Das zeichnende Erkunden von Werken der bildenden Kunst Uli

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Das zeichnende Erkunden von Werken
der bildenden Kunst
Uli Schuster 2004
Überlegungen zu einem Aufgabentypus für die Oberstufe im Gymnasialfach Kunst
Nachzeichnungen, Überzeichnungen, Pausen, Kopien, Strukturskizzen, Anleihen, Anlehnungen, Zitate, Überarbeitungen...der zeichnenden Auseinandersetzungen mit Werken der Kunst sind im Kunstunterricht schier keine Grenzen gesetzt. Ein breiter Sektor solcher Übungen fließt ein in Prüfungsaufgaben. Solche Aufgaben lauten z.B.:
„Veranschaulichen Sie in ...(Zahl) Bleistiftskizzen den formalen Aufbau des Bildes!“
Der Sinn solcher Aufgaben ist darin zu suchen, dass im zeichnenden Erkunden von Kunstwerken ein
Verfahren gesehen wird, das im Medium des Bildes, der Zeichnung oder der Malerei etwas leistet, das
einer sprachlich-textlichen Analyse in mancher Beziehung überlegen sein kann oder diese sinnvoll zu
ergänzen vermag. Wenn es sich bei den zeichnerischen Extrakten, Auszügen, Exzerpten jedoch um
eine lesbare und kommunizierbare Bildsprache, ein „erklärendes Zeichnen“ handeln soll, dann muss
es für diese Art von Zeichnungen nach Werken der Kunst ein lehrbares Vokabular und eine visuelle
Grammatik, also eine Kompositionslehre geben.
Das „Kompositionsschema“
Geometrie als Grundlage flächiger und räumlicher Komposition
Vorbilder für Kompositionsschemata finden wir in diversen Schulbüchern. Mit einigen davon will ich
mich hier auseinandersetzen, weil Schemata dieser Art von Schülern wie Lehrern als Musterlösungen
verstanden werden könnten.
1. Beispiel:
Der alte Band Kammerlohr (1987-94) beginnt
seine Betrach-tung von
Plastik in der 1.Hälfte
des 20.Jhs mit
"La Méditerranée" von
Aristide Maillol aus dem
Jahr 1901, einer Steinfigur
von 1,14m Höhe.
Unter der fotografischen Abbildung zeigt das Buch eine Strichzeichnung mit einem "Proportionsschema" nach R. Linnenkamp. Dazu folgender Text:
a) Goldener Schnitt AB:BC=BC:AC
b) Gleichseitiges Dreieck BDE
c) Fußwinkel 70°
A, B und C sind Oberflächenpunkte; dadurch macht der Teilungspunkt B die Eigenschaft des
Goldenen Schnittes der Strecke, im Trennen zu verbinden, besonders deutlich; D liegt etwa im
Schultergelenk, E im Hüftgelenk - hier verbinden sich die Extremitäten mit dem Körper.
An dieser Darstellung wird deutlich, dass Linnenkamp das dreidimensionale Gebilde von Maillol wie
eine zweidimensionale Abbildung behandelt. Das von ihm konstruierte Dreieck BDE lässt sich in der
Abbildung in wahrer Proportion schlichtweg nicht erfassen, weil die Punkte nicht in einer Ebene liegen,
die zur Bildebene parallel sind. Der Punkt E gehört zur Hüfte, der Punkt D gehört zur Schulter und
muss bei der gegebenen Haltung näher zum Betrachter liegen. Der Punkt B hingegen gehört zum
hinteren Knie. Rechte Schulter und linkes Knie werden hier in einen Zusammenhang gebracht, der mit
der Plastik nichts zu tun hat und nur für eine Ansicht gegeben ist, wie sie die Fotografie hier liefert. Bei
jedem anderen Blickwinkel auf die Figur muss dieses Dreieck anders proportioniert sein.
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Die mit geometrischer Exaktheit
behauptete Aussage ("gleichseitiges Dreieck", "Goldener
Schnitt") steht in einem merkwürdigen Gegensatz zu der
mangelhaften Präzision, mit der
bestimmte Punkte der Figur angesteuert werden. Welche Bedeutung haben die Punkte A, B,
C für die Plastik, kann man an
dieser Stelle überhaupt eine
Gerade ziehen? Wie genau definieren die Punkte B,E,D Knie-,
Hüft- und Schultergelenk?
Kompositionsstudien wie diese halte ich für unsinnig und irreführend, weil sie einer kritischen Prüfung
nicht standhalten und Schülern ein schlechtes Vorbild sind. Die Überlagerung beider Bilder macht
sichtbar, dass Fotograf und Zeichner leicht unterschiedliche Dinge gesehen haben, was bei einem
plastischen Gebilde, vor dem man sich frei bewegen kann, kein Wunder wäre. Vielleicht hat der
Zeichner etwas weiter rechts gestanden als der Fotograf, weil er
die Brust stärker frontal wiedergibt und die Verschiebung von
Knie und aufgestelltem Bein für eine solche nach rechts verlagerte Position spricht. Die Bronzefassung des 'Mittelmeers' von 1905
(Abb. aus Grundkurs Kunst, Schroedel) ist aus einer etwas höheren Position aufgenommen und sieht die Plastik aus einem leichten Halbprofil, wodurch das linke Bein der Frau sich
-wie auch in der Zeichnung- vor das rechte Knie schiebt.
