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Die molekularen Grundlagen von Lernen und Gedächtnis
Uli Müller und Martin Schwärzel
Zoologie und Physiologie
Mit vielen Milliarden Nervenzellen, die
über Billionen von Verbindungen miteinander kommunizieren, ist das Gehirn
wohl eines der komplexesten uns bekannten Gebilde. Beim Lesen dieses Artikels sind viele Millionen von Nervenzellen in Ihrem Gehirn aktiv und verschiedene Gehirnbereiche prozessieren
unterschiedliche Aspekte, angefangen
von der Verarbeitung der visuellen Informationen bis hin zur Bewertung und
Assoziation der Inhalte mit bereits bekannten und gespeicherten Informationen. Gleichzeitig lernen wir neue Fakten, die zum Teil wieder im Gedächtnis
gespeichert werden. Nahezu alles Wissen, das wir im Laufe unseres Lebens
erworben haben, ist erlernt. Dazu gehören sowohl individuelles Wissen
durch persönliche Erfahrungen als auch
kulturelle Inhalte, die über Generationen weitergegeben werden. Somit prägen Lernen und Gedächtnis wesentlich
die Einzigartigkeit eines jeden Menschen. Dies wird besonders bei Gedächtnisverlust deutlich, bei dem der
Patient seine Persönlichkeit und die
Verbindung
zur
Umwelt
und
Mitmenschen verlieren kann.
Die Neurowissenschaften haben in den letzten Jahren wesentlich zum Verständnis beigetragen, was im Gehirn vorgeht, wenn Sinneseindrücke verarbeitet werden, wenn wir uns ein Abbild unserer Umwelt machen, oder wenn Gefühle und
Emotionen unser Handeln beeinflussen. Besonders die Erforschung der zellulären
und molekularen Prozesse beim Lernen und der Gedächtnisbildung, für die sich
die Forschergruppe um Professor Uli Müller besonders interessiert, hat enorme
Fortschritte gemacht (Kandel, 2001). Es stellte sich heraus, dass die basalen zellulären und molekularen Prinzipien des Lernens bei Schnecken, Insekten und
Säugetieren nahezu identisch sind. Im Folgenden geben die Autoren einen
kurzen Einblick, wie sie mit Hilfe neuer Methoden und Techniken aktuelle Fragen
zu Lernen und Gedächtnisbildung beantworten. Obwohl diese Erkenntnisse
derzeit noch reine Grundlagenforschung sind, bilden sie bereits jetzt schon die
Basis für pharmakologische Ansätze zur Verbesserung der Gedächtnisfunktion.
terschiedliche Eingänge in kleinen neuronalen Netzwerken oder Nervenzellen.
In diesen Nervenzellen löst die zeitlich
überlappende Aktivierung beider Eingänge molekulare Kaskaden aus, die
zur Änderung der synaptischen Übertragung mit anderen Nervenzellen
führt. Bei schwachen Eingängen hat
dies eine kurzzeitige Veränderung der
Reizübertragung zur Folge. Bei entspre-
Molekulare Mechanismen des Lernens
- Große Fortschritte mit kleinen Gehirnen
Bei der Analyse der molekularen und
zellulären Grundlagen von Lernen und
Gedächtnisbildung spielen neben Nagetieren (Maus, Ratte) vor allem wirbellose Tiere wie Schnecken und Insekten eine zentrale Rolle (Kandel, 2001,
Müller und Carew, 1998; Müller, 2000
b). Trotz der geringeren Komplexität
der Nervensysteme von Wirbellosen
sind diese sehr wohl in der Lage, komplizierte Lernaufgaben zu Lösen und
Gedächtnisse zu bilden.
In Abbildung 1 sind die derzeitigen Vorstellungen der zellulären und molekularen Prozesse bei Lernen und Gedächtnisbildung vereinfacht dargestellt. Bei
assoziativem Lernen konvergieren un-
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Abb. 1: Ereignisse beim Lernen und Gedächtnisbildung.
