1. Zum Stellenwert des Fehlers im Sprachlernprozess

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Auswirkungen des Gemeinsamen europäischen
Referenzrahmens und der neueren
Fachdiskussion auf den Umgang mit Fehlern
1. Zum Stellenwert des Fehlers im Sprachlernprozess
In der fachdidaktischen Literatur besteht – wenn es um den Stellenwert des
Fehlers im Sprachlernprozess geht – weitgehend Einigkeit in folgenden
Punkten:
•
Fehler gehören zum Lernprozess.
•
Sie haben unterschiedliche Ursachen, sind also keinesfalls nur auf
Ursachen wie ungenügende Anstrengung, Vergessen etc. zurückzuführen.
Vielmehr beeinflussen Interferenzen aus der Muttersprache oder anderen
Fremdsprachen (*Yo he 15 aňos), Übergeneralisierungen (*me gusto),
Regularisierungen (*he escribido), Simplifizierungen etc. die
Lernersprache.
•
Fehler sind durch Maßnahmen wie Lernprogrammierung oder
kontinuierliche Fehlerkorrektur nicht zu verhindern.
•
Viele Fehler zeigen, dass Lerner (intuitiv) Hypothesen über Sprache bilden.
(vgl. z.B. Kleppin & Königs 1993; Königs 2003; Kleppin 1998)
Darüber hinaus können Lerner, auch wenn dies zunächst einmal absurd
anmuten mag, Fehler bewusst in Kauf nehmen, um Hypothesen über Sprache
zu testen und dadurch weiter zu lernen. Ein solches Lernerverhalten kann als
Einsatz einer besonderen Kommunikations- und Lernstrategie gewertet
werden, die dem Lerner z.B. einen Versuch erlaubt, etwas auszudrücken, was
er noch nicht gelernt hat, aber gern benutzen möchte oder was er gerade
braucht, um eine Kommunikationsabsicht realisieren zu können. Wenn dann
der Lehrer oder auch ein authentischer Kommunikationspartner die Korrektur
vornimmt und die richtige Äußerung vorgibt, kann der Lerner diese verwenden
und wird sie möglicherweise sogar behalten wollen.
Fehler sind demnach nicht per se als Defizite des Lerners zu betrachten. Zwar
haben sie bei der Bewertung schriftlicher und mündlicher Lernerproduktionen
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meist diesen Stellenwert; doch es ist zunächst einmal zu unterscheiden
zwischen dem Stellenwert von Fehlern etwa bei der Leistungs- und
Lernfortschrittsbewertung und ihrem Stellenwert im Lernprozess. Stark
vereinfacht: Im Unterricht und beim Lernen zeigen sie ihre positive Seite, was
Schülern bewusst gemacht werden sollte. Bei Prüfungen und Tests werden sie
meist eher negativ in die Bewertung einbezogen und besitzen für Schüler daher
auch einen eher negativen Stellenwert.
Das Vorkommen der unterschiedlichen Fehlertypen kann nicht nur für den
Lehrer, der die unterschiedlichen Verläufe und Stadien der individuellen
Lernprozesse nicht genau nachvollziehen kann oder sollte, sondern vor allem
für den Lerner selbst etwas über den individuellen Lernprozess aussagen.
Handelt es sich beispielsweise um Performanz- oder Kompetenzfehler (vgl.
z.B. Corder 1967). Liegt ein Versprecher oder ein Fehlgriff (Performanzfehler)
vor, also ein Fehler, den der Lerner selbst korrigieren könnte, wenn er
(eventuell versehen mit einer Hilfe) darauf hingewiesen wird, dann deutet der
Fehler möglicherweise auf mangelnde Aufmerksamkeit, Ablenkung durch
andere mentale Aktivitäten, auf eine Gewöhnung o. ä. hin. Der Lerner benötigt
dabei meist keine weiteren Erklärungshilfen, sondern ein bewusstes Umgehen
mit diesen Fehlern, die sich ohne Korrekturen oder bewusst auf diese Fehler
ausgerichtete andere Aktivitäten (s. z. B. die unter 3. vorgeschlagenen
Aktivitäten) durchaus ‚festsetzen’, also fossilisieren können.
