2.9 Geschichte in den audiovisuellen Quellen

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070189 VO+UE Mediengeschichte und –analyse
Skriptum A. Hecht / Fernsehentwicklung
1
2
Film .................................................................................................................................... 2
1.1
„Vorgeschichte“: Bewegte Bilder und ihre Faszination für die Menschen ............... 2
1.2
Die Entwicklung des Films ........................................................................................ 2
1.2.1
Physiologische Grundlagen und technische Voraussetzungen .......................... 3
1.2.2
Der Tonfilm ........................................................................................................ 4
1.2.3
Farbe und Breitwand .......................................................................................... 5
Fernsehen ........................................................................................................................... 7
2.1
Zur Begriffsgeschichte ............................................................................................... 8
2.2
Von den Anfängen ..................................................................................................... 8
2.3
Mechanisches vs. Elektronisches Fernsehen .............................................................. 9
2.4
Die Institutionalisierung des Fernsehens .................................................................. 11
2.4.1
Farb-Fernsehen ................................................................................................. 12
2.4.2
Satellitenfernsehen ........................................................................................... 13
2.4.3
Kabelfernsehen ................................................................................................. 14
2.4.4
Das technische Umfeld für Fernsehen heute .................................................... 14
2.5
Medientypen des Fernsehens ................................................................................... 16
2.5.1
Non – Fiction .................................................................................................... 16
2.5.2
Fiction und die Frage nach der Seriosität im Fernsehen .................................. 21
2.6
Der nicht-öffentliche Bereich ................................................................................... 26
2.7
„public access“ durch die digitale Revolution – Zwischenstand einer Diskussion.. 28
2.7.1
3
1
Die technischen Herausforderungen ................................................................ 28
2.8
Die „gemachte Wahrheit“ ........................................................................................ 29
2.9
Geschichte in den audiovisuellen Quellen ............................................................... 32
BIBLIOGRAPHIE ........................................................................................................... 35
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1 Film
1.1 „Vorgeschichte“: Bewegte Bilder und ihre Faszination für die
Menschen
Schon aus der Antike berichteten Äskolap, Plinius der Ältere und andere über
zwei-dimensionale bewegte Bilder im Rahmen von „Unterhaltungsshows“ –
sagenhafte Erscheinung von Göttern, die durch die Verwendung von
Lichteffekten, Dämpfen und Spiegeln in Szene gesetzt wurden.
Diese Tradition setzte sich auch im Mittelalter und in der Neuzeit fort. Daraus
resultierten die bereits beschriebenen Erfindungen der „camera obscura“ und der
„laterna magica“. Letztere kann durch die im Laufe ihrer Weiterentwicklung
immer öfter eingebauten Mechanismen zum Bildwechsel als ein direkter
Vorläufer der Filmprojektoren bezeichnet werden.
1.2 Die Entwicklung des Films
Nach der Erfindung des Rollfilms durch Goodwin bedurfte es noch einiger
Schritte bis die Einzelbilder des Films laufen lernten und das Kino sich als Ort
der Unterhaltung und Zerstreuung etabliert hatte.
Mit dem Film begann eine neue Stufe des audiovisuellen Informationszeitalters.
Die laufenden Bilder erlangten eine Popularität und Verbreitung, die selbst jene
der Fotografie und des Radios übertreffen sollten. Der Informationsfluss war
nun zu einem breiten Strom geworden, der sich über mehr Menschen als je
zuvor ergoss. Die neue Dimension der Informationsvermittlung funktionierte
allerdings nur, wenn man einen entsprechenden Projektor hatte, was einen
weiteren, konstitutiven Unterschied zu den schriftlichen und dinglichen Quellen,
aber auch zur Fotografie ausmacht: Der Film und in späterer Folge das
Fernsehen können nur durch ein entsprechendes Projektions- bzw.
Empfangsgerät konsumiert werden. Das bedeutet für das Verständnis der
Informationsübertragung bei den Medien, die mit laufenden Bildern arbeiten,
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dass nicht nur die Technologie der Produktion, sondern auch die auf Seiten des
Empfängers (und die entsprechenden Entwicklungsschübe dieser Technologie)
in die hilfswissenschaftliche Betrachtung miteinbezogen werden muss.
1.2.1 Physiologische
Grundlagen
und
technische
Voraussetzungen
Um das menschliche Auge täuschen zu können und ihm Kontinuität
vorzuspiegeln, wo Diskontinuität herrscht (mit 24 Einzelbildern/Sek. im Film
und 25 Einzelbilder/Sek. im Fernsehen), werden vor allem zwei Effekte
ausgenutzt: der positive Nachbildeffekt und der Stroboskopeffekt.
Da die Erregung der Nervenfasern im Auge nur (relativ) langsam abklingt, wird
ein Gegenstand noch für einen kurzen Augenblick an derselben Stelle gesehen,
auch wenn er inzwischen verschoben wurde. Dieser positive Nachbildeffekt ist
nötig, um den Übergang zwischen zwei Einzelbildern des Films nicht bis in
unser Bewusstsein dringen zu lassen.
Für die Bewegungsillusion im Film ist der Stroboskopeffekt verantwortlich.
Michael Faraday entdeckte, dass bei der periodischen Zerhackung von ebenfalls
periodischen Bildern das Auge den Eindruck von Bewegung bekommt. Dadurch
nehmen wir virtuelle Bewegungen wahr, wenn realiter nur die schnelle Abfolge
von Einzelbildern vor unserem Auge abläuft.
Für die Entwicklung von Film-Vorführgeräten waren die Forschungen des
technischen Genies Thomas Alva Edison von entscheidender Bedeutung. Edison
entwickelte nicht nur das Kinetoskop, wodurch das Vorführen von Filmen nach
dem Guckkastenprinzip in Einzelkonsumation möglich wurde, sondern
entschied sich auch für das 35mm-Filmformat, das er noch mit einer Perforation
versah, um Probleme des Filmgleichlaufs zu lösen. Ende des 19. Jahrhunderst
wurden „Nickel-Odeons“ in den Vereinigten Staaten innerhalb kurzer Zeit sehr
beliebt. Sie waren die Vorläufer des heutigen Kinos, in denen gegen Eintritt (ein
nickel = 5 US-Cent) kurze Stummfilme mit Musikbegleitung gezeigt wurden.
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In Europa vollzogen die Brüder Auguste und Louis Lumière den Schritt, das
Kino-Erlebnis zu einem kollektiven zu machen. Am 28. 12.1895 fanden im
Pariser „Grand Café“ auf dem Boulevard des Capucines ihre ersten
Filmvorführungen vor großem, zahlenden Publikum statt. Das Kino als
Massenmedium war geboren und seine Wirkung verstärkte sich noch, als im
Laufe des 20. Jahrhunderts der Film zunächst Ton und dann noch Farbe bekam.
1.2.2 Der Tonfilm
Wichtige Schritte bei der Entwicklung des Tonfilms fanden sowohl im
Deutschland als auch in den USA nach dem Ersten Weltkrieg statt. Zunächst
hatte allerdings eine Gruppe von drei deutschen Forschern die Nase vorn.
Hans Vogt, Joseph Masolle und Joseph Engl verfolgten das Ziel, den Film ohne
Ton und den Ton ohne Bilder zu kombinieren. Sie entwickelten das sogenannte
„Triergon“- oder Lichttonverfahren. Die Tonschwingungen werden dabei in
Lichtintensität umgesetzt und diese Information wird auf einem schmalen
Streifen des Films mittransportiert. Eine Lampe im Projektor liest die
Lichtschwankungen wieder aus und setzt sie in die entsprechenden
Tonschwingungen um. Im September 1922 kam es dann zur ersten öffentlichen
Tonfilmvorführung mit Hilfe des Triergon-Verfahrens.
Die Integration der Toninformation in den Film verlangte nach einem neuen
Filmtransport-Mechanismus, denn während der visuelle Eindruck der BewegtBilder durch die diskrete Vorführung von 24 Einzelbildern/Sek. entstand,
musste parallel dazu die Lichttonspur durchgehend ausgelesen werden.
Vogt, Masolle und Engl lösten schließlich auch dieses Synchronie-Problem
durch die Entwicklung eines neuen Filmtransports. Um groteske Toneffekte zu
vermeiden, war die Vorführung eines Lichtton-Films an die absolute Fixierung
sowohl der Aufnahme-, als auch der Vorführgeschwindigkeit gebunden.
Der Ton macht den Film endgültig zu einem inhärent audiovisuellen Medium
(ungeachtet der Tatsache, dass Stummfilme oft durch Musik oder Filmerklärer
begleitet wurden, dabei der Ton aber immer aus einer weiteren, zusätzlichen
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Quelle kam), das zunächst seine Internationalität einbüßte. Die Sprachbarrieren
zwangen die Tonfilmindustrie bis zum Aufbau einer professionellen
Synchronisations-Industrie in enge Grenzen. Bis heute wirkt dieses „Manko“
des Tonfilmes nach, wobei sich sehr unterschiedliche Konsumkulturen
entwickelt haben. Während es im deutschsprachigen Raum üblich ist, sowohl für
das Kino als auch für das TV Synchronfassungen herzustellen, werden etwa im
skandinavischen Raum fast nur die meist englischen Originalfassungen gezeigt,
was auch auf der Unwirtschaftlichkeit der Synchronisation für verhältnismäßig
kleine Sprachgemeinschaften beruht.
Mit der Erfindung des Tonfilms wurde ein neues Kapitel in der Wirkungskraft
des Kinos aufgeschlagen: „Der Übergang zum Tonfilm war eine revolutionäre
Verbesserung hinsichtlich der Suggestivkraft des Films und hinsichtlich des
Wirklichkeitseindrucks für den Betrachter.“
(http://www.roebkers.de/medien/diplarb2.htm#ÜS2_2_4 )
Die Illusion der Realität im Medium Film war wieder um eine Facette reicher
geworden.
