Prof. Dr. S. Weigelin-Schwiedrzik Wintersemester 2000/2001 Vorlesung: Einführung in die chinesische Geschichte des 20.Jahrhunderts Teil IV: Die Guomindang (GMD, ) auf dem Weg zur nationalen Einigung (1923-1927) Die Guomindang, 1912 unter diesem Namen gegründet, bestand Mitte der zwanziger Jahre mit ihren Vorläuferorganisationen schon fast dreißig Jahre lang, als sie sich anschickte, in der Auseinandersetzung mit den lokalen Militärmachthabern, auch warlords genannt, wie mit der Kommunistischen Partei ihre Position als führende politische Kraft in China aufzubauen. Diese Auseinandersetzung läßt sich wiederum in drei Phasen aufteilen: In der ersten Phase arbeitet die Guomindang mit der Kommunistischen Partei gemeinsam in einer Einheitsfront. Grundlage dieser Einheitsfront ist der gemeinsame Gegner im Norden Chinas: die Militärmachthaber, und die Imperialisten, jene ausländischen Mächte also, die in einer großen Zahl von chinesischen Städten „Konzessionen“ gebildet hatten und damit politisch wie wirtschaftlich über erheblichen Einfluß verfügten. In der zweiten Phase steht die interne Auseinandersetzung im Vordergrund, sowohl innerhalb der Guomindang, wobei hier die Frage, wer die Nachfolge des 1925 verstorbenen Sun Yatsen antreten kann, im Mittelpunkt steht; als auch innerhalb der Einheitsfront, in der die KPCh aufgrund ihrer geschickten Politik in den Gewerkschaften und Bauernverbänden immer mehr an Einfluß gewonnen hat.. Nach Zurückdrängung des kommunistischen Einflusses und der damit verbundenen wenigstens zeitweisen Klärung der politischen Streitigkeiten innerhalb der Guomindang beginnt dann die dritte Phase, in der sich parteiintern Tschiang Kaishek (Jiang Jieshi, ) als Führer der Guomindang und die Guomindang als führende politische Kraft in China durchsetzen. Nanking (Nanjing ) wird zur Hauptstadt der chinesischen Republik , von der aus in der sogenannten Nankinger Dekade (1927-1937) ein erster Versuch der gezielten Modernisierung unternommen wird. Innerhalb der Geschichtsschreibung in der VR China, aber darüber hinaus auch in der westlichen Chinaforschung, steht die Darstellung der Jahre zwischen 1923 und 1927 in der Regel ganz unter dem Zeichen der Einheitsfront zwischen GMD und KPCh. Dabei wird im Hinblick auf die spätere Niederlage der Guomindang der KPCh ein Gewicht zugemessen, das sie in dieser Phase de facto noch gar nicht besitzen konnte, und damit die Bedeutung, die dieser Phase zukommt, in der die Guomindang zumindest in Ansätzen vermochte, den nach der Revolution von 1911 noch immer nicht überwundenen Zustand der inneren Zersplitterung zu beenden, unterschätzt. Auch wird übersehen, daß die später von Mao Zedong systematisierte Theorie der chinesischen Revolution nicht nur, wie die Parteigeschichtsschreibung in der VR China dies hervorzuheben weiß, aus der „Anwendung der allgemeinen Prinzipien des Marxismus-Leninismus auf die konkrete Praxis der Revolution in China“ entstanden ist: Der Reichseinigungsprozeß, so wie er unter Führung der Guomindang in den Jahren 1923-1927 vollzogen wurde, weist vielmehr alle wichtigen Charakteristika auf, die sich im weiteren Verlauf der Entwicklung auch für die KPCh als entscheidend herausstellen sollten. Insofern stellte diese Phase so etwas wie die Beobachtungsgrundlage dar, derer sich Mao Zedong bei der Formulierung seiner 1 Theorie bedienen konnte, ohne dieses „Geheimnis“ allerdings je preizugeben, da dies bedeutet hätten, den Anspruch auf Originalität der im Nachhinein zur Siegesformel erklärten Mao-Zedong-Ideen zumindest teilweise dem politischen Erzfeind zu überlassen. 4.1 Die politische Lage in China zu Beginn der zwanziger Jahre1 Seit dem Tod Yuan Shikais befand sich China im einem Zustand der Führungslosigkeit und der Zersplitterung.. Dabei spielten verschiedene Faktoren eine entscheidende Rolle: An erster Stelle ist hier die Herrschaft der lokalen Militärmachthaber zu nennen, die sich mit Hilfe der ihnen unterstellten Armee ein Territorium sicherten, in dem sie unabhängig von der Zentralregierung die politische Herrschaft ausübten und die eingezogenen Steuern für ihre Belange einsetzten. Dementsprechend schwach war die Zentralregierung in Peking, der sich in der Zeit zwischen 1916 und 1928 allein 7 unterschiedliche Präsidenten zur Verfügung stellten, ohne jedoch dem Zustand der Zersplitterung eine Ende setzen zu können. Erschwerend kam hinzu, daß mehrere regionale