Das akute Koronarsyndrom

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ZfA 2004 "043", 19.3.04/dk köthen GmbH
A. van de Loo1
W. Niebling2
Das akute Koronarsyndrom
Zusammenfassung
Abstract
Mit dem Begriff ¹akutes Koronarsyndrom (ACS)ª bezeichnet man
das Krankheitsbild welches durch Angina pectoris-artige Symptomatik und die ischämie-typischen EKG-Veränderungen charakterisiert wird. Er ersetzt die früher gebräuchlichen Diagnosen
¹instabile Anginaª, ¹Präinfarkt-Anginaª, ¹Non-Q-Infarktª und
¹akuter transmuraler Infarktª. Eine hochgradig stenosierende
oder verschlieûende Koronarerkrankung ist das pathophysiologische Korrelat dieses Krankheitsbildes, welches auch heute mit
einer hohen Letalität und ungünstigen Langzeitprognose assoziiert ist. Durch eine effiziente Diagnostik am Notfallort und die
optimale organisatorische Verzahnung der Maûnahmen des
erstversorgenden Hausarztes/Notarztes, des Rettungsdienstes
und des kardiologischen Zentrums kann heute eine sehr wirksame Behandlung erreicht werden. Der vorliegende Beitrag beschreibt die neue Terminologie, diagnostische und therapeutische Maûnahmen sowie organisatorische Voraussetzungen für
eine optimal vernetzte Versorgung von Patienten mit ACS.
Acute coronary syndromes (ªACSº)are characterized by anginal
chest pain associated with ischemic changes in the 12-lead resting ECG. This recently introduced term comprises a spectrum
between unstable angina and acute transmural myocardial infarction. An completely occluded or subtotally stenosed coronary
artery is the pathophysiological correlate of this clinical condition. It still is associated with a significant morbitity and mortality. Optimized medical management of this acute condition includes a complex emergency medication and the cooperative
management of early interventional treatment. This article describes new definitions and the evidence ± based rationale for the
early management and the post-interventional treatment of patients with acute coronary syndromes
Key words
Acute coronary syndrome ´ ACS ´ NSTEACS ´ STEMI ´ NSTEMI
Schlüsselwörter
Akute koronare Syndrome ´ ACS ´ NSTEACS ´ STEMI ´ NSTEMI
Definition
Der Begriff: ¹akutes Koronarsyndromª (engl. Acute coronary syndrome, ACS) umfasst das Spektrum zwischen der instabilen Angina pectoris einerseits und dem akuten transmuralen Myokardinfarkt andererseits. Da die frühe EKG-Diagnostik entscheidende
Bedeutung für das Management der betroffenen Patienten hat,
ist die neue Terminologie auf den charakteristischen EKG-Befund bezogen. Liegt eine typische, anhaltende Angina pectoris
Symptomatik vor und findet man im 12-Kanal-Ruhe EKG deszendierende T-Negativierungen, spricht man heute von einem
NSTEACS (¹non-ST-elevation acute coronary syndromeª). Es ent-
Institutsangaben
Abt. Kardiologie & Angiologie, Universitätsklinikum Freiburg
2
Lehrbereich Allgemeinmedizin, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
1
Korrespondenzadresse
PD Dr. med. Andreas van de Loo ´ Universitätsklinikum Freiburg ´ Abt. Kardiologie & Angiologie ´
Hugstetterstr. 55 ´ 79106 Freiburg ´ Tel.: 0761/2 70 33 87 ´ Fax: 0761/2 70 35 60 ´
E-mail: [email protected]
Bibliografie
Z Allg Med 2004; 80: 103±107 Georg Thieme Verlag Stuttgart ´ New York ´ ISSN 0014-336251 ´
DOI 10.1055/s-2004-816243
Versorgung
The Acute Coronary Syndrome
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spricht der früheren Bezeichung ¹instabile Angina pectorisª. Bei
Vorliegen der typischen ST Elevation des akuten transmuralen
Myokardinfarkts und entsprechenden Symptomen spricht man
in der internationalen Literatur zunehmend vom STEMI (¹ST-elevation myocardial infarctionª). Das Wissen um die hohe Sensitivität des kardialen Troponin für den Nachweis einer myokardialen Nekrose führte zur Etablierung einer neuen klinischen Entität, des NSTEMI (¹non ST-elevation myocardial infarctionª. Dieser so genannte ¹kleine Infarktª wird diagnostiziert, wenn im
Verlauf typische Beschwerden mit einem signifikanten Troponinanstieg im klinischen Labor ohne ST-Strecken-Hebungen im
Ruhe-EKG beobachtet werden. Ein positives Resultat im ambulant verfügbaren Troponin-Schnelltest erlaubt es jedoch nicht,
diese Diagnose zu stellen.
