1.4 Konflikte benennen

Werbung
Begleitendes Skript
Einführung in das Thema Konflikte und
Grundlagen der Mediation
Wahlpflichtmodul
Mediation Konfliktmanagement
Wintersemester 2008/2009
Prof. Dr. jur. Andrea Budde,
Mediatorin
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
1
Inhaltsverzeichnis
1 KONFLIKTE ERKENNEN UND VERSTEHEN ______________________________________________ 2
1.1 KONSTRUKTIVE UND DESTRUKTIVE WIRKUNGEN VON KONFLIKTEN _______________________________ 3
1.2 WAS IST EIN KONFLIKT? _________________________________________________________________ 4
1.3 KONFLIKTTYPEN ______________________________________________________________________ 4
1.4 KONFLIKTE BENENNEN __________________________________________________________________ 8
1.5 KONFLIKTFAKTOREN __________________________________________________________________ 12
2 WAHRNEHMUNGS- UND ENTSCHEIDUNGSMUSTER ____________________________________ 19
2.1 BESCHRÄNKTE RATIONALITÄT ___________________________________________________________ 19
2.2 HEURISTISCHE ENTSCHEIDUNGEN ________________________________________________________ 20
2.3 RAHMUNGSEFFEKTE ___________________________________________________________________ 23
2.4 GRUPPENWISSEN _____________________________________________________________________ 24
3 KONFLIKTDYNAMIK UND ESKALATION _______________________________________________ 26
3.1 STUFEN DER ESKALATION UND HINWEISE ZUR INTERVENTION __________________________________ 26
3.2 INTERVENTION UND DEESKALATION ______________________________________________________ 31
3.3 SACH- UND BEZIEHUNGSEBENE __________________________________________________________ 33
3.4 ENTFLECHTUNG VON SACH- UND BEZIEHUNGSEBENE _________________________________________ 37
4 ABGRENZUNG DER MEDIATION GEGENÜBER ANDEREN
KONFLIKTREGELUNGSVERFAHREN ____________________________________________________ 39
5 GRUNDLAGEN DER MEDIATION _______________________________________________________ 40
5.1 MERKMALE DER MEDIATION ____________________________________________________________ 40
5.2 GESCHICHTE UND ANWENDUNGSFELDER ___________________________________________________ 41
5.3 VORAUSSETZUNGEN FÜR MEDIATION _____________________________________________________ 44
5.4 ORIENTIERUNGEN DES VERHANDELNS _____________________________________________________ 45
5.5 HÜRDEN AUF DEM WEG ZUR KOOPERATION ________________________________________________ 48
5.6 ZIELE VON MEDIATION _________________________________________________________________ 49
6 LEITBILDER DER MEDIATION _________________________________________________________ 49
6.1 VERHANDLUNGS- UND LÖSUNGSORIENTIERTER ANSATZ _______________________________________ 50
6.2 TRANSFORMATIONSANSATZ _____________________________________________________________ 52
7 PHASEN EINES MEDIATIONSVERFAHRENS ____________ ERROR! BOOKMARK NOT DEFINED.
8 LITERATUR __________________________________________________________________________ 59
1
2
Konflikte erkennen und verstehen
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
Welche spontanen Assoziationen haben Sie, wenn Sie den Begriff Konflikt hören? Eine
Sammlung ergibt häufig ein Bild von massiven, zum Teil aggressiv ausgetragenen Auseinandersetzungen, die mit starken Gefühlen wie Angst, Frustration, Wut, aber auch Selbstbestätigung und Erfolg verbunden sind. Tatsächlich können Konflikte positive und negative Wirkungen entfalten - je nachdem, wie mit ihnen umgegangen wird.
1.1
Konstruktive und destruktive Wirkungen von Konflikten
Ein Konflikt wird als kostenintensiv/destruktiv erfahren, wenn er
 nicht in neue Entscheidungen oder Verhaltensweisen resultiert und das Problem bestehen
bleibt,
 Energie für wichtigere Dinge und Themen vergeudet,
 die Moral von Individuen und Gruppen zerstört,
 negative Selbsteinschätzungen unterstützt,
 Menschen noch weiter auseinander bringt und Gruppen polarisiert,
 unverantwortliches Verhalten produziert,
 ...
 ...
Ein erfolgreiches Konfliktmanagement im Rahmen eines Mediationsverfahrens will diese
Auswirkungen verhindern.
Die negative Einstellung der Beteiligten gegenüber dem Konflikt kann verändert werden,
wenn konstruktive Wirkungen von Konflikten deutlicher werden.
Ein Konflikt wird als gewinnbringend/konstruktiv erfahren, wenn er
 die Beteiligung und das Engagement der vom Konflikt Betroffenen erhöht,
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
3
 Diskussionen öffnet, die zur Klärung von Themen und Problemen führen,
 alternative Lösungen zu identifizieren hilft,
 Innovationen fördert,
 in eine Problemlösung überführt werden kann, die als Erfolg erlebt wird,
 ein Ventil für aufgestaute Gefühle wie Aggression, Angst und Streß bietet,
 den Zusammenhalt innerhalb einer Gruppe fördert,
 zur persönlichen Entwicklung von Individuen und Gruppen beiträgt, die ihre Erfahrungen
in zukünftigen Konflikten nutzen können,
 ...
 ...
1.2
Was ist ein Konflikt?
Die Vielzahl unterschiedlicher Assoziationen legt nahe, zunächst nach einer generell gültigen
und damit zwangsläufig auch sehr allgemeinen Beschreibung des Begriffs Konflikt zu suchen.
Eine solche Definition für interpersonelle Konflikte, die in der Mediation im Mittelpunkt stehen, könnte folgendermaßen lauten:
„Ein interpersoneller Konflikt liegt dann vor, wenn eine Partei Verhaltenstendenzen verfolgt, die mit den Verhaltenstendenzen einer anderen Partei nicht zu vereinbaren sind oder mindestens einer Partei nicht vereinbar zu sein scheinen. Verhalten ist hier im weitesten psychologischen Sinne zu verstehen; unvereinbar können daher nicht nur Wünsche oder Interessen sein, sondern z.B. auch Meinungen,
Werte, Sympathieempfindungen und dergleichen mehr.“ (Müller-Fohrbrodt 1999:
17)
1.3
Konflikttypen
Konflikte sind so zahlreich und vielfältig in unserer Gesellschaft, daß ein ordnender Überblick, der Voraussetzung für ein tieferes Verständnis von Konflikten ist, schwerfällt. In wis4
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
senschaftlichen Arbeiten zur Konflikttheorie steht daher häufig am Anfang der Versuch einer
Typologisierung. Auch wenn reale Konflikte niemals vollständig einem bestimmten Idealtypus entsprechen, so hilft eine solche Systematisierung doch, Konflikte einzuordnen, zu bewerten und entsprechende Schritte zur Intervention und Konfliktregelung zu planen. Im Konfliktmanagement, z.B. in der Mediation, definieren wir Konflikte in der Regel über das Konfliktverhalten, weil der Mediator dort auch ansetzen muß. Konflikte sind aus dieser Sicht immer manifest und nicht latent. Ansonsten handelt es sich nicht um einen Konflikt, sondern um
ein noch nicht thematisiertes Problem.
 Unterscheidung nach Konfliktraum
Unterscheidung nach dem Konfliktraum oder der Arena bezeichnen das Umfeld, in dem sich
ein Konflikt abspielt. Dieser Raum bestimmt, welche Akteure in welchen Rollen aufeinander
treffen.
 Mikro-sozialer Raum
Im mikro-sozialen Raum geht es um interpersonelle Konflikte bei direkter Face-To-FaceInteraktion.
 Meso-sozialer Raum
Im meso-sozialen Raum werden diese interpersonellen Konflikte in eine erweiterte Arena
gestellt. Hier wirken Kommunikation innerhalb einer Organisation und die Beziehungen zu
Akteuren anderer Organisationen bzw. Systeme zusammen. Es treten häufiger MehrParteien-Konflikte auf.
 Makro-sozialer Raum
Der makro-soziale Raum beschreibt schließlich eine Konfliktarena in all ihrer Komplexität,
insbesondere mit den strukturellen gesellschaftlichen Verflechtungen.
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
5
 Unterscheidung nach beteiligten Personen / Gruppen
 Intrapersonelle Konflikte
In der Persönlichkeit einer Konfliktpartei angelegte Konfliktfaktoren finden in der Mediation Berücksichtigung, soweit sie für die Bearbeitung der sachlichen Probleme relevant
sind. Sie müssen berücksichtigt werden, weil sie die Beziehungsebene beeinflussen, auf deren Grundlage erst Sachlösungen erarbeitet werden können. Im Gegensatz zur Therapie ist
in der Mediation ein Konflikt aber nicht Anlaß zur Behandlung der Persönlichkeit. Die intrapsychische Seite wird nur mit Blick auf ihren Einfluß auf die Sachebene behandelt.
 Interpersonelle Konflikte
Diese Form von Konflikten steht hier im Zentrum. Sie ist in allen Anwendungsfeldern der
Mediation relevant. In der Familienmediation, beim Täter-Opfer-Ausgleich und z.T. in der
Schulmediation geht es - stärker als etwa im Bereich der Umwelt- und Wirtschaftsmediation - vor allem um die Behandlung interpersoneller Konflikte im mikrosozialen Rahmen.
 Intergruppenkonflikte
Konflikte zwischen Gruppen liegen vor, wenn Interessengruppen oder Vertreter von Organisationen und oder gesellschaftlichen Subsystemen aufeinandertreffen, die sich in ihren
Zielsetzungen unterscheiden bzw. sich bei der Art ihrer Interessenverfolgung gegenseitig
beeinträchtigen. Konflikte zwischen Gruppen in einer mesosozialen Arena entstehen auch,
wenn sich im Rahmen von Auseinandersetzungen Koalitionen um bestimmte Positionen
bilden. In der Wirtschaftsmediation sind Intergruppenkonflikte relevant, wenn Abteilungen
miteinander im Konflikt liegen oder Streitigkeiten mit anderen Unternehmen, Kunden,
Vertragspartnern oder gesellschaftlichen Anspruchsgruppen vorliegen. Auch in der Umweltmediation spielen Konflikte zwischen Vertretern von Gruppen wie Unternehmen,
Umweltverbänden, Bürgerinitiativen und Verwaltungen eine wesentliche Rolle.
 Gesellschaftliche, internationale, globale Konflikte
Die Mediation profitiert als Methode sehr stark von den Traditionen der internationalen
Diplomatie und der Friedensverhandlungen (Peace Making) bei internationalen Konflikten
und bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen. Diese Formen internationaler Konfliktregelung gehören zu den wichtigsten Wurzeln der Mediation.
6
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
 Unterscheidung nach der Form der Austragung
Eine weitere Unterscheidung betrifft die Form, in der sich ein Konflikt äußert: Es gibt formgebundene und institutionalisierte Konflikte. Hier haben sich aufgrund strukturell angelegter
Konflikte Regeln und Institutionen herausgebildet, auf die immer wieder zurückgegriffen
werden kann. Beispiele sind Schiedsrichter, Schlichter, Schiedsstellen und -gerichte, Vermittlungsausschüsse, Selbstverwaltungsgremien usw. Mitunter wirken institutionalisierte Formen
der Konfliktregelung schon wie Rituale, die sich von den tatsächlichen und differenzierten
Interessen der Konfliktparteien gelöst haben. Gut zu beobachten ist dies etwa bei Tarifauseinandersetzungen. Aber auch das gegenteilige Extrem ist problematisch für ein Konfliktmanagement. Wenn Konflikte vollkommen formlos und nicht innerhalb anerkannter Normen
verlaufen, sind sie nur schwer zu beeinflussen. Daher überführt Mediation Konflikte in eine
neue Form, und zwar durch die Garantie bestimmter Spielregeln des Verhandelns und Diskutierens sowie durch das strukturierte Vorgehen über mehrere Phasen (s. Kap. Error! Reference source not found.) hinweg, was eine konstruktive Konfliktregelung erleichtert.
 Unterscheidung nach dem Grad der Eskalation
Wichtig für die Mediation ist auch die Unterscheidung nach dem Grad der Eskalation: Glasl
(1994) unterscheidet zwischen kalten und heißen Konflikten. Während bei kalten, nicht ausgelebten Konflikten Frustration, fehlende Begeisterung und ein abnehmender Zusammenhalt
vorherrscht, erkennen Konfliktparteien in heißen Konflikten häufig ihre tatsächlichen Motive
und die Folgen ihres Handelns nicht mehr. In der Mediation müssen entsprechend die Konfliktparteien bei kalten Konflikten eher gestärkt und zu einer Interessenartikulations befähigt
werden (Empowerment). Bei heißen Konflikten stehen Deeskalationstechniken im Vordergrund, um danach die Parteien zu veranlassen, auch die Perspektive des anderen anzuerkennen
(Recognition).
 Unterscheidung nach Inhalten / Konfliktgegenständen (Issues)
Die häufigste Typologisierung unterscheidet nach Streitgegenständen als vermutete Konfliktursachen. Eine solche Typenbildung (Geno-Typus) ist allerdings äußerst schwierig, da Konflikte ein dynamisches Geschehen darstellen, bei dem nur selten solche Streitobjekte zu isolieren sind. Während Konflikte um Interessen, Daten und Beziehungen besser auf dem Wege der
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
7
kooperativen Verhandlung lösbar sind, verschließen sich zumindest teilweise ideologische
Konflikte und Konflikte um die radikale Veränderung gesellschaftlicher Strukturen einem
Konfliktmanagement. Da allerdings eine klare Bezeichnung von Konfliktursachen wie bereits
erwähnt schwierig ist, sprechen wir im weiteren meistens von Konfliktfaktoren (s. Kap. 1.5).
Folgende Konflikttypen lassen sich nach Hauptgegenständen des Streites unterscheiden:
 Daten-/Faktenkonflikt: Informationsdefizite, Fehlinformationen, unterschiedliche Bewertung und Gewichtung von Daten
 Interessenkonflikt: Verfahrensbezogene, psychologische und inhaltliche Bedürfnisse und
Interessen
 Strukturkonflikt: Administrative Abläufe, Kontrolle und Machtverteilung, Ressourcen,
gesellschaftliche Verhältnisse
 Wertekonflikt: Vorstellungen von Moral und Verantwortung
 Beziehungskonflikt: Emotionen wie Sympathie/Antipathie, Vorurteile und Stereotype,
Kommunikationsformen.
1.4
Konflikte benennen
Konflikte benennen bedeutet eine ehrliche Suche nach Konflikten, die Sie als Individuum
haben (bzw. bei Ihren Freunden, Kollegen, Klienten, Kunden etc. erleben), nach typischen
Mustern, wann, wo und mit wem die Konflikte auftreten, welche Konfliktursachen Sie erkennen und mit welchen Reaktionsweisen Sie sich in der Regel auf solche Konflikte einstellen.
Diese kritische Selbstanalyse ist ein wichtiger Schritt, um einige unnötige Konflikte zukünftig
zu vermeiden oder eine Eskalation zu verhindern. Das Benennen von Konflikten und Erkennen von Verhaltensmustern ist die Grundlage für die Suche nach angemessenen und effektiven Konfliktregelungsmöglichkeiten. Die folgende Übung soll helfen, Konfliktfaktoren und
die Auswirkungen üblicher Regelungsmethoden auf die Gewinne und Verluste der Beteiligten, gemessen an ihren Interessen, zu identifizieren. Füllen Sie die folgende Tabelle aus:
8
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
Übung „Konflikttabelle“
Angewandt Methoden
Konfliktgegner Konfliktursachen / Thema
von mir
von anderen
Wer hat gewonnen?
Ich
Andere Beide
Keiner
Vorgesetzte
Kollegen
Untergebene
Kunden
...