1.2.3 Farbe und Breitwand
Der nächste Schritt in der Entwicklung des Films war die Einführung der Farbe.
Schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gab es handkolorierte
Kopien von Filmwerken (so z.B. „Intolerance“ von D.W. Griffith aus dem Jahr
1916). Dabei musste noch jedes Bild einzeln mit dem Pinsel gefärbt werden.
Mehr und mehr setzten sich das Technicolor-Verfahren (zuerst zweifarbig, dann
dreifarbig) durch. Dabei liefen in den Kameras drei Streifen parallel in den
Primärfarben Rot, Gelb und Blau, die dann später übereinander kopiert wurden.
Kodak entwickelte schließlich einen Filmstreifen mit dreifacher Beschichtung,
der das Führen von drei parallelen Filmen in der Kamera überflüssig machte.
In Kombination mit der Einführung von neuen Filmformaten erlangte der FarbTonfilm weltweit große Popularität. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist die
„Farbfilmselbstreklame schlechthin“ (so Kittler 2002, S. 282), Viktors Flemings
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„Gone with the Wind / Vom Winde verweht“ von 1939, der auch gleichzeitig
der erste Cinemascope-Film war.
Während beim Breitwand-Verfahren (Seitenverhältnis 1:1,66 bzw. 1:1,85) auf 35 mm-Film in
genau dem Verhältnis aufgezeichnet wird, in dem auch die Projektion auf die Leinwand
erfolgt, also das Verhältnis von Höhe zu Breite des aufgezeichneten Bildes genau der
Wirklichkeit entspricht, wird durch die Wirkungsweise der Linsen beim CinemascopeVerfahren ein Seitenverhältnis von 1:2,35 bis zu 1:2,66 hergestellt.
Die horizontale Achse bleibt unverändert, nur die vertikale wird scheinbar – etwa um den
Faktor zwei – „auseinander gezogen“, auf dem Filmstreifen erscheint also alles horizontal
„gestaucht“ (siehe oberes Bildbeispiel). Durch diese Technik wird die gesamte Fläche des
Filmstreifens ausgenutzt und es bleibt nicht – wie bei der herkömmlichen Bildaufzeichnung –
ein Teil des Filmaterials ungenutzt.
Um aus diesem verzerrten Bild nun wieder ein normales Bild auf der Leinwand zu erzeugen,
wird dem Objektiv am Projektor ein so genannter Anamorphot vorgeschaltet. Dieser besteht
unter anderem aus einer zylindrisch geschliffenen Linse, die den Effekt hat, dass das Bild in
der Horizontalachse auf knapp das Zweifache wieder in die Breite gezogen wird.
Der Vorteil des Cinemascope-Verfahrens ist, dass mit kostengünstigem Standardmaterial (35
mm-Film im Seitenverhältnis 3:4) ein Bild projiziert werden kann, das im Format dem breiten
Sichtfeld des menschlichen Auges entspricht.
Sowohl der Farbfilm als auch die Breitbandformate haben sich nach dem
Zweiten Weltkrieg weltweit als Standards etabliert und sind heute aus dem Kino
nicht mehr wegzudenken. Mit der vermeintlichen Aufhebung des letzten
Unterschiedes zwischen schwarz-weißer Simulation und bunter Realität setzte
auch die „Verzerrung“ des Bildes und damit wiederum eine Entfernung von der
Realität ein.
Der Farbfilm mit Ton hat dennoch die Welt erobert, muss man am Anfang des
21. Jahrhunderts konstatieren. Der schon von der Fotografie bekannte Eindruck
einer Abbildung der „Wirklichkeit“ wurde im Film durch die Wiedergabe von
Bewegung, und der Möglichkeit, eine Handlung in Farbe zu zeigen, noch
verstärkt.
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2 Fernsehen
Von allen seit Mitte des 19. Jahrhunderts erfundenen audiovisuellen Quellen, hat
das Fernsehen die größte (Aus-)Wirkung auf die Menschen gehabt. Dieses,
inzwischen globale, Medium diktiert in nicht wenigen Haushalten die Art der
Information und Entspannung sowie die zeitlichen Abläufe.
Durch seine Omnipräsenz seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat das
Fernsehen eine Menge an Material produziert, das erst nach und nach von
Wissenschaftern verschiedenster Disziplinen aufgearbeitet wird. Es gibt noch
reichlich weiße Gegenden auf der Forschungslandkarte. Auch arbeiten die
Wissenschafts-Communitys unterschiedlich intensiv daran – die
Kommunikationsgeschichte ist etwa weiter als die Geschichtswissenschaften,
der angloamerikanische Raum weiter als die Forschung aus deutschsprachigen
Ländern, etc.
Die geschichtswissenschaftliche Beschäftigung mit dem Medium Fernsehen soll
sich mit folgenden Aspekten auseinandersetzen: Geschichte der technischen
Entwicklung, Programmgeschichte, Geschichte der Institutionen und Geschichte
der Rezeption.
Die technische Entwicklung ist derzeit am besten aufgearbeitet, während in allen
anderen Gebieten nur zeitlich und/oder regional beschränkte
Forschungsergebnisse vorliegen.
Für die zukünftige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Fernsehen
scheint mir vor allem die Betonung des internationalen Aspekts wichtig, um
vergleichend arbeiten zu können.
Die modernen Technologien können hier bei der Vernetzung der Forschung
helfen. So gibt es z.B. mit der Initiative BIRTH eine Webplattform, die den
Zugriff auf Ausschnitte aus der Frühzeit des Fernsehens in Europa aus mehreren
EU-Mitgliedstaaten erlaubt: http://www.birth-of-tv.org/birth/ . Mehr solcher
Initiativen werden nötig sein, um der Wissenschaft den geeigneten Zugang zu
der Masse an Material zu ermöglichen.
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2.1 Zur Begriffsgeschichte
Nach mehreren, eher aus dem Bereich der Literatur kommenden Begriffen für
das neue „Sehen durch Elektrizität“ hat sich schließlich der Begriff „Television“
durchgesetzt, der in diesem Zusammenhang erstmals öffentlich auf einer
Konferenz zur Weltausstellung in Paris 1900 verwendet wurde. Constantin
Perskyi, Professor für Elektrizität an der Artillerie-Akademie in St. Petersburg,
nutzte ihn, um eine besondere Eigenschaft des Element Selens zu beschreiben
und betitelte seinen Beitrag „Télévision au moyen de l’électricité“. Die
Wortschöpfung ging vermutlich auf einen deutschen Text von Rapahel Eduard
Liesegang, „Beiträge zum Problem des electrischen Fernsehens“ aus dem Jahr
1891 zurück. Möglicherweise hat Perskyi „Fernsehen“ zunächst ins Russische
übersetzt und davon wurden dann die französischen und englischen Ableitungen
gebildet. Der neue Terminus stieß übrigens auf geteilte Zustimmung. C.P. Scott
vom „Manchester Guardian“ soll dazu gemeint haben: „Television. No good
will come of this device. The word is half Greek and half Latin”.
2.2 Von den Anfängen
Um Bilder elektrisch übertragen zu können, mussten zunächst elektrische
Impulse erzeugt werden, die in ihrer Intensität von der Lichtintensität abhängig
sind. Über diese Fähigkeit verfügt das chemische Element Selen (Se,
„Selenium“ steht griechisch für „Mond“), ein Halbleiter, dessen elektrischer
Widerstand sich bei Lichteinfall verändert. Willoughby Smith und seine
Assistentin May entdeckten 1873 die foto-konduktiven Merkmale dieses
Elements. Damit war der Weg frei für die Entwicklung einer Methode zur
Übertragung von bewegten Bildern. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
schritt die technische Entwicklung des neuen Mediums immer mehr fort, wobei
die entscheidenden Anstöße aus dem Bereich der Nachrichtentechnik kamen. In
einer Zeit, in der technische Neuerungen fast schon alltäglich waren, gab es
noch keine ausdifferenzierten Medienzweige, das „Sehen durch Elektrizität“ war
zunächst immer auch mit dem „Hören durch Elektrizität“. Dies ist mit
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Versuchen auf dem Gebiet der Bildtelegrafie oder Bildtelefonie in Verbindung
zu sehen.
2.3 Mechanisches vs. Elektronisches Fernsehen
Die Anfangszeit der technischen Entwicklung des Fernsehens war vom
Dualismus zwischen den Prinzipien des mechanischen und des elektronischen
Fernsehens geprägt. 1883 gelang dem Deutschen Paul Julius Gottlieb Nipkow
die erste Übertragung von Helligkeitswerten mit Hilfe des von ihm erfundenen
„elektronischen Mikroskops“. Grundlage dieser Übertragung war die „NipkowScheibe“, die Bilder in Hell-Dunkel-Signale zerlegte bzw. wieder
zusammensetzte. Dabei sind die Löcher der Lochscheibe jeweils zeilenweise
versetzt angeordnet. Der Winkel zwischen zwei Löchern entspricht der
Zeilenanzahl (z.B. bei 120 Zeilen sind das 3°) und der Radius der Scheibe, bzw.
der Abstand zwischen zwei Löchern entspricht der Abbildungsbreite (z.B. bei
5cm Abbildungsbreite und 120 Zeilen sind das rund 100cm Scheibenradius).
