the proper goal of
conceptualization and theory construction.“(PARSONS/SHILS 1962:6)
Er schlussfolgert daraufhin, daß
„these same variables are dealt with in the analysis of the processes in which,
through change in the values of the variables, one orientation changes into
another. There is, thus, no difference...“ (PARSONS/SHILS 1962:6)
Der Handlungsbezugsrahmen wird von PARSONS auf alle Handlungsaspekte
und -prozesse bezogen, wobei die Verhaltensweisen, die es zu analysieren gilt,
in Systeme unterteilt werden. PARSONS differenziert drei unterschiedliche
Konfigurationen: Persönlichkeit, das soziale und das kulturelle System (vgl.
PARSONS/SHILS 1962:6f.).
Der Begriff der Persönlichkeit umfaßt die Orientierung des Akteurs und die
zugrunde liegenden motivationalen Prozesse. Das soziale System wird aus den
Interaktionen von mehreren Handelnden geformt, kann jedoch nicht als
„plurality of personalities“ verstanden werden (PARSONS/SHILS 1962:7). Das
Kultursystem enthält schließlich kulturelle Tradierungen, die einmal als Objekt
der Orientierung verstanden werden und zum anderen als Element der
Handlungsorientierung in den Aspekten der Persönlichkeit und des sozialen
Systems auffindbar sind (vgl. PARSONS/SHILS 1962:7).
Die vorgestellten Konfigurationen müssen als eigenständige Systeme aufgefaßt
werden und sind somit nicht aufeinander reduzierbar. Konkrete Handlungssysteme, faßt PARSONS zusammen, sind
„personalities and social systems - have psychological, social and cultural
aspects.“(PARSONS/SHILS 1962:7)
Kulturelle Elemente unterteilt PARSONS wiederum in zwei Klassen
60
„First, they may be differenciated according to the predominance of each of the
modes of motivational orientation. Second, culture patterns as objects of the
situation may be distinguished from culture patterns as internalized components
of the orientation system of an actor.“ (PARSONS/SHILS 1962:8)
Wesentlich ist bei dieser Einteilung, daß die erste Klasse drei Typen von
kulturellen Mustern hervorbringt, die Organisation und damit Systembildung
bedingen. Es sind dies
a) kognitive,
b) expressive
und
c) evaluative Systeme der Wertorientierung.
Ihre Funktion liegt im Bereich der Lösungsmöglichkeiten für bestimmte
Orientierungsprobleme in bestimmten Situationen (vgl. PARSONS/ SHILS
1962:21). Auch die Systeme der Wertorientierung können wieder unterteilt
werden, was auf die Klassifizierung von Einstellungen und Standards von
Handlungsweisen hinausführt und PARSONS zu Typen sozialer Strukturen und
damit der Einteilung von bestimmten Gesellschaftstypen gelangen läßt (vgl.
PARSONS 1979:177ff.).
Zur Verdeutlichung der „organization of action into systems“ entwirft PARSONS
eine Handlungssituation, die nicht mehr aus der Perspektive des Individuums
entworfen wird, sondern die Einführung der Interaktion mehrerer (Ego-AlterRelation) erfährt (PARSONS/ SHILS 1962:54). Er beginnt mit der Betrachtung
einer Zwei-Personen-Interaktion. In einer solchen Situation stellen beide für
einander jeweils Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung als auch zur
Frustration dar – „the complementarity of expectations“ (PARSONS/ SHILS
1962:15). In gegenseitigem Lernprozeß zur Vermeidung von Frustrationen,
sanctions, und darüber hinaus der Maximierung ihrer Bedürfnisbefriedigung,
conformity, verdichtet sich so allmählich ein System von Erwartungen, welches
festlegt wie Verhalten sein soll.
„Thus consideration of the place of complementarity of expectations in the
processes of human interaction has implications for certain categories which
are central in the analysis of the origins and functions of cultural patterns. There
61
is a double contingency inherent in interaction.“(PARSONS/SHILS 1962:16)
Und PARSONS kommt zum Schluß, daß hinsichtlich der gegenseitigen
Erwartungen in der interaktiven Situation Stabilität nur durch die Etablierung
bestimmter Konventionen gewährleistet sein kann. Diese Konventionen führt
PARSONS auf die normative Orientierung und damit auf ein „shared symbolic
system“ zurück (vgl. PARSONS/SHILS 1962:16).
Dieser Satz von Normen steuert das Verhalten von Individuen und bedingt die
Entwicklung eines Bezugsrahmens, der die, für die soziale Interaktion wichtigen
Zeichen und Symbole, die mit bestimmten Bedeutungen belegt sind und als
Kommunikationsmedien den Zusammenhang zwischen Handelnden und
Situation herstellen, liefert, bis sich die Interaktionsmuster endgültig stabilisiert
haben. Die Organisation der Handlung beinhaltet somit kulturelle Symbolismen
(vgl. PARSONS/SHILS 1962:7-21, vgl. auch PARSONS 1979:5f.).
Den Prozeß der Aneignung der kulturellen Muster siedelt PARSONS im
Sozialisationsprozeß an. Die Persönlichkeit als System, ego structure, enthält
neben Elementen der Motivation, die Gratifikations-Deprivations-Balance,
Aspekte der Kognition und des Lernens auch Mechanismen, die auf den
Relationsmodi aufbauen (vgl. PARSONS/ SHILS 1962:18). Neben den
physiologischen Komponenten des individuellen Akteurs, der need disposition,
führt PARSONS die interaktive Erfahrung in die Struktur der Persönlichkeit ein,
wobei die symbolischen Aspekte der kulturellen Tradition
„form an interdependent system of acquired need-disposition.“ (PARSONS/
SHILS 1962:54).
Darauf aufbauend entwickelt PARSONS das Konzept der Rollenerwartung. Die
Organisation von Handlungsalternativen in einem Handlungssystem ist
wesentlich, da
„[w]ithout this organization, the stable system of expectations which are
essential to any system of action could not exist.“(PARSONS/SHILS 1962:20 f.)
62
Die Internalisierung von kulturellen Mustern ist somit eine wesentliche
Komponente der theoretischen Konzeption PARSONS’. Und zusammenfassend formuliert er, daß
„All concrete systems of action, at the same time, have a system of culture and
are a set of personalities (or sectors of them) and a social system or
subsystem. Yet all three are conceptually independent organizations of the
elements of action.“(PARSONS/SHILS 1962:22)
Aus
dem
action
frame
of
reference
leitet
PARSONS
weitere
handlungstheoretische Konzepte ab, wobei das wichtigste das der pattern
variables ist. Mit den Mustervariablen erweitert PARSONS die Handlungsorientierung der Akteure nach den genannten Relationsmodi in dem Sinn, daß
der Akteur in einer Situation eine Entscheidung treffen muß, die das Primat
bezüglich der Orientierungsmodi festlegt. Dies basiert auf der Grundlage des
Verständnisses der Mustervariablen als
„... which must be chosen by an actor before the meaning of a situation is
determinate for him, and thus before he can with respect to that
situation.“(PARSONS/SHILS 1962:76)57
PARSONS
formuliert
fünf
dichotome
Entscheidungsalternativen,
deren
Kombination die spezifische Orientierung und die Orientierungssysteme
charakterisieren (vgl. PARSONS/SHILS 1962:76). Die Handlungsorientierungsmuster gehören zum normativen Aspekt der Struktur von Handlungssystemen
und bilden eine Komponente des jeweiligen kulturellen Systems. Sie sind damit
angelegt, grundlegende Dimensionen der Orientierung zu definieren und
Verhalten danach auszurichten. Die dichotomen Musterpaare sind wie
normative Vorgaben im Rollensystem und zugleich Lösung für Handlungssituationen. Auf diese Weise werden die pattern variables zum strukturellen
Kern, welcher Handlung mit den Aspekten der Kultur, der Gesellschaft und der
Persönlichkeit verknüpft (siehe PARSONS/SHILS 1962:79).
Die Mustervariablen sind im Handlungsbezugsrahmen auf vier Ebenen
lokalisierbar:
63
1) auf der Ebene des Akteurs,
2) auf der Ebene der habits of choice,
3) im Sozialsystem, wo sie Rechte und Pflichten determinieren
und
4) im Kultursystem, wo sie sich in Form von Werten manifestieren. Dadurch
können die pattern variables zur Beschreibung der Handlungssysteme
Persönlichkeitssystem, Sozialsystem und Kultursystem genutzt werden.
Ein System sozialen Handelns ist zusammenfassend eine integrierte Struktur
von Handlungselementen in bezug auf eine bestimmte Situation, in welcher
motivationale und kulturelle Elemente in eine Ordnung gebracht werden (siehe
PARSONS 1979:24). Handlung setzt sich damit aus einer Reihe von
untereinander
zusammenhängenden
und
wechselseitig
von
einander
abhängigen Elementen zusammen, erscheint aber als Ganzheit und steht als
solche im Austauschverhältnis mit ihrer Umwelt.
In der Formulierung der Komponenten der sozialen Handlung, als Teil eines
Systems, entwickelt PARSONS somit die Auffassung, daß die Komponenten
selbst Systemeigenschaften haben und somit organisierte Ganzheiten mit einer
internen Struktur darstellen, die aber wiederum nur insoweit relevant sind, als
das sie in Austauschbeziehungen mit Strukturteilen von anderen Systemen
stehen.
Die
so
gekennzeichneten
Strukturelemente
formieren
sich
infolgedessen als Subsysteme eines übergeordneten Systems, d.h. als
Persönlichkeits-, Sozial- und Kultursystems des betrachteten Handlungssystems (vgl. PARSONS 1979:6). Das Persönlichkeitssystem erscheint hierbei
als Organisation von Bedürfnisdispositionen, das Sozialsystem als Organisation
von Interaktionen zwischen Akteuren, wobei es sich dabei um einen Satz
stabilisierter Interaktionsmuster, die stabilized patterns of interaction, handelt.
Das Kultursystem schließlich stellt den vorgenannten Systemen Symbole und
Werte zur Verfügung (vgl. PARSONS/SHILS 1962:54ff.).
Die systemischen Eigenschaften der Handlung aktivieren sich schließlich im
Interaktionsprozeß und damit im Sozialsystem und lassen sich auf diese Weise
als Interdependenz von Handlungssystemen auffassen. Daraus ergibt sich eine
Auffassung des Sozialsystems als
57
64
Auf die genaue Wiedergabe der pattern variables wird verzichtet (vgl. PARSONS/SHILS
a) das Inputfaktor des betrachteten Handlungssystems
und
b) als System der Handlungssysteme in einer Situation, in der die
Handlungssysteme ihrerseits zu Inputfaktoren des Sozialsystems werden.
PARSONS beschäftigt sich dann insbesondere mit der Darstellung des
Sozialsystems, da zunächst gilt, daß
„[t]he social system is made up of the actions of individuals.“(PARSONS/SHILS
1962:190)
Die Unterscheidung zwischen Persönlichkeitssystem und Sozialsystem trifft
PARSONS hinsichtlich der Foci der Organisation von Handlung (vgl.
PARSONS/SHILS 1962:190). Hierbei enthebt er den individuellen Akteur als
konkretes Handlungssystem seiner prominenten Position und fokusiert auf den
Aspekt der Rolle als
„conceptual unit of the social system“. (PARSONS/SHILS 1962:190).
Dadurch ermittelt er den Bezugspunkt zwischen
„the system of action of the individual actor and the social system.“
(PARSONS/SHILS 1962:190).
Die Rolle wird als spezielle Abstraktion der konkreten Totaltität des
„ego’s system of action“ (PARSONS/SHILS 1962:190)
definiert. Auf diese Weise versucht PARSONS
„a precondition of any fruitful empirical analysis of social order and change“
(PARSONS/SHILS 1962:190)
zu entwickeln. Wesentliches Element der Rolle ist die Rollenerwartung, welche
spezifische Situationskriterien zwischen Ego und Alter festlegt. Und
1951:77).
65
„[i]n a social system, roles vary in
tionalization.“(PARSONS/SHILS 1962:191)
the
degree
of
their
institu-
Darüber hinaus sind Rollen für die Differenzierung innerhalb des Systems
verantwortlich und PARSONS zieht den Schluß, daß
„... in a system of differenciated actions, organized into a system of
differentiated roles [.] [i]nternal differentiation, which is fundamental property of
all systems, requires integration.“(PARSONS/SHILS 1962:197)
Denn ungenügende Versorgung mit sozialen oder nicht-sozialen Objekten
könnte im extremsten Fall zum state of nature im Hobbes’schen Sinn führen.
Im Rahmen des Sozialisationsprozesses wird jedoch dafür gesorgt, daß
„normal conditions“ eingehalten werden (vgl. PARSONS/SHILS 1962:197). Und
PARSONS schließt seine Konzeption mit der Schlußfolgerung, daß
„Without such a solution of this problem, there can be no social
system.“(PARSONS/SHILS 1962:197)
Die detaillierte Analyse des Sozialsystems wird jedoch nicht mehr in Toward a
General Theory of Action vorgenommen, sondern erfolgt in
The Social System.
3.4.3 Das Sozialsystem
Die Schrift The Social System ist angelegt, das konzeptuelle Schema für die
Untersuchung von Sozialsystemen in den Termen des Handlungsbezugsrahmens zu illustrieren. Dabei, hebt PARSONS hervor, ist The Social System „a
theoretical work in a strict sense.“ Der Ausgangspunkt ist das „concept of social
systems of action“ (PARSONS 1979:3).
Er rekapituliert eingangs die Bedingungen der Handlungsorientierung gemäß
den Festlegungen des Handlungsbezugsrahmens und stellt wesentliche
Aspekte der objects of orientation heraus, wobei insbesondere kulturelle
Objekte in den Vordergrund treten, da sie symbolische Elemente der kulturellen
Tradition beinhalten und diese sind
66
„so far as they are treated as situational objects by ego and are not
‘internalized’ as constitutive elements of the structure of his personality.“
(PARSONS 1979:4)
Das häufige Auftreten, das kontextuelle Regelmäßigkeiten und Gleichförmigkeiten für den betrachteten Zusammenhang liefert und auf diese Weise
ein Muster „ideeller Grundlagen“ bedingt, ist, wie bereits gezeigt wurde grundlegendes Element des Bestands von sozialen Handlungssystemen. Handlung
definiert PARSONS daraus ableitend als
„a process in the actor-situation system which has motivational significance to
the individual actor, or, in the case of a collectivity, its component individuals.“
(PARSONS 1979:4)
Ein soziales System definiert PARSONS daraus ableitend als bestehend aus
„a plurality of individual actors interacting with each other in a situation which
has at least a physical or environmental aspect, actors who are motivated in
terms of a tendency to the ‘optimization of gratification’ and whose relation to
their situations including each other, is defined and mediated in terms of a
system of culturally structured and shared symbols.“(PARSONS 1979:6)
Das Sozialsystem ist somit als ein Aspekt der Strukturierung eines kompletten
konkreten Systems sozialer Handlung aufzufassen. Die Verbindung zwischen
den Systemen leitet PARSONS aus Prozessen der Interdependenz und
Interpenetration her (vgl. PARSONS 1979:6). Wie bereits erwähnt kann
PARSONS diesen Sachverhalt aufgrund der Transformationsmöglichkeiten, die
er aus dem Handlungsbezugsrahmen ableitet, darstellen.
Wesentlich in der Untersuchung des Sozialsystems wird eine veränderte
Herangehensweise in der theoretischen Bearbeitung, denn
„our dynamic knowledge of action-processes is fragmentary.“ (PARSONS
1979:6)
PARSONS legt damit eine grundsätzlich andere Analyseebene fest, die ihren
thematischen Schwerpunkt auf die Untersuchung von Mechanismen, die die
67
Funktion des Systems beeinflussen, legt (vgl. PARSONS 1979:6). Die
Entwicklung dieser Perspektive verläuft über die Relationsmodi, die PARSONS
in Toward a General Theory of Action thematisiert, und den Selektionsmechanismus hinsichtlich der Handlungsobjekte, die die Orientierung des
Akteurs festlegen zu einem
„time aspect in the orientation to future development of the actor-situation
system and to the memory of past actions.“(PARSONS 1979:8)
Mit
dieser
Komponente
bringt
PARSONS
die
„Zielvorstellung“
von
Handlungsweisen in die theoretische Konzeption ein findet (vgl. PARSONS
1979:8). Von diesem Aspekt ausgehend leitet er auf Systemerfordernisse
gemäß einer Zielvorstellung des sozialen Systems über. Dabei will er die
Theorie in „structural-functional terms“ systematisieren findet (vgl. PARSONS
1979:19).
Dabei wird der strukturelle Aspekt von prominenter Bedeutung. Und PARSONS
verweist auf
„one primary concern of this work must be with the categorization of the
structure of social systems, the modes of structural differentiation within such
systems, and the ranges of variations with reference to each structural category
between systems.“ (PARSONS 1979:21)
An dieser Stelle wird der zweite wesentliche Aspekt, der der Funktion,
eingeführt, wobei PARSONS den strukturellen Aspekt hervorhebt:
„We must, of course, ‘place’ a dynamic process structurally in the social
system.“(PARSONS 1979:21)
Erläuternd fährt er fort
„It is placing dynamic motivational processes in this context of functional
significance for the system which provides the basis for the formulation of the
concept mechanism as introduced above. Motivational dynamics [...] must take
the form in the first instance of the formulation of mechanism which ‘account’
for the functioning of social systems, for the maintanance or breakdown of
given structural patterns.“ (PARSONS 1979:22)
68
PARSONS leitet die Untersuchung der strukturellen Komponenten des
Sozialsystems mit dem Bezug zur Handlung ein:
„In the most elementary sense the unit is the act.... of any system of action. The
act than becomes a unit in a social system so far as it is part of a process of
interaction between its author and other actors.“ (PARSONS 1979:24)
Da ein soziales System jedoch als System von Interaktionen aufgefaßt wird,
ergibt sich folgerichtig die Struktur des Systems aus den Beziehungen
zwischen den Akteuren. Da
„[e]ach individual actor is involved in a plurailty of such interactive relationships
each with one or more partners in the complementary role“ (PARSONS
1979:25)
ist die Teilnahme an den unterschiedlichen Interaktionsprozessen nach
verschiedenen Aspekten aufgegliedert. In der Analyse des Sozialsystems wird
der act daher als status-role betrachtet findet (vgl. PARSONS 1979:25). Das
Sozialsystem besteht aus den Beziehungen zwischen den Handelnden und den
durch diese Strukturen bedingten Interaktionen. PARSONS bezeichnet es als
„a network of such relationships“ findet (PARSONS 1979:25). Der Handelnde
ist Teil dieses Netzwerks und erfüllt dabei mehrere Rollenerwartungen:
„Hence it is the participation of an actor in a patterned interactive relationship
which is for many purposes the most significant unit of the social
system.“(PARSONS 1979:25)
PARSONS unterscheidet zwischen Status und Rolle in der Weise, dass er
unter dem Begriff Status den Aspekt des Objekts der Orientierung in der
interaktiven Situation fasst. Die Rolle ist dagegen der strukturierte Ausschnitt
aus der Orientierung des Handelnden, der seine Teilnahme an der interaktiven
Situation aufgrund gegenseitiger Rollenerwartungen begründet und festlegt
findet (vgl. PARSONS 1979:25). Rollen sind dabei determiniert durch allgemein
akzeptierte Wertvorstellungen und Teil von Institutionen, wo sie die Verteilung
von Macht und Prestige bewirken. Sie beruhen auf Differenzierung- und
Zuweisungsprozessen, die Integrationsprozesse notwendig machen.
69
Über den Aspekt der Systemintegration als Bedingung des Systembestands
gelangt PARSONS zur Frage hinsichtlich des Gleichgewichtszustands des
Systems.
„The basis of this is the insight that action systems are structured about three
integrative foci, the individual actor, the interactive system, and a system of
cultural patterns.“(PARSONS 1979:27)
Davon ausgehend untersucht er die Relationen der einzelnen Elemente und
thematisiert dabei
1) die Notwendigkeit der Integration der verschiedenen Systemteile
und
2) die Notwendigkeit der ‘Unterstützung’ der Akteure hinsichtlich
Systembestands.
des
In der Frage des support erörtert PARSONS, daß
„It must, that is, have a sufficient proportion of its component actors adequately
motivated to act in accordance with the requirements of its role system,
positively in the fulfillment of expectations and negatively in abstention from too
much disruptive, i.e. deviant, behavior.“ (PARSONS 1979:27)
Er identifiziert dabei Faktoren, analog einem biologischen Organismus, die
insbesondere die funktionalen Vorbedingungen (functional prerequisites), d.h.
die Systemintegration, unterlegt. Wichtig für die weitere Theorieentwicklung
wird die Anwendung und Verknüpfung des Konzepts der Mustervariablen mit
einem von Robert Bales entwickelten Beobachtungsschema der Interaktionen
in Kleingruppen. Als Synthese entsteht das AGIL-Schema.
70
3.4.4 Das AGIL-Schema und die Subsysteme des Handlungssystems
Der Kleingruppen-Ansatz, nach R. BALES, wird zur Verdeutlichung der
Systembedürfnisse, der functional prerequisites, in bezug auf den EquilibriumsAspekt übernommen. Im Mittelpunkt stehen dabei Gruppenprozesse, bei
denen, aufgrund der Eigendynamik von Interaktionen, die Balance zwischen
zentrifugalen und zentripedalen Kräften erhalten bleiben muß, um den Bestand
des Systems zu gewährleisten. Die Erkenntnisse gruppendynamischer
Prozesse, die sowohl die Ego-Alter-Beziehung als auch große Einheiten
umfassen, sind in PARSONS’ Theoriekonstruktion in die Systemerfordernisse
gemäß dem AGIL-Schema eingeflossen.
Für den Aufbau von Handlungssystemen müssen vier Grundfunktionen erfüllt
sein. PARSONS gewinnt diese auf der Kreuzung von zwei Dimensionen, die für
die Systembildung im allgemeinen gelten und sich direkt aus der Definition des
Systems ableiten lassen. Durch den Strukturaufbau wird das System gegen
seine
Umwelt
abgrenzbar
und
nur
durch
die
Aufrechterhaltung
der
Systemgrenze kann das System fortbestehen. Durch diese Abgrenzung
entsteht eine Innen-Aussen-Dimension, die es erlaubt, Prozesse in einem
System, der Umwelt oder auch intern oder extern motivierten input-outputBeziehungen zuzuordnen.
Die Innen-Aussen-Verbindung läßt sich dabei durch den Zeitbezug von
Systemen ergänzen. Wichtig ist, Eigenschaften und Prozesse darzustellen, die
durch ihren zeitlichen Bezug zu Gegenwart oder Zukunft bestimmt sind.
PARSONS führt für diese Zeitperspektive die Begriffe instrumentell und
konsumatorisch ein. Konsumatorisch sind hierbei die Ziele und instrumentell die
Einsätze zur Verwirklichung der gesteckten Ziele (vgl. PARSONS 1979:8ff.). In
der Kreuzung der räumlichen und zeitlichen Dimension ergeben sich dann die
vier Grundfunktionen des AGIL-Schemas.
Der weitere Ausbau der Handlungssysteme besteht nun darin, die über AGIL
gewonnenen
Subsysteme
weiter auszudifferenzieren.
Die
Bildung
von
Subsystemen ist dabei grundsätzlich analytisch konzipiert und PARSONS geht
es dabei hauptsächlich um die Darstellung der Prozesse, die innerhalb eines
Systems ablaufen. In der Frage nach dem Bestehen eines sozialen Systems
thematisieren die functional prerequisites
71
a) das Persönlichkeitssystem, das motiviert sein muß, gemäß den
Anforderungen des Rollensystems zu handeln
und
b) kulturelle Muster, die ein Mindestmaß an Ordnung definieren und erfüllbar
sein müssen.
Die
Systemperspektive
dominiert
gegenüber
dem
voluntaristischen
Ausgangspunkt seiner Arbeiten und PARSONS entwickelt somit zwei
unterschiedliche Perspektiven: eine des Akteurs und eine Systemperspektive.
Er vollzieht an dieser Stelle die Differenzierung von Systemtheorie und
Funktionalismus. Die Entwicklung der Gesellschaft ist ein Prozeß funktionaler
Differenzierung in den Subsystemen. Wesentlich wird der Prozeß der
Integration,
der
zur
Strukturerhalt
und
Adaption
notwendig
ist.
Der
Funktionsapekt setzt die strukturellen Elemente und das System in Beziehung.
PARSONS ist hierbei insbesondere an der Frage interessiert, wodurch
Veränderungen ausgelöst werden.
Im Rahmen des AGIL-Schemas werden die vier fundamentalen funktionalen
Aspekte aller Handlungssysteme benannt:
Die Funktion Latenz, pattern maintanance, ist für Talcott PARSONS
fundamentaler Bezugspunkt der Theorie sozialer Systeme. Hier wird der
Imperativ genannt, der die Stabilität institutionalisierter Muster bezeichnet,
welche die Struktur der Systeme definiert und diese aufrechtzuerhalten hat.
Die Ziel-Erreichungsfunktion, goal-attainment, folgt aus der Tatsache des
Zusammentreffens der stabilen allgemeinen Kulturmuster mit den täglich
wechselnden Situationen in der Umwelt des kulturellen Systems. Wichtig ist,
aus abstrakten Werten konkrete, für die Situation anwendbare Ziele abzuleiten.
Darüber hinaus muß eine Prioritätshierarchie gemäß der vorhandenen
Ressourcen aufgestellt werden.
Anpassung, adaption, ergibt sich aus der Notwendigkeit, dem System die zur
Zielerreichung notwendigen Ressourcen aus der Umwelt zu beschaffen. Diese
Güter sind nicht an spezifische Ziele geknüpft, sondern können auch
widersprechende Ziele haben.
72
Integration, integration, resultiert aus dem Fakt, daß Gesellschaft aus einer
Vielzahl von relativ unabhängigen Untereinheiten besteht, deren Aktivitäten
unter dem Gesichtspunkt ihres Beitrags zur Erfüllung der gemeinsamen Ziele
koordiniert werden müssen.
Nach Talcott PARSONS sind diese Funktionen für jedes System existentiell
notwendig.
Die
Funktionen
sind
nicht
gleichwertig,
sondern
in
der
Kontrollhierarchie in umgekehrter Weise organisiert. Jedoch geht der
Energiefluß in anderer Richtung (vgl. HAUCK 1988:140ff.).
PARSONS wendet sich in der Folgezeit der Untersuchung zu, unter welchen
Bedingungen der Austausch zwischen den vier Systemen funktionieren kann.
Bei der Differenzierung der Handlungssysteme entwickelt sich in der
theoretischen Konstruktion PARSONS’ eine evolutionistische Perspektive, die
entsprechend der Vorstellung durch Anpassungserfordernisse des Systems an
seine Umwelt thematisiert wird.
3.5 Das Konzept der generalisierten Medien
Das Medienkonzept entwickelt Talcott PARSONS, inspiriert durch die
Zusammenarbeit mit N. SMELSER, in Society and Economy (1956), wobei
explizit die Austauschbedingungen zwischen den vier Subsystemen erörtert
werden. In Anlehnung an Weber wird hier zudem der Versuch unternommen,
eine Analyse von Wirtschaft als gesellschaftlichem Subsystem vorzunehmen,
wobei auch eine Verbindung zwischen Ökonomie und Sozialem auf
theoretischer Ebene entwickelt werden soll. In komplexen Gesellschaften,
formuliert PARSONS, gilt als wichtigste Bedingung die Existenz generalisierter
symbolischer Austauschmedien.
Ausgangsthese von Economy and Society (1956) ist, daß
„economic theory is a special case of the general theory of social
systems.“(PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:156)
PARSONS leitet die Parallelen zwischen den Kategorien beider Konzepte über
über drei Beispiele her, wobei wesentlich ist zu zeigen, dass die Ökonomie
73
einerseits Teil eines umfassenden Systems, einer Gesellschaft, ist und
andererseits selbst Systemeigenschaften gemäß des AGIL-Schemas aufweist.
Im Sinn des Subsystems eines übergeordneten Gesamtsystems wird im
Rahmen der Ökonomie die Adaptionsfunktion des Gesamtsystems erfüllt und
dies
„by means of the production of utility.“( vgl. PARSONS/Smelser in Hamilton
1985:156).
Als eigenständiges System hat es darüber hinaus
„goal-attainment, adaptive, integrative and pattern-maintanance exigencies of
its own“ (vgl. PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:156).
Die input-Mechanismen, die das Verhalten des Bereichs der Wirtschaft
beeinflussen, fliessen zum einen aus der Gesellschaft ein, zum anderen aus
den Bedingungen der Wirtschaft selbst.
Von diesen Vorannahmen ausgehend entwickelt PARSONS ein theoretisches
Konzept, das den Bereich der Ökonomie als soziales System faßt und darüber
hinaus
zentrale
dynamische
Propositionen
der
ökonomischen
Theorie
miteinbezieht. Dies führt zur Thematisierung der Differenzierung. PARSONS
legt hierbei den thematischen Schwerpunkt auf die value pattern und den
Prozeß der Latenz:
„One aspect of the value pattern concerns the modes in which it is incorporated
into institutions, the primary function of which is to regulate certain classes of
activity.“(PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:157)
Weiter führt er aus, daß
„... another context in which the institutionalization of value patterns is important
for the economy as a system concerns the economy’s own patternmaintanance exigencies.“(PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:157)
Wesentlich ist hierbei nach PARSONS die Kontrollfunktion über die Faktoren
im produktiven Prozeß. Dabei differenziert er zwischen den gesamt74
gesellschaftlichen
Anforderungen
givens
und
den
Mechanismen
der
Durchführbarkeit dieser Anforderungen.
„In the utilization of rent factors, however, the mechanisms operating are of
different character from those operating in the other boundary process of the
economy.“(PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:158)
Dies ist nach PARSONS ein wichtiger Aspekt hinsichtlich der Latenzfunktion.
Und er kommt zum Schluß, daß innerhalb der verschiedenen Subsysteme des
ökonomischen Systems Interdependenzen entstehen. Die
„institutionalized value commitments guarantee the availability of a certain quota
of resources for economic production.“ (PARSONS/SMELSER in Hamilton
1985:158)
An dieser Stelle kommt der bereits erwähnte Aspekt der Sub-System eigenen
pattern-maintanance exigencies zum tragen, denn
„the goal of the economy is to provide goods and services for consumption.“
(PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:158)
Der dynamische Aspekt leitet sich schliesslich aus den unterschiedlichen
Anforderungen des übergeordneten Systems als auch denen der differenzierten
Subsysteme
der
Ökonomie
her
und
schließt
die
Betrachtung
der
Zielerreichungsfunktion mit dem Hinweis, daß
„[t]his implementation involves continous mutual adjustment between changing
states of demand and changing processes of production.“ (PARSONS/
SMELSER in Hamilton 1985:159)
Bei der Differenzierung der Handlungssysteme geht es um analytisch abstrakte
Subsystembildungen, anhand dessen PARSONS jedoch die evolutionstheoretische Perspektive von Systemen des Handelns auf der Grundlage einer
Systemdifferenzierung erörtert. Evolution wird dabei in Gang gesetzt, als dieser
Vorstellung entsprechend Anpassungserfordernisse des Systems an seine
Umwelt in den Vordergrund rücken. Bessere Anpassung wird durch gesteigerte
Spezialisierung erreicht. Mit dieser Differenzierung gerät jedoch das Problem
75
der Bestandsbedingungen in den Vordergrund und PARSONS entwickelt an
dieser Stelle das Medienkonzept, wobei unter Medien Symbolsysteme zu
verstehen sind, mit deren Hilfe Prozesse in komplexen, differenzierten
Handlungssystemen gesteuert und koordiniert werden können. PARSONS
erweitert so die Systemverbindungen der Interdependenz und Interpenetration.
Durch den Mediengedanken gelingt es, Systeme autonom zu betrachten.
Medien ermöglichen den Austausch im Sinn von Input-Output-Prozessen und
können so die Anordnung der Systeme in hierarchischer Kontrolle anleiten.
Gemäß der kybernetischen Steuerungstheorie ist auch ein Handlungssystem
ein Fluß von Energie und Information, wobei jene Elemente mit viel
Informationen jene mit hoher Energie kontrollieren (vgl. WEISS 1993: 31).
Wirtschaft und Gesellschaft haben Austauschbeziehungen, wobei der Tausch
auf Medien beruht, z.B. Geld, beruht. Vom Gebrauchswert abstrahierend hat es
symbolische Funktion in den Tauschbeziehungen. Die Formalisierung bedingt
oder ermöglicht ökonomische Transaktion und so kann das ökonomische
System selbstregulierend werden.
Ausgehend vom Medium Geld in einer Marktwirtschaft, entwickelt PARSONS
ein Konzept allgemein anerkannter Austauschmedien, wobei es möglich ist,
den abstrakten aber auch symbolischen Wert als Wertmaßstab allen Gütern
gegenüber zu finden. In der Funktion des goal-attainment entwickelt er Macht,
mit dem Definitionsmerkmal Legitimität, als generalisiertes Medium zur
58
Mobilisierung von Ressourcen für die effektive kollektive Aktion.
Das kulturelle
System (Wertbindung) umfaßt die vertragliche Verpflichtung der Arbeiter, der
Tätigkeit nachzukommen, die ihm angetragen wird. Das Management kann
jedoch über die Verwendung der Ressourcen entscheiden. Im Sozialsystem gilt
Einfluß als Medium und zwar in Form von Mechanismen integrativer
Kommunikation, die dazu dient, abweichendes Verhalten (Devianz) auf
permissive Weise zur Akzeptanz institutionalisierter Standarddefinition zu
bringen (vgl. HAUCK 1988:144).
58
Macht wird jedoch nicht immer zur Zielverwirklichung gemeinsamer Ziele eingesetzt.