...
Fremde
Bekannte
Freunde
Verwandte
...
...
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
9
Häufig zeichnen sich typische Muster einer Konfliktregelung ab. Die folgende Grafik verdeutlicht, zu welchen Gewinnen und Verlusten solche alltäglichen Verhaltensweisen zur Regelung von Konflikten bei den Beteiligten führen, wenn wir die eigentlichen Interessen zu-
Interessen-/Nutzengewinn „B“
grunde legen:
Durchsetzung „B“/
Anpassung „A“
K2
K3
Kooperationen
K1
K4
Kompromiß
Durchsetzung „A“/
Anpassung „B“
Vermeidung
Interessen-/Nutzengewinn „A“
Unter Berücksichtigung von Sach- und Beziehungsebene lassen sich die Konstellationen
kurz charakterisieren:
 Vermeidung oder gegenseitige Blockade ( Lose-Lose)
Konflikte sind - wie der Schmerz für den Körper - Signale, daß etwas nicht stimmt und mit
Problemen zu rechnen ist, wenn nichts getan wird. Wenn die Austragung eines Konfliktes
vermieden wird, so bleiben die Probleme ungelöst und wirken sich zum Nachteil beider
Parteien aus. Inhaltliche Unzufriedenheit ist die Folge, denn beide können ihre Interessen
nicht verwirklichen. Das gilt auch für die gegenseitige Blockade. Beide Parteien beharren
hier auf ihrer Position, die sie aber nicht gegen den Willen der jeweils anderen Partei allein
10 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
verwirklichen können. Hier wird die Beziehung aus Sicht beider Parteien stark belastet.
Vermeidung, Flucht oder Blockade ist die häufigste Form der Konfliktbehandlung.
 Durchsetzung ( Win-Lose)
Die machtgestützte Form der Konfliktbehandlung ist charakteristischerweise einseitig, wird
als inhaltlich ungerecht erlebt und wirkt enorm belastend für die zukünftige Beziehung, die
sowohl persönlicher als auch professioneller Art sein kann. Die Konfliktpartei, die sich
durchsetzt, ist kurzfristig zufrieden und kann das Siegesgefühl genießen und ihr Selbstvertrauen dadurch vergrößern. Die unterlegene Partei ist unzufrieden, in ihrem Selbstwertgefühl geschwächt und entwickelt möglicherweise Gefühle von Wut und Rache.
 Anpassung (Lose-Win)
Hier wird eine Blockade dadurch aufgehoben, daß eine Partei freiwillig die eigenen Verhaltenstendenzen hinten anstellt bzw. aufgibt. Das Bedürfnis nach Harmonie droht hier die inhaltlichen Interessen zu unterdrücken; die Beziehungsseite wird im Verhältnis zur
Sachebene überbetont. Auch hier sind einseitige, inhaltlich ungerechte Ergebnisse zu erwarten, die kurzfristig die Beziehung schonen, langfristig jedoch wenig tragfähig und wiederum belastend für die Beziehung sein können.
 Kompromiß
Wenn sich die Konfliktparteien auf einen Kompromiß einigen, geben beide aus Sicht der
ursprünglich erhofften Ergebnisse etwas nach; keiner ist so richtig zufrieden. Sowohl inhaltlich als auch auf der Beziehungsebene ist eine starke Störung vermieden worden. Das
Ergebnis kann durchaus tragfähig sein. Allerdings hat der Konflikt nicht zu konstruktiven
Wirkungen geführt wie Entwicklung der Persönlichkeit, Förderung von Veränderungen
und Innovationen, neue Qualität des Zusammenlebens bzw. der Zusammenarbeit etc.
 Kooperation ( Win-Win)
Ziel einer Kooperation ist es dagegen, neue Lösungen bzw. Regelungen zu finden, mit denen beide Konfliktparteien ihre Interessen über einen Kompromiß hinaus verwirklichen
können. Die kooperative Form der Konfliktbewältigung führt inhaltlich und zwischenmenschlich zu einer höheren Qualität der Interaktion und wird als gewinnbringend für beide Seiten erfahren.
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
11
1.5
Konfliktfaktoren
Die Suche nach Konfliktursachen bzw. Konfliktfaktoren ist Teil der Konfliktdiagnose im
Mediationsverfahren, die z.T. in Einzelgesprächen vor dem eigentlichen Verfahren erfolgt,
aber während der Sitzungen weiter läuft. Die Kenntnis der wichtigsten Konfliktfaktoren ist
damit eine Voraussetzung für die Suche nach tragfähigen Lösungsansätzen.
Konflikte lassen sich grundsätzlich einteilen in solche, die eher die Persönlichkeit und Psyche der Konfliktparteien betreffen und als Beziehungskonflikte bezeichnet werden können,
und Sachkonflikte, die eher in der Objektsphäre angesiedelt sind und sich vorwiegend um
sachliche Fragen drehen. Dennoch ist eine solche Einteilung rein analytischer Natur. In wirklichen Konflikten fließen diese beiden Bereiche fast immer zusammen.
Die Komplexität von Konflikten ist vor allem in dem Zusammenspiel einzelner Faktoren
begründet, die in der Regel nicht isoliert auftauchen und daher in einem Mediationsverfahren
auch nicht einzeln und nacheinander bearbeitet werden können. Der Mediator sollte um die
Vielzahl dieser Konfliktfaktoren, die im folgenden vorgestellt werden, wissen und den Konfliktparteien vermitteln, daß alle Faktoren Teil des Konfliktes sind und die Wirklichkeit der
Konfliktparteien prägen. Bestimmte Gefühle sind beispielsweise genauso ein Teil der Konfliktrealität und müssen in Betracht gezogen werden wie technische oder juristische Daten und
Fakten.
Konfliktfaktoren im Überblick
1. Gefühle und psychische Aspekte
2. Interessen
3. Werte
4. Wahrnehmung
5. Annahmen
6. Unterschiedliches Wissen
7. Erwartungen
8. Kulturkreis und Geschlecht
12 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
1. Gefühle und psychische Aspekte:
Menschen tragen in Konflikten auch innere Spannungen aus, die ihr Verhalten prägen. Das
eigene Ich hat mehrere Dimensionen, die zum Teil im Widerstreit liegen. Wir haben häufig
eine Idealvorstellung vor Augen, welchen moralischen Maßstäben wir gerne gerecht würden
und wie wir gerne wären. Gleichzeitig sind wir aber in den Routinen des Alltags gefangen und
entscheiden gewohnheitsmäßig oder nach weniger hehren Idealen. Schließlich spüren wir
nicht selten unsere dunkle Seite, sozusagen unser böses „alter ego“, das uns in konflikthaften
Situationen zu radikalen Schritten veranlassen will, die wir vielleicht später bereuen. Diese
innere Konfliktsituation macht es auch für die anderen Konfliktparteien schwer, ein konsistentes Bild der Person zu bekommen. Um diesem Konfliktfaktor Rechnung zu tragen, ist die Persönlichkeitsklärung ein wichtiges Moment in der Mediation. Der Mediator muß durch Nachfragen und Paraphrasieren einen Verständigungsprozeß unterstützen, in dessen Verlauf eine
Konfliktpartei selbst und alle anderen erfahren, wie es um die betreffende Person steht, wie sie
ihre berufliche Rolle erlebt und ihre Persönlichkeit sieht.
Konfliktparteien haben ihre spezifischen Empfindlichkeiten und ambivalente Gefühle bezogen auf die nicht eindeutig einzuschätzenden Menschen, mit denen sie zusammenarbeiten
(müssen). Dieses Spannungsfeld versuchen die Parteien langfristig aufzulösen; sie tendieren
zu einer eindeutigen Beurteilung des anderen und kapseln sich selbst emotional ab. Die Signale in der Kommunikation, die etwas über die zwischenmenschliche und berufliche Beziehung
aussagen, werden in einer Weise wahrgenommen, die von der eigenen Beurteilung geprägt ist.
Damit sinkt die Fähigkeit zur Empathie, d.h. der Bereitschaft und Fähigkeit, sich in jemand
anderen hineinzuversetzen. Durch das gleichberechtigte Thematisieren von Gefühlen in der
Mediation, die bei der Suche nach einer Konfliktregelung genauso eine Berechtigung haben,
wie „harte“ materielle Aspekte, wird versucht, diesem Konfliktfaktor Rechnung zu tragen.
2. Interessen:
Empathie ist auch erforderlich, um die Interessen des anderen zu erkennen und um zu verstehen, welche Bedeutung sie für ihn haben.
Auch Interessen können eher sachlicher und materieller Natur sein, z.B. als Ergebnis der
Ressourcenzuteilung in einem Unternehmen oder der Organisation von Arbeitsabläufen. Interessen können aber auch emotional geprägt sein und die persönliche Beziehung zwischen Mit© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
13
arbeitern betreffen, nicht im Sinne von privater, sondern zwischenmenschlicher Beziehung.
Generell bilden die Interessen die Grundlage für Verhandlungen in der Mediation. Je klarer
und umfassender die Interessen der Konfliktparteien aufgedeckt werden können, desto größer
ist der Verhandlungsspielraum und die Chance, effiziente Lösungen im beiderseitigen Interesse zu finden.
3. Werte und Ideologie:
In Konflikten spielt die unterschiedliche Wertorientierung der Parteien eine wesentliche
Rolle. Beispielsweise können Menschen bestimmte Ideale hochhalten und nicht materielle
Werte einfordern, während andere sich selbst eher über ihre berufliche Leistung definieren.
Wertkonflikte treten in den unterschiedlichsten Feldern auf, wobei es z.B. um Geld, Freundschaft, Familie, Zeit, Geschlecht, Politik, Alter u.ä. gehen kann. Wichtige Werte stehen für
Konfliktparteien nicht zur Disposition; sie werden vehement verteidigt, wenn sie in Frage
gestellt oder gar bedroht erscheinen, da sie nicht ohne Verlust an Identität und Selbstsicherheit
aufgegeben werden können. Die Gesamtheit wichtiger Werte nämlich bildet einen ideologischen Rahmen, auf den Menschen als Entscheidungshilfe gerade in komplexen, d.h. uneindeutigen und schwer steuerbaren Situationen oder in einer emotional aufgeladenen Atmosphäre
zurückgreifen. Auch unterschiedliche Führungswerte wie die Steigerung des Shareholder Value, Anpassung, Selbstverwirklichung, von Menschen für Menschen, Dienen, Macht usw. sind
oft ideologischer Hintergrund von Problemen in der Arbeitswelt und ein zentraler Konfliktfaktor. Da Werte wesentlich zur Identität von Menschen und zur Sicherung ihrer Handlungsfähigkeit gehören, muß es Ziel einer Konfliktregelung sein, daß die Parteien diese unterschiedlichen Werte zunächst als Teil der relevanten Wirklichkeit erkennen und wechselseitig
akzeptieren; sie verändern sich nur allmählich im Zuge eines längeren und über den konkreten
Konfliktfall hinausgehenden Lernprozesses.
14 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
4. Wahrnehmung:
In Konflikten läßt sich regelmäßig eine Verengung des Blickwinkels feststellen. Die Parteien können die komplexe Konfliktwirklichkeit nur selektiv wahrnehmen. Sie reduzieren
komplexe Sachverhalte und komplizierte Verbindungen auf eine überschaubare Konstruktion
der eigenen Wirklichkeit, die weniger verunsichert. Typischerweise sucht man dann auch nur
noch nach Bestätigungen für die eigene Sichtweise oder Annahme und vermeidet kognitive
Dissonanzen, die sich durch eine bewußte Suche nach Gegenargumenten ergeben könnten.
Diese kognitive Reduktion ist um so größer, je schwieriger der Konflikt erlebt wird. Die Konfliktparteien engen etwa ihre Raum- und Zeitperspektive ein. Aufgrund der Unsicherheiten
über die Zukunft und das Verhalten der anderen, fällt es den Konfliktparteien schwer, sich
langfristige Entwicklungen konkret vorzustellen und größere Zusammenhänge in ihr Verhaltenskalkül einzubeziehen. Wenn sich diese verkürzten Wirklichkeitskonstruktionen verfestigen, können schließlich nicht mehr die Menschen selbst über relativ offene Fragen miteinander kommunizieren, sondern nur die Bilder, die sich die Konfliktparteien voneinander und
von dem anstehenden Problem machen.
Verstärkt wird dieses Kommunikations- und Verständigungsproblem dadurch, daß man
sich selbst und die Signale, die man glaubt auszusenden, stets anders wahrnimmt, als eine
andere Person dies tut. Fremdwahrnehmung und Eigenwahrnehmung können erheblich differieren. Im Ergebnis fühlt man sich unter Umständen mißverstanden und sieht sich veranlaßt,
entsprechend zu reagieren.
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
15
Erkenntnisse der Hirnforschung zur Wahrnehmung und Konstruktion von Wirklichkeit
Kognition bezieht sich auf Wahrnehmungs- und Erkenntnisleistungen, die komplex, für das Leben (insbes. das
psychosoziale Überleben) relevant und bedeutungsvoll und deshalb meist erfahrungsabhängig sind. Wahrnehmung dient der Orientierung in der Umwelt. Sie ist immer selektiv, erfaßt nie die „ganze Wahrheit“. Die Welt
wird nur in dem Maße erfaßt, wie es für das Überleben wichtig ist; hierzu zählt für den Menschen im Laufe seiner
Geschichte zunehmend auch das soziale Überleben. Die Geschehnisse der Umwelt müssen dabei nicht „richtig“
(im Sinne eines äußeren Beobachter) erkannt werden, sondern nur angemessen erfaßt werden, so daß das
(Über)Leben gesichert ist. Wahrnehmungen sind daher Hypothesen über die Umwelt.
Wie funktioniert nun Wahrnehmung organisch? Sinneszellen übersetzen die Reize der Umwelt in die Sprache des
Gehirns. Diese Sprache besteht aus chemischen und elektrischen Signalen der Nervenzellen, die als solche nicht
spezifisch sind, sondern neutral. Nicht jedes Phänomen in der Umwelt löst ein ganz eigenes Signal aus. Ob wir
die Farbe rot sehen oder einen Ton hören, der meßbare elektrische Impuls, den die Nervenzellen abfeuern, ist
evtl. nicht zu unterscheiden. Man spricht auch von der Neutralität des neuronalen Codes. Es ist also ganz gleich,
was wir wahrnehmen, es wird immer in die gleichen chemischen und elektrischen Impulse übersetzt. Die Interpretation der Umwelt, die Bedeutungszuweisung, hängt nun davon ab, wo die Reize im Gehirn verarbeitet werden und wie sie zugeordnet werden. Kognition arbeitet mit Repräsentationen bzw. Stellvertretungen und mit
internen Modellen der Welt. Wahrnehmung bildet daher die Wirklichkeit nicht ab, sondern konstruiert sie nach
Kriterien, die z.T. angeboren sind, teilweise frühkindlich erworben werden und vor allem sich nach dem Vorwissen und Erfahrungen richten.
Welche Rolle spielen nun Gefühle bei kognitiven Prozessen? Großhirnrinde und limbisches System bilden eine
unauflösliche Einheit. Daher ist Kognition nicht möglich ohne Emotion. Emotionen sind der erlebte Ausdruck
dessen, wie das Gehirn Wahrnehmung und Verhalten selbst bewertet. Diese Bewertung nach dem Grundkriterium
Lust/Unlust wird im Gedächtnis festgehalten und bildet wiederum die Grundlage für zukünftige Bewertungen.
Gleichzeitig entscheiden Bewertungen darüber, was im Gedächtnis abgespeichert wird. Wie tief Dinge gespeichert und wie leicht sie damit erinnert werden können, hängt ganz wesentlich von den begleitenden Emotionen
ab. Bewertung und Gedächtnis stehen also in einem engen Wechselverhältnis. Gefühle leiten uns, sie warnen uns
vor Handlungen und lenken uns zu anderen. Gefühle sind somit „konzentrierte Erfahrungen“.