Pathophysiologie
Die Vorstellung, dass eine langsam progrediente, zuletzt subtotal
verschlieûende Stenosierung des Koronargefäûes zum akuten
Koronarsyndrom führt, musste aufgrund neuerer pathologischer
und koronarographischer Untersuchungen verlassen werden.
Wir wissen heute, dass nur ein geringer Anteil der frischen,
transmuralen Myokardinfarkte (STEMI) auf dem Boden einer
hochgradig (> 50 %) stenosierenden Koronarerkrankung entsteht.
Die Untersuchung der Querschnitte der Koronararterien nach Infarkt zeigte, dass Plaques, welche plötzlich zum Gefäûlumen hin
aufreiûen und ihre äuûerst thrombogene Oberfläche dem Blutstrom präsentieren (¹Plaquerupturª), durch eine hohe entzündliche Aktivität und einen hohen Fettgehalt charakterisiert sind.
Man spricht hier von instabilen Plaques [6]. Das Fortschreiten
der Plaquebildung und ihre Entwicklung hin zu einer instabilen
Plaque wird begünstigt durch hohe Cholesterinspiegel, familiäre
Belastung, arterielle Hypertonie und Nikotinabusus. Nicht jede
Plaqueruptur führt automatisch zur Entwicklung eines Myokardinfarktes. Im Laufe eines Lebens entstehen in der Regel multiple Aufbrüche von koronaren Plaques, welche bei intaktem Gerinnungssystem lokal regenerieren, in der Regel aber zu einer
Progredienz der stenosierenden Koronarkrankheit führen. Entscheidend für den akuten subtotalen (NSTEACS) oder kompletten Koronarverschluss bei Plaqueruptur (STEMI) ist die lokale
Adhäsion und Aggregation der Thrombozyten. Deren Aktivierung führt zum Fortschreiten des lokalen Thrombus und zu einer
ausgeprägten peripheren Vasokonstriktion des betroffenen Gefäûes [5]. Das Verständnis dieses lokalen Prozesses macht die Bedeutung der pharmakologischen Intervention im Gerinnungssystem bei Patienten mit ACS ersichtlich.
Diagnostik
Das Spektrum der Beschwerden, welche von Patienten mit akutem Koronarsyndrom geklagt werden, ist äuûerst breit. Der genauen Anamneseerhebung kommt daher eine ganz besondere
Bedeutung zu. Typischerweise wird ein retrosternaler Schmerz
von dumpfem, manchmal brennendem Charakter angegeben.
Der Schmerz wird meist auf einer etwa handtellergroûen Fläche
angegeben, selten als punktförmig beschrieben. Er kann typischerweise in den Hals, Unterkiefer und die Innenseite, insbesondere des linken Oberarmes ausstrahlen. Atypische Lokalisationen
für die Ausstrahlung der Angina pectoris bei Infarkt sind aber
auch der Rücken, der Ober- und auch der Unterbauch. Zeichen
der vegetativen Aktivierung wie Übelkeit, Unruhe und allgemeines Unwohlsein und starkes Schwitzen sind nicht selten. Der
Schmerz ist nicht atemabhängig und nicht durch Bewegung oder
bestimmte Körperhaltungen zu lindern oder zu verstärken. Bei
Frauen kann sich die Angina pectoris häufiger atypisch präsentieren: Austrahlung der Schmerzen auch in den Rücken, dominierend vegetative Symptome oder Palpitationen als ¾quivalente eines koronaren Schmerzes werden nicht selten fehlgedeutet.