In welcher Position vor der Plastik stellt sich nun die Behauptung
eines gleichseitigen Dreiecks als wahr heraus? Solche Verschiebungen machen deutlich, dass Aussagen etwa zum "Goldenen
Schnitt" oder zu gleichen Längen ohne Vermessung am Objekt
höchst problematisch sind.
2. Beispiel
Im selben Band ist zu Runges
Generationenbild ein "Kompositionsschema" abgebildet,
das weder kom-mentiert ist,
noch einen Autor nennt (Quelle: Meisterwerke der Kunst
27/1979). Anders als bei Maillol
haben wir es hier mit einem
Gemälde zu tun. Der Zeichner
arbeitet mit einem harten, aber
etwas fahrigen Strich einige
lineare Züge des gemalten
Bildes nach und skizziert damit
die vier Per-sonen und etwas
weniger deut-lich auch die
Pflanzen des Vor-dergrunds
und die Landschaft im Hintergrund. Mit einigen fett und linealgerade gezogen Linien arbeitet er drei Richtungen heraus: Die vertikalen Achsen der vier stehenden Figuren und die vertikalen
Begrenzungen des Gebäudes im Hintergrund der Personen, zwei kurze horizontale Linien und sechs
parallele diagonal verlaufende Linien. Ganz offensichtlich geht es dem Zeichner hier nicht um feine
Differenzen in den Abweichungen von solcher exakten Geometrie. Vielmehr scheint es, dass die
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"Bildgeometrie" auf einen möglichst einfachen Nenner gebracht und damit verdeutlicht werden soll.
Dabei differiert schon der Bildausschnitt in der Höhe mit dem dargestellten Format der Zeichnung.
Hat der Buchbinder etwa Runges Komposition korrigiert? Die hier dargestellten Achsen sind in der
Mehrzahl dem Bild nicht direkt entnommen, sondern hineingedacht. Andere Linien, die im Bild direkt
gegeben sind, wie beispielsweise der Stock des Vaters, die Stengel der Pflanzen, finden nur ganz
untergeordnet Beachtung. Damit entgeht dem Zeichner auch beispielsweise eine "Parallelität" von
eben diesem Stock mit einem Schiffsmasten im Hintergrund. Indem der Zeichner den Kindern die
gleich fetten, vertikalen Achsen zuweist wie den Eltern, deckt er zu, dass eben die Kinder in subtiler
Abweichung vom "Gleichschritt" der Eltern, in ihren Haltungen und der Ausrichtung ihrer Körper und
Blickachsen abweichen vom Muster, das die beiden Alten ihnen vorgeben und das sie, auf den ersten
Blick betrachtet, in der Stufung ihrer Körpergrößen reproduzieren.
Wie fett und selbstbewusst diese "Kompositionslinien" auch immer daherkommen, sie verdeutlichen
bestenfalls einen möglichen Aspekt aus Runges Bild und stellen keineswegs „die Komposition“ dar.
Wenn man es also vorher auch schon geahnt haben mag: Es gibt durchaus verschiedene Möglichkeiten kompositionelle Ordnung in Runges Bild festzustellen. Ein sogenanntes Kompositionsschema
behauptet, dass ein Bild oder eine Plastik auf einen einfachen geometrischen Nenner gebracht
werden kann. Und diese Behauptung ist für die weitaus größte Zahl von Bildern unsinnig.
3. Beispiel
Barbara Pfeuffers Abiturtraining aus dem Stark Verlag ist zwar kein Schulbuch, aber für manche Abiturienten amtlicher als der Rat des eigenen Lehrers. Zur "Kompositionsskizze" kann man bei ihr folgendes nachlesen:
"In einer Kompositionsskizze sollen markante Linien und Flächen angegeben werden." Wenn
man sich dann ansieht, was sie unter Kompositionsskizze versteht, dann wird deutlich, dass es sich
um eine Art Kompositionsschema handelt.
Um Abweichungen von der Reproduktion zu vermeiden werden die Linien und Flächen (sehr geometrisch und linealig auch in den Kurven) direkt in die Reproduktion hineingezeichnet. Zwei Sorten von
Linien werden sehr sinnvoll unterschieden: Gedachte und ausgesprochene Linien. Die "gedachten"
stellt sie manchmal gestrichelt dar, manchmal aber auch nur dünn, oder, wie etwa bei Frau Monets
'Dreieck', sowohl als auch. Die "ausgesprochenen" sind durchgezogen, und manchmal auch in der
Strichstärke unterschieden. "Kompositionsskizzen" dieser Art lassen sich am leichtesten herstellen
durch Pausen. Man legt ein Transparentpapier über die Reproduktion und zieht die "ausgesprochenen" Linien nach. Weil sie ja schon da sind, eine eher einfache Übung. Eine ganze Anzahl von Linien
kommt da zusammen, die der Kommentierung bedürften, wenn ihr Sinn verstanden werden soll, die
aber die Komposition durchaus nicht im Sinn einer Analyse in ihre Bestandteile zerlegen, sondern
Geometrie über das Bild stülpen oder vielfach nur die Linien der Vorlage nachziehen. Manche dieser Schemata enthalten dazu auch Flächen, die durch Schraffuren gekennzeichnet sind.
Welche Elemente einer Komposition lassen sich auf solche Weise in einem Schema darstellen?
Reicht es aus, wenn eine Komposition in einer derartigen Skizze verdeutlicht wird? Lässt sich ein derartiges Schema ohne Begleittext überhaupt beurteilen? Worin besteht die zeichnerische oder analytische Leistung beim Abpausen oder Abzeichnen einer Drucksache? Welche Elemente einer Komposition sind so schlichtweg nicht darstellbar?