Bei Irrtümern (Kompetenzfehler) hingegen hat der Lerner etwas noch nicht
verstanden oder es wieder vergessen. Hierbei sind also Aktivitäten notwendig,
über die der Lerner erst einmal das Funktionieren der entsprechenden
sprachlichen Phänomene entdeckt. Versuche (ebenfalls meist
Kompetenzfehler, vgl. zu dieser Fehlerunterscheidung z.B. Edge 1989) können
anzeigen, das ein Lerner etwas ausdrücken möchte, was noch nicht gelernt
wurde, was er aber benutzen können möchte (s. o.). Solche Versuche bieten
einen guten Ausgangspunkt für weitere Lernaktivitäten.
Weiterhin kann eine Unterscheidung von Fehlern nach Fehlerursachen
erfolgen. Sprachliche Interferenz, Übergeneralisierung, Regularisierung,
Einsatz von Kommunikations- und Lernstrategien, Übungstransfer, soziokulturelle Interferenz, personale Faktoren wie Müdigkeit, Unaufmerksamkeit
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etc. verdeutlichen, was im Kopfe eines Lerners beim Fremdsprachenlernen vor
sich geht. Dem Lerner sollte daher die Möglichkeit eröffnet werden, solche
Ursachen selbst zu durchschauen (vgl. unter 3.). Schon hier muss m. E. die
Förderung von Lernautonomie und damit die Steuerung und Kontrolle über den
eigenen Lernprozess ansetzen.
2. Zum Stellenwert des Fehlers in der
Leistungsbewertung – neue Herausforderungen
In der bestehenden Praxis des Fremdsprachenunterrichts werden bei
Korrekturmaßnahmen und bei der Leistungsbewertung Fehler meist als ein
Indikator für mangelnde Leistung sowohl im schriftlichen wie im mündlichen
Ausdruck betrachtet. Die Fehleranzahl und -dichte scheint ein ‚verlässlicher
Zählwert’ zu sein. Dies äußert sich zum Teil noch in der Berechnung eines
Fehlerquotienten für schriftliche Arbeiten. Doch ein niedriger Fehlerquotient
zeigt nicht unbedingt an, dass etwas ‚gekonnt’ wird; vielmehr könnte ein
Lerner taktisch vorgegangen sein und nur das äußern, was er sicher weiß; er hat
also möglicherweise seine Äußerungsabsicht reduziert, Redundanzen zur
Erhöhung der Wortanzahl genutzt o. ä.
Die Empfehlungen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (GeR)
(Europarat 2001) haben nun allerdings zum Umdenken in allen
fremdsprachlichen Fächern gezwungen: Das Kriterium Korrektheit muss in
Zukunft den positiv formulierten Kann-Beschreibungen folgen.
An einem aus dem GeR entnommenen Beispiel (Aspekte der kommunikativen
Sprachkompetenz: Ausdrucksfähigkeit, Flüssigkeit, Interaktion, Kohärenz,
Korrektheit) kann verdeutlicht werden, welchen Stellenwert der Fehler bei den
Deskriptoren einnimmt.
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Korrektheit
C2
Zeigt auch bei der Verwendung komplexer Sprachmittel eine durchgehende Beherrschung
der Grammatik, selbst wenn die Aufmerksamkeit anderweitig beansprucht wird (z. B. durch
vorausblickendes Planen oder Konzentration auf die Reaktionen anderer).
C1
Behält durchgehend ein hohes Maß an grammatischer Korrektheit; Fehler sind selten, fallen
kaum auf und werden in der Regel selbst korrigiert.
B2+
B2
Zeigt eine recht gute Beherrschung der Grammatik. Macht keine Fehler, die zu
Missverständnissen führen, und kann die meisten eigenen Fehler selbst korrigieren.
B1+
B1
Verwendet verhältnismäßig korrekt ein Repertoire gebräuchlicher Strukturen und
Redeformeln, die mit eher vorhersehbaren Situationen zusammenhängen.
A2+
A2
Verwendet einige einfache Strukturen korrekt, macht aber noch systematisch elementare
Fehler.
A1
Zeigt nur eine begrenzte Beherrschung von einigen wenigen einfachen grammatischen
Strukturen und Satzmustern in einem auswendig gelernten Repertoire.
(vgl. Europarat 2001, S.37f.)
Nur auf drei Niveaus C1, B2 und A2 kommt der Begriff Fehler überhaupt vor.