Auf eine orientierende körperliche Untersuchung mit Palpation
des Abdomens und Auskultation von Herz und Lunge sollte
auch in der Akut-Situation nicht verzichtet werden.
EKG
Neben der Anamneseerhebung kommt der Elektrokardiographie
nach wie vor eine entscheidende diagnostische Bedeutung beim
akuten Myokardinfarkt zu. Der Nachweis von Hebungen des STSegmentes in der Repolarisation weist auf das Vorliegen eines
transmuralen Myokardinfarktes (STEMI) hin. Über das 12-KanalEKG lässt sich die Lokalisation des Infarktes bestimmen (s.
Tab. 1). ST-Segmenthebungen in den Ableitungen II, III sowie
aVF weisen auf einen Infarkt der Hinterwand des Herzens hin.
¾hnliche Veränderungen in den Ableitungen V2±V5 sprechen
für eine Lokalisation des Infarktgeschehens in der Vorderwand
des Herzens.
Wenn die Verdachtsdiagnose eines Hinterwandinfarktes gestellt
wird, muss routinemäûig auch ein EKG mit rechtsventrikulären
Ableitungen geschrieben werden. Die Brustwandableitungen
des EKG werden hierzu rechtsthorakal spiegelbildlich zu den
linksthorakalen Standardableitungen angelegt. Eine Hebung in
der rechtsventrikulären Ableitung V4 ist pathognomonisch für
das Vorliegen eines Hinterwandinfarktes mit rechtsventrikulärer
Beteiligung. Dieser ist mit einer ungünstigen Prognose assoziiert
und erfordert besondere intensivmedizinische Betreuung. Ursache ist ein Verschluss der rechten Koronararterie proximal des
Abgangs des rechtsventrikulären Seitastes [8]. Infarkte der Seitenwand des Herzens zeigen elektrokardiographisch oft nur
sehr dezente oder keine hinweisenden EKG-Veränderungen.
Ein nichttransmuraler Infarkt ist elektrokardiographisch gekennzeichnet durch gleichschenklige Negativierungen der T-Welle.
Auch hier erlauben die o. g. Ableitungen eine Lokalisation des Infarktgeschehens (s. Tab. 1).
Tab. 1 Ischämielokalisation bei akutem Koronarsyndrom im RuheEKG
ST-Streckenänderung in Ableitung:
Lokalisation der Ischämie
II, III, aVF
inferior
II, III, aVF + rV4
Inferior mit rechtsventrikulärer
Beteiligung
V1±V4
anteroseptal
I, aVL
lateral
I, aVL, V5/6
posterolateral
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Differenzialdiagnose
Relevante Differenzialdiagnosen mit akuten therapeutischen
Konsequenzen sind die akute Aortendissektion und die Lungenembolie. Entsprechende Hinweise sind bei bekannten Patienten
insbesondere der Anamnese zu entnehmen: arterielle Hypertonie, konsumierende Erkrankungen etc. Muskuloskelettale Ursachen eines Thoraxschmerzes sind oft durch einfache klinische
Untersuchung zu identifizieren. Bei Frauen präsentiert sich die
Angina pectoris Symptomatik häufig eher atypisch und erschwert das Stellen der richtigen Diagnose. Palpitationen, Dyspnoe, epigastrische Symptome und ziehende Schmerzen können
hier hinweisend sein für ein akutes Koronarsyndrom (s. auch
Tab. 2).