76
Anhand des Mediums Geld kann PARSONS die Thematik von sozialem
Wandel thematisieren, denn das kulturelle Objekt Geld ist Träger von
Bedeutungen, deren Funktion in der Kontrolle von Tauschprozessen besteht.
Durch Geld entsteht ein höheres Maß an Handlungsspielraum, da über dieses
Medium allgemeingültige Wertmaßstäbe hinsichtlich einer Gütermenge etabliert
werden können, die durch die Erweiterung des Mediums, z.B. in Form von
Krediten, schnell und ausreichend zur Verfügung stehen. Andererseits können
auch Instabilitäten entstehen, die dazu zwingen, das System erneut
anzupassen.
Der Mediengedanke bleibt allerdings fragmentarisch und PARSONS wendet
sich in den 60er Jahren zunehmend der Neukonstruktion einer Theorie der
gesellschaftlichen Entwicklung zu.
3.6 Evolution und gesellschaftlicher Wandel
Im Rahmen seiner evolutionstheoretischen Überlegungen erörtert PARSONS
die Frage nach dem Sinn gesellschaftlichen Wandels als auch den
Mechanismen desselben. Die Prozesse der Differenzierung und der Integration
werden dabei zu den zentralen Untersuchungsobjekten.
Evolutionstheoretisch formuliert Talcott PARSONS seit den 60er Jahren, daß
Evolution im Rahmen von gesellschaftlichem Wandel eine konstante,
eindeutige Richtung erkennbar macht.
„Evolution, however, is a summary generalization standing for a type of process
of change.“(PARSONS 1966:20)
Der thematische Schwerpunkt liegt auf der Ebene der Interaktion und damit
verknüpft,
dem
Fokus
des
symbolischen
Aspekts.
PARSONS
stellt
insbesondere auf Sprache, language, als Integration von Symbolen ab. Der
Kommunikationsprozeß wird dabei wieder unter dem Gesichtspunkt des InputOut-Prozesses aufgefaßt:
„[t]he input of a message may stimulate an output which is in some sense a
response.“(PARSONS 1966:20)
77
Und weiterführend
„The process which leads to a response that is somehow related to one or more
communicative inputs we may call a decision.“ (PARSONS 1966:20)
Dieser Prozeß findet innerhalb der Persönlichkeit des Handelnden statt und ist
für die Systembetrachtung wesentliches Kriterium der Erfassung des „acting in
a role“ (PARSONS 1966:20).
Die Entscheidung wird als Konsequenz einer Kombination von Faktoren
aufgefaßt, die wiederum im Bezug auf soziale Prozesse
„must be conceived as the combination and re-combination of variable,
communicable factors.“(PARSONS 1966:21)
Als Beispiel führt PARSONS an
„... the use of power can be conceived as the communication of a decision to
the requisite parties, the implications of which bind a collectivity and the actions
of its relevant members. Thus, in ordering his unit to carry out an attack, an
officer merely gives the command, thereby activating a complex behavioral
system on the part of his men.“(PARSONS 1966:21)
Der Prozeß, auf den PARSONS dann überleitet, ist der des Wandels. Hierbei
fokusiert er insbesondere auf den Wandel von sozialen Strukturen. Wobei er
Wandel im Sinn des Systemerhalts thematisiert:
„Here, it is evident that many complex processes are necessary to maintain the
functioning of any social system...“(PARSONS 1966:21)
Die Thematik des evolutionären Wandels ist dabei für Talcott PARSONS unter
dem Aspekt der Zunahme des Anpassungsvermögens subsumiert, denn je
effektiver eine Gesellschaft ist, desto entwickelter muß sie sein. Der
Mechanismus der Anpassung wird als Differenzierung verstanden, wobei es
sich im wesentlichen um die Bildung neuer Strukturen oder einer neuen Art von
Strukturen handelt, was
78
„through cultural diffusion and the involvement of other factors“ (PARSONS
1966: 21)
eingeleitet wird. Der Differenzierungsprozess führt im Idealfall zu einem
„adaptive upgrading aspect of the evolutionary change cycle.“ (PARSONS
1966:21)
Damit wird Verbesserung ein wichtiger Faktor und das daraus entstehende
Problem der Integration löst er durch den Aspekt der Koordination der
differenzierten Einheiten.
„Adaptive upgarding thus requires that specialized functional capacities be
freed from ascription within more diffuse structural units. There is, then, a
reliance upon more generalized resources that are independant of their
ascriptive sources. For these reasons, differenciation and upgrading processes
may require the inclusion in a status of full membership in the relevant general
community system of previously excluded groups which have developed
legitimate capacities to ‘contribute’ to the functioning of the system.“
(PARSONS 1966:22)
In der Thematisierung von sozialem Wandel fällt der Betrachtung des
Wertsystems einer Gesellschaft wieder besondere Bedeutung zu und
PARSONS charakterisiert die Wertorientierung als eine spezielle Form von
„adjusted, specialized ‘application’“ (PARSONS 1966:23). Damit wird es
möglich, die Thematik des gesellschaftlichen Wandels systemtheoretisch im
Sinn des Systembestands zu erörtern:
„A system or sub-system undergoing a process of differentiation however,
encounters a functional problem which is the opposite of specification: the
establishment of a version of the value pattern appropriate to the new type of
system which is emerging. Since this type is generally more complex than its
predecessor, its value pattern must be couched at a higher level of generality in
order to legitimize the wider varity of goals and functions of its sub-units.“
(PARSONS 1966:23)
Der Prozeß der Verallgemeinerung von Wertmustern stößt zuweilen auf
Widerstand, den PARSONS als „fundamentalism“ bezeichnet (PARSONS
1966:23). Wird dagegen eine Veränderung durchgesetzt, erreicht das System
79
„a new level of adaptive capacity in some vital respect.“ (PARSONS 1966:23).
„Neuerungen“ hinsichtlich bestehender Strukturen klassifiziert PARSONS nach
verschiedenen Aspekten, wie z.B. der völligen Zerstörung eines Systems oder
der Absorption durch größere Systeme.
Im
Bereich
der
Differenzierung
von
gesellschaftlichen
Subsystemen
thematisiert PARSONS zusätzlich zu den Differenzierungsprozessen auch
Ausdifferenzierung gemäß dem AGIL-Schema, d.h. nicht nur die Anpassung,
sondern auch die Funktion der gesellschaftlichen Systeme haben für die
Weiterentwicklung wichtige Bedeutungen (vgl. PARSONS 1966:24). Der
kulturelle
Determinismus
bedingt
hierbei,
dass
Ausdifferenzierung
wie
Bevölkerungszunahme nicht zu Konflikten führt, sondern im Sinn von Harmonie
über die Wertintegration verläuft. Die evolutionäre Perspektive impliziert für
PARSONS schließlich neben dem Kriterium der Richtung auch die Abfolge
evolutionärer Prozesse.
„... we will disdinguish three very broad evolutionary levels, which we will call
primitive, intermediate and modern.“(PARSONS 1966:26)
Hier findet sich allerdings keine unilineare Abfolge der Entwicklungsstadien, da
verschiedenartige Differenzierungsprozesse das Anpassungsvermögen in
gleicher Weise erhöhen können. Drei Stadien und Durchbrüche werden durch
die Kategorie der „evolutionären Universalien“ erklärbar gemacht, d.h. die
Errungenschaften, die zur Weiterentwicklung notwendig sind, werden als
Mechanismen der Differenzierung betrachtet und können zur Typisierung der
Universalien herangezogen werden (vgl. HAUCK 1988:146f.).
3.7 Kurze Zusammenfassung
In ihrer Anlage beschäftigt sich die struktur-funktionale Systemtheorie mit
Strukturen, von denen angenommen wird, daß sie bestimmte Verhaltensweisen
bei Individuen determinieren. Die Verknüpfung der Aspekte Struktur und
Funktion
80
bedingen
dabei
die
Vernachlässigung
wesentlicher
Aspekte
individueller Entitäten, da sich aufgrund der Thematisierung der Notwendigkeit
der Erhaltung des gesellschaftlichen Systems schlüssige Erklärungssätze im
Rahmen funktionaler Leitideen nur unter Rückbezuf auf die gesellschaftliche
Ebene herleiten lassen. Talcott PARSONS fokusiert damit auf die Erklärung
sozialer Phänomene anhand makrosoziologischer Vorannahmen und stellt das
soziale Ganze als selbständige Einheit über den Bereich des Individuellen.
Diese
theoretische
Grundlegung
bedeutet
vice
versa
gesellschaftliche
Sachverhalte anhand gesellschaftlicher Bedingungen zu erklären.
Einen anderen Blickwinkel entwickelt hingegen die akteurstheoretische bzw.
mikrosoziologische Modellierung zur Erklärung sozialer Sachverhalte, die im
folgenden Kapitel vorgestellt wird.
81
4. Der struktur-individualistische Ansatz
Das Grundmodell der Erklärung sozialer Fragestellungen im Rahmen dieser
theoretischen Konzeption legt den inhaltlichen Schwerpunkt der Analyse auf die
Ebene kollektiver Sachverhalte und Prozesse, theoretisch wird jedoch das
Handeln als Anpassung an Situationen, d.h. Handeln als emergentes Ergebnis
von anpassenden Selektionen menschlicher Individuen, in den Mittelpunkt
gestellt. Damit treten die grundlegenden Interdependenzen der Handelnden,
der interpretative Charakter der Analyse und die Bedingungen von Strukturen
für die problemlösenden Handlungen in den Blickpunkt des Interesses.59 Die
Verknüpfung von Kollektiv- und Individualebene bedingt, daß das theoretische
Programm als struktur-individualistischer Ansatz bezeichnet wird.
Den nomologischen Kern bildet dabei die Theorie der rationalen Wahl60, wobei
sich die handlungstheoretische Perspektive entlang der Grundannahme, daß
die Akteure sich nutzenoptimierend und in diesem Sinn rational verhalten,
entwickelt. Durch die Betonung des Aspekts der Rationalität, der ökonomischen
Theorien rationaler Wahlhandlungen und strategischen Entscheidens zugrunde
liegt, werden die theoretischen Ansätze, die sich in diesem Bereich entwickeln,
auch Rational Choice-Theorien genannt. Zentralen Stellenwert nimmt dabei die
Annahme des sozialen Tauschs im Rahmen der utilitaristischen Tradition ein.61
59
Hier findet sich ein deutlicher Hinweis auf das Programm der Verstehenden Soziologie Max
WEBERs.
60
Formal bedeutet, im Rahmen dieser theoretischen Konstruktion, Rationalität auf der
individuellen Handlungsebene zugrunde gelegt, daß soziales Handeln oder der Einsatz von
sozial normierten Mitteln den Akteur in die Lage versetzen, subjektive Handlungszwecke zu
realisieren. Die Erweiterung eines solchen Rationalitätsbe-griffs in inhaltlichem Sinn bezieht
sich auf die subjektiven Handlungszwecke im Rahmen eines maximalen Spielraums von
individuellen Wahlmöglichkeiten (vgl. ESSER 1991:50).
61
Unter Utilitarismus versteht man eine Nützlichkeitslehre, nach der alles menschliche Handeln
am Maßstab ökonomischer Nützlichkeit gemessen wird. Als utility theory handelt es sich dabei
um eine Theorie der Erklärung sozialen Handelns, derzufolge das treibende Handlungsmotiv
die Erzielung des persönlichen Nutzens mit den günstigsten Mitteln ist. Unter Anwendung des
Eigennutzaxioms zur Erklärung nichtmarktmäßiger Entscheidungsprozesse knüpft die Neue
Politische Ökonomie an diese theoriegeschichtliche Traditionslinie an (vgl. FRANKE in
Druwe/Kunz 1994: 53 ff.).
82
4.1
Grundlagen der theoretischen
dualistischen Ansatzes
Konzeption
des
struktur-indivi-
Im Rahmen der strukturell-individualistischen62 Konzeption wird eine Perspektive entwickelt, die Annahmen über Personen als Handelnde und die für
diese geltenden Regelmäßigkeiten des Handelns, mit Annahmen über die
Situation, in der sich Handelnde befinden, d.h. sowohl deren institutionelle
Einbindungen, sowie deren verhaltens- und ergebnissteuernde Wirkungen,
verknüpft.
Den
Ausgangspunkt
der Analyse
markiert
die
Annahme,
daß jedes
menschliche Handeln in seiner Form, seinem Inhalt, der Zielrichtung und
seinen Wirkungen sozial bedingt ist und zugleich soziale Folgen bedingt, wobei
diese über die Handlungsabsichten der Individuen hinausgehen und zu
paradoxen, widersprüchlichen oder gar unerwünschten Effekten führen können
(vgl. MERTON 1963:894ff.). Soziale Sachverhalte werden demzufolge als
Ergebnis von Einstellungen, Entscheidungen und Handlungen von Personen
aufgefaßt, die als lernende und handelnde Wesen ihr Leben und ihre Umwelt
gestalten. Individuelles Handeln als sozial-kulturelle Handlung wird dabei nicht
nur als, auf der ursprünglichen menschlichen Natur63 beruhend aufgefaßt,
sondern
auch
in
Beziehung
(BÜSCHGES/ABRAHAM/FUNK
zum
sozio-kulturellen
1996:3f.).
Der
Mensch
Kontext
wird
gesetzt
dabei
als
intentional handelndes Subjekt verstanden, das mit begrenzter Rationalität
ausgestattet und gleichzeitig in ein Netz sozialer Beziehungen eingebettet ist.
Jede Handlung und jedes Handlungsresultat werden auf diese Weise als
komplexes Produkt aus kulturellen Rahmenbedingungen, institutionalisierten
Regeln, situationsbezogene Faktoren und personenspezifischen Bedingungen
aufgefaßt. Menschliche Handlung ist somit abhängig von bestehenden
Interaktionsbeziehungen und ihren Mustern und Ordnungen, vom jeweiligen
Wissens- und Informationsstand, von sozialen Institutionen, von handlungsleitenden Weltbildern und sozialmoralischen Leitideen, wie auch vom erreichten
technischen
Niveau
und
von
verfügbaren
und
ins
Spiel
gebrachten
Ressourcen. Auf diese Weise können der gesellschaftliche Rahmen ebenso
62
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß die Bezeichnung ‘strukturell-’ bzw. ‘strukturindividualistischer’ Ansatz je nach Theoretiker variiert.
63
Die menschliche Natur umfaßt hier die physischen und psychischen Aspekte des Menschen.
83
wie andere Bedingungen und Möglichkeiten denen der Handelnde gegenüber
steht, berücksichtigt werden.
Die theoretischen Modelle, die sich im Rahmen dieser Konzeption entwickeln,
müssen demzufolge zwei Arten der Erklärung aufweisen:
1. hinsichtlich der Beeinflussung der Handlungsakte64 durch soziale
Bedingungen (Mikro-Ebene)
und
2. hinsichtlich der Verbindung der sozialen Bedingungen mit dem individuellen
Handeln der Akteure, d.h. deren wechselseitiger Verknüpfung, was
gesellschaftliche Folgen zeitigen kann (Makro-Ebene).
Bei der Darstellung der Verknüpfung von Mikro- und Makro-Ebene wird im
Rahmen des Ansatzes der Versuch unternommen, diese aus einer „möglichst
interpretativen Perspektive“(ESSER 1993:IX) herzuleiten. Ausgehend von der
Annahme,
„daß alle sozialen Prozesse das indirekte, meist unbeabsichtigte Ergebnis des
problemlösenden, situationsorientierten, mit guten subjektiven Gründen, mit
Sinn also, versehenen, aber auch immer von Knappheiten begrenzten
Handelns der menschlichen Akteure sind, die ihrerseits von den Folgen ihres
Tuns geprägt und so in ihren Erwartungen und Bewertungen immer wieder neu
konstituiert werden“(ESSER 1993:X)
tritt als wesentliches Verfahren das verstehende Erklären sozialer Sachverhalte
in den Mittelpunkt der Analyse. Unter Rückbezug auf die Arbeiten Max
WEBERs (1864-1920) wird dabei als Aufgabe der theoretischen Arbeit die
Rekonstruktion des ‘subjektiven Sinns’ den Menschen mit ihrem Handeln
verbinden, gesehen. Denn soziales Handeln liegt nach Weber vor,
„wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn
verbinden.“ (WEBER 1985:1)
Die Konzeption WEBERs versteht dabei den Aspekt der gegenseitigen
Bewertungen und Erwartungen, die den Austauschprozeß soziales Handeln
beeinflussen, als einem sinnhaften Deuten der Individuen nachgestellten
64
Als zusammenfassende Bezeichnung für Handlungsziele, -mittel und -möglichkeiten des
individuellen Akteurs.
84
Prozeß. Dabei wird der Fokus der Analyse auf die soziale Situation gerichtet, in
der sich der Akteur befindet und dabei der Versuch unternommen,
herauszufinden, wie der Akteur die Situation wahrnimmt und welche Absichten
und Überzeugungen er mit seinem Handeln verbindet. Das Ziel der
Verfahrensweise ist, auf der Grundlage des Verstehens, den Ablauf der
subjektiven sinnhaften Handlung zu erklären. Handeln beinhaltet aber neben
der subjektiven ‘Sinn-Komponente’ auch, den Sinn auf das Verhalten anderer
zu beziehen und eigenes Handeln daran in seinem Ablauf zu orientieren (vgl.
WEBER 1985:1). Die Konsequenzen, die sich schließlich aus der Wahl der
Handlungsalternativen und dem Ablauf des sozialen Handelns ergeben,
bedingen soziale Sachverhalte, die möglicherweise auch von den Absichten
und Einzelhandlungen der Akteure unabhängige Tatsachen werden können.
Demzufolge wird es möglich, subjektiv begründeten Handlungen eine gewisse
objektive Gewalt zuzugestehen, die in Handlungsprozessen - als objektive
Strukturen und Prozesse der Gesellschaft wahrgenommen - gleichwohl durch
subjektives sinnhaftes Handeln entwickelt werden. Handeln und soziales
Handeln werden auf diese Weise zum Objekt der Analyse und das deutende
Verstehen zum objektbezogenen, spezifischen Erkenntnisziel (vgl. VANBERG
1975:102).
Die Vorgehensweise WEBERs umfaßt folglich vier Elemente:
1. die Situation,
2. den Akteur,
3. das soziale Handeln
und
4. die sozialen Wirkungen des Handelns.
Im ersten Schritt ist es das deutende Verstehen, welches die Rekonstruktion
des subjektiven Sinns ermöglicht. Darauf aufbauend wird im zweiten Schritt
ursächlich der Ablauf der Handlung erklärbar. Die Wirkungen, d.h. die
kollektiven Prozesse, derselben können im dritten Schritt der Analyse
aufgezeigt werden (vgl. ESSER 1993:5ff.).
Kollektive
Prozesse,
d.h.
gesellschaftliche
Sachverhalte,
als
Resultat
menschlicher Handlungen aufzufassen und dabei endogene wie exogene
85
Faktoren65 in die Untersuchung einfließen zu lassen, knüpft an die Annahmen,
wie sie im Rahmen der schottischen Moralphilosophie entwickelt wurden, an.
Im folgenden Abschnitt wird diese theorie-geschichtliche Traditionslinie kurz
dargestellt.
4.2 Theoriegeschichtlicher Hintergrund des struktur-individualistischen
Ansatzes
Zu den grundlegenden Annahmen des struktur-individualistischen Ansatzes
zählen die Konstanz der menschlichen Natur, das Bestehen handlungsrelevanter Restriktionen, das Vorhandensein von Erwartungen und
Bewertungen, die den Akteur in der Wahl unterschiedlicher Handlungsalternativen leiten, als auch die Idee der Unabhängigkeit der kollektiven Folgen
von den Motiven der individuellen Akteure. Sie verweisen auf die Orientierung
am Konzept des methodologischen Individualismus66, das auf die sozialtheoretische Auffassung, wie sie im Rahmen der angelsächsischen Aufklärung
und hier insbesondere in der Schottischen Moralphilosophie entwickelt wurde.
Die Ansätze der individualistischen Handlungstheorie gehen insbesondere auf
die Arbeiten der schottischen Moralphilosophen67 David HUME (1711-1776),
Adam SMITH (1723-1790) und Adam FERGUSON (1723-1816) zurück, wobei
die Sozialtheorie der schottischen Moralphilosophen
„... über ihre ökonomische Spezifikation durch A. Smith - hauptsächlich in der
klassischen Ökonomie ihren Einfluß gezeitigt hat...“ (VANBERG 1975:5)
Allerdings ist im Rahmen der Weiterentwicklung dieser Konzeption ein
Erklärungsansatz entstanden
„...der über den Bereich ‘wirtschaftlichen’ Handelns hinaus für die Analyse
sozialen Handelns allgemein fruchtbar sein dürfte.“ (VANBERG 1975:5)
65
Gemeint sind beispielsweise Entdeckungen oder historische Ereignisse, wie Revolutionen,
Hungersnöte usw.
66
Der Begriff methodologischer Individualismus stammt von J.A. SCHUMPETER
(„Österreichischen Schule der Nationalökonomie“) und thematisiert zusammengefaßt, die von
den Klassikern des Utilitarismus übernommene individualistische Orientierung im Rahmen der
Beschreibung wirtschaftlicher Vorgänge.
67
Im Rahmen dieser theoretischen Konzeptionen findet keine Trennung von Soziologie und
Ökonomie statt und es kann somit von einer integrierten Theorie gesellschaftlicher Handlung
gesprochen werden.
86
Ausgehend von der Frage nach dem Zustandekommen eines geordneten
sozialen Gebildes wird auf der Grundlage der Verhaltensannahme, nach der
dem Menschen eine allgemeine Tendenz zur Verbesserung der persönlichen
Lage unterstellt wird, im Rahmen der individualistischen Sozialtheorie der
Handlungszusammenhang in der Weise hergeleitet, daß zwischen den
Individuen ein wechselseitiger Anpassungsprozeß angenommen wird, in dem
Eigeninteressen verfolgt und gleichzeitig mit den Interessen anderer in Einklang
gebracht werden müssen (vgl. PRISCHING 1992:417). Hierbei wird nicht auf
Zusatzannahmen HOBBESscher oder systemtheoretischer Prägung zurückgegriffen, die
„gleichermaßen auf dem Axiom aufbauen, sozialer Konflikt, soziale
Desintegration seien das - aufgrund der Eigenart der individuellen
menschlichen Handlungsantriebe - ‘an und für sich’ Erwartbare, wohingegen
soziale Ordnung, soziale Integration nur durch Heranziehung eine neuen,
individuen-unabhängigen Faktors zu erklären seien [...].“(VANBERG 1975:7)
Es wird vielmehr die Auffassung vertreten, daß sowohl Konflikt und soziale
Desintegration,
als
auch
soziale
Ordnung
aufgrund
individueller
Handlungsmotivationen in ihren wechselseitigen Relationen entstehen und
damit als Ergebnis individueller Handlungen aufzufassen sind.
„Indem die schottischen Moralphilosophen eben diese Grundvorstellung
ausarbeiteten, haben sie eine sozialtheoretische Konzeption formuliert, die eine
konsistente Lösung der Grundprobleme jeder Sozialtheorie aufzeigt, der
Probleme nämlich, wie es zu erklären ist, daß sich unzählige individuelle
Handlungen zu einem geregelten, sozialen Netzwerk verknüpfen, und wie es zu
erklären ist, daß der interindividuelle Handlungszusammenhang Resultate
zeitigt, die den in ihm verbundenen Handelnden als von ihnen unabhängige,
‘objektive’ Realtitäten erscheinen.“ (VANBERG 1975:7)
Soziale Prozesse und Institutionen als die unintendierten Folgen des
absichtsvollen Handelns individueller interdependenter Akteure aufzufassen, ist
im Rahmen der Arbeiten Bernard MANDEVILLEs (1760-1733), als einem
gedanklichen Wegbereiter der schottischen Moralphilosophie, hergeleitet
worden. Mandeville beschreibt in seiner Bienenfabel über die ‘öffentlichen
Vorteile privater Laster’, daß die ‘egoistische’ (und damit konstante) Natur des
87
Menschen und die Notwendigkeit der Regulierung der unterschiedlichen
Interessen nicht unbedingt in Konflikt geraten müssen, sondern letztere als
„allmählich gewachsenes und sich änderndes Produkt eines in der
gegenseitigen Verflechtung menschlichen Handelns ablaufenden Anpassungsprozesses“(VANBERG 1975:10)
verstanden werden können. Dabei kann auf eine rationalistische VertragsKonstruktion verzichtet und soziale Ordnungsmuster aus den Bedingungen des
Zusammenlebens und Zusammenhandelns als nicht-beabsichtigte Konsequenzen menschlicher Handlungen abgeleitet werden. Auf dieser These - der
grundlegenden Unabhängigkeit der kollektiven Folgen der individuellen
Handlung - beruht die theoretische Konzeption der Schottischen Moralphilosophie.
Allerdings
findet
sich
in
den
Arbeiten
der
schottischen
Moralphilosophen eine weitere Ausformulierung dieser Position.
So sind für Adam FERGUSON gesellschaftliche Vorgänge
„... the result of human action, but not the execution of any human
design.“(FERGUSON zit. nach Vanberg 1975:22)
Von Adam SMITH stammt die Metapher der invisible hand, die die Vermehrung
öffentlichen Wohlstandes bei freier Entfaltung der Möglichkeiten zur Mehrung
individuellen Vorteils bedingt.68
Die Grundannahme der Konstanz der menschlichen Natur, in bezug auf das
Verhalten der Menschen ihre Lage zu verbessern, ist weitgehend formaler
Natur. Beabsichtigt ist hierbei vornehmlich die Darstellung der individuellen
Verhaltenstendenz, wobei immer unterschiedliche Ausprägungen derselben
auftreten können.
„Nicht aus der Beschränktheit der Perspektive heraus, sondern durchaus in
Kenntnis der kulturellen Mannigfaltigkeit sozialer Lebensformen geht man in der
schottischen Moralphilosophie davon aus, daß es einige allgemeine Gesetzmäßigkeiten menschlichen Verhaltens und insofern eine allgemein gleiche
menschliche Natur gibt, die dem Menschen als Gattungswesen zukommt.“
(VANBERG 1975:12)
68
Hier wird auf einen Sachverhalt hingewiesen, der durch menschliche Handlungen bewirkt,
allerdings als solcher nicht Teil des jeweiligen Handlungsentwurfs des individuellen Akteurs ist,
sondern vielmehr im zeitlichen Verlauf einen unbe-absichtigten Effekt zeitigt.
88
Handelnde
agieren
somit
vor dem
Hintergrund
der
unterschiedlichen
natürlichen und instituionalisierten Bedingungen nach gleichen allgemeinen
Regeln der Wahrnehmung und Selektion. Kulturelle Unterschiede werden
sodann im Rahmen dieser Auffassung als Folge der Variation von
Randbedingungen, die zusammen mit den Gesetzen einer universalen und
konstanten menschlichen Natur, welche Unterschiede im Verhalten bewirken,
verstanden. Am deutlichsten ist die These der Uniformität und Konstanz bei
gleichzeitiger Variabilität der gesellschaftlichen Bedingungen bei David HUME
herausgearbeitet worden. Die Geschichte zeige, so HUME, den Menschen in
unterschiedlichen
Verhältnissen,
welche
Rückschlüsse
auf
bestimmte
Verhaltensregelmäßigkeiten zulassen. Einschränkend formuliert er weiter, daß
diese Regelmäßigkeiten allerdings durch die gesellschaftlichen Bedingungen
und Zeiten unterschiedlich ausfallen (vgl. VANBERG 1975:13).
Die Absicht des Menschen seine Lage zu verbessern ist ein wichtiges Moment
der Gleichförmigkeit der menschlichen Natur. Weiterhin thematisieren die
schottischen Denker, daß
„dieses Streben durch Erfahrung gesteuert ist, daß menschliches Verhalten
sich in einem erfahrungsgelenkten Lernprozeß, durch Versuch und Irrtum,
Erfolg und Mißerfolg entwickelt.“ (VANBERG 1975:14)
Dieser Aspekt leitet in den thematischen Rahmen von individuellem Handeln im
gesellschaftlichen Zusammenhang über, der als zentralen Punkt soziales
Verhalten als (Aus-)Tausch zur Disposition stellt.
Gesellschaft wird als interindividueller Handlungszusammenhang aufgefaßt,
„der aufgrund der ihm immanenten Bedingungen zur Etablierung und steten
Veränderung von Strukturen und Regeln (zustande-/Anm.TK) kommt.“
(VANBERG 1975:15)
An dieser Stelle wird ein weiterer wichtiger Themenpunkt in die theoretische
Konzeption
eingefügt,
denn
als
‘Integrationsmoment’
verstehen
die
schottischen Moralphilosophen einen Prozeß gegenseitiger Kontrolle, der auf
der Grundlage von Interaktion gesteuert wird und für die Handelnden
89
bestimmte Effekte zeitigt, die Sanktion oder Akzeptanz im Handlungsablauf
ausmachen. Wie bei Mandeville bereits aufgezeigt, erscheint gesellschaftliche
Integration als Anpassungsprozeß69
„der in bestimmte Verhaltensregelmäßigkeiten einmündet, die ihrerseits
wiederum die Grundlage sozialer Normierung und Institutionalisierung bilden.“
(VANBERG 1975:15)
Der Gedanke, der hier entwickelt wird, verweist auf den Aspekt der Reziprozität
als Grundlage sozialer Integration (vgl. PRISCHING 1992:417f.). Er ist
vornehmlich in der klassischen Ökonomie aufgegriffen worden, wo er im Sinn
des Austauschs thematisiert wurde. Die Verbindung zwischen ökonomischem
und sozialem Handeln verläuft über die bereits angesprochene Bestrebung des
Menschen, seine eigenen Vorteile auszunutzen, wobei von einer gewissen
Notwendigkeit der Erfüllung der Bedürfnisse ausgegangen wird, die gesellschaftlich betrachtet ein Zusammenspiel der unterschiedlichen Interessen
bedingen und auf diese Weise quasi zum „generierenden“ Aspekt sozialer
Integration werden. Adam SMITH hat hierbei insbesondere auf die Versorgung
mit materiellen Gütern verwiesen, ist jedoch auch auf die nicht-materiellen
Aspekte wie soziale Anerkennung eingegangen (vgl. VANBERG 1975:16).
Expliziter hat David HUME den Zusammenhang zwischen Reziprozität und
sozialer Integration dargestellt, indem er die Entstehung von sozialen Normen,
als Regelungsmechanismus, im Zusammenleben der Menschen herausarbeitet
hat. Da das Eigeninteresse eines Individuums im Gegensatz zu den Interessen
der anderen steht, ergibt sich für ihn die Notwendigkeit,
„daß sich die verschiedenen Interessen in einer Weise aufeinander einstellen,
die ihre Koexistenz in einem System von Verfahrens- und Verhaltensregeln
ermöglicht.“(HUME zit. nach Vanberg 1975:17)70
Der einzelne handelt dabei in der Weise, daß er die Verhaltensweisen der
anderen berücksichtigt. Auf eine übergeordnete Kollektivgewalt kann somit
verzichtet werden. Jedoch entspannt sich an diesem Punkt ein weiteres
69
Friedrich JONAS erläutert diesen Sachverhalt mit dem Hinweis, daß Menschen aufgrund ihrer
Erfahrungen in die Lage versetzt werden sich auf einander einzustellen (1981:106).
90
Problem, welches die unintendierten sozialen Konsequenzen individuellen
Handelns zum Thema macht. Insbesondere die Frage nach bewußt gestalteten
sozialen Einrichtungen steht im Mittelpunkt der Erörterung. Den schottischen
Moralphilosophen wird in diesem Zusammenhang ein ‘anti-rationalistisches’
Denkmuster unterstellt (vgl. VANBERG 1975:20f.). Im Gegensatz zur rationalen
‘Vertragskonzeption’ rousseauscher Provenienz, werden soziale Institutionen
bei den schottischen Theoretikern als weitgehend ungeplante Folgen des
sozialen Anpassungsprozesses verstanden. VANDENBERG (1975) bemerkt
hierzu
„Indem ein solcher sozialtheoretischer Ansatz den Gedanken der
unintendierten sozialen Konsequenzen individuellen Handelns zu seiner
systematischen Grundlage nimmt, hebt er sich von den kurzschlüssigen
Scheinlösungen des eigentlichen sozialtheoretischen Erklärungsproblems, wie
sie von kollektivistischen Konzeptionen angeboten werden, ebenso ab wie von
Auffassungen, die man - mit Popper - als ‘Verschwörungstheorien der
Gesellschaft’ bezeichnen könnte.“ (VANBERG 1975:21)
Damit ist der Bezug zur Eingangsüberlegung wiederhergestellt und erlaubt, die
Überlegung von gesellschaftlicher Entwicklung als Auffassung von ‘Fortschritt’,
in der Weise zu formulieren, daß die menschliche Gesellschaft nicht auf ein
bestimmtes Ziel zusteuert, sondern sich aufgrund von Lernprozessen, die zu
kumulativem Wachstum führen (können), entwickelt (vgl. VANBERG 1975:23).
Der sozialtheoretische Ansatz der schottischen Moralphilosophie hat als
zusammenhängendes theoretisches Konstrukt keine kontinuierliche Weiterentwicklung erfahren. Jedoch ist insbesondere der ‘Austauschgedanke’ im
Kontext gesellschaftlicher Strukturierungsmechanismen von verschiedenen
Theoretikern wieder aufgegriffen worden.71 Besonders im Bereich der
ökonomischen Theorie entwickelte sich durch die Arbeiten Adam SMITHs die
sog. Klassische Ökonomie, die in ihren Grundzügen eine individualistische
Perspektive aufweist. Der Ansatz fungiert hier zum einen als Beschreibung
70
71
Hier kann eine quasi ‘funktionalistische’ Vorgehensweise entdeckt werden.
