Pharmakologische - Marseille Verlag

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SCHWARZ, S., L. FRÖLICH und M. DEUSCHLE:
Pharmakologische Behandlung von
Schlafstörungen bei älteren Menschen
Häufigkeit und Bedeutung von Schlafstörungen und nicht erholsamer Schlaf
beim älteren Menschen
Arzneimittel-, Therapie-Kritik &
Medizin und Umwelt (2013/Folge 2)
Hans Marseille Verlag GmbH München
Schlafstörungen und nicht erholsamer
Schlaf sind bei älteren Menschen (⬎65
Jahre) eine der häufigsten gesundheitlichen Beschwerden. Meistens klagen die
Patienten über Insomnie. Vermehrtes
Schlafbedürfnis oder abnorme Tagesmüdigkeit sind ebenfalls häufig.
Pharmakologische
Behandlung von
Schlafstörungen bei
älteren Menschen
Epidemiologische Studien ergaben eine
Prävalenz von Schlafstörungen bei älteren Menschen von 30–60% (1, 2). Disponierende Faktoren sind in erster Linie
somatische oder psychiatrische Begleiterkrankungen, aber auch soziale Probleme,
wie Einsamkeit, geringes Einkommen und
niedriger Bildungsgrad. Die große Mehrzahl hospitalisierter älterer Patienten leidet an Schlafstörungen und wird mit Hypnotika behandelt (3).
S. SCHWARZ, L. FRÖLICH und M. DEUSCHLE
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit,
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
der Medizinischen Fakultät Mannheim,
Universität Heidelberg
Schlafstörungen können die subjektive
Lebensqualität massiv beeinträchtigen.
Darüber hinaus verursachen oder verstärken Schlafstörungen zahlreiche Erkrankungen, wie Bluthochdruck, Depression,
kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre Erkrankungen (2, 4). Schlafstörungen beeinträchtigen die geistige Leistungsfähigkeit
bereits bei Gesunden (5), aber umso mehr
bei Patienten mit vorbestehender kognitiver Einschränkung (6, 7).
Korrekte Diagnosestellung
vor Therapiebeginn
Im Praxisalltag werden Schlafstörungen
im höheren Lebensalter sehr oft nicht adäquat abgeklärt und vorschnell, häufig auf
Drängen der Patienten, mit Hypnotika behandelt. Typische Behandlungsfehler bei
Schlafstörungen sind in Tab. 1 zusammengefasst.
Schlafstörungen – Insomnie – Alter –
Therapie – Hypnotika
Schlafstörungen haben bei vielen Patienten eine komplexe Ä t i o l o g i e (8, 9).
Daher sind immer eine ausführliche
A n a m n e s e, die den Partner mit einbeziehen sollte, und häufig auch eine appa1
䡩 Verzicht auf eine diagnostische
Einordnung
䡩 Unvollständige Anamneseerhebung
䡩 Verkennung subjektiver Schlafbeschwerden als behandlungsbedürftige
Erkrankung
䡩 Voreilige Verordnung von Hypnotika
䡩 Therapie mit Hypnotika bei
chronischer Insomnie
䡩 Längerfristige Verordnung eines
Hypnotikums (⬎4 Wochen)
䡩 Verwendung eines ungeeigneten
Medikamentes
Tab. 1
Vermeidbare Behandlungsfehler bei Patienten
mit Schlafstörungen
rative D i a g n o s t i k erforderlich (Tab. 2).
Ein kurzes Anamnesegespräch ist nicht
ausreichend. Steht in der Praxis zu wenig
Zeit zur Verfügung, muss der Patient an
einen Spezialisten überwiesen werden.
Vor jeder Behandlung ist eine medizinische Erklärung für die Beschwerden des
Patienten zwingend notwendig. Die Übernahme des Symptoms »Schlafschwierigkeiten« oder »Schlafmangel« als Diagnose ist nicht akzeptabel.
Hilfreich ist die Einteilung in p r i m ä r e
(idiopathische) und s e k u n d ä r e (komorbide) Schlafstörungen als Komplikation
anderer Erkrankungen oder als Nebenwirkung von Medikamenten. Tab. 3 zeigt die
häufigsten Ursachen primärer und sekundärer Schlafstörungen.
Schlafapnoe-Syndrom und
Restless-Legs-Syndrom
Schlafapnoe-Syndrom und Restless-LegsSyndrom sind häufig übersehene, gut behandelbare Schlaferkrankungen bei älte2
ren Menschen und typische Beispiele, die
die Notwendigkeit einer diagnostischen
Einordnung von Schlafstörungen illustrieren. Beide Erkrankungen sind bei älteren
Menschen sehr häufig. Die Angaben zur
Häufigkeit variieren in Abhängigkeit von
der Methodik der Studien beträchtlich,
aber alle Autoren sind sich einig, dass beide Erkrankungen bei älteren Menschen
sehr häufig vorkommen (4).
In der Praxis werden Schlafapnoe-Syndrom und Restless-Legs-Syndrom oftmals
übersehen. Dies ist umso bedenklicher,
da beide Erkrankungen normalerweise gut
behandelbar sind.
Eine fehlerhafte Einordnung der Schlafstörung kann zu einer falschen Behandlung mit gefährlichen Folgen führen, wenn
z. B. ein Patient mit Schlafapnoe-Syndrom
fälschlicherweise mit Benzodiazepinen behandelt wird, was die Erkrankung verschlechtern kann. Unbehandelt führt vor
allem das Schlafapnoe-Syndrom zu zahlreichen internistischen Komplikationen
und einem Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit (10, 11).
Patienten mit Schlafapnoe-Syndrom und
Restless-Legs-Syndrom präsentieren sich
typischerweise mit den unspezifischen
Hauptsymptomen »Schlafmangel«, »Tagesmüdigkeit« oder »Einnickneigung«.