Therapeutische Erstmaûnahmen
Das Vorliegen eines akuten Thoraxschmerzes ist für den modernen Rettungsdienst eine Indikation zur Alarmierung des Notarztes, welcher in vielen Fällen heute die Erstversorgung vornimmt.
Eine Differenzierung ¹STEMIª versus ¹NSTEACSª ist zu Beginn der
Tab. 2 Differenzialdiagnose des akuten Thoraxschmerzes
akuter Myokardinfarkt
instabile Angina pectoris
akute Lungenembolie
disseziierendes Aortenaneurysma
Pleuritis
Schmerzen muskuloskeletaler Genese
Tietze Syndrom
Perikarditis
Ulcus ventriculi
paraösophageale Hernie
Boerhave Syndrom
Mediastinitis
Tracheobronchitis
Pneumothorax
Herpes zoster
maligne Neoplasie
Psychogen
u. v. a. m.
medikamentösen Erstversorgung am Notfallort nicht erforderlich, da die eingesetzten Substanzen sich nicht unterscheiden.
Beim akuten transmuralen Infarkt (¹STEMIª) gehört es zu den
Aufgaben des erstbehandelnden Hausarztes oder Notarztes, neben der Erstversorgung und der Behandlung der Akutkomplikationen wie Kammerflimmern und Herzinsuffizienz eine möglichst schnelle Rekanalisation der Infarktarterie zu organisieren.
Insbesondere in den ersten 4±6 Stunden nach Beginn einer Angina pectoris-Symptomatik ist die schnelle und anhaltende Rekanalisation des Infarktgefäûes für den Patienten von entscheidender Bedeutung [3, 5]. Die organisatorischen Maûnahmen müssen
zu einer optimalen Verbindung der präklinischen Maûnahmen
und der definitiven Versorgung des Infarktpatienten im Krankenhaus führen. In der Universitätsklinik Freiburg wurden im
Rahmen eines Projekts Kriterien (Angina pectoris, ST StreckenHebungen im Notarzt-EKG) definiert, aufgrund derer der Notarzt
die Indikation zur sofortigen Herzkatheteruntersuchung stellt
und den Patienten direkt in das Katheterlabor begleitet. Er trifft
dort rund um die Uhr auf ein erfahrenes Interventionsteam. Die
zeitintensive Aufnahme- und Entscheidungsphase wird so wirksam verkürzt [12].
Die Verdachtsdiagnose ¹STEMI/NSTEACSª wird zunächst über
die Anamnese gestellt. Allein aufgrund dieses Befundes wird die
Weiterbehandlung mit bequemer Lagerung, Legen eines peripheren Venenzugangs und einer medikamentösen Therapie begonnen. In der Regel kann die Diagnose schon im Notarztwagen
durch ein 12-Kanal-Ruhe-EKG gesichert werden. Parallel soll ein
Monitoring des Herzrhythmus und eine Blutdruckmessung erfolgen. Die medikamentöse Therapie erfolgt ausschlieûlich intravenös, Ausnahme stellt hier die Acetylsalicylsäure dar, welche
auch als Kautablette verabreicht werden kann. Die Prognose des
Patienten wird durch die frühe Gabe von Acetylsalicylsäure (z. B.
Aspisol 250±500 mg i. v. oder Aspirin protect 500 mg per os)
verbessert. Zusätzlich sollte, falls keine Kontraindikationen vorliegen ein Betablocker (z. B. Metoprolol 2±5 mg i. v.) verabreicht
werden. Nitrate (Glycerintrinitrat 2±10 mg/h i. v.) führen durch
Nachlastsenkung und koronare Vasodilatation zu einer Reduktion der Angina pectoris-Beschwerden. Unfraktioniertes Heparin
in einer Dosis von 4 000 IE i. v. verabreicht dient zunächst der
Thromboseprophylaxe. Ein wesentliches Ziel der Akutbehandlung ist die Schmerzreduktion bzw. -freiheit. Dies geschieht
durch die Gabe von Opiaten (Morphinum 2±5 mg i. v.). Die begleitende Übelkeit kann durch Metoclopramid bekämpft werden.
