Die Lungenembolie - immer noch eine diagnostische

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Medizinisches Thema
KV-Blatt 04.2012
Die Lungenembolie – immer noch eine
diagnostische Herausforderung
Die Lungenembolie hat unverändert
einen hohen Anteil an den Todesfällen
in Deutschland. So starben 2010 nach
Angaben des Statistischen Bundes­
amtes 7.796 Menschen (3.356 Männer und 4.440 Frauen) infolge einer
Lungen­embolie. Mit 6.059 Todesfällen
war davon die Altersgruppe der 65- bis
90-­Jährigen am häufigsten betroffen.
Die Deutsche Gesellschaft für Angio­
logie – Gesellschaft für Gefäßmedizin – geht sogar davon aus, dass in
Deutschland jährlich etwa 40.000 Menschen an einer Lungenembolie sterben.
Damit wäre die Lungenembolie – nach
Herzinfarkt und Schlaganfall – die dritthäufigste zum Tode führende HerzKreislauf-­Erkrankung.
Nach veröffentlichten DRG * -Daten des
Gefäßzentrums der Helios-Klinik in Krefeld wurden aber zunehmend häufiger
auch Mädchen und junge Frauen im
Alter zwischen 12 und 17 Jahren mit der
Diagnose Lungenembolie ins Krankenhaus eingeliefert. Nach der Statistik der
Klinik starben 2010 6 Personen an einer
Lungenembolie, davon 4 weibliche und
2 männliche.
Ursache der Lungenembolie ist die Verlegung einer Lungenarterie durch eine
Thromboembolie. Diese Thrombo­
embolie geht meist von einer tiefen
Venenthrombose der unteren Extremi­
täten auf der Grundlage einer chronischvenösen Insuffizienz und Varikosis aus.
Bei fehlendem Hinweis für die tiefe
Beinvenenthrombose sind auch darüber hinaus andere infrage kommende
thrombosebegünstigende Risikofaktoren
zu überprüfen:
rKardial bedingt, wie Stauungsherz­
insuffizienz, Rekompensation mit
massiver Ödemausschwemmung,
Vorhofflimmern etc.,
rHämostase-bedingt mit angeborenem
oder erworbenem AT-III-, Protein-C-,
Protein-S-Mangel, Faktor-V-LeidenMutation etc.,
rOperations- und Trauma-bedingt, bes.
abdominale Operationen, Hüft-, Kniegelenksersatz,
rImmobilisation, z. B. nach Schlaganfall,
langem Sitzen bei Autofahrten, Lang­
streckenflug,
rAdipositas,
rstarkes Rauchen,
rOvulationshemmer, wodurch es zur
Erhöhung der APC-Resistenz kommt,
rparaneoplastisches Syndrom einschl.
Chemotherapie.
r Z. n. Katheterisierung der V. femoralis,
rgenetische Anomalien der Gerinnungsfaktoren.
Die Lungenembolie kann eingeteilt werden nach
rdem Verlauf (akut, chronischrezidivierend­),
rdem Schweregrad (leicht, submassiv,
massiv, fulminant),
rder Lokalisation (zentral, intermediär,
peripher).
Klinisches Bild der akuten
Lungenembolie­stark viarabel
Das klinische Bild der akuten Lungen­
embolie ist demnach stark variabel,
kann aber in zwei prinzipielle Erscheinungsformen unterteilt werden. Einerseits liegt ein akuter kardiovaskulärer
Notfall mit Kreislaufschock infolge einer
fulminanten Embolie mit Verlegung des
Pulmonalisstammes vor, was auch zum
plötzlichen Tod bei etwa 10 % der Erst­
ereignisse führen kann. Diese Patienten
sieht man in der Niederlassung eher
selten. Es wird geschätzt, dass nur 1/5
der tödlich verlaufenden Lungenembolien zuvor sowohl vom Patienten als
auch vom konsultierten Arzt wahrgenommen wird. Häufiger aber kommen
andererseits Patienten zur Abklärung in
die Praxis, die unspezifische Beschwerden, wie eine wechselnde und bis
dahin nicht bekannte Dyspnoe, haben.
Diese Atemnot kann mit einer Tachykardie (> 100/min) sowie mit pleuritischen Schmerzen einhergehen. Auch
Reiz­husten, Schwindel, Synkopen und
Hämoptysen können auftreten.
Diagnostische Verfahren
Uns stehen folgende diagnostische
Verfahren­zur Verfügung. Die klinische
Untersuchung vor allem mit Auskul­tation
der Lunge und des Herzens muss nicht
zwingend pathologische Befunde ergeben. Auch die Untersuchung der Beine
hinsichtlich der Thrombussuche kann
negativ sein. Dazu gehören die Überprüfung des Wadendruckschmerzes,
eindrückbare Ödeme, Kollateralvenen
sowie die vergleichende Messung des
Wadenumfanges beiderseits. Die Inzidenz dieser diagnostisch wichtigen
Befunde ist gering und liegt bei ca. 15 %.
