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Prof. Dr. S. Weigelin-Schwiedrzik
Wintersemester 2000/2001
Vorlesung: Einführung in die chinesische
Geschichte des 20.Jahrhunderts
Teil IV: Die Guomindang (GMD, ) auf dem Weg zur
nationalen Einigung (1923-1927)
Die Guomindang, 1912 unter diesem Namen gegründet, bestand Mitte der zwanziger
Jahre mit ihren Vorläuferorganisationen schon fast dreißig Jahre lang, als sie sich
anschickte, in der Auseinandersetzung mit den lokalen Militärmachthabern, auch
warlords genannt, wie mit der Kommunistischen Partei ihre Position als führende
politische Kraft in China aufzubauen. Diese Auseinandersetzung läßt sich wiederum
in drei Phasen aufteilen: In der ersten Phase arbeitet die Guomindang mit der
Kommunistischen Partei gemeinsam in einer Einheitsfront. Grundlage dieser
Einheitsfront ist der gemeinsame Gegner im Norden Chinas: die Militärmachthaber,
und die Imperialisten, jene ausländischen Mächte also, die in einer großen Zahl von
chinesischen Städten „Konzessionen“ gebildet hatten und damit politisch wie
wirtschaftlich über erheblichen Einfluß verfügten. In der zweiten Phase steht die
interne Auseinandersetzung im Vordergrund, sowohl innerhalb der Guomindang,
wobei hier die Frage, wer die Nachfolge des 1925 verstorbenen Sun Yatsen antreten
kann, im Mittelpunkt steht; als auch innerhalb der Einheitsfront, in der die KPCh
aufgrund ihrer geschickten Politik in den Gewerkschaften und Bauernverbänden
immer mehr an Einfluß gewonnen hat.. Nach Zurückdrängung des kommunistischen
Einflusses und der damit verbundenen wenigstens zeitweisen Klärung der politischen
Streitigkeiten innerhalb der Guomindang beginnt dann die dritte Phase, in der sich
parteiintern Tschiang Kaishek (Jiang Jieshi, ) als Führer der
Guomindang und die Guomindang als führende politische Kraft in China durchsetzen.
Nanking (Nanjing ) wird zur Hauptstadt der chinesischen Republik , von
der aus in der sogenannten Nankinger Dekade (1927-1937) ein erster Versuch der
gezielten Modernisierung unternommen wird.
Innerhalb der Geschichtsschreibung in der VR China, aber darüber hinaus auch in der
westlichen Chinaforschung, steht die Darstellung der Jahre zwischen 1923 und 1927
in der Regel ganz unter dem Zeichen der Einheitsfront zwischen GMD und KPCh.
Dabei wird im Hinblick auf die spätere Niederlage der Guomindang der KPCh ein
Gewicht zugemessen, das sie in dieser Phase de facto noch gar nicht besitzen konnte,
und damit die Bedeutung, die dieser Phase zukommt, in der die Guomindang
zumindest in Ansätzen vermochte, den nach der Revolution von 1911 noch immer
nicht überwundenen Zustand der inneren Zersplitterung zu beenden, unterschätzt.
Auch wird übersehen, daß die später von Mao Zedong systematisierte Theorie der
chinesischen Revolution nicht nur, wie die Parteigeschichtsschreibung in der VR
China dies hervorzuheben weiß, aus der „Anwendung der allgemeinen Prinzipien des
Marxismus-Leninismus auf die konkrete Praxis der Revolution in China“ entstanden
ist: Der Reichseinigungsprozeß, so wie er unter Führung der Guomindang in den
Jahren 1923-1927 vollzogen wurde, weist vielmehr alle wichtigen Charakteristika auf,
die sich im weiteren Verlauf der Entwicklung auch für die KPCh als entscheidend
herausstellen sollten. Insofern stellte diese Phase so etwas wie die
Beobachtungsgrundlage dar, derer sich Mao Zedong bei der Formulierung seiner
1
Theorie bedienen konnte, ohne dieses „Geheimnis“ allerdings je preizugeben, da dies
bedeutet hätten, den Anspruch auf Originalität der im Nachhinein zur Siegesformel
erklärten Mao-Zedong-Ideen zumindest teilweise dem politischen Erzfeind zu
überlassen.
4.1 Die politische Lage in China zu Beginn der zwanziger Jahre1
Seit dem Tod Yuan Shikais befand sich China im einem Zustand der
Führungslosigkeit und der Zersplitterung.. Dabei spielten verschiedene Faktoren eine
entscheidende Rolle: An erster Stelle ist hier die Herrschaft der lokalen
Militärmachthaber zu nennen, die sich mit Hilfe der ihnen unterstellten Armee ein
Territorium sicherten, in dem sie unabhängig von der Zentralregierung die politische
Herrschaft ausübten und die eingezogenen Steuern für ihre Belange einsetzten.
Dementsprechend schwach war die Zentralregierung in Peking, der sich in der Zeit
zwischen 1916 und 1928 allein 7 unterschiedliche Präsidenten zur Verfügung stellten,
ohne jedoch dem Zustand der Zersplitterung eine Ende setzen zu können.
Erschwerend kam hinzu, daß mehrere regionale Militärmachthaber sogenannte
Cliquen bildeten, die zusammengenommen jeweils einen erheblichen Teil des
chinesischen Territoriums unter ihrer Kontrolle hatten und gegenseitig auch noch in
Konkurrenz zu einander standen. Hier sind insbesondere die Fengtian-Clique zu
nennen, die den Norden Chinas unter ihrer Kontrolle hielt, die Jili-Clique, die
Mittelchina von Peking bis Nanjing kontrollierte, und schließlich die Anhui-Clique,
die ursprünglich Shandong, Anhui, Zhejiang und Fujian unter ihrer Kontrolle hatte, in
militärischen Auseinandersetzungen mit der Jili-Clique jedoch große Verluste
hinnehmen mußte.
