Lineare Algebra

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Lineare Algebra
Kapitel 1. Vektorräume
• Motivation Vektorraum
• Der Körper der reellen Zahlen
• Der Vektorraumbegriff, Beispiele
• Rechnen in Vektorräumen
• Linearkombinationen und Erzeugendensysteme
• Lineare Abhängigkeit und Unabhängigkeit
• Basisbegriff
• Standardbasis des Rn
• Dimension eines Vektorraums
• Unterräume; Summe und Durchschnitt
Motivation: Lösungen von linearen Gleichungen
Es seien reelle Zahlen a1, a2, a3, b1, b2, b3 gegeben. Die Menge aller
Lösungen x1, x2 und x3 ∈ R von
a1 x1 + a2 x2 + a3 x3 = 0
b 1 x 1 + b 2 x 2 + b3 x 3 = 0
ist eine Teilmenge des R3 mit einer ganz besonderen Struktur.
1. x1 = x2 = x3 = 0 ist eine Lösung!
2. Falls x1, x2 und x3 und y1, y2 und y3 Lösungen sind, dann ist
auch x1 + y1, x2 + y2 und x3 + y3 eine Lösung!
3. Falls x1, x2 und x3 eine Lösung ist, so ist auch c · x1, c · x2 und
c · x3 für ein beliebiges c ∈ R eine Lösung!
1
Vektorräume und Lineare Abbildungen
Die angesprochene Thematik macht den Kern dieser Veranstaltung
aus. Lineare Techniken sind zentral für weite Bereiche mathematischen Argumentierens. Durch in der Analysis thematisierte Lineare
Approximation reduzieren wir komplizierte Probleme auf lineare
Probleme.
Die linearen Probleme, hinwiederum, reduzieren sich typischerweise
auf das Lösen Linearer Gleichungssysteme, deren Lösungstechnik
in dieser Vorlesung einen entsprechend großen Stellenwert hat.
Zunächst behandeln wir den Körper der reellen Zahlen. Dann führen
wir den Begriff des Vektorraums ein und untersuchen eine Fülle von
Beispielen.
2
Der Körper der reellen Zahlen
In diesem Abschnitt beschreiben wir die algebraischen Eigenschaften
der Menge R aller reellen Zahlen, d.h. wir befassen uns mit den
Eigenschaften der Addition und Multiplikation.
Wir haben also eine Menge mit zwei Abbildungen ( Verknüpfungen )
gegeben:
+:R×R→R
(x, y) 7→ x + y
genannt Addition
·:R×R→R
(x, y) 7→ x · y
genannt Multiplikation
Diese genügen den folgenden Anforderungen:
3
Axiome der Addition
(A1) Assoziativität: (x + y) + z = x + (y + z)
(A2) Kommutativität: x + y = y + x
(A3) Existenz der Null: Es gibt 0 ∈ R mit x + 0 = x für alle x ∈ R
(A4) Existenz eines additiv Inversen: Zu jedem x ∈ R gibt es y ∈ R
mit x + y = 0 .
4
Axiome der Multiplikation
(M1) Assoziativität: (xy)z = x(yz)
(M2) Kommutativität: xy = yx
(M3) Existenz einer Eins: Es gibt 1 ∈ R mit x · 1 = x für alle x ∈ R.
(M4) Existenz eines multiplikativ Inversen: Zu jedem x ∈ R, x 6= 0,
gibt es ein y ∈ R mit x · y = 1 .
5
Distributivgesetz
Addition und Multiplikation sind verkoppelt durch die
(D) Distributivität: (x + y)z = xz + yz für alle x, y, z ∈ R.
Bemerkung: Aus der Kommutativität folgt natürlich die Distributivität auch auf der anderen Seite. Entsprechendes gilt hinsichtlich
der Inversenbildung.
6
Der Vektorraumbegriff
Wir greifen die beim Rechnen mit R isolierten “Gesetzmäßigkeiten”
(A1)–(A4), (M1)–(M4) erneut auf und definieren — in allerdings
verändertem Kontext — den Begriff eines reellen Vektorraums durch
axiomatische Forderung dieser Bedingungen:
Definition Eine Menge V versehen mit zwei Operationen
+ : V × V −→ V,
· : R × V −→ V,
(v, w) 7→ v + w
(a, v) 7→ av
heißt reeller Vektorraum (oder R-Vektorraum), wenn gilt:
7
(A 1) u + (v + w) = (u + v) + w für alle u, v, w ∈ V .
(A 2) v + w = w + v für alle v, w ∈ V .
(A 3) Es gibt 0 ∈ V mit v + 0 = v = 0 + v für alle v ∈ V .
(A 4) Zu jedem v ∈ V gibt es w ∈ V mit v + w = 0 = w + v.
(SM 1) a(v + w) = av + aw für alle a ∈ R, v, w ∈ V .
(SM 2) (a + b)v = av + bv für alle a, b ∈ R, v ∈ V .
(SM 3) (a · b)v = a(bv) für alle a, b ∈ R, v ∈ V .
(SM 4) 1v = v für alle v ∈ V .
Elemente aus V heißen Vektoren, die aus R Skalare.
8
Beispiel: R3