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1. Alternative: Zeichnendes Erkunden von Malerei
Ich möchte dieser Art von „Kompositionsschema“
eine andere Art der Kompositionsanalyse gegenüberstellen, die vielleicht in mancher Hinsicht
ähnlich aussieht, aber in einem zentralen Punkt
sich doch unterscheidet. Mir schwebt ein zeichnendes Erkunden der Komposition vor, bei dem
wesentliche Bestandteile in der Organisation der
Bildfläche, des Bildraums, der Farbe und, sofern vorhanden, der Bildgegenstände in je-weils
separaten Skizzen, Studien, Diagrammen exzerpiert werden. Das erfordert schon im An-satz eine
Vielzahl von Einzeldarstellungen, von denen
manche das ganze Bild betreffen, einige aber
auch einen Ausschnitt herausgreifen, man-che mit
schlichten Linien auskommen, andere ein Helldunkel oder Farbe brauchen. Wie viele davon
notwendig sind, kann nur der jeweilige Bearbeiter
entscheiden. Die meisten Exzerpte sind mit einer
knappen Legende, oder einem Titel zu versehen,
zu anderen werden Beobachtungen notiert, die
dann bei der schriftlichen Zusammenfassung
ausformuliert werden müssen. Bei einer derartigen Untersuchung muss an einigen Stellen auch
gemessen werden, aber eine Darstellung mit
Lineal, Zirkel und Kurvenlineal scheint in einem
solchen Arbeitsgang eher abwegig. Skizzen, Studien und Diagramme zu einer Komposition sollen
demnach nicht nur „markante Linien“ und Flächen angeben, sondern können eine Vielzahl von Einzelaspekten einer Komposition isolieren (siehe Checkliste zur Kompositionsanalyse von Gemälden) und im
Medium des Bildes selber veran-schaulichen. Mit
der Wahl der exzerpierten Einzelaspekte kann
der Schüler zeigen, ob er wesentliches an einer
Komposition erfasst, oder ob er ein Pflichtprogramm absolviert.
Die zeichnerische Herausforderung für den Schüler liegt im Isolieren von kompositori-schen
Einzelaspekten, im Erfinden einer Form der
Veranschaulichung eines bildnerischen Sachverhalts oder im Übertragen und Anwen-den
einer gelernten Formel auf ein neues Objekt.
In der Tat lässt sich eine ganze Anzahl solcher
Formeln benennen und einüben, kann der Lehrer
aber beurteilen, ob der Schüler das eingeübte
Repertoire beherrscht, in welchem Umfang er es
anwenden kann und wie souverän er im gegebenen Fall eine Formel variiert.
2. Alternative
Zeichnendes Erkunden von Plastik
Beispiel für eine Schulaufgabe aus dem Lernbereich Plastik mit Erwartungshorizont
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Bildvergleich: Apoll - Jason
Schulaufgabe
Kombinierte Aufgabe mit schriftlich-theoretischem Schwerpunkt und praktischem Ergänzungsteil.
Lernbereich Plastik im 19.Jh, vergleichende Bildbetrachtung;
Gegeben sind in Abbildungen:
Apoll (Rom, vatikanische Museen, Marmor, Höhe 2.24m);
Jason (Kopenhagen, Marmor, Höhe 2.42m)
Zeit: 3 UE
Aufgaben:
1. Erster Eindruck
Bei der geistigen Auseinandersetzung mit Bildern spielen subjektive Momente eine nicht
unwesentliche Rolle. Formulieren Sie Anmutungen, Assoziationen, Einschätzungen bezogen auf den Vergleich der beiden Standbilder.
Schülerantworten (auszugsweise)
"Auf den ersten Blick gefällt mir die linke Skulptur bedeutend besser. Sie hat ein auffallend schönes
Gesicht, das auch an einer Frau nicht hässlich wäre. Der seltsame Knoten auf dem Kopf lässt mich
ein wenig an eine Waschweiberfrisur denken...Der andere hat in seiner Pose etwas aufreizendes:
"Schaut, hier bin ich, und wie schön ich bin. Hat er sich etwa extra für uns ausgezogen? Weniger
nackt kommt mir der erste vor, weil er seine Nacktheit nicht so präsentiert..."
"Leichtfüßig, ja fast schon schwebend steht diese Figur auf ihrem Sockel. Der sanfte Blick ist gleichzeitig auch von pathetischem Ernst erfüllt. Der Umhang windet sich mit der Leichtigkeit eines feinen
Seidenschleiers um den ausgestreckten linken Arm; die kurze und kräftige Haarpracht kräuselt sich
sanft. Die Schwere und Massivität der Figur und die Leichtigkeit und Sanftheit der Bewegungen konfundieren hier zu einer paradoxen Harmonie.
Behende, aber doch kraftvoll wirkt dagegen der andere, im Stand verspielt, aber doch solide, die Haltung ist bewegt genug um die Figur nicht wie einen unbeweglichen Klotz wirken zu lassen. Der strenge, souveräne Seitenblick findet adäquaten Rückhalt in der griffbereiten Lanze, das schwere Fell hält
er schildartig vor sich. Ich kann das Gewicht beim bloßen Ansehen spüren. Es ist die Ruhe vor dem
Sturm, der mit Alarmbereitschaft, doch ohne Furcht erwartet wird. Diese Figur wirkt massiger, mächtiger als die zuerst beschriebene; sie wirkt auf mich nicht wie die Inkarnation sanftmütiger Schönheit,
sondern eher wie ein Bild der Stärke und Standhaftigkeit."