In der Provinz Guangdong stand der Zentralregierung von Peking außerdem unter der
Führung Sun Yatsens ( eine Gegenmacht entgegen, die nicht nur
mit Peking um die politische Führung des Landes rang, sondern zugleich auch mit den
Einnahmen, die Sun in der Provinz erwirtschaften konnte, die ökonomische Basis für
die Guomindang und die von ihr aufzubauenden militärischen Kräfte darstellte.
Allerdings waren auch die Kräfte der Revolution in sich zersplittert, so daß Kanton
nicht unbestritten als Zentrum der revolutionären Kräfte angesehen wurde, sondern
um diese Stellung mit Shanghai ( und später auch mit Wuhan
() zu kämpfen hatte.
Schließlich sind auch die verschiedenen Einflußgebiete der ausländischen Mächte zu
nennen, die einer Einigung Chinas entgegenstanden. Neben diesen unterschiedlichen
Einflußsphären muß aber auch beachtet werden, daß unterschiedliche ausländische
Mächte mit unterschiedlichen politischen Kräften in China Kontakt pflegten und
dadurch die Zerrissenheit der Situation verstärkten. Die Japaner unterstützten
beispielsweise die Zentralregierung unter Duan Qirui, der seinerseits wiederum eng
mit den nördlichen Militärmachthabern verbunden war und damit ein Territorium
unter seiner Kontrolle hatte, für das Japan besonderes Interesse zeigte. Wu Peifu, der
wichtigste Militärmachthaber innerhalb der Jili-Clique, warb immer wieder um
amerikanische und englische Unterstützung, erhielt diese jedoch nur von englischen
Unternehmen, die in China aktiv waren, und nicht von Regierungsseite. Die
Sowjetunion wiederum unterstützte Feng Yuxiang, der im Norden Chinas eine Armee
mit dem Namen Guominjun befehligte und politisch reformerisch gesinnt war. Als
1
Vgl. hierzu die aufschlußreichen Artikel: Sheridan, James E.: The warlord era: politics and militarism
under the Peking government, 1916-1928. In: Fairbank, John K. (ed.): The Cambridge History of
China. Vol. 12, Republican China 1912-1949, Part 1, S.284-321.
2
Ergebnis dieser verschiedenen Konstellationen verstärkte die Wirkung ausländischer
Interessen die Zerrissenheit, die Zerrissenheit erschwerte aber andersherum auch das
weitere Vordringen ausländischer Interessen.
Ähnliche Perioden der Zersplitterung hat es immer wieder in der chinesischen
Geschichte gegeben. Dabei ging es den sich jeweils herausbildenden regionalen
Machthabern nie um eine langfristige oder dauerhafte Aufteilung des Landes in
kleinere Einheiten. Vielmehr ging es darum, eine jeweils neue Einheit mit neuen
Gewichtungen und Zentren herzustellen, weshalb die Phasen der Zersplitterung
immer durch Kriege gekennzeichnet sind, in denen ein Teil des Landes die
Hegemonie über die anderen Landesteile zu erringen sucht. Voraussetzung für eine
derart starke Entwicklung des Regionalismus ist immer die Schwäche der zentralen
Führung gewesen, im zwanzigsten Jahrhundert treten jedoch noch andere Faktoren
hinzu, unter denen die Rivalität der unterschiedlichen um Einfluß in China ringenden
ausländischen Mächte der wichtigste ist.
4.2 Die erste Phase: Die Guomindang bietet sich als führende Kraft in China an2
4.2.1 Die Reorganisation der GMD
Seit der Revolution von 1911 hatte Sun Yatsen immer wieder Kanton ()
als seine politische Basis benutzt und ausgebaut. Immer wieder war er aber auch von
dort vertrieben worden. So auch im August 1922, als der lokale Militärmachthaber
Chen Qiongming ihn aus Kanton vertrieb. Sun floh nach Shanghai und hoffte von dort
aus, die Präsidentschaft in Peking übernehmen zu können. Doch während ihm dies
nicht gelang, gelang es ihm im Januar 1923, genügend Truppen zusammenzustellen,
um seinen Rivalen Chen Qiongming aus Kanton zu vertreiben.
Die Guomindang war zu jener Zeit noch eine kleine Partei mit nur wenigen tausend
Mitgliedern. Die Truppen, die auf Seiten Sun Yatsens standen, waren unzuverlässig
und auch nicht gerade zahlreich. Sun hatte die Offiziere gekauft, von einer politischen
Übereinstimmung zwischen ihm und den für ihn kämpfenden Truppen konnte keine
Rede sein. Finanziell war Sun darauf angewiesen, daß er von der Partei gesammelte
Spenden an die Soldaten weitergab. In dieser Situation bietet sich mit Borodin ein
Berater aus der Sowjetunion an, der Sun dabei unterstützen will, die Partei zu
reorganisieren, eine Armee aufzubauen und damit ein Instrument zu schaffen, um sich
in die politische Auseinandersetzung, die damals in China schwelte, mit militärischen
Mitteln einzumischen.3 Von Seiten der KOMINTERN wird gleichzeitig Sun dazu
überredet, mit der Kommunistischen Partei eine Einheitsfront einzugehen.
Nach langen und schwierigen Vorbereitungen wurde der 1. Nationalkongreß der
Guomindang (in ihrer reorganisierten Form) am 20.Januar 1924 einberufen. Die 196
gewählten Delegierten vertraten rund 24.000 Parteimitglieder in China und
verabschiedeten eine Proklamation, ein Parteiprogramm und ein Parteistatut. In diesen
Dokumenten bekannte sich die Guomindang zu einer reformistischen Politik, die vor
2
Die folgenden Ausführungen beruhen auf: C.Martin Wilbur: The Nationalist Revolution: from
Canton to Nanking, 1923-1928. In: John K. Fairbank (ed.): The Cambridge History of China. Vol.12,
Republican China 1912-1949, Part I, S.527-721. Es handelt sich dabei um die derzeit autoritativste
Ausarbeitung zu diesem Thema, was auch die Länge des Artikels innerhalb eines Sammelbandes
rechtfertigt. Die Ausführungen zu 4.2 befinden sich auf den Seiten 527-552.
