Die innere Drehbühne der Politik – politische

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Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent
» Die innere Drehbühne der Politik –
politische Kommunikation
zwischen Werteorientierung und
Machtbewusstsein
Für einen guten Politiker reicht es nicht aus, wenn er Gutes
im Sinn hat – auch wenn dies durchaus schon viel ist! Er muss
darüber hinaus gut kommunizieren können, um eine Chance
zu haben, seine Ideen zu verwirklichen; er muss von anderen
lernen und mit ihnen zusammenarbeiten können. Nun liegt in
der politischen Kommunikation vieles im Argen – zumindest
ist der Ruf von Politikern nicht der beste. Sie gelten als nichtssagende Schwafler, als Lügner, die einem keinen reinen Wein
einschenken, als unauthentisch und undialogisch. Unter dieser Wahrnehmung haben auch wir gelitten.
Mit diesem Artikel möchten wir einen Beitrag zur politischen Kommunikationskultur und zu ihrem besseren Verständnis leisten. Was wir dafür mitbringen, ist eine Doppelqualifikation: zum einen jahrelange politische Erfahrung als
streckenweise erfolgreiche aktive Gewerkschaftsfunktionäre,
Parlamentarier und Regierungsmitglieder. Zum anderen eine
gründliche Kenntnis der Hamburger Schule der Kommunikationspsychologie.
Zunächst geht es uns darum, die besonderen Herausforderungen für Politiker herauszuarbeiten: Wie unterscheiden
sich diese von den Anforderungen, vor denen beispielsweise
ein Arzt, Lehrer oder Trainer steht? Dabei werden wir auf eine
Reihe von Dilemmata stoßen, die in der Rolle des Politikers
Die innere Drehbühne der Politik 127
angelegt sind, und Wege skizzieren, wie ein konstruktiver Umgang mit ihnen aussehen kann.
Besondere Herausforderungen politischer
Kommunikation
Die Inhalte politischer Kommunikation sind Themen von
öffentlichem Interesse. Dabei unterscheiden sich Bewertungen und Interessenlagen deutlich je nach gesellschaftlicher
Stellung des Bewertenden (arm oder reich, Arbeitnehmer
oder Arbeitgeber), seinem Wertesystem (Religion, kulturelle Prägung, Milieu) und seiner politischen Heimat (rot,
schwarz, gelb, grün …). Ziel politischer Kommunikation ist
idealerweise die Gestaltung der Regeln und die Lösung der
Konflikte zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen
Gruppen. Als erfolgreich wollen wir hier denjenigen Politiker
bezeichnen, der für die Verwirklichung seiner Vorstellungen
und Kon­zepte die (notwendige) demokratische Mehrheit gewinnen kann.
Dabei ist für eine gute Politik die Beherrschung kommunikativer Techniken notwendig, aber nicht ausreichend. Zusätzlich wird aus unserer Sicht eine kraftvolle innere Überzeugung
und Werteorientierung als Grundlage der eigenen Vorstellungen und Konzepte gebraucht. Ohne diese würde der Politiker
zum inhaltsleeren Machttechniker, der sich unweigerlich an
den Lehrsätzen von Machiavelli orientiert nach dem Motto:
Egal wofür – Hauptsache, mächtig! Politik kann also nur dann
wirklich «gut» genannt werden, wenn sie auch dazu dient,
innere Überzeugungen zu verwirklichen. Gute Politik müsste
uns darüber hinaus inhaltlich gefallen.
Allerdings läuft ein an seinen Werten orientierter Politiker
128 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent
ohne ein realistisches Machtbewusstsein Gefahr, trotz guter
Absichten wirkungslos zu bleiben. Das wäre schlecht für seine
guten Absichten und für diejenigen, in deren Interesse und in
deren demokratischem Auftrag er tätig ist. Mit einem Werteund Entwicklungsquadrat (s. Abb. 1) lässt sich die Spannung
zwischen diesen Ausrichtungen skizzieren:
Innere Überzeugung
Werteorientierung
Entwertende
Übertreibung
Einflussloses
Gutmenschentum
Positive Spannung
Machtbewusstsein
Konträre
Gegensätze
Überkompensation
Entwertende
Übertreibung
Machiavellistische
Machttechniken
Abb. 1: Werte- und Entwicklungsquadrat
Werteorientierung – Machtbewusstsein
Die Orientierung in diesem Spannungsfeld ist in der politischen Kommunikation nicht leicht. Möchte sich ein Politiker
beispielsweise an humanistischen Werten orientieren, so steht
er in Wahlkampfsituationen vor dem Problem, dass ein ausgeprägt respekt- und verständnisvoller Umgang mit dem politischen Gegner den eigenen Erfolg behindern kann. Denn hier
kommt es naturgemäß auf Polarisierung an. Wir können dieses Dilemma nicht lösen, halten es gleichwohl für wesentlich,
reflektiert mit der Spannung zwischen Werteorientierung und
Die innere Drehbühne der Politik 129
Machtbewusstsein umzugehen, und werden im Folgenden immer wieder darauf zurückkommen.
Im Zentrum dieses Beitrages jedoch sollen die Formen situationsgemäßer politischer Kommunikation stehen. Worin liegen
deren Besonderheiten?
Adressaten politischer Kommunikation sind zumeist
nicht Einzelne, sondern die öffentliche Hörerschaft. Selbst bei
scheinbaren Dialogen, zum Beispiel auf einem Podium oder in
einer TV-Talkshow mit Moderatoren, sind oft die Zuschauer
die eigentlichen Adressaten. Und während sich gelungene
Kommunikation im täglichen Leben meist an der Fähigkeit
zum gegenseitigen Verständnis und an der Suche nach Gemeinsamkeiten erkennen lässt, gibt es in der politischen Kommunikation oft das Ziel, Unterschiede und Trennendes zu betonen. Schauen wir uns wesentliche Rollen-Anforderungen an
einen Politiker und ihre Widersprüchlichkeiten an.
» Polarisierer und Vermittler
Besonders im Wahlkampf ist die Erkennbarkeit von Unterschieden von entscheidender Bedeutung. Der Politiker muss
hier die Differenzen zu anderen Parteien deutlich machen,
ihnen Gewicht geben, das eigene Profil schärfen und klare
Grenzen setzen: Er muss polarisieren. Es geht um Trennschärfe. Ohne wahrnehmbare Unterschiede gäbe es keine Entscheidungsmöglichkeit bei Wahlen.