Auf dem Niveau C1 treten in der Regel nur Fehler auf, die selbst korrigiert
werden können (Performanzfehler) und nicht ‚auffallen’; ein
Kommunikationspartner würde sie also kaum bemerken. Auch für das Niveau
B2 ist die Möglichkeit der Selbstkorrektur ein entscheidendes Kriterium,
kommunikationsbehindernde Fehler dürfen bei einer Einordnung in dieses
Niveau nicht vorkommen; zumindest sind eventuelle Missverständnisse auf
Grund von Fehlern schnell zu klären. Auf dem Niveau A2 hingegen werden
systematisch elementare Fehler begangen. Gemeint sind hier sicherlich auch
linguistisch orientierte Fehlertypen wie etwa Orthographie-, Aussprache-,
Morpho-Syntax-, Lexiko-Semantikfehler etc., wobei unterschiedliche Ursachen
(Interferenzfehler, Übergeneralisierungen, etc.) zum Tragen kommen.
Ansonsten werden solche Formulierungen benutzt wie „ein hoher Maß an
grammatischer Korrektheit“ (C1), „ recht gute Beherrschung der Grammatik“
(B2), „verwendet verhältnismäßig korrekt ein Repertoire gebräuchlicher
Strukturen und Redeformeln“ (B1), „verwendet einfache Strukturen korrekt“
(A2) „begrenzte Beherrschung von einigen wenigen grammatischen Strukturen
und Satzmustern“ (A1).
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Die neuen Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Spanisch
z.B. (vgl. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 01.12.1989 i.d.F. vom
05.02.2004; http://www.kmk.org/doc/beschl/EPA-Spanisch.pdf) richten sich
nach den Empfehlungen des GeRs; denn zwar kommt z. B. bei der Bildung der
Gesamtnote für die schriftlichen Prüfungsleistungen (inhaltliche und
sprachliche Leistung (S.16) der sprachlichen Leistung die größere Bedeutung
zu, doch gilt dabei, dass die Beurteilung der Sprachrichtigkeit, „sich nicht
allein an einem Verhältnis Fehlerzahl: Wortzahl orientieren [darf]; vielmehr
muss die sprachliche Leistung auch daraufhin beurteilt werden, in welchem
Maße die kommunikativen Ziele erreicht werden. Mut zur anspruchsvolleren
Sprachgestaltung (im Gegensatz zu einer defensiven, auf Sicherheit bedachten
Schreibweise) ist bei der Beurteilung der sprachlichen Leistung zu
berücksichtigen.“ (S. 17)
Die Anhaltspunkte, die dann im weiteren Verlauf für die Bewertungen mit
„Gut“ bzw. „Ausreichend“ gegeben werden (S. 18ff.) verabschieden sich in
noch radikalerer Form vom Fehlerbegriff:
Ein Beispiel für die Bewertung der Textaufgabe:
„Eine gute sprachliche Leistung im
Grundkursfach liegt vor, wenn
Eine ausreichende sprachliche Leistung
im Grundkursfach liegt vor, wenn
-
differenzierte Verknüpfungen zwischen
Satzteilen, Sätzen und Satzgruppen in
einer der Aufgabenstellung
angemessenen Weise eingesetzt werden,
-
einfache Verknüpfungen zwischen
Satzteilen, Sätzen und Satzgruppen
gemäß der Aufgabenstellung eingesetzt
werden,
-
Sachverhalte und Meinungen
differenziert ausgedrückt und wichtige
Wörter und Wendungen aus den im
Rahmen der Aufgabenstellung
einschlägigen Themenfeldern
sachgerecht eingebracht werden,
-
der Wortschatz ausreicht, um
Sachverhalte und Meinungen
weitgehend verständlich auszudrücken
und die Kenntnis wichtiger Wörter und
Wendungen im Rahmen der
Aufgabenstellung zu erkennen ist,
-
formalsprachliche Verstöße die
Verständlichkeit nicht beeinträchtigen
und
-
formalsprachliche Verstöße die
Verständlichkeit nicht erheblich
beeinträchtigen und
-
ein differenzierter Umgang mit
sprachlichen Gesetzmäßigkeiten
erkennbar ist.