Während der Patient mit SchlafapnoeSyndrom seinen Schlaf subjektiv häufig
ungestört erlebt, leidet der Patient mit
Restless-Legs-Syndrom meist an Ein- und
Durchschlafstörung im Kontext von Missempfindungen mit Bewegungsdrang.
Ohne eine ausführliche Anamnese des
Patienten und seines Partners ist die korrekte Diagnosestellung nicht möglich.
Falls eine gute Fremdanamnese nicht erhältlich ist, z. B. wenn der Patient alleine
schläft oder die Anamnese wegen kognitiver Defizite des Patienten erschwert ist,
sind eine apparative Untersuchung in einem Schlaflabor bzw. ambulante Screeningverfahren erforderlich (12).
Die differenzielle pharmakologische und
interventionelle Behandlung des Schlaf-
apnoe-Syndroms und des Restless-LegsSyndroms werden hier nicht ausführlich
diskutiert, da sich die Behandlung älterer
Menschen prinzipiell nicht von den allgemeinen Therapierichtlinien unterscheidet
(13).
Ältere Patienten mit Restless-Legs-Syndrom, vor allem mit psychiatrischer oder
kardiovaskulärer Komorbidität, tolerieren
eine dopaminerge Medikation des Restless-Legs-Syndroms oft schlechter bzw.
haben kardiale Kontraindikationen. Bei
diesen Patienten ist L-Dopa als Therapie
der ersten Wahl besser geeignet als DopaAgonisten. Bei Unverträglichkeit sind Opiate (z. B. Tilidin) – allgemein Medikamente
der zweiten Wahl bei Restless-Legs-Syndrom – bei diesen Patienten jedoch oft
eine besser verträgliche Alternative.
Insomnie: Nicht-pharmakologische
Interventionen
Vor jeder Therapie muss zunächst geprüft
werden, ob überhaupt eine behandlungsbedürftige Insomnie vorliegt. Die sorgfältige Analyse von Schlafmuster und Schlafdauer bei älteren Patienten mit dem
Symptom »Schlafmangel« ergibt häufig,
dass sie tatsächlich eine normale Schlafdauer haben. Bei vielen älteren Menschen
ist der Alltag jedoch derart ereignisarm,
dass subjektiv eine zu geringe Schlafdauer wahrgenommen wird. Eine pharmakologische Intervention ist bei dieser großen
Patientengruppe nicht angebracht.
Bei sekundärer Insomnie erfolgt in erster
Linie eine Therapie der zugrunde liegenden Ursache. Wenn eine primäre Insomnie vorliegt (ICD-10: nicht-organische Insomnie, F51.0) finden sich häufig dysfunktionale, angelernte Verhaltensmuster in
Bezug auf den Schlaf.
Zahlreiche Menschen, die über Schlafstörungen klagen, haben sich Ve r h a l t e n s w e i s e n angeeignet, die einem guten
Nachtschlaf entgegenwirken. Häufig verbringen diese Patienten den Tag inaktiv,
manchmal sogar tagsüber im Bett, halten
Anamnese
䡩 Differenzierung von Schlafstörungen von subjektiven Schlafbeschwerden ohne Krankheitswert
䡩 Ausführliche symptomatische Anamnese
(24-Stunden-Schlafmuster, Schlafbeginn, -dauer
und -verlauf, Schlafprotokoll)
䡩 Fremdanamnese von Partner oder Angehörigen
(z.B. auf Schlafapnoe-Syndrom)
䡩 Familienanamnese auf Schlaferkrankungen
(z.B. auf Schlafapnoe-Syndrom)
Untersuchungen
䡩 Schlaftagebuch über mindestens 1 Woche
(Download: www.dgsm.de)
䡩 Körperliche und psychiatrische Untersuchung
䡩 Labor- und technische Untersuchungen einschließlich Schlaflabor nach individueller Indikation
䡩 Gegebenenfalls Untersuchung in einem
Schlaflabor/ambulante Screeningverfahren
䡩 Gegebenenfalls Spezialisten hinzuziehen
(http://www.charite.de/dgsm/dgsm/schlaflabore_
liste.php)
Diagnose
Primäre Schlaferkrankungen:
䡩 Insomnien
䡩 Schlafbezogene Atmungsstörungen
䡩 Hypersomnien
䡩 Zirkadiane Rhythmusstörungen
䡩 Parasomnien (Schlafwandeln, Alpträume,
REM-Schlaf-Verhaltensstörung etc.)
Sekundäre (komorbide) Schlaferkrankungen:
䡩 Verhaltensbedingte Schlafstörung
䡩 Schlafstörungen durch äußere Faktoren
䡩 Somatische Erkrankung
䡩 Psychiatrische Erkrankung
䡩 Medikamentennebenwirkungen
Behandlung
䡩
䡩
䡩
䡩
䡩
Kausale Behandlung, wenn möglich
Aufklärung und Information
Maßnahmen der Schlafhygiene
Nicht-pharmakologische Maßnahmen
Pharmakologische Behandlung
Tab. 2
Vorgehen bei Schlafstörungen
3
Primäre Schlaferkrankungen
䡩 Primäre bzw. psychophysiologische
Insomnie
䡩 Restless-Legs-Syndrom
䡩 Periodische Beinbewegungen
im Schlaf
䡩 Schlafapnoe-Syndrom
䡩 REM-Schlaf-Erkrankungen
䡩 Zirkadiane Schlafstörung
Sekundäre (komorbide)
Schlaferkrankungen
Somatische Erkrankungen:
䡩 Schmerzen
䡩 Herzinsuffizienz, nächtliche Angina
pectoris
䡩 Obstruktive Lungenerkrankungen,
chronische Rhinitis
䡩 Refluxerkrankung, Diarrhö, Obstipation
einen Mittagsschlaf ab oder gehen bereits
früh am Abend zu Bett. Bei diesen Patienten müssen vor einer pharmakologischen
Therapie nicht-medikamentöse Möglichkeiten ausgeschöpft werden (14–16).