Bei ausgeprägter Agitation des Patienten wird zusätzlich ein
Benzodiazepin zur Sedierung verabreicht. Eine prophylaktische
antiarrhythmische Therapie ist in der Notfallsituation nicht indiziert [13, 14]. Nach der Akutversorgung ist es Aufgabe des Hausarztes/Notarztes die Weiterbehandlung sicher zu stellen. Hier
wird in der Regel, soweit in absehbarer Zeit erreichbar, ein Zentrum der kardiologischen Maximalversorgung per Alarmfahrt
angefahren um eine optimale kardiologisch-interventionelle
Versorgung des Patienten zu gewährleisten (s. a. Tab. 3).
Thrombolysetherapie
Seit ihrer Einführung Ende der 70er-Jahre war die intravenöse
Thrombolysetherapie Standard in der Akut-Therapie des akuten
transmuralen Myokardinfarktes [13, 14]. In den vergangenen
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Labordiagnostik
Das präklinische Management ist nicht von der Labordiagnostik
abhängig. Die Verdachtsdiagnose ACS wird mit ausreichender Sicherheit aus der Anamnese, dem Untersuchungsbefund und dem
12-Kanal-Ruhe-EKG gestellt. In der Praxis kann allenfalls das
kardiale Troponin eine ergänzende Bedeutung haben, wenn ein
positiver Nachweis geführt werden kann. Ein negativer Troponin-Schnelltest schlieût ein ACS aber keinesfalls aus. Das Troponin wird etwa 2±4 Stunden nach Verschluss einer Koronararterie
im Serum nachweisbar. Es ist ein sensitiver Marker auch für kleine Myokardnekrosen und gewinnt zunehmend an klinischer Bedeutung. Neben der eigentlichen Sicherung der Infarktdiagnose
ermöglicht es auch eine sehr verlässliche Risikostratifizierung
mit akutem koronarem Syndrom. Patienten mit positivem Troponin profitieren in besonderem Maûe von einer schnellen invasiven Koronardiagnostik und interventionellen Therapie [4].
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Tab. 3 Notfallbehandlung bei akutem Koronarsyndrom
beruhigendes Zugehen auf den Patienten
Tab. 5 Vergleich der rekanalisierenden Verfahren bei akutem
transmuralem Myokardinfarkt (STEMI)
Thrombolyse
bequeme Lagerung
Akut-PTCA
O2 über Nasensonde
Vitalparameter (Blutdruck/Puls) bestimmen
gesicherter Nutzen
ja
ja
Auskultation von Herz und Lunge
Erfolgsrate (TIMI 3)
50±65 %
96 %
groûlumiger venöser Zugang
Verfügbarkeit
Krankenhaus, präklinisch
spezialisierte Zentren
Monitorüberwachung
Kosten
+
++
Azetylsalycilsäure (z. B. Aspisol 250±500 mg i. v.)
Koronarstatus bekannt
nein
ja
Heparin unfraktioniert (z. B. Liquemin 4 000 IE i. v.)
definitive Versorgung
nein
meist ja
Metoprolol (z. B. Beloc 2±5 mg i. v.)
Blutungsrisiko
hoch
gering
ggf. Diazepam (z. B. 2±5 mg Valium)
Versorgung
ggf. Morphin (z. B. MSI 2±5 mg i. v. )
ggf. Nitroglycerin (z. B. Nitrospray 0,4 mg s. l.)