Nach der Wahl, bei der Umsetzung politischer Ideen, sind andere Qualitäten gefragt. Das gilt in erster Linie für Regierungspolitiker. Jetzt kommt es darauf an, auch mit anderen Akteuren
ins Gespräch zu kommen. In Behörden gilt es, den Sachverstand
130 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent
und die Erfahrung der Beamten und Angestellten zu berücksichtigen. Bei parlamentarischen Initiativen wird mindestens
die Hälfte des Parlamentes für die Sicherung der Mehrheit gebraucht. Und bei fast allen wirtschaftlichen Fragen sind Unternehmen und ihre Verbände wichtige Verhandlungspartner.
In diesen und manchen anderen Situationen sind Verhandlungsqualitäten gefragt. Es geht darum, andere von den
eigenen Positionen zu überzeugen, sie für ein bestimmtes Verhalten zu gewinnen und die richtigen Schritte zum richtigen
Zeitpunkt zu gehen. Dabei kommt es vor allem darauf an, Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und Gegensätze in den Hintergrund treten zu lassen. Wenn es um Verhandlungen geht,
um Interessenausgleich und die Verbreiterung der demokratischen Legitimation politischen Vorgehens, muss der ideale
Politiker also insbesondere ein guter Vermittler sein, der seine
Gesprächspartner mit Respekt behandelt, offene Ohren hat
und zuhören kann. Er tut gut daran, seinen Ärger gelegentlich
hinunterzuschlucken und sich nicht öffentlich als Sieger über
Leute zu präsentieren, mit denen er später noch Einigungen
erreichen will. Muss also der ‹erfolgreiche Politiker› hier plötzlich ein anderer Mensch werden? Verfolgen wir seinen Weg
­zunächst weiter.
» Sprecher der Herzen und nüchterner Analytiker
Wenn es darum geht, andere für die eigenen Ziele zu erwärmen, ist Einfühlungsvermögen in deren Seelenlage wichtig.
Wer als Sprecher der Herzen die Gefühle seiner Zuhörer in
Worte fassen kann, schafft Vertrauen und Zustimmung, und
das Vertrauen der eigenen Gefolgschaft ist eine wichtige Voraussetzung für Wahlerfolge. Bei der Situationsanalyse und
der Planung politischer Prozesse kommt es demgegenüber
Die innere Drehbühne der Politik 131
eher auf emotionslose Nüchternheit und kluge Vorausschau
an. Eine allzu große Begeisterung für die eigenen politischen
Ideen kann hier durchaus hinderlich sein.
Der nüchterne Analytiker ist in Gefahr, die Herzen der Menschen nicht zu erreichen. Der begeisterte Herzensmensch hingegen droht in der Überidentifikation mit seinem Standpunkt
die Realität zu verzerren oder zu versimpeln.
» Anführer und Repräsentant
Bei Meinungsbildungsprozessen muss sich der Politiker zwischen den Rollen eines «Repräsentanten» und eines «Anführers» bewegen. Als Repräsentant wird er im Auftrag seiner
Wähler tätig, die er vertreten soll. Wähler suchen sich in einer
Demokratie die Personen aus, denen sie die Vertretung ihrer
Interessen und Positionen am besten zutrauen. Mit der Wahl
übertragen die Wähler ihren Anteil an der «Volksmacht» auf
ihren Repräsentanten, sodass dessen erhöhte Macht durch
­ihren Auftrag legitimiert ist. Dieser könnte also lauten: «Sei
die Stimme und der verlängerte Arm deiner Wähler!»
Als Anführer muss der Politiker seine Basis davon überzeugen können, seinen Vorschlägen zu folgen. Schwierig wird
dies vor allem dann, wenn er im Zuge seiner Tätigkeiten zu
Erkenntnissen kommt, die von seiner Gefolgschaft so nicht
oder noch nicht geteilt werden. Hier kommt ihm die Aufgabe
zu, auch für unpopuläre und schmerzhafte Entscheidungen,
die er gleichwohl für nötig hält, zu werben.
Wer immer nur Repräsentant ist, läuft Gefahr, interessenbedienender Opportunist ohne eigenes ‹Standing› zu sein.
Wer immer nur Anführer ist, droht dagegen den Auftrag zu
verfehlen, den er von seiner Basis erhalten hat und der ihn
legitimiert.
132 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent
» Visionär und Macher
Selten sind in der Welt die realen Zustände so, wie man sie haben
möchte. Daraus ergibt sich für den Politiker ein weiterer Rollenkonflikt. In der Rolle des Visionärs orientiert er sich an einem
Zielzustand, wie er oft durch Parteiprogramme beschrieben
wird. Nicht selten finden wir dort die Skizze einer Welt, in der
es im Prinzip allen Menschen gutgeht und sie ohne Sorgen in
Frieden und Freiheit miteinander leben. Während z. B. die Grünen dabei besonderen Wert darauf legen, keinen Gefahren aus
Atomenergienutzung oder Umweltverschmutzung ausgesetzt
zu sein, könnten bei Sozialdemokraten Gerechtigkeit und die
Lebensverhältnisse der kleinen Leute stärker im Vordergrund
stehen und bei Konservativen vielleicht das hohe Wirtschaftswachstum, das Wohlstand für alle sichern soll.
Visionen bebildern die Ziele und verleihen ihnen ihre Kraft.
Als Visionär wird ein Politiker im Sinne seiner Ziele argumentieren und um Unterstützung für sich und seine Ziele werben.
Um jedoch tatsächliche Änderungen erreichen zu können,
muss er als Macher auf Erwerb und Erhalt von Einfluss und
Macht bedacht sein. Erfahrungsgemäß geben viele Wähler bei
ihren Entscheidungen den bereits erfolgreichen Politikern den
Vorzug gegenüber ihren noch erfolglosen Mitbewerbern. Je
ehrgeiziger die Visionen, desto mehr läuft ein Politiker Gefahr,
diese nicht erreichen zu können und deshalb als gescheitert
wahrgenommen zu werden. Erfolge bei der Gestaltung der
Wirklichkeit sind häufig in eher kleinen Schritten zu messen.
Hier ist die Bewertung eines kleinen Schrittes sehr stark von
der angelegten Messlatte abhängig: Gegenüber einer ehrgeizigen Vision erscheinen kleine Schritte eher als Misserfolge –
gegenüber dem vorhergehenden Zustand erscheinen sie eher
als Erfolge.