-
pragmatische Vertrautheit mit
grundlegenden sprachlichen
Gesetzmäßigkeiten erkennbar ist.“
(http://www.kmk.org/doc/beschl/EPA-Spanisch.pdf, S. 18)
Bei den Bewertungskriterien, die für die mündliche Prüfung beschrieben
werden, wird betont, dass „bei der Bewertung ein zeitweiliges Zurücktreten der
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Sprachrichtigkeit zu Gunsten des kommunikativen Erfolgs der Aussage
denkbar [ist]. Die Verständlichkeit der Aussage darf jedoch nicht beeinträchtigt
werden.“ (S. 23) Es wird bei dem Bewertungskriterien Sprachrichtigkeit
explizit betont, dass auf alleiniges Auflisten von Fehlern in der Regel
verzichtet werden soll.
In Übereinstimmung mit den unter 1. genannten Erkenntnissen aus der
Spracherwerbsforschung und den Vorgaben des GeRs stehen auch die
Checklisten für die Selbsteinschätzung, die z.B. im Europäischen Portfolio der
Sprachen für die Sekundarstufe der Schulen in Nordrhein-Westfalen
(Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, o. J.) in der Sprachenbiographie
aufgeführt sind. Auch hier kommt der Begriff Fehler bei dem Aspekt
Korrektheit nur selten vor. Meist werden kommunikative Situationen bzw.
Aktivitäten beschrieben, in denen fehlerfrei oder weitgehend korrekt gehandelt
werden kann.
Die Niveaus A1 – B1 werden im Hinblick auf den Aspekt Korrektheit z.B.
folgendermaßen beschrieben:
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(Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, o. J., S. 34)
Zusammenfassend ist nun festzustellen, dass Fehler in Bezug auf eine
Niveaueinstufung sowohl für die Fremd- als auch die Selbsteinschätzung als
Zählwert irrelevant zu sein scheinen.
Die Frage stellt sich allerdings, was sich aus Erkenntnissen der
Spracherwerbsforschung und den Empfehlungen des GeRs für den Umgang
mit Fehlern im Unterricht ergibt.
3. Zum Umgang mit Fehlern im Unterricht
Die Tatsache, dass sich bei der Leistungsbewertung sowohl für schriftliche als
auch für mündliche Leistungen der Blickwinkel auf Fehler verschoben hat und
sie keinen ‚objektiven Zählwert’ mehr darstellen, heißt jedoch nicht, dass die
Fehlerbehandlung im Unterricht verschwinden sollte. Dies wäre ein
Kurzschluss; denn dann könnten sie auch nicht mehr einen Anlass zum
Weiterlernen bieten (vgl. Kleppin 1995, Kleppin & Raabe 2001) und ihr
‚positiver Stellenwert’ für den Lernprozess wäre nicht zu nutzen.
Lerner sollten allerdings – auch im Zuge der Förderung von Lernerautonomie –
dabei unterstützt werden, den Stellenwert von Fehlern in und für ihren
individuellen Lernprozess zu erkennen. Dies bedeutet für den Unterricht:
 Schüler lernen, Fehler als wichtig und positiv für den Lernprozess zu
sehen. Ausgehend von einer positiven Einschätzung von Fehlern für den
Lernprozess ‚trösten’ Lehrer ihre Schüler meist mit der Aussage, Fehler
seien keinesfalls schlimm. Es wird bezweckt, dass Lernern die Angst vor
Fehlern genommen wird, damit sie sich überhaupt äußern. Hier könnte
sogar die radikalere Version, nämlich der Hinweis auf den möglichen
Nutzen von Fehlern angebrachter sein, da er eben keinen Trost im Hinblick
auf ein Defizit darstellt, sondern den tatsächlichen Stellenwert im
Lernprozess besser zum Ausdruck bringt.
 Schüler lernen, ihre Fehlerursachen zu erkennen. Z. B. wird beim
Bearbeiten neuen Sprachmaterials darüber nachgedacht, wo
möglicherweise bei der Sprachanwendung demnächst Fehler auftreten
werden. Dabei kann es sich um mögliche Interferenzen handeln, aber schon
bei Fragen wie: „Warum sagt man me gusta und nicht me gusto?“ oder „Ist
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das denn nicht wie im Französischen, wo man das Perfekt benutzt? (Z. B.
bei einer Frage zum pasado simple) oder bei solchen Unterschieden wie
intentar hacer una cosa vs. tratar de hacer una cosa; una persona que
llevaba un perro vs. una persona llevando un perro können Lerner dazu
kommen, ihre eigenen Fehler vorauszusehen und beginnen, die Prozesse zu
durchschauen, die sich in ihrem Kopf abspielen.