Für den Patienten hilfreich ist es in dieser Situation aber, auch an die Möglichkeit einer Lungenembolie als Ursache
Abb. 1: EKG (25mm/s) einer 65-j. Patien­tin mit akuter Lungenembolie infolge tiefer Beinvenenthrombose re Oberschenkel. Dieses EKG zeigt die Belastungen des rechten Herzens.
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seiner Beschwerden zu denken, denn sie
ist häufig unterdiagnostiziert und wird
ursächlich auf 30 % der tödlichen Ausgänge geschätzt. Die ­Lungenembolie
gehört somit zu den am häufigsten
übersehenen und falsch diagnostizierten Todesursachen. Behilflich dazu
kann die Verwendung des WELLS-Scores
sein, der mithilfe eines Punktesystems
die klinische Wahrscheinlichkeit in niedrig (0 –1 Punkte), mittel (2–6 Punkte)
und hoch (v 7 Punkte) einteilt. Danach
ist die Lungenembolie unwahrscheinlich, wenn u 4 Punkte vorhanden sind.
Das Ruhe-EKG und der Röntgen-Thorax
können Hinweise bringen, sind aber für
eine definitive Diagnose weder bestätigend noch ausschließend. Im Anfangsstadium ist der Röntgen-Thorax meist
unauffällig, im Verlauf sind eine keil­
förmige Infarktpneumonie und ein
Pleura­erguss nachweisbar. Auch die
Bestimmung der D-Dimere in der Praxis
ist, falls negativ, nur eine Ausschlussdiagnostik bei Patienten mit niedriger
klinischer Wahrscheinlichkeit, eine Lungenembolie nach dem WELLS-Score
zu haben. Häufig sind sie jedoch auch
unspezifisch erhöht. Das Troponin kann
erhöht sein und ist in erster Linie zur
Einschätzung des Mortalitätsrisikos
geeignet, da es ein Marker der myokardialen Schädigung ist. Die Blutgase
zeigen bei ca. 20 % der Patienten eine
Hypoxämie.
Veränderungen im Ruhe-EKG (Abb. 1)
sind bei 25–50 % der Patienten nachweisbar, nach Untersuchung der eige-
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nen Arbeitsgruppe: 34 %. Liegt ein EKG
zum Vergleich vor, lassen sich diese Veränderungen sicherer bewerten. Diese
nicht immer vollständig vorhandenen
Kriterien sind u. a. SI-QIII-Typ, ST-Senkung in I/II, negative T-Wellen rechts
präkordial, ein neu aufgetretener inkompletter oder kompletter RSB, die Drehung des QRS-Vektors in den Extremitätenableitungen nach rechts, das
P dextroatriale.
Die hämodynamische Grundlage dieser genannten EKG-Veränderungen ist
eine akute rechtsventrikuläre Druckund Volumenbelastung. Diese hämo­
dynamischen Veränderungen sind in
der 2-D-Echokardiografie mit Dilatation
des rechten Ventrikels, einem hypokinetischen Kontraktionsablauf sowie einer
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Fortsetzung von Seite 35­
paradoxen Septumkinetik zu erfassen.
Im CW-Doppler findet man eine Trikus­
pidalinsuffizienz und einen Anstieg des
pulmonalarteriellen Druckes. Patienten,
bei denen bereits anamnestisch eine
rechtsventrikuläre Dysfunktion vorliegen kann (z. B. COPD-Patienten) oder
bei denen die Echokardiografie eine eingeschränkte Aussage hat (z. B. Emphysem, Adipositas), müssen bei fortbestehendem Verdacht auf Lungenembolie
einer der anderen bildgebenden Methoden (s. u.) zur weiteren Diagnostik unterzogen werden. Falls möglich,
sollte auch die Dopplersonografie der
Beinvenen zur Diagnostik der Emboliequelle ambulant durchgeführt werden.
Ist der Patient hämodynamisch stabil­
und liegt nach den ersten Untersuchungen des Patienten der Verdacht
auf eine Lungenembolie vor, muss aus
der Praxis heraus umgehend eine weiterführende Diagnostik veranlasst werden.
Dies bedeutet in der Regel die Vorstellung in der nächstgelegenen Rettungsstelle eines Krankenhauses zur Sicherung der Diagnose.
Es stehen in der Klinik – je nach Ausstattung – weitere diagnostische Methoden zur Verfügung: Die Perfusions- und
Ventilationsszintigrafie zeigt den segmentalen Ausfall der Durchblutung und ggf.
auch der Ventilation bei bereits vorhandenen Infiltraten.