Um als erfolgreich wahrgenommen zu werden, wird der
Die innere Drehbühne der Politik 133
kluge Politiker also darauf drängen, seine erreichten Ergebnisse in erster Linie an der Ausgangslage und nicht an den
Visionen zu messen. Bei den Grünen wurde jahrelang erbittert darüber gestritten, an welchem der beiden Kriterien ihre
Politik ausgerichtet werden sollte. Diese sogenannte Realo/
Fundi-Debatte ging in die Geschichte ein. Die «Fundamentalisten» standen dabei für eine Politik mit dem Ziel, Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend umzugestalten, während
die «Realos» als Vertreter des «Machbaren», der Veränderung
in kleinen Schritten, auftraten. Bei näherem Hinsehen gibt es
diese Polarität nicht nur bei den Grünen, sondern in fast allen
Parteien und politischen Gruppierungen.
In der entwertenden Übertreibung wird der Macher zum
Machtpolitiker, der die inhaltlichen Ziele seiner Politik aus
den Augen verloren hat: Hauptsache, er behält seinen Posten.
Der Visionär wird in der entwertenden Übertreibung zum Utopisten und Phantasten, dem es egal ist, wozu sein Verhalten in
der Wirklichkeit führt, wenn nur seine Werte- und Ideenwelt
nicht zu Schaden kommt.
Wie umgehen mit Rollenkonflikten?
Wir sehen an diesen Rollenanforderungen, die zugleich Rollenkonflikte sind, dass der Politiker mal so und mal so auftreten muss: mal als zuspitzender Polarisierer, mal als diplomatischer Vermittler usw. Es werden ihm also unterschiedliche, oft
gegensätzliche Qualitäten abverlangt. Wie kann ein Politiker
mit diesen Rollendilemmata umgehen und dabei gleichzeitig
sich selber und den eigenen Ideen treu bleiben? Wir möchten
dieser Frage zunächst theoretisch und dann anhand konkreter
Beispiele nachgehen.
134 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent
Die Innenansicht von Rollenwechseln: Das Innere
Team auf der Drehbühne in der Politik
Mit dem Modell des Inneren Teams hat Friedemann Schulz
von Thun 1998 eine Möglichkeit geschaffen, die inneren Konflikte aus widersprüchlichen Rollenanforderungen sichtbar
und damit bearbeitungsfähig zu machen. Übertragen auf unser Thema, heißt dies: Für jede Rolle, die ein Politiker ausführen muss, sollte in seinem Inneren Team ein Mitglied mit ganz
bestimmten menschlichen und kommunikativen Qualitäten
bereitstehen. Ein idealer Politiker hätte also in seinem Inneren
Team zur Verfügung:
» den Visionär und den Macher,
» den Anführer und den Repräsentanten,
» den Sprecher der Herzen und den nüchternen Analytiker,
» den Polarisierer und den Vermittler.
Natürlich sind noch weitere Teammitglieder denkbar, die für
die Betrachtung anderer Aspekte interessant wären. So sind
z. B. die innere «Diva» und das innere «Mäuschen» für Maud
Winkler und Anka Commichau typische Teammitglieder
bei Vortragenden (Winkler/Commichau, 2005, S. 28). Ulrich
Sarcinelli erwähnt das Dilemma der Wahlkreisorientierung
gegenüber der Orientierung an gesamtstaatlichen Interessen,
welches in den USA durch das Gegensatzpaar «home-style»
und (Capitol-)«hill-style» ausgedrückt wird (Sarcinelli, 2005,
S. 98).
Beschränken wir uns hier auf die acht genannten idealtypischen Teammitglieder und schicken wir den Politiker nun mit
dieser inneren Mannschaft durch ein paar typische Stationen
auf dem Weg eines erfolgreichen Politikers: vom Zeitpunkt seiner Entscheidung für das politische Engagement über die parteiinternen und äußeren Wahlkämpfe und ihre VorbereitungsDie innere Drehbühne der Politik 135
phasen bis zur Regierung. Wir werden feststellen, dass die
unterschiedlichen Situationen völlig unterschiedliche Teamaufstellungen erfordern. Das Oberhaupt (nach Schulz von
Thun der «Chef» des Inneren Teams) steht also vor der Aufgabe, jedes Mal neu zu entscheiden, wie das Team aufgestellt
sein sollte, wer vorne stehen, wer welche Rolle spielen, wer
sich im Rampenlicht sonnen und wer möglichst in den Hintergrund treten und sich zeitweise zurücknehmen sollte.
Fangen wir bei der Bewerbung um eine Funktion in einer
Partei an.
» Vom Mitglied zum Kandidaten
Wer in einer Demokratie politisch Einfluss gewinnen will,
muss als Erstes versuchen, seiner eigenen Sichtweise Gewicht
zu verschaffen. Allerdings kommt es nicht auf die individuelle,
sondern auf eine mit anderen gemeinsame Sichtweise an, wenn
man demokratische Mehrheiten gewinnen will. Wird man zum
Stellvertreter für die Interessen einer ganzen Gruppe gewählt,
steigt der eigene Einfluss, denn dann kann man auch in deren
Namen sprechen. Der erste Schritt auf dem Weg zu mehr politischem Einfluss besteht deshalb darin, zum Repräsentanten
seiner eigenen Gruppe gewählt zu werden.
Um innerhalb einer Partei zum Repräsentanten, Stellvertreter, Sprecher oder zum Kandidaten für ein Parlament gewählt
zu werden, gilt es, möglichst gut auf den Punkt zu bringen, was
deren gemeinsamen Charakter ausmacht. Denn eine Parteiversammlung wählt in der Regel jene Person zu ihrem Repräsentanten, der es am besten gelingt, ihrer Gruppenidentität gesellschaftlichen Einfluss zu verschaffen – also denjenigen, der die
«Seele der Partei» am besten verkörpert und dem am ehesten
zugetraut wird, den Gruppenzielen Erfolge zu verschaffen.