3
Es ist hier zu beachten, daß die Sowjetunion damals über zwei unterschiedliche Kanaäle Einfluß auf
die Situation in China genommen hat: zum einen über die KOMINTERN mit ihrem Emmisär Maring,
zum anderen auf staatlicher Ebene als Sowjetunion, wobei hier Borodin als sowjetischer Berater
auftrat.
3
allem gegen den Imperialismus und Militarismus in China gerichtet war. Der
Parteikongreß wählte eine Parteiführung, die ihren Sitz in Kanton haben sollte. An der
Spitze der Partei stand ein Ständiges Komitee, dem drei Parteimitglieder, darunter Dai
Jitao, angehörten, die alle dem linken Flügel der Partei zuzurechnen sind. Als eine der
wichtigsten Aufgaben wurde betrachtet, die Partei im ganzen Land organisatorisch zu
verankern und dabei gleichzeitig eine massive antiimperialistische Propaganda zu
entfalten.
Angesichts der Lage in China reichte jedoch der Einsatz politischer Mittel zu
erfolgreichen Erringung der Macht nicht aus. Es war klar, daß die Guomindang nur
dann erfolgreich sein würde, wenn sie sich wie ihre Gegner auch mit militärischer
Macht ausrüstete. So kamen neben Borodin als politischem Berater auch militärische
Berater aus der Sowjetunion, die sich daran machten, eine disziplinierte und politisch
geschulte, loyale Armee aufzubauen. Die Klammer zwischen Armee und Partei wurde
hergestellt, indem Sun Yatsen die wichtigsten Generäle der Armee auch in führende
Positionen innerhalb der Partei brachte. Als entscheidend sollte sich dabei im weiteren
Verlauf herausstellen, daß im Mai 1924 eine Militärakademie in Whampoa, einer
Insel südlich von Kanton, gegründet wurde, zu deren Leiter Sun Yatsen Tschiang
Kaishek berief. Die Akademie wurde aus russischen Geldern und Steuereinnahmen
finanziert, sie wurde von russischen Beratern und Waffenlieferungen aus der
Sowjetunion unterstützt und bildete den Nukleus für die Armee der Guomindang, die
den Feldzug gegen die Militärmachthaber im Norden des Landes erfolgreich führen
sollte.
4.2.2 Die Einheitsfront mit der KPCh erweitert die Massenbasis der GMD
Unter den 196 Delegierten auf dem Nationalkongreß der Guomindang waren nur 20
Mitglieder der Kommunistischen Partei gewesen, im Zentralen Exekutiv Komitee der
Partei waren zwei Mitglieder der KPCh. So gesehen war der Einfluß der KPCh
zunächst gering, doch weitete er sich aus, je mehr die Guomindang versuchte, sich
eine Massenbasis zu verschaffen. Oft waren es nämlich Kommunisten, welche die
Beziehungen der GMD zu den Gewerkschaften und Bauernverbänden knüpften, die
Streiks und Revolten organisierten. Bald waren mehrere Zehntausend Bauern in der
Umgebung von Kanton in Bauernverbänden organisiert. Sie kämpften gegen
überhöhte Pachtforderungen
und setzten sich gegen Organisationen der
landbesitzenden Bauern zur Wehr. Durch die Radikalität der von den Bauern
gestellten Forderungen und ihren aktiven Kampf gegen die eingesessenen Eliten
spitzte sich jedoch bald die Auseinandersetzung innerhalb der Guomindang zu, die
von Anfang an eine „Einheitspartei“ war, in der sich die unterschiedlichsten
politischen und gesellschaftlichen Kräfte wiederfanden. Die Konflikte innerhalb der
Guomindang, die in der Folge die Partei auf eine Zerreißprobe stellten, waren somit
Ausdruck der Konflikte innerhalb der Gesellschaft, weshalb es nicht gelingen konnte,
die Auseinandersetzungen zum Schweigen zu bringen. Hätte eine Gruppe innerhalb
der Partei eindeutig die Vorherrschaft über die Gesamtpartei erlangt, hätte die Partei
nicht mehr als Einheitspartei fungieren können.
Kurz nach Sun Yatsens Tod im März 1925 spitzen sich auch die
Auseinandersetzungen in den Städten zu. Im Mai 1925 kommt es zu bewaffneten
Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern in Shanghai und japanischen Truppen,
wobei ein Arbeiter getötet wird.4 Die kommunistisch geleiteten Gewerkschaften und
4
Als eine der wenigen Studien in deutscher Sprache zu diesem Komplex sei hier die unlängst
erschienene Arbeit genannt: Jürgen Osterhammel: Shanghai, 30.Mai 1925. Die chinesische Revolution.
München (dtv) 1997.
4
Studenten bekunden den Arbeitern ihre Solidarität . Sie demonstrierten gegen
Imperialismus und die China aufgezwungenen ungleichen Verträge, bis es am 30.Mai
zu einer Eskalation der Auseinandersetzungen kommt. Es wird geschossen, und fünf
oder sechs Studenten werden getötet, als chinesische und indische Polizei unter
ausländischem Kommando in die Menge schießen. Am 1.Juni beginnt ein
Generalstreik, es wird weiter demonstriert und weiter geschossen. Bald verläßt die
Kunde Shanghai und breitet sich über das ganze Land aus, 28 Städte schließen sich
dem Protest an. In dieser Situation wächst der Einfluß der KPCh und der Guomindang
in nicht gekanntem Maße, Studenten schließen sich der Armee an und wollen in
Whampoa ausgebildet werden, es wird gespendet und damit möglich, Streikgelder an
streikende Arbeiter zu verteilen.