Hierunter fallen in erster Linie Techniken
zur besseren Schlafhygiene (Tab. 4). Eine
schlafbezogene kognitive Verhaltenstherapie gilt als wirkungsvollste Behandlung
für Patienten mit chronischen primären
Insomnien. Auch das Erlernen von Entspannungstechniken, wie autogenes Training oder progressive Muskelrelaxation,
können hilfreich sein. »Schlafrestriktion«
und »Kontingenztraining« (»Bett nur zum
Schlafen«) sind Kernelemente der leitliniengerechten schlafbezogenen Verhaltenstherapie von Insomnie (17).
Ein großes Problem ist, dass ein großer
Teil der Patienten nicht motiviert oder
nicht in der Lage ist, eingefahrene Verhaltensweisen zu ändern.
䡩 Inkontinenz, Nykturie
Neurologische und psychiatrische
Erkrankungen:
䡩 Depression
䡩 Demenz
Obwohl erfahrungsgemäß nicht alle Betroffenen
von nicht-pharmakologischen Maßnahmen profitieren, sollte dies vor einer medikamentösen
Therapie, die allenfalls kurzfristig indiziert ist, immer versucht werden.
䡩 Schlaganfall
䡩 M. PARKINSON und verwandte
Erkrankungen
Schlafstörungen bei Demenzpatienten
䡩 Delir
Verhalten:
䡩 Inaktiver Lebensstil
䡩 Mittagsschlaf
䡩 Frühes Zubettgehen
䡩 Alkohol, Kaffee bzw. Schwarztee
am Abend
䡩 Schwere Mahlzeiten am Abend
Umweltfaktoren:
䡩 Unbequemes Bett, Bettwäsche
䡩 Lärm, Licht, ungünstige Zimmertemperatur
Tab. 3
Häufige Ursachen von Schlafstörungen
im höheren Lebensalter
4
Besonders schwierig ist der Umgang mit
Schlafstörungen bei dementen Patienten.
Ein großer Teil von ihnen leidet unter
Schlaf- und nächtlichen Verhaltensstörungen, was oft mit einer großen Belastung
und erheblichen Minderung der Lebensqualität der Angehörigen oder Betreuer
verbunden ist (18, 19). Vor einer Pharmakotherapie, deren Nutzen bei dieser Patientengruppe schlecht evaluiert ist, sollte
unbedingt versucht werden, die äußeren
Bedingungen, vor allem die Betreuungssituation, zu verbessern, was bei vielen Demenzpatienten die als »Schlafstörung«
wahrgenommene Verhaltensstörung zum
Verschwinden bringt.
Bei Demenzpatienten mit Schlafmangel und
nächtlichen Verhaltensstörungen muss zudem
beachtet werden, ob tatsächlich die Patienten
selbst oder nicht eher die Umwelt unter dem
Symptom Schlafmangel leiden, was gelegentlich
zu ethischen Problemen führt.
Pharmakologische Behandlung
der Insomnie
Bei der pharmakologischen Behandlung
wird zwischen akuter und chronischer Insomnie unterschieden. Typische Beispiele
für eine a k u t e S c h l a f s t ö r u n g sind
Trauerreaktionen oder ein Krankenhausaufenthalt, wenn seelische Belastung, ungewohnte Umgebung und externe Störfaktoren den gewohnten Schlaf stören. In
solchen Situationen kann eine vorübergehende Therapie mit einem Hypnotikum
sinnvoll sein. Allgemein soll die Dauer der
Hypnotikatherapie entsprechend der Zulassung der meisten Medikamente einen
Zeitraum von maximal 4 Wochen nicht
überschreiten.
Bei c h r o n i s c h e n S c h l a f s t ö r u n g e n
ist die Verordnung eines Hypnotikums generell nicht indiziert, abgesehen von besonderen Gegebenheiten, wie z.B. bei palliativer Betreuung. Aufgabe des Arztes ist
es hier vielmehr, den häufig geäußerten
Wunsch der Patienten nach Medikamenten abzuwehren und auf nicht-pharmakologische Maßnahmen zu verweisen.
Viele Patienten beharren auf einer medizinisch nicht indizierten Hypnotikaverordnung, besorgen sich die Medikamente
gegebenenfalls über »Doctor Shopping«
oder über das Internet. Trotzdem ist es erfahrungsgemäß häufig möglich, in einem
ausführlichen Gespräch über die Problematik des Wunsches nach einem Schlafmittel sachgerecht aufzuklären und von
der Gefährlichkeit dieser Medikamente zu
überzeugen.
Bei älteren Patienten mit chronischer Insomnie haben H y p n o t i k a keinen sicher
belegten Nutzen, aber zahlreiche N a c h t e i l e : Aufgrund ihrer zentral dämpfenden und muskelrelaxierenden Wirkungen
vermindern B e n z o d i a z e p i n e, in gerin-
Kein Schlaf tagsüber
䡩 Der Patient soll sich tagsüber nicht
hinlegen, nicht schlafen, und am
Abend nicht zu früh ins Bett gehen
Vermeidung von Aktivitäten, die den
Schlaf negativ beeinflussen
䡩 Am späten Nachmittag und am Abend
kein Alkohol, schweres Essen, Nikotin,
Tee, Kaffee
Optimierung der Schlafumgebung
䡩 Geringer Lärmpegel, angenehme
Temperatur, Lüftung, Beleuchtung,
Bettwäsche etc.