136 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent
Wir wollen uns dafür anschauen, wie die Mitglieder des Inneren Teams auf der inneren Bühne des Politikers platziert
sind (s. Abb. 2). Bei der Kandidatenkür steht der «Sprecher der
Herzen» im Vordergrund der Bühne. Er bringt die Gruppenidentität zum Ausdruck und beweist den versammelten Parteimitgliedern, dass er einer der Ihren ist. In den Hintergrund
gehört dagegen der «nüchterne Analytiker», der auch die Gegenpositionen und die Kritik an der eigenen kennt und versteht. Schließlich soll eine Person gefunden werden, welche die
eigene Gruppenidentität nach außen vertritt, und nicht eine,
die diese so in Zweifel zieht, wie es große Teile der Außenwelt
sowieso schon tun.
In den Vordergrund gehört außerdem der Visionär, der die
Hoffnung auf große Ziele und die erwünschte Zukunft vertritt.
Der ergebnisorientierte Realist stört da eher, denn er müsste
auch die Mühen der Ebene, die Existenz anderer gesellschaftlicher Kräfte und die Relativität des eigenen Standpunktes
­benennen. Das sind eher schlechte Nachrichten, welche die
Stimmung in der eigenen Gruppe belasten würden – der
­Realist liefe also Gefahr, die Kirche leer zu predigen. Das müssen wir im Sinne des Erfolgs einkalkulieren, sosehr wir uns als
Teile einer aufgeklärten Gesellschaft auch wünschen mögen,
dass allein sachliche und differenzierte Argumente überzeugen.
Gleichwohl können wir darauf setzen, dass in einer Parteiversammlung bei den Zuhörern das nüchterne Denken nicht
gänzlich außer Kraft gesetzt ist und dass daher reiner Utopismus und Demagogie womöglich abschreckend wirken. Außerdem würde damit eine Atmosphäre geschaffen, die es im Falle
des Erfolgs mittelfristig schwerer machte, die eigene Basis von
notwendigen schmerzhaften Abstrichen zu überzeugen. Ein
kluger Politiker ist daher gut beraten, wenn er den Realisten
Die innere Drehbühne der Politik 137
Abb. 2: Inneres Team Kandidatenwahl
138 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent
nicht allzu sehr an die Kontaktlinie schickt – ihn jedoch als inneren Ratgeber präsent hält und ihn nicht ganz von der Bühne
verbannt.
Polarisierer und Vermittler im Inneren Team können situationsbezogen positioniert werden: Gibt es innerparteiliche
Konflikte, so kann eine gelungene Vermittlung dazu führen,
Zustimmung von allen Seiten, Lagern oder Flügeln einer Partei zu erhalten. Sind die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der
Partei dagegen sicher, so kann es mehr Erfolg versprechen, sich
klar polarisierend zur Mehrheit zu bekennen. In der Charakterisierung und Bewertung der politischen Gegenwelt kommt
dem Polarisierer in jedem Fall eine hohe Bedeutung zu. Die
Parteigruppe wird sich erst einmal in ihrer Identität bestärkt
fühlen, wenn die Konkurrenz in finsteren Farben als Irrtum der
Weltgeschichte präsentiert wird. Darin liegt eine große Verführung zur Abwertung der politischen Gegner. Auch hier gilt
jedoch: Wer mittel- und langfristig Vertrauen und Glaubwürdigkeit erlangen möchte und sich für ein respektvolles Miteinander einsetzt, sollte sich an dem Kunststück versuchen, den
inhaltlichen Unterschied deutlich zu machen, ohne Andersdenkende zu diskriminieren.
Ebenso differenziert muss mit der Spannung zwischen den
Teammitgliedern Anführer und Repräsentant umgegangen
werden. Einerseits geht es darum, sich als Repräsentant zu
empfehlen, das heißt als ausführendes Organ der Basis. Andererseits muss dem Kandidaten auch Stehvermögen zugetraut
werden, er muss nicht nur ausführen, sondern auch anführen und sich gegen Widerstände auch in den eigenen Reihen
durchsetzen können.
Mit dieser Bühnenaufstellung des Inneren Teams scheint
uns die Kommunikation bei der Bewerbung für eine politische
Position am aussichtsreichsten. Was passiert nun, wenn unser
Die innere Drehbühne der Politik 139
gutaufgestelltes Mitglied tatsächlich zum Kandidaten gewählt
wird?
» Der Wahlkampf wird geplant
Als Kandidat einer Partei ist man gut beraten, sich an der Planung des Wahlkampfes verantwortlich zu beteiligen. Schließlich wird der eigene Auftritt im Rahmen des Wahlkampfkonzeptes stattzufinden haben. In der Wahlkampfplanung
geht es unter anderem darum, die Spannung zu bewältigen,
die dadurch entsteht, dass man einerseits das Angebotsprofil
der eigenen Partei zu repräsentieren hat, andererseits auch
auf die Nachfragemerkmale der Wählerschaft reagieren muss
(s. Abb. 3).
Bekenntnis zum
spezifischen
Politikangebot
Entwertende
Übertreibung
Parteibornierte
Sturheit
Positive Spannung
Ausrichtung auf
die aktuelle
Wählernachfrage
Konträre
Gegensätze
Überkompensation
Entwertende
Übertreibung
Populismus
Abb. 3: Werte- und Entwicklungsquadrat
Wahlkampfspannung
140 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent
Institutionell werden die Parteiinteressen in Reinform zumeist von den Vorständen vertreten, die das Innenleben der
Partei widerspiegeln. Fraktionsvorstände und Kandidaten
hingegen haben überwiegend die Außenvertretung der Parteipolitik zu leisten und stehen dementsprechend stärker auf der
Seite der Wählernachfrage.
Im Wahlkampf gilt es darüber hinaus zu berücksichtigen,
wie sich die politischen Wettbewerber verhalten. Denn auch
die konkurrierenden Parteien wollen bei den umkämpften
Wählern als die beste Alternative erscheinen. Außerdem muss
man versuchen, in der öffentlichen Meinung diejenigen Themen aufzuwerten, bei denen die Wähler der eigenen Partei am
meisten vertrauen. Ein gutes Wahlkampfkonzept ist deshalb
eine wichtige Erfolgsvoraussetzung.