So wie die Radikalisierung der ländlichen Bevölkerung Gegenreaktionen seitens der
landbesitzenden und verpachtenden Bauern ausgelöst hatte, trifft die Radikalisierung
der städtischen Bevölkerung auf den Widerstand der in Shanghai auch in Konkurrenz
mit ausländischen Firmen ums Überleben kämpfenden Unternehmer und damit eine
wichtige Interessensgruppe innerhalb der Guomindang, die vor allem auch für die
finanzielle Unterstützung der Armee von besonderer Bedeutung war. Während also
die Erweiterung der Massenbasis zur Herauskristallisierung der Guomindang als
politisch führende Kraft in China beiträgt, trägt sie zur Verschärfung der
Widersprüche innerhalb der Partei bei.
4.3 Die zweite Phase: Auseinandersetzungen innerhalb der Guomindang und
innerhalb der Einheitsfront5
4.3.1 Auseinandersetzungen innerhalb der GMD
4.3.1.1 Auseinandersetzungen zwischen Kanton und der Western Hill Gruppe
Ausdruck der sich zuspitzenden Widersprüche innerhalb der GMD ist das Attentat auf
Liao Zhongkai, ein Mitglied des ständigen Ausschusses des zentralen
Exekutivkomitees, und damit eines der ranghöchsten Mitglieder der GMD. Das
Attentat galt dem linken Flügel der Partei, der auf enge Zusammenarbeit mit der
Sowjetunion und mit der KPCh setzte. Tschiang Kaishek, der bisher noch nicht in den
höheren Gremien der Partei aufgetaucht war , wurde Mitglied jener Dreiergruppe, die
das Attentat aufklären sollte. Ein zweites Mitglied dieser Untersuchungskommission,
das im weiteren Verlauf von besonderer Bedeutung sollte, war Wang Jingwei. Das
dritte Mitglied, Xu Zhongzhi, stellte sich als weniger kooperativ im Sinne der beiden
anderen heraus und wurde kurzerhand innerhalb eines Monats seines Amtes enthoben.
Die Macht in Kanton war damit nach dem Tode Sun Yatsens in die Hände von
Tschiang Kaishek und Wang Jingwei übergegangen.
Im weiteren Verlauf der Jahres 1925 bemühten sich Tschiang und Wang auch um die
Reorganisation der in Kanton stationierten militärischen Kräfte und um eine
Konsolidierung der militärischen Macht. Nachdem es ihnen gelungen war, die
Provinz Guangdong () unter ihre Kontrolle zu bringen, konnten sie auch
die lokalen Militärmachthaber der umliegenden Provinzen für sich gewinnen und
damit die Stärke der ihnen unterstehenden bzw. mit ihnen sympathisierenden Truppen
auf ca. 150.000 Mann erhöhen.
Die Stärke der in Kanton unter Tschiang Kaishek versammelten Kräfte rief aber auch
die gegnerischen Kräfte auf den Plan. Im November 1925 trafen sich alt gediente
Parteimitglieder in den Duftenden Hügeln in der Umgebung von Peking und stellten
5
Vgl. hierzu C. Martin Wilbur, a.a.O., S. 553-575.
5
dort erneut die Zusammenarbeit mit der KPCh in Frage. Sie beriefen das „4.Plenum
des ZEK“ ohne Beteiligung Kantons ein und beschlossen, die Mitglieder der KPCh
aus der GMD auszuschließen. Nachdem Tschiang jedoch die Zusammenarbeit mit der
Sowjetunion und mit den Kommunisten bekräftigte, drohte die Partei sich zu spalten,
zumal die Western Hill Gruppe in Shanghai ein Hauptquartier aufbaute.
Von Kanton aus wurde der 2.Nationalkongreß der GMD einberufen , wobei rund ein
Drittel der anwesenden Delegierten Mitglieder der KPCh gewesen sein sollen.
Obwohl die Auseinandersetzung mit der Western Hill Gruppe scharf geführt wurde,
setzte sich Wang Jingwei mit seinem Vorschlag durch, mit Verwarnungen zu arbeiten
und die Spaltung der Partei zu vermeiden. In das neu gewählte ZEK wurden
allerdings keine Vertreter der Western Hill Gruppe aufgenommen, während die KPCh
mit sieben oder acht Vertretern im ZEK saß.
4.3.2 Tschiang Kaishek bemächtigt sich der GMD
Die Zusammenarbeit zwischen Tschiang Kaishek und Wang Jingwei währte nur bis
ins Frühjahr 1926. Tschiang sah sich in seinen Möglichkeiten von den russischen
Beratern eingeengt und mißtraute Wang Jingwei, der seinerseits wiederum von diesen
Beratern besonders offensichtliche Unterstützung erhielt. Höhepunkt der
Auseinandersetzung war der Zhongshan-Zwischenfall am 20.März 1926, infolge
dessen drei der russischen Berater des Landes verwiesen, Wang Jingwei nach
Frankreich geschickt und der politische Einfluß der KPCh auf die Truppen Tschiang
Kaisheks zurückgedrängt wurde. Damit war das Terrain für Tschiang bereitet, er
berief im Mai 1926 eine Sitzung des ZEK nach Kanton ein, auf der beschlossen
wurde, daß die KPCh nur noch in stark beschränktem Maße innerhalb der GMD aktiv
werden konnte. Alle Parteimitglieder wurden verpflichtet, sich dem
Parteivorsitzenden und den von Sun Yatsen formulierten „Drei Volksprinzipien“
() zu unterstellen. Tschiang Kaishek wurde Leiter der
Organisationsbüros der GMD, seiner enger Verbündeter Zhang Renjie (Zhang
Jingjiang) wurde Vorsitzender des ZEK der GMD. Gleichzeitig mit der
Zurückdrängung des kommunistischen Einflusses schwächte Tschiang Kaishek auch
seine Gegner aus der Western Hill Gruppe und bereitete damit die Voraussetzungen
für die Durchführung der Nordexpedition, die sich sowohl gegen die regionalen
Militärmachthaber des Nordens als auch gegen seine innerparteilichen Rivalen
wenden sollte.