Als Erklärungsprinzip findet es sich z.B. in der Kulturanthropologie. Eine explizite Thematisierung der Gegenseitigkeit wird dann in der neueren soziologischen Austauschtheorie
vorgenommen.
91
eines Systems, in dem Individuen im Rahmen eines Marktes, der als Anreizund Steuerungsmechanismus aufgefasst wird, nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten handeln (vgl. BECKER 1993:3ff). Zum anderen werden soziale
Vorgänge auf die Bedürfnislagen, der an ihnen beteiligten individuellen Akteure
zurückgeführt.
Im Rahmen der neoklassischen ökonomischen Theorie verengt sich dann
jedoch der Fokus der Analyse72 und der ökonomische Ansatz unterstellt zwar
„...die Existenz von Märkten, die mit wechselnder Effizienz die Handlungen der
verschiedenen Beteiligten - Individuen, Unternehmen, ja Nationen - so
koordinieren, daß sie mit einander in Einklang gebracht werden.“ (BECKER
1993:3)
Aber die Motivation der Handelnden bleibt in der Weise unterbelichtet, daß
wenig zum Verständnis von Präferenzen beigetragen wird und schließlich als
Annahme gilt,
„daß diese (Präferenzen/Anm.TK) sich im Zeitablauf nicht substantiell ändern,
und, daß die Präferenzen von Reichen und Armen, oder selbst von Menschen
in verschiedenen Gesellschaften und Kulturen, sich nicht sehr von einander
unterscheiden.“ (BECKER 1993:3)
Im Mittelpunkt steht dabei, daß
„der ökonomische Ansatz expliziter und extensiver als andere Ansätze
nutzenmaximierendes Verhalten unterstellt.“ (BECKER 1993:3)
Das Akteursbild, das aus diesem Ansatz entwickelt wurde, wird in der Literatur
als das Modell des homo oeconomicus bezeichnet und wird im folgenden
Abschnitt kurz skizziert.
72
Die Verallgemeinerung der ökonomistischen Position auf alle Bereiche sozialen Verhaltens
verläuft bei Jeremy BENTHAM (1748-1832) und John S. MILL (1806-1873) über die
92
4. 3 Das Modell des homo oeconomicus
Beim Modell des homo oeconomicus handelt es sich um ein, von der
neoklassischen Wirtschaftstheorie konzipiertes, Verhaltensmodell eines rational
wirtschaftenden Menschen. Der homo oeconomicus gilt dabei als Käufer oder
Produzent, wobei dessen Handlungen durch das Prinzip der Maximierung des
individuellen Nutzens bei gegebenem Mitteleinsatz als determiniert aufgefaßt
werden. Der Aspekt der Rationalität ergibt sich dabei aus der Handlungslogik
des Akteurs, der gemäß seiner Wert-Erwartungs-Einschätzung73 aus
gegebenen Handlungsalternativen jene Alternative auswählen wird, die den
höchsten Wert seiner Nutzenerwartung realisieren kann.
Im allgemeinen Erklärungsmodell des Ansatzes ist der soziologische Teil aus
Brückenhypothesen und aus Einzelheiten der jeweiligen Logik der Aggregation
aufgebaut, d.h. im Modell des homo oeconomicus (auch RPSMM-Model restricted, perfect informed, stable prefarring, maximizing man, genannt) (vgl.
ESSER 1991:53) wird als Annahme formuliert, daß individueller Nutzen auf der
Grundlage vollkommener Information und stabiler geordneter Präferenzen im
Rahmen gegebener Restriktionen maximiert wird. Damit ist allerdings noch
keine Erklärung der Motivation sozialer Prozesse angezeigt, denn dies kann nur
über die Logik der Selektion, d.h. über eine Handlungstheorie erfolgen. ESSER
(1991) verweist dabei auf die zu entwickelnden Kriterien, die nach Lindenberg
und Wippler zur Formulierung einer Handlungstheorie notwendig sind (vgl.
ESSER 1991:53).
Im
Zentrum
der Überlegungen
steht
hierbei,
daß
Erkenntnisse, die durch die Verbindung zwischen typisierten Mustern von
Handlungsalternativen und Brückenhypothesen gewonnen werden, in die Logik
der Selektion einfließen sollen, um auf diese Weise eine realistische und den
menschlichen Bedingtheiten angemessene Handlungstheorie entwickeln zu
können. In den Verhaltensannahmen der Theorie der neoklassischen
Ökonomie ist allerdings die Einbringung (realistischerer) Brückenannahmen
nicht gegeben. Die grundlegenden Eigenschaften des Handelnden fügen sich
vielmehr in ein Bild, in dem der Handelnder, nur aus gegebenen Alternativen
Nützlichkeitstheorie, die als Rechtfertigung eines bestimmten (egoistischen) Verhaltens
aufzufassen ist.
73
Dieses Wahlverhalten wird im Rahmen der SEU-Theorie (subjective expected utility-Theorie)
thematisiert (vgl. Kap: 5)
93
auswählt, ohne selbst „aktiv“ zu werden, d.h. der Mensch lernt nicht und
definiert nicht.
Die Reduzierung des Ansatzes auf das entscheidungslogische - rationale Kalkül ist für die sozialwissenschaftliche Theoriebildung jedoch insoweit
problematisch, als daß die Verhaltensannahmen, die in die theoretische
Konzeption einfließen, unter relativ weitreichender Ausklammerung des
soziostrukturellen Kontextes formuliert werden.74
Demgegenüber werden im Modell des homo sociologicus soziale Aspekte in die
Modellierung aufgenommen.
4. 4 Das Modell des homo sociologicus75
Der homo sociologicus ist ein Modell, in dem zwischen Individuum und
Gesellschaft in der Weise vermittelt wird, daß das Individuum als Träger von
Rollen und gesellschaftlichen Positionen gilt, die wiederum, im gesellschaftlichen Rahmenwerk, Rollenerwartungen gegenüber dem Individuum
bedingen. Die soziale Rolle wird somit zur Elementarkategorie für eine Theorie
der sozialen Handlung.
Das Modell des homo sociologicus geht von der Annahme aus, daß die
Selektion der Handlung vor allem Vorgaben der gesellschaftlichen Institutionen
folgt, d.h. Normen, Regeln und Rollenvorgaben. Individuelles Handeln gilt
folglich
als
normgesteuert,
wobei
als
Begründung
ein
Belohnungs-
/Bestrafungssystem, d.h. das Bestehen von inneren und äußeren Sanktionen,
angenommen wird. Es gibt drei Varianten dieses Typs:
74
Die Verkürzungen der handlungstheoretischen Annahmen im Rahmen der neoklassischen
Ökonomie bedingen die Vernachlässigung des Motivations- und Informations(verarbeitungs-)
problems des individuellen Akteurs. Dadurch ist auch die Nicht-Berücksichtigung von
Institutionen (und somit Normen) für das ökonomische Handeln im Ansatz nachweisbar.
75
Dahrendorf, R. (1977)
94
1. die rollentheoretische „Sub-“Spezies folgt in ihren Handlungen Normen und
Werten, ohne eigene Selektierarbeit zu leisten.76 Davon ausgehend bestehen
zwei Untervarianten:
a. die normative Rollentheorie, die die automatische Ausübung von
Normkonformität durch das Individuum beschreibt. Lindenberg (1985) nennt
diesen Typ SRSM-Model (socialized, role-playing, sanctioned man) (vgl.
ESSER 1993:232)
b. das OSAM-Model (opionated, sensitive, acting man). Handeln wird im
Rahmen dieses Modells aus Einstellungen und Haltungen des individuellen
Akteurs, die Objekten gegenüber bestehen, erklärt. Hierbei folgt Handlung
erworbenen Einstellungen ist nicht als Wahl, sondern als Umsetzung von
Haltungen
in
sichtbares
Verhalten
(das
sich
aus
jeweiligen
Umgebungseinflüssen erklären läßt) aufzufassen.77
Beide Modelle stehen in der Tradition DURKHEIMs, der die Grundidee
verfolgte, daß Soziologie sich an den Naturwissenschaften orientieren müsse
und Normen so als kausale Faktoren der Erklärung der Handlung über
strukturelle Effekte (wie in den Naturwissenschaften) verlaufen müsse.
Die genannten Modelle haben allerdings bei Handlung unter Unsicherheit78 nur
wenig Erklärungsgehalt. Die Gegenposition zum normativen Modell der
klassischen Rollentheorie bildet das interpretative Paradigma. Grundlegende
Annahme ist, daß das Handeln der Menschen nicht blind gesellschaftlichen
Normen folgend verläuft, sondern ein interaktiver und symbolisch interpretierter
Definitionsvorgang der Situation durch die Subjekte ist, die zu reflektierten und
verständigen Entscheidungen fähig sind (vgl. WILSON in Arbeitsgruppe
Bielefelder Soziologen 1980:58ff.). Diese Auffassung führte zu einem weiterem
Modell, dem
3. SSSM-Modell (Symbols Interpreting Situation Defining Strategic Acting Man).
Die theoretischen Grundannahmen, die in die Formulierung des Modells
einfließen stammen u.a. von Edmund HUSSERL (1859-1938) und George H.
MEAD (vgl. ESSER 1993:234 f.)
76
Als Beispiel läßt sich hier die normative Rollentheorie PARSONS’ anführen.
Dieses variablenorientierte Handeln findet sich z.B. im Rahmen der empirischen Sozialforschung.
78
Dazu zählt z.B. die Unwirksamkeit sozial-demographischer Variablen oder das
„Verschwinden“ übergreifender Orientierungen.
95
77
Alle genannten Varianten des homo sociologicus teilen die Auffassung, das
Normen unabhängig von entstehenden Kosten befolgt werden und daß es
außerdem kein Prinzip der Maximierung gibt. Restriktionen werden in diesen
Modellen als unbedeutend eingestuft (vgl. ESSER 1993:345f.). Der Nachteil
bezüglich der erklärenden Modellierung sozialer Prozesse ist somit, daß die
genannten Modelle in ihren Annahmen über die Verbindung zwischen Situation
und Akteur in der Weise fixiert sind, daß sie Brückenhypothesen nicht zulassen
und somit bestimmte Elemente von Situationen notwendigerweise ausblenden
müssen. Als zentralstes Problem sieht ESSER (1993) darüber hinaus das
komplette Fehlen einer expliziten und präzisen Selektionsregel für das Handeln
und damit das Fehlen eines erklärenden Kerns einer Handlungstheorie.
Die Entwicklung eines adäquaten und weitreichenden Akteursbild sollen nun im
folgenden Abschnitt unter Rekurs auf die anthropologischen Grundannahmen
über den Menschen eingeleitet werden.
4.5 Metholodogisch-theoretische Grundannahmen im Bereich der Modellierung sozialer Prozesse
Die erklärende Modellierung sozialer Prozesse erfordert eine vereinfachende
Typisierung von Merkmalen der menschlichen Akteure, d.h. ein stilisiertes
Modell des Menschen. Dabei werden biologische und anthropologische
Grundlagen insoweit berücksichtigt, als daß diese methodologisch-theoretische
Bedeutung haben können.
Allgemeine Annahmen über das Modell des Menschen beruhen (auch)
auf den physiologischen Gegebenheiten, die den Menschen ausmachen, denn
„[b]ei aller Kulturfähigkeit und bei aller Ablösung des menschlichen Verhaltens
von der biogenetischen Fixierung bleiben menschliche Akteure immer (auch)
lebende Organismen, die im beständigen Austausch mit ihrer natürlichen
Umwelt bleiben.“(ESSER 1993:219)
96
Auf diese Weise treten evolutionsbedingte Grundlagen79 des Menschen ins
Blickfeld und bedingen, daß das Merkmal der hohen Lernfähigkeit und
Handlungsflexibilität im Zusammenhang mit der physiologischen und biopsychischen Konstitution des homo sapiens betrachtet wird.80 Menschliches
Handeln wird, davon abgeleitet, verstanden als Wahl zwischen Alternativen und
Restriktionen. Zu unterscheiden sind dabei zwei Arten von Restriktionen:
1) natürliche, d.h. die objektive Knappheit von Ressourcen
und
2) soziale Restriktionen, die sich aus Institutionalisierung und Codierung von
Mustern der Problemlösung durch soziale Konventionen und der effektiven
Organisation der Ressourcenverwendung ergeben (vgl. ESSER 1993:219).
Soziale Restriktionen sind dabei als Element der symbolisch gesteuerten
Definition der Situation aufzufassen und als solche
„übergreifende und durch einen eigenen Kontrollapparat abgesicherte Regeln
der Organisation der Handlungen der Akteure bzw. die kurzfristige, situationsgebundene Festlegung dieser Regeln in einem interaktiven Prozeß der
Koordination.“ (ESSER 1993:220)
Sie sind wichtig für die Erklärung der Handlung und deren Folgen innerhalb der
Grenzen der natürlichen Restriktionen (vgl. ESSER 1993:221).
Die Orientierung an Restriktionen ist ein grundlegendes Merkmal im Modell des
Menschen. Innerhalb dieser Restriktionen bestehen aber eine Vielzahl von
Alternativen oder Opportunitäten, zwischen denen der Handelnde wählen kann.
Die Selektion nach dem Kriterium der Maximierung der fitness unter gegebenen
Randbedingungen ist dabei Ausgangspunkt, wobei zwei Grundvariablen
bestehen (vgl. ESSER 1993:187):
79
Zur Logik des Vorgangs der Evolution läßt sich an dieser Stelle zusammenfassend
formulieren, daß drei unterschiedliche Bereiche evolutionstheoretisch erfaßt werden können:
1. individuelle Organismen, 2. die Population dieser Einzelorganismen und 3. der Bereich der
Umwelt. Die Organismen bilden intern und interaktiv ein homöostatisches System mit ihrer
Umwelt (Population), das auf der Produktion der Lebensgrundlagen und der Reproduktion der
Population, im Austausch mit der Umwelt basiert. Dieser Austauschprozeß erfolgt unter
Einsatz von Energie und prinzipieller Knappheit von lebensnotwendigen Ressourcen. Damit
werden Beschaffung und Konkurrenz zu den Imperativen des menschlichen Lebens. Als
Ausgangspunkt der Evolutionstheorie steht somit die Lösung von Problemen der Sicherung
der Homöostasis (auch unter dem Begriff fitness formuliert) (vgl. ESSER 1993:186 ff.).
97
1) Beachtung der externen Bedingungen und die Formulierung der
Erwartungen über mögliche Konsequenzen der Selektionen
und
2) interne Funktionsbedingungen des Organismus, d.h. die Fähigkeit der
Bewertung von Konsequenzen der Selektionen .
Aufgrund der Eingeschränktheit des Menschen hinsichtlich der Fähigkeit
Informationen zu verarbeiten und des Fehlens von vollständigen Informationen,
sind Erwartungen an Handlungsergebnisse zwar ebenfalls unvollständig und
ungenau, jedoch vollkommen ausreichend für die alltägliche Handlung. Hierbei
wird grundsätzlich davon ausgegangen, daß der Mensch in Mustern denkt, die
wiederum als Grundlage der Musterbildung von Erwartungen im theoretischen
Modell unterlegt werden können. Das Modell der Rational Choice- Theorie geht
somit von einer bounded rationality aus.81
Aus der typisierten Vereinfachung der wahrgenommenen Situation durch den
Akteur ergibt sich die Bedeutung von signifikanten Symbolen, die Hinweise auf
relevante Situationsmerkmale geben, die dem Akteur als Orientierung dienen
(vgl. ESSER 1993:225). Bewertungen werden als Zuweisung von emotionalen
Besetzungen auf bestimmte Folgen der Selektion von Alternativen verstanden,
wobei die Wahl nach Bedürfnissen, Präferenzen, d.h. Werten erfolgt. Da Werte
in
einem
gesellschaftlichen
Gebilde
in
engem
Zusammenhang
mit
gesellschaftlichen Institutionen stehen, werden diese dadurch ein wichtiges
Element der Bewertung und Interessenformulierung des individuellen Akteurs.
Die Regel nach der Erwartung und Bewertung in der Selektion der Handlung
berücksichtigt
werden,
kann
als
Kombination
von
Erwartungen
und
Bewertungen aufgefaßt werden, d.h. Wissen und Werte steuern die Selektion.
„‘Kombination’ heißt dabei, daß das Produkt der Sicherheit einer Erwartung und
der Höhe der Bewertung in bezug auf die verschiedenen Folgen eines
Handelns maximierend wird.“(ESSER 1993:226)
80
Gemeint sind die körperlichen und intellektuellen Bedingtheiten des Menschen, als auch seine
Kulturfähigkeit und Sozialität.
81
Im Zusammenhang mit der Thematik der Ressourcenknappheit ist dieser Aspekt
grundsätzlich rationaler als die Annahme der vollständigen Information (vgl. ESSER 1991:62
ff. und ESSER 1993:157 und 224
98
Damit sind externe Bedingungen in der Umgebung als auch interne
Funktionserfordernisse gleichzeitig berücksichtigt (vgl. ESSER 1993:227).
Inwieweit
der
struktur-individualistische
Ansatz
in
seinem
handlungs-
theoretischen Kern der rationalen Wahlhandlungen die genannten Aspekte
aufnimmt, wird im folgenden dargestellt.
4.6 Die Rational Choice-Theorien
Rational Choice-Theorien orientieren sich an jenem Paradigma von Rationalität,
das ökonomischen Theorien rationaler Wahlhandlungen und strategischen
Entscheidens (daher: rational choice) zugrunde liegt und Handlung als
Optimierungsprozeß von Akteurspräferenzen, d.h. Eigeninteressen, versteht.82
Diese Theorien liefern konditionale Imperative, die sich auf die Mittel zur
Erreichung vorgegebener Ziele und nicht auf Handlungszwecke selbst
beziehen.
4.6.1 Die Grundannahmen der Rational Choice-Theorien
Wissenschaftliche Diskussion kann nur dann sinnvoll sein, wenn der
Gegenstand der Auseinandersetzung klar umrissen ist. Im folgenden Abschnitt
sollen aus diesem Grund zunächst die Grundannahmen der Rational ChoiceTheorien vorgestellt werden.
ZIMMERLING (1994) definiert drei Grundannahmen, die das Handlungsmodell
des Rational Choice-Ansatzes bestimmen:
1) die Komponente des methodologischen Individualismus, die bedingt, daß
soziale Situationen auf individuelles Handeln zurückgeführt werden,
2) Handeln beruht auf Entscheidungen, die als Ergebnis rationaler Wahlen
aufgefaßt werden
und
3) rational ist eine Wahl, wenn unter den jeweils effektiv gegebenen
82
Wobei alle möglichen Präferenzen, so auch altruistische, zugelassen sind (vgl.
BURTH/DRUWE in Druwe/Kunz 1994:158).
99
Handlungsalternativen, die Wahl getroffen wird, die, unter Berücksichtigung
aller damit verbundenen Vor- und Nachteile, den Präferenzen des Individuums
am meisten entspricht, d.h. seinen Nutzen maximiert.83
Siegwart LINDENBERG hat die oben genannten Annahmen im RREEMMModell präzisiert (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:50). Das
Akteursbild, das hier entworfen wird, stellt einen über gewisse Ressourcen
verfügenden
(resourceful),
jedoch
in
seinen
Handlungsmöglichkeiten
beschränkten (restricted), aber zur Bildung von Erwartungen hinsichtlich
zukünftiger Ereignisse (expecting) sowie zur Bewertung alternativer Situationen
fähigen (evaluating) und auf die Maximierung seines Nutzens bedachten
(maximizing) Akteur (man) dar (vgl. ZIMMERLING in Druwe/Kunz 1994:16).
Der Ansatz betont die Vorstellung, daß individuelle Entscheidungen und
Handlungen nicht in Abhängigkeit von der individuellen Situation und damit
nach unterschiedlichen Mustern abläuft, wie dies z.B. in struktur-funktionalen
Konzepten erfaßt wird, sondern die Bestimmungsfaktoren in den strukturellen
Merkmalen der Situation, d.h. den Ressourcen, Beschränkungen und
Präferenzen, mit denen sich der Akteur konfrontiert sieht, zu finden sind. Davon
ausgehend lassen sich zwei Komponenten des Ansatzes differenzieren:
a) in der Entscheidungssituation können Strukturmerkmale nach der Art ihrer
Variablen bzw. festen Parameter dem Handelnden unterschiedliche
Handlungsweisen abverlangen84
und
b) können Annahmen in bezug auf die ‘innere Situation’ von Akteuren, d.h.
deren Informationen über die Umwelt zum Zeitpunkt der Entscheidung,
abgeleitet werden.
In
diesem
Zusammenhang
unterscheidet
ZIMMERLING
(1994)
drei
Grundsituationen:
83
Es besteht dabei die Annahme, daß bestimmte grundlegende Präferenzen, die alle Akteure
aufweisen, als relativ stabil betrachtet werden können und so in die theoretische Konzeption
einfließen (vgl. ZIMMERLING in Druwe/Kunz 1994:16).
84
Zu unterscheiden sind dabei strategische von parametrischen Wahlhandlungen.
100
1) Entscheidung unter Unsicherheit
In der Entscheidungssituation weiß der Akteur, welche Folgen sich für ihn aus
der Wahl der ihm zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen jeweils
definitiv ergeben werden.
2) Entscheidungen unter Risiko
Der Handelnde ist sich über die Wahrscheinlichkeiten der möglichen Folgen,
die sich aus der Wahl der verfügbaren Handlungsalternativen für ihn ergeben,
bewußt.
3) Handlung unter Unsicherheit
Der Akteur ist sich über die möglichen Folgen seiner Wahl hinsichtlich der
bestehenden Handlungsalternativen im klaren, weiß jedoch nicht mit welcher
Wahrscheinlichkeit diese eintreten werden (vgl. ZIMMERLING in: Druwe/Kunz
1994:16).
Diese Grundannahmen gelten in den unterschiedlichen Disziplinen, in denen
der Rational Choice-Ansatz angewendet wird, als Basis der Theoriebildung.
4.6.2 Die Theoriebildung
Die Theoriebildung erfolgt in Form der expliziten und weitgehend formalisierten
Modellierung sozialer Prozesse, wobei durch den Prozeß der abnehmenden
Abstraktion ein hinreichender Wirklichkeitsbezug herzustellen intendiert ist (vgl.
LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:3ff.). Im Ansatz ist die Rational ChoiceSoziologie zu verstehen als
„... an attempt to combine the advantages of theory-guided research, as found
in economics, with the strong empirical tradition of sociology [...]. Insights from
neoclassical economics and from traditional sociology are then essential in the
entire process of model development.“ (LINDENBERG in Coleman/Fararo
1992:3)
101
4.6.3 Das Grundmodell der Erklärung
Zur Verdeutlichung der Strategie der Theoriebildung werden zunächst die
interessierenden Zusammenhänge und die zugrunde liegende Erklärungsheuristik vorgestellt. In einem weiteren Schritt erfolgt dann die Darstellung der
wesentlichen Komponenten des theoretischen Modells.
Bei der Analyse sozialer Tatbestände geht es um die Erklärung kollektiver
Phänomene, die nach ESSER (1993) differenziert werden können in:
a) soziale Gebilde, in denen neben dem Verhalten von Individuen im Aggregat
(eine allgemeine Anzahl von...), das Verhalten von Individuen als Mitglieder
sozialer Kontexte (im Sinn der Verschiedenheit von Verhalten zwischen
unterschiedlichen Kontexten) und das Verhalten von sozialen Gebilden (d.h.
kollektives Verhalten) analysiert werden kann.
b) Typen sozialer Prozesse, wobei inhaltlich die Genese, Reproduktion und der
Wandel von sozialen Gebilden thematisiert wird.
c) Allgemeinen Regelmäßigkeiten, die sich an inhaltlichen (im gleichen Kontext
vorfindbaren interessierenden Phänomen), formalen (unterschiedlichen
Kontexten) und systemischen Zusammenhängen und Differenzen (in
temporalen und strukturellen Zusammenhängen) orientieren.
d) Erklärung einmaliger Ereignisse, die raum-zeitlich fixiert sind (vgl. ESSER
1993:85ff.)
Für die Darstellung des Explanans ist wichtig zu erwähnen, daß der strukturindividualistische Ansatz seine Ausrichtung zwischen ausgewählten Positionen
des methodologischen Individualismus und der analytischen Wissenschaftstheorie findet, wobei im wesentlichen auf die Analyse sozialer Makrostrukturen
und die Theorie der rationalen Wahl, als Grundlage der Verhaltenserklärung
von Akteuren, fokusiert wird. In der Verknüpfung dieser Komponenten werden
Makrostrukturen einerseits als die wichtigsten Randbedingungen für die
Erklärung sozialen Handelns aufgefaßt und sollen andererseits als Wirkung der
individuellen Handlungen von Akteuren erklärt werden. Im Rückbezug auf
individuelles, rationales Handeln werden dabei Verhaltensunterschiede auf
Unterschiede in den Handlungseinschränkungen für die Akteure zurückgeführt
(vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:27). Im Rahmen des strukturindividualistischen Programms steht folglich das Verhalten der individuellen
102
Akteure
und
die
Aggregation
ihrer
Handlungen
unter
verschiedenen
Randbedingungen und damit verbunden die Erklärung von sozialen Strukturen
im Zentrum des Erkenntnisinteresses (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz
1994:28).
„The analytic primacy thus lies at the aggregate level. Yet the explanation of
social systems is based on explaining the mechanisms that go on in the system
and that produce the system effects. In sociology, all such mechanisms involve
purposive action of human beings. For this reason, the theoretical (or
explanatory) primacy lies on the individuel level.“ (LINDENBERG in
Coleman/Fararo 1992:7)
Das Explanans besteht dabei aus drei Logiken, über die die Rekonstruktion der
kollektiven Wirklichkeit als aggregierte Wirkung der Handlungen von Akteuren
geleistet werden muß (vgl. ESSER 1993:85ff.).
Die Kernstruktur der Erklärung läßt sich an folgenden Schritten kurz darstellen:
Im ersten Schritt wird die Logik der Situation aus der Verbindung zwischen der
Makroebene der speziellen Situation und der Mikroebene des Akteurs, über die
Formulierung von Brückenhypothesen, entwickelt. Der zweite Schritt behandelt
die Formulierung der Handlungstheorie, wobei Selektion zur Grundlage
individuellen Handelns erklärt wird. Die Logik der Selektion wird anhand
allgemeiner nomologischer Gesetze, nach denen Alternativen unter gegebenen
Randbedingungen vom Handelnden ausgewählt werden, entwickelt. Die
Verbindung der Elemente Akteur und soziale Situation auf der Mikroebene
thematisiert
die
Beziehung
zwischen
Bewertung
und
Erwartung
von
Handlungsalternativen bzw. -folgen und dem individuellen Handeln. Die
Verbindung von Mikro- und Makroebene des kollektiven Phänomens, was der
eigentliche Untersuchungsgegenstand ist, führt zur Logik der Aggregation, d.h.
der Transformation der individuellen Effekte der Handlung der Akteure zum
jeweiligen kollektiven Explanandum, unter Beachtung bestimmter Regeln.
Hierbei gibt ESSER (1993) verschiedenen Arten von Transformationsregeln an,
wobei insbesondere partielle Definitionen von Bedeutung sind, da sie festlegen,
103
wann von einem kollektiven Ereignis gesprochen werden kann und erst so der
Zugang zu weiterer Modellierung möglich wird.85
Die soziologische Erklärung eines Explanandums besteht somit aus der
sukzessiven
und
kombinierten
Lösung
von
drei
unterschiedlichen
Fragestellungen, die eine Beschreibung der Situation über Brückenhypothesen
ermöglicht und damit die Entwicklung des Mikromodells, das die Erklärung der
Selektion einleitet (erfolgt über eine allgemeine Handlungstheorie) und
schließlich die Benennung der Randbedingungen zur Vervollständigung der
Analyse. Hierbei verdichtet sich über den Aspekt der Aggregation, unter
Berücksichtigung von Transformationsregeln, das zu erklärende kollektive
Phänomen.
Am Theoriemodell des kollektiven Handelns von Mancur OLSON (1985) soll
das Erklärungsschema verdeutlicht werden:
Das Modell der Erklärung legt den inhaltlichen Schwerpunkt auf den Aspekt der
Makrostrukturen oder die Ebene kollektiver Phänomene, bei Olson ist dies das
Makrophänomen kollektives Handeln. Die inhaltliche Fragestellung richtet sich
auf den Aspekt, unter welchen Bedingungen auf der Makroebene, die
Gemeininteressen ihren Ausdruck in kollektivem Handeln finden. Dabei sind die
Natur des zu produzierenden Gutes, daß dem Nichtausschlußprinzip unterliegt,
die Gruppengröße und die Abwesenheit einer selektiven Anreizstruktur von
85
Sie sind Spezialfälle der operationalen Definition, der Meßbarmachung von theoretischen
Begriffen. Das Grundmodell der Logiken ist der elementarste Schritt jeder soziologischen
Erklärung, jedoch ist eine Erweiterung der Mikro-Makro-Differenzierung möglich. Hierbei kann
eine horizontale Differenzierung, die Analyse sozialer Prozesse ermöglichen. In der vertikalen
Differenzierung kann auf das Verhalten von sozialen Gebilden fokusiert werden. Die
entstehenden Mehr-Ebenen-Modelle beinhalten als Ausgangsüberlegung die Annahme, daß
Menschen nicht isoliert handeln, sondern Interaktionssysteme bilden, die ganz unterschiedlich
angelegt sind. Soziale Gebilde konstituieren solche Interaktionssysteme und können über das
Grundmodell der soziologischen Erklärung erfaßt werden. Das Handeln des sozialen Gebildes
leitet sich weiterhin von der Akteursebene ab, auf der nutzenmaximierendes Handeln
angenommen wird, das Gebilde handelt dann folgerichtig nach Maßgabe der komplexen
Aggregation der individuellen Handlungen der Menschen und daher muß immer die
Dekomposition des Verhaltens des sozialen Gebildes auf Mikroebene erfolgen. ESSER
unterscheidet zwischen Situations- und Prozeßmodellen, wobei das wesentliche Element von
Situationsmodellen die Wiedergabe von typisierbaren Situationen ist. Situations-modelle
beruhen somit auf abstrakten Typen von Brückenannahmen und geben z.B. über die
Interdependenzen von Akteuren Auskunft. Situationsmodelle finden sich in der Spieltheorie,
wo sie sich in Spielen wie z.B. das prisoner’s dilemma niederschlagen. Prozeßmodelle
dagegen bilden Sequenzen idealisierter Prozesse ab, wie z.B. im Diffusionsmodell. Hierbei
können Prozesse wie die Entwicklung von sozialen Bewegungen verdeutlicht werden.
104
wesentlicher Bedeutung (vgl. OLSON 1985:8ff.). Der Zusammenhang zwischen
diesen Bedingungen wird dann unter Rückbezug auf die Individualebene
erklärt, d.h. im Entwurf eines Mikromodells hergeleitet.
4.6.3.1 Die Entwicklung des Mikrodells
Im Mikromodell werden zunächst die unabhängigen Makrovariablen als
Handlungsbedingungen der Akteure rekonstruiert, d.h. es werden Zwecksetzungen,
Handlungsmöglichkeiten,
die
Übersetzung
der
möglichen
Handlungen in zweckrelevante Wirkungen (bei denen Interdependenzen
zwischen den Akteuren, als auch Unterschiede hinsichtlich der Zwecke,
Möglichkeiten
und
Einschränkungen
in
einer
Handlungssituation,
eine
wesentliche Rolle spielen) bestimmt. Der Akteur wählt dann in einer sozialen
Situation eine bestimmte Handlung nach den Kriterien der Zweckrationalität.
Und schließlich werden die individuellen Handlungen zu einem Makroeffekt
zusammengefaßt, der unter weiteren Randbedingungen die zu erklärende
Makrostruktur ergibt (vgl. OLSON 1985:5).
4.6.3.2
Der Makroeffekt
Transformation
im
Mikromodell
und
das
Problem
der
Der Makroeffekt ist, wie oben gezeigt, als aggregiertes Phänomen kollektiven
Handelns im Mikromodell rekonstruiert worden. Damit entwickelt sich im
struktur-individualistischen
Theoriekonstrukt
allerdings
das
Problem
der
Transformation (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in: Druwe/Kunz 1994:30). Hierbei
handelt es sich im wesentlichen um die Verbindung von Individual- und
Kollektivebene. Die Problematik ist leicht einsichtig, denn es wird der
methodologische
Aspekt
der
korrekten
Verwendung
von
Begriffen
angeschnitten. Eine formal korrekt abgeleitete Aussage darf keine Begriffe
enthalten, die nicht bereits in der Eingangsformulierung enthalten sind. D.h.
individuelle Phänomene werden unter Verwendung von Individualbegriffen, die
sich auf individuelle Merkmale beziehen, beschrieben, kollektive Phänomene
105
dagegen
durch
Kollektivbegriffe,
die
die
Merkmale
von
Kollektiven
wiedergeben. Sollen nun kollektive Phänomene aus individuellen Effekten
abgeleitet werden, müssen folgerichtig Individual- und Kollektivbegriffe
verknüpft werden. Wie diese Verbindung herzustellen ist, wird in der
Transformationsregel86 angegeben. Im Rückgriff auf das vorgestellte Modell
wird das Makrophänomen ‘kollektives Handeln’, wie gezeigt, zunächst auf die
Individualebene bezogen und dabei im Mikromodell als die kontinuierliche
Variable Teilnehmen an der kollektiven Handlung aufgefaßt. Dies bedeutet,
daß Akteure ihren Beitrag zu einem kollektiven Gut leisten und dieser dabei
einen beliebige Höhe annehmen kann. In OLSONs Modell wird für jeden
Akteur, der das Gemeininteresse teilt, ein individueller Beitrag abgeleitet. Die
kollektive Handlung ist dann die Summe der individuellen Beiträge und gibt
schlußfolgernd das Versorgungsniveau mit dem kollektiven Gut an (vgl.