"Zunächst einmal scheinen mir beide Figuren ziemlich ähnlich, aber in den Details erkenne ich deutliche Unterschiede. Die Figur des Apoll sieht für mich aus wie amputiert, während der andere komplett
und perfekt ist. Trotz oder vielleicht wegen der Schäden sieht der Apoll sehr leicht aus. Lässig hängt
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sein Umhang über dem vielleicht deutenden Arm. Sein Kinn hebt er leicht an, bereit jemand zu tadeln.
Hier steht ein Gott vor Dir, sagt mir seine Haltung, und ich komme, um nach dem rechten zu sehen.
Luftig, leicht, wie gerade erst gelandet, schwebt er scheinbar über dem Boden. Er flößt Respekt ein,
aber man muss ihn nicht fürchten. Was tun seine nicht vorhandenen Hände? Weiß er von der Schlange, die sich am Baumstumpf neben ihm hochschlängelt? Warum beachtet er sie nicht? Im Vergleich
dazu finde ich den Jason viel irdischer. Er schreitet fest, fast niedergedrückt vom Gewicht seiner spärlichen militärischen Ausrüstung. Suchend blickt er über seine Schulter. Vermisst er jemand? Sieht er
seine Vergangenheit? Er läuft gerade auf mich zu und ich sollte besser ausweichen, weil er mich nicht
sieht. Der Apoll präsentiert sich eher. Das über seinem Arm liegende Tuch ist leicht. Dagegen scheint
mir der Jason greifbarer und das Ziegenfell lastet schwer auf seinem Arm. Die Waffen erscheinen
mehr als Zierde denn als Tötungsinstrumente und auch der Helm bietet dem nackten Körper wenig
Schutz. Was immer er sieht, es scheint ihn vom Vorwärtsgehen nicht abzuhalten, von mir nimmt er
keine Notiz. Der Apoll hingegen schaut über mich hinweg, herablassend und wie absichtlich."
Erwartungen:
Erster Eindruck; Anmutungen, Assoziationen, Einschätzungen in subjektiver, vergleichender Form
dargestellt, bezogen auf beide Standbilder/Vorlagen. Auffälligkeiten werden thesenartig, provokativ
angesprochen und sollen bereits Aufhänger für die eingehende Beschreibung, Analyse und Interpretation liefern. Mögliche Aufhänger: Haltungen, Handlungsaspekt, Nacktheit, Ausstattung, fotografische
Präsentation.
Max: 10 BE von 60
2. Vergleichende Beschreibung
a) Für die Beschreibung von Haltung und Bewegungsausdruck fertigen Sie zunächst
zeichnerische Studien von vernünftiger Größe, die Proportionen, Gliederung, Achsensysteme, Bewegungsrichtungen beider Figuren erfassen.
b) Formulieren Sie sodann in Worten die hierbei gemachten Erkenntnisse in einer vergleichenden Beschreibung.
Schülerantworten (auszugsweise)
Haltung, Bewegung
"Bei der Betrachtung der Achsensysteme beider Plastiken verschwindet die große Ähnlichkeit zunehmend, die man im ersten Eindruck erhält. Jason zeigt uns sein Profil, Apoll lässt sich im Halbprofil
betrachten. Apoll ist uns mit seiner linken Schulter zugewandt und nimmt die rechte- leicht zurück,
während Jasons Körper völlig frontal zu uns gerichtet ist. Erst in der Hüfte setzt bei ihm die Bewegung
an, das Becken kippt leicht und die Beine stehen in Schrittstellung und gewinkelt. Das rechte Bein
steht als Standbein fest auf dem Boden während das linke nach hinten gestellt ist, in der Bewegung
wie im Winkel mit der Schrägstellung der Hüfte korrespondiert und nur noch mit den Zehen den Boden
berührt.
Beim Apoll kippt die Hüfte eher nach rechts unten obwohl auch bei ihm das rechte Bein als Standbein
fungiert und das linke, wie seitlich ausgestellt, die Balance hält. Auf einen Nenner gebracht bewegt
sich Jason nach vorn während sich der Apoll eher in einer Drehbewegung befindet. Das Gewicht liegt
bei beiden Figuren auf dem rechten Bein, der körperliche Schwerpunkt im Becken (blauer Kreis). Beim
Apoll schwingt die vertikale Achse in einer flachen S-Kurve, die in horizontaler Richtung von einer
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durch Arme und Schultern gebildeten S-Kurve gekreuzt wird (blau).
Über die Oberkörper beider Plastiken zieht sich ein diagonales Band,
bei Jason erkennbar als Träger für
das Schwert.
Die Blickrichtungen unterscheiden
sich: Apoll blickt schweifend in die
Ferne, aber er hat den Betrachter
noch im Blickfeld; Jason wendet den
Kopf sehr scharf nach links eher auf
ein bestimmtes Ziel gerichtet und
den Betrachter missachtend.
Beide Standbilder stehen auf einem
flachen Sockel (Plinthe), die beim
Apoll rund ist und somit die Drehbewegung verstärkt, während sie beim
Jason rechteckig ist und damit die Vorwärtsbewegung des Körpers ebenso aufnimmt wie die seitliche
Drehung des Kopfs."