Das Bett wird nur zum Schlafen und
zum Geschlechtsverkehr benutzt
䡩 Der Patient soll das Bett verlassen,
wenn er nicht einschlafen kann,
zunächst andere Aktivitäten ausüben
und erst dann wieder mit Müdigkeit ins
Bett gehen
Aktivitäten zur Förderung eines guten
Nachtschlafs
䡩 Tagsüber ausreichend körperliche und
geistige Beschäftigung
䡩 Individuelle Maßnahmen und
Schlafrituale, wie warmes Bad,
Entspannungsübungen, Yoga,
»Schlaftee«, kleine Mahlzeiten
Tab. 4
Instruktionen zur Schlafhygiene
gerem Ausmaß, aber auch Non-Benzodiazepin-Hypnotika, den Muskeltonus und erhöhen die Sturzgefahr. Hypnotika sind für
viele Sturzereignisse älterer Menschen
verantwortlich (20–22).
Vor allem Benzodiazepine, aber auch NonBenzodiazepin-Hypnotika, haben bei längerfristiger Anwendung ein hohes Suchtrisiko (23). Fast alle Hypnotika beeinträchtigen die kognitive Leistungsfähigkeit und
die Fahrtüchtigkeit (24).
5
Substanz
Wirkstoffklasse
Dosierung
Tageskosten
Anwendung
Zopiclon
GABARezeptoragonist
3,75–7,5 mg
0,64 €
(Generikum,
3,75 mg)
Zur kurzfristigen Behandlung
akuter Insomnie;
Abhängigkeitspotenzial
Zolpidem
␻1-BenzodiazepinRezeptoragonist
5–10 mg
0,64 €
(Generikum,
5 mg)
Wie Zopiclon; möglicherweise
höheres Sturzrisiko
Melatonin
(retardiert)
Melatonin
2–4 mg
1,26 €
(2 mg)
Gut verträglich; keine Toleranzund Entzugssymptome; geringes
Suchtpotenzial; kurzfristige
Therapie akuter Insomnie
Pipamperon
Antipsychotikum
mit sedierender
Wirkung
Initial 20 mg,
Steigerung bis
80 mg/Nacht*
0,38 €
(Generikum,
20 mg Lsg.)
Zahlreiche Risiken;
trotz fehlendem Wirknachweis
Verwendung zur kurzfristigen
Behandlung akuter Insomnie;
Mittel der 2. Wahl
Melperon
Antipsychotikum
mit sedierender
Wirkung
Initial 25 mg,
Steigerung bis
50 mg/Nacht*
0,28 €
(Generikum,
25 mg Lsg.)
Zahlreiche Risiken; im Vergleich
mit Pipamperon weniger stark
sedierend
Oxazepam
Benzodiazepin
10 mg
0,23 €
(Generikum,
10 mg)
Zahlreiche Risiken;
hohes Abhängigkeitspotenzial;
keine Empfehlung
Mirtazapin
Noradrenerges
und serotonerges
Antidepressivum
7,5–15 mg*
0,25 €
(Generikum,
15 mg)
Störungen der Orthostase;
metabolische Auswirkungen;
Wirkung bei Patienten ohne
Depression nicht belegt
Opipramol
Trizyklisches
Anxiolytikum
50 mg*
0,14 €
(Generikum,
50 mg)
Unbewiesene Wirkung,
zahlreiche Risiken;
keine Empfehlung
Doxepin/
Trimipramin
Trizyklische
Antidepressiva
1–25 mg*
0,15 €
(Generikum,
25 mg)
Zahlreiche Nebenwirkungen;
Wirkung bei älteren Patienten
ohne Depression nicht sicher
belegt
Trazodon
Trizyklisches
Antidepressivum
50–100 mg*
0,40 €
(Generikum,
100 mg)
Im Vergleich zu anderen
Trizyklika besser verträglich;
Wirkung bei älteren Patienten
ohne Depression nicht sicher
belegt
Diphenhydramin
Antihistaminikum
50 mg
0,38 €
(Generikum,
50 mg)
Unbewiesene Wirkung,
zahlreiche Risiken;
keine Empfehlung
Tab. 5
Hypnotika zur Behandlung älterer Patienten
mit akuter Insomnie. Die Überlegenheit dieser
Medikamente gegenüber hier nicht genannten
Vergleichssubstanzen ist nicht gesichert
6
* Dosierung für den Off-label-Einsatz
bei Insomnie beruht auf Erfahrungswerten
Hypnotika sind trotz zahlreicher Nebenwirkungen und insgesamt geringer Effektstärke (25, 26) eine der am häufigsten verordneten Medikamentengruppe. Gründe
hierfür sind vor allem Zeitmangel vieler
Ärzte, die den Patienten lieber mit einem
Rezept zufriedenstellen, als in einem langwierigen, schlecht honorierten Aufklärungsgespräch zu beraten. Dazu kommt,
dass viele Patienten zwar einen hohen Leidensdruck haben, aber weder motivierbar
noch in der Lage sind, sinnvolle Empfehlungen zur Schlafhygiene oder verhaltenstherapeutische Maßnahmen tatsächlich umzusetzen.
H y p n o t i k a sind die häufigste Ursache
iatrogener M e d i k a m e n t e n a b h ä n g i g k e i t, die in den USA bis zu 11% der weiblichen älteren Bevölkerung betrifft (27).
Unglücklicherweise ließen sich in den
letzten Jahren viele Ärzte durch irreführende Marketingstrategien dazu verleiten,
Non-Benzodiazepin-Hypnotika
als unproblematisch für die Entstehung
einer Sucht anzusehen. Dies ist einer der
wichtigsten Gründe, dass Non-Benzodiazepin-Hypnotika entgegen der Indikation
längerfristig verordnet werden und Benzodiazepine als Hypnotikum der ersten
Wahl abgelöst haben.