GILLEßEN/MÜHLAU in: Druwe/Kunz 1994:30).
4.6.3.3 Die rationale Wahl als Handlungstheorie
Die Thematik der Transformation ist eine wichtige Diskussionsplattform
hinsichtlich der Frage der Rechtfertigung der Grundannahmen, die diesem
Theoriekonstrukt unterlegt werden. Davon ausgehend wurde gezeigt, wie im
Mikromodell die dem Kollektivphänomen ‘Versorgungsniveau eines kollektiven
Gutes’ zugrunde liegenden Individualeffekte definiert sind (vgl. OLSON
1985:13ff.). Die sich anschließende Frage ist nun, ob und wieviele Akteure zur
Produktion des kollektiven Gutes beitragen. Dieser Individualeffekt soll in
Olsons Modell anhand der individuellen rationalen Entscheidungen der Akteure
erfolgen.
„Dabei bedient sich Olson eines Modells der rationalen Wahl: Die Akteure
wählen denjenigen Beitrag, der ihren Nutzen (von Olson als persönlicher Wert
bezeichnet) maximiert.“(GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:32)
86
ESSER (1993) stellt verschiedene Transformationsregeln vor, auf die jedoch nicht weiter
eingegangen muß.
106
Die Modellierung des Modells erfolgt somit auf der Basis des Modells des
erwarteten Nutzens, expected utility, wobei die unterschiedlichen Alternativen
abgewogen werden und die Entscheidung der Handlungsalternative nach dem
höchsten Wert getroffen wird, d.h. OLSON geht von einer erwartungsgesteuerten Entscheidungssituation unter Risiko aus.87
Da individuelle Handlungsweisen immer in Zusammenhang mit Makrostrukturen betrachtet werden, muß diesem Entscheidungsmodell eine weitere
Komponente hinzugefügt werden, um den Bezug zwischen beiden Aspekten
herleiten zu können und dies erfolgt über die Formulierung von Brückenannahmen (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:33).
4.6.7 Die Verbindung von Individual-und Kollektivebene im Rahmen der
Formulierung von Brückenhypothesen
Im Rahmen der Formulierung von Brückenhypothesen kann im vorliegenden
Modell z.B. geklärt werden, inwieweit die Gruppengröße mit der Bereitschaft
der Akteure, sich für eine gemeinsame Sache einzusetzen, zusammenhängt.
Brückenhypothesen geben die Handlungsalternativen, zwischen denen der
Akteur wählt und die damit verbundenen relevanten Konsequenzen der
Handlungsalternativen
an
und
geben
somit
auch
Auskunft
über
die
Bewertungen und Erwartungen der Handelnden hinsichtlich der Handlungskonsequenzen.
„Die Formulierung solcher Brückenhypothesen wird im Rahmen der strukturellindividualistischen Theoriebildung als ‘Hauptaufgabe bei der Erklärung sozialen
Verhaltens’ (Wippler, Lindenberg 1987:146) gesehen, da durch sie der Einfluß
des sozialen Kontextes modelliert wird.“(GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz
1994:34)
Im Modell OLSONs wird von einer bestimmten Kategorie von Akteuren
ausgegangen, die als Interessenten am kollektiven Gut bezeichnet werden und
die gemeinsam haben, daß der Nutzen des kollektiven Gutes positiv ist. Olsons
87
Zugrunde gelegt wird, daß der Handelnde hinsichtlich der subjektiven Wahrscheinlichkeiten
nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung operiert (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in:
Druwe/Kunz 1994:33).
107
Situationsmodell sieht nun vor, daß bei der Wahl einer bestimmten
Handlungsalternative Handlungskonsequenzen mit Sicherheit eintreten. Diese
Handlungsalternativen sind im Modell als Spektrum von Handlungsalternativen
im Rahmen des Kategorienpaares ‘Beitrag leisten - Beitrag nicht leisten’
formuliert. Der erste Schritt ist die Bestimmung der individuellen Beiträge,
wobei sich zwei Dimensionen von Handlungsfolgen ableiten lassen:
1) das Versorgungsniveau wird durch die Beiträge der Individuen erhöht
und
2) die geleisteten Beiträge der individuellen Akteure vermindern deren
Ressourcen (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:34).
Diese Handlungsfolgen werden mit den Bewertungen der Akteure verknüpft
und in einer Funktion dargestellt, die angibt, daß je größer das kollektive Gut
ist, desto höher ist auch der Nutzen und je höher der individuelle Beitrag, desto
höher sind die Kosten für den individuellen Akteur. Die Wahl des individuellen
Beitrags erfolgt in diesem Modell so, daß der Handelnde das Verhältnis von
Nutzen und Kosten optimal hält, d.h. eine nutzenmaximierende Orientierung
aufweist (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:35).
In einem weiteren Schritt müssen nun die Effekte der Nichtausschließbarkeit
von Konsumenten vom kollektiven Gut, das Fehlen einer selektiven
Anreizstruktur und die Gruppengröße zusammengefaßt und auf die Wahl des
individuellen Beitrags bezogen werden.
Die Modellierung der Situation sieht vor, daß der Handelnde die Alternative hat,
einen Beitrag zu leisten oder es nicht zu tun.88 Sein Nutzen ist unterschiedlich
hoch, je nach Wahl der Alternative. Die Gesamtversorgung mit dem kollektiven
Gut, von Olson gleichgesetzt mit dem der Gesamtsumme der geleisteten
Beiträge, ist die Aufteilung des Gutes unter allen Akteuren, welches dadurch in
Abhängigkeit zur Gruppengröße (aller konsumierenden Akteure) gesetzt
werden muß.
108
„Der individuelle Anteil am kollektiven Gut,[...], ist damit das Verhältnis von
Gesamtversorgung zur Gruppengröße,...“(GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz
1994:36)
Im Modell werden die Nichtausschließbarkeit und das Fehlen einer selektiven
Anreizstruktur als konstante Variablen angenommen, so daß die Größe der
Gruppe eine variable Randbedingung ausmacht. Je größer die Gruppe der
konsumierenden Akteure am kollektiven Gut wird, desto geringer erscheint der
Nutzen, der durch den geleisteten Beitrag des individuellen Akteurs an der
Gesamtversorgung ausmacht.
Für die Wahl der Handlungsalternative des individuellen Akteurs wird, unter
Einbeziehung der relevanten Makrovariablen Nichtausschließbarkeit, Gruppengröße und fehlende Struktur selektive Anreize, deutlich, daß je höher seine
Kosten im Gegensatz zum tatsächlichen Nutzen liegen, er die Leistung von
Beiträgen abbrechen wird (vgl. OLSON 1968).
Zusammenfassend läßt sich formulieren, daß im Rahmen des vorgestellten
Modells der theoretische ‘Kern’, die Theorie der rationalen Wahl, gegenüber
den Brückenhypothesen, als Verknüpfung der Individualebene mit der
Kollektivebene, differenziert wird. Damit wird der Aspekt der rationalen Wahl als
konstanter Faktor verstanden und die Formulierung von Brückenhypothesen als
‘Anpassungsmodus’ des theoretischen Kerns an die empirisch nachweisbaren
Sachverhalte. Es schließt sich eine weitere Ebene der theoretischen
Entwicklung an, die in der Literatur als method of decreasing abstraction
(LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992) bezeichnet wird.
4.6.8 Die Methode der abnehmenden Abstraktion
Bei dieser Methode handelt es sich um ein Vorgehen, welches ermöglichen
soll, die Angemessenheit von Brückenhypothesen dadurch zu ermitteln, daß
mehrere Varianten eines Modells miteinander verglichen und Abweichungen in
den Ergebnissen festgestellt werden. Sind grundlegende Veränderungen der
88
Dies entspricht nicht ganz der Ausgangsbedingung im Modell, wird jedoch von Gilleßen und
109
Ergebnisse bei vereinfachten Brückenannahmen gegenüber einer realistischeren, auch durchaus komplizierteren Version festzustellen, so ist eine
Ersetzung durchzuführen. Auf dieser Grundlage ist die Aussage Lindenbergs,
daß ein theoretisches Modell eines Gegenstands als Sequenz von Modellen
unterschiedlichen
Komplexitätsgrades
aufzufassen
ist,
angelegt
(vgl.
GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:41).
Die Methode der abnehmenden Abstraktion beruht auf zwei wesentlichen
Punkten:
„First, the disaggregation of utility theory into a fixed core of assumptions on
human nature and a variable belt of bridge assumptions [...] and second, the
heuristics needed to reduce the uncertainty about appropriate bridge
assumptions [...]“(LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:3)
Das Verfahren wird von LINDENBERG (1992) als integratives Moment der
unterschiedlichen Disziplinen der Sozialwissenschaften verstanden, jedoch
„... without losing the analytical power of the economic approach or the
descriptive advantages of the sociological and psychological approaches.“
(LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:4)
Daher sieht Lindenberg (1992) die Möglichkeit gegeben
„to achive theory-driven analyses and empirical accuracy by taking model
building to be a sequence of versions of theory in which empirical accuracy is
stepwise approached, while the early versions of the theory provide analytical
power.“(LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:6)
Damit differenziert er wesentliche Aspekte der Theoriebildung, wobei neben der
Notwendigkeit der Unterscheidung von Kerntheorie (core theory) und
Brückenannahmen, die wichtig ist
„to make the assumption about gain maximization more complex (say, by
stating the conditions under which it may or may not occur) without
simultaneously letting go out the core theory of rationality“ (LINDENBERG in
Coleman/Fararo 1992:6)
Mühlau zur Vereinfachung eingeführt (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:35).
110
auch der Aspekt der Zielbestimmung im Rahmen der unterschiedlichen
Disziplinen wichtig ist.
Für die Sozialwissenschaften ist anzugeben, daß Akteursziele (preferences) im
wesentlichen
„not from standpoint of choice under constraints but from the standpoint of
social control“(LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992: 9)
hergeleitet werden. Im Rahmen des zugrunde liegenden Modells sollen diese
Aspekte nun in der Weise verbunden werden, daß Präferenzen, als Teil eines
instrumentellen Kontextes aufgefaßt, Teil der Struktur sind und somit durch
Beschränkungen
erklärt
Coleman/Fararo,
1992:10).
werden
Die
können
(vgl.
Differenzierung
von
LINDENBERG
‘universellen’
in
und
‘instrumentellen’ Präferenzen (auch goals) leitet sodann in die Formulierung der
Brückenhypothesen
über,
wobei
LINDENBERG
(1992)
als
universelle
Präferenzen zum einen das physical well-being und zum anderen das social
approval bestimmt und diese means in sozialen Positionen als veränderlich
definiert, was er mit dem Begriff der social production function kennzeichnet
und ausführt, daß
„They work like standard operating procedures for the production of one of both
of the general goals.“ (LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:11)
Den Ausgangspunkt noch einmal aufgreifend, kommt Lindenberg auf die
Komponente der sozialen Bindung durch Normen zurück:
„Notice that effects of norms on behavior are entirely compatible with a social
production function approach. Norms heavily influence social production
functions.“ (LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:11)
Verdeutlicht jedoch auch die Komponente, daß die Definition einer Situation
wesentliches Moment ist. Dies leitet zum Thema der ‘Wahl’ (choice) und damit
zum Nutzen von Handeln (hier: Subjectively Expected Utility, kurz SEU) über
(siehe LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:12). LINDENBERG entwickelt
dazu das sog. discrimination model, auch framing theory genannt, was im
111
wesentlichen auf die Strukturbildung von Entscheidungen im Rahmen von
Wahlhandlungen fokusiert.
4.6.8.1 Brückenhypothesen und abnehmende Abstraktion
Die Methode der abnehmenden Abstraktion ist wesentliches Moment im
Zusammenhang mit der Formulierung von Brückenannahmen (die die
Klassifizierung und Typisierung der Situation unter Inbezugnahme der
Idiosynkrasien der einzelnen Akteure thematisieren), da das Modell, im Kontext
der durch die Situation gegebenen Bedingungen mit der einfachsten Annahme
„... konsistenter Bewertungen für die Handlungskonsequenzen und von
objektiven, nicht überschreitbaren Grenzen des Handelns - auch wenn diese
Grenzen den Akteuren nicht bekannt sind“(ESSER 1993:134)
beginnen soll. Darin fließt die Annahme ein, daß der Akteur seine Umgebung
„objektiv und perfekt informiert“ wahrnehmen kann. Diese Annahmen werden im
Verlauf der Modellbildung aufgegeben.
4.6.8.2 Handlungstheorie und abnehmende Abstraktion
Die nutzenmaximierende Selektion der Handlung ist Simplifikation und
Verfälschung der wirklichen Gesetze des Handelns, jedoch ist es zulässig, denn
der Aspekt der Nutzenmaximierung bzw. Zweckrationalität wird als einfachste,
erklärungskräftigste
Handlungstheorie
verstanden.
Veränderungen
der
Variablen der Handlungstheorie verändern auch die Brückenhypothesen. Vor
der
Änderung
der
Handlungstheorie
(Nutzenmaximierung)
sind
zuerst
Brückenhypothesen und Transformationsregelmöglichkeiten ausnutzen, um
Anomalien zu erklären (vgl. ESSER 1993:135).
4.6.8.3 Transformationregeln und abnehmende Abstraktion
Hier ist wichtig zu bedenken, daß es nicht immer gut sichtbare, formale
Regelungen gibt, sondern oft informelle Regeln. Subjektive Definitionen der
112
Akteure sind oft wichtig für die eine partielle Definition der Existenz eines
sozialen Gebildes (vgl. ESSER 1993:136).
GILLEßEN und MÜHLAU (1994) unternehmen den Versuch, unter Bezug auf
das Modell von Gerald MARWELL und Pamela OLIVER (1993)89, aufzuzeigen,
wie strukturelle Bedingungen die Wahrschein-lichkeit der Mobilisierung eines
bestimmten Niveaus von Beiträgen verändern können. Ausgangsthese ist, daß
„viele kollektive Handlungen zunächst nur von besonders engagierten
Partizipanten getragen werden, um später auch von durchschnittlich
Interessierten gestützt zu werden. Es bedarf erst einer kritischen Masse, die die
Kettenreaktion sozialer Mobilisierung katalysiert.“(GILLEßEN/MÜHLAU in
Druwe/Kunz 1994:42)
Das Grundmodell besagt darauf folgend, daß der Nutzen des Akteurs, der
einen Beitrag stiftet, die Differenz zwischen dem Nutzen des kollektiven Gutes
für das Individuum einschließlich seines Beitrags und dem Nutzen des
kollektiven Gutes ohne dessen Beitrag abzüglich der subjektiven Kosten des
individuellen Beitrags ist. Vereinfacht ausgedrückt: Desto niedriger die Kosten,
desto höher der Nutzen für den Akteur.
In diesem Grundmodell werden nun zunächst die zentralen Makrovariablen
benannt und ihr Einfluß auf das Verhalten der Akteure analysiert. Die
Makrovariablen90 bestimmen
a) die Natur des Gutes,
b) die Gruppengröße
und
c) die Verteilung des Gutes (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz,
1994:44).
Hierbei können als Parameter des Entscheidungsmodells die Natur des Gutes
und die Gruppengröße angenommen werden. Im Rahmen der Verteilung
89
90
MARWELL/OLIVER (1993), The Critical Mass in Collective Action. Cambridge (siehe
GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:41).
Vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:42, wobei auf weitere Vereinfachungen
verzichtet werden kann, da es lediglich darum geht, das Grundprinzip zu verdeutlichen.
113
(sgerechtigkeit) handelt es sich um eine Variable, die Aufschluß über die
‘Beitragsleistungsbereitschaft’ der Akteure gibt.
Als Ergebnisse formulieren GILLEßEN und MÜHLAU (1994):
„Eine zunehmende Gruppengröße wirkt sich nachhaltig auf die Mobilisierung
einer kritischen Masse aus, wenn es sich um ein Gut handelt, um das Rivalität
herrscht (Natur des Gutes/Anm.TK). Wenn keine Rivalität vorliegt, hat die
Gruppengröße bei homogenen Gruppen (Verteilung des Gutes/Anm.TK) auch
keinen Effekt auf das Zustandekommen der kollektiven Handlung.“
(GILLEßEN/MÜHLAU 1994:44)
Die Gruppengröße fördert die Beitragsleistung der Akteure einer kritischen
Masse, wenn die Gruppe heterogen ist und damit die Verteilung des Gutes
nicht gleichmäßig verläuft. Um zur Ausgangsthese zurückzukehren:
„Die Wahrscheinlichkeit, daß sich eine ausreichende Menge stark interessierter
Akteure findet, steigt mit bei zunehmender Gruppengröße an.“ (GILLEßEN/
MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:44)
Weiterhin wird nun der Effekt unterschiedlicher Transformations-funktionen
untersucht. Dabei wird in einer Längsschnittanalyse auf zeitlicher Ebene die
Mobilisierung der Handelnden in verschiedenen Situationen untersucht. Als
Ergebnis kann zusammenfassend formuliert werden, daß die beiden Gruppen
(engagierte und ‘weitere’ Teilnehmer) nicht gleichzeitig ausreichend motiviert
werden können, wenn nicht eine gewisse Koordination der Handlungen möglich
ist, d.h. wenn nicht festgelegt werden kann, daß entweder alle oder keiner zum
kollektiven Gut beitragen.
Damit wird in einem weiteren Schritt die Annahme aufgegeben, daß eine
Gruppe ein Aggregat von Akteuren darstellt, denn durch den Aspekt der
Koordination (auch Vertragsmöglichkeit) wird deutlich, daß die Netzwerke
innerhalb sozialer Gruppen die Koordination oft einschränken.
Um das Modell zu vervollständigen, wird in einem vierten Schritt deutlich
gemacht, daß Koordinationsmöglichkeiten (Vertragsabschlüsse) auf einer
Ebene stattfinden, die durch die beschränkte Information der Akteure
114
ausgezeichnet ist und dadurch nicht die höchstmöglichen Beiträge eingebracht
werden können (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:44ff.).
Die Methode der abnehmenden Abstraktion verläuft in diesem Modell über
zunächst unrealistische Brückenannahmen, die zunehmend an die realen
Bedingungen angepaßt werden und so die Robustheit der zugrunde gelegten
Makrovariablen überprüft und wieder in Zusammenhang mit dem erweiterten
Modell gebracht.
Als grundlegende Heuristik des Strukturindividualismus kann die Anpassung
der Beschränkungen der Akteure an realistische Annahmen im Verlauf der
Theoriebildung gelten. Erst dann erfolgt die Anreicherung der Nutzenargumente
der Akteure. Realistischere Annahmen über Erwartungen und kognitive
Verteilungsleistungen sollten dabei nur im Notfall in das Modell einfügt werden,
da
es
nicht
empfehlenswert
ist,
objektive
Wahrscheinlichkeiten
aus
Makrostrukturkonstellationen zu berechnen, wenn subjektive Wahrscheinlichkeitseinschätzungen zur Verfügung stehen (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in
Druwe/Kunz 1994:46f.).
Bei der Situationsanalyse von Makroeffekten, wird somit zunächst auf den
Mikrobereich fokusiert, um von dort den Makrobereich zu erklären. Es handelt
sich folglich um eine Makro-Mikro-Makro-Erklärung. Die Gesamtheit bildet eine
kausal-analytische Konstruktion 2. Ordnung über ein Geschehen. Dabei erfüllt
das
Modell
die
Erfordernisse
der
interpretativen
Dimension,
enthält
Brückenhypothesen und eine Handlungstheorie hinsichtlich der Konstruktion
erster Ordnung der Akteure, ist aber eine kausale Erklärung (analytischnomologischer Art). Das Erklärungsschema macht deutlich, daß der makrosoziologische Zusammenhang, das strukturelle Gesetz als indirekter Effekt
über die anderen Schritte gilt und die Wahrnehmung der Akteure tiefenerklärt.
Darauf aufbauend erfolgt die Selektion und schließlich die Aggregation.
Dadurch wird deutlich, daß der kollektive Zusammenhang einen indirekten
Effekt hat und ermöglicht
115
1.
unvollständige makro-soziologische Zusammenhänge zu erklären
und
2. der Verstehensaspekt ist ohne die Akteurs-Komponente sinnlos und
soziale Prozesse laufen dann über die Köpfe der Handelnden (vgl.
ESSER 1993:98ff.).
116
5. Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen des systemtheoretischen und
des struktur-individualistischen Ansatzes in der politikwissenschaftlichen Teildisziplin der Internationalen Beziehungen
Im Forschungsbereich der internationalen Beziehungen91 sind die Erklärungsansätze sowohl in paradigmatischer als auch forschungsgegenständlicher
Hinsicht zu unterscheiden.92 Bei der Untersuchung außenpolitischen
Entscheidens und Handelns dominieren akteurstheoretische Konzeptionen, die
von rationalem Verhalten individueller Akteure ausgehen.93 Als Grundannahme
gilt, daß soziale Phänomene in ihrer Komplexität zwar erklärt werden sollen,
jedoch als Untersuchungsentität das Individuum im Zentrum der Analyse steht,
wobei dessen Antriebsstruktur als eine durch Interessen bestimmte Nutzenerwartung aufgefaßt wird. Demgegenüber fokusieren struktur-theoretische
Ansätze94 in der Erklärung des Untersuchungsgegenstandes auf das Umfeld.
Außenpolitisches Verhalten internationaler Akteure wird hierbei als von den
politischen, sozialen und kulturellen Strukturen determiniert, in denen es
stattfindet, begriffen.
Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der Erörterung der unterschiedlichen
Erfassung und Deutung des Untersuchungsobjekts der außenpolitischen
Interaktionen im Rahmen akteurs - bzw. strukturtheoretischer Modellbildung
und die davon ableitbaren Leistungen und Grenzen der theoretischen
Konzeptionen.
91
Der Begriff der Internationalen Beziehungen entstand nach dem Ersten Weltkrieg, wobei im
Rahmen der Versailler Friedensvertragsverhandlungen, aufgrund des Bestrebens von
Politikern und Wissenschaftlern einen weiteren Weltkrieg zu verhindern, die Gründung von
wissenschaftlichen Institutionen zur Erforschung der internationalen Beziehungen in Großbritannien und den USA vereinbart wurde. Die Aufgabenstellung erstreckte sich dabei auf die
Erforschung von Ursachen, Bedingungen und Erscheinungsformen von Krieg und Frieden
(vgl. BELLERS/KIPKE 1993:174).
92
Dabei spielen insbesondere die nationalen Disziplinentwicklungen in den jeweiligen Ländern
eine wesentliche Rolle.
93
Als Beispiele sind hier Realismus, Neo-Realismus und Spieltheorie zu nennen.
117
5.1
Die politikwissenschaftliche
Beziehungen
Teildisziplin
der
Internationalen
Die Erörterung der Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen theoretischen
Arbeitens im Bereich der politikwissenschaftlichen Teildisziplin der Internationalen Beziehungen95 bedarf aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen
über den Umfang des Gegenstandsbereichs zunächst einer Definition des
Begriffs Internationale Beziehungen, wie er im Rahmen dieser Arbeit
verstanden wird.
Als Internationale Beziehungen wird sowohl die entsprechende Disziplin als
auch ihr Gegenstand bezeichnet. Hinsichtlich ihres Objektbereichs kann hierbei
insbesondere gegenüber dem Begriff der Internationalen Politik verdeutlicht
werden, welches jeweils zugrunde liegende Erkenntnisinteresse und damit
verbundene Fragestellungen die Objektbereiche determiniert. PFETSCH (1994)
verweist in diesem Zusammenhang auf die Differenzierungsmöglichkeit der
internationalen Beziehungen gegenüber der internationalen Politik nach
Struktur- vs. Akteursorientiertheit, wobei Beziehungen den Aspekt der
Strukturen, Politik den der Handlungen in den Vordergrund rücken. Der Bereich
der Internationalen Politik umfaßt dabei insbesondere die zwischenstaatlichen
Beziehungen auf politisch-machtpolitischer Ebene und kennzeichnet somit die
national-staatliche Regierung als zentralen Akteur.96 Zu den Grundkategorien
des Begriffs der Internationalen Politik zählt dabei das Interaktionssystem von
mindestens zwei nationalstaatlichen Akteuren, denen zielorientiertes Handeln
unterstellt wird und deren Aktivitäten als grenzüberschreitend aufzufassen sind.
In der Bestimmung des Objektbereichs der internationalen Politik fällt damit
„ ... eine große Gruppe von Arbeiten aus ihm heraus, die in der Regel (und zu
Recht) dazu gezählt werden: Analysen von Außenpolitik“ (CZEMPIEL in
Knapp/Krell 1991:4),
d.h. es wird unterschieden zwischen der Interaktion mehrerer und der Aktion
eines
94
einzelnen
Akteurs
im
internationalen
Kontext.
Der
Begriff
der
Hier sind z.B. die funktionale Systemtheorie oder die Politische Kybernetik anzuführen.
Als Bezeichnung für die politikwissenschaftliche Teildisziplin wird vor allem in angelsächsischen Ländern der Begriff international relations verwendet.
96
Der Nationalstaat wird dabei als ausschließlicher, keiner höheren Gewalt untergeordneten
Akteur aufgefaßt.
118
95
Internationalen Politik kann folglich auch zur Grobunterscheidung zwischen
dem Niveau des internationalen Systems und dem des Nationalstaates dienen.
Allerdings ist es wichtig, darauf zu verweisen, daß sich die Internationale Politik
aus den Außenpolitiken der einzelnen Länder zusammensetzt und auf diese
Weise als Analysebereiche der Internationalen Politik folglich die Prozesse und
Ergebnisse der Interaktionen zwischen außenpolitischen Entscheidungen, die
in mindestens zwei Staaten von den jeweiligen Akteuren unter Einbeziehung
ihrer Regierungsapparate vollzogen werden, angegeben werden können.97
Aufgrund der veränderten weltpolitischen Lage und der damit verbundenen
Zunahme nichtstaatlicher internationaler Akteure ist die Wirklichkeit auf
internationaler Ebene sehr viel komplexer geworden, so daß neben den
staatlich
vermittelter
Bereich
der
internationalen
Politik
ein,
diesen
übergreifender, gesellschaftlich vermittelter Zusammenhang gestellt werden
kann. Damit geht eine differenziertere Erfassung des Gegenstandsbereichs
einher. Eine Perspektive entwickelt sich dabei entlang der Unterscheidung
zwischen dem Bereich der internationalen Politik gegenüber dem der
internationalen Beziehungen. Letztgenannter Begriff fokusiert auf einen
umfassenderen Gegenstandsbereich als nur die Analyse macht-politischer
Phänomene. Vielmehr treten hier auch die sozialen, ökonomischen und
kulturellen Beziehungen der einzelnen internationalen Akteure ins Blickfeld und
ermöglichen
Interaktionen,
die
die
Analyse
zwischen
aller
grenzüberschreitenden
internationalen
Akteuren
Aktionen
und
stattfinden
(vgl.
BELLERS/KIPKE 1993:175ff.). Der Bereich der Internationalen Politik kann in
diesem Sinn als Teilbereich der Internationalen Beziehungen bezeichnet
werden.98 Aus den oben dargelegten Sachverhalten ergibt sich für diese Arbeit
folgende Definition: der Objektbereich der Internationalen Beziehungen gilt als
97
Dies entspricht dem Modell der Welt als Staatenwelt. Macht- und Gewinn-maximierung als
Außenbeziehung stehen im Vordergrund der Betrachtung. Staaten sind die Akteure, deren
Handlungen das internationale Gefüge ausmachen.
98
CZEMPIELs Auffassung zufolge ist der Begriff Internationale Beziehungen somit sehr
allgemein und muß daher zum Bereich der „Theorie-Begriffe“ gezählt werden. Was den
empirisch-konkreten Gehalt des Begriffs betrifft, muß dieser Auffassung zufolge eine
genauere Bestimmung der Beziehungsvariablen vorgenommen werden. CZEMPIEL schlägt
aufgrunddessen vor, den Begriff der Internationalen Beziehungen für die Disziplin, den der
Internationalen Politik für den Objektbereich, den Forschungsgegenstand zu verwenden (vgl.
CZEMPIEL in Knapp/Krell 1991:3f.). Dies folgt in einer Richtung der von PFETSCH (1994)
119
Analysebereich außenpolitischer Entscheidungsprozesse und außenpolitischen
Handelns, wobei neben machtpolitische auch soziale und ökonomische
Beziehungen ins Blickfeld rücken.
Als Modell für den Bereich der Internationalen Beziehungen kann die Welt als
Weltwirtschaft, als Netz von Beziehungen zwischen den nationalen Ökonomien,
angegeben werden. Seit Ende der 1950er Jahre wird im Rahmen der Analyse
transnationaler Konzerne, die aufgrund ihrer Flexibilität als den Nationalstaaten
überlegene
internationale
Akteure
behandelt
werden,
formuliert,
daß
Außenpolitik heute von weiteren Faktoren als nur dem Entscheidungsrecht der
Regierungen von Staaten bestimmt ist. Vielmehr verweist der Begriff der
transnationalen
Politik
auf
die
unterschiedlichen
Akteure
und
deren
Beziehungen untereinander, die NYE/KEOHANE (1989) begrifflich als complex
interdependence fassen. Analysen in diesem Bereich fokusieren dabei
sachbezogene Problemstellungen (inhaltlicher Natur) oder akteursbezogene
Teilbereiche (Untersuchungen von Entscheidungsverhalten). Der Begriff der
wechselseitigen
Abhängigkeit
verweist
hierbei
auf
die
Verflechtung
unterschiedlicher gesellschaftlicher Ebenen, wobei angegeben werden kann,
daß
„These effects often result from international transactions - flows of money,
goods,
people,
and
messages
across
international
boundaries“
(NEY/KEOHANE 1989:8)
und
somit
Interdependenz
das
Verhältnis
von
mehr
oder
minder
gleichgewichtigen Akteuren beschreibt, deren Ziele nicht übereinstimmen,
jedoch aufgrund bestehender transnationaler Beziehungen kooperatives
Handeln notwendig macht (vgl. NEY/ KEOHANE 1989:8). Erfaßt werden kann
Interdependenz dabei durch das Kriterium der Kosten, womit eine Anknüpfung
an die traditionelle Unterscheidung in der ökonomischen Theorie aufgezeigt
wird (vgl. KEOHANE/NYE 1989:112ff.). Davon abgeleitet kann auf den unterschiedlichen Analysenebenen nach den veränderten Handlungsbedingungen
vorgenommenen Unter-scheidung zwischen Handlungs- und Strukturebene, bzw. zwischen
Akteur und Systembeziehung.
120
unter Interdependenz gefragt werden. Die Thematik der Regulierung der
internationalen Beziehungen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der
Institutionalisierung
von
Kooperation,
steht
dabei
im
Mittelpunkt
der
Aufmerksamkeit im Rahmen systemischer Betrachtung.99 Auf der Aktueursebene werden hingegen Optimierungsstrategien außenpolitischen Handelns
zur Diskussion gestellt. Grundsätzlich werden somit im Rahmen sowohl der
Internationalen
Politik
als
auch
der
Internationalen
Beziehungen
die
Bestimmung der Formation des internationalen Milieus, die in diesem Kontext
operierenden Akteure, deren Ziele und die ihnen zur Erreichung ihrer Ziele zur
Verfügung stehenden Mittel sowie die Interaktionsbeziehungen, die zwischen
den Akteuren bestehen, fokusiert. Als Untersuchungsgegenstand kann in
diesem Sinn außenpolitisches Entscheiden und Handeln in den internationalen
Beziehungen genannt werden.
5.1.1 Außenpolitisches Entscheiden und Handeln im Bereich der
Internationalen Beziehungen
Außenpolitisches Entscheiden und Handeln ist zunächst als Außenpolitik
erfaßbar. Die Umsetzung außenpolitischer Aktion eines Akteurs erfolgt jedoch
im Zusammenwirken mit anderen internationalen Akteuren und wird so zu
einem interaktiven Element im internationalen Kontext. Der Untersuchungsgegenstand soll daher im folgenden Abschnitt näher bestimmt werden.
Außenpolitisches Entscheiden und Handeln als Objektbestimmung fokusiert auf
das Handeln von autorisierten internationalen Akteuren (einzelne oder ein
Kollektiv)100, die im Verlauf bestehender Interaktionen aufgrund der ihnen
zugänglichen Informationen und in Einschätzung ihrer Interessen eine Situation
definieren und darauf gestützt eine Entscheidung zugunsten spezifischer
Handlungsmöglichkeiten
treffen.
Beziehungen
ist
bezogen
als
Auf
den
Bereich
der
internationalen
outcome
folglich
ein
Komplex
von
Entscheidungen und Handlungen von mehreren kooperierenden und/oder
99
Dies ist ein Strang der neo-institutionalitischen Konzeption, auf die weiter unten eingegangen
wird.
100
Die Akteursebenen erfassen dabei neben der gewählten Perspektive, auch die Umfelder
bzw. Umwelten dieser.
121
konfligierenden internationalen Akteuren zu verstehen, die im Rahmen ihres
Entscheidungsprozesses
zudem
von
vielschichtigen
Aspekten
gesell-
schaftlicher und internationaler Realität determiniert werden und diese auch
determinieren (vgl. HAFTENDORN, in Rittberger 1990:404).