4.3.3 Auseinandersetzungen innerhalb der Einheitsfront
Die sich zuspitzenden Konflikte innerhalb der Guomindang waren immer engstens
mit Auseinandersetzungen innerhalb der Einheitsfront verknüpft. Die Einheitsfront
mit der KPCh stärkte den sogenannten linken Flügel der Guomindang und rief schon
deshalb den Unmut der Western Hill Gruppe hervor. Die von der KPCh verfolgte
Politik der Massenmobilisierung war dabei den alt gedienten Parteimitgliedern, deren
soziale Basis die Gentry war und die ihrerseits oft auch Beziehungen zu den
regionalen Militärmachthabern pflegten, ein besonderer Dorn im Auge, fühlten sie
sich doch zu recht in ihren Möglichkeiten durch die Radikalisierung der Bauern und
Arbeiter stark eingeschränkt.
Die KPCh ihrerseits mußte an ihrer Politik der Massenmobilisierung festhalten, um
das im Rahmen der „Einnistung“ verfolgte Ziel der Machteroberung nicht vollständig
aufzugeben. Da sich innerhalb der Partei die Linie durchgesetzt hatte, „Einnistung“
mit Opposition zu verbinden, um auf die Weise die Selbständigkeit der Partei unter
Beweis zu stellen, hätte ein Eingehen auf die politischen Wünsche der Unternehmer
6
und Gentrymitglieder innerhalb der Guomindang so etwas wie eine Kapitulation
beinhaltet. Dementsprechend konnte die KPCh nicht anders, als durch
Weiterverfolgung der Politik der Massenmobilisierung ihre Position und damit die des
linken Flügels innerhalb der GMD zu stärken und im Grunde auf eine Spaltung der
GMD hinzuarbeiten.
4.4 Die dritte Phase: Der Nordfeldzug 6
4.4.1 Die Eroberung Shanghais
Auf einer offiziellen Zeremonie am 9.Juli 1926 wurde Tschiang Kaishek zum
Oberkommandierenden der Guomin geming jun (), der
revolutionären Nationalarmee, ernannt und die Nordexpedition offiziell eröffnet. Die
Armee zog von Kanton aus nach Süden Richtung Hunan (, zog dann
weiter nach Wuchang (), wo sie auf heftigen Widerstand stieß, und hatte
bis Ende 1926 alle wichtigen Städte in den Provinzen Hunan, Hubei (),
Jiangxi ( und Fujian (eingenommen. Die Provinzen
Guangxi ( und Guizhou ( hatten sich kampflos ergeben,
was bedeutete, daß nun sieben Provinzen mit einer Bevölkerung von ungefähr 280
Millionen Menschen der Kontrolle der Guomin geming jun unterstanden.
Trotz der militärischen Erfolge ebbten die internen Auseinandersetzungen innerhalb
der GMD nicht ab. Dabei spielte die Verknüpfung zweier Aspekte, nämlich die
Verknüpfung von Bekämpfung der „äußeren“ Feindes mit der der verschiedenen
„inneren“ Rivalen, eine große Rolle. So gab es Streitigkeiten über die Frage, ob man
zu Beginn des Jahres 1927 zuerst nach Peking vorstoßen (um dort die „Machtfrage“
gegenüber den äußeren Feinden zu stellen) oder ob man zuerst nach Shanghai ziehen
sollte. Sollte die GMD ihr Hauptquartier in Wuhan oder Nanchang ()
errichten? Hinter diesen Fragen stand die Auseinandersetzung um die Führung
innerhalb der GMD und die Auseinandersetzung um das Verhältnis von Kampf um
die nationale Einigung einerseits und um soziale Veränderungen andererseits. Die
nationale Einigung verlangte nach Kompromissen in der sozialen Frage, die Lösung
der sozialen Frage behinderte die Verwirklichung der Einigung.
Die ursprünglich in Kanton konzentrierte Führung der GMD zog mit den Truppen
nach Norden und verlagerte das Zentrum nach Wuhan. Diese Gruppe stand unter dem
Einfluß von Borodin und galt innerhalb der GMD als links. Sie wurde von der KPCh
unterstützt. Tschiang Kaishek, sein enger Freund Zhang Jingjiang und Tan Yankai
zogen jedoch nach Nanchang und legitimierten sich durch die Beschlüsse des
2.Nationalkomgresses. Tschiang trat für eine Weiterführung des Kampfes Richtung
Shanghai ein, die Wuhaner Gruppe wollte nach Peking.
Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung ging Tschiang Kaishek innerhalb der
von ihm kontrollierten Teile von Partei und Armee immer stärker gegen
Kommunisten und linke GMD-Parteimitglieder vor. Gleichzeitig suchte er nach neuen
Verbündeten, entsandte seine Truppen Richtung Shanghai und verhandelte mit dem
stärksten unter den regionalen Militärmachthabern Zhang Zuolin, um eine
kriegerische Auseinandersetzung mit der Fengtian-Gruppe herauszuzögern. Um diese
Ziele zu erreichen und genügend finanzielle Mittel für den Feldzug gegen Shanghai
zu sammeln, mußte er sich jedoch immer stärker mit den Kräften in der Guomindang
verbünden, für die die nationale Einigung im Vordergrund stand und die nicht an
einer Zuspitzung der sozialen Problematik interessiert waren. Dementsprechend
mußte er immer stärker gegen die Kommunisten in den eigenen Reihen vorgehen. Im
6
Vgl. hierzu C.Martin Wilbur, a.a.O., S.575-603.