Für Deutschland sind genaue Zahlen kaum
verfügbar, da die meisten Hypnotika preisgünstig sind und zunehmend auf Privatrezept verordnet werden, womit die statistische Erfassung erschwert wird. Zwischen
1993 und 2007 stieg jedoch allein die Verordnung von Zopiclon und Zolpidem auf
Privatrezept von 2,2 auf 7,6 Millionen Packungen pro Jahr an (28).
Bei der Medikamentenabhängigkeit älterer Menschen spielen – im Gegensatz zu Suchterkrankungen junger Patienten – die behandelnden Ärzte
die wichtigste Rolle. Die Verordnung von Hypnotika sollte daher äußerst restriktiv, in kleinen
Mengen und nur bei klarer Indikation erfolgen.
bzw. als Bedarfsmedikation verordnet werden. Allgemein sollte mit der geringst
möglichen Dosierung begonnen und unter Beachtung von Wirkung und Komplikationen vorsichtig aufdosiert werden.
Bei Wirkungslosigkeit sollte das Medikament abgesetzt und durch eine Substanz
aus einer anderen Klasse ersetzt werden.
Kombinationstherapien sind nicht empfehlenswert.
Ein pragmatisches Eskalationsschema zur
medikamentösen Therapie von Schlafstörungen als Bedarfsmedikation im stationären Behandlungsrahmen zeigt Tab. 6.
Dieses und vergleichbare Schemata beruhen nicht auf wissenschaftlichen Daten,
sondern auf theoretischen Überlegungen
und klinischer Erfahrung.
Jede medikamentöse Therapie der Insomnie über einen kurzfristigen Zeitraum
von wenigen Tagen bis maximal 4 Wochen hinaus muss kritisch überprüft werden. Für eine längerfristige Medikation
primärer Insomnien gibt es bei älteren
Menschen keine wissenschaftliche Evidenz.
Falls eine solche Off-label-Indikation trotzdem auf Verlangen der Patienten oder aufgrund positiver individueller Erfahrungen
erfolgt, sollten zumindest Substanzen mit
geringerem Abhängigkeitspotenzial verwendet werden. Ausnahmen sind besondere Konstellationen, wie palliative Therapiesituation, schwere psychiatrische Komorbidität bzw. Low-dose-Abhängigkeit
von Hypnotika mit geringer Aussicht auf
erfolgreichen Entzug bzw. fehlender Therapiemotivation.
Hypnotika: Besonderheiten einzelner
Stoffgruppen
Benzodiazepine
Bei gesicherter Indikation kann entsprechend der Wirksamkeit und dem Nebenwirkungsprofil eines der in Tab. 5 empfohlenen Medikamente für einen beschränkten Zeitraum, in der Regel bis zu 10 Tagen,
Die Effektivität von Benzodiazepinen in der
Behandlung von Schlafstörungen bei jungen Erwachsenen ist ausreichend belegt.
Bei älteren Menschen, die von vielen Stu7
Die unten aufgeführte Bedarfsmedikation gilt, sofern die Anordnung »Standard Bedarf
Schlafstörungen« und solange keine andere Bedarfsmedikation angeordnet ist.
Allgemeine Regeln
䡩 Schlafmittel möglichst vermeiden
䡩 Benzodiazepine zur Behandlung von Schlafstörungen nur im Ausnahmefall
䡩 Schlafmedikamente allgemein nicht nach 24 Uhr verabreichen
(Ausnahme siehe unten)
1. Schritt: Zopiclon
䡩 Beginn mit 3,75 mg Zopiclon
䡩 Bei fehlender Wirkung nach einer halben Stunde erneut 3,75 mg Zopiclon
䡩 Bei Patienten, die bereits mit 7,5 mg Zopiclon vorbehandelt worden sind,
gegebenenfalls sofort 7,5 mg Zopiclon verabreichen
䡩 Maximale Dosis 7,5 mg Zopiclon pro Nacht
2. Schritt (bei mangelnder Wirksamkeit von Zopiclon): Pipamperon
䡩 Beginn mit 20 mg Pipamperon, vorzugsweise als Saft (20 mg ⫽ 5 ml Saft)
䡩 Bei fehlender Wirkung nach einer halben Stunde erneut 20 mg Pipamperon
(kann wiederholt werden, bis maximal 80 mg pro Nacht)
䡩 Bei Patienten, die bereits mit der höheren Dosis vorbehandelt worden sind,
gegebenenfalls sofort 40–60 mg Pipamperon verabreichen
䡩 Maximale Dosis 80 mg Pipamperon pro Nacht
Bedarfsmedikation nach 24 Uhr
Nur verabreichen, wenn in dieser Nacht noch keine Schlafmittel als Bedarf gegeben
worden sind. Nach 3 Uhr morgens keine Schlafmittel mehr!
Falls unumgänglich:
䡩 1. Schritt: 2 mg Melatonin (Circadin)
䡩 2. Schritt: Bei fehlender Wirksamkeit nach 30 Minuten erneut 2 mg Melatonin
䡩 Falls bei einer vorherigen Gabe 2 mg Melatonin nicht erfolgreich waren, kann sofort
einmalig 4 mg Melatonin gegeben werden
䡩 3. Schritt: einmalig 20 mg Pipamperon
Vorgehen bei Patienten, bei denen vorwiegend Einschlafstörungen vorbekannt sind
(keine Durchschlafstörung)
䡩 1. Schritt: 2 mg Melatonin (Circadin)
䡩 2. Schritt: Bei fehlender Wirksamkeit nach 30 Minuten erneut 2 mg Melatonin
䡩 Bei fehlender Wirksamkeit nach 30 Minuten: Vorgehen wie oben beschrieben
Tab. 6
Mannheimer Stufenschema zur medikamentösen Bedarfsbehandlung von
Insomnie im höheren Lebensalter im
stationären Behandlungsrahmen
8
dien zu Benzodiazepinen ausgeschlossen
wurden, ist der Nutzen bei Insomnie weit
weniger gut gesichert.
unter engmaschiger ambulanter Betreuung, besser aber vollstationär, durchführbar.