Wahrnehmung bedeutet also, daß wir die Welt konstruieren. Vieles in der Außenwelt wird bei dieser Konstruktion von Wirklichkeit ausgeblendet. Gleichzeitig enthält unsere subjektive Wahrnehmungswelt vieles, was keine
Entsprechung in der Außenwelt hat, insbesondere die Dinge, nach denen wir unsere persönliche Erlebniswelt
ordnen, Aufmerksamkeit, Selbstbewußtsein, Vorstellungen und Sprache. Daher können wir nur etwas über unsere
subjektiven Wirklichkeiten sagen, nicht aber über eine objektive, äußere Realität, auch wenn diese existieren
mag.
Lit: u.a. Roth (1998)
16 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
5. Annahmen:
Die Tatsache, daß die Wahrnehmungen zwischen Konfliktparteien differieren und z. T.
verzerrt sind, führt dazu, daß die Kontrahenten implizit unterschiedliche Annahmen über die
Person, die Motive und das zu erwartende Verhalten des jeweils anderen treffen. Verhalten sie
sich entsprechend dieser möglicherweise unzutreffenden Annahmen, wird die Gegenpartei oft
geradezu veranlaßt, auf diese Einschätzung und Herausforderung entsprechend zu reagieren.
So werden Annahmen zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen.
6. Unterschiedliches Wissen:
Ein wichtiger Konfliktfaktor ist der unterschiedliche Wissensstand der Beteiligten. Aufgabe in der Mediation ist es daher, die Konfliktparteien auf einen möglichst gleichen Informationsstand zu bringen. Vor allem zu Beginn einer Mediation herrscht ein strategisches Informationsverhalten vor. Jeder wird nur die Informationen preisgeben, welche die andere Seite voraussichtlich nicht ausnutzen kann. Erst gute Erfahrungen damit, daß Informationen bei
Wunsch vertraulich behandelt werden und innerhalb des Mediationskreises bleiben, unterstützen den Aufbau von Vertrauen. Zusätzlich verbessert ein gegenseitiges Geben und Nehmen
das Informationsverhalten und verbreitert so den Verhandlungsspielraum und auch das geteilte Wissen, das für die gemeinsame Suche nach neuen, kreativen Lösungen wichtig ist.
Folgende Matrix systematisiert das unterschiedliche Wissen in Konfliktsituationen:
Wissensmatrix
Anderen bekannt
Anderen nicht bekannt
Einem selbst bekannt
Einem selbst nicht bekannt
I
III
Allgemeinwissen
Verstecktes Wissen
II
IV
Gehütetes Wissen
Unbekanntes Wissen
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
17
7. Erwartungen:
Jeder Mensch hat gewisse Erwartungen an sich selbst: Ziele, die wir erreichen wollen,
Verhaltensweisen, die wir verstärken oder uns abgewöhnen wollen, eine geistige und moralische Grundhaltung, die unseren Charakter bestimmen soll. Gleichzeitig sind wir uns dessen
bewußt, daß auch andere Erwartungen mit unserer Person verbinden. Allerdings vermuten wir
abgesehen von den deutlich formulierten Erwartungen immer auch noch weitere Ansprüche,
denen wir entweder gerecht werden wollen, die uns frustrieren, weil sie unerfüllbar erscheinen
oder die wir auch bewußt enttäuschen wollen, um kein falsches Bild aufkommen zu lassen.
Wichtige Erwartungen bei Konflikten in der Arbeitswelt ergeben sich aus den Hierarchiespielregeln. Führungskräfte sehen sich Erwartungen ihrer Mitarbeiter gegenüber, ohne daß diese
der Führungskraft jedoch immer deutlich mitgeteilt werden, sei es, weil Kritik negative Folgen nach sich ziehen könnte, oder weil kein Raum dafür geschaffen wird. Andererseits hat
eine Führungskraft bestimmte Erwartungen an Mitarbeiter, ohne daß diese immer unmißverständlich deutlich werden.
8. Kulturkreis und Geschlecht:
Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen oder/und unterschiedlichen Geschlechts haben
in der Regel eine unterschiedliche Sozialisation durchlaufen, die auch ihr Konfliktverhalten
prägt. Hier wirken sich Verhaltensmuster aus, die den Kindern vermittelt werden, und unterschiedliche Lebenserfahrungen, die zu bestimmten Haltungen und Reaktionsweisen geführt
haben. Diese Unterschiede erschweren zum Teil das gegenseitige Verstehen von Motiven und
Handlungen. Es entsteht viel Raum für verzerrte Wahrnehmungen und implizite Annahmen.
Diese werden oft nicht direkt geäußert und überprüft, weil sie sich auf intime Bereiche der
Persönlichkeit des anderen beziehen. Davor schrecken Konfliktparteien in der Regel zurück,
wenn keine enge persönliche Beziehung zwischen ihnen besteht. Es wird als unangemessen
oder gar verletzend empfunden. Statt dessen fließen die Unterschiede in der Persönlichkeit
unbewußt oder verdeckt in einen Konflikt ein. Im Rahmen eines Mediationsverfahrens sollte
genug Vertrauen aufgebaut werden, um diesen Faktor ansprechen zu können, falls er für den
Konflikt wesentlich zu sein scheint. Im Zweifelsfall kann ein Mediator im Einzelgespräch die
Haltung der Parteien zu dieser Frage herausfinden.
18 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
2
Wahrnehmungs- und Entscheidungsmuster
2.1
Beschränkte Rationalität
Das von Simons (1955) dargestellte Konzept der beschränkten („bounded“) Rationalität
beschreibt, daß sich Menschen keineswegs immer rational in ihren Entscheidungen verhalten.
Die meisten komplexen Problemlagen übersteigen ihre kognitiven Verarbeitungskapazitäten,
so daß sie sich häufig vereinfachender Entscheidungsstrategien bedienen (Heuristiken oder
auch ganz einfach „Daumenregeln“). Zwar versuchen diese Personen, rationale Entscheidungen zu treffen, doch häufig fehlen ihnen wichtige Informationen zur Definition des Problems,
um die relevanten Kriterien zu erkennen und eigene klare Zielvorstellungen zu entwickeln.
Zeit- und Geldbeschränkungen limitieren zusätzlich die Quantität und Qualität verfügbarer
Informationen.
Darüber hinaus erinnern Personen oftmals nur einen kleinen Teil der Informationen, die in
ihrem Gedächtnis gespeichert sind. Schließlich beeinträchtigen auch eingeschränkte Wahrnehmungen die „optimale“ Wahl an Informationen oder Entscheidungshinweisen, die eigentlich möglich wäre.
Bereits ein Jahr vor Simon legte Edwards (1954) den Grundstein für die deskriptive, verhaltensorientierte Entscheidungsforschung (Behavioral Decision Making), die sich damit beschäftigt, wie Entscheidungen tatsächlich getroffen werden. „Eines der zentalen Themen dieser Forschungsrichtung ist es, jene simplifizierenden Strategien sowie deren Fehler- und Verzerrungsgehalt aufzudecken, auf die Personen bei Beurteilungen und Entscheidungen zurückgreifen“ (Auer-Rizzi 1998). Einige dieser Entscheidungsvarianten wollen wir im folgenden
kurz anreißen.
In der Mediation spielen Entscheidungen eine wichtige Rolle. Die individuellen Entscheidungen der einzelnen Konfliktparteien sowie die gemeinsamen Entscheidungen basieren
weitgehend auf den Interpretationen über die verfügbaren Informationen. Allerdings nimmt
der Einzelne diese auch nur selektiv wahr, so daß die eigentlich verfügbaren Informationen
nicht gleich denen sind, über die verfügt wird. Ein Mediator muß zu jeder Phase eines Mediationsverfahrens beachten, daß die tatsächlich vorhandenen Informationen und Argumente bei
anstehenden Entscheidungen der Konfliktparteien berücksichtigt werden und alle möglichen
Alternativen überprüft worden sind. Menschen neigen zudem dazu, nicht alle potentiellen
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
19
Alternativen einer Entscheidung zu prüfen, sondern nur so lange zu suchen, bis eine Variante
einer minimalen Menge an Anforderungen entspricht (Simon 1955, vgl. auch Troja 1998c: 1720).
2.2
Heuristische Entscheidungen
Charakteristisch für die Verwendung von Heuristiken ist die Vernachlässigung von potentiell relevanten Informationen über das anstehende Problem. Auf der anderen Seite ermöglichen es Heuristiken überhaupt, mit komplexen Situationen umzugehen. Die oftmals notwendige Reduktion von Komplexität zur Bewältigung von Problemen geschieht zumeist über
Heuristiken. Diese werden dann problematisch, wenn sie zu systematischen und schwerwiegenden Fehlern in der Beurteilung einer Situation oder bei der Präferierung einer Entscheidung führen. Die am häufigsten diskutierten intuitiven Entscheidungsstrategien sind verfügbare Heuristiken, repräsentative Heuristiken sowie Ankerung und Anpassung (Anchoring and
Adjustment).
Verfügbare Heuristiken
Die Verfügbarkeit von Heuristiken bezieht sich darauf, wie sich Menschen an Beispiele
oder Vorkommnisse erinnern (Tversky / Khaneman 1974). Je leichter man sich an ein Ereignis erinnert, das in irgendeiner Weise hervorstach, um so höher schätzt man auch die Wahrscheinlichkeit seines erneuten Eintritts ein. Allerdings erinnert man sich auch leichter an Ereignisse, die häufiger vorkommen, als an jene, die nur selten vorkommen. Die beiden entgegengesetzten Effekte können sich also zum Teil kompensieren. Insofern führen verfügbare
Heuristiken oftmals zu richtigen Einschätzungen. Gleichzeitig darf aber die Bedeutung von
subjektiven Faktoren, wie emotionaler Betroffenheit, zeitlicher, räumlicher und sensorischer
Nähe (z. B. mit den eigenen Augen sehen) hinsichtlich der Verfügbarkeit und Klarheit von
Informationen nicht unterschätzt werden.
So werden Ereignisse, die leichter durch Beispiele vorstellbar sind, als wahrscheinlicher
eingeschätzt, als solche, für die einem nur schwer Beispiele einfallen.
Tversky und Khaneman (1974) beschreiben eine Untersuchung, in der mehreren Versuchspersonen jeweils Listen mit Persönlichkeiten beiderlei Geschlechts vorgelesen wurden. In der
20 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
einen Liste war die Anzahl der männlichen Personen deutlich höher, doch die weiblichen Personen waren wesentlich prominenter. Bei der anderen Liste war es genau umgekehrt, hier waren die Frauen in der Mehrzahl, doch die Männer weitaus prominenter. Bei beiden Listen
schätzten die Versuchsteilnehmer die Häufigkeit des genannten Geschlechts falsch ein und
glaubten, daß jenes Geschlecht, dem die jeweils Prominenteren angehörten, auch häufiger
genannt worden wäre.
Das Erinnerungsvermögen aufgrund von Gedächtnisstrukturen (vgl. auch Kap. 1.5, Punkt
4) nennt Bazerman (1990) als weiteres Beispiel für verfügbare Heuristiken.
Auf die Frage, ob mehr Wörter in der englischen Sprache mit einem „r“ beginnen oder ein
„r“ als dritten Buchstaben haben (funktioniert wahrscheinlich auch mit der deutschen Sprache), vermutete ein Großteil der Versuchspersonen bei Kahneman und Tversky (1973), daß
mehr Wörter mit einem „r“ beginnen würden. Dem ist aber nicht so. Die beiden Autoren erklären die fehlerhafte Einschätzung der meisten Personen damit, daß man normalerweise
damit beginnt, dieses Problem zu lösen, indem man erst nach Wörtern sucht, die mit einem
„r“ beginnen. Dafür lasen sich schneller und einfacher Beispiele finden, als für Wörter mit
einem „r“ als dritten Buchstaben. Die zwangsläufige Schlußfolgerung ist jedoch ein Irrtum.
Bedeutsam für die Einschätzung eines Ereignisses ist auch die illusorische Bedingtheit
(Auer-Rizzi 1998), daß heißt, die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit von zwei gleichzeitig
auftretenen Ereignissen X und Y hängt stark von den Vorstellungen ab, die der Betreffende
über die Verbindung von X und Y hat.
Repräsentative Heuristiken
Bei der repräsentativen Heuristik wird die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses daran gemessen, inwieweit das Ereignis stereotypischen Erwartungen entspricht.
Die Ignoranz statistischer Basisinformationen dient als häufiges Beispiel für diese Kategorie.
In einer Kleinstadt gibt es zwei Krankenhäuser. In dem größeren der beiden werden jeden
Tag rund 45 Kinder geboren und in dem kleineren rund 15 Kinder pro Tag. Durchschnittlich
sind 50% aller Kinder Mädchen. Allerdings variiert die genaue Prozentzahl von Tag zu Tag.
Manchmal ist sie über 50% und mal darunter. Für die Dauer von einem Jahr notierte jedes
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
21
Krankenhaus die Tage, an denen mehr als 60% der Neugeborenen Mädchen waren. Welches
Krankenhaus hatte mehr solcher Tage vorzuweisen?
Das größere Krankenhaus?
Das kleinere Krankenhaus?
Beide gleich viele?
In einer Untersuchung von Bazerman (1990) antworteten 53% der Befragten, die Zahl der
Tage in beiden Krankenhäusern sei gleich. Damit wird jedoch die Stichprobengröße ignoriert,
denn größere Stichproben weichen mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit vom Mittelwert
ab.
Als weiteren bedeutsamen Effekt in der repräsentativen Heuristik nennen
Tversky/Kahneman (1983) die Konjunktionsfalle, nach der die Wahrscheinlichkeit für das
Auftreten von zwei Ereignissen zusammen höher eingeschätzt wird, als die Wahrscheinlichkeit eines der beiden Ereignisse allein.
Ankerung und Anpassung
Dieser Effekt ist empirisch sehr gut belegt. Zahlreiche Untersuchungen haben nachgewiesen, daß eine ursprüngliche Information oftmals als Ankerpunkt dient, um den herum andere
Informationen reflektiert werden. Die Stabilität von Ankerpunkten wird vor allem daran sichtbar, daß auch willkürliche und sogar als falsch bezeichnete Informationen die Beurteilungen
von Personen beeinflussen (Slovic/Lichtenstein 1971). Northcraft/Neale (1987) haben in einer
breit angelegten Untersuchung nachgewiesen, daß auch Experten in die Falle von Ankerpunkten tappen.
Teilnehmer der Untersuchung waren Mitglieder einer Immobilienmaklervereinigung, die
von sich behaupteten, sie könnten den Wert eines Hauses innerhalb einer Bandbreite von fünf
Prozent des tatsächlichen Werts schätzen und auch unisono überzeugt waren, den angegebenen Listenpreis bei der Schätzung des „richtigen“ Wertes nicht zu berücksichtigen. Die Makler erhielten jeweils eine mehrseitige Informationsbroschüre, die neben einer detaillierten
Beschreibung des Hauses auch Preise von umliegenden Häusern und den Listenpreis enthielt.
Danach besichtigten die Makler das Haus und wurden anschließend um eine Schätzung gebe22 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
ten. In der Broschüre wurde vorher jeweils der Listenpreis variiert. Die gleiche Untersuchung
wurde auch noch einmal mit Studenten vorgenommen. In beiden Fällen weisen die Studien
darauf hin, daß die Schätzungen signifikant vom Listenpreis beeinflußt wurden. Im Unterschied zu den Studenten, die zugaben, den Listenpreis als Ankerpunkt genommen zu haben,
wurde dies von den Maklern vehement bestritten (vgl. Auer-Rizzi 1998).