Tab. 4 Indikationsstellung zur Thrombolysetherapie bei STEMI
Indikation
Angina pectoris von > 30 Minuten Dauer
und: ST-Hebungen > 0,1 mV in 2 benachbarten
Ableitungen des Ruhe-EKG
neuer Linksschenkelblock
Kontraindikation (absolut)
floride Blutung (auûer menses)
V. a. Aortendissektion
Schädelhirntrauma
zerebraler Tumor
Punktion nicht komprimierbarer Gefäûe
Kontraindikation (relativ)
aktives Ulcus ventriculi
Blutdruck anhaltend > 180/110 mmHg
prolongierte Reanimation
schwere Diabetische Retinopathie
Schwangerschaft
Z. n. intramuskulärer Injektion
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Jahren ist ihr Stellenwert deutlich rückläufig, da sich die frühe invasive Koronardiagnostik bei akuten koronaren Syndromen als
überlegen herausgestellt hat. Sie ist grundsätzlich indiziert bei
anhaltender Angina pectoris über 30 min mit den typischen
EKG-Veränderungen: ST-Streckenhebungen > 0,1 mV in mehr als
zwei Extremitätenableitungen und ST-Streckenhebungen
> 0,2 mV in mehr als zwei nebeneinander liegenden Brustwandableitungen. Weitere Indikation ist der sicher neu aufgetretene
Linksschenkelblock im Oberflächen-EKG. (Tab. 4). Die Thrombolyse ist kontraindiziert bei ST-Streckensenkungen oder normalem Ruhe-EKG sowie bei Zuständen mit deutlich erhöhter Blutungsneigung. Der groûe Vorteil der Thrombolysetherapie ist
ihre ubiquitäre Verfügbarkeit. Insbesondere in ländlichen Einsatzgebieten hat sich auch die präklinische Thrombolysetherapie
im Notarztwagen bewährt, da hier der Zeitgewinn ganz erheblich sein kann.
Moderne Behandlung im Krankenhaus
In den letzten Jahren hat sich in der Behandlung der akuten koronaren Syndrome immer mehr die akute Koronarangiographie
mit kathetertechnischer Rekanalisation des Infarktgefäûes und
Stentimplantation (Akut-PTCA) [7, 13] bewährt. Für Patienten
mit einem STEMI wird grundsätzlich empfohlen, diese nach der
Erstbehandlung zur schnellstmöglichen kathetertechnischen Re-
PTCA: percutaneous transluminal coronary angioplasty. TIMI: ¹thrombolysis in
myocardial infarctionª; gebräuchliche Abkürzung für eine angiografische Methode zur Abschätzung des Kontrastmittelflusses in infarktbezogenen Koronargefäûen. TIMI 3 bezeichnet einen guten, nicht verzögerten Fluss.
kanalisation des Infarktgefäûes zu verlegen, wenn innerhalb von
90 Minuten nach dem ersten qualifizierten Arztkontakt ein interventionelles Labor erreicht werden kann [13]. Dieses Verfahren
führt bei signifikant mehr Patienten zu einer anhaltenden Offenheit des infarktbezogenen Gefäûes und verbessert so den akuten
Verlauf und die Langzeitprognose. Durch die Einführung der
hochwirksamen Thrombozyteninhibitoren (abciximab; ReoPro,
Tirofiban; Aggrastat und Eptifibatide, Integrillin) konnten die
Ergebnisse deutlich verbessert werden. Der bekannte Koronarstatus erleichtert zudem das gezielte Postinfarktmanagement
bei den betroffenen Patienten. Nachteil dieses Verfahrens ist seine noch mangelhafte Verfügbarkeit, da es derzeit auf wenige
hochspezialisierte Zentren beschränkt bleibt. Einer perfekten
Kommunikation zwischen erstversorgendem Arzt, dem Rettungsdienst und dem aufnehmenden Zentrum kommt eine besondere Bedeutung zu. Schnell ineinander greifende Abläufe
können die entscheidende ¹Symptom-to-Balloon-Zeitª signifikant verbessern. Ein Vergleich der rekanalisierenden Verfahren
ist in Tab. 5 zu finden.