Die Nipkow-Scheibe konnte nicht nur als Filmabtaster eingesetzt werden,
sondern auch als Live-Aufnahmekamera. Die technischen Rahmenbedingungen
waren dabei allerdings äußerst beschränkt, da die Photozelle eine sehr hohe
Lichtintensität benötigte. Das Aufnahmeobjekt, wie z.B. ein Sprecher durfte
höchstens 2 Meter entfernt sein und wurde mit Scheinwerfern angestrahlt. Ein
Lichtstrahl aus der „Kamera“ tastete nun das Aufnahmeobjekt ab, das
reflektierte Licht wurde an den Photozellen gemessen.
[Auf die Nipkow-Scheibe werden spiralförmig Löcher angebracht, die Scheibe rotiert vor
einem zu übertragenden Objekt, das auf diesen Weise Spiralloch für Spiralloch abgetastet
wird. Hinter jedem Loch, das einen kurzen Lichtimplus durchlässt ist ein Selenelement
angebracht, das in Abängigkeit von der Lichtstärke einen Stomimpuls erzeugt, der auf der
Empfängerseite eine Leuchtbirne aufscheinen lässt. Diese Empfängerbirne muss ihrerseits
hinter einer Lochscheibe postiert werden, die sich synchron mit der Empfangsscheibe zu
drehen hat. Das mechanische Fernsehen, von seinen Anfängen 1884 an gerechnet, blieb etwa
50 Jahre lang, also bis in die Mitte der 30er Jahre hinein, das dominierende Paradigma der
Entwicklung. Aber bereits vor dem ersten Weltkrieg hatten Wissenschaftler und Ingenieure
die Haltlosigkeit dieses Unterfangens klar genug beschrieben. ]
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Das Prinzip des „elektronischen Fernsehens“ basiert hingegen auf der von Karl
Ferdinand Braun und Jonathan Zenneck 1897 entwickelten Kathodenstrahlröhre.
In dieser Röhre konnten mittels eines Elektronenstrahls und der Steuerung durch
elektromagnetische Spulen Lichtpunkte auf eine Glasscheibe projiziert werden.
2.3.1.1 [Die Braunsche Röhre ist ein tricherförmiges evakuiertes Glasrohr. Es
enthält im Innern eine "Elektronenkanone", ein Ablenksystem und einen
Leuchtschirm.Die Elektronenkanone bestehend aus einem Heizdraht, einem
Wehneltzylinder (der den
Lochblende).
Heizdraht umschließ)t und einer einer
Der Heizdraht ist an der Kathode (Minuspol) einer
Hochspannungsquelle angeschlossen, die Lochblende ist mit der Anode
(Pluspol)
verbunden.
Der
Heizdraht
ist
noch
an
einer
weitern
Spannungsquelle angeschlossen, die dazu dient den Draht zu erhitzen. Der
Zylinder schließt den Stromkreis durch eine Verbindung zu dem negativen
pol
derselben
Spannungsquelle.
Durch das Erhitzten treten (negative) Elektronen aus der Glühkathode aus.
Sie werden zur positiven Lochblende (Anode) hin beschleunigt und passieren
sie als dünner Elektronenstrahl.
2.3.1.2 Durch
Ablenkelektroden
(Plattensystem)
kann
die
Richtung
des
Elektronenstahls verändert werden. Das Plattensystem besteht aus zwei
Plattenpaaren die sich rechtwinklig gegenüber stehen. Liegt an jeweils einem
Plattenpaare eine el. Spannung an, dann wird der Elektronenstrahl von der
negativen Platte weg zur positiven Platten hin abgelenkt.
2.3.1.3 Treffen die Elektronen auf dem Leuchtschirm auf, so erzeugen sie in einer
fluoreszierenden Farbschicht einen Lichtfleck]
Am 26.1.1926 schließlich gelang dem schottischen Ingenieur John Logie Baird
die erste Übertragung von bewegten Bildern vor 40 Wissenschaftern der „Royal
Institution“ in London.
Es gab von Anfang an sofort Überlegungen, wie man das neue Medium
militärisch nutzen könnte, und schon 1928 bzw. 1932 gab es Versuche,
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Bewegtbilder auf Ozeandampfer und in Flugzeuge zu übertragen. Das
Fernsehzeitalter warf bereits in der Zwischenkriegszeit seine Schatten voraus.
Wie Thomas Steinmaurer in seinem Artikel „ Visionen der Television“
geschrieben hat, kam es aus kulturgeschichtlicher Sicht zu einem
„Paradigmenwechsel von der mechanisch-materiellen zur drahtlosenimmateriellen Ära“. (Thomas Steinmaurer, Visionen der Television. Vorstufen
der Fernsehentwicklung, in: Medien & Zeit 2/99, S. 7).
2.4 Die Institutionalisierung des Fernsehens
Noch vor dem Zweiten Weltkrieg erlebte das neue Medium Fernsehen seinen
ersten Verbreitungsschub. Zu Propagandazwecken trieb vor allem das Deutsche
Reich die Institutionalisierung des Fernsehens voran und veranstaltete ab 1935
den weltweit ersten Programmbetrieb. In kurzen Abständen folgten dann die
BBC in London, sowie andere Fernsehsender in Frankreich, in der UdSSR und
1939 in den USA.
Im Deutschen Reich hatte das frühe Fernsehen noch ein kinoähnliches
Rezeptionsambiente, in „Fernsehstuben“ wurden z.B. die Übertragungen der
Olympischen Spiele in Berlin 1936 zu einem kollektiven Ereignis und Erlebnis.
Zur gleichen Zeit gab es nur etwa fünfzig Heimgeräte bei ausgewählten
Persönlichkeiten des Nazi-Regimes. Dieser kollektivistische Zugang im
Deutschen Reich unterscheidet sich grundsätzlich von der schon in der Frühzeit
vorherrschenden individualistischen Entwicklung z.B. in den USA.
Der Zweite Weltkrieg bedeutete eine Zäsur in der Entwicklung des Fernsehens,
so wurde in Großbritannien schon ab September 1939 die Ausstrahlung des TVProgramms unterbrochen, in den USA ab 1941 reduziert und im Deutschen
Reich 1943 eingestellt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen die Fernsehanstalten wieder mit der
Übertragung ihrer Fernsehprogrammen. Die BBC etwa nahm im Juni 1946 den
Fernsehbetrieb mit dem Mickey Mouse Cartoon wieder auf, während dessen
Übertragung das Programm am 1.9.1939 abrupt beendet worden war.
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Anders als in Österreich, wo sich im Laufe der Nachkriegsjahre eine Rundfunkund Fernsehmonopol des ORF herausbildete, wurden in der BRD sehr schnell
föderalistische Strukturen geschaffen, was 1950 zur Gründung der
„Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der
Bundesrepublik Deutschland“ (ARD) führte. Im März 1951 erfolgte schließlich
die Wiederaufnahme des Fernsehprogramms. In Österreich dauerte es mit der
Einführung des Fernsehens etwas länger. Nach einigen zeitlich und lokal
beschränkten Versuchen wurde am 1. August 1955 der regelmäßige
Fernsehbetrieb des ORF aufgenommen. Wie auch der Film, erlebte das
Fernsehen durch die Einführung des Farbbildes einen Popularitätsschub.
2.4.1 Farb-Fernsehen
Im Juni 1951 strahlte der amerikanische Sender CBS das erste
Fernsehprogramm der Welt in Farbe aus. Im Laufe der Jahre fand das Ringen
um einheitliche Normen für das Farbfernsehen mit der Aufteilung in drei große
Normbereiche ein Ende. Seit dem teilt sich die bunte Welt des TV in NTSC,
PAL und SECAM.
2.4.1.1 NTSC- National Television System Committee
Mit dem 23.12.1953 legte das „National Television System Committee“ in den
USA seine Farbfernsehnorm fest, die vor allem auf dem amerikanischen
Kontinent und in Japan vorherrschend wurde. Das Bildformat des NTSC
Standards umfasst folgende Parameter: 525 Zeilen/Bild, davon maximal 486
sichtbar und 29,97 Vollbilder/Sek. Durch den Einsatz der Quadraturmodulation
(einem Modulationsverfahren für elektromagnetische Wellen) für die
Darstellung der Farbe am Bildschirm kann es bei NTSC immer wieder zu
Phasenverschiebungen und daher zu unnatürlichen Farbgebungen kommen.
Diese Farbfehler, für die NTSC bald bekannt wurde, waren auch der Auslöser
für die scherzhafte Auflösung der Abkürzung als „Never the same color“.
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2.4.1.2 SECAM - Séquentiel couleur à mémoire
Für Frankreich und Osteuropa setzte die sich der französische „Séquentiel
couleur à mémoire“ Farbstandard durch. Dieses System zeichnet sich im
Gegensatz zu NTSC durch den Einsatz der Frequenzmodulation zur
Farbübertragung aus. Der historisch-politische Hintergrund des am Anfang sehr
unzulänglichen SECAM-Standards ist interessant: Frankreich wollte die
einheimische Fernsehindustrie vor Konkurrenz aus dem Ausland schützen, die
Länder des Ostblocks, fanden in diesem Farbfernsehsystem eine willkommene
Abschottung gegen den in den meisten Staaten Westeuropas gebräuchlichen
PAL-Standard.
Die Trennung Europas vollzog sich auch auf dem Gebiet der Fernsehsysteme,
was für den Archivar und den Historiker bedeutet, dass ein nicht unerheblicher
audiovisueller Quellenschatz nur mit bestimmten Maschinen zu sichten und zu
interpretieren ist.
2.4.1.3 PAL - Phase Alternating Line
Wie schon erwähnt, hat die PAL-Norm (meist 625 Zeilen/Bild, 25 Bilder/Sek.)
Gültigkeit für den Großteil des westeuropäischen Raums gefunden. Der
deutsche Telefunken-Ingenieur Walter Bruch entwarf das „Phase Alternating
Line“-Farbsystem, das effizenter als die zwei bisher genannten Systeme
Farbverzerrungen verhindert.