Mit welcher inneren Bühnenaufstellung sollte nun unser
frischgewählter Kandidat in die Gremien gehen, in denen die
Wahlkampfplanung stattfindet? Im Gegensatz zum Inneren
Team der Wahlversammlung gehört der «Sprecher der Herzen»
jetzt in den Hintergrund (s. Abb. 4). Stattdessen wird auf der
Vorderbühne der «nüchterne Analytiker» benötigt. Jetzt muss
nämlich herausgefunden werden, welche Stärken die Wähler
bei den anderen Parteien sehen und welche Strategien deshalb
von der Konkurrenz zu erwarten sind. Insbesondere die illusionslose Analyse der eigenen Stärken und Schwächen mit den
Augen der Wähler verlangt die Fähigkeit des Perspektivwechsels, das Heraustreten aus der heimeligen Gruppenidentität.
Zudem wird auch der «Vermittler» zwischen den verschiedenen legitimen innerparteilichen Perspektiven auf den
Wahlkampf gebraucht. Der «Polarisierer» gehört demgegenüber in den Hintergrund, um zu vermeiden, dass zu diesem
falschen Zeitpunkt in der eigenen Partei gegeneinander WahlDie innere Drehbühne der Politik 141
Abb. 4: Inneres Team Wahlkampfplanung
142 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent
kampf gemacht wird. Sowohl der innere «Repräsentant» als
auch der innere «Anführer» haben wieder mittlere Rollen auf
der inneren Bühne. Der Repräsentant orientiert sich an den
Interessen seiner Basis und kann diese daher motivieren, den
gemeinsamen Wahlkampf nach Kräften zu unterstützen. Mit
Blick auf die Wählernachfrage muss der Politiker aber auch
den «Anführer» präsent haben, der Anforderungen von außen
in die Gremiendiskussion einbringt.
Diesmal kommt neben dem inneren «Visionär» auch der
innere machtbewusste «Macher» situationsbezogen zum Einsatz. Der innere «Visionär» muss für die große Orientierung im
Wahlkampf sorgen, während der innere «Macher» eine Doppelfunktion bekommt: Einerseits sollte er zu vermeiden helfen, dass die Wahlversprechungen zu groß werden. Denn dann
wäre das anschließende Scheitern an diesen Versprechungen
vorprogrammiert. Außerdem sollte er die eigenen Wahlkampfkräfte realistisch einschätzen, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden.
Mit dieser Bühnenaufstellung lässt sich der optimale Einfluss auf eine gute Wahlkampfplanung erreichen. Gleichzeitig
ist sie die Basis für einen erfolgreichen Einsatz des Kandidaten
im Wahlkampf selbst.
» Als Kandidat im Wahlkampf
Der gewählte Kandidat tritt nun im Wahlkampf gegen die anderen Parteien an. Jetzt heißt es, Wähler dazu zu bewegen, ihre
Wahlentscheidung für die eigene Partei zu treffen. Klassischer
Bestandteil von Wahlkämpfen sind Diskussionen konkurrierender Kandidaten vor mehr oder weniger großem Publikum.
Dabei müssen Unterschiede zwischen den Parteien deutlich
gemacht werden. Die positive Überhöhung der eigenen und
Die innere Drehbühne der Politik 143
die entwertende Übertreibung der anderen Positionen liefern
hierfür ein Grundmuster. Kleine Differenzen werden zu großen
Klüften zwischen verschiedenen Wertewelten aufgebauscht.
Politiker, denen Ernsthaftigkeit, Ehrlichkeit und Genauigkeit
wichtig sind, geraten dabei logischerweise in einen Wertekonflikt.
Hier beginnt die große Herausforderung der politischen
Kommunikation: Wie kann das Polarisierende und durchaus
auch Polemische in den Vordergrund treten, ohne dass die
Kommunikation in rüde und abgefeimte Entwertung abgleitet? Eine andere Frage ist, ob man glaubt, dass die Herabwürdigung des Gegners und eine platte Selbstbeweihräucherung
letztlich erfolgversprechend sind oder nicht. Wir gestehen,
dass wir uns darüber nicht ganz sicher sind. Wir haben Beispiele vor Augen, wo wir zutiefst darüber erschrocken waren, mit was für einem offen entwertenden und lügenhaften
Stil man Wahlen gewinnen kann. Zugleich kennen wir andere
Fälle, bei denen ebendieser Stil erfolglos blieb, weil die Wähler
sich angeekelt abwandten.
Gerade im Wahlkampf ist also die Frage, wie Werteorientierung und Erfolgswille ausbalanciert werden sollten, schwer
zu beantworten. Sie hängt von der Einschätzung der aktuellen politischen Lage ab, vom Bild, das der Politiker von seinen
Wählern hat, vom Verhalten des politischen Gegners und
nicht zuletzt von der höchst persönlichen Abwägung zwischen eigener Werteorientierung und dem Willen zum Erfolg.
Und womöglich sollte auch eine Rolle spielen, wie dick die eigene Haut ist, welchen Wahlkampfstil man also ertragen kann
und will. Anders gesagt: Diese Entscheidung ist eine sehr persönliche.
Der einzelne Politiker steht also vor der Frage, wie er sich im
häufig ruppigen politischen Wettbewerb behaupten will und
144 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent
inwieweit er sich Fairness mit Blick auf Wahlerfolge glaubt leisten zu können. Für die politische Kultur einer Demokratie insgesamt dürfte jedoch gelten: «Hart, aber fair» zahlt sich mehr
aus als «rüde und verunglimpfend». Denn wenn Politiker sich
gegenseitig als dumm und charakterlos an den Pranger stellen,
leisten sie langfristig und dauerhaft einen Beitrag zum katastrophalen Bild ihres Berufsstandes in der Öffentlichkeit und
damit zur Demokratieverdrossenheit. Dass Politiker machtgeil, unfähig und korrupt seien, haben sie sich doch schließlich
gegenseitig oft, gerne und öffentlichkeitswirksam bescheinigt.
Mit Kommunikation unterhalb der Gürtellinie sägen sie daher
langfristig an dem Ast, auf dem sie selber sitzen.
Was kann man aus diesen Überlegungen für eine Bühnenaufstellung des Inneren Teams ableiten, die in Wahlkampfzeiten
Erfolg verspricht?
Der «Sprecher der Herzen» sollte wieder aus dem Hintergrund hervortreten und erneut an den vorderen Bühnenrand
kommen (s. Abb. 5). Der «nüchterne Analytiker» sollte jedoch
in der Nähe bleiben, denn er wird gelegentlich als Ratgeber in
schwierigen Situationen und als Garant der eigenen Werteorientierung gebraucht.