Die Pulmonalisangiografie, die ihren
Ursprung bereits in den 1960er-Jahren
des letzen Jahrhunderts hat, ist auch
heute noch in den Leitlinien sowohl
der ESC als auch der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie als diagnostischer
Goldstandard für den Ausschluss und
die Bestätigung der Lungenembolie
definiert. Sie ist aber eine teure invasive
Methode, die mit einer Mortalität von
0,2 % in der Hochrisikogruppe angegeben wird und vorwiegend in größeren
Zentren zur Verfügung steht. Von der
Katheterisierungstechnik sollte das Vorgehen vom Arm aus unbedingt bevorzugt werden, da bei Durchführung via V.
femoralis weitere Embolisierungen aus-
gelöst werden könnten. Dieses invasive
Vorgehen wird nach wie vor in Betracht
gezogen, wenn die Therapieoption die
Zertrümmerung und Absaugung des
Thrombus ist.
Beide Methoden sind aufgrund neuer
technischer Entwicklungen, wie der
Multidetektor-CT-Pulmonalisangiografie, die in Kombination mit der Beinvenen-Kompressionssonografie durchgeführt wird, in den Hintergrund getreten.
Die Durchführung des Thorax-CT mit
Kontrastmittel ist für den Patien­ten
weitaus weniger belastend und von
annähernd gleicher diagnostischer
Sicherheit, besonders dann, wenn mehr
als ein subsegmentaler Verschluss oder
ein proximaler Thrombus nachgewiesen wird. Zur weiteren Validierung der
Methode wird gegenwärtig eine multizentrische Studie durchgeführt.
Die weitere Therapie
Die weitere Therapie hängt von der
Risiko­stratifizierung der Lungenembo­lie
ab: Bei einem hohen (> 15 %) Lungen­
embolie-bedingten frühen Todesrisiko
erfolgt eine Gabe von unfraktioniertem
Heparin, kombiniert mit Thrombolyse
oder Embolektomie. Bei einem mittleren Todesrisiko (3–15 %) erfolgen eine
stationäre Aufnahme mit Monitorüberwachung und die Gabe von niedermolekularem Heparin. Bei niedrigem Todesrisiko (< 1 %) erfolgt eine ambulante
Therapie bzw. wird eine zügige Krankenhausentlassung angestrebt. Auch
hier erfolgt die Gabe von niedermolekularem Heparin. Anschließend erfolgt die
Umstellung auf orale Antikoagulanzien
in der Regel für ein Jahr, bei Nachweis
von Gerinnungsstörungen verschiedener Art lebenslang.
Neben der akuten Lungenembolie ist bei der wiederkehrenden Dyspnoe auch an eine chronisch rezidivierende Lungen­embolie zu denken. Die
zunehmende Rechtsherzbelastung ist
die Folge kleinerer immer wiederkehrender Thromboembolien, die zu einer
sukzessiven Drucksteigerung im klei-
nen Kreislauf führen. Bei diesen Patien­
ten ent­wickelt sich dann die sekundäre
pulmonale Hypertonie und infolgedessen das chronische Cor pulmonale.
Die peripher des Thrombus gelegenen
Lungen­abschnitte machen strukturelle
Veränderungen bis zum Narbengewebe
durch. Je ausgedehnter diese Areale
sind, umso stärker sind die Symptome
wie Belastungsdyspnoe, reduzierte
körper­liche Belastbarkeit und Husten
ausgeprägt. Betreut man z. B. als Hausarzt diese Patienten über eine lange
Zeit, so kann man schon im EKG eine
zunehmende Belastung des rechten
Herzens finden, die dann wegweisend
im Zusammenhang mit der Symptomatik für den sekundären Lungenhochdruck ist. Als Ursache dieser rezidivierenden Thromboembolien ist oft eine
genetische Abweichung im Gerinnungssystem, das Antiphospholipid-Syndrom,
anzunehmen, das häufiger als gedacht
zu sein scheint, da es auch bei mehr
als 10 % der neu diagnostizierten tiefen
Venenthrombosen nachweisbar ist.
Die Therapie sind je nach Ausdehnung
der Verlegung der Lungenstrombahn
die Thrombendarteriektomie und die
lebenslange orale Antikoagulation.
Fazit
Es können mehr oder weniger alle
Fachrichtungen mit diesem Krankheitsbild konfrontiert werden. Am häufigsten aber werden Hausärzte, Angiologen, Kardiologen, Röntgenologen und
besonders alle chirurgischen Fächer mit
dieser Symptomatik konfrontiert. Das
wichtigste für uns alle ist: Bei entsprechender Symptomatik an dieses Krankheitsbild denken!
PD Dr. med. Elke Parsi
Fachärztin für Innere Medizin/
Kardiologie /Angiologie
13053 Berlin
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