Beim assoziativen Lernen konvergieren zwei Eingänge (CS, konditionierter
Stimulus; US, unkonditionierter Stimulus) die zeitlich eng verknüpft sind. Dadurch verändern sich intrazelluläre Signalkaskaden und als Folge die Reizübertragung zu anderen Nervenzellen. Dies entspricht einer kurzzeitigen Informationsspeicherung (Kurzzeitgedächtnis). Der Transfer ins Langzeitgedächtnis erfordert die Aktivierung vieler Signalkaskaden (Filterfunktion) und wird nur
durch intensive Eingänge oder wiederholtes Training erreicht. Dadurch wird die
Genexpression verändert und es werden Proteine gebildet, die zum Um- und
Aufbau neuer Verbindungen (Synapsen) zu anderen Nervenzellen notwendig
sind. Damit werden langzeitige Änderungen in der Reizübertragung erreicht
die für das Langzeitgedächtnis notwendig sind.
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chend starken Reizen gelangen die Signale in den Zellkern und ändern dort die
Produktion von Proteinen, die für den
Aufbau von Synapsen notwendig sind.
Durch die Bildung zusätzlicher Synapsen wird die Reizübertragung langfristig
geändert. Diese kurz- oder langzeitigen
molekularen Änderungen in einzelnen
Nervenzellen verändern das entsprechende neuronale Netzwerk und repräsentieren eine elementare Speichereinheit. Ein Gedächtnis ist in der Regel
durch eine große Anzahl dieser kleinen
Veränderungen in der synaptischen
Übertragung in verschiedenen Gehirnbereichen repräsentiert.
Obwohl sich die Gehirne von wirbellosen Tieren und Säugetieren doch enorm
unterscheiden, sind die Grundprinzipien
der Verschaltung zwischen Nervenzellen, die z.B. für assoziatives Lernen notwendig sind, sehr ähnlich (Abb.1). Von
der Komplexität des Gehirns einmal abgesehen sind die molekularen und zellulären Grundlagen neuronaler Abläufe
zwischen Würmern, Schnecken, Insekten und Säugetieren weitestgehend
konserviert.
Drosophila, die winzigen Fruchtfliegen,
die man im alltäglichen Leben oft im
Obstkorb findet, hat sich bei der Erforschung der biologischen Gedächtnissysteme als sehr hilfreich erwiesen. Die
Fruchtfliege besitzt mit 250.000 dicht
gepackten Neuronen ein relativ kleines
Gehirn und die anatomischen Vernetzungen sind gut untersucht. Einzigartige genetische und gentechnische Methoden erlauben uns sehr gezielte Eingriffe in dieses Netzwerk und seine molekularen Prozesse. Dieses unübertroffene "genetische Skalpell" nutzen wir
zum Beispiel um die Frage zu beantworten, wie Neurone im Gehirn zu
Netzwerken verknüpft sind, um die Fähigkeit des assoziativen Lernens hervorbringen zu können (Gerber et al.,
2004).
Trotz der geringen Größe des Gehirns
(Abb. 2) zeigt Drosophila erstaunliche
Lernleistungen, die man in einem Verhaltensversuch direkt messen kann. Dazu trainieren wir Tiere auf einen Duft,
der entweder mit Zucker belohnt oder
mit einem milden elektrischen Schlag
bestraft wird. In Abhängigkeit dieser Erfahrung zeigt sich eine mehrere Stunden anhaltende Veränderung im Verhalten: ein Gedächtnis für den trainierten Duft: Wurde der Duft belohnt, wird
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Abb. 2: Die Pilzkörper im Gehirn von Drosophila.
Das konfokale Mikroskop erlaubt die Betrachtung des gesamten Gehirn der
Fruchtfliege (oberes Bild, blau). Mit speziellen Antikörpern lassen sich die
Pilzkörper als paarige Struktur (oberes und unteres Bild, gelb) gut erkennen, die
sich in die Calyx (ca), den Pedunkel (p), die medial Loben (ml) und die
vertikalen Loben (vl) gliedern.