 x1

R3 = 
 x2  | x1 , x 2 , x 3 ∈

 x
3
Die Menge
bildet mit den Operationen






x1
y1
x1 + y1






 x2  +  y2  =  x2 + y2  ,
x3
y3
x3 + y3
einen R-Vektorraum.




x1
ax1




a  x2  =  ax2 
x3
ax3
9



R


Unser Standardbeispiel: Rn
Satz. Für jedes n ≥ 0 bildet die Menge



n
R = 







x1
... 
 | x1, . . . , xn ∈ R


xn
mit den Operationen



x1
 .. 

 . +
xn



y1
x1 + y1



...  = 
...
,
yn
xn + yn




x1
ax1
 .. 
 .. 
a .  =  . 
xn
axn
einen R-Vektorraum.
Beweis. Koordinatenweises Rechnen in R zeigt die Gültigkeit von
(A1)–(A4), (SM1)–(SM4).
10
Das Rechnen in Vektorräumen I
(1) Das Nullelement 0 ∈ V ist eindeutig bestimmt.
Beweis. Seien 0 und 00 Nullelemente von V , dann gilt 0 = 0+00 = 00.
(2) Das additive Inverse zu x ist eindeutig bestimmt.
Beweis. Seien x + y = 0 und x + y 0 = 0. Dann folgt
y = y + 0 = y + (x + y 0) = (y + x) + y 0 = (x + y) + y 0 = 0 + y 0 = y 0
Schreibweise: y = −x .
11
Das Rechnen in Vektorräumen II
Die nächste Eigenschaft werden wir wieder und wieder benötigen:
(3) a · x = 0
⇐⇒
(a = 0 oder x = 0)
für a ∈ R, x ∈ V .
Beweis. “⇐”: Es ist a · 0 = a · (0 + 0) = a · 0 + a · 0 und Addition mit
−(a·0) liefert 0 = a·0. Entsprechend ist 0·x = (0+0)·x = 0·x+0·x,
hier liefert Addition mit −(0 · x) das gewünschte Resultat 0 = 0 · x.
“⇒” a · x = 0 und a 6= 0 impliziert
1
1
1
x = 1 · x = ( · a) · x = · (a · x) = · 0 = 0.
a
a
a
12
Subtraktion in Vektorräumen
Verabredung: x − y := x + (−y)
Rechenregeln:
−(−x) = x
(1)
−(x + y)
=
(−x) + (−y)
(2)
−(x − y)
=
y−x
(3)
(4) Die Gleichung x + b = c (b, c ∈ V gegeben) ist eindeutig lösbar
mit Lösung x = c − b .
(5)
(−a) · x = −(a · x) = a · (−x).
13
Linearkombinationen und Erzeugendensysteme
V sei ein Vektorraum. Ein Element v ∈ V der Form
v = a1 · v1 + · · · + an · vn,
heißt Linearkombination der Elemente v1, v2, . . . , vn ∈ V mit den
Koeffizienten a1, a2, . . . , an ∈ R.
(a) (v1, v2, . . . , vn) heißt Erzeugendensystem von V , wenn sich jedes
v ∈ V als Linearkombination
v = a1 · v1 + · · · + an · vn,
mit geeigneten Skalaren a1, . . . , an schreiben lässt.
14
Lineare Abhängigkeit und Unabhängigkeit
(b) Ein System (v1, v2, . . . , vn) von Vektoren aus V heißt linear abhängig ,
wenn es Skalare (a1, a2, . . . , an) 6= (0, . . . , 0)∗ gibt mit
a1 · v1 + a2 · v2 + · · · + an · vn = 0.
D.h. jeder Vektor läßt sich als Linearkombination der anderen Vektoren darstellen.
Ein linear abhängiges System besitzt somit unnötige Vektoren.
Andernfalls heißt (v1, v2, . . . , vn) linear unabhängig .
∗ Dies
bedeutet: mindestens ein ai ist ungleich 0.
15
Der Basisbegriff
Ein System (b1, b2, . . . , bn) von n Vektoren aus V heißt eine Basis
von V , falls b1, b2, . . . , bn zugleich in V linear unabhängig und ein
Erzeugendensystem von V ist.
Wenn wir eine Basis von V besitzen, kennen wir V vollständig: Es
ist dann nämlich V die Menge aller Linearkombination der Basiselemente.
Im allgemeinen wird ein Vektorraum mehrere, zumeist sogar unendlich viele Basen haben.
Es macht daher keinen Sinn, von der Basis von V zu sprechen.
(Häufiger Fehler, der offenbart, dass Wesentliches nicht verstanden
wurde!)
16
Die Standardbasis des Rn
Im Rn ist das System