Militärmachthaber sogenannte Cliquen bildeten, die zusammengenommen jeweils einen erheblichen Teil des chinesischen Territoriums unter ihrer Kontrolle hatten und gegenseitig auch noch in Konkurrenz zu einander standen. Hier sind insbesondere die Fengtian-Clique zu nennen, die den Norden Chinas unter ihrer Kontrolle hielt, die Jili-Clique, die Mittelchina von Peking bis Nanjing kontrollierte, und schließlich die Anhui-Clique, die ursprünglich Shandong, Anhui, Zhejiang und Fujian unter ihrer Kontrolle hatte, in militärischen Auseinandersetzungen mit der Jili-Clique jedoch große Verluste hinnehmen mußte. In der Provinz Guangdong stand der Zentralregierung von Peking außerdem unter der Führung Sun Yatsens ( eine Gegenmacht entgegen, die nicht nur mit Peking um die politische Führung des Landes rang, sondern zugleich auch mit den Einnahmen, die Sun in der Provinz erwirtschaften konnte, die ökonomische Basis für die Guomindang und die von ihr aufzubauenden militärischen Kräfte darstellte. Allerdings waren auch die Kräfte der Revolution in sich zersplittert, so daß Kanton nicht unbestritten als Zentrum der revolutionären Kräfte angesehen wurde, sondern um diese Stellung mit Shanghai ( und später auch mit Wuhan () zu kämpfen hatte. Schließlich sind auch die verschiedenen Einflußgebiete der ausländischen Mächte zu nennen, die einer Einigung Chinas entgegenstanden. Neben diesen unterschiedlichen Einflußsphären muß aber auch beachtet werden, daß unterschiedliche ausländische Mächte mit unterschiedlichen politischen Kräften in China Kontakt pflegten und dadurch die Zerrissenheit der Situation verstärkten. Die Japaner unterstützten beispielsweise die Zentralregierung unter Duan Qirui, der seinerseits wiederum eng mit den nördlichen Militärmachthabern verbunden war und damit ein Territorium unter seiner Kontrolle hatte, für das Japan besonderes Interesse zeigte. Wu Peifu, der wichtigste Militärmachthaber innerhalb der Jili-Clique, warb immer wieder um amerikanische und englische Unterstützung, erhielt diese jedoch nur von englischen Unternehmen, die in China aktiv waren, und nicht von Regierungsseite. Die Sowjetunion wiederum unterstützte Feng Yuxiang, der im Norden Chinas eine Armee mit dem Namen Guominjun befehligte und politisch reformerisch gesinnt war. Als 1 Vgl. hierzu die aufschlußreichen Artikel: Sheridan, James E.: The warlord era: politics and militarism under the Peking government, 1916-1928. In: Fairbank, John K. (ed.): The Cambridge History of China. Vol. 12, Republican China 1912-1949, Part 1, S.284-321. 2 Ergebnis dieser verschiedenen Konstellationen verstärkte die Wirkung ausländischer Interessen die Zerrissenheit, die Zerrissenheit erschwerte aber andersherum auch das weitere Vordringen ausländischer Interessen. Ähnliche Perioden der Zersplitterung hat es immer wieder in der chinesischen Geschichte gegeben. Dabei ging es den sich jeweils herausbildenden regionalen Machthabern nie um eine langfristige oder dauerhafte Aufteilung des Landes in kleinere Einheiten. Vielmehr ging es darum, eine jeweils neue Einheit mit neuen Gewichtungen und Zentren herzustellen, weshalb die Phasen der Zersplitterung immer durch Kriege gekennzeichnet sind, in denen ein Teil des Landes die Hegemonie über die anderen Landesteile zu erringen sucht. Voraussetzung für eine derart starke Entwicklung des Regionalismus ist immer die Schwäche der zentralen Führung gewesen, im zwanzigsten Jahrhundert treten jedoch noch andere Faktoren hinzu, unter denen die Rivalität der unterschiedlichen um Einfluß in China ringenden ausländischen Mächte der wichtigste ist. 4.2 Die erste Phase: Die Guomindang bietet sich als führende Kraft in China an2 4.2.1 Die Reorganisation der GMD Seit der Revolution von 1911 hatte Sun Yatsen immer wieder Kanton () als seine politische Basis benutzt und ausgebaut. Immer wieder war er aber auch von dort vertrieben worden. So auch im August 1922, als der lokale Militärmachthaber Chen Qiongming ihn aus Kanton vertrieb. Sun floh nach Shanghai und hoffte von dort aus, die Präsidentschaft in Peking übernehmen zu können. Doch während ihm dies nicht gelang, gelang es ihm im Januar 1923, genügend Truppen zusammenzustellen, um seinen Rivalen Chen Qiongming aus Kanton zu vertreiben. Die Guomindang war zu jener Zeit noch eine kleine Partei mit nur wenigen tausend Mitgliedern. Die Truppen, die auf Seiten Sun Yatsens standen, waren unzuverlässig und