Prof. Dr. Uli MÜLLER, Studium der Biologie und Promotion an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. i.Br.;
1989-2003 Mitarbeiter am Institut für Biologie III der
Universität Freiburg und am Institut für Neurobiologie
der Freien Universität Berlin; 1998 Habilitation an der
FU-Berlin; 1998-2001 Heisenbergstipendiat (FU Berlin).
Forschungstätigkeiten: Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, USA; Yale University, New Haven
(USA); University of California, Irvine (USA); University
of Texas, Houston Medical School (USA). Seit 2003
Professor an der UdS.
Dr. Martin SCHWÄRZEL, Studium der Biochemie an der
Martin-Luther-Universtiät Halle/Wittenberg und RuhrUniversität Bochum, 2003 Promotion an der Bayerischen Julius-Maximillians Universität Würzburg. 20032004 an der University of Columbia-Missouri (USA),
2003 Life Science Fellowship, 2004 Feodor-Lynen Stipendium der AvH.
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er im Test bevorzugt gewählt, wohingegen der gleiche Duft vermieden wird,
wenn er im Training bestraft wurde.
Der Schlüssel zum Verständnis, was auf
Netzwerkebene im Gehirn passiert,
liegt in der zeitlichen Abfolge der Sti-
muli während des Trainings begründet.
Hier muss der Duft (conditioned stimulus CS), dem die Belohnung bzw. die
Bestrafung folgt (unconditioned stimulus US), einige Sekunden vorausgehen
und zeitlich überlappend präsentiert
werden. Die Fliege lernt dabei, dass der
Duft ein verlässlicher Indikator für die
Belohnung oder Bestrafung sein kann.
Dies führt zu der Änderung des Verhaltens bezüglich des trainierten Duftes,
die wir als assoziatives Gedächtnis messen können. Die Konvergenz zwischen
Signalen des Duftes (CS) und des Zuckers oder Schocks (als US) muss im
Gehirn detektiert werden und ist das
primäre Ereignis eines Signalweges, der
zur Bildung des Duftgedächtnisses führt
(Abb. 1).
Zuckerbrot und Peitsche – Wo liegen
die Unterschiede zwischen Belohnungs- und Bestrafungslernen?
Um diese Konvergenzpunkte zu suchen
und die Frage zu klären, in welchen
neuronalen Netzen Belohnungs- und
Bestrafungslernen prozessiert werden,
wurden verschiedene Gruppen von
Fliegen auf einen Duft trainiert. Die Untersuchung der Lernmutante, Rutabaga, die vor 30 Jahren aufgrund ihres
Lerndefekts isoliert wurde, zeigt bei Belohnung mit Zucker bzw. Bestrafung
mit Schock ein stark beeinträchtigtes
Gedächtnis. Stellt man das "normale"
Rutabaga-Protein aber ausschliesslich in
den Pilzkörpern wieder zur Verfügung,
so rettet dieser gentechnische Einfriff
den Lerndefekt. Dieses Ergebnis erlaubt
die Lokalisierung der Konvergenzpunkte zwischen Zucker und Duft oder
Schock und Duft in der gleichen Struktur: den Pilzkörpern (Abb. 3a). Beide
Duftgedächtnisse sind in dieser Struktur
abgelegt, doch sie unterscheiden sich in
den Botenstoffen, die für ihr Anlegen
benötigt werden.
Abb. 3: Das belohnte und bestrafte Duftgedächtnis bei Fruchtfiegen.