Proportionen
"Beide Bildhauer haben ihre Figuren über lebensgroß dimensioniert. Der Jason würde den Apoll noch
um Haupteslänge überragen. Aber beide Figuren sind im wesentlichen gleich proportioniert mit 10
Kopflängen auf die gesamte Körperhöhe, aber Jason wirkt körperlich stabiler, massiger, schwerer.
Daran mögen auch die Stützen ihren Anteil haben, der Baumstumpf mit dem übergeworfenen Mantel
und der Eisenträger, der das Fell abstützt."
Erwartungen:
Vergleichende Beschreibung Mindestens 2 zeichnerische Studien in ausreichender Größe um Proportionen, Gliederung, Achsensysteme, Bewegungsrichtungen beider Figuren zu erfassen. Im Zentrum der Darstellung steht die proportionierte und haltungsbezogene Darstellung der Körperachsen.
Bewegungsrichtungen können mit Hilfe von Richtungspfeilen aufgezeigt werden. Der Einsatz von
Farbe kann die Darstellung verdeutlichen. Geachtet wird auf eine balancierte Figur, deren Ausrichtung
beispielsweise durch ein Lot und die Angabe eines Schwerpunktes erreicht werden kann.
Max: 10 BE von 60
Vergleichende Beschreibung Verbale Zusammenfassung der Erkenntnisse aus der Studie. Die Darstellung soll Bezug nehmen auf Proportionen, Gliederung, Achsensysteme, Bewegungsrichtungen
beider Figuren. Dabei kommen auch Wirkungen zur Sprache.
Max: 15 BE von 60
3. Interpretierende Rekonstruktion
Sie haben es hier zu tun mit einer antiken und einer klassizistischen Plastik, einer vollständigen und einer verstümmelten. Dabei könnte die Vollständige eine Ergänzung sein und die Verstümmelte ein Nonfinito, wie man es seit Michelangelo und verstärkt aus dem 19.Jh kennt.
a) Denken Sie bei beiden Standbildern über den Originalzustand nach und formulieren Sie Argumente, die für oder gegen ein Original
sprechen und dabei zeitliche, materielle
und stilistische Einschätzungen beinhalten.
b) Versuchen Sie sich sodann in einer
zeichnerischen Rekonstruktion, die den
von Ihnen vermuteten Originalzustand
sichtbar macht. (Größe etwa 1:1 zur Abbildung) Vergrößernde Details der vorgenommenen Veränderungen könnten sinnvoll sein.
Schülerantworten (auszugsweise)
"Beim Jason kann man von einem Original
ausgehen. Das Motiv ist wohl einem antiken
Werk nachempfunden, aber man merkt deutlich die klassizistischen Einflüsse, die Feinheit der Details und eine schwer zu beschreibende Realistik
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gegenüber dem Apoll. Fell und Tuch sind sehr weich und sanft gearbeitet und scheinen mir nicht so
ins antike Ideal zu passen. Der Apoll ist eher antik. Die Falten des Umhangs sind scharf, der Stein
zeigt an den Beinen Spuren von Verwitterung. Da er aus Marmor gearbeitet ist, könnte er eine römische Kopie einer antiken Bronze sein. Nur die Römer waren so geschickt und verrückt, solche raumgreifenden und dünnbeinigen Figuren in Marmor zu arbeiten, mussten allerdings der Statik wegen für
Verstärkung an den Beinen (Baumstamm) sorgen. Die Figur könnte ganz gut ohne diesen Baumstamm auskommen, allerdings fehlte dann die Schlange, die vielleicht für den Mann bezeichnend ist.
Wahrscheinlich war die Figur einst komplett mit Armen etc., denn man sieht ganz deutlich die Löcher
in den Armen, die wohl für Bolzen gedacht waren, mit denen die Unterarme angesteckt waren. Bei
einem Nonfinito ergäbe das keinen Sinn. Bei einer derartig weitausgreifenden Figur wäre ein riesiger
Stein notwendig gewesen, wollte man sie aus einem Stück fertigen. Der Apoll wurde vielleicht mal von
Christen in einen Adam umgearbeitet und hat dabei ein Blatt vor die Scham erhalten sowie eine
Schlange an den Baum. Die Schlange sieht aus, als ob sie aus dem fertigen Baumstamm gehauen
wurde und daher nur sehr flach an ihm klebt. Für Römer und Griechen wäre es sehr ungewöhnlich,
wenn sie ihre Jünglinge verhüllt präsentiert hätten. Damals musste noch alles dran und zu sehen sein.
Die Christen fanden die Statue dann wohl zu schön um sie zu zerstören und änderten sie einfach vom
heidnischen und mit seinem Körper prahlenden Gott in einen braven Adam um. Vielleicht haben sie
bei der Gelegenheit auch seinen linken Arm abgenommen und gegen einen Arm mit Apfel ausgetauscht. Wer weiß?"
Erwartungen:
Interpretierende Rekonstruktion Formulieren von Argumenten, die für oder gegen ein
Original sprechen und dabei zeitliche, materielle und stilistische Einschätzungen beinhalten.
Unterschiedliche körperliche Präsenz, Idealisierung, Glättung; Diskussion des Materials Marmor und
der Größe und raumgreifenden Haltung der Figur in Bezug auf die Alternative Bronze; Berücksichtigung des Aufstellungsortes; Einschätzung der Bruchstellen, Dübellöcher; Einschätzung der diversen
Stützen, Baumstümpfe, Eisen, Unterfütterung des Fußes; Kenntnisse aus dem Buch und dem Unterricht; Stichhaltigkeit der Argumentation, was die zeitliche, materielle und stilistische Einschätzungen
betrifft.