Die Bedeutung von Ankerpunkten wird zudem dadurch unterstrichen, daß im Falle kognitiver Unsicherheiten das eigene Urteilsvertrauen übermäßig überschätzt wird.
2.3
Rahmungseffekte
Das Antwortformat einer Entscheidung oder die Wortwahl bei der Beschreibung eines
Problems haben einen außerordentlichen Einfluß auf die Rahmung (Framing) eines Problems.
In ganz entscheidendem Maße unterscheiden sich Beurteilungen des gleichen Sachverhalts;
die Art der Formulierung entscheidet mit darüber, ob etwas als Gewinn- oder Verlustsituation
wahrgenommen wird.
Entscheidungsvarianten
Entscheidung I
a) Ein sicherer Gewinn von DM 240,b) Eine 25 %-Chance auf DM 1.000,- und eine 75 %-Chance für DM 0,-.
Entscheidung II
c) Ein sicherer Verlust von DM 750,d) Eine 75 %-Chance DM 1.000,- zu verlieren und eine 25 %-Chance nichts zu verlieren.
(Entscheidung I: 84 % für a und Entscheidung II: 87 % für d).
Entscheidung III
e) Eine 25 %-Chance DM 240,- zu gewinnen und eine 75 %-Chance
DM 760,- zu verlieren
f)
Eine 25 %-Chance DM 250,- zu gewinnen und eine 75 %-Chance
DM 750,- zu verlieren.
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
23
Addition von a) und d)
(75 %) (-1.000,-)
+ 240,- +
&
(75 %) (-760,-)
=
(25 %) (0,-)
&
=
e)
=
f)
(25 %) (240,-)
Addition von b) und c)
(25%) (1.000,-)
&
(25 %) (250,-)
+
(-750,-) =
(75%) (0,-)
&
(75 %) (-750,-)
Einfache Änderungen der Wortwahl bei ansonsten völlig gleichen Sachverhalten können
gänzlich unterschiedliche Entscheidungen hervorrufen. Für Mediationsverfahren haben Rahmungseffekte eine beträchtliche Bedeutung. Eine frühzeitige Festlegung auf einen bestimmten
Rahmen kann zur Folge haben, daß eine auf den eigentlichen Interessen beruhende Regelung
eines Konflikts nicht mehr möglich ist, da wesentliche Aspekte möglicherweise außerhalb der
Sichtweite der Konfliktparteien liegen. Durch ein entsprechendes „Reframing“ kann der Mediator hingegen die Parteien dazu auffordern, sich den gleichen Sachverhalt einmal aus einer
anderen Position heraus zu betrachten.
2.4
Gruppenwissen
In jedem Mediationsverfahren, nicht nur bei Mehr-Parteien-Konflikten, ist es letztlich eine
Gruppe, die zu einer gemeinsamen Regelung eines Konflikts kommen möchte, auch wenn
diese nur aus zwei Konfliktparteien und der Mediatorin bestehen sollte. Innerhalb dieser
Gruppe bringt jeder einzelne eine Vielzahl von Informationen und Wissen mit ein. Von der
Logik her müßte die Gruppe als Ganzes über ein deutlich höheres Wissen verfügen als jedes
einzelne Gruppenmitglied. Die Frage ist nur, ob das jeweilige Individualwissen auch zum
Gruppenwissen werden kann. Oftmals ist es hingegen so, daß wesentliche Informationen auf
dem Tisch liegen können, aber sie werden von den Teilnehmern der Mediation nicht als solche wahrgenommen, weil sie in ihnen (z. B. aufgrund bestimmter Heuristiken) keine für sie
relevanten Argumente erkennen. Darüber hinaus konzentrieren sich Gruppenmitglieder sehr
24 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
stark auf gemeinsam geteilte Informationen, während Aspekte, über die nur einzelne Konfliktparteien verfügen, in der Regel deutlich weniger Beachtung bei der gemeinsamen Problembewältigung finden.
Damit wird deutlich, daß Gruppen oft nicht in der Lage sind, die für ihre Entscheidungen
relevanten Informationen angemessen zu berücksichtigen.
Drei Personen müssen zwischen zwei Handlungsmöglichkeiten A und B entscheiden. Sie
sollen sich dabei für jene Entscheidung favorisieren, für die mehr Argumente sprechen. Alle
Argumente sind in diesem Fall gleichgewichtig. Für die Entscheidung A sprechen die Argumente A1 und A2, für die Handlung B die Argumente B1, B2 und B3. Danach müßten sich die
drei Personen für B entscheiden. Vor der Gruppendiskussion sind den drei jeweils die folgenden Argumente bekannt:
Person 1: A1, A2, B1
Person 2: A1, A2, B2
Person 3: A1, A2, B3.
Jeder einzelne von Ihnen verfügt somit über mehr Argumente für A. Als gesamte Gruppe
verfügen sie hingegen über mehr Argumente für B. In ihrer Gruppendiskussion müßte sich
folglich ihre Ausgangspräferenz für A zugunsten von B verändern, wenn sie das ihnen gemeinsam bekannte Wissen auch nutzen würden. Häufig ist das jedoch nicht der Fall. Wenn
sich die Gruppenmitglieder fragen, wie jeder einzelne von ihnen entscheiden würde, stellten
sie fest, daß alle für A sind. Ein Konsens wäre schnell erreicht, alle drei wären zufrieden und
hätten doch fehlerhaft entschieden.
Es ist eine wesentliche Aufgabe der Mediatorin, verborgene Informationsstrukturen zu erkennen, aufzudecken und für alle transparent darzustellen.
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
25
3
Konfliktdynamik und Eskalation
3.1
Stufen der Eskalation und Hinweise zur Intervention
Konflikte haben nach dem oben Gesagten also zwei grundsätzliche Ebenen. Auf der Beziehungsebene liegen intrapsychische und durch Kommunikationsprobleme verursachte Konfliktfaktoren vor; die Sachebene ist durch das Umfeld der Organisation, die beruflichen Rollen
und Kompetenzbereiche, sachliche Interessen usw. geprägt. Sach- und Beziehungsebene verstärken sich als Konfliktebenen gegenseitig und sorgen für eine innere Dynamik in der Entwicklung eines Konfliktes, die geradezu mechanistisch in eine Eskalation führt. Glasl (1994)
hat an dem Beispiel für Konflikte in Organisationen ein differenziertes Bild dieser Eskalation
in neun Stufen entwickelt. Danach steigert sich die Konfliktintensität nicht kontinuierlich,
sondern stufenweise. Zwischen den Stufen liegen Wendepunkte, die die Parteien als kritische
Schwellen im Konflikt erleben. Diese Schwellen haben nicht immer strategische Bedeutung,
sondern appellieren an das Gefühl oder haben symbolischen Charakter. Beispiele sind etwa
der Bruch mit Konventionen wie informellen gemeinsamen Sitzungen nach dem Mittagessen,
die Information nicht beteiligter Gruppen oder der Öffentlichkeit über einen gruppeninternen
Konflikt und ähnliches.
Bis zu diesen Schwellen gibt es eine gegenseitige Koordination der Erwartungen. Die Konfliktparteien wissen, womit sie beim anderen rechnen können. Mit dem Überschreiten einer
Schwelle werden diese stillschweigenden Übereinkünfte gebrochen. Auf der neuen Stufe gelten neue Normen, Maße und Regeln, und alle sind sich der neuen qualitativen Eskalationsstufe bewußt. Die Schwellen wirken in dieser Dynamik in zweifacher Hinsicht. Einerseits werden sie als Warnzeichen wahrgenommen; die Konfliktparteien wollen den Vorwurf gegen sich
vermeiden, sie seien für die Ausweitung des Konfliktes verantwortlich und respektieren die
nächste Stufe für eine gewisse Zeit als unbetretbar. Andererseits sind die Schwellen auch eine
Art „point of no return“, das Zurück wird schwieriger, da es mit dem Eingeständnis von Fehlern und möglicherweise sogar Gesichtsverlust verbunden sein könnte.
Wir wollen die neun Stufen im folgenden sehr skizzenhaft vorstellen:
26 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
Stufe 1: Verhärtung
Unterschiedliche Standpunkte in einer Organisation oder Gruppe verhärten bisweilen und
prallen aufeinander. Das Bewußtsein dieser Spannungen kann eine Verkrampfung erzeugen.
Allerdings sind die Vertreter der unterschiedlichen Meinungen davon überzeugt, daß die
Spannungen durch Gespräche lösbar sind. Es existieren noch keine starren Parteien oder Lager.
Stufe 2: Debatte
In den Auseinandersetzungen entsteht eine Diskrepanz zwischen Ober- und Unterton. Zwischen den Zeilen wird Feindseligkeit spürbar.
Es bilden sich zeitweise Subgruppen um Standpunkte.
In der Kommunikation schreiben sich die Parteien unterschiedliche Ich-Positionen im Sinne der Transaktionsanalyse zu (Eltern-Ich, Kind-Ich, Erwachsenen-Ich). Die Kommunikation
ist dann nicht mehr komplementär (vgl. dazu die Ausführungen zur Transaktionsanalyse in
Block 2).
Die Konfliktparteien wenden quasi-rationale Taktiken an: Kausalitätsstreit, extreme
Schlußfolgerungen, Zusammenhänge suggerieren, an Denkgewohnheiten appellieren, krasses
Dilemma ausmalen („Was wäre, wenn alle Mitarbeiter in den anderen Filialen zur gleichen
Zeit genauso handeln würden?“).
Die Schwelle zu dieser zweiten Stufe besteht in dem Bewußtsein, daß diese Taktiken für
die Interessendurchsetzung als Waffen erlaubt sind. Sie versprechen Verhandlungsvorteile im
Vergleich zur Situation auf Stufe 1, so daß die Eskalation sehr wahrscheinlich ist. Die Parteien wollen aber die gegenseitigen Beziehungen aufrecht erhalten.
Stufe 3: Taten statt Worte
Nachdem die Parteien verbale Auseinandersetzungen als nutzlos erfahren haben, erleben
sie das Auflaufenlassen der Gegenpartei und Ergreifen von Maßnahmen so, daß sie „einen
Schritt weiter gekommen sind“.
Innerhalb der Gruppen steigt der Druck zur Konformität.
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
27
Symbolisches und nonverbales Verhalten wird wichtiger. Intentionen werden aus dem
nonverbalen Verhalten abgeleitet, mit dem nicht auszudrücken ist, daß man bestimmte Handlungen nicht ausführen will. Fehl- und Überinterpretationen sind die Folge.
 Der Mediator muß auf den Stufen 2 und 3 vor allem die komplementären Beziehungen
zwischen den Parteien wieder herstellen und für eine direkte Kommunikation sorgen, bei der
die tatsächlichen Intentionen deutlich werden.
Stufe 4: Sorge um Image und Koalitionsbildung
Der Konflikt wird als Win-Lose-Spiel interpretiert. Es kann danach nur der Gegner oder
man selbst gewinnen.
Das Hauptinteresse liegt in der Sorge um das eigene Image. Die Umwelt soll das Selbstbild
teilen.
Es bilden sich stereotype Feindbilder heraus, die sich vor allem auf die Fähigkeiten, die
vermutete Stärke und Effektivität der anderen Konfliktpartei beziehen, noch nicht auf deren
moralische Qualitäten.
Eine mögliche Taktik ist „dementierbares Verhalten“. Aktionen gegen den Gegner wahren
bewußt und betont die äußeren Normen und die Form, so daß der Gegner nicht direkt zurückschlagen kann, ohne sich dem Vorwurf der Normverletzung auszusetzen. (Bsp.: Gefangener
läßt das Essenstablett vor dem Wärter fallen und schüttet das Essen über die Uniform. Für alle
hörbar und betont bzw. leicht ironisch entschuldigt er sich mit dem Hinweis, er sei gestolpert).
Die Aktionen richten sich auf die Festigung von Bündnissen: Allianzen bestehen durch eine
gemeinsame Drohung und einen gemeinsamen Feind. Fehlt dieser, so zerfällt auch die Allianz. Koalitionen versprechen den Mitgliedern einen höheren Nutzen durch die gemeinsamen
Aktionen. Symbiosen sind durch starke Bindungen und Abhängigkeiten geprägt, die die Selbständigkeit der Parteien untergraben.
Im Mittelpunkt steht nicht mehr das Problem aus der Sachsphäre, sondern das Problem mit
dem Gegner. Die Parteien widersetzen sich der gegenseitigen Abhängigkeit, so daß der Konflikt mehr und mehr von Macht geprägt wird. Jede Seite versteht sich nur als reagierend und
weist die Verantwortung für ihre Handlungen der anderen Seite zu.
28 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
 Die Mediation steht vor der Aufgabe, den Unglauben an die Entwicklungsfähigkeit des
Gegners aufzuheben (z.B. durch die Vermittlung kleiner „Kreditangebote“; Ermutigung zu
einseitigen Vorleistungen ohne großes Risiko). Der Tendenz zur Bildung von Bündnissen
kann der Mediator entgegenwirken, indem er die einzelnen Gruppenmitglieder nach ihren
spezifischen Interessen fragt. Dadurch, daß die Parteien in Ruhe die Sichtweise der Gegenpartei dargestellt bekommen und der Mediator diese durch Nachfragen und Paraphrasieren weiter
klärt, können Wahrnehmungsverzerrungen deutlich werden und differenziertere, weniger stereotype Bilder der Gegenpartei entstehen.
Stufe 5: Gesichtsverlust
Auf dieser Stufe soll der Gegner in Situationen manövriert werden, in denen er sich vor
den Augen der Gruppe/Öffentlichkeit „entlarvt“ und das Gesicht verliert.
Ein Vorfall genügt für die Bestätigung der negativen Einschätzung des Gegners, umgekehrt
braucht es viel mehr.
Diese Demaskierung hat einen rückwirkenden Effekt. Die vergangenen Handlungen der
anderen Partei erscheinen plötzlich in einem ganz anderen Licht. Man will sich von der Beziehung zu diesem Gegner distanzieren, von dem man sich aus der heutigen Sicht betrachtet
seit langem hintergangen fühlt. Negative Gefühle müssen nun nicht mehr unterdrückt werden,
wenn sich der Gegner öffentlich unmöglich gemacht hat. Es geht nur noch um die Rehabilitation der eigenen Person, die sich mit dem Gegner in Zeiten der Kooperation evtl. gemein gemacht hatte.
Nun geht es nicht mehr um das Verhalten im einzelnen, sondern um die moralische Qualität des Gegners. Der Konflikt wird somit ideologisiert und zum Wertekonflikt. Wenn die eigenen Erwartungen als heilige Werte aufgestellt werden, sind die Parteien hinsichtlich der
Inhalte und des Verhaltens zunehmend bewegungsunfähig.
Das Verhalten des Gegners wird auf seine gesamte Gruppe übertragen. Zum Teil überzogene Mittel und Reaktionen führen zu noch größerer Gruppenkohäsion (Komplizenschaft,
Schuldsymbiose).
 Auf dieser Stufe werden Interne bei einer Intervention nicht mehr akzeptiert. Der Mediator muß in der ersten Phase des Mediationsverfahrens zunächst einzeln die Hintergründe und
die Konfliktgeschichte aufarbeiten und in gemeinsamen Sitzungen dann für einen Austausch
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
29
dieser Wahrnehmungen sorgen. Mit dem Mediationsverfahren muß ein vertrauliches und nicht
öffentliches Forum geschaffen werden, bei dem der offene Dialog als Regel deutlich und die
Angst vor einem Gesichtsverlust kleiner wird.