Die Verhaltensanalyse von Mutanten und transgenen Tieren ermöglicht bei
Drosophila die Lokalisierung der Duftgedächtnisse nach Belohnung oder
Bestrafung. (A) Die Lernmutante Rutabaga zeigt starke Defizite im
Gedächtnis. Bei der genetischen Rettung stellen wir die Frage, in welchen
Bereichen des Gehirns das mutierte Rutabaga Protein durch die "normale"
Form erstetzt werden muss um das Lernen wieder herzustellen. Eine Rettung
der Funktion von Rutabaga in den Pilzkörpern ist hinreichend um das
Belohnte und bestrafte Duftlernen zu restaurieren. (B) Die Botenstoffe Oktopamin und Dopamin sind bei der Bildung jeweils einer Form (belohnt oder
bestraft) des Duftgedächtnisses beteiligt.
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Mutante Fliegen, denen selektiv Botenstoffe fehlen, zeigen große Unterschiede zwischen Belohnungs- und Bestrafungslernen. Fehlt Drosophila der Botenstoff Oktopamin, führte dies zu einem Verlust des Belohnten, nicht aber
des bestraften Gedächtnisses (Abb.3b).
Ein Verlust von Dopamin führt dagegen
zum umgekehrten Resultat: das bestrafte Gedächtnis ist beeinträchtigt,
wobei das Belohnte noch intakt ist. Die
Botenstoffe Dopamin und Oktopamin
sind in spezifischer Weise für das assoziative Gedächtnis nach Bestrafung
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oder Belohnung notwendig (Schwaerzel et al. 2003).
Wer spricht wann mit wem? – Eine
schnelle und reversible Blockierung
von Synapsen.
Die bisherigen Ergebnisse zeigten, dass
verschiedene Teile eines Netzwerkes
beim assoziativen Lernen notwendig
sind. Nun galt es die Frage zu beantworten, ob diese Nervenzellen während
des Trainings, in dem der eigentliche
Lernakt erfolgt, oder während des Testes, in dem das angelegte Gedächtnis in
Verhalten umgesetzt wird, benötigt
werden. Für diese Frage müssen die
beiden Phasen - Training und Test - getrennt voneinander manipuliert werden
können. Dies ist mit Hilfe eines temperatursensitiven genetischen Werkzeugs
in Drosophila möglich. Bei einer Temperatur über 30°C führt jenes zu einer
Blockade der Synapsen, den Kommunikationspunkten zwischen einzelnen Zellen des Netzwerkes. Solche Experimente sind nur bei wechselwarmen Tieren
wie Insekten möglich, wo die Körpertemperatur und somit die des temperatursensitiven Proteins durch die Umgebungstemperatur schnell geändert werden kann. Das Protein - Shibire - (Kitamoto, 2001), kann gezielt in die verschiedenen Elemente des Netzwerkes
geschleust und deren Bedeutung während Training und Test untersucht
werden (Abb. 4a) (Schwaerzel et al.,
2002).
Eine Blockierung der dopaminergen
Neuronen während des Lernaktes verhindert die Bildung eines Gedächtnisses
über Bestrafung; wohingegen eine Blockierung des dopaminergen Systems
während des Tests keine Auswirkungen
auf das Gedächtnis hat (Abb. 4b). Die
Dopaminsignale sind während des Anlegens, nicht aber während des Auslesens des assoziativen Gedächtnisses
notwendig. Dies unterstützt die Hypothese, dass Dopamin während des Lernens US-spezifische Signale vermittelt.
Im nächsten Experiment brachten wir
den temperatursensitiven Blocker gezielt in die Pilzkörper, dem angenommenen Konvergenzpunkt und Sitz des
assoziativen Gedächtnisses. Kommunikation der Neurone des Pilzkörpers mit
seinen nachfolgenden Partnern im
Lernnetzwerk ist nur während des Testes, also dem Umsetzen des Gedächtnisses in Verhalten notwendig, nicht
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Abb. 4: Ein schneller Schalter an Synapsen.
Das schnelle Ausschalten bestimmter Kontaktstellen im Netzwerk lässt sich mit
einem temperatursensitiven Enzym im Minutenbereich bewerkstelligen (A). Die
Dopamin-Synapsen sind beim Training nötig und übermitteln hier wohl den
Bestrafungsreiz (B). Die Synapsen des Pilzkörper sind beim Test nötig (C).
aber um das Gedächtnis zu bilden (Abb.