7
Februar 1927 nahm das mit ihm verbündete 1.Corps die Stadt Hangzhou ein, von dort
aus rückte man weiter über Gaxing nach Shanghai vor. Gleichzeitig riefen die
Kommunisten in Shanghai zum Aufstand auf, um die Gegner der Nationalarmee zu
schwächen und ihren Einfluß in der Stadt zu konsolidieren. Während es ihnen gelang,
einen Massenprotest in der ganzen Stadt zu entfachen, formierten sich aber auch ihre
Gegner zu neuen Fronten. Die in Shanghai aktiven ausländischen Mächte sahen sich
genauso bedroht wie die Gruppe der Unternehmer und der Konservativen innerhalb
der Guomindang. Sie alle boten sich unter dem Druck der Ereignisse Tschiang als
neue Verbündete an und schufen damit die Voraussetzung für den Gegenschlag, den
Tschiang vom 18.März an ausführen ließ. Am 21.März kam es zu einer erneuten, von
kommunistischen Kadern innerhalb der Stadt geleiteten Revolte, diesmal von
bewaffneten Arbeitermilizen unterstützt. Innerhalb kürzester Zeit schien die Stadt in
der Hand der Nationalisten, überall waren die Flaggen der Guomindang gehißt. Am
22.März erreichten jedoch 20.000 Soldaten unter General Xue Yue die Stadt,
errichteten ein Hauptquartier und beendeten den Aufstand. Den Ausländern wurde
ihre Sicherheit garantiert. Die Nationalisten hatten Shanghai eingenommen, doch die,
welche mit ihrem Aufstand die Voraussetzungen dafür bereitet hatten, wurden
innerhalb kürzester Zeit entmachtet und durch Kräfte ersetzt, welche die im Aufstand
erhobenen sozialen Forderungen für zu weitgehend hielten. Die Einnahme Shanghais
gereichte damit nicht mehr dem linken Flügel und der KPCh zum Ruhme, sondern
sollte im weiteren Verlauf in ihr Gegenteil umschlagen und zur Voraussetzung für
die Ausschaltung der Linken und den Bruch der Einheitsfront werden.
Am 26.März erreichte Tschiang Kaishek Shanghai.. Die Situation in der Stadt war
spannungsgeladen. Auf der einen Seite standen die Gewerkschaften, die zu Recht für
sich beanspruchen konnten, mit ihren Aufständen das Vorrücken der Nationalarmee
begünstigt zu haben. Auf der anderen Seite standen die ausländischen Interessen, die
Unternehmen und die konservativen altgedienten Parteimitglieder, die von Tschiang
forderten, er möge geeignete Maßnahmen unternehmen, um den kommunistischen
Einfluß zu liquidieren und damit einer weiteren Radikalisierung der Verhältnisse
entgegenzuarbeiten.
Tschiang versuchte zunächst, einen Ausgleich zwischen den divergierenden Kräften
zu finden. Doch sah er sich dem Druck von verschiedenen Seiten ausgesetzt, die
verlangten, daß er radikale Maßnahmen gegen die „Roten“ eingreifen sollte.
Gleichzeitig änderten sich auch die Machtverhältnisse innerhalb der Guomindang
zugunsten eines Ausschlusses der Kommunisten und einer Zurückdrängung der
radikalen Kräfte. In dieser Situation, in der die kaum verhinderte Spaltung der Partei
wieder zur Möglichkeit wurde, kam Wang Jingwei von seiner Parisreise zurück und
wurde von Tschiang Kaishek trotz des vorausgegangenen Zwistes freundlich
empfangen. offenbar hoffe Tschiang, Wang für sich gewinnen zu können und damit
gleichzeitig ein Signal an den linken Flügel der Partei auszusenden, daß eine
Entfremdung zwischen den verschiedenen politischen Flügeln verhindern könnte.
Dennoch verschärfen sich die innerparteilichen Auseinandersetzungen bis zu dem
Punkt, daß gewaltsame Kämpfe zwischen den rivalisierenden Gruppen in
verschiedenen Städten ausbrechen. So brechen schon Ende Februar in Hangzhou
Kämpfe zwischen den linken Kräften der Guomindang, den Gewerkschaften und
Studentenorganisationen auf der einen und Kadetten aus der Whampoa Akadmie
sowie Soldaten der Guomindang-Armee auf der anderen Seite aus. Es folgten
ähnliche Auseinandersetzungen in Chongqing und Nanchang. Dabei stand in den
politischen Diskussionen immer wieder die Frage im Mittelpunkt, ob in China die
nationale Einigung Priorität gegenüber der sozialen Reform haben müssen oder ob,
8
andersherum, der sozialen Revolution Vorrang gegenüber der nationalen Einigung
eingeräumt werden müßte.
Doch bevor mit den blutigen Auseinandersetzungen in Shanghai die Einheitsfront
endgültig zerschlagen werden sollte, ging Tschiang Kaishek zunächst noch nach
Nanjing, in jene Stadt also, die Sitz der Regierung und neue Hauptstadt der Republik
China werden sollte. Er erreichte Nanjing am 9.April und ließ dort eine Attacke auf
das von linken Kräften dominierte Hauptquartier der Guomindang inszenieren. Die
linken Kräfte versuchten sich, gegen dieses Vorgehen zur Wehr zu setzen,
organisierten Melizen und Demonstrationen, doch standen ihnen Polizei und Militär
entgegen, die mit eiserner Hand das Militärrecht durchzusetzen versuchten, welchen
Tschiang gleich nach seiner Ankunft hatte über Nanjing verhängen lassen. Als
Ergebnis dieser Kämpfe waren zwar die „linken“ in der GMD auch in Nanjing in die
Defensive gedrängt, doch hatten sich die Kräfte um Tschiang Kaishek nicht nur eng
mit den konservativen Kräften in der Guomindang verbinden müssen, sie hatten auch
eine „Einheitsfront“ mit Banden und Gangster eingehen müssen, um diesen „Sieg“
erringen zu können.