Eine Metaanalyse aller Studien zu Hypnotika bei alten Menschen ergab unter
Benzodiazepinen eine signifikante Verbesserung wichtiger Schlafparameter; die absolute Effektgröße war aber klein und allenfalls von fraglicher klinischer Relevanz
(26). Dagegen war die Rate von Nebenwirkungen erheblich.
Aufgrund dieser Gesichtspunkte können Benzodiazepine bei älteren Patienten mit Insomnie
nicht empfohlen werden.
Zahlreiche Probleme limitieren den Einsatz
von Benzodiazepinen bei älteren Patienten.
Viele Substanzen haben zusammen mit
ihren Metaboliten eine sehr lange Halbwertszeit und Wirkdauer, die zu Hangover mit Tagesmüdigkeit am nächsten Tag
führen. Im höheren Alter ist der Metabolismus von Benzodiazepinen zudem verlangsamt. Aus diesen Gründen sind kürzer wirksame Benzodiazepine vorzuziehen.
Bromazepam, Lorazepam oder Alprazolam sollten wegen des im Vergleich mit
anderen Benzodiazepinen erfahrungsgemäß noch höheren Suchtpotenzials nicht
bei Insomnie eingesetzt werden.
Bei alten Menschen sehr gut dokumentiert ist eine allgemein erhöhte Sturzgefahr und eine stark erhöhte Rate von
Oberschenkelfrakturen als Folge der zentral sedierenden und muskelrelaxierenden Wirkung (21).
Benzodiazepine beeinträchtigen die kognitive Leistungsfähigkeit, besonders bei
vorbestehenden Defiziten, weshalb sie bei
Patienten mit kognitiver Einschränkung
nicht eingesetzt werden sollen. Diese Patienten haben auch ein erhöhtes Risiko
paradoxer Wirkungen von Benzodiazepinen und deliranter Symptome (29).
Die Langzeitwirkung begrenzt die nach
wenigen Tagen einsetzende Toleranzentwicklung und die Entstehung einer Abhängigkeit. Nach längerer Anwendung kommt
es zu teils lebensbedrohenden Entzugserscheinungen, wie epileptische Anfälle, vegetative Störungen, Agitation und Unruhe
bis zum Delir. Nach längerem Konsum
von Benzodiazepinen ist ein Entzug nur
Diese eindeutige und gut begründete
Empfehlung steht im krassen Widerspruch zur täglichen Praxis. Vor allem bei
Heimbewohnern werden Benzodiazepine
leider sehr häufig verordnet (30).
Non-Benzodiazepin-Hypnotika
In den 1980er-Jahren wurden die NonBenzodiazepin-Hypnotika (»Z-drugs«) eingeführt, die Vorteile gegenüber den Benzodiazepinen haben. Sie führen zu keiner
relevanten Toleranzentwicklung, haben eine geringere Wirkdauer und sind seltener
mit Tagesmüdigkeit am nächsten Morgen
assoziiert, weshalb sie die Benzodiazepine als Medikamente der ersten Wahl abgelöst haben.
Das Missbrauchspotenzial ist geringer,
aber gleichfalls vorhanden und wird oft
unterschätzt. Mittlerweile sind Non-Benzodiazepin-Hypnotika nach den Benzodiazepinen die häufigste Ursache von Medikamentenmissbrauch bei alten Menschen.
Aktuell sind die Substanzen Zolpidem und
Zopiclon verfügbar. Eszopiclon und Zaleplon werden in Deutschland nicht vermarktet.
Die Datenlage für ältere Menschen ist
nicht umfangreich. Ein Großteil der Studien wurde bei jüngeren Patienten ohne
Komorbidität durchgeführt. Eine Metaanalyse aller Studien bei älteren Patienten
ergab, dass Non-Benzodiazepin-Hypnotika nur eine geringe Wirkung auf Schlafqualität und Einschlaflatenz ausüben, im
Vergleich mit Benzodiazepinen aber besser verträglich sind (31).
Verglichen mit Benzodiazepinen haben
Non-Benzodiazepin-Hypnotika geringere
Auswirkungen auf den Muskeltonus und
9
die Sturzgefahr. Allerdings wurde auch
unter Zolpidem ein erhöhtes Sturzrisiko
berichtet (22). Seltene psychiatrische Komplikationen bei älteren Patienten sind Delir, Halluzinationen und Wahnvorstellungen.
Unterschiede zwischen einzelnen NonBenzodiazepin-Hypnotika wurden in den
bisherigen zahlreichen Studien nicht untersucht – schon gar nicht bei älteren Personen, sodass eine klare Präferenz nicht
möglich ist (24, 25).
In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für
Neurologie werden die Substanzen wegen dieser
Probleme für ältere Patienten generell nicht empfohlen (32).
Doxepin bestätigt (40). Mirtazapin und
Agomelatin, 2 Antidepressiva mit schlafanstoßenden Wirkungen ohne relevante
anticholinerge Nebenwirkungen, wurden
bisher nicht in systematischen Studien
bei Patienten mit Schlafstörungen untersucht.