4c). Diese Befunde zeigen, dass Dopamin und Neurone des Pilzkörpers zu
unterschiedlichen Zeiten benötigt
werden: Dopamin während des Lernaktes, um das Assoziative Gedächtnis im
Pilzkörper anzulegen, und den Pilzkörper selbst, um dieses Gedächtnis in Verhalten umzusetzen. Tatsächlich enthalten die Neurone des Pilzkörpers die entsprechenden Rezeptoren für Dopamin
und Oktopamin und werden auch von
dopaminergen Neuronen kontaktiert.
Die Frage, ob es sich im Pilzkörper um
zwei getrennte Netzwerke, eines für
das Belohnungs- und eines für das
Bestrafungslernen handelt, ist noch zu
klären.
Das Nadelöhr
zum Langzeitgedächtnis
Nur sehr wenig von dem, was wir im
Laufe unseres Lebens lernen, gelangt
wirklich ins Langzeitgedächtnis. Jeder
hat jedoch sicher die Erfahrung gemacht, dass die Gedächtnisbildung
durch wiederholtes, möglichst ungestörtes Lernen entscheidend verbessert
wird. Dieses generelle Phänomen wird
bei allen Tierarten und nahezu allen Arten von Gedächtnis beobachtet. Bereits
während früher Untersuchungen wur-
den Signalkaskaden identifiziert, die sowohl bei Drosophila und, wie sich jetzt
zeigt, auch bei Säugetieren beim Transfer ins Langzeitgedächtnis eine Schlüsselrolle spielen. Auf dieser Basis suchen
derzeit verschiedene Pharmafirmen
nach Wirkstoffen, die den Transfer ins
Langzeitgedächtnis verbessern, um
neuronale Alterskrankheiten wie Alzheimer zu bekämpfen.
Inzwischen wird deutlich, dass der
Transfer ins Langzeitgedächtnis die Aktivität verschiedener parallel und seriell
ablaufender molekularer Prozesse erfordert (Müller, 2002). Wir beschäftigen uns intensiv mit der Erforschung
der Bedingungen, die zur Bildung von
Langzeitgedächtnis führen, sowie der
molekularen Mechanismen, die diesem
dynamischen Prozess zugrunde liegen.
Dazu verwenden wir hauptsächlich die
Honigbiene, deren Verhalten seit über
100 Jahren untersucht wird, und ein
Lernparadigma, das robust und einfach
zu handhaben ist. Honigbienen bilden
nach dem nur wenige Minuten dauernden Training (Paarung eines Duftes
mit einer Belohnung) ein lebenslanges
Gedächtnis für den gelernten Duft. Das
robuste Verhalten zusammen mit der
Möglichkeit, die dynamischen Aktivitätsänderungen von molekularen Sig-
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nalkaskaden im Bereich von Sekunden
bis Tagen nach dem Training in einzel-
nen neuronalen Netzwerken zu detektieren, macht die Honigbiene zu einem
sehr erfolgreichen System (Müller,
2002).
Die Identifikation neuer molekularer
Signalkaskaden und die Charakterisierung deren Funktion bei der Gedächtnisbildung läuft in drei Schritten ab und
ist in Abbildung 5 dargestellt (Müller,
1996, 2000a).
Im ersten Schritt werden in Sreeningverfahren Signalkaskaden identifiziert,
die für die Bildung von Langzeitgedächtnis notwendig sind. In verhaltenspharmakologischen Experimenten wird
dann das genaue Wirkungszeitfenster
identifiziert. In den letzten Jahren hat
sich herausgestellt, dass diese Prozesse
von wenigen Sekunden bis zu vielen
Stunden nach dem Lernen ablaufen
können; deren Aktivität in diesem definierten Zeitfenster ist zwingend notwendig für den Transfer ins Langzeitgedächtnis. Abbildung 5a illustriert am
Beispiel der PKA, einer cAMP-abhängigen Proteinkinase, dass deren Aktivität spezifisch für die Bildung von Langzeitgedächtnis notwendig ist. In diesem
Fall in einem Zeitfenster kurz nach dem
Training.