Stufe 6: Drohstrategien
Bei Drohmanövern sieht der Drohende nur seine Forderung. Die angedrohte Sanktion wird
als Abschreckung und Demonstration der Entschlossenheit interpretiert. Der Bedrohte sieht
dagegen nur die Schadensfolgen und das Sanktionspotential. Er interpretiert die Drohung als
Provokation der Gewalt. Bei Drohmanövern geht es nicht vorwiegend um physische Gewalt,
sondern um Maßnahmen wie das Einschalten der Öffentlichkeit oder das Ausnutzen aller
Kontakte und Einflußmöglichkeiten.
Drohmanöver zeigen die gleiche paradoxe Wirkung wie die Strategie der Selbstbindung:
die Konfliktparteien streben dadurch größere Glaubwürdigkeit und die Kontrolle der Situation
an, verlieren sie aber faktisch, weil sie sich den Weg zurück abschneiden und von der Reaktion der Gegenpartei abhängen. Zum Teil kann selbst irrationales Über-Drohen strategischrational eingesetzt werden („Ihr seht, von nun an müßt ihr mit allem rechnen“). Die Parteien
definieren sich nur noch als Reagierende.
 Auf dieser Stufe können die Verhaltensregeln, denen sich die Parteien in einem Mediationsverfahren unterwerfen, eine wichtige Rolle spielen. Unter Umständen muß der Mediator
sehr deutlich auf die Geschäftsordnung verweisen, um bestimmte Verhaltensweisen schlicht
zu unterbinden. Widersetzen sich die Parteien, würden sie nach außen zeigen, daß sie sich
einseitig einer gemeinsamen Lösungssuche verschließen. Das Mediationsverfahren kann hier
eine gewisse Bindungswirkung durch seine bloße Existenz entwickeln. Der Mediator darf bei
den Parteien nicht die Rolle der Reagierenden akzeptieren, sondern muß sie auffordern, ihre
eigenen Angebote zu machen, um dann zu hören, was die anderen zu tun bereit sind. Er muß
deutlich machen, daß die Parteien als freie und erwachsene Menschen in jedem Fall Verantwortung für ihr Handeln übernehmen müssen, auch für die nicht direkt intendierten Nebenfolgen.
Stufe 7: Begrenzte Vernichtungsschläge
30 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
Auf dieser Stufe wird der Gegner nur noch als Objekt gesehen, über den in Quantitäten von
Schaden nachgedacht wird.
Angriffe zielen auf sein Sanktionspotential (in Organisationen besonders Methoden, Instrumente, Prozeduren, finanzielle Mittel, Legalitätsbasis). Der Gegner soll entmachtet, aber
nicht vernichtet werden.
Der Verlust der Gegenpartei wird als Gewinn wahrgenommen (Lose-Lose). Verluste werden in Kauf genommen, wenn nur die Verluste des Gegners größer sind.
 Auch auf dieser Stufe muß der Mediator die Parteien zunächst auf die Verhaltensregeln
des Mediationsverfahrens verpflichten und die Umsetzung der Gesprächsregeln unnachgiebig
einfordern. Erst dann erkennen die Konfliktparteien durch die Darstellung der Interessen möglicherweise wieder den Menschen hinter dem Feindbild und die Ansätze auf den niedrigeren
Eskalationsstufen lassen sich umsetzen.
Stufe 8: Zersplitterung
Die exponierten Vertreter einer Gruppe sollen hier von ihrer Basis abgeschnitten werden.
Die Parteien sind regelrecht fasziniert und begeistert von den Vernichtungsmöglichkeiten, die
sie bezüglich der gegnerischen Gruppe entdecken.
Stufe 9: Gemeinsam in den Abgrund
Der Titel der letzten Eskalationsstufe spricht für sich selbst. Es kommt zu physischer Gewalt. Die Parteien reagieren vollkommen irrational und triebgesteuert. Durch den Haß auf den
Gegner und die Aggressivität verlieren sie den Blick für ihre eigene Situation vollkommen.
Die Regression erreicht hier ihren Höhepunkt.
3.2
Intervention und Deeskalation
Es gibt es zwei Hauptansätze zur Intervention und Deeskalation, wenn Konflikte eine relativ hohe Eskalationsstufe erreicht haben:
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
31
 Physische Deeskalation: Wenn die Emotionen hochkochen, die Konfliktparteien sich anschreien, Beleidigungen austauschen oder gar tätlich werden (was in bestimmten Mediationsfeldern wie Schule, Nachbarschaft oder Interkulturelles gar nicht so weit hergeholt ist), so ist
in diesen Momenten kein mediatives Gespräch möglich. Die Streitparteien müssen dann zunächst voneinander getrennt werden. Der Mediator bestimmt eine Auszeit: er unterbricht die
Sitzung für eine längere Pause bzw. verschiebt den Termin für die nächste Sitzung nach hinten. Das gibt den Konfliktparteien Zeit, sich zu beruhigen und zu überlegen, was passiert ist
und wie sie weitermachen wollen. Der Mediator kann in Einzelgesprächen (Caucus) mit den
Parteien klären, wann sie wieder zu einem Gespräch bereit sind und bespricht nochmals die
Regeln, nach denen die nächste Sitzung ablaufen sollte.
 Kommunikative Deeskalation: Wesentlich häufiger setzt der Mediator Kommunikationstechniken ein, die deeskalierend wirken. Hierzu gehört vor allem das Paraphrasieren, mit
dem der Mediator den Aussagen die sprachlichen Spitzen nimmt und Beleidigungen wegläßt.
Die Übersetzung von Vorwürfen einer Partei A in Ich-Botschaften verdeutlicht der angegriffenen Partei B, aus welcher Motivation heraus die Partei A einen Angriff gestartet hat, welche
Probleme Partei A selbst hat. Auch Zusammenfassungen des Gesagten versachlichen die Diskussion und geben - wie das Paraphrasieren - den Konfliktparteien das Gefühl, daß sie gehört
und verstanden worden sind. All diese Kommunikationstechniken haben zusätzlich den Effekt, das Gespräch zu verlangsamen und so die Dynamik zu entschärfen.
Auf den Stufen, die für eine Intervention auf dem Wege der Mediation geeignet sind, ergeben sich zum Teil weitere einzelne Hinweise für den Mediator, die wir mit „“ gekennzeichnet haben. Wichtiger ist allerdings der Mediationsprozeß insgesamt in seinen drei Phasen, der
mit dem systematischen Zusammenspiel zahlreicher prozeduraler und kommunikativer Techniken versucht, die Parteien schrittweise aus der Eskalationsdynamik zu befreien. Das Modell
der Eskalationsstufen hat dabei ein wichtiges Ziel der Mediation deutlich gemacht. Die Eskalationsdynamik muß den Parteien deutlich gemacht werden, so daß sie durch bewußte Entscheidungen aus dieser Entwicklung ausbrechen können. Im Sinne von „Empowerment“ und
„Recognition“ müssen die Parteien als eigenständige Persönlichkeiten im Konflikt gestärkt
werden. Der Ausbruch aus der Eskalationsdynamik gelingt ihnen nur, wenn an die Stelle des
Image-Denkens, also der Auslieferung an die Beurteilung durch andere, eine authentische
Wahl tritt. Statt sich nur als Reagierende zu verstehen, müssen die Parteien eine eigene Ethik
32 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
und Verantwortungsgefühl entwickeln, das mit dem Bewußtsein für Entscheidungsfreiheit
einhergeht.
3.3
Sach- und Beziehungsebene
Stufen der Konflikteskalation im Zusammenspiel von Sach- und Beziehungsebene
Sachebene
Beziehungsebene
Konfliktverhalten ist immer kommunikatives Verhalten, sei dies nun verbal oder nonverbal.
Zwischenmenschliche Kommunikation hat zwei grundsätzliche Ebenen: eine inhaltliche bzw.
sachliche und die Ebene der Beziehung zwischen den Interaktionspartnern (Watzla© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
33
wick/Beavin/Jackson 1996). Daher muß die Bearbeitung von Konflikten diese beiden Ebenen
beachten:
 Auf der Sachebene geht es um die Blockade bzw. Beeinträchtigung der Interessendurchsetzung, die sich durch die konfligierenden Anliegen und Verhaltensweisen ergibt.
 Auf der Beziehungsebene wird das gestörte persönliche Verhältnis zwischen den Konfliktparteien berücksichtigt, das meistens dadurch beeinträchtigt ist, daß sich die Konfliktparteien wechselseitig als Verursacher bzw. Verstärker einer Störung wahrnehmen.
Beispiel: Berufs- und Arbeitswelt:
Konflikte auf der Sachebene können sich in folgenden Bereichen entwickeln:
 Betriebliche Arbeitsabläufe
 Knappe Ressourcen
 Organisatorische Veränderungen
 Unternehmensstruktur
 Leistungsanforderungen
 Zielgrößen
 u. v. m.
In diesen Punkten kann das Handeln der einzelnen Parteien auf Widerstände stoßen. Pläne
erweisen sich als nicht umsetzbar und müssen revidiert werden. Zielkonflikte lassen befürchten, daß die eigenen Interessen nicht durchsetzbar sind. Die Konfliktparteien reagieren auf
diese Widerstände, die dem eigenen Wollen entgegenstehen, mit Vehemenz und erhöhen noch
den Druck auf die Durchsetzung. Diese Reaktionen steigern sich wechselseitig.
34 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
In Anlehnung an M. Deutsch (1976) lassen sich vier Felder kennzeichnen, in denen sich ein
Konflikt auf der Beziehungsebene bemerkbar machen kann:
 Kommunikationsstil: verzerrte, irreführende Kommunikation bis hin zu bewußter Täuschung
 Wahrnehmung: vorrangige Wahrnehmung der Unterschiede und Unähnlichkeiten bis
hin zur Unvereinbarkeit
 Einstellung: Mißtrauen und Argwohn bis hin zu offener Feindseligkeit
 Arbeitsstil: Individuelles Für-sich-arbeiten bis hin zum Aufzwingen der eigenen Lösung.
Diese vier Aspekte ergänzen sich häufig zu einem Konfliktsyndrom. Es besteht ein innerer
Zusammenhang und eine wechselseitige Verschränkung dieser vier Bereiche. Das Auftreten
eines Merkmals in einem dieser Bereiche kann leicht auch weitere Merkmale in den anderen
Bereichen hervorrufen. Die Eskalation eines Konflikts findet statt. Dabei kann die anfängliche
Ursache durchaus in einem zunächst unbedeutenden Mißverständnis liegen.
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
35
Merkmale von Konflikten auf der Beziehungsebene
Kommunikations-  Ist nicht offen und aufrichtig
stil
 Information ist unzureichend oder bewußt irreführend
 Geheimniskrämerei und Unaufrichtigkeit nehmen zu
 Drohungen und Druck treten an die Stelle von offener Diskussion
und Überzeugung.
Wahrnehmung
 Verzerrte Wahrnehmung der Persönlichkeitsstruktur des anderen
 Es wird deutlicher gesehen, was trennt, statt was verbindet
 Versöhnliche Gesten des anderen werden als Täuschungsversuche
gedeutet, seine Absichten als feindselig und bösartig beurteilt, er
selbst und sein Verhalten einseitig und verzerrt wahrgenommen.
Einstellung
 Vertrauen nimmt ab und Mißtrauen zu
 Verdeckte und offene Feinseligkeit entwickeln sich
 Die Bereitschaft nimmt ab, dem anderen mit Rat und Tat zur Seite
zu stehen
 Die Bereitschaft nimmt zu, den anderen auszunutzen, bloßzustellen
und herabzusetzen.
Arbeitsstil
 Die Aufgabe wird nicht mehr als gemeinsame Anforderung wahrgenommen, die am zweckmäßigsten durch Arbeitsteilung bewältigt
wird, in der jeder nach seinen Kräften und Fähigkeiten zum gemeinsamen Ziel beiträgt
 Jeder versucht, alles alleine zu machen: er braucht sich so auf den
anderen nicht zu verlassen, ist von ihm nicht abhängig und entgeht
damit der Gefahr, ausgenutzt und ausgebeutet zu werden.
Quelle: in Anlehnung an Berkel 1985
36 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
3.4
Entflechtung von Sach- und Beziehungsebene
Bei der Kommunikation bestehen Verbindungen auf zwei Ebenen zwischen Sprecher und
Zuhörer: auf der Sachebene oder auch Verstandesebene und auf der Beziehungsebene oder
auch Gefühlsebene. Nicht nur bei Kindern läßt sich beobachten, daß sie der Aufforderung
einer Person eher nicht nachkommen, die sie nicht mögen. Auch in der Erwachsenenwelt ist
ein Sprecher, dessen Beziehungsebene zum Zuhörer gestört ist, oft erfolglos mit seinem Appell, also dem, was er beim Zuhörer erreichen will. Die Mediatorin muß daher dafür sorgen,
daß im Mediationsverfahren die Gefühlsebene nicht ausgeblendet wird, sondern eine solide
Basis für die Arbeit an den Problemen liefert. Nur wenn die Beziehungsebene nicht gestört ist,
können die Mediatorin und die Teilnehmer selbst die Veränderungen im Denken und Verhalten herbeiführen, die sie mit ihren Beiträgen und Vorschlägen erreichen wollen.
Die oben dargestellten Kommunikationstechniken sind hier wichtig für die Mediatorin, da
die Beziehung zwischen den Konfliktparteien bzw. diejenige zur Mediatorin neben dem nonverbalen Verhalten durch die Art des Sprechens beeinflußt wird. Das hat Folgen für die Möglichkeiten zur Konfliktbearbeitung. Ist die Beziehungsebene gestört, sinkt die Zuhörbereitschaft. Die Bewertung des Inhaltes einer Nachricht wird auf Seiten des Zuhörers davon beeinflußt, wie er den Sprecher empfindet, ob er ihn mag und respektiert oder nicht. Die Sprache
hat großen Einfluß darauf, ob der Sender als unparteiisch, fair, kooperativ oder konfrontativ
eingeschätzt wird. Störungen auf der Beziehungsebene führen daher leicht dazu, daß Vorschläge der Gegenpartei abgelehnt oder gar nicht richtig zur Kenntnis genommen werden.
Hinzu kommt, daß in Konflikten Aussagen auf der Sach- und Beziehungsebene häufig durcheinander gehen. Konfliktparteien streiten sich um eine Sache, thematisieren explizit oder zwischen den Zeilen aber ständig auch Probleme in ihrer Beziehung zueinander. Sind diese beiden Ebenen heillos miteinander verflochten, so erscheinen Ergebnisse bei der Auseinandersetzung in der Sache unmöglich. Konfliktparteien können diese Ebenen nicht mehr selbständig
entflechten, wenn sie häufiger oder seit längerer Zeit einen Konflikt miteinander haben.
Das ist die Stunde der Mediatorin. In manchen Fällen können bei Konflikten gute Beziehungen zur Klärung eines Sachproblems genutzt werden, es besteht aber die Gefahr, daß der
Sachkonflikt auf die Beziehungsebene ausstrahlt. In anderen Fällen werden Konflikte auf der
Beziehungsebene auf der Sachebene ausgetragen. In der Mediation sollen immer Fakten und
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
37
Gefühle geäußert werden. Sind diese beiden aber so verflochten, daß sie sich ständig gegenseitig blockieren, muß die Mediatorin die Konfliktparteien dabei unterstützen, die beiden
Ebenen zu entflechten. Wenn deutlich wird, daß Probleme auf beiden Ebenen vorliegen, kann
er mit den Parteien zunächst die Konflikte auf der Beziehungsebene angehen. Erst wenn hier
genügend Empathie geschaffen ist, können die Parteien - auf der Grundlage des neu geschaffenen Vertrauens und Respekts voreinander - die Sachkonflikte erfolgreich regeln. Dabei ist
die Mediatorin keine Therapeutin, wenn es um die Bearbeitung der Beziehungsprobleme geht,
und auch kein Rechtsberater oder Fachexperte bei den Sachproblemen. Durch gezieltes Nachfragen und Aufforderungen strukturiert sie das Konfliktgespräch und sorgt für ein systematisches Vorgehen: Die Mediatorin versucht, das Gehörte zur Sachebene zusammenzufassen
(Schritt 1: Problemdefinition auf der Sachebene). Danach werden die Gefühle und Beziehungen beschrieben und genau definiert, so daß sich jede Konfliktpartei aussprechen kann und
auch die Sichtweise der anderen hört (Schritt 2: Problemdefinition auf der Beziehungsebene).