Im Rahmen der Untersuchung außenpolitischer Entscheidungsprozesse und
außenpolitischem Handelns im Bereich der internationalen Beziehungen geht
es somit, vor dem
Hintergrund
ihres
Erkenntnisinteresses,
das
sich
insbesondere mit der Erforschung von Frieden als Prozeßmuster, d.h. der
Verhinderung
gewaltsamer
und
der
Förderung
friedlicher
Behandlung
internationaler Konflikte beschäftigt, im wesentlichen um die Analyse, was und
wie entschieden wird und welche Begründung der getroffenen Entscheidung
zugeordnet werden kann. Damit sind nach HAFTENDORN (1990) verschiedene
Reichweiten
der
Untersuchung
außenpolitischer
Entscheidungs-
und
Handlungsprozesse angesprochen, bei denen es sich um a) die deskriptive
Dimension, die die ideographische oder komparative Darstellung von
Entscheidungsprozessen umfaßt, b) die analytische Dimension, bei der es sich
im wesentlichen um die Erklärung von beobachtbarem Verhalten von Akteuren
und den durch dieses Verhalten ausgelösten Rückkopplungsprozessen handelt
und c) die nomothetische Dimension, die den Bereich einer möglichen
Verallgemeinerung von Erkenntnissen über den Untersuchungsgegenstand
behandelt.101
Da die in dieser Arbeit dargestellten Erklärungsansätze die Auffassung teilen,
daß Handeln motiviert ist, d.h. das ein „Um-zu-Motiv“ besteht, das den
individuellen Subjekten zugerechnet wird, kann für den teleologischen
Aussagenbereich angegeben werden, daß der Begriff des zweckrationalen
Handelns individuelle Interessen in einem begrenzte Handlungsspielraum
hinsichtlich der Wahl von Mitteln zur Zielerreichung erfaßt. Zweckrationale
Orientierungen
können
dabei
sowohl
im
Rahmen
ermächtigter
Entscheidungsbefugnisse in repräsentativen Rollen als auch als situations-
101
Auf die normative Orientierung von Entscheidungen soll nicht eingegangen werden (vgl.
HAFTENDORN in Rittberger 1990: 402).
122
strategisches,
nutzenmaximierendes
Verhalten
der
an
wichtigen
Ent-
scheidungsprozessen beteiligten Individuen erfaßt werden. 102
Bevor in die Erörterung der Ansatzmöglichkeiten der unterschiedlichen
Konzeptionen eingeleitet wird, soll jedoch in einer kurzen Zusammenfassung
auf wesentliche Theorieentscheidungen in den Modellen verwiesen werden.
Von Interesse ist hierbei zu verdeutlichen, welche grundlegenden Annahmen
hinsichtlich der Erklärung sozialer Phänomene identifiziert werden können.
5.1.2 Vergleich von Systemtheorie und Rational Choice-Theorie
In diesem Abschnitt werden wesentliche Elemente der Theoriebildung sowie
die Darstellung der unterschiedlichen Theorieentscheidungen im systemtheoretischen Ansatz Talcott PARSONS‘ und in der Rational Choice-Theorie
herausgearbeitet. Insbesondere wird auf die Interessenbildung sozialer
Akteure, die Auslegung des Begriffs der Rationalität und die Entwicklung der
Nutzenorientierung von Akteuren, sowie die Unterscheidung von Mikro- und
Makroebene, die den Aspekt der Aggregation individueller Verhaltensweisen
thematisiert, eingegangen.
Talcott PARSONS theoretisches Konstrukt findet in The Structure of Social
Action (1937) den Ausgangspunkt in der Annahme einer Handlungssituation,
die starke biologische und ökonomische Determinanten aufweist. Über den
biologischen Aspekt werden die für den Handelnden nicht direkt verwendbaren
Bedingungen des Handlungsgeschehens markiert, der ökonomische Aspekt
verweist auf die Handlungswahl (vgl. STICHWEH 1995:395). Der Handelnde
tritt als Beobachter in Erscheinung, der hinsichtlich seiner Zielerreichung die
angemessenen Mittel auswählt (Theorie der Rationalität). Da PARSONS jedoch
über die ökonomisch-biologische Auffassung des Handelns keine Systemhaftigkeit derselben erfassen kann, verlagert er die rationale Wahl der Mittel in
einen Bereich des Handlungsgeschehens, der seinerseits in einen normativ
geprägten Selektionsmechanismus eingefügt wird. Diese Hierarchi-sierung
ermöglicht sodann die Darstellung von Handeln als System, wobei die
102
Hierbei verweist DÖBERT (1973) auf den Sachverhalt, daß das wissenschaftstheoretische
Problem der Teleologie als Problem der Spezifizierung von Übersetzungsregeln erscheint, die
es ermöglichen den teleologischen Wendungen nicht-teleologische zuzuordnen.
123
systematische Ordnung durch Normen und die biologischen Bestimmungsfaktoren die Umwelt des Handelns ausmachen. PARSONS gelingt damit die
Eigenwirklichkeit der Gesellschaft gegenüber biologischen und ökologischen
Handlungsdeterminanten in die theoretische Konzeption einzubringen. Durch
die
Gegenüberstellung
von
rationalen
Kalkülen
und
nicht-rationalen
Bestimmungsgrößen des Handelns (in Form von gesellschaftlichen Normen)
tritt der Aspekt der Anstrengung - effort - hinzu, wobei dem Handelnden
unterstellt wird, daß er versucht, gesellschaftlichen Anforderungen in der
Wirklichkeit des Handelns Geltung zu verschaffen. Die kollektive Eigenrealität
der Gesellschaft als System von Normen und Werten und die Anstrengung des
einzelnen Handelnden in der Umsetzung der Normen und Werte begründen die
voluntaristische Handlungstheorie in PARSONS’ Konzeption. Die Frage nach
der Entstehung der Interessenbildung sozialer Akteure wird somit im Rahmen
einer sozial-konstruktivistischen Perspektive beantwortet.
Die voluntaritische Komponente sozialer Handlung wird im Rational ChoiceAnsatz hingegen in der Weise erfaßt, daß entweder die Erklärung eines
kollektiven Handlungsresultats ohne die Annahme institutionalisierter Normen
erfolgen kann, z.B. durch das COASE-Theorem oder das gezeigt wird, daß
eine Rational Choice-Theorie die Entstehung von Normen und Werten, sowie
Institutionen allein auf der Grundlage ihrer Basisannahmen (Selbstinteresse,
Nutzenmaximierung, Tausch von benötigten Gütern gegen kontrollierte
Ressourcennutzung) zu erklären im Stande ist.
Rationalität wird von PARSONS in The Professions and Social Structure (1939)
dann in der Form definiert, daß sie keine Begleiterscheinung von Handeln und
somit eine
konstante
Größe
darstellt,
sondern
von
gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen bestimmt ist. Rationalität wechselt damit auf die Seite
äußerer Bestimmungsfaktoren sozialen Handelns und kann PARSONS den
Übergang zur Systemtheorie vollziehen. Alle Bedingungen des Handelns
expliziert er im action frame of reference.
„Alles andere - Biologie, Physik und die später eingeführte telische Sinnschicht
[...] - sind Umwelten des Handelns, so daß System/Umwelt als eine
universalistische Leitunterscheidung die Unterscheidung Akteur/Situation
verdrängt.“(STICHWEH 1995:397)
124
Durch die Einführung der pattern variables ist schließlich die Grundlage der
Interpretation
von
Handlungswahlen
festgelegt
und
Handeln
als
Unterscheidungsgebrauch bestimmt. An dieser Stelle ist ein grundlegender
Unterschied zwischen Systemtheorie und Rational Choice-Theorie identifizierbar: Die für die Rational Choice-Theorie wichtige Alternative von
Selbstinteresse vs. Kollektivinteresse wird in der Systemtheorie als eine
handlungsleitende Unterscheidung im Sinn einer sozialen Vorgabe des
Handelns erfaßt. Selbstinteresse ist im struktur-funktionalen Ansatz folglich
keine Prämisse mehr.
Hinsichtlich der Definition des Rationalitätsbegriffs kann für die Differenzierung
zwischen Systemtheorie und Rational Choice daraus abgeleitet werden, daß
sich Rationalität in der Systemtheorie als institutionalisierte Wertorientierung
äußert, wobei die institutionalisierte Erwartung an Rationalität zu paradoxen
Situationen führen kann (vgl. STICHWEH 1995:399). Im Rational ChoiceAnsatz wird hingegen der Rationalitätsbegriff erweitert, indem anhand von
Suchmechanismen in Bezug auf Entscheidungsoptionen auch irrationale
Handlungen verständlich werden (bounded rationality).
Vom
Rationalitätsbegriff
abgeleitet
kann
dann
hinsichtlich
der
Nutzenorientierung von sozialen Akteuren im Rational Choice angegeben
werden,
daß
Rationalität
als
subjektive
Komponente
der
Handlungs-
entscheidung erfaßt wird, wobei Nutzen auch als Synonym für Interesse steht.
Interessen beziehen sich darüber hinaus auf die Kontrolle von Ressourcen.
Die Thematik der Interessen wird besonders bei COLEMAN (1990) erörtert. Er
geht von einem „allgemeinen Paradigma rationalen Handelns“ aus, wobei
Nutzenmaximierung bei externen constraints thematisiert wird.
„It is possible to formulate the principal’s problem as a special case of the
general paradigm of rational action, that is, as the problem of maximizing utility
(or interests, the term I use here) subject to certain constraints.“(COLEMAN
1990:152)
Nutzen kann folglich operationalisiert werden, indem der Begriff der Interessen
eingeführt wird und in Bezug auf Ressourcen und Ereignisse gesetzt wird. Für
beide gilt dabei, daß Akteure die Kontrolle haben oder Interesse an der
Kontrolle über Ressourcen haben. Bei unterschiedlichen Begierdeobjekten muß
125
sich der Akteur dann allerdings auf Transaktion, d.h. Tausch, einlassen (vgl.
COLEMAN 1990:32). Dies kann als Grundaussage der Rational ChoiceTheorie verstanden werden (vgl. Kap.5).
COLEMAN erweitert den Bezugspunkt der Analyse um den Modus der
Ereignisse, da auch der Tausch von immateriellen Ressourcen, wie z.B.
Drohungen, Voraussagen hinsichtlich eintretender Ereignisse bedingt. Auf
diese Weise wird es über die Einführung der Austauschtheorie möglich, im
Zusammenhang mit der Thematisierung von sozialen Interaktionsprozessen in
komplexen Sozialsystemen, Rechte gegenüber Kontrolle von Handlungen als
Tausch zu thematisieren (vgl. COLEMAN 1990:91ff.). Hier wird der Begriff des
Vertrauens näher bestimmt, indem einem anderen Akteur unter der
Voraussetzung, daß dieser im Interesse des Akteurs handeln wird, die Wahl
oder Kontrolle überlassen wird (z.B. im Rahmen eines politischen Mandats).
Gegenüber bisheriger austauschtheoretischer Überlegungen, die den Fokus
auf den flow of benefits in Prozessen sozialer Interaktion richten, während der
Informationsfluß durch symbolischen Interaktionismus dargestellt werden103,
bedeutet dies ein Erweiterung. COLEMAN erweitert die Austauschtheorie,
indem die Kontrolle über Handlungen eingeführt wird. Dies ermöglicht
Analysen, die in der Systemtheorie, im Rahmen von Tauschmedien
durchgeführt werden.
Die wichtige Unterscheidung von Mikro- und Makroebene wird von COLEMAN
in
das
Zentrum
der
theoretischen
Arbeit
gerückt.
Er
beschreibt
Verhaltensinterdependenzen am Transitionspunkt, als sekundäre Möglichkeit
der Erfassung, da er Transition selbst nicht erfassen kann. Auf der
Systemebene versucht COLEMAN dabei die Interdependenz zwischen
Bewußtseinssystemen und Strukturumbrüchen zu fassen. In der Systemtheorie
wird dieser Sachverhalt in operational geschlossenen Systemtypen analysiert.
Rational
Choice-Theorien
ermöglichen
hingegen
die
Ableitung
dieses
Zusammenhangs. Mikroereignisse können allerdings nicht zu Makrogeschehen
103
PARSONS’ kybernetische Hierarchie: Energie – Information
126
aggregiert werden, da hier ein zu behandelndes Transitionsproblem zur
Bearbeitung ansteht (vgl. COLEMAN 1987:153ff.).104
Die
unterschiedlichen
Analysemöglichkeiten
werden
in
den
folgenden
Abschnitten im Rahmen systemtheoretischer und struktur-individualistischer
Ansätze dargestellt.
5.2 Die Analyse der Internationalen Beziehungen im Rahmen der Systemkonzepte der Allgemeinen Systemtheorie und des Strukturfunktionalismus
Ein überwiegend akzeptiertes Systemmodell erschien in den 50er Jahren als
vielversprechende theoretische Perspektive bei der Analyse der internationalen
Beziehungen, denn anhand der Systemkonstruktion, die das Funktionieren
einer Gesamtheit aufgrund der Interdependenzen seiner Teile ableitet (vgl.
RAPOPORT 1989:79ff.), sollten die Elemente und ihre Funktionsweisen im
internationalen Systems erfaßbar gemacht und somit Stabilitätsbedingungen
und konforme Verhaltensweisen ermittelbar gemacht werden. Dem politischen
(Sub-) System kommt dabei besondere Aufmerksamkeit zu, wobei
systemtheoretische Modelle bzw. strukturbezogene Ansätze den Untersuchungsgegenstand des außenpolitischen Entscheidens und Handelns als
von bestehenden Strukturen des internationalen Systems abhängige
gesellschaftlich-soziale Phänomene erfassen. Das Umfeld als Erklärungsvariable tritt folglich ins Zentrum der Analyse.105 Die theoretischen und
empirischen Prämissen der unterschiedlichen Systemansätze sowie die
Operationalisierung des Systembegriffs werden in den folgenden Abschnitten
erörtert.
Im Bereich der internationalen Beziehungen gehen die systemtheoretischen
Ansätze insbesondere auf das Konzept der Allgemeinen Systemtheorie106
zurück, die darauf abzielt, eine Theorie aller Systeme zu entwickeln, und dabei
das internationale System als einen Spezialfall behandelt. Das Interesse an
104
Außenpolitischer treffen keine Entscheidungen über die Zukunft des inter-nationalen
Systems, sondern über Zölle usw. Mikroentscheidungen werden aber durch Aspekte des
internationalen Systems determiniert.
105
Auf diese Weise werden in den unterschiedlichen systemtheoretischen Modellen der Staat,
das politische Subsystem eines Staates oder organisatorische Zusammenschlüsse als
eigentliche Akteure erfaßt.
106
Die Entwicklung der Systemtheorie in den Internationalen Beziehungen war in einer ersten
Phase behavioristisch beeinflußt und mit Ziel der Integration aller sozialwissenschaftlichen
Forschung gekoppelt. Die zweite Phase ist jedoch durch eine Schwerpunktverlagerung in
Richtung analytisch-empirische Forschung, d.h. die vergleichende Analyse von Datenmengen
und deren maschinelle Verarbeitung, gekennzeichnet (vgl. SIMONIS 1973:62f.).
127
Stabilität
und
Veränderungen
des
internationalen
Systems,
Akteurs-
identifikation, Prozeßanalysen, der Methodik der Systematisierung von
Forschungsergebnissen und der Ableitung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten
stehen dabei im Vordergrund.
Durch die Integration von Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften in
einer allgemeinen Theorie isomorpher Strukturen, d.h. mathematischer
Systeme, wird die Erklärung von Phänomenen angestrebt, die, als Einheiten
aufgefaßt, eine organisierte Komplexität aufweisen, sich von ihrer Umwelt
unterscheiden und die je nach Untersuchungsperspektive mit bestimmten
Variablen belegt werden können und sich somit empirisch nachweisen lassen.
Demzufolge kann im Rahmen dieses theoretischen Konzepts von der
Multifunktionalität ihrer konkreten „Vorbilder“ ausgegangen werden. Aspekte
biologischer Systemtheorie und die Untersuchung von Systemverhalten
bekannter, technisch realisierbarer Strukturen aus dem Bereich der Kybernetik
stehen dabei in der Übertragung auf den Bereich der Internationalen
Beziehungen im Vordergrund.107
Neben den unterschiedlich ausgearbeiteten Systemvorstellungen in beiden
Konzeptionen,
unterliegt
zunächst,
gewissermaßen
als
Erkenntnis-
vorbedingung, die generelle Annahme des Bestehens eines internationalen
Systems. Die begriffliche Systematik fokusiert dabei vorab auf den Aspekt der
wechselseitigen Wirkungszusammenhänge in einem globalen Gefüge.108 Im
wesentlichen sind dabei regionale und funktionale Subsysteme von Interesse.
Als
regionale
Zusammenschlüsse
können
zwischenstaatliche
und
transnationale Beziehungsgefüge bezeichnet werden, indessen zwischenstaatliche gegenüber transnationalen keine Zweckbestimmung unterstellen. Als
ein
weiteres
Strukturelement
des
internationalen
Systems
kann
die
unterschiedliche Ordnung in den jeweiligen Teilsystemen genannt werden. Hier
107
Beispielsweise die mathematische Variante im Rahmen der Spieltheorie, die Betonung
biologischer Komponenten, z.B. bei D. SINGER oder das kybernetische Modell K. DEUTSCHs
oder M. KAPLANs.
108
Das internationale System kann in diesem Sinn seit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes,
als ein multipolares Ordnungsgefüge aufgefaßt werden, das durch vielfältige Ordnungselemente darstellbar ist.
128
weisen
Beziehungsstrukturen,
z.B.
hierarchische,
mögliche
Erklärungs-
perspektiven auf.
In bezug auf die Annahme des Bestehens eines internationalen Systems wird
im Rahmen der Allgemeinen Systemtheorie, die von der Isomorphie von
Systemen ausgeht und einen allgemeinen Systembegriff herleitet, das Konzept
eines offenen stabilen Systems unterlegt, das gegenüber seiner Umwelt
Regelmechanismen ausbildet, um sich auf diese Weise an veränderte
Umweltbedingungen
anpassen
zu
können
(vgl.
CHURCHMANN
in
Händle/Jensen 1974:105). In der Anwendung dieses Konzepts entwickelt
EASTON (1979)109 sein Erklärungsmodell zur Beantwortung der Frage:
„How do any and all political systems manage to persist in a world of both
stability and change?“(EASTON 1979:17)
Dabei wird die theoretische Annahme unterlegt, daß hinsichtlich des politischen
Bereichs von einem Handlungssystem ausgegangen werden kann, das in seine
Umwelt eingebettet, deren Einflüssen ausgesetzt ist und auf diese wiederum
reagiert. Umwelteinflüsse werden folglich nicht als Störfaktoren angesehen,
sondern als Interaktionsmuster in die theoretische Konzeption aufgenommen.
Auf diese Weise kann das politische Gefüge als ein offenes und adaptives
System definiert werden (vgl. EASTON 1979:17f.). Der Nachweis der
elementaren Funktionen
„without no system could endure - together with the typical modes of response
through which systems manage to sustain them“(EASTON 1979:17)
ist für EASTON das zentrale Problem politischer Theorie. Vor diesem
Problemhorizont entfaltet er die Möglichkeiten der Perzeption
„that political interactions in a society constitute a system of behavior“(EASTON
1979:18),
das mit verschiedenen Umfeldern, die physikalischer, biologischer, sozialer und
psychologischer Natur sind, umgeben ist, deren Identifikation notwendig macht
109
Das Modell EASTONs wird unter Berücksichtigung des Sachverhalts, wonach sowohl die
Allgemeine als auch die kybernetische Systemtheorie allgemeine strukturelle Beziehungen
und Funktionen behandeln, als Beispiel für einen Ansatz aus dem Bereich der Allgemeinen
Systemtheorie herangezogen.
129
(vgl. EASTON 1979:18) und somit die Prämisse zugrunde legt, daß das
politische System als ein offenes gesehen werden muß. Die Einflüsse der
Umfelder
„shape the conditions under which the members of the system must act.“
(EASTON 1979:18)
EASTON verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, daß der
Systembestand anhand der internen Wahrnehmung der Fähigkeit des respond
und der damit verknüpften Adaptionsmöglichkeit des Systems an äußere
Bedingungen hergeleitet wird.
Dies ermöglicht die Annahme einer internationalen Gesellschaft in der Weise,
daß
„soziale Einheiten als informationsverarbeitende Netzwerke untersucht werden,
die gegenüber der Umwelt zielgerichtetes Verhalten zeigen...“ (SIMONIS
1973:68).
Damit ist auch auf den Aspekt der Autonomie von Systemen hinsichtlich ihrer
Selbstregelung verwiesen, denn
„So könnte man sich politische Parteien und Interessengruppen als
Organisationen vorstellen, die begrenzt fähig sind, sich selbst zu steuern.“
(PAWELKA 1973:37)
Daraus
abgeleitet
werden
können
auch
die
Beziehungen
(als
Strukturgegebenheiten) und die Interaktionen (als Prozesse) zwischen den
sozialen Einheiten und sind so z.B. als Konfliktsysteme analysierbar. Diese
Perspektive verneint damit einen Gleichgewichtsansatz, der die Variabilität von
Systemen vernachlässigt und kurzerhand alle sozialen Veränderungen lediglich
unter dem Aspekt der Erreichung eines weiteren Equilibriums subsumiert. Auf
den Bereich der internationalen Beziehungen bezogen kann anhand des
EASTONschen Ansatzes damit teilweise die anarchische Struktur des globalen
Beziehungsgefüges zumindest insoweit erfaßt werden, daß Prozesse innerhalb
des Systems nicht als „gegeben-systemerhaltend“ angenommen werden
können, d.h. daß
130
„at times members in a system may wish to take positive actions to destroy a
previous equilibrium or even to achieve new point of continuing disequilibrium.“
(EASTON 1979:20)
In der Entwicklung eines daraus abgeleiteten Anforderungsprofils an das
System thematisiert EASTON, daß
„Wants do not appear on the political scene as demands in some mysterious or
inexplicable way. Members of the system must do the converting.“ (EASTON
1979:85)
Damit verweist er auf die Notwendigkeit der Formulierung eines Bezugspunkts
der Analyse, die er in Form von einzelnen Akteuren oder Gruppen in das
Modell einfügt und so dem Vorwurf der Vernachlässigung des Sachverhalts
entgeht, daß
„the input of demands is the product of identifiable, observable behavior on the
part of a person or a group.“ (EASTON 1979:85)
Das System muß demgegenüber strukturelle Regulatoren entwickeln, die die
Allokation von Werten für Gesellschaften ermöglichen und die Mitglieder eines
Systems auf die Anerkennung und Durchsetzung dieser Werte zu verpflichten
im Stande sind (vgl. EASTON 1979:86ff.). EASTON faßt dies unter dem Begriff
des support als Inputfaktor eines Systems (vgl. EASTON 1979:153f.).
Zusammengefaßt kann der Input folglich als Anforderungskomplex, bestehend
aus demands und support aus den Umfeldern und der Umwelt definiert werden.
„Thus, in speaking of the input of support, we are able to bring the extremly
varied external conditions to a focus on a single question: what influences have
they upon fluctuations in support? Support becomes the major summary
variable linking a system to its environment.“(EASTON 1979:156)
Das System hat schlußfolgernd so lang Bestand, wie es in der Lage ist, eine
Balance zwischen Anforderungen und Unterstützung zu ermöglichen, d.h.
einen quid pro quo-Status zu erhalten. Dies geschieht nach EASTON im
Rahmen von respons (vgl. EASTON 1979:275), die er als
„outputs, coercion and stimulation of good will“ (EASTON 1979:275)
angibt und weiter formuliert, daß
131
„These are three interrelated but at least analytically separable, complex sets of
responses the outcomes of which tend to strengthen the diffuse emotional
attachment toward political objects.“ (EASTON 1979:277)
Der Zusammenhang von demands und support, die Aussagen hinsichtlich der
Verarbeitungsfähigkeit des Systems machen, wird im Output in der Weise
erfaßt, daß dieser als Verhaltensergebnis der politischen Entscheidungsträger
erklärbar wird. Der beschriebene Vorgang wird in Form eines Input-OutputModells in den theoretischen Ansatz aufgenommen.
Zusammenfassend kann hinsichtlich des theoretischen Konstrukts David
EASTONs angegeben werden, daß er die beiden Hauptströmungen der
Systemtheorie (Allgemeine und struktur-funktionale) miteinander verknüpft und
damit sowohl die Untersuchung auf Einheiten organisierter Komplexität bezieht,
d.h. keine analytische Zergliederung der Akteure vornimmt, gleichzeitig jedoch
auch ein Teilsystem – hier das politische (Sub-) System – eines Gesellschaftssystems als Analyseebene wählt. Dabei unterlegt er die Systemvorstellung
eines offenen, stabilen Systems, das über bestimmte Fähigkeiten verfügt, sich
verändernden Umfeld- bzw. Umweltbedingungen anzupassen, um so die
empirisch nachweisbaren ungeordneten Bedingungen auf weltpolitischer Ebene
im Sinn von Interaktionsmustern erfassen zu können. Das politische System
wird
hierbei
in
der
Reformulierung
im
Sinn
einer
autoritativen
Allokationskompetenz definiert.
Im Rahmen des struktur-funktionalistischen Ansatzes wird explizit
„auf den human-gesellschaftlichen Bereich“ (BUSSE-STEFFENS 1973:20),
fokusiert, wobei von Talcott PARSONS der Versuch unternommen wird, die
Sozialwissenschaften durch eine allgemeine Theorie des Handelns in einem
analytischen System zusammenzufassen (vgl. SIMONIS 1973:65). Der
Strukturfunktionalismus beansprucht dabei
„Gültigkeit für alle sozialen Systeme von der Mikro- bis zur Makroebene, also
auch für das internationale System...“ (SIMONIS in Nohlen 1993:519)
132
Ausgangspunkt ist die Annahme sozialer Ordnung und die Frage nach den
Bedingungen ihres Erhalts. Dabei wird auf einen Systembegriff zurückgegriffen,
der ein integriertes, d.h. geschlossenes, System thematisiert. PARSONS
entwickelt dabei als Basishypothese das Vier-Funktionen-Schema und
verknüpft die systemische Ebene mit einer Motivationstheorie, die Handeln als
durch Motive verursachte Kräfte auffaßt, welche in Ableitung PARSONS‘
mechanistischer Systemvorstellung auf das System einwirken. An seine
Ausgangsfrage anknüpfend wird Motivation als systemkonforme Handlungsdeterminante hergeleitet (vgl. SCHÜTTE 1971:39). Konstitutiv wird damit die
Entwicklung eines Rollengeflechts, das die Einheiten des Systems durch Rollen
bestimmt und so eine dezidierte analytisch-funktionale Aufspaltung der
Rollenträger unterlegt (vgl. SIMONIS 1973:67). Die Differenzierung der sozialen
Einheiten wird nach Funktionen festlegt, wobei die Relationen zwischen den
analytischen Subsysteme definiert werden müssen und Funktionalität über
diesen Aspekt hergeleitet wird. Paradigmatischer Ausgangspunkt ist schließlich
ein Handlungssystem, das in seiner Aufspaltung in Subsysteme und deren
Funktionsleistungen
1) u.a. die Thematisierung des politischen Subsystems, als Teil eines
Gesellschaftssystems, ermöglicht und diesem die Funktion der
Wertallokation und bindenden Durchsetzung von Werten zuschreibt und
2) den Funktionsbegriff entweder in bezug auf die System-Umwelt- oder
Systemteile-Systemganzes-Beziehung herleitet. SIMONIS erläutert diesen
Sachverhalt folgendermaßen
„Einmal ist ein soziales System von seiner Umwelt nur unterscheidbar, weil es
in dieser eine bestimmte Funktion erfüllt und zur Erfüllung der Funktion ein
Mindestmaß an Komplexität (requisite variety) Voraussetzung ist. Zum anderen
müssen in einem sozialen System bestimmte funktionale Leistungen erbracht
werden (functional requisites), damit das System erhalten bleibt und nicht in
seine Umwelt diffundiert.“ (SIMONIS 1973:66).
Der Funktionsbegriff ist somit an den Aspekt der Komplexität gebunden, wobei
explizit ein integrierter Zustand zu erhalten ist.
Das struktur-funktionale Systemmodell beruht dann auch bezüglich der
Übertragung des Ansatzes auf die internationalen Beziehungen auf der
Überlegung, das internationale Beziehungsgeflecht und die sozialen Einheiten
133
als eine internationale Gesellschaft mit verschiedenen Subsystemen erfassen
zu können.110
In Social Theory and Modern Society (1967) geht PARSONS im 14. Kapitel –
Polarization of the World and International Order – näher auf die Übertragung
seines Ansatzes auf den Bereich der internationalen Beziehungen ein, indem
er die Zusammenhänge
„from a particular process in our own society to the problem of the nature of the
processes of integration which appear to be going on in the world as a whole“
(PARSONS 1967:466)
herstellt und die Möglichkeit der Etablierung einer solid basis of international
order thematisiert, die er unter dem Begriff der „modernization“ (vgl. PARSONS
1979:466) zusammenfaßt. Wesentlich ist ihm dabei, daß
„underneath the ideological conflicts that have been so prominent, there has
been emerging an important element of very broad consensus at the level of
values“ (PARSONS 1979:466),
die PARSONS als spezifischen Integrationsmechanismus darstellt.
Die Überlegungen zur Thematik internationaler Ordnung sind vor dem
Hintergrund des Vietnam-Krieges und den damit überdeckten Spannungen
zwischen den Weltmächten USA und UdSSR zu sehen. Er fokusiert damit auf
ein internationales System, das er in seiner Bipolarität als
„The greatest and most immediate danger to world peace“ (PARSONS
1967:467)
betrachtet. Die Entwicklung von Interdependenzen auf internationaler Ebene
erschwert dabei die Isolierung eines Subsystems, das - ist es nicht von
untergeordneter Wichtigkeit - aufgrund der bestehenden Bedingungen strenge
Kontrollmechanismen hinsichtlich der analytisch notwendigen Begrenzungen zu
seinem Umfeld aufweisen muß (vgl. PARSONS 1967:467). Dies leitet er über
den Aspekt her, daß innerhalb der Strukturen des internationalen Systems
laufende
Prozesse
Zusammenhang
110
angenommen
aufweisen
und
das
werden,
System
die
einen
funktionalen
in
diverse
Subsysteme
Das theoretische Konzept Talcott PARSONS’ ist für die Analyse internationaler Beziehungen
134
untergliedert, wobei den einzelnen Subsystemen bestimmte Funktionserfordernisse hinsichtlich der Erhaltung des internationalen Systems unterstellt
werden. Die Beziehungen zwischen diesen Subsystemen sind von gegenseitiger Abhängigkeit gekennzeichnet und wirken ebenfalls wechselseitig auf
einander ein.
„Die so bestimmten und bestimmbaren Relationen sind sowohl für die
Beschreibung des Systems als auch für die Konstruktion von Ordnungs- und
Bezugsrahmen von entscheidender Bedeutung.“ (BUSSE-STEFFENS 1980:32)
Auf diese Weise können z.B. internationale politische Organisationen oder
wirtschaftliche Zusammenschlüsse erfaßt werden. In der Übertragung des
geschlossenen Systemkonzepts - das für den Bereich des nationalen
politischen Systems Politik als funktionalen
„Teilbereich des arbeitsteiligen Gesellschaftssystems und gesell-schaftliche
Existenzbedingung
durch
die
verhaltenssteuernde
Wirkung
seiner
Entscheidungs- und Leistungsfunktion“ (BUSSE-STEFFENS 1980:33)
erfaßt - auf den Bereich der internationalen Beziehungen, kommt einem
internationalen politischen System besondere Bedeutung zu, da sich hier
soziales Handeln in politischem Kontext zeigt. Fokusiert wird dabei auf die
Bildung und Durchsetzung verbindlicher Regelungen, die notwendig sind, um
die gesellschaftliche Koordination aller gesellschaftlichen Subsysteme zu
erreichen. In diesem Zusammenhang geht es um die Erkennung bzw.
Formulierung von Motivations- und Wertorientierungsmustern, die nicht nur
Bestandteil von Handlungen sind, sondern Untersuchungsgegenstand.
PARSONS entwickelt sein Konzept einer internationalen Ordnung durch die
Hinwendung auf den Begriff der Modernisierung und die ihr unterlegten
Zielsetzungen durch die Staaten der westlichen Welt:
„industrialization, economic development, political
autonomy, and the like“ (PARSONS 1967:468),
independence
and
nur ansatzweise entwickelt worden und kann demzufolge nur aspekthaft dargestellt werden.
135
die er als Konzept der Industrialisierung und damit auch als universell
anerkannte Einflußnahme bezeichnet (vgl. PARSONS 1979:468). Vom
Standpunkt der Wertbetrachtung leitet er dabei wirtschaftliche Produktivität als
„the core of this pattern“ (PARSONS 1979:469)
ab, die den Lebensstandard verbessert, Konsum auf einem höheren Niveau
und soziale Sicherheiten, wie Gesundheitsfürsorge und Bildung, ermöglicht.
Damit leitet PARSONS auf einen weiteren wesentlichen Bereich über: Die
Thematik der Autonomie von Gesellschaften und Gruppen und die damit
verknüpfte Frage nach Gleichheit (vgl. PARSONS 1967:469).
„As might be expected, this has involved a general challenge to the superior
status of traditional elites. On the one hand, this theme has an „internal“ frame
of reference, in that it pertains to territorial societies; on the other, it pertains to
a demand for equal status as societies, with its bearing on political
independence.“ (PARSONS 1979:469)
Dies bedingt nach PARSONS‘ Auffassung schließlich eine strukturelle
Differenzierung (vgl. PARSONS 1967:471), die
„in turn, presupposes a common normative framework, primarily on the level of
values.“ (PARSONS 1967:471)
Die Wertebetrachtung nutzt PARSONS als Grundlage von Fragestellungen
hinsichtlich der Konfliktpotentiale auf internationaler Ebene. Nicht die kulturelle
Relativität
und
ideologische
Unterschiedlichkeit,
sondern
wirtschaftliche
Produktivität und politische Macht sind die interessierenden Aspekte, denen er
besondere Aufmerksamkeit widmet. PARSONS beschreibt davon ausgehend
den Sachverhalt der Übernahme dieser Werte durch Gesellschaften, die diese
nicht durch eine Tradition begründen können, sondern vielmehr in der
Übernahme eine Art von Identifikation ausdrücken (vgl. PARSONS 1967:472).