Max: 15 BE von 60
Zeichnerische Rekonstruktion Fähigkeit zur zeichnerischen Ergänzung einer Haltung
(Größe etwa 1:1 zur Abbildung). Vergrößernde Details der vorgenommenen Veränderungen könnten
sinnvoll sein.
Max: 10 BE von 60
Anhang: Wie sahen die Alten das Problem der Ergänzung?
"Apoll vom Belvedere"
Abbildung zu finden in: Stuttgarter Mappe Nr.43 von 1995
von Leochares um 300 v. Chr.
röm. Kopie 120 n.Chr.
Marmor, Höhe 224 cm
Rom, Vatikanische Museen
"Die Statue des Apollo ist das Höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Altertums, welche der
Zerstörung entgangen sind."
Diese Aussage Winckelmanns zeigt, dass er den Apoll vom Belvedere zunächst noch für ein antikes
Original hielt. Damals sah das Standbild so aus. Die Figur war allem Anschein nach im 14. Jh. aufgefunden worden. Sie kam in Besitz des kunstverständigen Kardinals, der als Julius II. Papst wurde und
die Statue 1503 in den Belvedere bringen ließ, wo auf seine Veranlassung eine der ersten Antikensammlungen entstand. Die fehlenden Unterarme und Hände wurden schon 1532 von Giovanni Angelo
da Montorsoli ergänzt und erst 1924 wieder abgenommen. Die meisten Kopien, Zeichnungen, Grafiken, die in diesem Zeitraum vom Apoll gemacht wurden, kennen ihn in diesen Ergänzungen. 1797 traf
der dänische Bildhauer Bertel Thorvaldsen im Alter von 27 Jahren in Rom ein.
Das Erlebnis der 'ewigen Stadt' beschreibt er mit den begeisterten Worten: "Bis dahin habe ich gar
nicht gelebt". Er bleibt dort mit Unterbrechungen 40 Jahre. Sein erstes bedeutendes Werk dort wird
der Jason, 1803 ist das Tonmodell fertig, bis 1828 arbeitet er an dem Marmor. Das Standbild steht
heute im Thorvaldsen Museum in Kopenhagen. Auf seinem Feldzug nach Italien fällt Napoleons Revolutionstruppen die Plastik in die Hände. In zahllosen Kopien hatte man seit dem 17.Jh diese Plastik
kopieren und nach Frankreich bringen lassen. Nun ließ Napoleon das Original in sein Musée
Napoléon (den Louvre) bringen. Die französischen Künstler sollten in Zukunft nicht mehr nach Rom
pilgern müssen, um dort das Ideal der Kunst zu studieren. Die Welt würde nach Paris kommen. Heute
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glaubt man, dass der Apoll in seiner Linken einen Bogen hielt und in der Rechten einen Pfeil. Der
Baumstamm wurde der Marmorko-pie von den Römern als Stütze beigegeben und inter-pretiert die
Figur als einen „Apollo Pythius“, den Gott mit der Python. Den Köcher auf seinem Rücken sieht man in
unserer Abbildung nicht. Die älteste Nachbildung des Apoll stammt aus der Renaissance von Pier
Jacopo Alari Bonacolsi, genannt Antico, und übersetzt
den Apoll wieder zurück in
eine Bronze. Antico hält sich
an die Rekonstruktionen von
Montorsoli, lässt aber den
Baumstumpf weg, weil er ihn
für die Bronze nicht benötigt.
Der Maler Hubert Robert hat
1796 eine romantische Ansicht des Louvre gemalt. Sie
zeigt die Grande Galerie als
Ruine Anarchie und Zerstörung haben Einzug gehalten,
das Dach ist zusammengebrochen und der Himmel
scheint durch. Im Hintergrund
kochen zwei Frauen auf einer offenen Feuerstelle Suppe. Vorne rechts Michelangelos gefesselter
Sklave und inmitten der Szene unter einem heil gebliebenen Bogen triumphiert der Apoll vom Belvedere. Vor ihm sitzt ein junger Student der Künste mit einem Zeichenblock und studiert die Antike.
"Reiche und Herrscher mögen vergehn
aber Apoll - er bleibt immer besteh'n"
Zur Methodik des Bildvergleichs
Der Aufgabentypus „Vergleichende Analyse und Interpretation“ gehört seit Jahren zu den festen Bestandteilen der Abiturprüfung und muss im Leistungskurs eingeübt werden. Auch im Grundkurs sind
kombinierte Aufgaben dieses Typus vorstellbar. Im Prinzip gleichen die Bestandteile des Bildvergleichs denen des Aufgabentyps „Analyse und Interpretation“. Gefragt ist in der Regel nach einem
ersten Eindruck, nach einer Beschreibung, nach einer zergliedernden Untersuchung mit zeichnerischen und schriftlich-verbalen Mitteln sowie Interpretationsansätzen. Die vergleichende Betrachtung
macht wenig Sinn, wenn der Schüler dazu angehalten wird die zum Vergleich stehenden Objekte
nacheinander und getrennt abzuhandeln. Sowohl der erste Eindruck als auch die Beschreibung und
letztlich die Interpretation sollten stets unter dem Vergleichsgesichtspunkt erfolgen. Für die Beschreibung bedeutet dies beispielsweise, dass zunächst Vergleichsgesichtspunkte zu formulieren sind
und danach beide Vorlagen vergleichend darauf zu beziehen sind:
Beispiel:
Vergleichsgesichtspunkt Objektgröße
In der Regel sind die Objekte den Schülern in fotografischen Abbildungen gegeben. In diesem Fall
erscheint es unbedingt notwendig eine Angabe zu Material und Größe mitzuliefern, schließlich darf
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beim Vergleich von Igel und Hase nicht unerwähnt bleiben, dass der Hase mit jedem Sprung seiner
langen Läufe ein vielfaches der Körperlänge des trippelnden Igels zurücklegt. Nur in Anbetracht dieses Missverhältnisses erklärt sich die Komik im Vergleich des ungleichen Läuferpaares.