e1 = 

1
0
0
...
0






 , e2 = 


0
1
0
...
0






 , . . . , en = 


0
0
...
0
1





ein Erzeugendensystem, denn





a1
a2
...
an−1
an






=


a1
0
...
0
0
 
 
 
+
 
0
a2
...
0
0






+· · ·+


0
0
...
0
an






 = a1 


1
0
...
0
0






+a2 


0
1
...
0
0






+· · ·+an 


0
0
...
0
1



.

Aus der obigen Formel folgt zugleich die lineare Unabhängigkeit von
e1, e2, . . . , en.
17
Die Funktion einer Basis
Satz Ist (v1, v2, . . . , vn) eine Basis von V , so besitzt jeder Vektor
v ∈ V eine eindeutige Darstellung
v = a1 v1 + a2 v2 + · · · + an vn
als Linearkombination von v1, v2, . . . , vn mit skalaren Koeffizienten
a1, a2, . . . , an.
18
Die Dimension eines Vektorraums
Ist (b1, b2, . . . , bn) eine Basis des Vektorraums V , so heißt n die
Dimension von V .
Die Möglichkeit dieser Definition beruht auf dem folgenden — nichttrivialen —
Satz. Je zwei Basen (b1, b2, . . . , bn) und (c1, c2, . . . , cm) ein und desselben Vektorraums V haben dieselbe Mitgliederzahl, es gilt also
m = n.
Wie wir später untersuchen, ist durch Kenntnis seiner Dimension n
ein Vektorraum V weitgehend bestimmt.
Schreibweise: dimR V = n.
19
Definition von Unterräumen
Vektorräume treten häufig als Unterräume eines gegebenen Vektorraums, in der Praxis vor allem als Unterräume eines Rn auf.
Aus gegebenen Vektorräumen entstehen durch Bilden von Unterräumen somit weitere Vektorräume.
Eine Teilmenge U eines R-Vektorraums V heißt Unterraum von V ,
wenn gilt:
(U 1) 0 ∈ U .
(U 2) U + U ⊆ U , d.h. x, y ∈ U =⇒ x + y ∈ U .
(U 3) R · U ⊆ U , d.h. x ∈ U, a ∈ R =⇒ a · x ∈ U .
20
Unterräume sind ihrerseits Vektorräume
Der Name Unterraum ist gerechtfertigt, denn ein Unterraum U von
V ist bzgl. der Verknüpfungen
+ : U × U −→ U,
. : R × U −→ U,
(u, v) 7→ u + v
(a, u) 7→ a.u
wieder ein Vektorraum.
21
Beispiele von Unterräumen
(a) Für jeden Vektorraum V sind stets V selbst und {0} Unterräume
von V .
(b) Ist V ein Vektorraum und v ∈ V so ist R · v := {a · v | a ∈ R} ein
Unterraum von V .
(c) V sei der Anschauungsraum. Die nur aus 0 bestehende Teilmenge {0}, eine Gerade G durch 0 oder eine Ebene E durch 0 sind
Beispiele für Unterräume von V .
22
Systematische Konstruktion von Unterräumen
Unterräume eines R-Vektorraums V können wir uns nach folgendem
Muster verschaffen:
Satz Sind v1, v2, . . . , vt ∈ V , so bildet die Menge aller Linearkombinationen hv1, v2, . . . , vti := {a1 · v1 + · · · + at · vt | a1, a2, . . . , at ∈ R}
einen Unterraum von V .
Es ist auch die Bezeichnung von v1, v2, . . . , vt aufgespannter Unterraum üblich.
23
Beispiele von Unterräumen