Aus archivarischer Sicht ist dabei zu bemerken, dass in der ersten Zeit PAL
Signale nicht magnetisch aufgezeichnet werden konnten, daher war man auf die
Technik der „Filmaufzeichnung“ (FAZ) angewiesen, die nur in Ausnahmefällen
für das Aufzeichnen von Sendungen zum Einsatz kam , was unseren
Archivbestand aus der Frühzeit des TV erheblich schmälerte.
2.4.2 Satellitenfernsehen
Seit 1962 die erste Satellitenübertragung zwischen den USA und Frankreich
mittels des „Telstar“-Satelliten absolviert wurden, rückte die Fernsehwelt enger
zusammen. Die Möglichkeit, in Echtzeit Ereignisse von anderen Kontinenten zu
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übertragen, hat dem Fernsehen noch stärker einen universalen Charakter
verliehen. Ereignisse wie die Mondlandung oder, um ein rezentes Beispiel zu
nennen, die Terrorattacken auf das World Trade Centre in New York City,
wurden damit zu Fernsehevents, deren Bilder im kollektiven Gedächtnis
abgespeichert sind.
2.4.3 Kabelfernsehen
Neben der technischen Möglichkeit des Satelliten-TV sorgte auch das
Kabelfernsehen, d.h. die breitbandige Vernetzung von Haushalten mittels
Koaxialkabeln, für die Pluralität an Fernsehstationen, deren Programme in
Einzelhaushalten konsumiert werden konnten. In der BRD fiel der Ausbau des
Kabelnetzes mit der Geburtsstunde des Privat-Fernsehens in den 1980ern
zusammen. Auch in Österreich setzten sich die Satelliten- und
Kabelfernsehtechniken und die entsprechenden Angebote schnell durch. Obwohl
de jure noch bis zum Jahr 2001 das Monopol des öffentlich-rechtlichen ORF,
was das terrestrisch ausgestrahlte Fernsehen betraf, gewahrt blieb, stieg die
Versorgung der Bevölkerung mit den neuen Technologien seit Mitte der 1980er
rasant an, d.h. de facto entstand seit dieser Zeit auch in Österreich das so
genannte „duale System“ (öffentlich-rechtliches und privates Angebot).
2.4.4 Das technische Umfeld für Fernsehen heute
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich das technische Umfeld für Fernsehen
radikal geändert. Der Multimedia-Benutzer von heute hat eine Bandbreite von
Angeboten, die sein Informations- und Unterhaltungsbedürfnis befriedigen. Das
Internet hat die klassischen Medien Radio und Fernsehen in der Gunst vor allem
des jungen Publikums überholt, mehr noch, es vereinnahmt die
Konkurrenzmedien: Der erfolgreiche Einstieg des österreichischen
Spartenradios „Ö1“ in das Livestreaming im Internet zeigt als eindrucksvolles
Beispiel, wie sich durch neue Technologien Konsumgewohnheiten ändern. Die
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Zahl der Angebote, TV- und/oder Radioprogramme via Internet abzurufen,
erhöht sich fast täglich.
Eine neue Ära der TV-Ausstrahlung hat mit dem digitalen terrestrischen
Fernsehen („Digital Video Broadcasting-Terrestrial“, DVB-T) begonnen. Das
Fernsehsignal wird dabei als digitales Signal ausgestrahlt, von der terrestrischen
Fernsehantenne empfangen und über eine so genannte „Set Top Box“ als
Decoder an das Fernsehgerät weitergeleitet. Schon seit längerem ist die digitale
Signalübertragung via Satellit im Einsatz (DVB-S), in einigen Gebieten der
BRD gibt es bereits heute eine terrestrische Versorgung nur mehr via DVB-T.
Der nächste Schritt ist die Lösung des Zusehers aus seiner passiven
Konsumentenrolle hin zum Gestalter seines eigenen Programms – das Prinzip
des „interaktiven Fernsehens“. Wenn es gelingt, dem Publikum flächendeckend
anzubieten, individuell aus Programmsträngen auszuwählen, den Verlauf von
Sendungen zu beeinflussen oder zu jedem beliebigen Zeitpunkt textuelle
Zusatzinformationen zum Hauptprogramm aufzurufen, wird sich auch die
Interpretation der audiovisuellen Quellen ändern müssen. Der Anteil der
Programmgestalter würde sich auf das Anbieten einer Palette von Möglichkeiten
reduzieren, aus denen dann der Konsument auswählt. Die im
Produktionsprozess sehr heikle Phase der Materialauswahl z.B. würde
individualisiert auf der Seite der Kunden stattfinden. Es gäbe dann nicht mehr
ein zentrales von der Fernsehanstalt bestimmtes Programm, sondern eine
Vielzahl von individuellen Programmen, die nur mehr auf Seiten der
Konsumenten, aber nicht der Produzenten, entstehen und auch nur mehr dort
archiviert werden könnten.
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2.5 Medientypen des Fernsehens
Das Fernsehen hat in seiner - grob gesprochen - 50 Jahre langen Tradition sich
einer Reihe verschiedener Genres bedient oder sie hervorgebracht. Für einige
dieser Genres – die Auswahl versucht sich an Popularität beim Publikum und
Stellenwert innerhalb der Rundfunkanstalten zu orientieren – soll an dieser
Stelle aus Sicht des Historikers eine Einordnung unter quellenkundlichen
Aspekten versucht werden. Dabei setze ich mit der Diskussion des
Gegensatzpaares „non-fiktional“ und „fiktional“ an einem generellen
terminologischen Problem an, bei dessen Besprechung sehr bald klar, wird, dass
die Unterscheidung von Fernsehsendungen nach diesem Schema nur eine grobe
Hilfskonstruktion sein kann.
2.5.1
Non – Fiction
Die nicht-fiktionale Bereich des Fernsehens umfasst vor allem Bereich der
aktuellen oder semi-aktuellen Berichterstattung, was häufig unter dem Begriff
„Fernsehinformation“ zusammengefasst werden. Inhaltliche erstreckt sich dieser
Bereich von der politischen über die kulturelle oder sportliche Berichterstattung
bis hin zu Konsumenteninformation, Wetterinformation oder auch
Verkehrsinformation.
2.5.1.1
Newsbeitrag
„Informationssendungen, vor allem tagesaktuelle Nachrichtensendungen
im Fernsehen, spielen für die Vermittlung aktuellen Geschehens an die
Bürger von demokratischen Gesellschaften eine herausragende Rolle.“
„Am Genre “Nachrichten” besteht das vergleichsweise größte Interesse –
noch vor Spielfilmen und Sportsendungen.“ 1
1
Brosius 1998: 1.
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17
Die beiden Zitate von Brosius verdeutlichen die große Wichtigkeit, die der
tagesaktuellen Berichterstattung im Fernsehen zukommt, auch wenn sie, an der
Gesamtsendezeit gemessen, nur einen kleinen Teil des TV-Programms
einnimmt.2 Noch heute zählen Nachrichtensendungen zu den Flaggschiffen des
Programms, vor allem bei öffentlich-rechtlichen Sendern („ZIB“ im ORF,
„Tagesschau“ in der ARD oder die „News“ bei der BBC).
Die Präsentation von Nachrichten hat sich in Laufe der Jahrzehnte stark
verändert. Die Anzahl der Meldungen pro Sendung hat sich erhöht und seit es
problemlos möglich ist, Beiträge von anderen Kontinenten in Echtzeit per
Leitung zu überspielen3, hat die ganze Welt Einzug in die Nachrichtenzentralen
der Fernsehsender gehalten. Dem veränderten Inhalten folgte auch eine neue
Päsentationsdynamik. Die Form der Nachrichtenvermittlung wurde schneller
und bunter. Auch auf diesem Gebiet haben gerade die privaten Fernsehanstalten
eine Vorreiterrolle eingenommen. Die Nachrichtenausgaben des deutsche
Privatsenders Pro7 beispielsweise bieten dem Publikum einen hohen Anteil an
Animationen bzw. animierten Grafiken. Das geschieht einerseits um schwer
Erklärbares in leicht fassliche Form zu bringen und andererseits, um das „junge
Image“ des Senders zu pflegen, der sich auch bei der aktuellen Berichterstattung
von der Konkurrenz abheben möchte.4
Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die Nachrichteninhalte der öffentlichrechtlichen und der privaten Sender angeglichen haben: Berichte über VIPs
haben in den „News“ immer stärker auch ihren Platz wie politische Meldungen.5
Auch die Individualisierung der Nachrichtenpräsentation hat zugenommen.
Nachrichtenmoderatoren zählen zu den „Aushängeschildern“ von
Fernsehsendern. Der/Die „Anchor(wo)man“ bringt in vielen Fällen ihren/seinen
eigenen Stil der inhaltlichen Präsentation ein und manche Moderator/innen
2
Dazu kommt, dass ein Nachrichtenbeitrag meist nicht länger als 90 Sekunden, in Ausnahmefällen bis zu 120 Sekunden ist.
D.h. eine Minute audiovisuelles Material kann in einer Minute per Leitung überspielt werden.
4 Hoffmann 1997: 13 f.
5 Brosius 1998: 5 erklärt dieses Prinzip der „hard und soft news“ in den Nachrichtensendungen.
3
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18
erlangen nationale oder sogar internationale Bekanntheit.6 Zusammenfassend
stellte Brosius dazu fest: „Denn bei den Themen haben sich die Privaten an die
Öffentlich-Rechtlichen angenähert, bei den Akteuren scheint dies eher
umgekehrt zu sein.“7 Ohne Zweifel waren es zuerst die privaten Fernsehsender,
die ihren Moderatoren eine größere Freiheit bei der Gestaltung der
Nachrichtensendung erlaubten, die öffentlich-rechtlichen Anstalten zogen dann
nach.