Abb. 5: Identifizierung von Signalkaskaden die für das Langzeitgedächtnis
notwendig sind.
Der Weg zur Entdeckung neuer, für das Langzeitgedächtnis erforderlicher
Prozesse wird am Beispiel der Proteinkinase A (PKA)-vermittelten Signalkaskade dargestellt.
A) Im ersten Schritt werden Signalkaskaden identifiziert, die spezifisch für die
Bildung von Langzeitgedächtnis (3 x Konditionierung) notwendig sind.
B) Im zweiten Schritt wird geprüft, ob und wie die entsprechende Signalkaskade durch das Training in vivo aktiviert wird. Im Fall der PKA führt wiederholtes Training zur Verlängerung der Aktivierung im Minutenbereich.
C) Im letzten Schritt wird durch das „Replay“ der in B) gemessenen verlängerten Aktivierung in das entsprechende neuronale Netzwerk dessen Relevanz für die Bildung von Langzeitgedächtnis überprüft.
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Da pharmakologische Eingriffe immer
mit unbekannten Nebenwirkungen verbunden sind, wird im zweiten Schritt
überprüft, ob die PKA durch ein Training, das zu Langzeitgedächtnis führt,
tatsächlich aktiviert wird. Mit von uns
etablierten Techniken ist es möglich, bei
kleinen Gehirnen (z.B. Biene) in vivo induzierte Änderungen (lerninduzierte
Änderungen) von Signalkaskaden mit
einer hohen zeitlichen Auflösung zu detektieren. Abbildung 5b zeigt die Ergebnisse einer solchen Messung für einen definierten Gehirnbereich bei der
Biene. In diesem Fall induziert ein wiederholtes Training, das zum Langzeitgedächtnis führt, eine Verlängerung
der PKA-Aktivierung im Minutenbereich.
Im letzten Schritt wird geprüft, ob die
gemessene lerninduzierte Verlängerung
der PKA-Aktivierung tatsächlich für die
Bildung des Langzeitgedächtnisses relevant ist (Abb. 5c). Dazu haben wir
Techniken entwickelt, die es ermöglichen, zu definierten Zeiten die gemessenen Aktivitätsänderungen als “Playback” in das entsprechende Gehirngebiet einzuspielen. Im dargestellten Beispiel führt das bei Trainingsbedingungen, die normalerweise nur ein Kurz-
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jetzt die bei der Honigbiene gewonnen
Kenntnisse gezielt auf die entsprechende Situation bei Säugetieren übertragen. Diese Strategie ist auch bei den
anderen laufenden Projekten zur Funktion von Stress, Motivation und circadianer Rhythmik geplant, wo zuerst die
Funktion im Detail an Wirbellosen untersucht wird, bevor diese dann bei
Säugetieren überprüft werden.
Literatur
Abb. 6. Das Nadelöhr zum Langzeitgedächtnis.
Einige Signalkaskaden, die für den Transfer ins Langzeitgedächtnis entscheidend sind: Für die Bildung des Proteinsynthese-abhängigen frühen Langzeitgedächtnisses sind unter anderem die durch Stickstoffmonoxid (NO)-vermittelte Aktivierung der Proteinkinase A (PKA) und die Ca2+-Calmodulin-abhängige Proteinkinase (CaMKII) notwendig. Die Bildung des späten Langzeitgedächtnisses ist abhängig von Genexpression, der Aktivierung der PKA und
der MAPKinase und anderen hier nicht aufgeführten Signalkaskaden. Insgesamt stellen all diese molekularen Prozesse einen Filter dar, der den Transfer ins
Langzeitgedächtnis kontrolliert und erschwert.
und Mittelzeitgedächtnis bilden, zur Induktion eines Langzeitgedächtnisses.