Dies
bedeutet
jedoch
keine
Begründung
eines
gemeinsamen
Wert-
verständnisses
„Rather, it represents an instrumental consensus on the valuation of capacities,
at various levels of the organization of the society, to undertake whatever
activities may be deemed most important to the welfare of that society.“
(PARSONS 1967:472)
136
Darüber hinaus, so gibt PARSONS an, beinhaltet wirtschaftliche Produktivität
und politische Integration die Möglichkeit der Festigung der normativen
Ordnung gegenüber wirtschaftlicher Prädominanz in den unterschiedlichen
Subsystemen des internationalen Systems. Dies, so gibt er an, ist:
„the primary reason for the fact that present major conflicts are conceptualized
in political terms, in spite of the ideological prominence of economic
considerations“ (PARSONS 1967:472),
wobei die Autonomiefrage einen zentralen Stellenwert in dieser Thematik
einnimmt. PARSONS faßt dies im Sinn eines „Unterordnungsaspekts“
zusammen, was auf den Bereich der Wertallokationskompetenz hinführt (vgl.
PARSONS
1967:472f.).
In
systematischen
Zusammenhang
gebracht,
entwickelt PARSONS das Modell eines Systems, das folgende Merkmale
aufweist:
„The first of these comprises a set of minimum rules through which the
implications of these values are defined in practice within the system. The
second component is the structure of interests, which must be differenciated at
appropriate levels. The third is an ideology in which the system of reference is
defined as an empirical entity, rather than an ideology concerned merely with
value patterns which define directions of desirability.“ (PARSONS 1967:474)
Zusammengefaßt entwirft PARSONS in seinem Essay Polarization of the World
and International Order (1967) ein System, das neben der Polarisierung
insbesondere auf Wertorientierung basiert. Werte, so PARSONS, begründen
Vorbedingungen internationaler Ordnung (vgl. PARSONS 1967:487), wobei er
einräumt, daß sie
„be spelled out in concrete terms. Moreover, it is particularly important that they
be defined in terms of norms at a level of the procedures through which they
can best be implemented.“ (PARSONS 1967:487)
Ausgehend vom Aspekt der normativen Orientierung kann für PARSONS‘
Erklärungsansatz insgesamt gesehen angegeben werden, daß die Integration
des internationalen Systems im Zentrum der Analyse steht. Dabei kann der
Frage nachgegangen werden, wie das als soziales Makrosystem erfaßte
internationale
System
die
funktionalen
Erfordernisse
in
spezifischen
Subsystemen ausbildet.
137
Zusammenfassend läßt sich formulieren, daß die deskriptive Dimensionen der
Untersuchung
außenpolitischen
Entscheidens
und
Handelns
vor
dem
Hintergrund des Erkenntnisinteresses, das sich auf die Erforschung von
Frieden im internationalen System bezieht, in systemtheoretischen Modellen in
der Weise bearbeitet wird, daß der Untersuchungsgegenstand über die Bildung
von Taxonomien von im Entscheidungsprozeß relevanten Faktoren zu erklären
versucht wird. EASTON und PARSONS führen in diesem Rahmen eine Wertebetrachtung in ihre theoretischen Konzeptionen ein. Als Umfeldansätze sind
systemtheoretische
Konzeptionen
bemüht,
das
Entscheidungs-
und
Handlungsverhalten von Akteuren - Rollenträgern oder konkreten Einheiten mit den sie umgebenden Bedingungen eines übergeordneten Gesellschaftssystems zu deuten. Wer jedoch im konkreten Fall als Entscheidungsträger
betrachtet werden muß, wird unter Rückbezug auf das Umfeld als
Erklärungsvariable
nicht
weiter
ausgeführt.
Da
Individuen
in
makro-
soziologischen Konzeptionen ohnehin nur als Teilaspekt eines umfassenderen
Ganzen betrachtet werden, muß statt dessen über die Integrationsleistung des
Gesamtsystems hinsichtlich divergierender Interessen eine Zielorientierung in
Richtung Systemerhalt gedacht werden. Auf welche Weise Interessen
kooperativ oder konfligierend entstehen wird aber nicht behandelt, sondern
diese als Interaktionsmuster bzw. Störfaktoren in die Ansätze eingeführt und
mit Hilfe systemimmanenter Regelungsmechanismen „verarbeitet“.
Außenpolitische Entscheidungs- und Handlungsprozesse werden somit in der
Kategorie „Staatshandeln“ erfaßt, wobei Anlaß und Ziele von staatlichem
Handeln als selbstdefiniert angegeben werden. Die analytische Ebene, d.h. die
Erklärung von Entscheidungs- und Handlungsprozessen entwickelt sich somit
im Rahmen systemimmanenter Betrachtung und wird weder bei EASTON noch
bei PARSONS unter expliziter Nennung von Problemlösungsstrategien oder in
Zusammenhang mit Rückkoppelungsprozessen im internationalen System
behandelt,
obwohl
sich
gerade
die
systemische
Ebene
für
diese
Analyseperspektive eignet. Für die nomothetische Dimension kann dabei
angegeben werden, daß die vorgestellten Konzeptionen auf eine idealtypische
Weise die Wertebetrachtung als Grundlage heranziehen und dementsprechend
nur unzureichende Erklärungssätze für schematisch aufgezeigte Zusammen138
hänge liefern. Als zentrales Problem kann schlußfolgernd angegeben werden,
daß der Zusammenhang und die wechselseitigen Wirkungen zwischen der
Struktur und dem Akteur nicht ausreichend dargestellt werden. Zudem
„werden die personellen, sozialen und institutionellen Attribute des
Entscheidungsträgers vernachlässigt bzw. gehen im Rollenverhalten auf [...]."
(HAFTENDORN in Rittberger 1990:417).
Die Erörterung der Grenzen der Anwendung systemtheoretischer Ansätze im
Bereich der internationalen Beziehungen fokusiert somit insbesondere auf die
Implikationen der in den theoretischen Konzepten zugrunde gelegten
Prämissen. In diesem Zusammenhang erfolgt auch eine kritische Betrachtung
der Problemlösungsvorschläge in gesellschaftlichen Zusammenhängen.
5.3 Grenzen der Anwendung systemtheoretischer Ansätze im Bereich der
internationalen Beziehungen
Die Grenzen der Anwendung systemtheoretischer Konzeptionen lassen sich
sowohl anhand methodologischer, als auch inhaltlicher Art aufzeigen. Die
Differenzierung zwischen den Systemkonzepten allgemeiner und strukturfunktionaler Systemtheorie erfolgt dabei anhand der grundlegenden Variablen
in beiden Ansätzen.
Jede Wissenschaft hat ihre eigenen Begriffe, mit denen sie interessierende
Phänomene der Wirklichkeit zu beschreiben und zu erklären versucht. Die
Vielfältigkeit
der
Aspekte
auch
in
ausgewählten
Teilbereichen
realer
Zusammenhänge ist jedoch so immens, daß wissenschaftliche Modelle sich
dabei der Wirklichkeit nur annähern, diese jedoch nie exakt erfassen können.
Wird aber Wissenschaft und Wirklichkeit gleichgesetzt, d.h. wird Wissenschaft
für ungerechtfertigt wirklichkeitsnah gehalten, entsteht ein Reifikationsproblem.
Je komplizierter das theoretische Erklärungsmodell ist, desto eher kann
aufgrund der vermeintlichen Vollständigkeit desselben auch die Gefahr der
Reifikation auftreten. Vor dem Hintergrund des Anspruchs systemtheoretischer
Theoriebildung, wonach Theorie dazu dient
„ein Sprachspiel (eine semantische Ordnung) zu entwerfen, welches die
Definition universaler Probleme erlaubt“ (WILLKE 1993:9),
139
kann die Problematik der Reifikation insoweit deutlich gemacht werden, daß der
Begriff Universalität die Erfassung unterschiedlichster Bereiche der Forschung
anspricht, d.h. die interdisziplinäre Anschlußfähigkeit von Theorien, die die
Entwicklung
eines
einheitlichen
Begriffsapparates
zur
grundlegenden
Komparatistik von Systemproblemen und Lösungsmöglichkeiten, einschließt.
Die Behandlung von Problemen erfolgt dabei arbeitsteilig in den einzelnen
Disziplinen, die Lösung muß jedoch in der Gesamtschau erbracht werden. Im
Rahmen des systemtheoretischen Programms ist dies nicht erfolgt, womit die
angestrebte Erklärungs- und Problemlösungsfähigkeit als relativ eingeschränkt
zu
betrachten
ist.
Der
im
Makroansatz
der
Konzeption
enthaltene
Allgemeinheitsanspruch, der sich auf den ausgewählten Geltungsbereich
bezieht, kann somit nicht schlüssig erfüllt werden.
Systemtheoretische Ansätze haben im Bereich der Makroanalysen zwar neue
Überblicke hinsichtlich gesamtgesellschaftlicher Zusammenhänge ermöglicht,
allerdings aufgrund weitreichender Abstraktion aus dem historischen Kontext.
Da der formale Charakter des systemtheoretischen Theoriegebäudes bedingt,
daß
erst
durch
Generalisierungen
die
systemische
Betrachtung
des
ausgewählten Untersuchungsbereichs erfolgen kann, müssen aus einem
Gesamtzusammenhang Teile hervorgehoben und in einen Merkmalszusammenhang gestellt werden. Dies ist insofern problematisch, da im
Zusammenhang mit den zu erklärenden Aspekten die sie beeinflussenden
Elemente nicht konstant sind - oder nur unter entsprechend weitreichenden
Kriterien als konstant angenommen werden können. Im Rahmen der
Bestimmung von Variablen kommt zudem erschwerend hinzu, daß deren
Definition zum Teil durch Deskription ersetzt wird, wobei die Gefahr der
Tautologie gegeben ist. Im Bereich der angestrebten Taxonomien bedingt
dieser Sachverhalt, daß aus Hypothesen schnell Ist-Aussagen abgeleitet
werden.
Unter der Vorannahme der Allgemeinheit von Merkmalen, seien dies
Verhaltensweisen oder Motivationen, die zwar offensichtlich sind, aber nicht
wissenschaftlich bewiesen, bleiben die Variablen-Beziehungen in systemtheoretischen Ansätzen dabei oft unklar, d.h. ihr Zusammenhang und die sie
bedingenden Konsequenzen lassen sich nicht überprüfen und Variablen
140
bleiben somit oft reine Merkmalssammlungen. Die Hypothesenbildung im
Rahmen systemtheoretischer Ansätze gerät in diesem Zusammenhang leicht in
Gefahr, die empirische Überprüfbarkeit nicht durch die Erfüllung bestimmter
Kriterien untermauern zu können. Das Theoriegebäude ist insgesamt empirisch
schwer zugänglich und nur bedingt umzusetzen.111
Die als deskriptive Theorie verstandene Konzeption ist im sozialwissenschaftlichen Bereich auf bestimmte gesellschaftliche Ebenen und bestimmte
Arten von Problemen gerichtet. Das grundlegende Moment der Erfassung von
Wirklichkeit ist die Rekonstruktion sozialer Phänomene als System. Die dabei
notwendige Differenzierung zwischen Wirklichkeit und theoretischem Modell
kann an folgendem Beispiel deutlich gemacht werden:
Ein technisches System wird als funktionierend angesehen, wenn es die
Resultate erbringt, die bei seiner Konstruktion zur Zielerreichung vorgegeben
wurden, z.B. ein Raketenantrieb. Der Systembegriff ist dabei 1. für den
ablaufenden Prozeß innerhalb des Raketenantriebs verwendbar und 2. für die
Vorstellung, die ein Betrachter mit dem „Gebilde“ eines Raketenantriebs
assoziiert. Soziale Gebilde, als Systeme aufgefaßt, sind jedoch nicht
konstruiert, d.h. nach einem bestimmten Plan entworfen. In der theoretischen
Rekonstruktion werden lediglich ausgewählte Objekte der sozialen Wirklichkeit
als analytische Systeme - im Bereich der Sozialwissenschaften sind es
beispielsweise Handlungssysteme - abgebildet. Dabei werden Variablen mit
bestimmten Ausprägungen und Beziehungen untereinander angenommen,
wobei durch die Bestimmung unterschiedlicher Ausprägungen von Variablen
deren Werte variieren können, somit Veränderungen von Systemelementen
beobachtbar werden und auf diese Weise die Annahme von Ablaufprozessen
zulassen.
111
In
diesem
Sinn
weisen
Handlungssysteme
bestimmte
Bei MIEBACH (1984) findet sich die Ausführung dieser Problematik in besonders
anschaulicher Form am Beispiel der strukturalistischen Handlungstheorie PARSONS’. An
dieser Stelle soll allerdings aus Gründen der thematischen Begrenzung lediglich auf die
unterschiedlichen Ebenen der Behandlung dieser Thematik verwiesen werden. MIEBACH
leitet die Entwicklung des Erklärungsprogramms in der Weise her, daß er die Ebenen der
Formalisierung von der Wissensstruktur über die theoretisch-logischen Elemente hin zu
empirisch-referenziellen Komponenten gliedert und diese jeweils problemorientiert auf den
Gehalt der zugrunde gelegten Grundhypothesen überprüft. Als Ergebnis findet sich die
Bestätigung der Aussage, daß der Bezug zur empirisch-referentiellen Ebene in den Arbeiten
PARSONS’ nebulös bleibt.
141
Regelmäßigkeiten auf, die als Teilaspekt der Wirklichkeit, d.h. der real
ablaufenden Prozesse, im Rahmen von Systemmodellen erfaßbar sind. Hier
liegt ein weiterer problematischer Aspekt systemtheoretischer Erklärungsmodelle, denn der der Systemtheorie allgemein anhaftende Vorwurf des
Mangels der Prämissenreflexion verweist auf die Gefahr einer verborgenen
Ontologie. Dies bedeutet in
der Konkretisierung möglicherweise
eine
unreflektierte Akzeptanz sozialer Sachverhalte, die kritisch hinterfragt werden
müßten.
Im Rahmen der Anwendung systemtheoretischer Konzeptionen von Vertretern
der allgemeinen Systemtheorie wird zunächst der Untersuchungsbereich der
internationalen Beziehungen in verschiedene Anwendungsbereiche aufgegliedert,
wobei
interdependente
Aktionsebenen
gekennzeichnet
werden
müssen, so z.B.:
1.
das weltpolitische Interaktionssystem als Subsystem des internationalen
Weltsystems, wobei Akteure als Einheiten bestimmbare Beziehungen
zueinander haben. Das Systemverhalten an sich ist in diesem Bereich von
Interesse.
2.
regionale Subsysteme, die Zusammenschlüsse wie z.B. die NATO oder die
Europäische Union, darstellen
3.
nicht-regionale spezifische bi- oder multilaterale Beziehungsgeflechte, wie
z.B. die UNO
4.
5.
außenpolitische Interaktionsprozesse
intranationale Prozesse, die Einfluß auf außenpolitische Entscheidungsund Handlungsvorgänge haben
6.
transnationale Korporationen (vgl. BUSSE-STEFFENS 1980:127f).
Auf den unterschiedlichen Aktionsebenen wird dann versucht, unterschiedliche
Sachverhalte im internationalen System aufeinander zu beziehen und ihren
Systemcharakter herauszustellen. Dabei müssen die grundlegenden Variablen
beschrieben und ihre Beziehungen untereinander ermittelt werden.
142
„Für die Beziehungen werden Regeln aufgestellt, die in Bezug auf den
Systemerhalt normativen Charakter haben. Unter diesen Bedingungen lassen
sich systematische Wirkungszusammenhänge in technischen, ökonomischen
und politischen Bereichen feststellen.“ (BUSSE-STEFFENS 1980:132).
Der Fokus der Erklärungsperspektive hinsichtlich interessierender Sachverhalte
richtet sich dabei z.B. auf ein internationales politisches System, dem die
Eigenschaft bzw. die Funktion der Wertzuweisung zugeschrieben wird. Als
Vorannahme muß hier jedoch gelten, daß ein wesentliches Moment der
Erfassung des Gesamtsystems das Fehlen einer zentralen Entscheidungsinstanz mit bindender Durchsetzungskraft von Regelungen ist. Entsprechend
kann nur der Sachverhalt des politischen Handelns auf den Bereich der
Erfassung der internationalen Beziehungen übertragen werden, was die
Thematisierung einer gewissen Koordination von unterschiedlichen Interessen
hervorruft. Die friedliche Regelung von Konflikten im internationalen Rahmen
verläuft dabei vornehmlich über Verhandlungen. Der Bereich der internationalen Beziehungen kann auf diese Weise auch als Interaktionsfeld der
Weltpolitik verstanden werden, wobei Bezug auf alle Bereiche globaler
Beziehungen
genommen
transnationale
wird,
Interaktionen.
d.h.
internationale,
Angestrebt
wird
so
multinationale
die
Benennung
und
der
unterschiedlichen Analyseebenen der internationalen Politik ebenso wie die der
internationalen
Beziehungen
(vgl.
BUSSE-STEFFENS
1973:29f.).
Das
Interaktionsfeld der Weltpolitik, im hier verstandenen Sinn, weist demzufolge
bestimmte Akteure (Individuen, Staaten oder Gruppen) auf verschiedenen
Aktionsebenen (z.B. regionale Subsysteme, multilaterale Beziehungsgefüge
oder transnationale Aktionssysteme) auf, die interagierend ein System bilden.
Dabei können sowohl Aktionen als auch die Reaktionen in ihrem systemischen
Zusammenhang ins Blickfeld treten. Im Rahmen kybernetischer Systemvorstellungen aus dem Bereich der Allgemeinen Systemtheorie wird hierbei die
Vorstellung eines input-output-Mechanismus auf den weltpolitischen Bereich
übertragen,
anhand
dessen
die
Identifizierung
der
außenpolitischen
Entscheidungs- und Handlungsprozesse ermöglicht werden soll.
143
Bei der Untersuchung von Problembereichen lassen sich dann die Grenzen der
Anwendung
insoweit
lösungsstrategien
erschließen,
Problembereiche
daß
zunächst
hinsichtlich
einmal
von
dargestellt
Problemwerden
müssen. Die Untersuchung des internationalen Systems, als Interaktionsfeld
betrachtet, fokusiert auf den individuellen Akteur als kleinster Einheit. Normativ
begründete Interaktionen, als Handlungssequenzen verstanden, werden dabei
in Form ihrer Problemlösungskapazität in bezug auf systemintegrierende
Regelungsmechanismen in die Gesamtkonzeption aufgenommen. Politisches
Handeln muß jedoch als zweck- und zielorientiert in die theoretische
Konzeption einfließen. Der Grundbegriff des Interesses tritt dabei ins Zentrum
der Erörterung. In diesem Zusammenhang werden Begriffe wie Wahrnehmung
und Nützlichkeit, Macht, Kooperation und Konflikt definitionsbedürftig und
können nicht im Rahmen einer „Systemrationalität“ erfaßt werden. Mit Hilfe
systemtheoretischer
Ansätze
wird
jedoch
Konflikt
in
seinen
diversen
Ausprägungen als Systemzustand ermittelt und dabei als eine systeminterne
Integrationsschwäche, die sich explizit auf das politische (Sub-)System bezieht,
gedeutet.
EASTONS Ansatz erfaßt in diesem Zusammenhang das politische System als
einen grenzeinhaltenden Satz von Interaktionen, der in andere gesellschaftliche
Systeme eingebettet und ihrem Einfluß ausgesetzt ist. Der außenpolitische
Entscheidungsprozeß wird aber nicht näher thematisiert, sondern statt dessen
im Rahmen des input-output-Modells über Anforderungen und Leistungen
diskutiert.
Es
entfällt
weiterhin
die
Verdeutlichung
interdependenter
Beziehungen zwischen politischen und gesellschaftlichen Anforderungen,
sowie die Erörterung internationaler Vernetzung. Die Verkürzungen des
EASTONschen Ansatzes können anhand der Erweiterungen, die CZEMPIEL
(1981) vornimmt, deutlich gemacht werden, wobei bereits an dieser Stelle
darauf hingewiesen werden muß, daß auch CZEMPIELs struktur-funktionaler
Ansatz in der Operationalisierbarkeit große Probleme aufweist und sich das
gebrochene Gittermodell (vgl. CZEMPIEL (1981) nur schwer mit empirischen
Daten füllen läßt.
Mit der Einführung funktionaler Sachbereiche in die theoretische Konzeption
versucht CZEMPIEL, die vielfältigen Aspekte außenpolitischer Entscheidungs144
und Handlungsprozesse umfassend zu thematisieren. Der Zusammenhang
zwischen politischem System und Gesellschaft wird dabei in der Weise zu
verdeutlichen versucht, daß vor dem Hintergrund des sich in Richtung
Globalisierung verändernden Weltgefüges neben dem politischen Subsystem
auch andere gesellschaftliche Gruppen Kompetenzen haben können – wenn
auch nicht in rechtlicher Form. Darüber hinaus generiert das internationale
System, welches die Umwelt des politischen Systems in Form eines
Handlungszusammenhangs in den internationalen Beziehungen beschreibt,
infolge der zunehmenden Interdependenz ebenfalls eine Verteilung von Werten
– wiederum nur faktisch, nicht rechtlich autoritativ, da keine Rechtssprechungsinstanz mit Sanktionsgewalt vorhanden ist. Erörtert wird in
CZEMPIELs theoretischem Ansatz somit vornehmlich die Gleichsetzung des
Prozesses
der
Wertzuweisung,
der
Kontextverschiedenheit
und
der
Problemlösungskapazität eines erweiterten Politikbegriffs. Die Unterscheidung
von
Innen-
und
Außenpolitik
entfällt,
da
die
Mittelauswahl
bei
der
Wertzuweisung thematisiert wird und das politische System sowie bestimmte
gesellschaftliche Gruppen innerhalb des Umfeld-/Umwelt-Zusammenhangs
zugunsten der Wertallokation handeln, woraus sich die Entscheidung für
adäquate Mittel zur Zielerreichung ergibt.
Durch die Verknüpfung von Systemtheorie und Funktionalismus im Rahmen
des Strukturfunktionalismus entwickelt sich die Perspektive der Differenzierung
von Struktur und Funktion, die es erlaubt, Strukturwandel in Zusammenhang
mit Funktionsveränderungen zu betrachten. Die damit verbundene Gleichsetzung eines Organismus und seiner funktionalen Bedürfnisse führt im
Analogiebildungsprozeß zur Auffassung von Gesellschaft als Organismus und
einer Verhaltensinterpretation im organizistischen Sinn, wobei das gesellschaftliche System nicht aus Personen, sondern aus Rollen besteht, denen
bestimmte Funktionen unterstellt werden. Damit wird eine weitere Problemstellung in der Modellierung sozialer Sachverhalte angesprochen, die die Kritik
am funktionalistischen Aspekt sozialwissenschaftlich gewendeter Systemtheorie ansetzen läßt.
145
Das Programm des Funktionalismus in der Politikwissenschaft gliedert sich in
drei unterschiedliche Richtungen, die vom ekklektischen über den empirischen
Funktionalismus hin zum struktur-funktionalen Ansatz reichen (vgl. BEYME
1980:104ff.). Der folgende Abschnitt beschäftigt sich dabei mit der Kritik sowohl
des empirischen Funktionalismus als auch des Strukturfunktionalismus, da
beide Richtungen in die Erklärungsansätze sozialwissenschaftlicher Systemtheorie eingegangen sind und in ihrer Verknüpfung nicht eindeutig differenziert
werden.112 So behandelt der empirische Funktionalismus, wie ihn z.B. Robert
MERTON vertrat, lediglich die Anpassung an ein gegebenes System nach
latenten und manifesten Funktionen in der Form, daß letztgenannte von den
Individuen
nicht
beabsichtigt
oder
erkannt
werden
und
damit
die
Differenzierung zwischen Funktionen und Motiven möglich wird (vgl. BEYME
1980:105).
Der struktur-funktionale Ansatz PARSONS’ strebt hingegen eine umfassende
Erklärung institutionalisierten Verhaltens im Rahmen von sozialen Rollen an.
Dabei wird der Ist-Zustand der Auswahl der soziologisch interessierenden
Sachverhalte fokusiert und der als System begrifflich gefaßte, aus einer
Gesamtheit herausgenommene Teilbereich systematisch analysiert. Nach der
Benennung von vier grundlegenden Funktionen, deren Erfüllung für den
Bestand des Systems notwendig ist, erfolgt die Identifizierung von vier
Systemeigenschaften, anhand derer der Ausgangspunkt des Erklärungsansatzes überprüfbar gemacht werden soll. Eine allgemeine Theorie des
Handelns, die die Interaktionen von Handelnden, die ein System bilden,
beschreibt, wird zur Vervollständigung der Gesamtkonzeption unterlegt. Die
Systemdefinition des struktur-funktionalen Ansatzes legt dabei als Variablen,
mit deren Hilfe die Interaktionen und Beziehungen des Systems erfaßt werden
sollen, analytische Einheiten, d.h. soziale Rollen, fest. Dies führt bei der
Operationalisierung zu Problemen, die sowohl den Rollenbegriff113 an sich
berühren, als auch die Vernachlässigung der raum-zeitlichen Kontextualisierung der Rolle und schließlich ebenfalls den Einfluß des Rollenträgers auf
das spezifische Rollenverhalten vernachlässigen. In Zusammenhang mit der
112
Siehe z.B. SCHÜTTE (1971).
146
Organismus-Analogie, die das „Überleben“ als Bezugspunkt der funktionalen
Analyse aufweist, kann die Problematik folgermaßen deutlich gemacht werden:
PARSONS‘
theoretisches
Konzept
wird
auf
der
Grundlage
einer
Sozialisationstheorie, in der Persönlichkeitsbildung als relativ einseitiger Prozeß
der Verinnerlichung gesellschaftlicher Werte durch das Individuum aufgefaßt
wird, entwickelt. Das Individuum geht in diese Konzeption als nahezu passives
Objekt des Sozialisierungsprozesses ein, wobei die Gesellschaft nach ihren
Bedürfnissen und aufgrund der individuellen Eigenschaft von „Plastizität“
Verhaltensweisen
quasi
individuelle
veränderliche
und
implementiert.
Vernachlässigt
Komponente
der
wird
Kognition,
dabei
die
die
keine
unwesentliche Größe im Gesamtkomplex des als System rekonstruierten
empirischen Zusammenhangs und der unterstellten Zielorientierung der
Erhaltung des Gleichgewichtszustandes ausmacht. PARSONS leitet jedoch auf
diese Weise theoretisch her, daß das Individuum immer das will, was die
Gesellschaft erwartet.
„The key question associated with this approach concerns whether the
individual persons are socialized to conform to these expectations or whether
the socialization system „misfires“ or fails in some way and deviant behavior
occurs, in which case an ancillary set of mechanisms, usually categorized
under the heading of „social control“, is called into play.“ (MÜNCH/SMELSER in
Alexander/Giesen/Münch/Smelser 1987:380).
Bedürfnisse werden dabei durch gesellschaftliche Werte definiert, d.h.
Zielvorstellungen von Personen werden mit denen des Systems überlagert und
so die Bedürfnisbefriedigung des einzelnen und die funktionalen Erfordernissen
des Gesamtsystems gleichgesetzt. Die Beschreibung von Rollengeflechten
ersetzt dabei die Untersuchung individuellen Verhaltens, wobei die Gruppe und
der Überlebensaspekt des gesellschaftlichen Organismus identifiziert wird,
ohne jedoch die Personenmenge zu betrachten (SCHÜTTE 1971:28). In der
Konkretisierung bedeutet dies, daß einzelne soziale Erscheinungen nicht
isoliert erfaßt, sondern in ihrer Beziehung zu einem umfassenden Ganzen
untersucht werden.
113
Bei der Operationalisierung des Rollenbegriffs, d.h. Rollenerwartung, Rollenwahrnehmung
und Rollenverhalten, müßte ein Durchschnitt der Konzepte angezeigt werden.
147
In der Übernahme eines organizistischen Modells auf den Bereich der
Sozialwissenschaften entwickelt das gesellschaftliche System, als übergeordnete Größe, dann die Zielvorstellung auf einen Gleichgewichtspunkt hin.
Gleichgewicht wird folglich zu einer zentralen Kategorie im struktur-funktionalen
Ansatz (vgl. SCHÜTTE 1971:30). Eine explizite Definition von Gleichgewicht
bleibt aber aus, d.h. relevante Eigenschaften werden nicht genannt, sondern
lediglich funktional die Gleichgewichtsabhängigkeit des Systems von ausgewählten Elementen angegeben, wodurch die Formulierung von Aussagen
ausbleibt. Statt dessen versucht PARSONS über den Begriff der Integration im
Rahmen der sozialen Rolle und die Benennung von Werten, was kein Ziel im
eigentlichen Sinn ausmacht, die Grundlage seiner theoretischen Annahmen
herzuleiten. Psychologisch betrachtet wird dabei die Thematik von Widerstand
ausgeblendet und entlang der gewählten Argumentationslinie die Herleitung der
Notwendigkeit
von
strukturellem
Wandel
unterlassen,
beziehungsweise
struktureller Wandel nur als abnorm erfaßbar gemacht (vgl. DAHEIM in
Endruweit 1993:42f.). Inhaltlich weist die theoretische Konzeption PARSONS‘
damit die Problematik einer stark konservativen Perspektive auf. Als Kritikpunkt
läßt sich hier insbesondere die statische Perspektive auf der ideologischen
Ebene anführen. PARSONS kann unterstellt werden, daß der Begriffsapparat
seines theoretischen Ansatzes eine Bestätigung des Status quo bestehender
Verhältnisse impliziert und soziale Ungerechtigkeiten mit der Überbetonung
normativer Elemente des Handelns überdeckt.
Idealtypisch dem Konzept der Sozialisation folgend kann weiterhin das
Machtkonzept, das PARSONS entwirft, als altruistisch geprägt aufgefaßt
werden. Gewaltanwendung zur Durchsetzung von Interessen gegenüber
anderen, als Widerspruch dazu, kann nicht aufgezeigt werden. Antagonistische
Interessen sind in dieser Konzeption ohnehin nicht Gegenstand der Erörterung.
Die Konsequenz ist ein Gesellschaftsbild, das einheitlich und integriert ist und
in dem Interessen kollektiv entwickelt werden. Macht zur Erreichung kollektiver
Ziele wird im Ansatz des altruistischen Verhaltens des Individuums in diesem
Sinn als rationales Verhalten aufgefaßt (vgl. DAHEIM in Endruweit 1993:41f.).
Zwischen Herrschenden und Beherrschten bestehen jedoch Divergenzen und
148
daher ist der Aspekt der Machtauflösung als rationales Interesse der
(beherrschten) Individuen aufzufassen. PARSONS Akteure fallen jedoch nicht
mehr in die Kategorie „Subjekt“ oder „Individuum“, sondern sind vielmehr
Befolger von Normen und Werten mit der Zielsetzung der Erhaltung des
Systembestandes. Die Entscheidungsträger vertreten dementsprechend nicht
individuell-subjektive Sichtweisen, sondern folgen bei ihren Entscheidungen
dem Selbstverständnis der Institutionen, die sie repräsentieren.114 Unter
Vernachlässigung
der
Intentionen
der
Handelnden
können
schließlich
Konsequenzen nur dargestellt, nicht aber erklärt werden. An dieser Stelle kann
auch hinsichtlich der Diskrepanz zwischen funktionaler und kausaler Analyse
ein wesentliches methodologisches Problem des Strukturfunktionalismus
herausgestellt werden.
Das Grundmuster der funktionalen Analyse fokusiert ein Phänomen A als
Objekt
der
Untersuchung
in
einem
System
S,
wobei
S
als
im
Gleichgewichtszustand R befindlich angenommen wird. Ziel ist der Nachweis,
daß A unter systeminternen Bedingungen C und systemexterne Bedingungen E
Wirkungen erzeugt, die ein funktionales Erfordernis von S (oder eines
Teilsystems TS) darstellen, also eine Bedingung B zu erfüllen ist, um den
Systemerhalt zu gewährleisten.115 Das funktionale Argument lautet dann:
Das System S ist unter gegebenen systeminternen Bedingungen C und
systemexternen Bedingungen E im Gleichgewichtszustand R, wenn die
Bedingung des Systemerhalts durch die Wirkung von A gegeben ist. A
beeinflußt also S. Vernachlässigt wird jedoch die Begründung für A, die
Bedingung B zu erfüllen. Der Funktionsbegriff in der Soziologie bezieht sich
somit auf Phänomene, die als Wirkungen die Relevanz der ihnen zugrunde
liegenden Ursachen definieren. Dies birgt die Gefahr, die substantielle und
evolutionistische Perspektive des sozialen Ganzen zugunsten einer Sicht
aufzugeben, die Gesellschaft als Ergebnis des Zusammenwirkens seiner Teile
aufgrund latenter Teleologie begreift. Teleologische Aussagen beziehen sich
dabei auf die soziale Rolle, Prozesse oder Strukturen, die als Ursachen
114
Institutionen sind in diesem Zusammenhang einerseits für die Bedürfnis-befriedigung der
Individuen aufgezeigt, andererseits jedoch werden Institutionen die Erfüllung von notwendigen
Systembedingungen unterstellt, so daß wiederum nur die Erklärung des gesellschaftlichen
Gleichgewichts erfolgt (vgl. SCHÜTTE 1971:16).
149
verstanden in einem System bzw. gesellschaftlichen Kontext ihre objektiven
Konsequenzen für den betrachteten Gesamtzusammenhang aufweisen.
Bei dauerhaften gesellschaftlichen Aktivitäten, die relativ konfliktfrei ablaufen,
ist es infolge der theoretischen Beliebigkeit der funktionalen Erklärung sehr
wohl möglich, eine positive gesellschaftliche Funktion zu entdecken und ihre
Existenz
damit
zu
rechtfertigen.