Danach läßt die Mediatorin die Konfliktparteien schildern, wie sie sich die Beziehung wünschen, was sie sich als schön und angenehm vorstellen (Schritt 3: Ideensuche auf der Beziehungsebene). Das gleiche kann dann auf der Sachebene geschehen: Nach der Bestandsaufnahme und Einigung darüber, was genau das Problem ist, überlegen die Konfliktparteien kreativ neue Lösungswege, wobei die geklärte Beziehung den nötigen Freiraum und die Unbefangenheit für diesen Schritt ermöglichen (Schritt 4: Ideensuche auf der Sachebene). Erst im letzten Schritt planen die Konfliktparteien dann die konkreten Umsetzungsmöglichkeiten, was sie
selbst und was der andere tun könnte (Schritt 5: Umsetzung auf der Beziehungs- und
Sachebene).
38 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
4
Abgrenzung der Mediation gegenüber anderen Konfliktregelungsverfahren
Verhandlung
Mediation
„med-arb“
(Einigungsstelle
Güteverhandlung)
ohne Drittbeteiligung
mit Drittbeteiligung
mit Drittbeteiligung
informell
informell
formell
interessenorientiert
interessenorientiert
eher rechteorientiert
Schiedsgericht
Gerichtsverfahren
mit Drittbeteiligung
rechteorientiert
Entscheidungsmacht des / der Dritten
ohne
eingeschränkt
Stufe 1
RA
A
RA
B
B
A
A
M
M
RA
RA
R
RA
RA
A
RA
RA
R
Stufe 2
RA
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
voll
RA
39
5
Grundlagen der Mediation
5.1
Merkmale der Mediation
Allparteilichkeit
Externer
Dritter
Einbeziehung
aller
Konfliktparteien
Fall- und
problemspezifisch
Eigenverantwortlichkeit
Der Begriff „Mediation“ kommt aus dem Englischen und kann als „Vermittlung“ übersetzt
werden. Die folgenden Definitionsmerkmale verdeutlichen auch die Unterschiede zu rechtsförmigen Verfahren, anderen Tätigkeiten der Organisationsberatung und therapeutischen Ansätzen.
Externer Dritter: Der Mediator ist nicht am Konfliktgeschehen beteiligt; sie oder er vermittelt zwischen den Parteien und ist weder betroffen, noch in bezug auf die Konfliktbeteiligten weisungsfähig.
Allparteilichkeit: Der Mediator fühlt sich allen Konfliktparteien gleich verpflichtet und
nicht parteiisch. Allparteilichkeit ist nicht das Gleiche wie Neutralität, denn der Mediator bemüht sich um Verständnis für die Sichtweise der Konfliktparteien und hat ein Interesse an der
Klärung des Konfliktes. Er ist für den Prozeßverlauf verantwortlich.
Einbeziehung aller Konfliktparteien: Mediation bezieht alle von einem Problem Betroffenen ein. Sie erarbeiten gemeinsam eine Lösung, in die alle ihr Wissen einbringen und die
von allen akzeptiert wird.
Eigenverantwortung der Teilnehmer: Die Teilnehmer nehmen freiwillig an einem Mediationsverfahren teil und sind selbst für die Ergebnisse verantwortlich. Der Mediator unter40 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
stützt sie bei der Suche nach eigenen, tragfähigen Lösungen. Er hat nicht die Rolle eines Experten in der Sache, um die es geht. Die Experten sind die Beteiligten selbst.
Fall- und problemspezifisch: Im Gegensatz zu rechtsförmigen Verfahren werden in der
Mediation Lösungen für einen konkreten Einzelfall entwickelt. Es geht nicht um die Klärung
von Schuld und auch nicht um verallgemeinerbare Lösungen. Für die Lösungssuche werden
nicht Rechtsnormen als zentraler Ansatz herangezogen. Das Verfahren ist informell und fallspezifisch. Unterschiedliche Perspektiven werden akzeptiert. Persönliche und psychologische
Hintergründe werden einbezogen, um zu einer Lösung des Konfliktes zu kommen. Ziel ist die
Regelung eines konkreten Konfliktes. Dieser dient nicht als Ausgangspunkt zur Bearbeitung
tieferliegender Persönlichkeitsprobleme.
Mit Hilfe eines vermittelnden, am Konfliktgeschehen unbeteiligten externen Dritten (des Mediators), der sich den Konfliktparteien allparteilich verpflichtet fühlt und für den Prozeßverlauf verantwortlich ist, erarbeiten alle an einem Konflikt Beteiligten gemeinsam und selbstverantwortlich eine akzeptable und tragfähige, fall- und problemspezifische Lösung oder Regelung für einen bestehenden Konflikt.
5.2
Geschichte und Anwendungsfelder
Die Idee der Mediation, die Vermittlung zwischen Konfliktparteien durch eine allparteiliche Person außerhalb des Konfliktes, ist wohl so alt wie die Menschheit. Auch wenn der Begriff aus dem Anglo-amerikanischen stammt (mediate = vermitteln), die Ursprünge dieser
„sozialen Technik“ finden sich bei den Stammesgesellschaften der heutigen Dritten Welt, bei
denen in der Regel keine Gerichte zur Durchsetzung eines ausdifferenzierten rechtlichen Regelwerkes existierten. Hier vermitteln statt dessen respektierte Persönlichkeiten einer Gemeinschaft zwischen den Streitenden. Ein Beispiel ist das afrikanische „Palaver“, bei dem die Konfliktparteien solange diskutieren und verhandeln müssen, bis ein Konflikt friedlich beigelegt
ist. Viele Länder in allen Teilen der Erde haben eine eigenständige Tradition der Verhandlung
und des friedlichen Disputes; in Europa sind historische Formen das germanische Thing oder
der mittelalterliche „love-day“ in England. Dieser bezeichnet die Tatsache, daß Kontrahenten
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
41
Zeit für eine außergerichtliche Beilegung ihres Streites gewährt wurde, aber auch Bemühungen zur Friedensstiftung ganz allgemein.
Auch in der modernen westlichen Welt hat Mediation eine lange Tradition, vor allem in
der internationalen Diplomatie. Das vielleicht erste Beispiel in Deutschland ist der Westfälische Frieden von Münster aus dem Jahre 1648, bei dem mehrere kirchliche und weltliche Vertreter zwischen den Kriegsparteien vermittelt haben. An den Vertragsverhandlungen, die sich
seit 1643 hingeschleppt hatten, waren 148 Gesandte beteiligt. Hinzu kamen zwei Diplomaten
als neutrale Vermittler: der Nuntius des Papstes Chigi und der Botschafter der Republik Venedig, Contareno. Letzterer hatte die eigentlich führende Rolle als Vermittler. In einem zeitgenössischen Stich wird er als Legatus und Mediator bezeichnet:
42 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
Verhandlungen im Vorfeld internationaler Vereinbarungen, Friedensverhandlungen zwischen souveränen Staaten oder Bürgerkriegsparteien unter Hinzuziehung eines Vermittlers
sind Beispiele für politische Konflikte, bei denen die Methode der Mediation zum Einsatz
kommt.
In Industrieländern mit westlichem Demokratietypus werden die Verhandlungs- und Vermittlungstechniken der Mediation seit langem bei Konflikten auf dem Arbeitsmarkt und in
Tarifauseinandersetzungen eingesetzt. Die wesentlichen Mediationselemente - Verhandeln,
Diskutieren und Vermitteln - sind also keine Innovation. Neu ist hier aber der systematische
Einsatz von Mediation bei Konflikten in Politik, Gesellschaft, im Wirtschaftsleben und im
zwischenmenschlichen Bereich sowie die Professionalisierung der Mediation. Als methodisch
ausgefeilte Alternative zum Rechtsweg wurde Mediation vor allem in den USA weiterentwickelt. Hier wird sie seit über 20 Jahren zunehmend eingesetzt, nicht zuletzt aufgrund der überlasteten Gerichte sowie zeitlich, finanziell, psychisch und sozial zu aufwendiger und kostenintensiver Auseinandersetzungen. Aber auch in anderen Ländern wie Canada, Japan und
Deutschland gibt es mittlerweile ermutigende Erfahrungen.
Die Anwendungsbereiche der Mediation sind auch in Deutschland mittlerweile vielfältig.
Als Alternative zum Rechtsweg oder radikalen bis gewalttätigen Formen der Auseinandersetzung werden Mediationsverfahren oder Elemente der Mediation mittlerweile in den folgenden
Feldern eingesetzt: Familie/Trennung/Scheidung (Familienmediation), Nachbarschaftskonflikte (Community Mediation), Täter-Opfer-Ausgleich, Probleme und Gewalt in der Schule
(Schulmediation), interkulturelle Konflikte sowie Auseinandersetzungen bei der Planung und
Umsetzung größerer Projekte im Umweltbereich (Umweltmediation). Auch die Wirtschaftsmediation gewinnt zunehmend an Bedeutung. Hier geht es vor allem um die Vermeidung oder
Regelung organisationsinterner Konflikte, die Vermeidung gerichtlicher Auseinandersetzungen mit Kunden, Zulieferern und anderen Vertragspartnern und den konstruktiven Umgang
mit unternehmensexternen Anspruchsgruppen.
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
43
5.3
Voraussetzungen für Mediation
Neben den unter 5.1 genannten Merkmalen von Mediation, die ebenfalls wichtige Voraussetzungen für ein solches Verfahren darstellen, ist als eine weitere die Ergebnisoffenheit zu
nennen. Ergebnisoffen bedeutet in diesem Zusammenhang, daß alle in einem Mediationsverfahren vertretenen Interessen Berücksichtigung erfahren können und nicht aufgrund der Konfliktbeschreibung bereits von vornherein ausgeschlossen sind. In einem solchen Fall würde
das Mediationsverfahren lediglich der Akzeptanzbeschaffung dienen. Eine kreative Suche
nach neuen und für alle Beteiligten vorteilhaften Lösungen wäre durch eine derartige Herangehensweise wahrscheinlich konterkariert.
Aus verhandlungsorientierter Sicht müssen folgende weitere Bedingungen gegeben sein:
 Keine der beteiligten Parteien ist in der Lage, allein - unter Ausschluß der anderen Parteien
- ihr Ziel zu erreichen.
 Jede der involvierten Parteien kann der anderen schaden oder nützen.
 Die Interessen, Ziele und Bedürfnisse der beteiligten Parteien schließen sich nicht vollständig aus.
 Die involvierten Parteien müssen willens sein, miteinander zu kooperieren.
 Die Parteien stehen unter Zeitdruck. Verschieben oder „Aussitzen“ ist keine Lösung.
 Die Parteien erkennen, daß andere Verfahren als die Verhandlung weniger erfolgversprechend sind.
 Die Parteien können einen Konsens darüber erzielen, welche Themen und Probleme den
inhaltlichen Kern des Konflikts ausmachen.
 Zusätzliche Umstände wie z. B. Image- oder Kostenfragen sowie das Risiko langwieriger
gerichtlicher Auseinandersetzungen sprechen dafür, eine Lösung über Verhandlungen zu
suchen.
44 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
Aus entscheidungstheoretischer Perspektive sind für die Mediation - die hier ebenfalls als
Verhandlungssystem gesehen wird - drei Informationen wesentlich:
 Die Alternative jeder Konfliktpartei zu einer Verhandlungslösung (BATNA = Best Alternative To a Negotiated Agreement);
 die relevanten Interessen der Konfliktparteien und
 die Wertigkeit der verschiedenen Interessen der Konfliktparteien.
Vor jeder Verhandlung ist es für jede Partei wichtig zu klären, welche Alternativen sie zur
Verhandlung haben: Was können sie bestenfalls ohne Verhandlung erreichen (BATNA)? Und
was kann schlimmstenfalls passieren, wenn sie nicht verhandeln (WATNA = Worst Alternative To a Negotiated Agreement)? Die BATNA kann in der Verhandlung als ein Indifferenzpunkt betrachtet werden, ab dem sich kein Vorteil mehr für eine Verhandlungslösung ergibt.
5.4
Orientierungen des Verhandelns
Macht
Macht
Recht
Recht
Interessen
Interessen
Gestörtes System
Effektives System
Typischerweise werden die Sichtweisen eines Konfliktes und damit die Verhandlungsoptionen nach folgenden drei Orientierungen unterschieden:
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
45
 Machtorientierung:
Dabei steht die Auseinandersetzung über Machtressourcen im Zentrum der Verhandlung;
im Rahmen einer solchen Orientierung muß aber auch derjenige, der über „Macht“ verfügt
(z.B. ein Manager in einem Unternehmen), im Konfliktfall entscheiden.
 Rechtsorientierung:
Hier gilt es, denjenigen zu ermitteln, der das formale Recht auf seiner Seite hat. Je enger
hingegen die sozialen Beziehungen sind, um so weniger finden Konflikte eine (direkte)
Antwort im Recht.
„Vertrauen läßt sich nicht gerichtlich einklagen, Arbeitsmotivation nicht tarifvertraglich sichern und liebevolle Zuwendung nicht durch Ehevertrag gewährleisten“ (Blankenburg).
Aspekte der extremen Pole Verrechtlichung und Entrechtlichung:
Verrechtlichung
 Der Konflikt wird auf die Rechtslage reduziert
 Die sozialen und Beziehungsaspekte werden vernachlässigt
 Zahlreiche Interessen bleiben unberücksichtigt
 Nullsummenspiel mit einer Entweder-Oder-Entscheidung
 Es wird lediglich die Vergangenheit aufgearbeitet, aber nicht die
Entrechtlichung
 Der Konflikt wird nur als Sozialproblem, nicht aber als Rechtsproblem wahrgenommen
 Ein bestehendes Machtungleichgewicht kann so zementiert werden,
Unrechte können bestehen bleiben
 Den Gerichten werden wichtige Verfahren entzogen, die für die Erkennung und Gestaltung wichtiger gesellschaftlicher Prozesse bedeutsam
sind.
Zukunft gestaltet.
 Interessenorientierung:
Eine auf den Interessen der Konfliktparteien basierende Problemlösung wird angestrebt.
46 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
Insbesondere die ersten beiden Sichtweisen tendieren dazu, Lösungsoptionen im jeweils
singulären Zuschnitt zu suchen und stereotype Problemlösungen zu entwickeln. Da es aber
keinen allgemein gültigen, optimalen Weg der Problemlösung geben kann, ist es notwendig,
Handlungsoptionen möglichst weit zu fassen, um einen Konsens zu finden, der jenseits der
linearen win-lose-Gerade nach Möglichkeit Kooperationsgewinne für alle Konfliktparteien
hervorbringt. Wesentliche Voraussetzung dafür ist die vorrangige Orientierung an den eigentlichen Interessen der Konfliktparteien, ohne dabei in einer Verhandlung die Komponenten
Macht und Recht außer acht zu lassen. Die überwiegende Nutzung von Macht und Recht zur
Lösung von Konflikten ist jedoch unnötig und kontraproduktiv. Diese Konfliktorientierungen
führen in der Regel zu klassischen Nullsummenspielen, d. h., der Gewinn für die eine Seite
impliziert gleichzeitig einen Verlust für die andere.