Die zeichnerische Untersuchung plastischer Objekte, die den Schülern nur als Foto vorliegen, kann
sich z.B. beziehen auf ihre Gliederung in Teilkörper und deren Masse(Volumina) oder Maße (Proportionen), auf ihre als Achsensystem darstellbare Haltung, eventuell auch auf Oberflächenqualitäten des Materials. Wie die Schülerzeichnungen zeigen, lassen sich Gewichte oder Bewegungsrichtungen mit Hilfe von Pfeilen kennzeichnen, kann der Versuch einer Rekonstruktion anderer Ansichten
(Grundriss, Seitenansicht) bestimmte Überlegungen anstoßen, kann mit Farbe verdeutlicht werden,
wo ein Vergleich angesetzt wird. Die zeichnerische Untersuchung soll Einzelaspekte aus dem Gesamtzusammenhang lösen, was eine bloße Nachzeichnung nicht leistet. Zur Verdeutlichung einzelner Aspekte mag eine zeichnerische Akzentuierung bis hin zur übertreibenden Verdeutlichung angebracht sein. Sogenannte „Kompositionsskizzen, die eine Vielzahl unterschiedlicher Aspekte in einer
Darstellung zeigen, sind in der Regel eher verwirrend als erhellend und werden der Anforderung an
eine „Analyse“ nicht gerecht. Zeichnerische Untersuchung ist keine wortfeindliche Methode. Im Gegenteil sollten sie durch eine Legende ergänzt werden. Eine solche Legende macht jedoch schriftliche Erläuterungen in ganzen Sätzen nicht überflüssig.
„Erster Eindruck“ ist ein fester methodischer Bestandteil einer vergleichenden Analyse und Interpretation. Den Schülern muss vermittelt werden, dass hier eine subjektive und assoziative Annäherung
gemeint ist. Die subjektive Sicht unterscheidet sich auch in der Wortwahl der zu bildenden Sätze klar
von der Beschreibung, die eine sachliche Betrachtung erfordert. „Das kommt mir vor wie...erinnert
mich an..., steht im Gegensatz zu Aussagen wie: „Die Falten des Umhangs sind scharf, der Stein
zeigt an den Beinen Spuren von Verwitterung. Da er aus Marmor gearbeitet ist, könnte er eine römische Kopie einer antiken Bronze sein..“
Literatur / Quellen
Abbildungen:
Apoll: Abbildung zu finden in Stuttgarter Mappen Nr.43 von 1995
Jason: Abbildung zu finden in „Vom Klassizismus zum Impressionismus, Nerdinger, 1980, S.30
"Bilder nach Bildern", Ausstellungskatalog des westfäl. Landesmuseums Münster 1976, Aufsatz über
die Rezeptionsgeschichte des Apoll vom Belvedere
"Skulptur", Taschen 1996
Führer der vatikanischen Museen, 1986
http://mulzer-hh.de/Faszinierende%20Antike/Fotoausstellung/der%20apoll%20vom%20belvedere%20.htm
Eine Fotoausstellung präsentiert antike Statuen
http://www.phil.uni-erlangen.de/~p1altar/ausstellung_html/lindenau/lindenau_1.html
"Nur Gips ?" Die Gipsabguss-Sammlung des Lindenau-Museums in Altenburg unter Mithilfe der Antikensammlung Erlangen
Zur Geschichte von Gipsabgußsammlungen
http://www.kusem.de\lk\plastik\plaset.htm
Internetseite des Autors zu Grundsätzen figürlicher Plastik
http://www.kusem.de\lk\plastik\david\davset.htm
Internetseite des Autors zum Thema „Dreimal David: Drei Standbilder aus drei Jahrhunderten im Vergleich“
http://www.kusem.de\lk\plastik\apoll\apolset.htm
Internetseite des Autors zum Bildvergleich: Apoll - Jason
3. Alternative
Zeichnendes Erkunden von Architektur
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Beispiel Architektur
Das Herausarbeiten von Strukturmerkmalen der Architektur, die Rekonstruktion von Grundrissen nach
fotografischen Gebäudeansichten oder umgekehrt von Schrägbildern nach gegebenen Grundrissen,
Vorschläge für Umbauten einer Fassade, für den Entwurf eines Dachs oder anderer Anbauten an ein
bestehendes Gebäude stellen ein Repertoire zeichnerischer Auseinandersetzung mit architektonischen Problemen dar. Ein Beispiel für eine derartige Aufgabenstellung ist die folgende Klausur aus
einem Leistungskurs, die modifiziert auch in einem Grundkurs denkbar wäre.
Kombinierte Aufgabe mit praktischem Schwerpunkt
Lernbereich Architektur, Bühnenbild, Perspektive
Gegeben ist ein bühnenartiger Architekturprospekt von G.G. Bibiena (18. Jh.)