Insofern
können
im
Rahmen
des
sozialwissenschaftlichen Funktionalismus, der mit der Identifizierung des
Zustandes funktionaler Harmonie einher geht, soziale Konflikte nur als Störung
des gesellschaftlichen Gleichgewichts wahrgenommen werden. Das Problem
dabei ist die Konfliktunterdrückung. Hierbei kann zwar ein Beitrag zu einer
funktionalen Konsistenz und scheinbarer gesellschaftlicher Harmonie geleistet
werden,
realpolitisch
jedoch
großes
Konfliktpotential
provoziert
und
Ungerechtigkeiten großen Ausmaßes begründet werden. Denn wenn normlose
soziale Zustände erklärt werden müssen, kann als Basis wiederum nur die
Gemeinsamkeit von Werten und Normen, die als gesellschaftliche Ordnung
den Bezugspunkt bilden, genannt werden, wobei der tendenziell normative
Charakter der Systemtheorie bedingt, daß konsensusdominierte Aspekte
vorherrschend
sind
und
Integration
als
wesentlichen
Aspekt
der
Handlungsweisen thematisieren und somit
„Konfliktmuster unter dem Aspekt ihrer Behebung“ (PAWELKA 1973:45)
in
die
Untersuchung
sozialwissenschaftlich
einfließen.
gewendeter
In
diesem
funktionaler
Sinn
wird
im
Systemtheorie
Rahmen
versucht,
Ursachen und Konsequenzen von Handlungsweisen darzustellen, wobei
stabilisierende Aspekte zur Diskussion stehen. Die Logik der Argumentation
funktionaler Erklärung weist somit fragwürdige Züge auf, denn
„die Erklärungsabsicht orientiert sich an einem Wissenschaftsideal, das
Abstraktionsniveau mit Allgemeinheit verwechselt, und die Wahrnehmung der
gesellschaftlichen Realität in den Kategorien tradierter Problemstellungen
unreflektiert mit der Wirklichkeit von Gesellschaft in eins setzt“ (SCHÜTTE
1971:1)
115
Zur Vereinfachung wird die Zeitkomponente t in diesem Schema vernachlässigt.
150
Dies ist die Denkweise der funktionalen Argumentation und zugleich ihr
Dilemma:
Das
Verhältnis
von
causa
finalis,
d.h.
der
Gesetze,
die
gesellschaftliche Entwicklung als von einem Endzweck oder Endziel her
bestimmt begreifbar machen, und causa efficienz (vgl. DAHEIM in Endruweit
1993:24ff.).
DÖBERT
führt
darüber
hinaus
an,
daß
funktionale
systemtheoretische Theorieansätze als Theorien sozialen Handelns seit ihrer
ersten systematischen Analyse durch Max Weber außerdem keine Erweiterung
haben bringen können, da keine erklärenden Generalisierungen aus ihnen
ableitbar waren, und sie lediglich
„ein für Klassifikationszwecke
Interpretationsschema“ (1973:9).
halbwegs
brauchbares
Kategorien-
und
abgeben.
Die Übertragung des funktionalen Systemmodells auf den Bereich der
internationalen Beziehungen kann als Versuch verstanden werden, die
internationale Gesellschaft als System mit verschiedenen Subsystemen zu
betrachten. Das internationale System als Ebene der Analyse umfaßt dabei die
Gesamtheit aller im System und seiner Umwelt stattfindenden Interaktionen,
die als politische Interaktionen eine funktionale Spezifizierung erfahren. Die
Welt als System aufzufassen ist jedoch problematisch, da es keine Grenze
nach Außen gibt. Diese Ebene bedingt darüber hinaus Verallgemeinerungen im
höchsten Maß, denn sie ist in einer Weise umfangreich, die einen notwendigen
Grad
an
Gleichförmigkeit
der
außenpolitischen
Entscheidungs-
und
Handlungsnormen der nationalen Akteure annehmen muß. Der Verhaltensspielraum der Handelnden kann dabei stark eingeengt werden, da die
Betrachtung des Gesamtsystems im Mittelpunkt steht. Untersucht werden
Internationale
strukturelle
Beziehungen
Tendenzen
des
in
ihrem
systematischen
Gesamtsystems
und
Zusammenhang,
dessen
Stabilitäts-
bedingungen. Es besteht die Gefahr der Abstraktion und einer damit
einhergehenden mangelnden Erklärungskraft.
Gemäß der theoretischen Prämissen werden insbesondere die Erhaltung des
internationalen Systems und die dazu notwendigen Funktionserfüllungen
151
thematisiert. Problematisch sind dabei folgende Aspekte: Der bereits oben
genannte Sachverhalt des Fehlens eines politischen Entscheidungssubsystems
läßt die Übertragbarkeit des für die Untersuchung eines national-staatlich
verfaßten Gemeinwesens konzipierten Erklärungsansatzes auf den internationalen Interaktionszusammenhang als unangebracht erscheinen, da keine
Allgemeinheit
der
Analysebereiche
Gesellschaft/internationales
System
bestehen, und folglich ist das dem Ansatz unterliegende Integrationsmodell
auch nicht geeignet, die Bedingungen und Konsequenzen außenpolitischer
Entscheidungs- und Handlungsweisen auf internationaler Ebene adäquat zu
erfassen. Die Erkenntnisse auf dieser Ebene bieten nicht die Basis für kausale
Aussagen, sondern nur die Möglichkeit der Herleitung von Korrelationen.
Schwierig erscheint ebenfalls die Kennzeichnung der, für die Erhaltung des
internationalen
Systems
notwendigen
Funktionserfüllung
durch
diverse
Subsysteme. Weiterhin kann als Argument für die Nichtübertragbarkeit des
struktur-funktionalen Ansatzes auf die internationalen Beziehungen die
Tatsache, daß das internationale System nicht als ein Akteur erfaßt werden
kann, angeführt werden. Eine Zielorientierung hinsichtlich des Systemerhalts
kann somit in keinster Weise unterstellt werden.
Die Differenzierung unterschiedlicher Analyseebenen ermöglicht jedoch die
Betrachtung eines Nationalstaates als Untersuchungsbereich, wobei mehrere
Aktionsebenen, die weltpolitisch relevant sein können, ins Blickfeld treten. Die
Definition der gesellschaftlichen Entitäten muß einleitend angegeben werden,
um zu verdeutlichen was den Nationalstaat ausmacht, d.h. wer als Akteur in
Erscheinung tritt (Individuen, Gruppen von Individuen oder eine soziale
Einheit). Außenpolitische Entscheidungs- und Handlungsansätze sind in
diesem Bereich zu suchen. Wird allerdings der Staat als Entscheidungsträger
zum
Untersuchungsobjekt
und
Handlung
als
Staatshandeln
erfaßt,
„verkommen“ individuelle und kollektive Akteure zur black-box. Die Definition
der Situation, die Auswahl der Handlungsstrategien und die Bewertung der
Konsequenzen, unter Berücksichtigung des internen und externen Rahmens,
können dann nicht auf der individuellen Ebene erfaßt werden (HAFTENDORN
in Rittberger 1990:405ff.). Ein so gelagerter Ansatz vernachlässigt sowohl die
152
Erläuterung des Zusammenhangs von Entscheidungsträgern und Umfeld (vgl.
BEYME 1980:109), d.h. den Sachverhalt, daß Persönlichkeit und soziale Rolle
außenpolitisches Verhalten determinieren, als auch die Bestimmung wann
Bedingungen aus dem Umfeld und der Umwelt als Einflußfaktoren zu gelten
haben. Auf dieser Ebene können so lediglich korrelative Aussagen angeregt
werden, die ansatzweise durch kausale ersetzt werden müssen.
Zusammenfassend
läßt
sich
für
die
Anwendung
systemtheoretischer
Konzeptionen auf den Bereich der internationalen Beziehungen formulieren,
daß
die
Unvollständigkeit
der
Gesamtkonzeption
bei
der
Analyse
interessierender Sachverhalte Interpretationen und die Reformulierung von
Fragestellungen bedingt (vgl. SCHÜTTE 1971:2). Weiterhin läßt die Sprache
wenig Platz für Kritik, wodurch die Durchsichtigkeit der Formulierung
eingeschränkt wird und alternative Deutungen möglich werden. Auch ist der
Fokus auf ein rudimentäres politisches System, das sich hauptsächlich mit
Fragen der Integration des Staatensystems beschäftigt, stark normativ geprägt.
Da Einheiten aus Handlungen und Verhalten, nicht aus Personen bestehen,
sind typenmäßige Wiederholbarkeiten angezeigt. Über den Aspekt der
Wertzuweisung werden das nationale und internationale System auf den Punkt
zusammengeführt, daß alle Akteure in wertallokativem Zusammenhang in der
internationaler Politik involviert sind. Entwicklung bzw. Fortschritt wird dabei als
Komplexitätssteigerung des Systems erfaßt. Die Notwendigkeit sozialen
Wandels ist in einer solchen Konzeption nicht als Analysegegenstand
auszumachen.
Insgesamt wird deutlich, daß
„das analytisch funktionale Systemmodell nicht die Phänomene internationaler
Beziehungen zufriedenstellend erfaßt, und daß es zusätzlich wegen seines
hohen Abstraktionsgrades und seiner kaum operationaliserbaren Begriffe
theorieorientierte empirische Forschung mehr erschwert als erleichtert.“
(SIMONIS 1973:72)
Einsetzbar
ist
dieses
theoretische
Konzept
jedoch,
wenn
einerseits
Strukturmuster als Handlungsergebnisse aufgefaßt und/oder die intermediäre
Ebene von Organisationen und Institutionen analysiert werden soll. Für
Bestandsprobleme können auf der Grundlage funktionaler Deskription und in
153
einer anschließenden gesonderten Kausalanalyse alternative Lösungswege
aufgezeigt werden. Der Strukturfunktionalismus kann so als Zugang zu bzw.
Systematisierungs-möglichkeit der Fülle von Vorgängen, Strukturen, Fakten
und Verläufen dienen. Wesentlich für die Methode ist dabei ein Analogieprinzip.
Die Funktionsbezogenheit bedingt dabei Erklärungen nicht-kausaler Natur,
sondern teleologischer Konstruiertheit.
5.4 Rationale Akteure als Träger von Entscheidungen im Bereich der
Internationalen Beziehungen
Im folgenden Abschnitt wird ein Überblick über die Verwendung der Theorien
des rationalen Handelns in den Internationalen Beziehungen gegeben, wobei
insbesondere auf die Ansätze fokusiert wird, die auf der Prämisse der
rationalen Interessenverfolgung sozialer Akteure basieren und weiterhin
mögliche Divergenzen individueller und kollektiver116 Rationalität thematisieren
oder mit explizit formalen Methoden arbeiten.
Im Rahmen der akteurstheoretischen Betrachtung geht es im wesentlichen um
die Erklärung kollektiver Phänomene unter Rückbezug auf die individuelle
Ebene. COLEMAN (1987) entwickelt die Analysesperspektive anhand von
unterschiedlichen Ebenen, die eine Diskussion im Rahmen der Mikro-Makro
Problematik erlaubt. Hierbei dienen
Annahmen
des
methodologischen
Individualismus als Grundlage der Akteursbetrachtung. Dabei liegt z.B. der
thematische Schwerpunkt in der Verbindung von wirtschaftlichem Verhalten
(auf der Mikroebene) und Kapitalismus (auf der Makroebene) liegt dabei der
thematische Schwerpunkt. An dieser Stelle kann diskutiert werden, ob und wie
gesellschaftliche
Phönomene
aus
Interaktionen
zwischen
Indidividuen
hervorgehen.
Im Rahmen der Charakterisierung des Akteurs werden Handlungsweisen mit
dem Attribut der „Nützlichkeit“ belegt und der aus der Ökonomie abgeleitete
Diskurs über Rationalität in die Erörterung eingeführt. Im Rahmen der
116
Die Analyse der Logik kollektiver Entscheidungen wird explizit unter der Bezeichnung Social
Choice vorgenommen (vgl. KERN/NIDA-RÜMELIN 1994).
154
Handlungstheorie und insbesondere durch die zur Präzisierung unterlegte
Wert-Erwartungs-Theorie (auch SEU-Theorie) handelt es sich dabei um
„eine >Rationalität< aus der Sicht des Akteurs und nicht um eine
angenommene, vom Beobachter gesetzte oder >objektive< Rationalität“
(ESSER 1991:61).
KUNZ gibt präzisierend an, daß anhand des SEU-Modells
„Handlungswahlen der Akteure auf die von ihnen wahrgenommenen
Auftrittswahrscheinlichkeiten und Bewertungen der Handlungskonsequenzen
für jede Handlungsalternative“ (1994:112)
zurückgeführt werden können.
5.4.1
Theorie(n) des
Beziehungen
Eine
Theorie
des
rationalen
rationalen
Handelns
Handelns
als
in
den
Internationalen
Erklärungsmodell
in
den
Objektbereich der Internationalen Beziehungen einzufügen, gründet auf der
Überlegung,
daß
Verhaltensoptionen
soziale
Akteure
wahrnehmen,
eine
Anzahl
Konsequenzen
von
der
möglichen
verschiedenen
Verhaltensoptionen evaluieren, diese in eine Abfolge der Wünschbarbeit
bringen und schließlich die Verhaltensoption wählen, die ihre Nutzenerwartung
befriedigt (vgl. ZANGL/ZÜRN 1994:82). Die Mehrzahl der traditionellen Ansätze
im Rahmen der internationalen Beziehungen, vor allem auf der Grundlage des
realistischen Paradigmas, unterstellen ein derartig definierbares rationales
Verhalten der Akteure. Der wohl bekannteste Versuch einer Konzeption im
Rahmen rationaler Akteursbetrachtung stammt von H.J. MORGENTHAU, der
den
Machtbegriff
im
Zusammenhang
mit
Interesse
thematisiert.
Die
grundlegenden Annahmen der realistischen Schule, die in der Theorietradition
MACHIAVELLIs oder HOBBES‘ steht, sind dabei vergleichbar mit einer Reihe
von Annahmen aus dem Rational Choice-Bereich. Im Realismus werden
Staaten als die wichtigsten Akteure der internationalen Politik betrachtet, die mit
rationalen Mitteln ihr Interesse - hier das der Machtvermehrung – verfolgen.
155
Dem Staat als zentralem Akteur fallen dabei die primär gouvernementalen
Aufgaben der Gewährleistung von Sicherheit und Herrschaft für das
nationalstaatliche
Gemeinwesen
zu.
Politische
Macht
wird
dabei
als
Vorbedingung aufgefaßt, aufgrund derer Sicherheit garantiert werden kann (vgl.
MORGENTHAU 1993:10ff.).
Die Annahmen aus dem Modell des homo oeconomicus, nach dem sozialen
Akteuren rationales Verhalten unterstellt wird, als Erklärungsansatz in den
Bereich der Internationalen Beziehungen einzuführen, erscheint zunächst
simplifizierend, da Individuen auch als homo sociologicus und homo
psychologicus handeln. Für den Bereich der Internationalen Beziehungen
können allerdings gewisse Bedingungen genannt werden, die das Modell des
homo oeconomicus mit konkreten Zusatzannahmen, die insbesondere
Handlungsbeschränkungen thematisieren, als teilweise erklärungsträchtig
ausweisen. Einerseits gibt es in den Internationalen Beziehungen eine
begrenzte Anzahl von gesellschaftlichen Akteuren, die
„in Abwesenheit eines legalen Gewaltmonopols und im Vergleich zu anderen
sozialen Systemen geringer funktionaler Differenzierung unter den
Bedingungen ausgeprägter und sichtbarer Interdependenz miteinander
interagieren.“ (ZANGL/ZÜRN in Druwe 1994:82)
Andererseits finden Internationale Beziehungen zwischen Staaten und
Gesellschaften statt, die keine ausgeprägte kollektive Identität der Akteure
insgesamt aufweisen, und folglich kann davon ausgegangen werden, daß sich
die Handelnden durch strategisches Denken auszeichnen (vgl. ZANGL/ZÜRN
in Druwe 1994:82). In diesem Zusammenhang weisen ZANGL/ZÜRN auf den
Sachverhalt hin, daß ganze bürokratische Apparate in den einzelnen Staaten
zur
Ermittlung
von
Verhaltensmöglichkeiten,
zur
Abschätzung
von
Konsequenzen und deren Evaluation bestehen, um auf diese Weise zu
befriedigenden Entscheidungen auf internationaler Ebene zu gelangen. Der
Begriff
der
Strategie
wird
damit
zu
einem
wesentlichen
Aspekt
im
weltpolitischen Interaktionszusammenhang, mehr noch
„Strategy is the essence of politics; a nonstrategic politician cannot archive his
or her aims.“ (MORROW 1994:1)
156
Werden
strategische
Situationen
als
Untergruppe
sozialer
Situationen
aufgefaßt, in denen es um die Interaktionen von Individuen geht, bedarf es
folglich einer Theorie
„that explains how individuals’ decisions are interrelated and how those
decisions result in outcomes. Game theory is such a theory.“ (MORROW
1994:1)
Aufgrund dieser Überlegung soll im folgenden eine Begründung für die
Anwendung
spieltheoretischer
individualistischer
Theoriebildung,
Konzeptionen,
in
den
als
Zweig
internationalen
struktur-
Beziehungen
hergeleitet werden.117 Wichtig ist hierbei auch, auf die Problematik der
Aggregation
individueller
Präferenzen
zu
einer
kollektiven
Präferenz
einzugehen.
Anhand spieltheoretischer Modelle erfolgt dann die Darstellung und Analyse
bestimmter Problemsituationen sowohl in der Außenpolitik als auch in der
internationalen Politik.
5.4.2 Spieltheoretische Modelle als Analyseansätze außenpolitischer
Entscheidungs- und Handlungsprozesse
Als Problemstellung, die die Anwendung spieltheoretischer Konzeptionen
sinnvoll erscheinen läßt, gibt MORROW an, daß
„National leaders vie to prevail in international crisis, while also trying to avoid
war. Nations raise and lower barriers to trade in order to influence other nations
to lower their own trade barriers. All of these situations, and many others in
politics are strategic. Actions are taken to influence other actors’ choices; no
one actor alone can determine the outcome of the situation. All actors must
think about what the other actors will do when choosing their own actions.“
(1994:1)
117
Von Spieltheorie kann seit den 20er Jahren gesprochen werden, als auf der Grundlage des
Minmax Theorems Konfliktsituationen in einem 2-Personen-Nullsummenspiel untersucht
wurden. Die Entwicklung spieltheoretischer Konzep-tionen im Rahmen einer mathematischen
Theorie, die auf statische Modelle Bezug nimmt, wurden dann von v. NEUMANN und
MORGENSTERN (1943) in Theory of Games and Economic Behavior veröffentlicht. Die
Etablierung der Spieltheorie als Disziplin fand in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg statt.
157
Mit Hilfe der Spieltheorie wird dabei versucht, Situationen zu analysieren, in
denen
Entscheidungen
von
mehreren
Akteuren
ein
Handlungsresultat
determinieren. In diese Untersuchung fließt auch die Darstellung ein, wie
individuelle Wahlhandlungen, durch soziale Rahmenbedindungen beeinflußt,
bestimmte Handlungskonsequenzen - outcomes - haben und wie diese von den
individuellen Akteuren evaluiert werden (Nutzentheorie). Differenziert werden
können
folglich
individuelle
Präferenzen
gegenüber
einer
Aggregation
derselben zu einer kollektiven Präferenz. Die Untersuchungsperspektive richtet
sich demnach auf Problemsituationen, die entstehen, wenn in Interaktionszusammenhängen Entscheidungen getroffen werden sollen, bei denen die
beteiligten
Entscheidungsträger
mit
unterschiedlichen
Zielsetzungen
Handlungsoptionen wählen, die Konflikt oder Kooperation bedeuten können.
Die Spieltheorie ist folglich als Methode zu verstehen, Entscheidungen in
Konfliktsituationen
zu
untersuchen,
d.h.
Entscheidungsprozesse
zu
analysieren, in denen einzelne Entscheidungsträger keine vollständige
Kontrolle über andere beteiligte Entscheidungsträger haben. Die entstehenden
Probleme übersteigen allerdings die einfache Maximierung, denn Ziele müssen
im Zusammenhang mit Beschränkungen abgebildet werden. Dies kann
zunächst als
„Problem der Optimierung widerstrebender Interessen“ (SHUBIK 1964:19)
verstanden
werden,
was
generell
Grundbedingung
in
wirtschaftlichen,
politischen oder sozialen Situationen sein kann. In der Analyse dieser
Situationen ist für die Sozialwissenschaften besonders der Zweig der
noncooperative game theory von Interesse, wobei
„Noncooperative game theory has been applied to [...] international crises, and
international organizations. General questions of how political institutions work
and why they exist and change have been addressed with game-theoretic
models. Communication in variety of settings has been examined in these
models.“ (MORROW 1994:3)
In der Politikwissenschaft, insbesondere im Rahmen der Teildisziplin der
internationalen Beziehungen, ist beispielsweise im Rahmen des bargaining
158
oder der Abschreckung interessant,
welche
strategische
Logik
hinter
Entscheidungen und Handlungsweisen steht. Für diese Situationen gibt es
unterschiedliche
Modelle,
die
jeweils
unterschiedliche
Aspekte
einer
Problemsituation fokusieren.
Die Abschreckungsproblematik stellt z.B. eine Situation dar, in der mindestens
zwei Staaten in einer Krisensituation versuchen, so gegeneinander vorzugehen,
daß sie das Verhalten des anderen zu ihren eigenen Gunsten beeinflussen
können. Die Frage ist, wie die Akteure erfolgreich ihre Interessen durchsetzen
können. Drohungen spielen in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle
und MORROW führt aus, daß
„Carrying out threats is costly to the threatener as well as the threatened.
Nations receiving threats may not believe that the threat will be carried out if
they do not comply. The credibility of a threat depends on both the magnitude
of the costs to be imposed and the willingsness of the threatener to carry it out.“
(1994:4)
Neben der eigentlichen Zielorientierung von Handeln müssen folglich
Beschränkungen, wie z.B. Kosten, in der Modellbildung nachgewiesen werden.
Im Rahmen von Bargaining-Situationen, die entstehen
„when two or more actors are willing to reach any one of several agreements,
but they disagree about which agreement is best“ (MORROW 1994:5)
wird
als
Problemlösungsstrategie
Entscheidung
herzuleiten
gewinnbringender
die
versucht,
Kooperation
auf
Einigung auf
um
Seiten
damit
der
eine
gemeinsame
die
Realisierung
beteiligten
Akteure
zu
ermöglichen. Die Analyse einer solchen Situation kann dabei anhand der
„Nash bargaining solution, the basic concept in two-person, cooperative game
theory“ (MORROW 1994:5)
erfolgen (vgl. auch SHUBIK 1982:242ff.).
159
5.4.2.1 Das Rationalitätskonzept
Im Rahmen von Rational Choice-Ansätzen werden interessierende Phänomene
sozialer, ökonomischer oder politischer Realität immer unter dem Aspekt der
Rationalität zu erklären versucht. Rationalität wird dabei als Nutzenorientierung
bei der Handlungswahl aufgefaßt und die auf utilitaristischer Theoriebildung
beruhende Spieltheorie, als eine einfache mathematische Theorie, ist dabei
angelegt,
nutzenorientierte
Entscheidungen
von
sozialen
Akteuren
in
Interaktionszusammenhängen darzustellen und zu analysieren.118 MORROW
führt in diesem Sinn aus, daß
„[...], rational behavior means choosing the best means to gain a predetermined
set of ends. It is an evaluation of the consistency of choices and not of the
thought process, of implementation of fixed goals and not of the morality of
those goals.“ (1994:17)
Als Ziele werden dabei Handlungsweisen, outcomes, angenommen, die durch
Beobachtung oder in experimentellen Zusammenhängen als vorherrschendes
Verhalten herausgefiltert werden. Im deduktiven Verfahren werden dann die
Annahmen hinsichtlich der Ziele der Akteure und der situativen Restriktionen in
der Erklärung sozialer Zusammenhänge in die theoretische Konzeption
implementiert.
„We fix the actor’s preferences and allow the information they have and the
situation they face to change, creating variation in their actions.“
(MORROW 1994:17)
Da Akteure bestimmte Erwartungen hinsichtlich bestimmter Handlungskonsequenzen haben, muß im Rahmen des jeweiligen Modells definiert
werden, welche Resultate durch welche Handlungen erreicht werden sollen. Da
unterschiedliche Präferenzen bestehen und in sozialen Zusammenhängen
deren Gewichtung durchaus transitiven Charakter aufweist, d.h. vom Akteur in
eine Abfolge gebracht werden kann, kann aufgrund der Vollständigkeit und
118
Politikwissenschaftlich nutzbar gemacht, wird das Eigennutzaxiom im Rahmen der neuen
politischen Ökonomie, wo es zur Erklärung nichtmarktmäßiger Entscheidungsprozesse
herangezogen wird. (vgl. FRANKE in Druwe/Kunz 1994:53f.)
160
Transitivität der Ordnung von Präferenzen119 auch auf nicht-vergleichbare
Konsequenzen in anderen sozialen Zusammenhängen Rückschlüsse gezogen
werden.
„Completeness and transitivity are the basic elements of a preference ordering.
[...] These two assumptions are necessary for rationality. Without complete
preferences, actors are unable to choose between noncomparable outcomes.“
(MORROW 1994:18)
Die Festlegung von Präferenzen gilt in diesem Zusammenhang hinsichtlich der
Handlungsresultate, nicht jedoch in bezug auf Handlungen selbst. MORROW
schreibt
„We distinguish between preferences over outcomes and preferences over
actions (or strategies). Outcomes are the final results; actions are choices that
could produce one or several outcomes. Preferences over outcomes are
assumed to be fixed. Preferences actions can change as the actors gain new
information about the efficacy of different actions.“ (1994:19)
Aufgrund von Entscheidungen unter Unsicherheit, mangelnder Information und
Fehleinschätzungen von Handlungskonsequenzen können auch „fehlerhafte“
Entscheidungen getroffen werden. Damit wird das Konzept von Rationalität in
der Weise eingeschränkt, daß
„Rationality does not mean error-free decisions.“ (MORROW 1994:21)
Die Rationaliätsprämisse auf individuelle Akteure bezogen kann jedoch nicht
uneingeschränkt in der Aggregation zu kollektiver Rationalität übernommen
werden (ARROW Theorem).120 Welche Probleme sich dabei ergeben kann im
Rahmen des Gefangenen-Dilemmas aufgezeigt werden.
119
Diese Präferenzen werden ordinale Präferenzen genannt. Vgl. MORROW 1994:18, vgl. auch
BOSSERT/STEHLING 1990:30.
120
Eine übersichtliche Darstellung findet sich bei KERN/NIDA-RÜMELIN 1994:27-42.
161
5.4.2.2 Formale Modellierung
Wesentliches Kriterium spieltheoretischer Modelle ist, daß anhand von
Gleichgewichtsvorstellungen versucht wird soziale Phänomene zu verstehen.
Dabei wird mit der Einführung des Equilibrium-Aspekts nicht angezeigt, daß es
sich
um
eine
gerechte
oder
wünschenswerte
Balance
zwischen
unterschiedlichen Interessen handelt, vielmehr verweist diese Annahme auf
den Sachverhalt, daß
„In equilibrium, no actor wishes to change its behavior on its own. Behavior at
an equiilibrium is stable in the sense that no actor, given its current position and
knowledge, can improve its own position on its own.“ (MORROW 1994:8)
Soziale und politische Ebenen sind als komplexe Gebilde mit unterschiedlichen
Inhalten aufzufassen. Die Modellbildung, anhand derer Erklärungen zu o.g.
Problemsituationen entwickelt werden, ist jedoch formaler Natur und obwohl
formale Modelle vor diesem Hintergrund als simplifizierende Analyseansätze
erscheinen, kann hier angegeben werden, daß die Überprüfung von Annahmen
zur Erklärung interessierender Sachverhalte, die eingangs in einem Modell
formuliert worden sind, in den Schlußfolgerungen wiederum identifizierbar
werden müssen (vgl. NICHOLSON 1990:216).
„[...] formal models allow us to see exactly why the conclusions of a model
follow from its assumptions. Other supporting arguments that do not follow from
the assumptions are ruled out.“ (MORROW 1994:6)
Damit kann für die formale Modellbildung angegeben werde, daß eine logische
Struktur bei der Zusammenstellung von Einzeluntersuchungen hergeleitet
werden
kann
und
daraus
abgeleitet
Schlußfolgerungen
quasi
ansatzübergreifend verworfen bzw. aufgenommen werden können (vgl.
MORROW 1994:6f.). Wichtig ist aber auch, bei aller konzeptueller Klarheit und
strenger Argumentation die reale Blickrichtung sozialer Modellbildung ins
Zentrum der Analyse zu stellen, wobei
„The proper criterion to „judge“ the realism of an argument is the accuracy of its
conclusions. Formal models help us determine the observable consequences
162
of our arguments. We can then test those hypotheses against the real world.“
(MORROW 1994:7)
Nach der Darstellung grundlegender Annahmen im Rahmen der Spieltheorie
kann damit unter Bezug auf die Differenzierung von Außenpolitik gegenüber
Internationaler
Politik
die
Analysen
entlang
der
Thematik
rationaler
Interessenverfolgung sozialer Akteure und die daraus entstehende Problematik
möglicher Divergenzen von individueller und kollektiver Rationalität auf
a) das Problem der Verteilung knapper Ressourcen, im Sinn einer collective
action
und
b) das Problem der Realisierung allseitig gewinnbringender Kooperation, d.h.
eines bargaining- Effekts im Rahmen institutionalisierter Kooperation
gelenkt werden. Die ökonomische Theorie der internationalen Politik stellt dabei
Staaten als Nutzenmaximierer von knappen Gütern ins Zentrum der Erörterung
und leitet mit dieser Fokusierung die Problematik der Verteilung knapper
Ressourcen ein (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:84).
Die Frage nach der jeweiligen Strategie zur Erlangung der Kooperation von
Interaktionspartner im Zusammenhang von Interessen und Institutionen im
Bereich außenpolitischen Entscheidens und Handelns tritt hingegen im
Rahmen rationaler Ansätze des Neoinstitutionalismus in den Mittelpunkt der
Analyse.121 In der Verbindung beider Stränge können vier unterschiedliche
Analyserichtungen ausgemacht werden, die sich der jeweiligen Problematik auf
der Ebene der Außenpolitik und der Ebene der internationalen Politik widmen.
In den folgenden Abschnitten werden die wichtigsten Aspekte dieser
Theoriestränge vorgestellt und anhand spieltheoretischer Matrizen verdeutlicht.
121
Es wird nach den Rahmenbedingungen von sich international institutionell ausbildender
Kooperation gefragt.
163
5.5 Die Problematik der Verteilung knapper Ressourcen
Die Problematik der Verteilung knapper Ressourcen im Rahmen der
Spieltheorie, läßt sich durch die Variante des Typs Koordinationsspiel mit
Verteilungskonflikt anschaulich darstellen, wobei auf eine Matrix zur
Verdeutlichung der Spielsituation zurückgegriffen wird.
Ausgangsbedingung
sind
Spieler
A
und
B,
die
jeweils
über
die
Handlungsmöglichkeit der Selbsthilfe und die der Kooperation verfügen und
sich für jeweils eine Handlungsoption entscheiden können. Bezüglich der
Interaktionsergebnisse bestehen unterschiedliche Präferenzen, die z.B. in der
Punktverteilung
von
Nutzenkennziffer
4
1
wird
bis
4
dabei
wiedergegeben
als
das
am
werden
meisten
können.
Die
gewünschte
Interaktionsergebnis, die Nutzenkennziffer 1 als das am wenigsten gewünschte
Interaktionsergebnis festgelegt. Die Matrix kann somit folgendermaßen
dargestellt werden:
Abb. 2: Koordinationsspiel mit Verteilungskonflikt
Spieler A Kooperation Selbsthilfe
Spieler B
Selbsthilfe
4/3
2/2
Kooperation
1/1
3/4
(vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:86)
Im Rahmen der Interaktion der Akteure stellen die Interaktionsergebnisse mit
der höchsten Punktverteilung (4/3 und 3/4) die Möglichkeiten rationaler
Interaktionsergebnisse dar, die auch als pareto-optimal bezeichnet werden.122
Dies bedeutet, daß beide Spieler ihr jeweiliges Verhalten so koordinieren
müssen, daß eines der beiden kollektiv rationalen Interaktionsergebnisse
durchgesetzt werden kann. Da aber unterschiedliche Präferenzen bestehen, ist
die Gefahr gegeben, daß ein Verteilungskonflikt entsteht, der bedeutet, daß
beide Spieler gegenseitig nicht kooperativ sind, aber einer den größten Nutzen
für sich in der Situation herbeizuführen beabsichtigt. Beide Spieler würden
demzufolge die Möglichkeit der Selbsthilfe wählen (2/2) und folglich
individueller Rationalität folgen. Dabei ergibt sich eine Situation, die beide
122
Ein Pareto Optimum liegt vor, wenn bei jeder denkbaren Abweichung die Schädi-gung
mindestens eines Spielers erfolgt (was hier einem Nash- Equlibrium entspricht, d.h. der
164
Seiten ihre eigenen Interessen bedingungslos verfolgen läßt und sich die
Maximin-Lösung des maximalen Minimalnutzens einstellt. Diese Variante ist
eine
Abweichung
der
kollektiv
sinnvollen
Interaktionsergebnisse
mit
Verteilungskonflikt.