Das folgende Zitat unterstreicht nochmals die neuen Möglichkeiten der Mediation, im Unterschied zur Rechtsorientierung auf dem Wege der interessenorientierten Konfliktregelung
Ergebnisse zu erzielen, die aus Sicht der Konfliktbeteiligten besser bewertet werden:
„(...) Ein Vorteil des Verfahrens liegt darin, daß die Kontrahenten nicht in das Korsett des
Prozeßrechts gezwängt sind. Sie müssen ihre Bedürfnisse und Interessen, die sehr vielschichtig sein können, daher beispielsweise nicht auf dürre rechtliche Forderungen reduzieren. Solche Ansprüche sind oft genug lediglich Vehikel, um auf Umwegen etwas zu erreichen, worauf
gerade kein Anspruch besteht. Außerdem bietet die Mediation die Chance einer "dritten Lösung". Während ein Gericht nämlich an die Anträge der Parteien gebunden ist und abweichende Vorschläge auch dann nicht unterbreiten kann, wenn sie den Interessen beider Seiten
eigentlich dienlicher wären, kennt die Mediation diese Beschränkungen nicht. So können die
Beteiligten durchaus Lösungen finden, die ihren Anliegen mehr entsprechen, als die Zuerkennung eines bestimmten Anspruches. Damit werden sogar Ergebnisse möglich, die beiden Seiten Vorteile bringen (...)"
FAZ vom 23.10.1998: Die Mediation im Wirtschaftsrecht soll Zeit und Kosten sparen
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
47
5.5
Hürden auf dem Weg zur Kooperation
 Denken in Win-Lose Kategorien, begünstigt durch:
Problem wird auf eine Lösungsmöglichkeit reduziert
fehlende Transparenz der eigentlichen Interessen
geringe Bereitschaft, in einen kooperativen Diskurs einzutreten
fehlende Kenntnis über mögliche Kooperationsgewinne aufgrund unvollständiger Informationen und/oder der Annahme eingeschränkter Handlungsspielräume.
 Überzeugung von der Durchsetzbarkeit der eigenen Position
Überschätzung der BATNA (z.B. Durchsetzungschancen der eigenen Position vor Gericht)
Überzeugung von den eigenen Machtressourcen zur Durchsetzung der eigenen Position
 Fortgeschrittenes Konfliktverhalten
Teufelskreis kompetitiven Verhaltens
Vorliegen unterschiedlicher Konfliktfaktoren
Reaktive Kommunikationsmuster
Herkunft eines Lösungs- oder Regelungsvorschlags
 Ungleiche Verteilung möglicher Win-Win Lösungen
 Individuelle Bedenken gegen kooperative Verfahren
Beharren einer Führungsperson auf ihrem Anspruch, alle Probleme selbst zu lösen
Angst von Entscheidungsträgern, durch derartige Verfahren Macht abzugeben
Bereitschaft zu kooperativem Verhalten könnte als eigene Schwäche ausgelegt werden
Durch die gezeigte Verhandlungsbereitschaft wird möglicherweise eine andere, nicht akzeptierte Position legitimiert
Fehlendes Wissen über Design und Werkzeuge, solche konsensorientierten Verfahren
aufzubauen
Schlechte Erfahrungen mit derartigen Verfahren.
48 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
5.6
Ziele von Mediation
 Information und Transparenz
 Kooperative Lösungen
 Konstruktive Konfliktregelung
 Ergebnisse auf breiter Argumentationsgrundlage
 Förderung der Eigenverantwortlichkeit der Teilnehmer
 Soziales Lernen
6
Leitbilder der Mediation
Das jeweilige Selbstverständnis und die Arbeitsweise der Mediatorinnen und Mediatoren
wird insbesondere durch zwei Leitbilder geprägt:
 den verhandlungs- und lösungsorientierten Ansatz
 den Transformationsansatz.
Das interessenorientierte Verhandeln mit dem vorrangigen Ziel einer Problemlösung dominiert derzeit die Mediationspraxis. Daneben gewinnt die Idee der transformativen Mediation
zunehmend an Bedeutung.
Unserer Erfahrung nach ist die komplementäre Berücksichtigung beider Ansätze in allen
Feldern der Mediation sinnvoll und erfolgversprechend.
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
49
6.1
Verhandlungs- und lösungsorientierter Ansatz
Als Kontrast zu distributiven Lösungsansätzen und einem Feilschen um Positionen entwickelten Roger Fisher und William Ury im Rahmen des Harvard Negotiation Project Anfang
der 80er Jahre eine Strategie des „prinzipiengeleiteten Verhandelns“ (dt.: Fisher/Ury/Patton
1997; in Deutschland wird für ihren Ansatz zumeist der Begriff „Harvard-Konzept“ verwendet). Das Harvard-Konzept formuliert einen alternativen Weg des Verhandelns, der die Komponenten hart und weich gleichzeitig umfaßt: hart in der Sache und weich gegenüber den Personen. Im Vordergrund steht ein sachorientiertes Verhandeln, welches die eigentlichen Interessen der Kontrahenten in den Mittelpunkt stellt und dem die folgenden vier Prinzipien zugrunde liegen:
 Trenne Sache und Person
 Auf Interessen konzentrieren, nicht auf Positionen
 Entwickle Optionen zu beiderseitigem Vorteil
 Bewerte Optionen nach objektiven Kriterien
 Trenne Sache und Person:
Zentral beim ersten Prinzip ist die Differenzierung von Inhalts- und Beziehungsebene, die
in Konflikten oftmals miteinander verwoben sind. Sach- und Beziehungsebene verstärken sich
als Konfliktebenen gegenseitig und sorgen für eine innere Dynamik in der Entwicklung eines
Konflikts, die vielfach in eine Eskalation mündet. Bevor eine Auseinandersetzung über den
Konfliktgegenstand sich negativ auf die Beziehung auswirkt oder umgekehrt bestehende Antipathien und persönliche Ressentiments die Auseinandersetzung über Sachfragen nachhaltig
beeinflussen, fordert das Harvard-Konzept den Aufbau guter Beziehungen als eigenständigen
Teil der Verhandlung.
50 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
 Auf Interessen konzentrieren, nicht auf Positionen:
Eine wesentliche Voraussetzung kooperativen Verhandelns ist die Konzentration auf die
eigentlichen Interessen der Konfliktparteien. Zumeist werden in Auseinandersetzungen und
Verhandlungen nur Positionen genannt, nicht die dahinterliegenden und viel bedeutsameren
und verhandelbaren Interessen. Da Positionen aber häufig nur aus einem „Ja“ vs. „Nein“ oder
„Ich bin dafür“ vs. „Ich bin dagegen“ bestehen, ist es oft sehr schwierig, auf dieser Basis integrative Lösungsansätze zu entwickeln, die Vorteile für beide (oder alle) Konfliktparteien mit
sich bringen.
Der Mediator versucht die hinter den Positionen der Konfliktparteien liegenden Interessen
herauszufinden. Auf dieser Basis entwickelt er mit den Konfliktparteien eine tragfähige und
akzeptable Lösung. Mittels einer interessenorientierten Mediation
 können tieferliegende Konfliktursachen entdeckt und berücksichtigt werden,
 finden die eigentlichen Interessen der Konfliktparteien Berücksichtigung,
 ist die Konfliktbearbeitung nicht nur auf den Streitgegenstand beschränkt,
 entsteht neuer Verhandlungsspielraum im Umfang der differenzierteren Interessen,
 können alternative Handlungsoptionen entwickelt werden; festgefahrene Positionen
können so aufgelockert werden,
 und es bestehen bessere Chancen für Konfliktregelungen, die eine zukünftig gute Beziehung der Konfliktparteien gewährleisten.
 Entwickle Optionen zu beiderseitigem Vorteil:
Effiziente Lösungen von Konflikten erfordern ein integratives Verhandeln. Bei der Annahme eines Nullsummenspiels geht jede Partei davon aus, daß ihre Interessen notwendig und
direkt mit den Interessen der Gegenpartei konfligieren. Nach dieser Vorstellung eines begrenzten „Kuchens“, den es aufzuteilen gilt, kann eine Partei nur in dem Maße etwas gewinnen, wie die andere Partei verliert. Das dritte Prinzip von Fisher, Ury und Patton zielt hingegen auf die Potentiale integrativen Verhandelns durch eine gemeinsame Entwicklung von Lösungsalternativen auf der Basis der verschiedenen Interessen und ihrer individuellen Gewichtungen. Ziel ist sowohl eine Ausdehnung der eigenen Wahlmöglichkeiten, als auch eine krea-
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
51
tive Suche nach Lösungen zu beiderseitigem Vorteil, sogenannten Win-Win-Lösungen, bei
denen die Interessen aller Konfliktparteien berücksichtigt werden.
 Bewerte Optionen nach objektiven Kriterien:
Das vierte Prinzip setzt bei der Bewertung der Lösungsoptionen an. Fisher, Ury und Patton
schlagen vor, sich vor der eigentlichen Verhandlung über möglichst objektive Kriterien der
Fairneß, der Effektivität oder der wissenschaftlichen Bewertung für die Konfliktlösung zu
einigen. Ziel ist es, eine Vergleichbarkeit und Transparenz der verschiedenen Optionen durch
einen nachvollziehbaren Standard herzustellen, zu dessen Einhaltung bzw. Berücksichtigung
die beteiligten Parteien explizit verpflichtet werden sollten. Solche Standards können wissenschaftlicher Natur sein, aber auch Gerechtigkeits- und Gleichheitskriterien bedeuten. Die gemeinsame Einigung auf anzuerkennende Kriterien vermindert das Feilschen um Positionen,
wenn dieses in erster Linie der eigenen Verteidigung und dem Angriff auf den Gegner gilt.
6.2
Transformationsansatz
Aus der Sicht der Vertreter der Transformation in der Mediation (v. a. Bush/Folger 1994,
Dukes 1996) tendiert der lösungsorientierte Verhandlungsansatz dazu, sich auf jene Problembereiche eines komplexeren Konflikts zu konzentrieren, die Optionen für Lösungen bieten
und gleichzeitig jene zu vernachlässigen, die sich vorrangig durch Beziehungsprobleme oder
vielschichtige Interessenebenen (bspw. unterschiedliche Bewertungen der Ergebnisse, des
Prozesses, des Erfolgs und der Zielorientierung einer Mediation) auszeichnen. Durch die Neigung des lösungsorientierten Mediators, Gemeinsamkeiten zu finden und zu formen, Elemente einer Einigung zu steuern und weniger konkrete Aspekte wegzulassen, beeinflußt er wesentlich den Konfliktrahmen und insbesondere die Interessen und Bedürfnisse der Beteiligten.
Transformation zielt zum einen auf die Entwicklung stabiler und dauerhafter Beziehungen
zwischen den Konfliktbeteiligten, zum anderen auf bewußte Veränderungsprozesse.
Der Transformationsansatz („transformative mediation“) sieht das primäre Ziel einer Konfliktregelung nicht in dem Auffinden einzelner Problemlösungen, vielmehr stellt er die beteiligten Personen selbst in den Mittelpunkt (Bush/Folger 1994, Folger/Jones 1994). Das eigent-
52 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
liche Potential von Mediation wird darin gesehen, die Menschen in ihrem Diskursverhalten zu
ändern und Prozesse des sozialen Lernens zu initiieren.
Zentrale Zielgrößen dieses Ansatzes sind Befähigung (Empowerment) und Anerkennung
(Recognition):
Befähigung (Empowerment)
der Konfliktparteien zur Formulierung
eigener Interessen und Bedürfnisse
Anerkennung (Recognition)
der gegenseitigen Interessen und
Bedürfnisse
Die Verfahrensteilnehmer werden einerseits befähigt, ihre eigenen Konflikte selbstverantwortlich zu regeln und gewinnen dadurch an Selbsterkenntnis und Selbstbewußtsein. Darüber
hinaus lernen sie, sich gegenüber Andersdenkenden zu öffnen, deren Situation nachzuvollziehen und deren Einstellungen zu akzeptieren und zu respektieren. Das Interesse an den Sichtweisen der jeweils anderen Konfliktparteien eröffnet oftmals neue Perspektiven sozialen Lernens und einer generellen Veränderung von Mensch und Gesellschaft.
Empowerment bedeutet aber keineswegs, ein Machtgleichgewicht oder eine Neuverteilung
von Macht zu erzielen, um die schwächeren Parteien zu schützen oder zu stärken. Empowerment bezieht sich immer auf alle Parteien. Der Mediator unterstützt sie, über jene kommunikativen Möglichkeiten und Mittel zu verfügen, die in einer bestimmten Situation notwendig
sind, um ihren Interessen, Bedürfnissen und Wünschen Ausdruck zu verleihen und dabei von
den anderen Konfliktbeteiligten verstanden zu werden.
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
53
Ziele
Befähigung
(Empowerment)
der Konfliktparteien
zur Formulierung
eigener Interessen
und Bedürfnisse
Optionen
Fertigkeiten
Ressourcen
Entscheidungen
Recognition zielt weder auf eine Form des harmonischen Ausgleichs noch auf eine Variante der Schlichtung. Die Wahrnehmung anderer Perspektiven als Bestandteile des gleichen
Konflikts eröffnet den Konfliktparteien hingegen ein größeres Spektrum effizienter Handlungsoptionen für sich selbst und alle anderen Beteiligten.
Die Protagonisten dieses neueren Ansatzes der Transformation hoffen darauf, daß in der
Mediationsdebatte und Mediationspraxis die vorherrschende Orientierung der Problemlösung
auf dem Verhandlungsweg zunehmend durch eine Mediation mit dem Ziel des sozialen Lernens und der Veränderung von Mensch und Gesellschaft ergänzt und abgelöst wird. Ist das
eine realitätsferne Utopie, ist Transformation Träumerei?
Noch vor wenigen Jahrzehnten glaubten Kritiker der Mediation, daß „Problem Solving“
und „Win-Win-Lösungen“ bei Konflikten und Verhandlungen eine Donquichotterie sind, besonders bei umstrittenen Fragen. Praktiker begannen aber an die Möglichkeit zu glauben,
nachdem in der Theorie Möglichkeiten aufgezeigt wurden. Anfängliche Unmöglichkeiten
wurden schnell zu kleineren technischen Problemen, die im Mediationsprozeß in Angriff genommen werden konnten. Vertreter einer transformativen Mediation hoffen auf eine ähnliche
Entwicklung für diese heute noch utopisch klingende Sichtweise, weil sowohl Theoretiker als
auch Praktiker sehen, daß der vorherrschende individualistische Ansatz oft nicht angemessen
ist und Lösungen nicht nachhaltig sind.
54 © Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
7
Phasen eines Mediationsverfahrens
1. Vorbereitung und Mediationsvertrag

2. Informations- und Themensammlung

3. Interessenklärung

4. Kreative Ideensuche / Optionen bilden

5. Bewertung und Auswahl von Optionen

6. Vereinbarung und Umsetzung
© Prof. Dr. Andrea Budde, Berlin [email protected]
55
Prozeßschritt
Inhalte
Methoden / Techniken
Übergeordnete Ziele
Phase 1: Vorbereitung und Mediationsvertrag
 Auftragsklärung/Mediationsvertrag
Konfliktanalyse
 Analyse der Sachlage
 Identifikation und Analyse der zu beteiligenden Perso-  Recherchen
nen und Gruppen
 Informationsaufbereitung
 Analyse des Konfliktstatus
Grundlagen für
 Entwurf eines detaillierten Prozeßdesigns und -verlaufs  Interviews
 Einzelgespräche
 Klärung der Verhandlungsmandate
Klärung organisatorischer
und verfahrensrelevanter
Fragen
 Einigung auf Interessenrepräsentation und Gruppengröße
 Organisation des Verfahrens (u.a. Ort, Zeit)
 evtl. Vortreffen der
Mediationsrunde zur
Klärung der Verfahrensorganisation
 ...