Dieses Faktum kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Möglichkeiten
des Moderators in den Sendungsablauf einzugreifen, in den meisten Fällen sehr
bescheiden sind. Das inhaltliche Gerüst einer News-Sendung wird in den
Redaktionssitzungen unter Leitung des diensthabenden „Chef vom Dienst“
festgelegt, ebenso die Reihenfolge der Beiträge. Ob und in welcher Form ein
Beitrag auf Sendung geht, kann viele Gründe haben: Neben der Aktualität sind
dabei noch die Frage nach vorhandenem Bildmaterial8, nach Korrespondenten
vor Ort, nach Nähe und Ferne zum Ausstrahlungsort und – last, but not least –
die politische Opportunität, wenn es sich um die politische Berichterstattung
handelt. Die einzelnen Redakteure werden dann mit der Herstellung der
einzelnen Beiträge beauftragt. Sie recherchieren die Fakten, den Hintergrund,
fahren mit Kamerateams vor Ort zum Dreh und/oder ordern Material aus den
Beständen des Archivs. Schließlich gehen sie in den Schnitt, wo gemeinsam mit
den Cuttern der Bildteil des Newsbeitrages entsteht. Der Redakteur schreibt
nicht nur den Text des Beitrages, er spricht ihn auch und schlägt dem Moderator
einen Text für die Anmoderation des Beitrages vor. Erst dann klinkt sich der
Moderator in den Produktionsablauf der Nachrichtensendung mit ein,
übernimmt oder verwirft die Textvorschläge, bereitet mögliche Live-Interviews
6
So z.B. die ehemalige Nachrichtenmoderatorin der italienischen RAI, Lilli Gruber, deren sehr dynamischer Stil zu ihrem
Markenzeichen wurde.
7 Brosius 1998: 13.
8 Waren Nachrichtensendung zu Beginn des Fernsehens reine „Lesesendungen“, in denen der Moderator die Meldungen
vorgelesen hat, wird heute ungern eine Meldung ohne passendes Bildmaterial gebracht – das Publikum erwartet heute, etwas
zu sehen.
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19
vor und reagiert gemeinsam mit dem Chef vom Dienst auf aktuelle
Entwicklungen.
Entscheidend ist gerade bei der Produktion von Newssendungen der Zeitfaktor.
Die Beginnzeit der Sendung ist das Maß aller Dinge. Es ist heute undenkbar,
dass etwa im ORF die „Zeit im Bild“ um fünf Minuten später beginnt, weil
gerade eine aktuelle Entwicklung den Umschnitt eines Beitrages erfordert.
Nachrichtensendungen unterliegen also sehr vielen Einflussfaktoren, die oft sehr
selektive Wirkung haben und für den Laien nicht leicht zu erkennen sind. Als
Historiker muss man sich dessen immer bewusst sein, oft ist das, was nicht in
den Nachrichten gezeigt wurde, das für den Forscher Interessante.
2.5.1.2
Semiaktuelles Magazin
Semiaktuelle Magazine sind in regelmäßiger Folge (meist wöchentlich)
ausgestrahlte Sendungen, die aus mehreren Beiträgen bestehen. Inhaltlich
können diese Magazine sowohl im Aktuellen Dienst (politische
Berichterstattung) als auch in Bildungs- oder Unterhaltungsabteilungen
angesiedelt sein.9
Durch die im Gegensatz zu einer täglichen Sendung längere Vorbereitungszeit
steht den Redakteuren eines solchen Magazins mehr Zeit für Recherche und
Produktion zur Verfügung. Dadurch können längere Beiträge produziert werden,
die Hintergründe beleuchten und Entwicklungen über einen längeren Zeitraum
beobachten. Oft kommen in den Magazinbeiträgen mehr Beteiligte zu Wort, als
dies in einem kurzen Beitrag einer Nachrichtensendung möglich ist. Allerdings
muss vor allem bei politischen Magazinen immer mit dem Risiko, von der
tagesaktuellen Entwicklung eingeholt über überholt zu werden, gerechnet
werden.
Immer wieder werden für Magazin auch Beiträge aus dem Ausland eingekauft
und für die Ausstrahlung im Sendegebiet bearbeitet (z.B. durch Kürzungen,
Beispiele aus dem aktuellen Programmangebot des ORF sind das Außenpolitikmagazin „Weltjournal“ oder das
Wissenschaftsmagazin „Nano“. Die Beitragslängen bewegen sich hier zwischen 8 und 10 Minuten, in Ausnahmefällen
werden auch längere Beiträge gesendet.
9
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20
Synchronisation, etc.). Dadurch enthalten Magazinsendungen Beiträge, die vor
einem komplett anderen Hintergrund produziert wurden, als es bei einer
Eigenproduktion des Fernsehsenders der Fall gewesen wäre. Zudem werden,
wie angesprochen, die angekauften Beiträge oft manipuliert, um in das
Sendungsschema des Käufer zu passen. Aus der Sicht des Historiker, hat in
solchen Fällen eine nicht unbeträchtliche Veränderung des Inhalts und auch der
Form (z.B. durch Kürzungen) der ursprünglichen Quellen stattgefunden, ohne
dass das Publikum die Möglichkeit hat, den Vergleich mit der Originalquelle zu
ziehen.
2.5.1.3
Dokumentation
„Zwar trauen der dokumentarischen Gattung noch viele Zuschauerinnen und
Zuschauer, und für viele zeigt diese Form des Fernsehens, was wirklich ist.
Doch auch dieses Vertrauen war zu keinem Zeitpunkt gerechtfertigt.“10
Dokumentationen, insbesondere wenn sie mit großen technischen und
finanziellen Aufwand produziert wurden, sind beim Fernsehpublikum sehr
beliebt.11 Wie das obige Zitat zeigt, entsteht ein Teil der Faszination für
Dokumentationen durch den Eindruck, dass sie die Realität vermitteln. Doch
gelten auch für das Genre des „Dokumentarfilms“ viele der Einschränkungen
hinsichtlich seiner Authentizität wie bei anderen audiovisuellen Medien. In der
Frühzeit dieses Typus wurden von den Gestaltern Komparsen angeworben und
etliche Szenen in Studios nachgestellt, weil die technischen Möglichkeiten für
Drehs in „freier Wildbahn“ fehlten.12 Heute ist sind die Produktionen
aufwändiger, filmen fast überall möglich und dennoch haben die Kameras
immer nur einen beschränkten Fokus und durch Selektion und Schnitt erreicht
viel gedrehtes Material nicht das Publikum. Das gilt für die Produktion mit neu
gedrehtem Bildmaterial ebenso wie für die Produktion mit historischem
10
Hoffmann 1997: 6.
Das zeigen z.B. die Zuschauerzahlen der „Universum“-Sendeleisten des ORF.
12 Hoffmann 1997: 6 f.
11
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21
Hintergrund, bei der auf Archivmaterial zurückgriffen wird. In letzterem Fall
kommt noch erschwerend hinzu, dass der Gestalter keinerlei Einfluss auf den
Dreh des Archivmaterials hatte, also nur aus vorgegebenen Archivsequenzen die
Bilder auswählen kann, die seiner Vorstellung vom Inhalt der Produktion am
nächsten kommen.
Hoffmann spricht dem Bild seit der Einführung digitaler Techniken generell den
Anspruch ab, „Ab-Bild“ der Wirklichkeit zu sein.13 Man wird jedoch jedem
Gestalter zunächst den guten Willen zubillgen müssen, so nahe wie möglich an
die Realität bei der Gestaltung einer Dokumentation kommen zu wollen. Doch,
und das gilt für das Fernsehen generell, die Wirklichkeit, „so wie sie gewesen
ist“, wird von dem bestausgestatteten Team nicht einzufangen zu sein.
2.5.2
Fiction
und
die
Frage
nach
der
Seriosität im Fernsehen
Das Fernsehen ist in vielerlei Hinsicht des Kinos jüngerer Bruder, so nimmt
auch im TV das fiktionale Programm einen großen Teil der Sendefläche ein,
wobei sich derzeit noch ein recht deutlicher Unterschied zwischen öffentlichrechtlichen Sendern und Privatfernsehen erkennen lässt.14 Nicht selten dient der
Anteil an Fiktion im Programm auch als Gradmesser für die „Seriosität“ eines
Fernseh-Programmes. Nicht nur in Österreich spielen solche Argumente in der
Frage nach der Stellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der
Medienlandschaft eine Rolle. Dabei ist die Unterscheidung in „seriöse“ und
„unseriöse“ Programme in den meisten Fällen eine willkürliche und
subjektive.15 Ist ein Programm „unseriös“, nur weil es mehr fiktionale Anteile
hat als ein anderes? Die Verknüpfung von (scheinbarer) Seriosität mit einem
(scheinbar) hohen Wahrheitsgehalt und hoher Realitätsnähe, kann bei genauerer
13
Hoffmann 1997: 8.
Vgl auch Brosius 1998: 4 : „Auf der Ebene des gesamten Programmangebots der Sender wurde in
Programmstrukturanalysen der privaten Sender tatsächlich ein bedeutsam höherer Anteil an Unterhaltungssendungen im
Vergleich zu den öffentlich-rechtlichen Sendern festgestellt.“ (bezogen auf die Situation in der BRD).
15 Pandel 2002: 8 f. spricht dabei vom Spannungsfeld zwischen „Authentizität und Fiktionalität“.
14
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22
Betrachtung der Produktionsumstände von audiovisuellen Medien nicht aufrecht
erhalten werden. Wie ich im Kapitel über die Nachrichtensendungen ausgeführt
habe, gibt es auch bei der Produktionen des Aktuellen Dienstes
Selektionsprozesse und Produktionsschritte, die sehr unterschiedlich gehandhabt
werden können.16 Das Resultat muss daher nicht näher an der Wahrheit liegen
als eine literarische Verfilmung, gemessen an der gedruckten Vorlage. Was zur
Unterhaltung des Publikums dient, muss nicht zwangsläufig, unseriös oder – wie
oft damit insinuiert wird - schlecht gemacht sein.