Die Problematik der Verteilung knapper Ressourcen kann sowohl im
Rahmen der Außenpolitik als auch im Bereich der internationalen Politik
aufgezeigt werden. Bei dieser Untersuchungsrichtung geht es insbesondere um
die Fragestellung, mit welchen Strategien Staaten versuchen bei der Verteilung
knapper
Güter
ihre
Interessen
gegenüber
anderen
Konkurrenten
durchzusetzen. Unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Spielsituation
wird dabei versucht zu ermitteln, welche außenpolitische Strategie als rationale
Verhaltensweise zur Erlangung von Vorteilen gewählt wird. Als rational gelten
hierbei die Verhaltensweisen, die in einer interdependenten Entscheidungssituation die Entscheidung des Konkurrenten in der Form beeinflussen, daß
dieser Entscheidungen trifft, die die Durchsetzung der eigenen Interessen
ermöglicht (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:88).
Als Anwendungsbereich kann z.B. die Kriegsursachenforschung angegeben
werden. Zentral sind hier Strategien wie Drohungen oder Verpflichtungen, die
zunächst
auf
Nullsummenspiel-Basis
hergeleitet
wurden
(vgl.
SHUBIK
1964:217ff.).123 Aus dem Bereich der Strategic Studies entwickelte sich dann
darauf aufbauend eine Präzisierung der grundlegenden Annahmen im Rahmen
der Abschreckungstheorie.
Der ökonomische Erklärungsansatz in der internationalen Politik bezieht sich
dabei auf das Prinzip der Nutzenmaximierung unter der Zusatzannahme von
Handlungsbeschränkungen, die WEEDE (1989) aus dem anarchischen
Charakter
des
internationalen
Systems
ableitet.
Neben
der
Polarität,
Zerstörungspotentialen und der geographischen Lage sowie der relativen
Machtposition
eines
Landes
zählt
WEEDE
auch
die
innenpolitischen
Bedingungen eines Landes zu wesentlichen Handlungsbeschränkungen im
Bereich der internationalen Politik. Der homo oeconomicus als strategischer
Spieler, der die Situation verläßt, schadet sich selbst). - NASH entwickelte in den 50er Jahren
eine Theorie für die kooperative Lösung von Spielen.
165
Akteur auf weltpolitischer Ebene sieht sich Situationen gegenüber, die ihn
zwingen unter einschränkenden Bedingungen - constraints - seine Ziele zu
erreichen.
WEEDE
erörtert
explizit
sicherheitspolitische
Entscheidungs-
findungsprozesse und fokusiert dabei auf die Anwendung des Eigennutzaxioms
auf
sicherheitspolitische
(individuelle)
Entscheidungsträger
und
die
Notwendigkeit der Abschreckung und/oder Verteidigung als Strategie im
anarchischen Staatensystem (1989:256). In diesem Zusammenhang werden
die ökonomische Rationalitätsprämisse und realistische Annahmen verknüpft,
um auf diese Weise zu erklärenden Feststellungen von Verhaltensweisen auf
weltpolitischer Ebene zu gelangen, die zeigen, daß
„Kollektive eigennützige Akteure, also hier: Kollektive von Staaten, bei der
rationalen Verfolgung ihrer Interessen ein Ergebnis erreichen, das aus der
übergeordneten Perspektive des Kollektivs als irrational erscheinen muß.“
(WEEDE 1989:256)124
Allerdings
wird
an
dieser
Stelle
deutlich,
daß
das
Postulat
der
Nuzenmaximierung mit weiteren Annahmen verknüpft werden muß, denn
Entscheidungen hängen immer auch von der Risikobereitschaft der Akteure ab
(vgl. MORROW 1994:33ff.).
„Außerdem impliziert das Argument der Flexibilität von Bündnissen in
multipolaren Systemen die Homogenität oder Irrelevanz der Ideologie.
Schließlich ist denkbar, daß multipolare Systeme wegen der größeren
Unabhängigkeit vieler Entscheidungszentren die Entstehung einer Vielzahl von
kleineren Konflikten begünstigt..“ (WEEDE 1989:258)
Im Rahmen der Thematisierung der Verteilung knapper Güter im Hinblick auf
den Aspekt der Erlangung von Kooperation können dabei
Situationen
entstehen, in denen
„Kooperation selbst dann, wenn sie für alle beteiligten Staaten Gewinne abwirft,
scheitern kann, weil sich die Akteure nicht auf die Verteilung von Gütern
einigen können.“ (ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:85)
Der Gewaltaspekt wird dabei ein wesentliches Element der Analyse
insbesondere
123
vor
dem
Hintergrund,
daß
keine
Zentralgewalt
die
Gezeigt werden konnte später, daß die überwiegende Zahl der Situationen in der Politik
Variablen-Summen-Spiele darstellen und Kooperationsmöglichkeiten abge-leitet werden
können (wenn auch auf unterschiedlichen Niveaus).
166
Gewinnverteilung regelt. Die Frage nach dem Funktionieren kollektiver
Sicherheit in einem multipolaren System und damit auch die Realisierung
allseitig gewinnbringender Kooperation wird ins Zentrum der Untersuchung
gerückt, um herauszufinden, ob Kooperation auch in Abwesenheit einer
Zentralgewalt bzw. hierarchischen Ordnung einsetzen kann.
Wird die Verteilung knapper Güter im Bereich der internationalen Politik
untersucht, steht im Zentrum die Diskussion um Verhandlungs- und
Austauschergebnisse im Rahmen internationaler Politik, was ebenfalls durch
die ökonomische Theorie der internationalen Politik erfaßt werden kann.
Rational Choice-Ansätze können hier angewendet werden, um die Rolle von
Machtressourcen
internationaler
und
Ebene
die
Grenzen
von
herauszuarbeiten.
Kooperationschancen
Unter
den
auf
Sammelbegriff
neorealistische Kooperationstheorie werden die Arbeiten subsummiert, die die
Nicht-Einigung auf eine bestimmte Verteilung der gemeinsamen Gewinne, die
sich aus Zusammenarbeit ergeben, als Hindernis internationaler Kooperation
betrachten (vgl. KEOHANE 1984).
Bei
Kooperationsspielen
mit
Verteilungskonflikt
auf
der
Ebene
von
internationalen Verhandlungen, wie z.B. der BSE-Debatte, sind oft Drohungen
eine wirksame Strategie zur Durchsetzung der eigenen Interessen. Um die
Strategie der Drohungen glaubwürdig zu machen, bedienen sich Akteure auch
der Strategie der Verpflichtungen, was bedeutet, daß die Verhaltensmöglichkeit
Selbsthilfe festgelegt wird und andere Akteure, um Selbstschädigung zu
vermeiden, einlenken werden, d.h. die Verhaltensoption Kooperation wählen.
Im Rahmen der BSE-Debatte in der EG hat Großbritannien wiederholt versucht,
nationale Prioritäten gegenüber Einfuhrstops durchzusetzen und die EGPartner zur Annäherung an britische Positionen zu zwingen.
Erst durch die Verpflichtung auf eine angedrohte Reaktion kann eine Drohnung
glaubhaft gemacht werden, da zusätzliche Kosten des Verlustes der
Glaubwürdigkeit die angedrohte Reaktion bei nicht kooperierenden Partnern
unumgänglich machen.
124
Zum selben Ergebnis kommt man auch anhand des Modells von OLSON (1985).
167
5.6 Die Erlangung von Kooperation
Der Bereich der Erlangung internationaler Kooperation ist anhand des Spieltyps
Gefangenendilemma anschaulich zu verdeutlichen:
Abb. 2: Gefangenendilemma
Spieler A Kooperation Selbsthilfe
Spieler B
Kooperation
3/3
1/4
Selbsthilfe
4/1
2/2
(vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:98)
Die Spielsituation zeigt eine Dilemmasituation, in der das gemeinsame
Interesse der beteiligten Akteure darauf gerichtet ist, zu einem kooperativen
Interaktionsergebnis zu gelangen, daß durch die Nutzenkennziffer (3/3)
gekennzeichnet ist. Es besteht allerdings die Gefahr, daß die Akteure dieses
Interaktionsergebnis verfehlen, da die Motivation stark ausgeprägt ist, die
Verhaltensoption Selbsthilfe zu wählen. Dies kann durch die Sorge betrogen zu
werden (4/1 und 1/4) begründet werden. Die Wahl der Handlungsoption
Selbsthilfe bedeutet aber für beide Akteure ein niedrigeres Nutzenniveau als
beidseitige Kooperation. Das Interaktionsergebnis (2/2) ist unerwünscht.
Im Rahmen der Dilemmasituation kann anhand von Rational ChoiceKonzeptionen gezeigt werden, daß durch gegenseitige Kooperation kollektiv
sinnvolle Interaktionsergebnisse erreicht werden können, da durch ständiges
nicht-kooperieren auf Seiten der Beteiligten in Situationen, in denen Interessen
an Gütern der anderen Akteure besteht, keine Gewinne erzielt werden können
und weitere Interaktionen auf dieser Ebene sinnlos werden.
Weiterhin
kann
bei
wiederholten
Spielsituationen
im
Rahmen
des
Gefangenendilemmas gezeigt werden, daß dezentrale Kontrolle und Sanktion
möglich ist (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:99). Erreicht werden kann
dies durch das Bestrafen eines Akteurs, der entgegen der kontingenten
Strategie der anderen Akteure, z.B. Kooperation, versucht, durch NichtKooperation seine Gewinne zu maximieren.
168
Unter Rückbezug auf die Erfassung des internationalen Beziehungsgeflechts
als eines anarchischen Staatensystems kann Anarchie einen Hinweis auf die
Abwesenheit einer übergeordneten Autorität geben, nicht jedoch das Fehlen
einer
internationalen
Gemeinschaft
anzeigen,
da
sich
die
Bildung
internationaler Organisationen oder Regime aufzeigen läßt. AXELROD/
KEOHANE schreiben in diesem Zusammenhang:
„To say that world politics is anarchic does not imply that it entirely lacks
organization. Relationships among actors may be carefully structured in some
issue-areas, even though they remain loose in others. Likewise, some issues
may be closely linked through the operation of institutions while the boundaries
of other issues, as well as the norms and principles to be followed, are subject
to dispute.“ (1986:226)
Thematisiert
wird
im
Rahmen
dieser
Analyserichtung
die
Bedeutung
internationaler Institutionen bzw. Regime. Soziale Akteure passen in diesem
Rahmen ihr Verhalten den aktuellen und wahrgenommenen Präferenzen
anderer sozialer Akteure an, was jedoch nicht mit Harmonie125 vergleichbar ist.
Vielmehr wird in Anlehnung an das sog. Coase-Theorem126 gezeigt, daß
internationale Regime Kooperation in der Form ermöglichen, daß durch
gemeinsam vereinbarte Normen oder Prozeduren und deren Einhaltung sowie
der Bestätigung der Einhaltung stabile Handlungserwartungen im zwischenstaatlichen Interaktionsprozeß entwickelt werden können. Darüber hinaus
lassen sich auch Transaktionskosten in bezug auf die Aufrechterhaltung der
Kommunikation senken, da ein festes Procedere zur Verfügung gestellt werden
kann (vgl. KECK 1991:640). Rationalen Akteuren kann in diesem Kontext
unterstellt werden, daß sie Institutionen als dauerhaft einrichten werden, auch
wenn sich die Bedingungen, unter denen diese zunächst gegründet wurden,
verändern (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:102). Anhand spiel-
125
Harmonie wird als vollständige Interessengleichheit definiert (vgl. AXELROD/ KEOHANE
1986:226)
126
Das Coase-Theorem (CAOSE, R.H.) besagt inhaltlich, daß in der Unterscheidung zwischen
(a) kollektivem Besitz (für dessen Nutzung Regelungen festgelegt sind) und (b) frei
verfügbaren Ressourcen (die durch fehlende Nutzungsregelungen einen ungehinderten Zugriff
aller ermöglichen), gezeigt werden kann, daß Eigentums-rechte, wie sie in (b) angelegt sind
und allen Beteiligten Schwierigkeiten in der Nutzung bereiten, in Eigentumsrechte, wie sie in
(a) möglich sind, von den Beteiligten vorgezogen werden können, da im Fall der Regelung
eine effiziente Allokation durchaus erreicht werden kann (vgl. KERN/NIDA-RÜMELIN
1994:240f.).
169
theoretischen Instrumentariums kann darüber hinaus ein Ausblick hinsichtlich
der Begründung des „Wann“ und „Warum“ der Bildung von Institutionen
gegeben werden (vgl. AXERROD/ KEOHANE 1986).
Die aufgezeigte Untersuchungsperspektive läßt sich unter dem Begriff der
„institutions matter“ zusammenfassen (vgl. KECK 1991:635).
„Für die Theorie der internationalen Politik erbrachte diese Forschungsrichtung
die zentrale Erkenntnis, daß in einer Gruppe von Akteuren auch ohne zentrale
staatliche Autorität Kooperation entstehen kann, ohne daß man altruistische
oder solidarische Normen voraussetzen muß.“(KECK 1991:639)127
Von Interesse ist weiterhin, die Faktoren, die die Realisierung von Kooperation
behindern können, zu identifizieren und diese durch die Schaffung geeigneter
institutioneller Regelungen zu nivellieren. Das heißt, daß davon ausgegangen
wird, daß Ergebnisse politischer Interaktionsprozesse in Äbhängigkeit der sie
umgebenden
Strukturen
zu
betrachten
sind
(außenpolitische
Unter-
suchungsebene). Inhaltlich wird damit die Thematik der Handlungs-restriktionen
ins Zentrum gestellt, die einen gewissen Widerstand in Bezug auf Handlungen
individueller und kollektiver Akteure aufweisen und sich dabei Handlungsoptionen ergeben, die das Kräftefeld der gesellschaftlichen Akteure verändern
(vgl. KECK 1991:637).
Die Übertragung auf den Bereich der internationalen Politik erfolgt über den
Begriff des Regimes, der in verschiedenen Politikfeldern die Regulierung der
zwischenstaatlichen Interaktionen übernimmt.
Insgesamt gesehen kann für die Erklärung des Entscheidungs- und
Handlungsverhalten von sozialen Akteuren in struktur-individualistischen
Ansätzen angegeben werden, daß anhand der Benennung der unterschiedlichen Ebenen von Entscheidungsträgern, d.h. individuellen oder
kollektiven Akteuren, rationale Aspekte unterschiedlich gewertet werden.
Bei der Untersuchung von Entscheidungen und Handlungen individueller
Akteure wird deren Verhalten fokusiert und weiterhin die Betonung auf die
127
Die Einbeziehung von Normen ergibt sich in diesem Zusammenhang aus der Überlegung,
daß der neue Institutionalismus eine Synthese aus Funktionalismus und Realismus darstellt
(vgl. KECK 1991:635).
170
Interaktion mit anderen individuellen oder kollektiven Akteuren im Spannungsverhältnis einer durch Interessen und Restriktionen bestimmten Nutzenerwartung gelegt, wobei als Handlungsoptionen Konflikt oder Kooperation
möglich sind. Kollektive Akteure stellen dabei das gesellschaftliche, politische
oder ökonomische Umfeld des Individuums dar und werden
„nicht per se, sondern nur in ihrer Wirkung auf das Individuum in die
Untersuchung einbezogen. “ (HAFTENDORN in Rittberger 1990:405)
Wird Entscheidungs- und Handlungsverhalten auf der innerstaatlichen oder
internationalen Ebene analysiert, so geht das Individuum als Teil eines
kollektiven Entscheidungsträgers in die Untersuchung ein, wobei der Staat und
das internationale System als Rahmenbedingungen, die individuelles Verhalten
beeinflussen, gewertet werden.
Wichtig ist, jeweilige Verkürzungen im Rahmen der Erklärung auf einer Ebene
durch Untersuchungsergebnisse, die auf einer anderen Ebene hergeleitet
wurden, auszugleichen.
Rationale Entscheidungen werden als Nutzenmaximierung und Kostenminimierung in der Entscheidungssituation erfaßt, was spieltheoretisch auf
unterschiedliche Analysebereiche übertragen werden kann. Durch die Unterlegung eines Konzepts von Rationalität mit notwendigen Zusatzannahmen wird
versucht, Fragen wie Zusammenarbeit, Nutzenverteilung und Konflikt in einem
empirisch untermauerten Rahmen zu beantworten. Durch die Prämisse der
SEU-Theorie wird dabei eine gesetzmäßige Handlungswahl und damit
Voraussagbarkeit von Ergebnissen zu erreichen versucht.
171
5.7 Die Grenzen der Anwendung von Rational Choice-Modellen im Bereich
der internationalen Beziehungen
Die Kritikpunkte bzw. Grenzen hinsichtlich der Anwendung von Rational
Choice-Theorien in den internationalen Beziehungen werden im folgenden
Abschnitt differenziert nach der Bestimmung grundlegender Annahmen und der
Ausprägung der einzelnen Themenstränge.
Rational
Choice-Ansätze
basieren
auf
einem
Instrumentarium
der
ökonomischen Theorie, das sich explizit im Modell des homo oeconomicus
fassen läßt. Das Programm der Rational Choice entwickelt dabei die
Erklärungsperspektive von der individuellen Ebene auf die Ebene kollektiver
Sachverhalte. Dem Individuum als
„the most natural unit of observation“ (COLEMAN in Alexander/Giesen/
Münch/Smelser 1987:153)
werden dabei rationale Verhaltensweisen unterstellt. Hinsichtlich der Ziele
bedeutet
dies
Konsistenz
(formale
Rationalität),
in
Bezug
auf
die
zugeschriebenen Handlungen Konsequenzorientierung, d.h. die Entscheidung
zur Durchsetzung von Präferenzen in Form von Interessen gegenüber
erwartbaren Restriktionen und Entscheidung für die nutzenbefriedigendste
Handlungsoption. Offen bleibt dabei die Angabe von Inhalten individueller
Präferenzordnungen. Damit ist ein zentrales Problem der Rational ChoiceTheorie für die Erklärung sozialer Sachverhalte angesprochen, denn die
Ermittlung der Interessen der Akteure kann nur auf dem Weg erfolgen,
Interessen
als
ein
Element
der
unabhängigen
Variable
mittels
der
Veränderungen der abhängigen Variable, d.h. des Verhaltens, zu erklären. Wie
Interessen auch unabhängig von dem Verhalten der beteiligten Akteure, das
erklärt werden soll, entstehen, kann aufgrund des Fehlens einer Theorie der
Formierung von Interessen nicht beantwortet werden. Damit kann insgesamt
gesehen keine umfassende Erklärung sozialer Sachverhalte durch Rational
Choice-Modelle geliefert werden (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:105).
Offen bleibt auch die Frage nach dem Informationsniveau und der Fähigkeit der
Informationsverarbeitung der Akteure. Meist wird von einer begrenzten, für die
Situation ausreichenden Information des Akteurs ausgegangen, aber auch
172
vollkommen informierte Akteure werden als Basiseinheiten der Erklärung
angenommen. Hier muß angegeben werden, welche Vorstellungen über
Informationsniveau und Kapazitäten allgemeine Sätze über das typische
Verhalten rationaler Akteure bilden sollen.
Ein wesentlicher Bestandteil des Instrumentariums von Rational ChoiceTheorien ist die Spieltheorie, die, wie gezeigt, die strategischen Eigenschaften
von rationalen Akteuren in sozialen Interaktionszusammenhängen analysiert.
Im Bereich der Transformation von Mikrogeschehen auf die Makroebene sieht
COLEMAN (1990) dabei die wesentliche Aufgabe der Theoriebildung im
gegebenen disziplinären Rahmen. Dabei muß die Unterscheidung zwischen der
Logik individueller Rationalität gegenüber kollektiver Rationalität getroffen
werden.
Die Logik kollektiver Entscheidung(en) wird im Rahmen der Social ChoiceTheorie behandelt. Hierbei wird für den Bereich der individuellen Akteure
lediglich unterstellt, daß sie fähig sind, die gegebenen Alternativen im
Entscheidungsprozeß nach Maßgabe persönlicher Präferenzen in eine
vollständige und konsistente Rangordnung zu bringen (vgl. BOSSERT/
STEHLING 1990). Die Aufgabe der Theorie ist dann, die Regeln anzugeben,
nach denen die Informationen individueller Präferenzen sowohl in eine rationale
als auch ethisch akzeptable kollektive Auswahl übertragen werden. Das
Aggregationsproblem, das hier auftritt, wird im Rahmen des OLSON-Dilemmas
als Themenstrang der Ökonomischen Theorie der Politik bearbeitet. Der
Widerspruch zwischen individueller und kollektiver Rationalität kann anhand
des auf ARROW zurückgehenden Analyseansatzes verdeutlicht werden. Die
Problematik der Erklärung rührt dabei aus der Ausgangsüberlegung her, nach
der nur ordinale und interpersonell nicht vergleichbare Informationen über
individuelle Präferenzen als Grundlage der kollektiven Entscheidung zu gelten
haben. Kann jedoch ein Vergleich der interpersonellen Nutzeninformation nicht
durchgeführt werden, so kann auch keine Regel für die Bedingung kollektiv
rationaler
und
ethisch
akzeptabler
Auswahl
angegeben
werden.
Verteilungskonflikte sind auf die Weise nicht adäquat zu bearbeiten. Zudem ist
173
die Annäherung an die Social Choice-Theorie schwierig, da die axiomatische
Methode teilweise auf rein mathematische Herleitungen abzielt.
Die Konzeptualisierung von Staaten als einheitlichen Akteuren bildet einen
weiteren wesentlichen Problembereich von Rational Choice-Konzeptionen, da
eine so gelagerte Akteursbetrachtung sich dem Risiko aussetzt, innenpolitische
Faktoren, die auf individuellen Entscheidungs- und Handlungsprozessen
aufliegen und im internationalen Kontext von Bedeutung sein können, zu
vernachlässigen. Durch die Synthese von Spieltheorie und funktionaler Theorie
im Rahmen des neuen Institutionalismus wird auf diese Problematik insoweit
eingegangen, als daß die Erklärung individuellen Handelns im Spannungsverhältnis zwischen Individuen und Strukturen erfolgt. Indem deutlich gemacht
wird, wie eine Anzahl von Strategien, die den Akteuren zur Verfügung stehen,
durch Strukturen und Institutionen begrenzt werden und sich dadurch das
Entscheidungskalkül der Individuen verändert, kann der Bezug zwischen
individuellem Akteur und kollektiver Entscheidung verdeutlicht werden.
Im Rahmen des Themenstrangs des neuen Institutionalismus läßt sich in der
Konzeptualisierung der Theorie wiederum die Schwäche der Unterbewertung
von Verteilungskonflikten als Kritikpunkt angeben. Regime werden zwar als
Möglichkeiten der Erlangung von Kooperation aufgeführt, die Zusammenhänge
zwischen der Festlegung von Regeln, die einen Problembereich betreffen, und
der Festlegung von Kontroll- und Sanktionsmechanismen bleiben jedoch offen.
Wie die Dilemmasituation hinsichtlich der Motivation der sozialen Akteure in
Bezug auf die Kostenabwälzung bei der Etablierung von Regimen überwunden
wird, wird ebenfalls nicht bearbeitet. Problematisch ist weiterhin die
Dichotomisierung von Verhaltensoptionen nach Kooperation und Selbsthilfe.
Zwischen diesen beiden Polen bestehen eine Vielzahl von weiteren
Verhaltensmöglichkeiten, die zwar als Interaktionsergebnisse nicht paretooptimal, d.h. kooperativ sein müssen, jedoch wünschenswerter als Selbsthilfe
sind. Diese werden jedoch nicht thematisiert.
Der Problembereich der Operationalisierung von Machtbeziehungen in
internationalen
Regimen
bzw.
Institutionen
schließt
sich
an.
Viele
spieltheoretische Modelle gehen noch immer von symmetrischen Aus174
zahlungen aus, was problematisch im Hinblick auf die Annahme der Robustheit
von Kooperation gegenüber Asymmetrien ist. Die Frage der Machtausübung in
Regimen ist noch nicht beantwortet.
Bezogen auf den Aspekt der Interessenformation sozialer Akteure kann in der
Gegenüberstellung der Grundannahmen hinsichtlich der Verhaltensweisen im
Rahmen des homo oeconomicus und des homo sociologicus darauf verwiesen
werden, daß das Verhalten sozialer Akteure, d.h. auch das Verhalten von
Staaten, möglicherweise nicht auf reiner Interessenverfolgung beruht, sondern
auch Normbefolgung beinhaltet. Betrachtet werden kann in diesem Zusammenhang die Rolle jedes Staates im internationalen Staatensystem, was
insbesondere auf die Anerkennung normativer Vorgaben, wie die der
Souveränität oder der Einhaltung von Verträgen, abzielt. Gerechtigkeit oder
Legitimation als nicht-rationale, auch nicht irrationale, Handlungsdeterminanten
können dabei als bedeutende Einflußfaktoren bei der Institutionenbildung
thematisiert werden (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:106).
Die Problemlösungskapazitäten von Rational Choice-Ansätzen werden anhand
der
bestehenden
Problembereiche
zu
entwickeln
versucht.
Politische
Interaktionen zwischen Staaten und Gesellschaften stehen dabei im Zentrum
der Untersuchung. Vernachlässigt wird nicht, daß sich Interaktionen zwischen
Menschen vollziehen. Handeln als Form menschlichen Verhaltens bildet die
Grundlage politischer Forschung im vorgestellten theoretischen Rahmen.
Politisches Handeln wird als ziel- und zweckbestimmtes Verhalten aufgefaßt.
Weiterhin wird eine Unterscheidung zwischen utilitaritischer Verhaltensdetermination und Normorientierung vorgenommen, um auf diese Weise zu
schlüssigen Erklärungsansätzen zu gelangen. Hier stehen Konkurrenz und
Ausgleich im Zentrum der Analysen, womit
auch der Grundbegriff des
Interesses angesprochen ist. ZANGL/ZÜRN geben dazu an:
„Die grundlegenden Kategorien, mit denen internationale Politik analysiert wird,
sind seit langem Interesse, zielgerichtetes Handeln, einheitliche Akteure,
Anarchie u.ä.m. Insofern stellen Rational Choice-Analysen keine Alternative zu
etablierten Ansätzen dar, sie selbst sind Establishment.“(1994:107)
175
Schlußwort
In dieser Arbeit wurden zwei unterschiedliche grundlagentheoretische Ansätze
dargestellt und hinsichtlich ihrer beschreibenden und erklärenden Kapazitäten
im Forschungsbereich der Internationalen Beziehungen erörtert. Die Auswahl
der theoretischen Konzeptionen erfolgte dabei in der Weise, daß im gewählten
Objektbereich der Internationalen Beziehungen aufgezeigt werden konnte, wie
ein makrosoziologischer Ansatz und ein Ansatz, der sich primär auf die Analyse
mikrosoziologischer Phänomene, aus denen makrosoziologische Sachverhalte
abgeleitet werden können, zu Erklärungen gelangen. Wesentlich war hierbei,
deutlich zu machen, wie sich grundsätzlich die Definitionen von Erklärung in
den vorgestellten theoretischen Konstrukten
unterscheiden
und darauf
aufbauend unterschiedliche Theorieentwicklungen bedingen.
Der makrosoziologische Ansatz Talcott Parsons‘ gründet sich dabei auf die
systematische Darstellung sozialer Bedingungen, wobei zentral die Frage nach
der Wirkung von Handlungen auf das gesellschaftliche System gestellt wird,
d.h. Parsons erklärt das Explanandum mit dem Explanandum. Welche
Ursachen, d.h. Interessen, letztlich hinter Handlungen stehen (das Explanans),
kann Parsons nur im Rückgriff auf
gesellschaftliche Bestandsanalysen
herleiten. Die funktionale Erklärung kann folglich keine kausale Begründung des
„Warum“ oder „Wozu“ einer individuellen Handlung liefern.
Der struktur-individualistische Theorieansatz begründet sich hingegen auf der
kausalen, insbesondere der rationalen Erklärung. Systematisierung und
funktionale
Aspekte
dienen
dabei
lediglich
als
Hilfsfunktion.
Die
Erklärungsperspektive richtet sich somit nicht auf die gesamte Dimension
gesellschaftlicher Wirklichkeit, sondern nur auf Teilbereiche, zumeist Prozesse.
Die Erklärung erfolgt also mit Hilfe der Gesellschaft, nicht die Gesellschaft an
sich
wird
erklärt.
Von
diesem
Aspekt
ausgehend
ist
es
möglich,
akteursspezifische Analysekonzepte, zu deren grundlegenden Kriterien neben
der Handlungstheorie
der rationalen Wahl auch
die
Annahme
einer
beschränkten Rationalität gehören (die es ermöglichen auch nicht-vernünftige
176
Handlungsweisen zu erklären) und die sich z.B. in spieltheoretischen Matrizen
nieder-schlagen. Wesentliches Moment ist die Untersuchung von Präferenzen,
d.h. Interessen von individuellen/sozialen Akteuren im Rahmen einer
kontextabhängigen, d.h. auf Beschränkungen beruhenden, Mittel-auswahl. In
der Erweiterung wird dann das Aggregationsproblem hinsichtlich der Erfassung
gesellschaftlicher Sachverhalte diskutiert. Die Erforschung sozialer Phänomene
richtet sich damit auf den „Verursacher“ derselben, d.h. einzelne Individuen
oder Individuen in Kollektiven.
Bei der Übertragung der vorgestellten theoretischen Konzeptionen auf den
Forschungsbereich der Internationalen Beziehungen stand insbesondere die
Erfassung und Erklärung außenpolitischen Entschei-dens und Handelns im
Mittelpunkt. Unter Berücksichtigung der Frage nach den Bedingungen einer
friedlichen Beilegung von Konflikten im internationalen Rahmen, wobei
Konflikte als widersprechende Interessen auf unterschiedlichen Ebenen der
Auseinandersetzung aufgefaßt werden, wird der Begriff des Interesses zur
zentralen Kategorie. Die Analyse von Interessen muß vor diesem Hintergrund
wesentliches
Anliegen
theoretischer
Konzeptionen
sein.
Die
system-
theoretische Modellierung sozialer Phänomene greift diesen Aspekt im Kontext
eines normativ geprägten, sozial-konstruktivistisch angelegten Bezugsrahmens
auf und formuliert damit im wesentlichen die Problemstellung und gibt eine
Beschreibung des Ist-Zustandes des internationalen Systems. Da die
Vorgehensweise dabei eine ahistorische ist, kann nicht auf die Genese von
Konfliktsituationen
eingegangen
werden.
Außerdem
muß
im
Rahmen
systemischer Analysen immer der Bezugspunkt des Systemerhalts fokusiert
werden, so daß notwendiger gesellschaftlicher Wandel nicht erörterungsfähig
ist. Soziale Unge-rechtigkeit in ihren vielfältigen Ausprägungen kann anhand
der bestehenden systemtheoretischen Modelle nicht erfaßt und unter der
Voraussetzung, daß Theorie die Grundlage einer anwendungsbezogenen
Realwissenschaft ist, nicht zum Thema praktischer Politik werden.
Unter Beachtung der zeitlichen und gesellschaftlichen Bedingungen der
Entstehung des
systemtheoretischen
Programms
soll schließlich
noch
angemerkt werden, daß das internationale Gefüge bis in die Nachkriegsära des
177
Zweiten Weltkriegs sehr homogen war. Eine theoretische Konzeption, die
ganzheitlich angelegt ist, übernimmt hier auch sinnversichernde Funktionen, die
dann allmählich durch die Veränderungen in den 60er Jahren auf nationalen
und internationaler Ebene(n) ihre Gültigkeit verloren. Die Problematik der
Erfassung sozialer Veränderungsprozesse läßt sich bereits an diesen kurzen
Hinweis verdeutlichen: Die Systemtheorie als Forschungsprogramm konnte im
Verlauf der sich verändernden weltpolitischen Situation ihrem Anspruch, eine
allgemeine Theorie zur Erklärung sozialer Phänomene zu sein, nicht gerecht
werden. Die statische Theoriekonstruktion und die auf den Systemerhalt
konzipierte Hypothesenbildung waren nicht geeignet, die gesellschaftlichen
Interessengegensätze sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene
in der Weise zu erfassen, daß die systemtheoretische Modellbildung den
gesellschaftlichen Anforderungen entsprechen und daraus ihre Rechtfertigung
ableiten konnte.
Für den struktur-individualistischen Ansatz ist in Kapitel 5 dieser Arbeit bereits
die Problemstellung hinsichtlich der Erfassung von Verteilungsgerechtigkeit, als
wesentlichem Kriterium für eine befriedigende Konfliktlösungsmöglichkeit in
internationalen Zusammenhängen, im Rahmen der unterschiedlichen Themenstränge angeführt worden. Geht man davon aus, daß gerade die NichtPartizipation an ökonomischen Gütern zu den grundlegenden Konfliktpunkten
auf weltpolitischer Ebene zähltt, muß im Rahmen eines im wesentlichen
ökonomischen Erklärungsansatzes die Frage nach der moralischen Rechtfertigung von sozialer Handlung, von Tausch im weiteren Sinn, zu den
normativen Implikationen zählen.
Der Aspekt der ökonomischen Verteilungsprobleme wird im Rahmen des
struktur-individualistischen
Programms
anhand
der
Idee
einer
reinen
Verfahrensgerechtigkeit zur Behebung von Verteilungskonflikten diskutiert.
Auch wenn Marktmechanismen als Regelungsfaktoren bejaht werden, kann
jedoch keine Einigung hinsichtlich der beschränkenden Bedingungen bei
Tauschaktionen erzielt werden. Die Frage nach der Gerechtigkeit der
Verteilung, basierend auf Verfahrensregeln, muß sich jedoch auf die Erfassung
von sozialen Kontextbedingungen richten.
178
Die weiteren Entwicklungen dieser thematischen Richtung sind mit Interesse zu
verfolgen und werden wohl einen wesentlichen Beitrag zur strukturindividualistischen
Theoriebildung
und
ihrer
Anwendung
auf
den
Forschungsbereich der Internationalen Beziehungen leisten.
179
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