Mit Hilfe dieser Strategie haben wir eine Reihe von molekularen Signalkaskaden identifiziert, die in unterschiedlichen neuronalen Netzwerken ablaufen
und für die erfolgreiche Bildung von
Langzeitgedächtnis notwendig sind. In
Abbildung 6 sind einige dieser Prozesse
dargestellt. Für die Bildung von Langzeitgedächtnis müssen alle diese Prozesse perfekt funktionieren; insgesamt
wirken sie als Filter, der entscheidet,
welche Informationen für lange Zeit gespeichert werden und welche nicht.
Warum dieser ganze Aufwand? Warum
gibt es so viele Teilschritte bis zum
Langzeitgedächtnis? Hier verfolgen wir
die Hypothese, dass diese einzelnen
molekularen Prozesse möglicherweise
von externen und internen Faktoren
moduliert werden, die als “geregelter
Filter” entscheiden, welche Information
als Langzeitgedächtnis angelegt wird.
Ausblick
Nachdem wir einen guten Einblick über
die dynamischen molekularen Abläufe
bei der Bildung von Langzeitgedächtnis
unter Laborbedingungen haben, konzentrieren wir uns jetzt auf Fragen, wie
externe und interne Faktoren mit der
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Gedächtnisbildung interferieren. Dazu
gehören unter anderem Stress, Motivation, Sättigungszustand, circadiane
Rhythmik, hormonelle Faktoren etc. So
ist zwar jedem von uns bewusst, dass
unsere Lern- und Gedächtnisleistung
von etwas “ungenau” definierten Parametern wie Tagesform und Motivation
abhängen, die zugrunde liegenden molekularen Prozesse sind jedoch weitestgehend unbekannt. Es ist unklar, ob die
Gedächtnisse erst gar nicht gebildet
werden oder ob die Gedächtnisspuren
während kritischer Zeitfenster “gelöscht” werden. Wie bereits erwähnt,
gehen wir derzeit davon aus, dass die
für den Transfer ins Langzeitgedächtnis
notwendigen parallelen Prozesse Angriffspunkte für die externen und internen Faktoren darstellen.
So zeigen die ersten Ergebnisse zum
Einfluss des Sättigungszustandes (Lernen im gesättigten Zustand), dass bereits während des Trainings parallele molekulare Prozesse verschiedene
Langzeitgedächtnisse induzieren (Friedrich et al., 2004) (Abb. 6). Von Interesse ist vor allem, dass wir sättigungsbedingte Effekte auf die Gedächtnisbildung bereits pharmakologisch manipulieren und den Transfer ins späte Langzeitgedächtnis retten können. Um die
generelle Bedeutung dieser molekularen Prozesse nachzuweisen, werden
Friedrich, A., Thomas, U. and Müller, U
(2004) Learning at different satiation levels
reveals parallel functions for the cAMP/PKA
cascade in formation of long-term memory.
J. Neurosci. 24, 4460-4468.
Gerber B, Tanimoto H, Heisenberg M (2004)
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from fruit flies. Curr. Opin Neurobiol. 14,
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Kandel, E.R. (2001) The molecular biology of
memory storage: a dialoque between genes
and synapses. Science 294, 1030-1038.
Kitamoto, T (2001) Conditional Modification
of Behavior in Drosophila by Targeted
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shibire Allele in Defined Neurons. J Neurobiol 47, 81-92.
Müller, U. (1996) Inhibition of nitric oxide
synthase impairs a distinct form of long-term
memory in the honeybee, Apis mellifera.
Neuron 16, 541-549.
Müller, U., and Carew, T. J. (1998) Serotonin induces temporally and mechanistically
distinct phases of persistent PKA activity in
Aplysia sensory neurons. Neuron 21, 14231434.
Müller, U. (2000a) Prolonged activation of
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conditioning induces long-term memory in
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