Jetzt schlägt auch die große Stunde des «Polarisierers», der
einen wichtigen Platz ganz vorne auf der inneren Bühne verdient, während sich der Vermittler in den Hintergrund zurückziehen muss. «Anführer» und «Repräsentant» spielen erneut
schillernde Rollen im Mittelfeld: Natürlich wollen die Wähler
sich einerseits repräsentiert fühlen, andererseits suchen sie
aber auch mehr oder weniger heimlich Führungspersonen, die
sie durch die komplizierte Welt geleiten. Kein Wunder also,
wenn Politiker sich darum bemühen, stark und souverän zu
wirken und den Eindruck zu erwecken, sie hätten alles im Griff
Die innere Drehbühne der Politik 145
Abb. 5: Der Kandidat im Wahlkampf
146 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent
oder doch zumindest das Zeug dazu, alles in den Griff zu bekommen. Mit dem Image eines Ohnmächtigen oder eines Verlierers lässt sich schwer gewinnen.
Im Wahlkampf wird auch der Visionär wieder auf der Vorderbühne gebraucht. Er vertritt nicht nur die Positionen der
eigenen Politik und hat das Zeug dazu, durch die eigene Überzeugung auch andere zu begeistern. Er kann darüber hinaus
kleine Unterschiede zu großen Wertefragen ausbauen und den
Kandidaten als Anwalt der großen Ziele in Erscheinung treten
lassen; damit spielt er dem Polarisierer in die Hände. Seinem
Gegenspieler, dem realistischen Macher, kommt jetzt lediglich
die Bedeutung zu, allzu unrealistische Übertreibungen zu verhindern (denn die Wirklichkeit kann einen schnell einholen).
Aber der Wahlkampf ist nicht die Zeit des Zweifels und Abwägens, hier geht es darum, Begeisterung und Zuversicht, und wo
nicht Zuversicht, so doch wenigstens Hoffnung zu wecken.
Natürlich haben neben der Kommunikation des Kandidaten auch die aktuelle politische Situation, die Beliebtheit der
Partei bei den Wählern oder das Verhalten der Konkurrenz
einen wichtigen Einfluss auf das Wahlergebnis. Wir wollen
jedoch unterstellen, dass alles erfolgreich gelaufen ist und die
Partei unseres Kandidaten gut abgeschnitten hat, ohne allerdings die absolute Mehrheit erreicht zu haben. Um in die
Regierung zu kommen, muss deshalb ein politisches Bündnis
mit einer anderen Partei geschlossen werden, welches die für
Parlamentsentscheidungen und Wahlen erforderliche Mehrheit sichert.
» Als Verhandler des Koalitionsvertrages
Dafür ist es nötig, sich auf gemeinsame politische Ziele zu
verständigen und die Bedingungen der Zusammenarbeit zu
Die innere Drehbühne der Politik 147
regeln. Das geschieht in einem Koalitionsvertrag; er ist die
Grundlage für eine Regierung, an der mehrere Parteien beteiligt sind. In ihm werden die gemeinsamen Vorhaben fixiert, die
Regierungsämter aufgeteilt, Leitlinien der Regierungsführung
festgelegt und vereinbart, im Parlament abgesprochen zu
handeln. Der Vertrag muss deshalb vor der Regierungsbildung
ausgehandelt werden. Dafür bestimmen die Parteien, die eine Koalitionsbildung beabsichtigen, Verhandlungskommissionen. Koalitionsverhandlungen finden zumeist direkt nach den
Wahlen und deshalb auch kurz nach den Wahlkämpfen statt.
Was bedeutet das für die Aufstellung auf der inneren Bühne
unseres erfolgreichen Politikers? Das Innere Team muss wieder komplett umgruppiert werden. Während im Wahlkampf
der «Visionär» und der «Polarisierer» einen Ehrenplatz weit
im Vordergrund der Bühne besetzt hatten, müssen sie sich
nun zurückziehen (s. Abb. 6). Was damals eine erfolgversprechende Qualität war, wird jetzt zur Störgröße, und nicht die
Unterschiede zwischen den Parteien, sondern ihre Gemeinsamkeiten stellen die Grundlage für die angestrebten Koali­
tionsverträge dar. Deshalb gehört jetzt der innere «Vermittler»
in den Vordergrund, was nicht mit einem «Schmusekurs» zu
verwechseln ist, den manche der Boulevardjournalisten gerne
im Munde führen. Und statt strahlender Visionen werden nunmehr die tatsächlich zu realisierenden Vorhaben verhandelt.
Der innere «Visionär» muss deshalb seinen Platz für den am
Ergebnis orientierten, realistischen «Macher» räumen.
Auch für den «Sprecher der Herzen» ist jetzt eine Pausenzeit angebrochen, denn Emotionen sind wenig verhandelbar,
und das Formulieren und Erreichen von Kompromissen sowie
die Suche nach tatsächlichen Möglichkeiten gemeinsamer Politik sind eher die Stärken des «nüchternen Analytikers». Hat148 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent
Abb. 6: Inneres Team bei Koalitionsverhandlungen
Die innere Drehbühne der Politik 149
te sich das Paar aus innerem «Anführer» und «Repräsentant»
bisher oft gemeinsam im Mittelfeld gefunden, so gehört nun
eindeutig der «Repräsentant» in den Vordergrund. Denn die
Emissäre in der Verhandlung agieren jeweils im Auftrag ihrer
Parteien. Und diese sollen anschließend dem ausgehandelten
Vertragswerk zustimmen. Deshalb muss so viel wie möglich
von den Vorstellungen der eigenen Partei darin wiederzufinden sein. Dafür sorgt der innere «Repräsentant» des verhandelnden Politikers.
Wenn die inhaltlichen Gemeinsamkeiten zwischen den
beteiligten Parteien hinreichend sind, kann ein Politiker mit
dieser Mannschaftsaufstellung dazu beitragen, dass ein tragfähiger Koalitionsvertrag zustande kommt.
» Als Verhandler vor der eigenen Partei
Die Zustimmung der Parteien zum ausgehandelten Koali­
tionsvertrag ist ein wichtiger Schritt, um die darauf aufbauende ­Koalitionsregierung politisch zu legitimieren. Nicht die
Mitglieder der Verhandlungskommission, sondern die zuständigen Parteigremien entscheiden letztlich über die Tragfähigkeit der getroffenen Vereinbarung. Die Verhandler müssen
ihre Parteibasis deshalb davon überzeugen, dass das Verhandlungsergebnis gut oder zumindest annehmbar ist.