Die Genres der fiktionalen Fernsehprogramme haben sich in den letzten
Jahrzehnten diversifiziert. Neben dem „klassischen“ Spielfilm haben die TVSerien und Shows, die immer öfters auch halbdokumentarisch konzipiert sind,
den Fernsehschirm erobert. Manche dieser Programmformate sind ganz bewusst
zwischen Realität und Fiktion angesiedelt („Reality Shows“, „Doku-Soaps“,
etc.), womit auch die Grenzen zwischen fiktionalen und nicht-fiktionalen
Programmen verschwimmen.
So wie die Literatur ihren Stellenwert in der historischen Forschung errungen
hat, so kann auch die fiktionale audiovisuelle Quelle dem Historiker einige
Antworten geben. Wie auch bei anderen in dieser Arbeit gestellten Fragen wird
sich die Geschichtsforschung auch in dieser Frage den Methodiken von
Nachbarwissenschaften nicht verschließen dürfen. Die Filmwissenschaft gibt die
Hilfestellung auf der Suche nach mehr oder minder offensichtlichen
Subkontexten in Film und damit in weiterer Folge auch im Fernsehen.17 Die
Aufgabe des Historikers ist es, diese Ergebnisse mit Informationen über
Produktionsumstände, Geldgeber, Mitwirkende, äußere Umstände, welche die
Produktion beeinflusst haben könnten, etc. zu einem Ganzen zu verschmelzen.
Erst dadurch wird die Quelle für den Historiker aussagekräftig. Wie auch in der
Literatur kann für das Genre der fiktionalen Programm festgestellt werden, dass
diese Sendungen sehr viel über die Zeit, in der sie produziert wurden, aussagen.
16
17
Vgl. Schneider 2002: 369: „Ob Fiktion oder Dokumentation ... mit beiden ist leicht Politik zu machen.“
Siehe zB. Hickethier 1996: passim.
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23
2.5.2.1 Der (Spiel-)Film im TV
Der Spielfilm ist das programmatische Bindeglied zwischen Kino und
Fernsehen. Der Kinofilm drang bald nach der Verbreitung des TV in dessen
Programmplanung ein. Das Fernsehen wurde so zum sprichwörtlichen
„Patschkino“ und konkurrenzierte den „großen Bruder“ sobald durch die
Verbreitung von privaten Fernsehgeräten die Individualisierung des TVKonsums eingesetzt hatte. Erst später setzte die Produktion von eigens für das
Fernsehen geschaffenen Filmen ein.
Heute leben Kino und Fernsehen in einer Art Symbiose, da sie sich für
Marketingzwecke einander bedienen. Erfolgreiche Kinofilme werden von
Fernsehstationen eingekauft und als Programmhöhepunkte dem TV-Publikum
präsentiert.18 Das Fernsehen wiederum berichtet laufend über neue
Kinoproduktionen, spielt deren Trailer und versorgt das Publikum mit
Informationen und Klatsch über die mitwirkenden Akteure (Schauspieler,
Regisseure, etc.).
2.5.2.2 Die TV-Serie
TV-Serien sind über einen längeren Zeitraum auf fixe Sendeplätzen
ausgestrahlte Programme, deren Einzelfolge meist nicht länger als 30 Minuten
ist. Die Serie ist nach dem Prinzip der Fortsetzungsgeschichte konzipiert,
wodurch das Publikum zur Weiterverfolgung der Serie animiert werden soll.19
Inzwischen werden TV-Serien für viele unterschiedliche Publikumsschichten
und –geschmäcker ausgestrahlt.20 Die lange Laufzeit von Serien lassen nicht nur
eine große Vielfalt von verschiedenen Charakteren zu, sondern ermöglichen den
Drehbuchschreibern auch die unterschiedlichsten Handlungsstränge zu knüpfen
18
Nach einer gewissen Sperrfrist, mit der man die direkte Konkurrenzierung zwischen Kino und TV hintan hält.
Gestalterisch drückt sich diese Taktik meist durch einen sogenannten „Cliffhanger“ am Ende einer Einzelfolge aus: An
einer besonders spannenden Stelle wird die Folge beendet und auf die nächste verwiesen.
20 Als einige bekannte Beispiele seien hier nur die amerikanische Jugendserie „Beverly Hills 90210“, die deutsche
Familienserie „Lindenstraße“ oder die weltbekannt gewordene Science-Fiction-Serie „Star Treck/ Raumschiff Enterprise“
genannt.
19
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24
und wieder aufzulösen. Dabei kann auch auf Ereignisse aus der Realität
referenziert werden.21
Die meist lange Ausstrahlungsdauer von Serien können in beträchtlichen Maße
Publikum binden und zum Aufbau von Fangemeinden führen, was ein wichtiger
Aspekt für Marketingstrategen und Werbefachleute ist. Die durch die Serien
transportierten Konsummuster werden vor allem von jugendlichen Sehern gern
aufgegriffen und imitiert.22 Die Serien spiegeln oft viele Aspekte der zum
Zeitpunkt der Produktion aktuellen Populärkultur wider.
Schaupieler, die an TV-Serien mitwirken, können es zu beachtlicher
Bekanntheit bringen, laufen jedoch Gefahr, als Serienstar mit einer bestimmten
Rolle/ einem bestimmten Charakter auf lange Zeit identifiziert zu werden, was
für die weitere Karriere oft hinderlich sein kann.
2.5.2.3 Die Doku-Soap
Die „Doku-Soap“ ist ein relativ junges Genre, das Mitte der 1990er in
Großbritannien von der BBC entwickelt wurde. 23 Dabei wird die Grenze
zwischen den „nicht-fiktionalen“ und „fiktionalen“ Bereichen überschritten, da
in Struktur einer mehrteiligen Serien reale Begebenheiten gezeigt werden.
„Doku-Soaps vom wahren Leben – mit britischem Humor und Sarkasmus
präsentiert – wurden zum Quotenhit mit sensationellen Einschaltquoten.“24
Inzwischen haben mehrere Fernsehanstalten das Konzept übernommen und
bieten Doku-Soaps zu einer breiten Auswahl an Themen an. Meist sind die
sozialkritischen Töne, die bei diesen Produktionen mitschwingen, nicht zu
übersehen.25 Wieder ist es dem Publikum nicht möglich, zu unterscheiden, was
nun wirklich „echt“ an den gezeigten Szenen ist und was möglicherweise
21
Vgl. Göttlich 1999: 63 ff. über die Auswirkungen des Todes der Prinzessin von Wales auf die Drehbuchgestaltung der
deutschen Jugendserie „Verbotene Liebe“. Zudem ermöglichen es solche Serien auch, ein beträchtliches Maß an Lokalkolorit
zu transportieren, man denke nur an die österreichische Serien „Kommissar Rex“ oder „Julia“.
22 Göttlich 1999: 62.
23 http://www.mediaculture-online.de/Doku-Soap.441.0.html (23.1.2005).
24 http://www.mediaculture-online.de/Doku-Soap.441.0.html (23.1.2005).
25 Z.B. bei der britischen Produktion „Wife Swap“, wo Frauen von sehr unterschiedlicher Herkunft für einen bestimmte Zeit
Haushalt, Familie und Partner tauschen, oder bei der deutschen Produktion „Die Super-Nanny“, wo überforderte Eltern mit
ihren schwer erziehbaren Kindern im Mittelpunkt stehen.
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25
nachgestellt ist. Aber dieses Genre befriedigt offensichtlich eine bestimmte Art
von voyeuristischem Bedürfnis des späten 20. Jahrhunderts und beginnenden 21.
Jahrhunderts und das wird für die historische Forschung der Zukunft ein
interessanter Ausgangspunkt sein.
2.5.2.4 Die Fernseh-Show
Fernseh-Shows zählen zu den teuersten Produktionen eines Fernsehsenders. Sie
werden meist live ausgestrahlt und verursachen einen großen personellen und
finanziellen Aufwand.26 Im deutschsprachigen Raum hatte die Fernseh-Show
über lange Jahre ihren fixen Sendeplatz am Samstag abend. Die Produktionen
sollten daher unterhalten, möglichst alle Generationen vor dem Fernsehschirm
ansprechen und durch die Einladung von speziellen Gästen ein Stück vom Flair
der weiten Welt in die Wohnzimmer bringen.27 Die Moderatoren dieser Shows
wurden schnell zu weithin bekannten Stars des Fernsehens.
Mit der Diversifizierung des Fernsehangebots (neue Sender, neue
Programmformen) ist es immer schwieriger geworden, die vielen Ansprüche an
eine Fernseh-Show zu erfüllen, es gelingt aber in einigen Fällen noch immer,
wie die Co-Produktion „Wetten, dass...“ zeigt.28 Die Strahkraft eines bekannten
Moderators (derzeit Thomas Gottschalk) in Kombination mit dem Konzept von
aufwändigen Wetten, bekannten Wettpaten als Gästen und einem Unterhaltsteil
mit populären Künstlern verschafften der Sendung im deutschsprachigen
Fernsehraum noch immer Spitzenquoten.
Für den Historiker lassen sich aus den Shows sehr gut Aussagen zum jeweiligen
Zeitgeist ablesen, sei der Musikgeschmack, die Popularität der Gäste oder die
gerade moderne Präsentationform von Live-Events im Fernsehen.