Fehlerhafte Aussagen können von Schülern im Hinblick auf ihre Ursachen
bearbeitet werden. Dies sollte durchaus in spielerischer Form vor sich
gehen. Interessante Fehler müssten dann (auch von Schülern) gesammelt
werden, Ursachen können erraten werden und gleichzeitig kann man
gemeinsam überlegen, ob man diese Fehler selbst schon begangen hat. Da
Fehler in der Leistungsbewertung nicht mehr den negativen Stellenwert
haben (sollten), kann im Unterricht die Behandlung sinnvoller ansetzen.
Hier ist allerdings ein längerer Prozess des Umdenkens von Nöten.
 Schüler entwickeln Sprachbewusstheit, indem durchgehend auf andere
Sprachen (vorher und gleichzeitig gelernte) rekurriert wird (vgl.
Forderungen aus der Mehrsprachigkeitsdidaktik, z.B. Bausch, Königs &
Krumm (Hrsg.) 2004). Auch bei Korrekturmaßnahmen heißt dies, dass
Vergleiche gezogen, Transfermöglichkeiten genutzt und Abgrenzungen
geklärt werden werden.
Schüler lernen Fehler und fehleranfällige Bereich zu entdecken. Ein
spielerisches detektivisches Vorgehen sollte im Vordergrund stehen; denn
die Entwicklung von Sprachbewusstheit muss Spaß machen, nicht zuletzt
um das Umdenken im Hinblick auf Fehler zu erleichtern. Das Entdecken
fehlerhafter Ausdrücke (z.B. über Fehlerversteigerungen); die Belohnung
für die meisten entdeckten Fehler in einem Text etc. soll Schüler überhaupt
erst dazu anregen, sich mit fehlerhaften (nicht nur den eigenen) Texten zu
beschäftigen. Denn bisher ist gerade die Beschäftigung mit den eigenen
Fehlern immer mit Ängsten und Vermeidungsverhalten verbunden: Wenn
z.B. eine bewertete Arbeit von den Schülern selbst korrigiert werden soll,
so hat dies häufig nur dann für das weitere Lernen Auswirkungen, wenn
der Lehrer die Selbstkorrekturen der Schüler in seine Bewertung
nachträglich positiv einbezieht.
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 Schüler lernen, den eigenen Lernprozess zu überwachen, indem
Selbstreflexionen über den Lernprozess angeregt werden, die nicht nur den
jeweiligen Lernstand betreffen (z.B. bei der Nutzung von
Sprachenportfolios), sondern die sich auch auf typische und häufig
vorkommende Fehler zu einem bestimmten Zeitpunkt beziehen. Dafür
können z.B. individuelle Fehlerprotokolle dienen. Fehlerprotokolle werden
manchmal unterteilt nach Fehlertypen angefertigt. Um allerdings
Sprachlernbewusstheit zu schulen, wäre z.B. unten aufgeführtes Vorgehen
sinnvoll: Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die Ziele nicht zu hoch
gesteckt sind:
Es handelt sich nur um Beispiele bei den Ordnungsmöglichkeiten; Schüler
können und sollten sogar ihre eigenen Kategorien entwickeln.
Meine wichtigsten
Fehler
Mache ich
immer noch,
will ich aber
abschaffen
Vermeidung
noch zu
schwierig
für mich
Eigentlich .....
kein
Problem
mehr
El sábado pasado
*nosotros fuimos a casa
mi tío
Los habitantes son muy
*divertido.
Quiero decirle *una otra
cosa.
Me *encanta asignaturas
como Mates y
*Espagnol
El sistema escolar de
*nosotros países
*Es un poco frío en
Berlin, *no?
Después * la
escuela voy a hacer una
formación.
Me va *mucho bien
La escuela es más
aburid que salir con
*sus padres.
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Eine weitere Möglichkeit wäre z.B. eine Fehlerjagd (vgl. auch Kleppin &
Raabe 2001)
Jeder Schüler nimmt sich für einen bestimmten Zeitraum die Jagd auf
bestimmte – ihn besonders störende – Fehler vor (z.B.*ayudar una
persona (acusativo personal), Fehler bei einzelnen ausgewählten Verben
wie z.B. bei conocer, esperar, ver, visitar oder den Unterschied también
vs tampoco )
Jeder entscheidet dabei für sich selbst, welche Fehler er ‚jagen‘ möchte.
Besonders wichtig ist es, dass die ‚Jagd’ realisierbar ist. Es muss sich also
um einzelne konkrete Fehler handeln und nicht um allgemeine
Fehlertypen.