Patienten mit akutem Koronarsyndrom ohne ST-Strecken Hebung (NSTEACS) werden heute ebenfalls sehr frühzeitig d. h. innerhalb der ersten 24 Stunden nach Symptombeginn, der invasiven Diagnostik und ggf. interventionellen kardiologischen Therapie zugeführt. Durch die Verwendung der koronaren Stents und
der Glycoprotein II b/III a-Inhibitoren sind diese Eingriffe effizient und komplikationsarm geworden [2].
Therapie nach koronaren Interventionen
Ziel der Behandlung nach einem akuten Koronarsyndrom ist die
Vermeidung weiterer kardial ischämischer Ereignisse (Sekundärprophylaxe). Zu den gesicherten nichtmedikamentösen Maûnahmen gehören die Gewichtsreduktion, das Meiden von Nikotin sowie die Aufnahme eines regelmäûigen körperlichen Trainings. Da die Bedeutung der stationären Rehabilitation für Koronarpatienten geringer wird, fällt den betreuenden Allgemeinarzt
hier eine wichtige Verantwortung zu.
Patienten nach einem ACS sollten lebenslang Azetylsalizylsäure
(ASS) mit 100 mg/d einnehmen. Für 9 Monate nach dem Ereignis
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Diabetiker tragen ein sehr hohes Risiko, erneute koronare Ereignisse zu erleiden. Bei ihnen sollte daher die Sekundärprophylaxe
nach Identifikation aller das Risiko bestimmender Faktoren besonders umfassend erfolgen.
Interessenkonflikte: keine angegeben.
Zusammenfassung
Die dynamische Versorgung von Patienten mit akuten koronaren
Syndromen stellt eine besondere Herausforderung für die ärztliche Erstversorgung dar. Die Verdachts-Diagnose wird am Notfallort aufgrund der Klinik und des Ruhe-EKG gestellt. Die Patienten profitieren in hohem Maûe von der Organisation einer
perfekten Weiterbehandlung durch Notarzt und aufnehmender
Klinik. Die optimale definitive Therapie erfolgt heute zeitnah in
spezialisierten kardiologisch-interventionellen Zentren.
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Zur Person
Andreas van de Loo
Facharzt für Innere Medizin seit 1994, Kardiologie
seit 1996, Oberarzt am Universitätsklinikum Freiburg, Abteilung Kardiologie, seit 1997. Schwerpunkte: Internistische Intensivmedizin, Notfallmedizin,
Interventionelle Kardiologie, hier Notfallversorgung,
Schwere Herzinsuffizienz, Herztransplantation
van de Loo A, Niebling W. Das akute Koronarsyndrom. Z Allg Med 2004; 80: 103 ± 107
Versorgung
wird, falls in der Akutversorgung ein koronarer Stent implantiert
wurde, die Kombination mit Clopidogrel (Plavix, Iscover) empfohlen [2, 13]. Die orale Antikoagulation mit Marcumar hat nur
dann einen Stellenwert, wenn der Patient eine hochgradig
eingeschränkte linksventrikuläre Funktion (Ejektionsfraktion
< 25±30 %) oder ein relevantes Herzwandaneurysma hat. Zur Progressionshemmung der Atherosklerose hat sich in zahlreichen
Studien die Gabe von ACE-Hemmern bewährt [1, 13]. Insbesondere Diabetiker stellen eine Subgruppe dar, welche nach Infarkt
in hohem Maûe von einer konsequenten, hochdosierten Therapie
mit ACE-Hemmern profitiert. Dem gleichen Ziel dient die Gabe
eines Statins als Lipidsenker. Die Senkung des LDL-Cholesterins
unter 100 mg/dl ist hier das konsequent zu verfolgende therapeutische Ziel. Der Einsatz dieser Substanzgruppe in der Sekundärprophylaxe gilt als gesichert [10]. Wenn der Patient eine
transmuralen Myokardinfarkt (STEMI) erlitten hat, sollte aus
prognostischer Sicht ein Betablocker in der Dauertherapie eingesetzt werden [11].
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