Trotz dieser offensichtlichen Punktgewinne auf Seiten Tschiang Kaisheks hielt die
KPCh an ihrer Linie der Massenmobilisierung als einziges Mittel der Gegenwehr fest.
Man versuchte, einen Generalstreik in Shanghai vorzubereiten, die Arbeitermilizen zu
bewaffnen und die Gewerkschaften zu mobilisieren. Dementsprechend konzentrierte
sich in der nächsten Runde der Auseinandersetzung der Kampf in Shanghai auf die
Frage der Entwaffnung der Arbeitermilizen. Wieder griff man auf Seiten tschiang
Kaisheks nach dem in Nanjing bereits erfolgreich angewandten Mittel. Man verband
sich mit Gangstern und Banden, kleidete diese als Arbeiter und ließ sie wichtige
Treff- und Knotenpunkte der Arbeitermilizen angreifen. Es erfolgte die
Beschlagnahmung von Waffen und die Inhaftierung vor allem von Führern der
Arbeitermilizen, die größten Teils schon wenige Stunden nach ihrer Inhaftierung
erschossen wurden.
Als Gegenmaßnahme rief die Gewerkschaft den Generalstreik aus. 100.000 Arbeiter
folgten dem Aufruf, organisierten Demonstrationen unter Einbezug von Frauen und
Kindern, doch zwang die Gewalt sie in die Knie. Hunderte von organisierten
Arbeitern wurden getötet, Tausende flohen aus der Stadt, viele wurden verwundet.
Am Abend des 13.April ging die Führung der Gewerkschaft in die Hände von
Tschiang-freundlichen Funktionären über.
4.4.2 Nanjing wird Hauptstadt der Republik
Die Errichtung des Hauptquartiers der Guomindang und der Regierung in Nanjing
konnte nur gegen die in Wuhan versammelte Parteilinke durchgesetzt werden.
Tschiang Kaishek berief eine Sitzung des zentralen Exekutivkomitees nach Shanghai
ein, und als nach ein gewissen Zeit sich die in Wuhan versammelten Mitglieder des
ZEK noch nicht eingefunden hatten, schuf er ein neues Zentrales Exekutivkomitee,
dem nur 5 Mitglieder angehörten, die in das „rechtmäßige“ Exekutivkomitee mit
ursprünglich 36 Mitgliedern gewählt worden waren. Dieses von Tschiang Kaishek
geschaffene neue Exekutivkomitee beschloß am 17.April 1927, daß die
Nationalregierung ihren Sitz in Nanjing haben sollte.
Die in Wuhan versammelten Mitglieder des Exekutivkomitees alter Prägung
beschlossen am 17.April1927, Tschiang Kaishek aller Parteiämter zu entheben und
ihn aus der Partei auszuschließen. In Wuhan wurde ebenfalls eine Nationalregierung
etabliert.
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4.4.3 Der weitere Verlauf des Nordfeldzuges
Die Etablierung der Nationalregierung in Nanjing konnte sich nicht durchsetzen, ohne
daß der Streit innerhalb der GMD geschlichtet und Peking als bisherige Hauptstadt
der Republik eingenommen wurde. Zunächst führten jedoch die beiden
Hauptfraktionen innerhalb der GMD, die mit Sitz in Nanjing und die mit Sitz in
Wuhan, getrennt den Nordfeldzug fort, dort zeigte sich bald, daß Wuhan in seiner
Position noch stärker gefährdet sein sollte als Nanjing. Die Frage des weiteren
Verbleibs von Kommunisten in der Partei blieb weiter auf der Tagesordnung und
wurde erst im Juni 1927 mit der offiziellen Verstoßung der Kommunisten auch durch
die Wuhaner GMD besiegelt.
Nachdem die KPCh derart aus der GMD gedrängt und von ihren engsten Verbündeten
in der GMD abgespalten worden war, zeigte sich die Wuhaner GMD-Fraktion auch
wieder gesprächsbereit. Man traf sich in Shanghai zu einem Treffen aller
parteiinternen Gruppierungen, mit dem Ziel, den Nordfeldzug endgültig nach Peking
führen zu können. Am 4.Februar fand dann das „Vierte Plenum des ZEK“ statt, auf
dem sich die GMD von einer Sowjetunion freundlichen und auf Klassenkampf
ausgerichteten Politik verabschiedete. Danach wurden die Vorbereitungen für den
Nordfeldzug in Angriff genommen.7
Je näher der Feldzug an Peking herankam, um so mehr fühlten sich die in diesem Teil
des Landes stark vertretenen Ausländer durch die militärischen Ereignisse bedroht.
Insbesondere die Japaner, deren Regierung – wie bereits erwähnt – eng mit der
Pekinger Zentralregierung zusammenarbeitete und die Interessen in den nördlichen
Provinzen in China verfolgten, sahen sich genötigt, in das geschehen einzugreifen
unter dem Vorwand, daß nur so das Leben japanischer Bürger in China geschützt
werden könnte.