Z u s a m m e n g e f a s s t : Antidepressiva
werden bei Schlafstörungen ohne begleitende Depression im klinischen Alltag off
label häufig eingesetzt, obwohl der Nutzen nicht gesichert ist. Besonders bei älteren Patienten müssen diese Substanzen
wegen der zahlreichen Nebenwirkungen
mit Vorsicht verordnet werden (13). Für
eine längerfristige Anwendung fehlen, wie
für andere Hypnotika, ausreichende Daten.
Gegenüber anderen Hypnotika ist das fehlende Suchtrisiko vorteilhaft.
Antidepressiva
Antidepressiva sind für die Indikation
Schlafstörung bei Patienten ohne begleitende Depression nicht zugelassen, werden jedoch off label häufig eingesetzt.
Meist werden trizyklische Antidepressiva,
Trazodon und Mirtazapin in niedriger Dosierung verwendet. Opipramol ist kein
Antidepressivum, wird aber wegen der
Strukturverwandtheit hier mit aufgeführt.
Allgemein sollen trizyklische Antidepressiva bei älteren Menschen wegen der anticholinergen Nebenwirkungen, die u. a.
kognitive Leistungen verschlechtern können, vermieden werden (33).
Studien zum schlaffördernden Effekt trizyklischer Antidepressiva (vor allem Trazodon, Trimipramin, Doxepin) wurden
überwiegend bei Patienten mit Depression durchgeführt. Kleinere Studien zeigten positive Effekte trizyklischer Antidepressiva bei primärer Insomnie bei jüngeren Patienten (34–37). Insgesamt gilt der
Nutzen von Antidepressiva bei primärer
Insomnie aber nicht als gesichert (38, 39).
Bei älteren Menschen gibt es nur eine
sehr kleine kontrollierte Studie, die bei
guter Verträglichkeit einen kurzfristigen
Nutzen von niedrig dosiertem (1–6 mg)
10
Antipsychotika
Ebenso wie Antidepressiva sind Antipsychotika nicht zur Behandlung von Insomnie zugelassen, werden aber sehr häufig
in der Praxis off label verwendet.
Es existieren keine aussagekräftigen Studien, die den Einsatz von Antipsychotika
bei Schlafstörungen rechtfertigen. Die optimale Dosis für Schlafstörungen ist unklar.
Antipsychotika haben vielfältige Nebenwirkungen, wie extrapyramidale Symptome, negative metabolische Effekte, Gewichtszunahme und selten das maligne
neuroleptische Syndrom. Bei Demenz
sind Antipsychotika mit zerebrovaskulären Komplikationen und erhöhter Mortalität assoziiert (41).
Im klinischen Alltag werden seit Jahren
trotz fehlender wissenschaftlicher Evidenz
und gut bekannter Risiken vor allem niedrig-potente Neuroleptika als Medikamente
der zweiten Wahl eingesetzt. Pipamperon,
Melperon und vergleichbare Substanzen
werden bei einem limitierten Einsatz über
wenige Tage gut vertragen. Diese Beobachtung basiert nicht auf wissenschaftlichen Daten, sondern auf klinischer Erfahrung.
Von einer längerfristigen Behandlung chronischer
Schlafstörungen mit Antipsychotika muss abgeraten werden.
Melatonin und Melatonin-Rezeptoragonisten
Melatonin ist ein schlafanstoßendes Hormon der Epiphyse. Die Substanz ist bei
kurzfristigem Konsum gut verträglich. Die
chronische Anwendung führt zu einem
Abfall der Testosteronproduktion, was die
Verwendung bei jungen Männern ausschließt. Ein relevanter Nutzen unretardierten Melatonins bei älteren Menschen
ist nicht gesichert (42).
In Deutschland ist unretardiertes Melatonin nicht erhältlich. In den USA und anderen Ländern ist die Substanz als Nahrungsergänzungsmittel frei verkäuflich.
Eine ausreichende pharmazeutische Qualitätskontrolle dieser Präparate ist zweifelhaft. Zudem ist die optimale Dosis unbekannt. U n r e t a r d i e r t e s Melatonin kann
daher n i c h t e m p f o h l e n werden.
2007 wurde Melatonin in r e t a r d i e r t e r
Form zur Behandlung von Schlafstörungen für Personen ⬎55 Jahren zugelassen.
In den bisherigen klinischen Studien war
die Verträglichkeit gut, die pharmakologische Wirkung allerdings g e r i n g (32).
Auch retardiertes Melatonin ist nur »für
kurzfristige Behandlung« zugelassen, da
bisher nur wenige Daten zum Langzeitgebrauch verfügbar sind. Die Gefahr einer Toleranz- oder Suchtentwicklung ist gering.
Ramelteon, ein selektiver Melatonin-Rezeptoragonist, ist in Europa nicht zugelassen. Agomelatin, ein melatonerges Antidepressivum, ist für die Indikation Insomnie theoretisch vielversprechend, jedoch
nicht ausreichend untersucht (43).
Antihistaminika, Antikonvulsiva, Chloralhydrat
und Barbiturate
Diphenhydramin ist ein frei verkäufliches
A n t i h i s t a m i n i k u m gegen Schlafstö-
rungen. Kleine Studien erbrachten inkonklusive Ergebnisse (44). Wegen kognitiver
Beeinträchtigungen und der anticholinergen Wirkungen sowie einer erfahrungsgemäß schnellen Toleranzentwicklung bei
ungewissem Nutzen muss von der Verwendung von Diphenhydramin bei älteren Menschen a b g e r a t e n werden.
C h l o r a l h y d r a t ist ein seit 1869 verwendetes Hypnotikum, das noch gelegentlich eingesetzt wird. Zuverlässige Studien
zur Wirksamkeit fehlen, die Substanz hat
aber eine Reihe teils bedrohlicher Nebenwirkungen (Verlängerung der QT-Zeit,
Suchtpotenzial, psychiatrische und gastrointestinale Symptome, mögliche Karzinogenität), die den Gebrauch o b s o l e t
machen (45).