Aus guten Gründen werden Koalitionsverhandlungen nicht
öffentlich geführt. Ein Fortbestehen der polarisierenden Haltungen aus dem Wahlkampf wäre sonst wohl unvermeidlich
und eine Einigung kaum zu erzielen. Der Preis dafür ist, dass
die Parteibasis, die an den Verhandlungen nicht teilgenommen
hat und eher noch Feindbilder aus dem Wahlkampf vor Augen
hat, nun üblicherweise schwer nachvollziehen kann, warum
sich Fronten, Argumente und Stimmungen plötzlich ganz
150 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent
anders darstellen. Erschwerend kommt hinzu, dass in normalen Koalitionsverträgen beide Seiten zwar Teile ihrer Vorstellungen durchsetzen können, gleichzeitig aber auch Kröten zu
schlucken haben. Daher kann und wird sich an der Basis Enttäuschung ausbreiten über die Zumutungen, die ihre Vertreter
hingenommen haben.
Für den Auftritt auf der entsprechenden Parteiversammlung
muss der erfolgreiche Politiker deshalb seinen inneren «Anführer» nach vorne holen (s. Abb. 7). Er muss seiner Gefolgschaft
vermitteln, dass das Verhandlungsergebnis ein Fortschritt
ist, die Erfolge der anderen Seite nicht unbedingt der eigenen
Sache abträglich sein müssen, und dass eine Zustimmung zu
diesem Vertragsentwurf den Parteiinteressen in der aktuellen
Situation am besten dient. Diese Zustimmung kann er umso
eher gewinnen, je besser er verhandelt und je glaubwürdiger er
agiert hat. Hier zahlt sich eine authentische und glaubwürdige
Haltung auch unter Erfolgskriterien aus!
Argumentationshilfe liefern der «nüchterne Analytiker»
und der realistische «Macher». Denn die Ablehnung des Vertrages würde bedeuten, unter Wirkungsgesichtspunkten mit
leeren Händen dazustehen. Der innere «Visionär» darf aus
dem Mittelfeld noch langfristige Perspektiven eröffnen und
der «Sprecher der Herzen» die Schmerzen über das gegenüber
den Wahlkampfversprechen oft magere Ergebnis mitfühlen. So
können beide die Überzeugungsarbeit aus dem Hintergrund
unterstützen, ohne zu sehr zu Spielführern zu werden, die die
Zustimmung der Basis gefährden könnten, wenn sie zu weit
vorne ständen.
Nehmen wir an, dass es mit Hilfe dieser Aufstellung gelungen ist, die Enttäuschung der Basis sowohl aufzunehmen als
auch zu überwinden. Dann geht es endlich ans Regieren!
Die innere Drehbühne der Politik 151
Abb. 7: Inneres Team bei der Vertretung des Verhandlungsergebnisses vor der eigenen Basis
152 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent
» Als regierender Politiker
Wer es bis dahin geschafft hat, sieht sich als Regierungsmitglied wiederum neuen Herausforderungen gegenüber. Jetzt
sollen unter anderem die Versprechungen aus dem Wahlkampf
verwirklicht werden. Die erste Erkenntnis im neuen Amt ist
aber regelmäßig, dass auch eine Regierung nicht allmächtig
ist. Sie hat sich zuerst einmal in dem engen rechtlichen und
finanziellen Rahmen zu bewegen, den sie vorfindet. Außerdem
verfolgen andere Akteure wie z. B. Arbeitgeber, Gewerkschaften, Interessenverbände und Medien jeweils eigene Interessen
und verfügen ebenfalls über eine gewisse gesellschaftliche und
politische Macht.
Ein regierender Politiker muss deshalb mehr oder weniger
zeitgleich in verschiedene Richtungen kommunizieren. Deshalb sollte zuerst der «Polarisierer» auf der inneren Bühne zurückgezogen werden (s. Abb. 8). Er hat höchstens dann einen
Auftritt, wenn es darum geht, sich klar und pointiert gegen
Kritik oder Angriffe zur Wehr zu setzen oder gegen Konkurrenten abzugrenzen. Die Grundhaltung des regierenden Politikers
sollte jedoch vom inneren «Vermittler» geprägt sein – auch
deswegen, weil er das ganze Volk und nicht nur seine eigene
Partei zu vertreten und zu regieren hat.
Zwei andere Mitglieder des Inneren Teams müssen in sorgfältiger Ausgewogenheit gemeinsam auftreten: der «Sprecher
der Herzen» und der «nüchterne Analytiker». Kalte Technokraten möchte das Volk ebenso wenig in der Regierung
sehen, wie es langfristig mit emotionalen Schaumschlägern
zufrieden ist. Nun kommt es auch auf den inneren «Anführer» an: Ihm obliegt es, dem Volk die Notwendigkeit der
eingeschlagenen Richtung zu vermitteln und ihm dabei unter Umständen auch etwas abzuverlangen und aufzubürden.
Zugleich muss der Politiker deutlich machen, dass er sich als
Die innere Drehbühne der Politik 153
Abb. 8: Inneres Team des regierenden Politikers
154 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent
«Repräsentant» an den Auftrag des Wählers gebunden fühlt.
Kein leichtes Kunststück, das «Führen» und «Dienen» in der
Balance zu halten!
Außerdem muss der innere «Visionär» gelegentlich die
Richtung beschreiben, in die die Reise gehen soll. Der realistische «Macher» wird dabei darauf zu achten haben, dass
die Beschwörung einer Vision nicht dazu führt, die realen
Ergebnisse des Regierungshandelns als dürftig erscheinen zu
lassen. Will die Regierung erfolgreich sein, muss dieser innere
Spieler eindeutig den Ton angeben. Schließlich ist das Besondere an einem regierenden Politiker, dass man seine Worte
so gut mit seinen Taten vergleichen kann. Jede Abweichung
schädigt seine Glaubwürdigkeit. Im scharfen Wettbewerb um
politische Einflusspositionen ist der Verlust von Glaubwürdigkeit jedoch ein schweres Handicap mit gravierenden Konsequenzen.