Mit einem Partner aus der Lerngruppe wird dann ein ‚Jagdvertrag‘
abgeschlossen. Die Partner achten gegenseitig auf die entsprechenden
Fehler. Sanktionen auf Auftreten der Fehler können untereinander
abgemacht werden.
 Schüler lernen mit ihren besonderen (Lern)schwierigkeiten umzugehen,
indem sie dazu angeregt werden, darüber nachzudenken, wo das Spanische
Lernschwierigkeiten bereithält und damit u.a. auch Fehler auftreten
könnten. Natürlich äußern sich Lernschwierigkeiten nicht grundsätzlich in
Fehlern , etwa auf Grund von Vermeidung bestimmter sprachlicher
Phänomene o.ä.
Ein Beispiel für eine Aufgabe
In Zweiergruppen überlegen sich die Lerner zwei ‘unangenehme
Grammatikfragen’ für die anderen Gruppen. Dabei muss es sich um Fragen
handeln, die sie zu sprachlichen Phänomen stellen, mit denen sie selbst
Probleme haben. Es können metasprachliche Fragen („Mit welcher
Präposition wird X verbunden?“) sein; es können Fragen nach
Übersetzungsmöglichkeiten sein („Wie sagt man denn auf spanisch XY?“;
es können objektsprachliche Fragen sein wie: „Welcher Satz ist richtig a
oder b?“ usw.
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4. Bemerkungen zur mündlichen Fehlerkorrektur
Basierend auf dem Wissen um den Stellenwert von Fehlern im (individuellen)
Lernprozess, abgeleitet aus neueren sprachenpolitischen und curricularen
Entwicklungen sowie aus Forschungsergebnissen zur Fehlerkorrektur im
Tertiärsprachenunterricht (Italienisch und Spanisch) (vgl. z.B. Kleppin &
Königs 1991) lassen sich einige Empfehlungen für das mündliche
Fehlerkorrekturverhalten ableiten:
 Lerner wünschen sich Korrekturen. Allerdings sind die folgenden Punkte
dabei von Wichtigkeit:
 Sie wünschen sich ermutigende, nicht sanktionierende und nicht
bloßstellende Korrekturen. Wird diesem Wunsch nicht nachgekommen, so
sind Auswirkungen auf den gesamten Unterrichts- und Lernprozess des
einzelnen Lerners zu befürchten (Kleppin 1998, S.10).
 Lehrer scheinen über bestimmte Korrekturtechniken zu verfügen, die sie
grundsätzlich anwenden und die damit teilweise zu Korrekturroutinen
geraten. Häufig treten insbesondere direkte Korrekturen (explizite
Korrektur des fehlerhaften Teils der Äußerung durch den Lehrer) und die
Initiierung von Selbstkorrekturen auf (Hinweis darauf, dass ein Fehler
vorliegt, eventuell verbunden mit einer Hilfe, die den Schüler dazu
befähigen soll, die Korrektur selbst vorzunehmen). Es wäre daher sinnvoll
sich nicht nur mit unterschiedlichen Korrekturtechniken auseinander zu
setzen (vgl. Kleppin 1998) und diese auch mit der jeweiligen Lernergruppe
zu besprechen, sondern Korrekturroutinen dadurch aufzubrechen, dass z.B.
bei der Planung einer Unterrichtsstunde die Entscheidung für eine - und
eben auch für die nicht vom Lehrer bevorzugte - Korrekturtechnik im
voraus getroffen wird. Für Lehrer ist es daher wichtig, sich selbst in Bezug
auf die Korrekturtechniken zu beobachten und sich nicht nur darauf zu
verlassen, was man zu tun glaubt.
 Bewusstmachende Korrekturmaßnahmen, die zur Reflexion über die
eigenen Fehler anregen und zu Selbstkorrekturen führen sollen, können
insbesondere auch im Kontext eines Entwicklungsprozesses zum
autonomen selbstreflexiven Lerner (s. auch unter 3.) einen besonderen
Stellenwert einnehmen. Eine Reihe von Fehlern können Lerner selbst
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korrigieren, da sie zu großen Teilen dem Bereich der sogenannten
Performanzfehler zugerechnet werden dürften. Natürlich können Lehrer
dies nicht immer erkennen, sie sollten aber in ihrem Unterricht transparent
machen, was sie mit Aufforderungen zur Selbstkorrektur (verbal oder
nonverbal) bezwecken und warum dies auch für die Schüler selbst positiv
ist.