1


0


1







(1) Sei V = R3 und v1 =  0 , v2 =  1 , v3 =  1 , so ist
0
0
0



 x1


H := hv1, v2, v3i =  x2  | x1, x2 ∈


0



R
= R2 × {0}


ein Unterraum des R3.
Es bilden v1 und v2 eine Basis (v1, v2) von H.
Folglich hat H die Dimension 2 .
24
Summe und Durchschnitt von Unterräumen
Aus gegebenen Unterräumen U1 und U2 ergeben sich durch Summen
und Durchschnittsbildung weitere:
Satz. Sind U1 und U2 Unterräume von V , so auch Durchschnitt
und Summe
U1 ∩ U2 = {x ∈ V | x ∈ U1 und x ∈ U2}
U1 + U2 = {x1 + x2 | x1 ∈ U1 und x2 ∈ U2}.
Beweis. durch direktes Nachrechnen.
Achtung: Die Vereinigung U1 ∪ U2 ist im allgemeinen nicht wieder
ein Unterraum.
25
Anwendung des Durchschnitts:
System linearer Gleichungen
Es seien reelle
Zahlen
a1, a2, a3, b1, b2, b3 gegeben. Die Menge aller


x1


Lösungen  x2  ∈ R3 des Gleichungssystems
x3
a1 x1 + a2 x2 + a3 x3 = 0
b 1 x1 + b 2 x2 + b 3 x3 = 0
bildet einen Unterraum des R3.
Beweis. Jede der beiden Gleichungen hat als Lösungsmenge einen
Unterraum U1 bzw. U2. Die Lösungsmenge insgesamt ist gerade
U1 ∩ U2, damit wieder ein Unterraum.
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Wichtige Bemerkung zu linearen Gleichungen
Wir werden später lineare Gleichungssysteme und ihr Lösungsverhalten systematisch studieren.
Um ihr Lösungsverhalten gut zu verstehen, ist es entscheidend, auf
die Begriffe Basis, Dimension, Unterraum und Erzeugendensystem
eines Vektorraums zurückgreifen zu können.
Beim gerade diskutierten Beispiel von zwei (homogenen) linearen Gleichungen in drei Unbekannten, kann je nach Vorgabe von
a1, a2, a3 und b1, b2, b3 der Lösungsraum die Dimension 1, 2 oder 3
haben.
Es ist wichtig, entscheiden zu können, wann welcher Fall vorliegt.
Wir kennen diesen Lösungsraum, sobald wir eine Basis desselben
kennen.
27
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