Zeit: 3x45 Min
Die Darstellung enthält eine fiktive Architektur (möglicherweise einen Entwurf für ein Bühnenbild) mit der Innenansicht eines Gebäudes in einem Eingangs/Aufgangsbereich mit verschiedenen portalartigen
Durchbrüchen in mehrere aufeinanderfolgende Raumzonen und Galerien auf mehreren Etagen.
Aufgabe 1
a) Rekonstruiere zeichnerisch möglichst genau und
direkt auf die Vorlage die Elemente der perspektivischen Darstellung in dem gegebenen Bild und fasse
das Ergebnis verbal in einigen beschreibenden Sätzen
zusammen!
b) Fertige unter Verwendung der gewonnenen perspektivischen Struktur eine verkleinernde Nachzeichnung an
(Vorschlag: ½ Kantenlänge aber keinesfalls kleiner!),
die die Vorlage von ornamentalen Elementen und Figuren befreit, aber die architektonische Situation noch
detailliert und gut erkennbar wiedergeben.
c) Mit Hilfe von transparentem Papier lassen sich von
dieser Studie nun Auszüge herstellen, die die Architektur in veränderbare Rohzustände zurückführen.
Fertige mehrere (mindestens zwei) solcher Auszüge an.
Die den räumlichen Bestand auf einfachere, stereometrische Formen reduzieren, aber die perspektivische
Situation bestehen lassen. Arbeite in diesen Auszügen
die plastischen Verhältnisse mit Hilfe von Helldunkel (Bleistift, Tuschelavierung oder Wasserfarbe
direkt auf Transparentpapier) deutlich heraus!
4. Alternative
Zeichnendes Erkunden von Film/Video
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Auch auf den Bereich der Filmanalyse ist die Methode des zeichnerischen Erkundens sinnvoll anzuwenden. Beispiel: Eine kurze filmische Szene wird den Schülern zunächst zweimal nacheinander vorgeführt und soll dann Einstellung für Einstellung in kleinen Skizzen gleichsam als Pictureboard festgehalten werden. Jede Einstellung wird dazu in einem charakteristischen Bild für ca. 5 Minuten gezeigt.
Das rasche Er-fassen
wesentlicher Bildinhalte
ist gefordert. Am Ende
der 10 bis 15 Einstellungen lässt man die Szene
noch einmal ablaufen.
Bildachsen, die Dynamik
von Bewegungsrichtungen im Bild
und durch die Kamera
soll dokumentiert und
analysiert werden. Die
Schüler arbeiten auf
einem vorgegebenen
Raster mit Bildfenstern
und ausreichend Platz
für Kommentare. Für
einzelne Einstellungen,
hier z.B. für E7, würde
es sich auch anbieten,
die Aufnahmesituation
am Drehort als Grundriss
rekonstruieren zu lassen.
Grenzen der Methode
Ein zeichnendes Erkunden von Werken der bildenden Kunst stößt an diverse methodische Grenzen.
Untersuchungen des formalen Bestands von Bildwerken gehen davon aus, dass über die Erkundung
der Form Inhalte erschlossen werden können. Ein derartiges Werkverständnis, das eine Einheit von
Form und Inhalt postuliert, hat in der Moderne ganz erheblich gelitten zugunsten eines Werkverständnisses, das zunehmend auf den „Kontext“ des einzelnen Artefakts reflektiert. Im Extremfall, etwa bei
minimalistischen Werken, bei Relikten einer prozesshaften oder performativen Kunst, einer Objektkunst (Ready-Made oder Objet trouvè) oder bei Relikten von dekonstruktiven und zufallsgeleiteten
Prozessen, würde eine formale Untersuchung ein möglicherweise absurdes Szenario aufbauen.
In der Regel liegen die zu erkundenden Werke den Schülern als Drucksachen vor. Man hat schon
erlebt, dass durch die Reproduktion verfälschte Farben, Seitenverkehrungen oder Ausschnitte vorkamen. Damit wird man im Kunstunterricht leben müssen. Wenn allerdings eine Reproduktion wegen
ihrer extremen Verkleinerung (Beispiel: Seurats ‚Grande Jatte‘) über den Duktus und die Malweise nur
noch Spekulationen zulässt, oder eine Collage von Matisse nicht mehr als solche erkenntlich ist, dann
sind auch dem zeichnerisch/malerischen Erkunden Grenzen gesetzt, weil es um das ‚Erforschen von
Qualitäten‘ geht, die dem Prozess der Reproduktion zum Opfer gefallen sind und am vorliegenden
Bildmaterial nicht mehr sichtbar sind. Aufgaben wie: Spüren Sie dem malerischen Duktus von... (Autor) in einer farblichen Studie nach“ erfordern redlicher Weise ein zumindest annähernd maßstäbliches
Arbeiten in einem analogen Malmaterial. Bei dreidimensionalen Kunstwerken sollten dem Schüler
nach Möglichkeit mehrere Ansichten des Objekts angeboten werden.
Literatur:
Mehr über den Einsatz digitaler Bildverarbeitung zum Zweck der Kompositionsanalyse liefert eine
Seite beim Bund Deutscher Kunsterzieher BDK
http://www.BundDeutscherKunsterzieher.de/joinmm/nutz-start.htm
Beispielsammlung des Autors für das Zeichnerische Erkunden von Bildern im Zusammenhang von
Kompositionsanalysen
http://www.kusem.de/lk/komp2/kompo2.htm
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