Klärung des Mediationsprozesses
 Rolle des Mediators
 Darstellung
 Verfahrensregeln
 Diskussion
 Einigung über den Einsatz von Gutachtern und Experten
 Reflexion
 ggf. Aufgabenklärung: Forum und Arbeitskreise
ein kooperatives
Miteinander
 ...
 Ziel der Mediation klären
© Andrea Budde (Konfliktmanagement.de), Stefan Kessen (MEDIATOR GmbH), Markus Troja (MEDIATOR GmbH)
56
Prozeßschritt
Inhalte
Methoden / Techniken
 Bestandsaufnahme und Informationsausgleich
Phase 2: Informationsund Themensammlung

„Worum geht es genau?“





Phase 3:
Interessenklärung
 Recherchen und InformationsaufbereiBisherige und anstehende Planungen und Entscheiduntung
gen offenlegen
 Zusammenfassen
Transparenz schaffen
 Differenzieren
Respekt und Akzeptanz schaffen
 Visualisieren
Angemessener Umgang mit Emotionen
 Aktives Zuhören
Positionen in Themen umformulieren
 Paraphrasieren
Relevante Themen auflisten und strukturieren
Übergeordnete Ziele
 Interessen und Bedürfnisse hinter den Positionen erkennen
„Was wäre alles denkbar?“
 Sammlung von Ideen
der Konfliktparteien bei der
Formulierung eigener Interessen und Bedürfnisse
 Fragetechniken
Anerkennung
 Ich-Botschaften
der gegenseitigen Interessen
und Bedürfnisse
 ...
Phase 4: Kreative Ideensuche / Optionen bilden
Unterstützung
 Brainstorming, writing
 Auf- und Entdeckung neuer Optionen auf der Grundlage der Interessen
 Analogien, Assoziationen
 Erweiterung des Verhandlungsspielraums
 Simulation, Rollenspiel
Erweiterung von Handlungsrationalitäten
 Mind Mapping
 ...
© Andrea Budde (Konfliktmanagement.de), Stefan Kessen (MEDIATOR GmbH), Markus Troja (MEDIATOR GmbH)
57
Prozeßschritt
Phase 5: Bewertung und
Auswahl von Optionen
„Wie können wir es
angehen?“
Inhalte
Methoden / Techniken
 Neue Argumente und Einsichten durch
Perspektivenwechsel
 Wertbaumanalyse und andere Bewertungsmethoden
 Integratives Verhandeln
 Prüfkriterien (rechtlich, technisch,
wirtschaftlich, ...)
 Bewertung und Auswahl von Lösungsoptionen
 Integrative Verhandlungstechniken
(Paketlösungen, Kompensationen, ...)
 Für alle akzeptable Regelungen bzw. Lösungen entwickeln durch Interessenver PMI (Plus-Minus-Interessant) und
mittlung bzw. -ausgleich
andere Bewertungstabellen bzw. Matrizen
Übergeordnete Ziele
Erweiterung von
Handlungskapazitäten
 Aktionsplan: Wer, was, wann, wie
Phase 6: Vereinbarung
und Umsetzung
 Mediationsvereinbarung
 Klärung der Umsetzung
Dokumentation, Implementation und kontinuierliche  Nachfolgetreffen und ggf. Nachverhandlungen
Anpassung der Ergebnisse
 Etablierung langfristig kooperativer Beziehungen
 Ein-Text-Verfahren
Einigung auf Ergebnis
 Schriftlicher Vertragstext
 Berichte über die Umsetzung
 Dokumentation
 ...
© Andrea Budde (Konfliktmanagement.de), Stefan Kessen (MEDIATOR GmbH), Markus Troja (MEDIATOR GmbH)
Langfristig kooperative
Beziehungen
58
8
Literatur
Auer-Rizzi, Werner (1998): Entscheidungsprozesse in Gruppen. Kognitive und soziale Verzerrungstendenzen. Wiesbaden.
Adler, Ronald B. / Towne, Neil (1981): Looking Out / Looking In. Interpersonal Communication. 3. ed. New York.
Bazerman, Max H. (1990): Judgment in Managerial Decision Making. 2nd ed. New York.
Bazerman, Max H. / Lewicki, Roy J. (eds.) (1983): Negotiating in organizations. Beverly
Hills, Cal.
Bazerman, Max H. / Neale, Margaret A. (1992): Negotiating Rationally. New York, Toronto.
Bennett, Mark D. / Hermann, Michele S. G. (1996): The Art of Mediation. Notre Dame, Ind.
Berkel, Karl (1985): Konflikttraining. Konflikte verstehen und bewältigen. Heidelberg.
Besemer, Christoph (1997): Mediation. Vermittlung in Konflikten, o.O.
Breidenbach, Stephan (1995): Mediation. Struktur, Chancen und Risiken von Vermittlung im
Konflikt. Köln.
Breidenbach, Stephan / Henssler, Martin (Hrsg.) (1997): Mediation für Juristen. Konfliktbehandlung ohne gerichtliche Entscheidung. Köln.
Breslin, J. William / Rubin, Jeffrey Z. (eds.) (1993): Negotiation Theory and Practice. Program on Negotiation at Harvard Law School. 2nd ed. Cambridge, Mass.
Budde, Andrea (1998): Mediation in Wirtschaft und Arbeitswelt. In: Strempel, Dieter (Hrsg.):
Mediation für die Praxis. Recht, Verfahren, Trends. Berlin, 99-111.
Bush, Robert A. Baruch / Folger, Joseph P. (1994): The Promise of Mediation. Responding to
Conflict through Empowerment and Recognition. San Francisco.
Carpenter, Susan L. / Kennedy, W. J. D. (1988): Managing Public Disputes. A Practical Guide
to Handling Conflict and Reaching Agreements. San Francisco.
Deutsch, Morton (1976): Konfliktregelung. Konstruktive und destruktive Prozesse. München,
Basel.
Domenici, Kathy (1996): Mediation. Empowerment in Conflict Management. Prospect
Heights, Ill.
Druckman, Daniel (1993): An analytical research agenda for conflict and conflict resolution.
In: Sandole, Dennis J.D. / van der Merwe, Hugo (eds.): Conflict Resolution Theory
and Practice. Integration and Application. Manchester, New York.
© Andrea Budde (Konfliktmanagement.de), Stefan Kessen (MEDIATOR GmbH), Markus Troja (MEDIATOR GmbH)
59
Dukes, E. Franklin (1996): Resolving Public Conflict. Transforming Community and Governance. Manchester, New York.
Edwards, W. (1954): The Theory of Decision Making. In: Psychological Bulletin 41/1954,
380-417.
Fisher, Roger / Ury, William / Patton, Bruce (1997): Das Harvard-Konzept. Sachgerecht verhandeln - erfolgreich verhandeln. 16. Aufl. Frankfurt/M.
Folberg, Jay / Taylor, Alison (1984): Mediation. A Comprehensive Guide to Resolving Conflicts Without Litigation. San Francisco.
Folger, Joseph P. / Jones, Tricia S. (eds.) (1994): New Directions in Mediation. Communication Research and Perspectives. London.
Glasl, Friedrich (1994): Konfliktmanagement. Ein Handbuch zur Diagnose und Behandlung
von Konflikten für Organisationen und ihre Berater. 4. Aufl. Bern, Stuttgart.
Goldberg, Stephan B. / Green, Eric D. / Sander, Frank E. (1995): Dispute Resolution. Boston,
Toronto.
Goldberg, Stephan B. / Sander, Frank E. / Rogers, Nancy H. (1992): Dispute Resolution. Negotiation, Mediation, and Other Processes. Boston, Toronto, London.
Hall, Lavinia (ed.) (1993): Negotiation. Strategies for Mutual Gain. The Basis Seminar of the
Program on Negotiation at Harvard Law School. Newbury Park, Cal. 1993: Sage.
Hart, Lois B.L (1991): Learning from Conflict. A Handbook for Trainers and Group Leaders,
Amherst.
Haynes, John M. (1981): Divorce Mediation. A Practical Guide for Therapists and Counselors. New York.
Henry, James F. / Lieberman, Jethro K. (1985): The Manager’s Guide to Resolving Legal
Disputes. Better Results Without Litigation. New York.
Hoffmann-Riem, Wolfgang / Schmidt-Aßmann, Eberhard (Hrsg.) (1990): Konfliktbewältigung durch Verhandlungen. Bd. I und II. Baden-Baden.
Kahneman, D. / Slovic, P. / Tversky, A. (eds.) (1982): Judgment Under Uncertainty. Heuristics and Biases. Cambridge: Cambridge University Press.
Kahneman, D. / Tversky, A. (1973): On the Psychological of Prediction. In: Psychological
Review 80/1973, 237-251.
Kessen, Stefan (1996): Wiederverbindung der Teilsysteme. Mediation als Methode der kooperativen Konfliktlösung. In: Forum Bürgerbewegung / Ev. Akademie Brandenburg
(Hrsg.): Partizipation am Runden Tisch. Berlin.
Kressel, Kenneth / Pruitt, Dean G. (eds.) (1989): Mediation Research. The Process and Effectiveness of Third-Party Intervention. San Francisco.
© Andrea Budde (Konfliktmanagement.de), Stefan Kessen (MEDIATOR GmbH), Markus Troja (MEDIATOR GmbH)
60
Kolb, Deborah M. and Associates (1994): When Talk Works. Profiles of Mediators. San
Francisco.
Lax, David A. / Sebenius, James K. (1986): The Manager as Negotiator. Bargaining for Cooperation and Competitive Gain. New York, London.
Lewicki, Roy J. / Hiam, Alexander / Olander, Karen Wise (1998): Verhandeln mit Strategie.
Das große Handbuch der Verhandlungstechniken. St. Gallen, Zürich.
Lewicki, Roy J. / Saunders, David M. / Minton, John W. (1997): Essentials of Negotiation.
Boston, Mass..
MEDIATOR (Hrsg.) (1996): Mediation in Umweltkonflikten. Verfahren kooperativer Problemlösung in der BRD. Oldenburg.
Mills, Miriam K. (ed.) (1990): Conflict Resolution and Public Policy. Westport, CT.
Moore, Christopher (1986): The Mediation Process. Practical Strategies for Resolving Conflict. San Francisco.
Müller-Fohrbrodt, Gisela (1999): Konflikte konstruktiv bearbeiten lernen. Zielsetzungen und
Methodenvorschläge. Opladen.
Northcraft, G. B. / Neale, M. A. (1987): Experts, Amateurs, and Real Estate. An Anchoringand-Adjustment Perspective on Property Pricing Decisions. In: Organizational Behavior and Human Decision Processes, 39/1987, 84-97.
Pruitt, Dean G. (1981): Negotiation Behavior. New York.
Pruitt, Dean G. (1983): Achieving Integrative Agreements. In: Bazerman / Lewicki, 35-50.
Pruitt, Dean G. / Carnevale, Peter J. (1993): Negotiation in Social Conflict. Pacific Grove,
Cal.
Raiffa, Howard (1982): The Art and Science of Negotiation. How to Resolve Conflicts and
Get the Best Out of Bargaining. Cambridge, Mass.
Regnet, Erika (1991): Konflikte in Organisationen. Formen, Funktion und Bewältigung. Göttingen, Stuttgart.
Renn, Ortwin / Webler, Thomas / Wiedemann, Peter M. (1995): Fairness and Competence in
Citizen Participation. Evaluating Models for Environmental Discourse. Dordrecht.
Roth, Gerhard (1998): Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre
philosophischen Konsequenzen. Frankfurt/M.
Schelling, Thomas (1960): The Strategy of Conflict. Cambridge, Mass.
Schwerin, Edward W. (1995): Mediation, Citizen Empowerment, and Transformational Politics. Westport, CT.
Simon, H. A. (1955): A Behavioral Model of Rational Choice. In: The Quarterly Journal of
Economics 69/1955, 99-118.
© Andrea Budde (Konfliktmanagement.de), Stefan Kessen (MEDIATOR GmbH), Markus Troja (MEDIATOR GmbH)
61
Slovic, P. / Lichtenstein, S. (1971): Comparison of Bayesian and Regression Approaches in
the Study of Information Processing in Judgement. In: Organizational Behavior
and Human Performance, 6/1971, 649-744.
Stulberg, Jay (1981): The Theory and Practice of Mediation. A Reply to Professor Susskind.
In: Vermont Law Review 6/1981, No. 1, 85-117.
Susskind, Lawrence (1981): Environmental Mediation and the Accountability Problem. In:
Vermont Law Review 6/1981, No. 1, 1-47.
Susskind, Lawrence / Cruikshank, Jeffrey (1987): Breaking the Impasse. Consensual Approaches to Resolving Public Disputes. New York.
Susskind, Lawrence / Field, Patrick (1996): Dealing with an Angry Public. The Mutual Gains
Approach to Resolving Disputes. New York.
Tidwell, Alan C. (1998): Conflict Resolved? A Critical Assessment of Conflict Resolution.
London, New York.
Trachte-Huber, E. W. (1995): Negotiation: Strategies for Law & Business. Dallas.
Troja, Markus (1997): Zulassungsverfahren, Beschleunigungen und Mediation. Ansätze zur
Verbesserung konfliktträchtiger Verwaltungsentscheidungen im Umweltbereich.
In: Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht 3/97, 327-342.
Troja, Markus (1998): Politische Legitimität und Mediation. In: Zilleßen (1998), 77-107.
Troja, Markus (1998b): Umweltkonfliktmanagement durch Mediation. In: Damkowski, W. /
Precht, C. (Hrsg.): Moderne Verwaltung in Deutschland. Praktische Wege zum
Public Management. Stuttgart.
Troja, Markus (1998c): Umweltpolitik und moderne Ökonomik. Der Beitrag der Neuen Politischen Ökonomie und der Neuen Institutionenökonomik zur Erklärung umweltpolitischer Entscheidungsprozesse. Münster.
Tversky, A. / Kahneman, D. (1974): Judgement Under Uncertainty. Heuristics and Biases. In:
Science 185/1974, 1124-1131.
Tversky, A. / Kahneman, D. (1983): Extensional Versus Intuitive Reasoning. The Conjunction
Fallacy. In: Psychological Review 90/1983, 293-315.
Ury, William L. (1991): Getting Past No. Negotiating with Difficult People. New York.
Ury, William L. / Brett, Jeanne M. / Goldberg, Stephan B. (1988): Getting Disputes Resolved.
Designing Systems to Cut the Costs of Conflict. San Francisco.
Watzlawick, Paul / Beavin, Janet H. / Jackson, Don D. (1996): Menschliche Kommunikation.
Formen, Störungen, Paradoxien. 9. unveränd. Aufl.. Bern u.a.
Wiedemann, Peter / Kessen, Stefan (1997): Mediation. Wenn Reden nicht nur Reden ist. In:
Organisationsentwicklung 4/1997, 52-65.
© Andrea Budde (Konfliktmanagement.de), Stefan Kessen (MEDIATOR GmbH), Markus Troja (MEDIATOR GmbH)
62
Woodhouse, Tom (ed.) (1991): Peacemaking in a Troubled World. New York, Oxford: Berg.
Zilleßen, Horst (Hrsg.) (1998): Mediation. Kooperatives Konfliktmanagement in der Umweltpolitik. Opladen, Wiesbaden.
Zilleßen, Horst / Dienel, Peter C. / Strubelt, Wendelin (Hrsg.) (1993): Die Modernisierung der
Demokratie. Internationale Ansätze. Opladen.
© Andrea Budde (Konfliktmanagement.de), Stefan Kessen (MEDIATOR GmbH), Markus Troja (MEDIATOR GmbH)
63
Herunterladen