Gelegentlich wird die sedierende Nebenwirkung von Valproinsäure bei Schlafstörungen genutzt; dieses Vorgehen ist nach
wissenschaftlichen Daten nicht zu rechtfertigen. B a r b i t u r a t e haben nur noch
historische Bedeutung und sind bei älteren Patienten k o n t r a i n d i z i e r t.
Pflanzliche Arzneimittel
und Homöopathie
Zahlreiche Pflanzen, wie Johanniskraut,
Baldrian, Kamille, Hopfen, Kava-Kava und
Passionsblume, werden gegen Schlafstörungen vermarktet. Für keine dieser Substanzen liegt für die Indikation Insomnie
ein Wirknachweis vor.
In der allgemeinen Wahrnehmung werden
diese Präparate als harmlos betrachtet.
Allerdings sind nicht nur der Nutzen, sondern auch die Risiken nicht gut untersucht. Prinzipiell können Phytotherapeutika
wie jedes Arzneimittel gravierende Nebenwirkungen haben.
So sind Kava-Kava-Extrakte in Deutschland wegen der Hepatotoxizität nicht mehr
erhältlich (46). Auch von Johanniskrautextrakten sind zahlreiche unerwünschte
Wirkungen und Wechselwirkungen mit
anderen Arzneimitteln bekannt (47). Die
11
pharmazeutische Qualität vieler Produkte
ist nicht gewährleistet. Daher können diese Präparate allgemein n i c h t e m p f o h l e n werden.
Baldrian- und Hopfenpräparate werden in
der Volksmedizin gegen Schlafstörungen
verwendet. Baldrianextrakte waren Gegenstand einiger klinischer Studien, deren Ergebnisse in einer Metaanalyse mit
den Worten »safe but not effective« zusammengefasst wurden (48). Gefährliche
Nebenwirkungen sind nicht bekannt. Daher sollte vom Konsum entsprechender
Präparate nicht aktiv abgeraten werden,
wenn sie gut vertragen werden und subjektiv eine Beschwerdebesserung erbringen.
Die Wirkung von Homöopathie bei Insomnie ist nicht gesichert (49).
Ganz allgemein muss bei der Beurteilung
der Wirkung aller Maßnahmen zur Behandlung der Insomnie berücksichtigt
werden, dass bei dieser Indikation ein
sehr großer P l a z e b o e f f e k t bestehen
kann (50). Eine subjektive Besserung
muss also nicht zwangsläufig Ausdruck
der pharmakologischen Wirkung sein.
Schlafstörungen haben eine komplexe
Ätiologie und erfordern eine differenzierte
Behandlung. Vor jeder Behandlung sind
eine ausführliche Untersuchung und eine
genaue differenzialdiagnostische Einordung erforderlich. Falls ursächliche Faktoren identifiziert werden können, erfolgt
eine kausale Behandlung.
Vor der pharmakologischen Therapie sollten nicht-pharmakologische Maßnahmen
ausgeschöpft werden. Die Wirkung von
Hypnotika bei älteren Menschen ist
schlecht belegt. Die meisten Hypnotika
haben erhebliche Nebenwirkungen, die
den Einsatz bei älteren Menschen limitieren.
Zur kurzfristigen Behandlung akuter Insomnie kann eine Therapie mit Hypnotika
erfolgen. Für diese Indikation sind NichtBenzodiazepin-Hypnotika und retardiertes
Melatonin besonders geeignet. Eine längerfristige (⬎4 Wochen) pharmakologische Behandlung chronischer Insomnie
ist wegen der ungesicherten Wirkung und
zahlreicher unerwünschter Wirkungen der
Hypnotika bei den meisten Patienten nicht
indiziert.
Weiterführende Informationen
Die Homepage der Deutschen Gesellschaft
für Schlafforschung und Schlafmedizin
stellt geeignete Fragebögen, Schlaftagebücher sowie Adressen von Schlaflaboren zur weiteren Abklärung zur Verfügung
(www.dgsm.de).
Zusammenfassung
Schlafstörungen und nicht erholsamer
Schlaf sind eine der häufigsten Beschwerden älterer Patienten. Die meisten Patienten klagen über Schlafmangel (Insomnie).
Schlafstörungen können die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen und sich
negativ auf zahlreiche organische Erkrankungen auswirken.
12
SCHWARZ, S., L. FRÖLICH and M. DEUSCHLE:
Pharmacological interventions for insomnia in
the elderly
S u m m a r y : Sleep disorders are one of the most
commonly voiced complaints in elderly patients.
Sleep disorders exert negative effects on quality
of life, but may also worsen several somatic diseases.
Sleep disorders have a complex etiology, warranting meticulous diagnostic assessment and
therapy. In elderly patients, insomnia is the most
frequent sleep disorder. In patients with secondary insomnia, therapy of the causative factors is
initiated.
Non-pharmacological therapies and behavioural
advice constitute the mainstay of symptomatic
treatment of insomnia. In general, the therapeutic
benefit of hypnotic drugs is not well analysed. On
the other hand, most substances may have considerable negative side effects.
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For short-term (up to four weeks) symptomatic
treatment of acute insomnia, hypnotic drugs may
be employed. For this indication, non-benzodiazepine hypnotic drugs and prolonged-release
melatonin are drugs of first choice. Generally,
prolonged treatment of chronic insomnia in elderly patients is not indicated due to the unclear
long-term efficacy and negative side effects of the
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14
Prof. Dr. S. SCHWARZ
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
Medizinische Fakultät Mannheim
Universität Heidelberg
J5
68159 Mannheim
[email protected]
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