26
Kosten Studiomieten, Produktionspersonal, Gäste, Moderatoren, etc. müssen beglichen werden.
Beispiele für frühe deutsche Shows dieser Art sind „Vergissmeinnicht“ (Moderation: Peter Frankenfeld), „Einer wird
gewinnen“ (Mod.: Hans-Joachim Kulenkampff) oder „Dalli Dalli“ (Mod.: Hans Rosenthal).
28 An ihrer Produktion sind die öffentlich-rechtliche Sender ORF, SRG und ZDF beteiligt.
27
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26
2.6 Der nicht-öffentliche Bereich
Für alle bisher besprochenen Medientypen gilt auch die Unterteilung in
öffentliches und nicht öffentliches Material. Privatpersonen, Firmen, Ämter oder
sonstige Institutionen produzieren täglich eine große Menge von audiovisuellen
Quellen, die nur einem beschränkten Kreis von Personen zugänglich und
bekannt sind.29 Für die Quellenkritik ist dieser nicht-öffentliche Bereich von
Quellen oft besonders schwer zu interpretieren, weil viele Fragen nach den
Produktionsumständen mehr im Verborgenen liegen als bei den Quellen, die
immer schon für eine breite Rezeption gedacht waren. Das beginnt bei den
technischen Parameter der Produktion, die bei Material aus diesem Bereich oft
nur mehr sehr lückenhaft erschlossen werden können, weiters ist oft die
Identifizierung von Personen oder Lokalitäten schwierig, weil der
Sinnzusammenhang, den der Produzent noch kannte, nicht durch
Aufzeichnungen oder Hinweise tradiert wird.30
Wie schnell mit der heutigen Technologie die Grenze zwischen privatem und
öffentlichem Bereich verwischt wird, zeigt z.B. die jüngste Publikation von
Fotos des österreichischen Finanzministers Grasser auf dem Pariser Flughafen.
Dort hat er sich, so scheint es, von einer Dame „liebvoll verabschiedet“31, die
nicht seine Verlobte ist. Eine österreichische Schulklasse, und andere Touristen,
scheinen davon mit Handy- und Digitalkameras Aufnahmen gemacht zu haben
und es dauerte nur kurz, bis eine Illustrierte die Fotos publizierte. Man wird
Helmut Spudlich Recht geben, wenn er schreibt: „Denn nicht nur sind wir eine
bildverliebte Gesellschaft, die Produktionsmittel dazu sind heute in jedermanns
Händen.“32
Die Produktion audiovisuellen Materials ist heute in den Industrieländern kaum
mehr eine Frage der finanziellen Ressourcen. Dieser Umstand trägt zu der
unüberschaubaren täglichen Menge an überwiegend digitalen Daten bei, deren
29
Vgl. dazu auch die Ausführungen von Delmas 2003: 578 ff.
Man denke z.B. an Fotos oder Filme von länger zurückliegenden Familienfeiern. Hier geht oft das Wissen um die
Umstände der audiovisuellen Produktion schon innerhalb der Familiengenerationen verloren.
31 Standard 19./20.3.2005: 6.
32 Standard 19./20.3.2005: 6.
30
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Produktion, Verwendung und Verwertung oder sofortige Löschung nicht mehr
zu kontrollieren ist. Nur ein Bruchteil der audiovisuellen Quellen wird also
zukünftig für die Forschung zur Verfügung stehen und das Bild, das sich der
Historiker vom beginnenden 21. Jahrhundert machen wird können, läuft Gefahr
ebenso lückhaft zu sein, wie die spärliche (schriftliche) Überlieferung manch
vergangener Epochen, von der wir heute mit Bedauern sprechen.
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2.7 „public access“ durch die digitale Revolution – Zwischenstand
einer Diskussion
Öffentlich-rechtliche Sender, besonders in Ländern, in denen es kein nationales
audiovisuelles Archiv gibt, sind meistens auch die Bewahrer des audiovisuellen
Gedächtnisses einer Nation. In den letzten Jahren ist der Druck, die Archive zu
öffnen und der Allgemeinheit, die über Gebühren diese Rundfunkanstalten
finanziert, immer größer geworden – ein weiteres Zeichen für die gewachsene
gesellschaftliche Bedeutung dieser Quellen.
Der frühere Generaldirektor der BBC, Greg Dyke, war einer der ersten, der im
August 2003 die kostenlose Nutzung des audiovisuellen “Schatzes” der BBC in
Aussicht stellte und so die Öffentlichkeit, aber auch die Fachwelt erstaunte:
"Up until now this huge resource has remained locked up, inaccessible to the
public because there hasn't been an effective mechanism for distribution. But the
digital revolution and broadband are changing all that. For the first time there is
an easy and affordable way of making this treasure trove of BBC content
available to all." 33
Fast zwei Jahre nach dieser Ankündigung, ist wenig von diesen Ankündigen
realisiert worden und auch bei anderen Anstalten haben ohne weiteres ihre
audiovisuellen Daten online gestellt. Dafür gibt es mehrere Gründe.
2.7.1 Die technischen Herausforderungen
Auf der Seite potentieller Nutzer eines oben skizzierten Zuganges zu Daten und
Material haben sich in den letzten Jahren die technischen Voraussetzungen stark
gebessert. Breitband-Internet und eine Reihe von verschiedenen Playern für
Videofiles gehören heute schon fast zum Standard eines Privathaushaltes, ganz
33
http://news.bbc.co.uk/1/hi/entertainment/tv_and_radio/3177479.stm (10.2.05)
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zu schweigen von Firmennetzwerken. Der Zugriff auch auf größere Files stellt
kein großes Problem mehr dar.
Anders verhält es sich auf der Seite der Anbieter, in unserem Fall, der
audiovisuellen Archive v.a. von Rundfunkanstalten. Die große Menge an
Material, das noch nicht digitalisiert ist, es vielleicht auch nie sein wird, stellt
einen Teil des Problems dar. Es sind erst geringe Mengen der audiovisuellen
Quellen in die digitale Sphäre umgewandelt worden und die in vielen Fällen gibt
es keine Finanzierung, um die Digitalisierung großflächig voranzutreiben.
Schließlich muss bei der Digitalisierung jedes Materialstück einen je nach
Ausstattung des Unternehmens unterschiedlich langen Prozess durchlaufen, der
trotz aller Automatisierungsmöglichkeiten noch immer einen beträchtlichen
Einsatz von Arbeitszeit erfordert.
Doch selbst nur die Einschau in die Datenbankeinträge, ohne den Nutzern das
Ansehen von bewegten Bildern zu ermöglichen, ist aufgrund der meist sehr
proprietären, d.h. selbst definierten, Metadatenstandards schwer. Abkürzungen
und internen Dokumentationsrichtlinien machen es dem Laien schwer, aus den
Metadaten sinnvolle Informationen abzulesen.
Schwerer noch als technische Probleme wiegen jedoch juristische Restriktionen,
auf die man im Falle einer Online-Veröffentlichung von audiovisuellem
Material sehr bald stößt.
2.8 Die „gemachte Wahrheit“
Mit der Entwicklung audiovisueller Medien schienen die Historiker Quellen zu
bekommen, deren Glaubhaftigkeit größer war als jeder Text. Wenn Töne und
Bilder konserviert werden können, werden auch kommenden Generationen – so
die Schlußfolgerung – „dabei gewesen“ sein können.
Diese Erwartungshaltung hat man vor allem der visuellen Überlieferung
entgegengebracht, wie auch Susanne Pollert bemerkt hat:
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„Moving Images vermitteln Glaubhaftigkeit – sie ermöglichen dem Zuschauer
ein Mit-Erleben und Sich-Identifizieren mit Handlungsabläufen, Ereignissen,
Personen, Zuständen und Schicksalen, die durch ihre bewegt-bildmäßige
Darstellung sehbar (und hörbar) wurden.“34
Wolfgang Pensold hat diesen Effekt am Beispiel der audiovisuellen Präsenz des
amerikanischen Präsidenten J.F. Kennedy und seiner Frau Jackie in seiner
Untersuchung über die ersten Jahre des Fernsehens im Wiener Stadtteil
Ottakring nachgezeichnet.35 Das Leben und Sterben von J.F. Kennedy war nicht
nur im Moment des Geschehens für die Masse der Zuseher am Fernsehschirm
rund um den Globus mit-erlebbar, sondern die Fernseh-Bilder vom Attentat in
Dallas beschäftigen ja heute noch viele Interessierte, welche die offizielle
Version vom Hergang und von den Hintergründen der tödlichen Schüsse beoder entkräften wollen.
Vordergründig ist diese Erwartungshaltung gegenüber audiovisuellen Medien
auch gerechtfertigt. Die Kamera zeichnet Sachverhalte unbestechlicher und
genauer auf als der beste schriftliche Bericht sie schildern könnte. Das Tonband
gibt wieder, was gesagt wurde, und dadurch wird das Archiv „zur Rache der
Journalisten an den Politikern“36
Diese Sicht der Dinge ist jedoch sehr leicht zu widerlegen. Wir wissen heute,
dass die uns überlieferte, in Österreich sehr bekannt gewordene
Weihnachtsansprache im Radio von Bundeskanzler Figl 1945 erst Jahre später
von ihm nachgesprochen und dabei aufgezeichnet wurde.37 Wir wissen, dass der
gleiche Figl die Worte „Österreich ist frei“ nach der Unterschrift unter den
Staatsvertrag gesagt hat und nicht erst als er das Vertragswerk den Massen vom
Balkon des Belvedere-Schlosses zeigte. Dennoch wird die Szene am Balkon
gern mit den Worten nach der Unterschrift in Fernsehbeiträgen unterlegt.
34
Pollert 1996: 45.
Pensold 1999: 134 ff.
36 Robert Hochner.
37 Öhl 2004: 10 und Anm. 14.