Die Zentralregierung wiederum war darauf angewiesen, daß die regionalen
Militärmachthaber des Nordens ihre Truppen einsetzten, um die Hauptstadt zu
verteidigen. Es gelang aber den Vertretern der Guomindang, einen Teil der in
Nordchina stationierten Truppen und ihre Generäle für sich zu gewinnen und auf die
Weise den Kampf um Peking wesentlich zu erleichtern. Am 6.Juli 1928 fand vor dem
Sarg Sun Yatsens in den Duftenden Hügeln vor der Stadt eine feierliche Zeremonie
statt, in der der Nordfeldzug für siegreich beendet und die Ausschaltung der Pekinger
Zentralregierung verkündet wurde. Peking hieß nicht mehr länger Beijing (gleich
Hauptstadt des Nordens), sondern erhielt seinen alten Namen Beiping zurück.
4.5 Zusammenfassung
Die Erfahrungen aus den Bemühungen der Guomindang um die Herstellung der
nationalen Einheit in China lassen sich wie folgt zusammenfassen:
 Der Kampf um die Herstellung der nationalen Einheit in Zeiten des Zerfalls
beginnt an der Peripherie und hat die Errichtung eines neuen Zentrums zum Ziel.
Er gilt als erfolgreich, sobald sich das neue Zentrum behauptet hat, d.h. das neue
Zentrum muß nicht am Ort des alten Zentrums etabliert werden, was allerdings
nicht bedeutet, daß auf die Zerschlagung des bisherigen Zentrums verzichtet
werden könnte..
 Im zwanzigsten Jahrhundert ist der Kampf um die nationale Einheit immer
verknüpft mit dem Kampf um die soziale Erneuerung. Ohne die Bewegung für
eine Umgestaltung der sozialen Verhältnisse sind die Arbeiter und Bauern für den
Kampf um die nationale Einheit nicht zu gewinnen, je mehr diese jedoch mit
7
Zu diesem Teil des Nordfeldzuges vgl. C. Martin Wilbur, a.a.o., S.697-721.
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


immer radikaleren sozialen Forderungen im Sinne einer Massenbasis mobilisiert
werden, desto schwieriger wird es, den breiten gesellschaftlichen Konsens, der für
die Erringung der nationalen Einheit nötig ist, herzustellen und zu bewahren.
Der Kampf um nationale Einheit und soziale Reform wird auf der politischen wie
militärischen Ebene ausgetragen. Auf der politischen Ebene bedarf er einer
politischen Führungskraft in Form einer Partei. Je mehr diese Partei jedoch für
sich beansprucht, im Sinne des gesellschaftlichen Konsenses alle an der
Herstellung der nationalen Einheit interessierten Kräfte in sich aufzunehmen,
desto stärker entwickeln sich in ihr unterschiedliche Fraktionen.
Die
Handlungsfähigkeit der Partei hängt deshalb in hohem Maße von der Autorität des
Parteivorsitzenden innerhalb der Partei und darüber hinaus ab.
Für die militärische Ebene der Auseinandersetzung bedarf die Partei einer Armee,
deren Befehlsgeber der Partei politisch loyal verbunden sind. Es besteht jedoch
die Gefahr, daß die Armee ebenso in unterschiedliche politische Fraktionen
zerfällt wie die Partei. Um die Schlagkraft der Armee zu gewährleisten, bedarf es
um so mehr einer starken Führerpersönlichkeit, die über Partei und Armee
herrscht.
Der politische Kampf wird jedoch letztlich mit militärischen Mitteln entschieden.
Der politische Machtgewinn wird militärisch bemessen und drückt sich in
Territorialgewinn aus. Die militärische Eroberung bereitet den Boden für den
Aufbau der politischen Verwaltung. Die militärische Beherrschung des
Territoriums ist die Voraussetzung für die Konsolidierung der politischen Macht.
Diese im Zuge des Kampfes um die nationale Einheit gemachten Erfahrungen bilden
die Beobachtungsgrundlage, aufgrund derer Mao Zedong seine Theorie der
chinesischen Revolution entwickelte. Im weiteren Verlauf der politischen Kämpfe in
China entwickelte Mao Zedong die Vorstellung, daß es drei Dinge gebe, welche die
Revolution in China zu beherzigen habe: die Partei, die Armee und die Einheitsfront.
Die beiden ersten Grundpfeiler der Revolution, Partei und Armee, haben sich in ihrer
Bedeutung in der oben beschriebenen Phase zwischen 1922 und 1928 deutlich
herausgebildet; der dritte Bereich, die Einheitsfront, ist deshalb für die KPCh von so
großer Bedeutung, weil sie im Zuge der Zusammenarbeit mit der Guomindang die
Vorteile der „Einnistungs-Politik“, aber auch die damit verbundenen Schwierigkeiten,
kennengelernt hat und bemerkt hat, daß sie aus der bloßen Opposition heraus die
politische Macht in China nicht erringen kann. Für die Guomindang stellt sich dieses
Problem nicht, da sie als Einheitspartei konzipiert und entstanden ist, in diesem Sinne
also als Partei schon eine Einheitsfront verschiedener gesellschaftlicher Kräfte
darstellt und von daher keiner darüber hinausgehenden Einheitsfront bedarf, um sich
gesellschaftlich verankern zu können.
Die oben erwähnte Problematik der Herausbildung einer Führungspersönlichkeit wird
von Mao Zedong in seinen Betrachtungen zur Theorie der chinesischen Revolution
nicht ausdrücklich angesprochen. Im weiteren Verlauf der Entwicklung der KPCh
zeigt sich aber, daß er sich der Notwendigkeit und Problematik der Herausbildung
einer Führerpersönlichkeit durchaus bewußt war und in diesem Zusammenhang die
sogenannte Ausrichtungsbewegung in Yanan im Jahr 1942 durchführte. Dabei ist
beachtenswert, daß die KPCh genauso wie die Guomindang von dem Problem der
Fraktionierung innerhalb der Partei ergriffen war, obwohl es sich bei der KPCh dem
Selbstverständnis nach nicht um eine Einheitspartei handelt, sondern um die „Vorhut
des Proletariats“.
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