Glaubwürdigkeit gegen Rollenflexibilität
Was ziehen wir nun für Schlüsse aus diesem Marsch durch die
politischen Stationen? Es hat sich gezeigt: Jede Grundsituation
erfordert eine andere Mannschaftsaufstellung. Das ist jedoch
nicht immer leicht zu bewerkstelligen. Denn jeder hat seine
inneren Stammspieler, niemand kann alle Positionen gleich
überzeugend besetzen. Manche Rollen werden also immer
besser zur Persönlichkeit passen als andere. So gibt es höchst
begabte Wahlkämpfer, die aber Schwierigkeiten bekommen,
wenn es ans Regieren geht.
Bei der Bundestagswahl 2005 war z. B. deutlich zu erkennen, dass Gerhard Schröder ein sehr talentierter Wahlkämpfer ist. Seine Inneren Teammitglieder «Polarisierer» und
Die innere Drehbühne der Politik 155
«Herzenssprecher» waren überaus leistungsfähig. Im Inneren
Team von Angela Merkel dominierten demgegenüber eher die
«Vermittlerin» und die «nüchterne Analytikerin». Somit lässt
sich verstehen, warum Merkel nach überraschend schlechtem Wahlergebnis als frischgewählte Kanzlerin plötzlich in
die Spitzenregion der Beliebtheit aufstieg: Zur Kanzlerrolle
passen die Stärken in ihrem Inneren Team viel besser als zur
Wahlkämpferin.
Dazu kommt: Allzu unterschiedliche Auftritte ein und
desselben Politikers werden häufig (vielleicht nicht zu Unrecht!) als opportunistisch wahrgenommen und schaden der
Glaubwürdigkeit. Bei aller «personalen Bandbreite», die es
ermöglicht, rollenflexibel sehr unterschiedlichen politischen
Grundsituationen gewachsen zu sein, braucht es auch eine
«personale Konstante»: etwas Wiederkehrendes in Haltung und Stil, was den Politiker in seinem Kern ausmacht
und ­unverwechselbar sein lässt (vgl. Schulz von Thun, 1998,
S. 236 f.).
Hier zeigt sich wieder, wie wichtig es ist, das Dilemma zwischen Werteorientierung und Machtbewusstsein (vgl. Abb. 9 )
nicht allein zugunsten der Perspektive von Wirkung, vordergründigem Erfolg und Macht zu lösen. Ohne eine innere Überzeugung, ohne eine glaubwürdige Orientierung an eigenen Zielen und Werten verkommt ein Politiker zu einer janusköpfigen
Charaktermaske und zum Wendehals, der zwar geschmeidig
ist, aber inhaltsleer agiert. Er kann und wird auf Dauer nicht
glaubwürdig sein können.
Das Verständnis der je unterschiedlichen Situations- und
Rollenanforderungen und der dazu passenden inneren Teamaufstellungen ist daher notwendig, aber nicht ausreichend für
erfolgversprechendes politisches Handeln – und (hoffentlich)
wohl auch nicht für eine Zufriedenheit mit der eigenen Politik.
156 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent
Die Anpassung des Inneren Teams an die Erfordernisse der jeweiligen politischen Grundsituation braucht als Gegengewicht
ein authentisches und berechenbares politisches und menschliches Profil.
Situationsgerechte
Flexibilität
Entwertende
Übertreibung
Geschmeidiges
wendehälsisches
Opportunitätsdenken
Positive Spannung
Konträre
Gegensätze
Überkompensation
Authentische
Profilierung
Entwertende
Übertreibung
Unflexibles
Beharren
Abb. 9: Werte- und Entwicklungsquadrat
Rollenflexibilität
Schlussfolgerungen und Vorschläge:
Für gute Politik reichen inhaltliche Kompetenz und der
Wunsch, dem Allgemeinwohl zu dienen, nicht aus. Erfolgreich
kann ein Politiker nur dann sein, wenn er auch aufklärend und
gewinnend, dialogfähig und authentisch agieren und kommunizieren kann. Darüber hinaus kann eine übertriebene
Festigkeit des eigenen Standpunktes ohne die Offenheit geDie innere Drehbühne der Politik 157
genüber den Argumenten und Perspektiven anderer zu Borniertheit und Beratungsresistenz führen.
Wir haben aufgezeigt, dass sich die kommunikative Kompetenz des Politikers in vielfältige Kompetenzen aufgliedern
lässt: Ein Politiker muss
» sich der kommunikativen Herausforderungen der jeweiligen Situation bewusst sein,
» die notwendigen Mitglieder des Inneren Teams ausreichend
entwickelt verfügbar haben und
» die richtige Aufstellung des Inneren Teams auf der inneren
Bühne finden,
» das Dilemma zwischen Wirkungsorientierung und Werteorientierung, zwischen der flexiblen Anpassung an die
Situation und der Treue zu den eigenen Werten und sich
selber lösen können.
Aus dieser Konzeption ergibt sich für die Politikberatung
ein anspruchsvolles Konzept. Denn es kann nicht um bloße
Imageoptimierung vor der Kamera gehen (mehr Lächeln und
weniger «Ähs»). In den Mittelpunkt tritt vielmehr einerseits
eine genaue Situationsanalyse und andererseits Unterstützung
dabei, die eigene personale Bandbreite zu erkennen und zu erweitern und eine stimmige innere Mannschaftsaufstellung zu
etablieren, die den wechselnden Rollenanforderungen und den
darin enthaltenen Rollendilemmata gerecht wird.
Literatur
» Bauer, J. (2005): Warum ich fühle, was du fühlst. Hamburg: Hoffmann
und Campe.
» Dörner, D. (1992): Die Logik des Misslingens. Reinbek: Rowohlt.
» Leinemann, J. (2005): Höhenrausch. München: Heyne.
158 Führung » Alexander Porschke & Hans-Peter de Lorent
» Llosa, M.-V. (1995): Der Fisch im Wasser. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
» Sarcinelli, U. (2005): Politische Kommunikation in Deutschland.
Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
» Schulz von Thun, F. (1981): Miteinander reden 1. Reinbek: Rowohlt.
» Schulz von Thun, F. (1989): Miteinander reden 2. Reinbek: Rowohlt.
» Schulz von Thun, F. (1998): Miteinander reden 3. Reinbek: Rowohlt.
» Stahl, E. (2002): Dynamik in Gruppen. Weinheim, Basel, Berlin: Beltz.
» Weber, M. (1919): Politik als Beruf. Stuttgart: Reclam.
» Winkler, M., und Commichau, A. (2005): Reden. Reinbek: Rowohlt.
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