35
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31
Der ehemalige irakische Diktator Saddam Hussein hatte mehrere Doppelgänger,
die sich statt seiner selbst bei offiziellen Anlässen zeigten und zollte damit dem
Medien-Zeitalter, in dem es nicht mehr möglich war, sich gar nicht zu zeigen,
einerseits Tribut, andererseits verhöhnte er es durch diese Taktik. Welcher
Doppelgänger nun bei welcher Gelegenheit gefilmt und als Saddam Hussein in
den Datenbanken rund um den Globus abgespeichert wurde, wissen wir nicht.
Der amerikanische Präsident Bush besuchte zum „Thanksgiving“ Fest 2003 die
US-Truppen im Irak. Medienwirksam hielt er eine große Truthahn-Platte in die
Kameras, die er wohl gleich mit den Soldaten verspeisen würde – so der
Eindruck. Es „sickerte“ dann durch, dass der Truthahn weder echt war noch bei
der Gelegenheit verzehrt wurde. Aber die Medien hatten ihre „Story“ und in
diesem Fall waren das Bild und die damit verbundene „Message“ das Ziel.38
Alle genannten Beispiele zeigen, wie oft audiovisuelle Medien geschickte
Inszenierungen weitertransportieren, die nur peripher mit der Realität oder
Wahrheit zu tun haben. Der „Glaube“ des Rezipienten an die Wahrheit in den
audiovisuellen Medien wird in solchen Fällen ganz bewusst missbraucht: „Et, de
fil en aiguille, la télévision qui prétend être un instrument d’enregistrement,
devient instrument de création de réalité.“39
Genau genommen beginnen diese Manipulationen schon im Produktionsprozess,
wenn statt Landschaftsbilder drehen zu lassen, Archivmaterial verwendet wird –
durchaus ganz im Sinne der Ökonomie und des Archivs. Der Betrachter muss
sich dieser Sachverhalte bewusst sein, er muss wissen, dass nicht jeder
Sonnenaufgang neu gefilmt wird und darf ruhig an seine visuelles Gedächtnis
glauben, wenn ihm eine Einstellung aus einem anderen Zusammenhang sehr
bekannt vorkommt. Im Sinn des „Distinguendum est“ darf in solchen Fällen
jedoch wohl für „mildernde Umstände“ plädiert werden, als es sich – im Sinne
38
Inzwischen wird sogar angezweifelt, dass die in den Medien dargestellte und von ihnen weltweit verbreitete Version vom
Hergang der Festnahme Saddam Husseins, der sich im Dezember 2003 widerstandslos aus einem Erdloch hätte ziehen lassen,
der Wahrheit entspricht. Möglicherweise hat ein Kamerateam des amerikanischen Militärs den Hergang der Ereignisse im
Sinne der amerikanischen Streitkräfte inszeniert. Vgl. http://www.orf.at/050311-84689/index.html (13.3.05).
39 Bourdieu 1996: 21.
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der diplomatischen Terminologie - nicht um Fälschungen dolosen Charakters
handelt.40
Für die quellenkundliche Betrachtung muss jedoch eine Methodik gefunden
werden, die alle Fälschungen feststellen kann. Erst im weiteren
Sinnzusammenhang kann der Historiker dann sein eigenes, individuelles Urteil
über die Intentionen und Auswirkungen von Fälschungen im audiovisuellen
Bereich fällen.
2.9 Geschichte in den audiovisuellen Quellen
Nicht wenige Proponenten der historischen Wissenschaften haben bis heute
Berührungsängste mit den audiovisuellen Medien, wenn es darum geht, ihre
Ergebnisse statt in gedruckter Form in einer für Radio oder Fernsehen
transportablen Form weiterzugeben. Selbst wenn man nicht den Standpunkt teilt,
dass „Schrift, Alphabet, Buch ... nur obsolete Spezialfälle anderer
Mediensysteme“41 geworden sind, wird man doch Kershaw zustimmen, wenn er
meint: „Die Anschaulichkeit und Unmittelbarkeit der Bilder verfügt über eine
lebendigere Durchschlagskraft als selbst die erhabensten Prosatexte.“ 42
Moderne Massenmedien, wie Radio, Fernsehen oder auch das Internet erreichen
heute in den Industriestaaten mehr Menschen als aufwändig produzierte daher
auch meist teure Druckwerke. Dieser Umstand allein macht Überlegungen über
die Einbeziehung der Massenmedien in den Prozess der Wissensvermittlung
notwendig.43
Die Probleme, denen sich Historiker gegenüber sehen, wenn sie sich etwa des
Fernsehens für ihre Zwecke bedienen wollen, sind bekannt: Die wenige
Sendezeit, die zur Verfügung steht, reicht in den meisten Fällen nicht aus, um
schwierige Sachverhalte zu erklären oder längere Entwicklungslinien
nachzuzeichnen. Fernsehen funktioniert nicht ohne Bilder, erklärende Momente
40
Brühl 1988: 15.
Matejovski 2001: 274 in Bezug auf ein Zitat von Norbert Bolz.
42 Kershaw 2004: 559.
43 Vgl. Kershaw 2004: 560: „Doch wenn die Historiker sich darin einig sind, der Zweck der Geschichtsforschung – oder
zumindest eines ihrer wesentlichen Ziele – bestehe darin, die Erkenntnis über den Kreis der akademischen Spezialisten
hinauszutragen, dann müssen sie das Medium, das dazu hervorragend geeignet ist, mit einigem Wohlwollen betrachten.“
41
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müssen daher im TV entfallen, wenn es kein passendes Bildmaterial dazu gibt.44
Das „Diktat der Quote“ mag zudem für viele Themenbereiche historischer
Forschung prinzipiell eine zu hohe Hürde darstellen, um es überhaupt auf die
Agenda der Programmplaner zu schaffen.
Ist es dennoch gerechtfertigt, die Darstellung von Geschichte in den
audiovisuellen Massenmedien den Nicht-Fachleuten zu überlassen, über die sich
dann auch noch trefflich Hohn und Spott ausgießen lässt? Ich denke nicht, denn
wenn man bereit ist, sich auf die Produktionsbedingungen des Radios oder
Fernsehen genauso einzulassen wie auf die Vorgaben der Verlage, kann
Geschichte auch dort auf interessante und auch wissenschaftlich fundierte Weise
vermittelt werden.
Gewiss ist das für die Themenbereiche leichter, für die es bereits audiovisuelles
Quellenmaterial gibt, grob gesprochen also für den Zeitraum seit Mitte des 19.
Jahrhunderts. Der Historiker wird ebenfalls gut daran tun, sich mit Spezialisten
aus dem Rundfunkbereich abzusprechen, um auszuloten, was als Ergebnis seiner
Darstellung möglich ist, und mit welchen Problemen bei der Produktion zu
rechnen ist. 45 Es bedarf ohne Zweifel einer größeren Anstrengung, sich auf ein
neues, unbekanntes Medium und seine Möglichkeiten einzulassen, aber ich
behaupte, die Mühe lohnt sich. Eine Produktion im audiovisuellen Bereich muss
vor allem Wege finden, den wissenschaftlichen Apparat wie Anmerkungen,
Fußnoten und Bibliographien, dem Hörer/Seher zu vermitteln. So wird auch im
Fernsehen eine Ausgewogenheit von Text und Bild angestrebt werden und die
Auswahl des zur Verfügung stehenden Bildmaterials muss nicht nur der
Intention des Historikers, sondern auch einem notwendigen ästhetischen
Konzept dienen. Dabei wird man kaum auf die Erfahrung von Profis aus dem
audiovisuellen Sektor verzichten können. Die Zusammenarbeit zwischen
Professionalisten aus dem Rundfunkbereich und aus der Lehre und Forschung
kann für beide Seiten befruchtend und interessant sein. Eines bleibt jedoch auch
44
45
Hier bietet etwa das Radio Vorteile, die jedoch durch das gänzliche Fehlen von Bildern meist wieder aufgehoben werden.
Vgl. Kershaw 2004: 561: „Geschichte im Fernsehen ist etwas anderes als ‚gedruckte Geschichte’“.
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im audiovisuellen Bereich eine unabdingbare Bedingung für den
Wissenschafter: Der Weg zum Ziel, sprich zur fertigen Sendung, muss
nachvollziehbar sein. Dies einzulösen, ist umso schwieriger, weil der Zugang
zum Quellenmaterial in den meisten Fällen weitaus stärker beschränkt ist, als
das bei schriftlichen Unterlagen der Fall ist. Ein Grund mehr, auch für
audiovisuelle Quellen eine ähnliche Transparenz und Zugänglichkeit zu fordern,
wie sie durch das öffentliche Archiv- und Bibliothekswesen für Schriftquellen
schon längst eine Selbstverständlichkeit ist.
Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Bilder.46 Daher hat die Kombination
von gesprochenem Wort und gezeigtem Bild eine Breitenwirkung, die, bei aller
zur Gebote stehenden Medienkritik, kaum von schriftlichen Werken erreicht
werden kann.
Bedenkt man die Chancen, die in der Darstellung von Geschichte in den
audiovisuellen Massenmedien liegen und die Gefahren für die Wissenschaft,
wenn sie sich diesen Medien vollkommen verschließt und sich somit bewusst in
den sprichwörtlichen Elfenbeinturm zurückzieht, liegt es eigentlich auf der
Hand, dass es in Zukunft nur der Einsatz verschiedener Medien bei der
Verbreitung der historischen Forschungsergebnisse erfolgreich sein kann.
Vgl. Burda 2004: 11: „Es sind nicht Texte, sondern Bilder, die die Wende zum 21.Jahrhundert markieren und sich in
unsere Köpfe eingebrannt haben.“
46
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