 Vor allem nonverbale Aufforderungen zur Selbstkorrektur (z.B. nonverbale
Zeichen dafür, dass eine Form der Vergangenheit zu verwenden ist; Zeigen
auf eine Fingeranzahl, um ein direktes oder indirektes Objekt zu initiieren)
scheinen entscheidende Vorteile zu besitzen:
o Sie sind meist wesentlich kürzer als verbale Hilfen und damit
zeitökonomischer.
o Sie sind einprägsam und als Aufmerksamkeitssignal hervorragend
geeignet.
o Sie beeinflussen nicht so stark die Unterrichtsinteraktion wie verbale
Eingriffe; sie können vielmehr parallel zu den Äußerungen des
jeweiligen Lerners erfolgen.
o Sie sind daher flexibel und lernerorientiert einsetzbar (z.B. können
nonverbale Signale in der Gruppe erfunden und abgesprochen werden)
und können zu einer günstigen Gruppenatmosphäre beitragen (z.B.
humorvolle nonverbale Hilfen).
Korrekturmaßnahmen sollten vor allem mit den Lernenden besprochen
werden. Der Lehrer kann sich etwa mit Hilfe von Gesprächen, anonymen
schriftlichen Befragungen und Fragebogen über Wünsche und Bedürfnisse
der Lerner informieren und sie so weit wie möglich in sein
Verhaltensrepertoire integrieren.
Vor allem aber sollte der Lehrer durch sein Korrekturverhalten zeigen, dass
er Fehler positiv sieht und als Anlass zum Weiterlernen sehr ernst nimmt.
5. Bibliographie
13
Bausch, Karl-Richard; Königs, Frank G.; Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) (2004):
Mehrsprachigkeit im Fokus. Arbeitspapiere der 24. Frühjahrskonferenz zur
Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen. Gunter Narr.
Corder, Pit S. (1967): “The Significance of Learner's Errors”. In: International
Review of Applied Linguistics 5/2, 161-170.
Edge, Julia (1989): Mistake and Correction. London, New York. Longmann.
Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Spanisch. Beschluss
der Kultusministerkonferenz vom 01.12.1989 i.d.F. vom 05.02.2004; unter
http://www.kmk.org/doc/beschl/EPA-Spanisch.pdf (18.10.2004).
Europarat (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen:
lernen, lehren, beurteilen. (Herausgegeben vom Goethe-Institut Inter Nationes,
der Ständigen Konferenz der Kulturminister der Länder in der Bundesrepublik
Deutschland (KMK), der Schweizerischen Konferenz der Kantonalen
Erziehungsdirektoren (EDK) und dem österreichischen Bundesministerium für
Bildung, Wissenschaft und Kultur (BMBWK). Berlin usw. Langenscheidt.
Kleppin, Karin; Königs, Frank. G. (1991): Der Korrektur auf der Spur.
Beobachtungen und Analysen zum mündlichen Korrekturverhalten von
Fremdsprachenlehrern. Bochum. Brockmeyer.
Kleppin, Karin (1995): „Fehler als Chance zum Weiterlernen“. In: Tönshoff,
Wolfgang (Hrsg.): Fremdsprache Deutsch: Fremdsprachenlerntheorie.
Sondernummer, 22-26.
Kleppin, Karin (1998a): Fehler und Fehlerkorrektur. Berlin usw.
Langenscheidt
Kleppin, Karin (1998b): „Mündlich korrigieren. Ja, aber wie? Anregungen zum
Nachdenken über das eigene Korrekturverhalten“. In: Jung, Udo. O. H. (Hrsg.):
Praktische Handreichung für Fremdsprachenlehrer. Frankfurt/M., usw. (2.verb.
und erw. Aufl.), 323-327.
Kleppin, Karin; Raabe, Horst (2001): „Fehler als Übungs- und Lernanlass“. In:
Der Fremdsprachliche Unterricht- Französisch 52, 15-19.
Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (o. J.): Europäisches Portfolio der
Sprachen. NRW Sek. I / Sek. II (CD-ROM-Sammlung mit dem Portfolio sowie
14
einer PowerPoint-Präsentation zur Einführung in das Portfolio u.a.m.).
Beziehbar über Landesinstitut für Schule. Soest.
15
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