auch nicht gerade zahlreich. Sun hatte die Offiziere gekauft, von einer politischen Übereinstimmung zwischen ihm und den für ihn kämpfenden Truppen konnte keine Rede sein. Finanziell war Sun darauf angewiesen, daß er von der Partei gesammelte Spenden an die Soldaten weitergab. In dieser Situation bietet sich mit Borodin ein Berater aus der Sowjetunion an, der Sun dabei unterstützen will, die Partei zu reorganisieren, eine Armee aufzubauen und damit ein Instrument zu schaffen, um sich in die politische Auseinandersetzung, die damals in China schwelte, mit militärischen Mitteln einzumischen.3 Von Seiten der KOMINTERN wird gleichzeitig Sun dazu überredet, mit der Kommunistischen Partei eine Einheitsfront einzugehen. Nach langen und schwierigen Vorbereitungen wurde der 1. Nationalkongreß der Guomindang (in ihrer reorganisierten Form) am 20.Januar 1924 einberufen. Die 196 gewählten Delegierten vertraten rund 24.000 Parteimitglieder in China und verabschiedeten eine Proklamation, ein Parteiprogramm und ein Parteistatut. In diesen Dokumenten bekannte sich die Guomindang zu einer reformistischen Politik, die vor 2 Die folgenden Ausführungen beruhen auf: C.Martin Wilbur: The Nationalist Revolution: from Canton to Nanking, 1923-1928. In: John K. Fairbank (ed.): The Cambridge History of China. Vol.12, Republican China 1912-1949, Part I, S.527-721. Es handelt sich dabei um die derzeit autoritativste Ausarbeitung zu diesem Thema, was auch die Länge des Artikels innerhalb eines Sammelbandes rechtfertigt. Die Ausführungen zu 4.2 befinden sich auf den Seiten 527-552. 3 Es ist hier zu beachten, daß die Sowjetunion damals über zwei unterschiedliche Kanaäle Einfluß auf die Situation in China genommen hat: zum einen über die KOMINTERN mit ihrem Emmisär Maring, zum anderen auf staatlicher Ebene als Sowjetunion, wobei hier Borodin als sowjetischer Berater auftrat. 3 allem gegen den Imperialismus und Militarismus in China gerichtet war. Der Parteikongreß wählte eine Parteiführung, die ihren Sitz in Kanton haben sollte. An der Spitze der Partei stand ein Ständiges Komitee, dem drei Parteimitglieder, darunter Dai Jitao, angehörten, die alle dem linken Flügel der Partei zuzurechnen sind. Als eine der wichtigsten Aufgaben wurde betrachtet, die Partei im ganzen Land organisatorisch zu verankern und dabei gleichzeitig eine massive antiimperialistische Propaganda zu entfalten. Angesichts der Lage in China reichte jedoch der Einsatz politischer Mittel zu erfolgreichen Erringung der Macht nicht aus. Es war klar, daß die Guomindang nur dann erfolgreich sein würde, wenn sie sich wie ihre Gegner auch mit militärischer Macht ausrüstete. So kamen neben Borodin als politischem Berater auch militärische Berater aus der Sowjetunion, die sich daran machten, eine disziplinierte und politisch geschulte, loyale Armee aufzubauen. Die Klammer zwischen Armee und Partei wurde hergestellt, indem Sun Yatsen die wichtigsten Generäle der Armee auch in führende Positionen innerhalb der Partei brachte. Als entscheidend sollte sich dabei im weiteren Verlauf herausstellen, daß im Mai 1924 eine Militärakademie in Whampoa, einer Insel südlich von Kanton, gegründet wurde, zu deren Leiter Sun Yatsen Tschiang Kaishek berief. Die Akademie wurde aus russischen Geldern und Steuereinnahmen finanziert, sie wurde von russischen Beratern und Waffenlieferungen aus der Sowjetunion unterstützt und bildete den Nukleus für die Armee der Guomindang, die den Feldzug gegen die Militärmachthaber im Norden des Landes erfolgreich führen sollte. 4.2.2 Die Einheitsfront mit der KPCh erweitert die Massenbasis der GMD Unter den 196 Delegierten auf dem Nationalkongreß der Guomindang waren nur 20 Mitglieder der Kommunistischen Partei gewesen, im Zentralen Exekutiv Komitee der Partei waren zwei Mitglieder der KPCh. So gesehen war der Einfluß der KPCh zunächst gering, doch weitete er sich aus, je mehr die Guomindang versuchte, sich eine Massenbasis zu verschaffen. Oft waren es nämlich Kommunisten, welche die Beziehungen der GMD zu den Gewerkschaften und Bauernverbänden knüpften, die Streiks und Revolten organisierten. Bald waren mehrere Zehntausend Bauern in der Umgebung von Kanton in Bauernverbänden organisiert. Sie kämpften gegen überhöhte Pachtforderungen und setzten sich gegen Organisationen der landbesitzenden Bauern zur Wehr. Durch die Radikalität der von den Bauern gestellten Forderungen und ihren aktiven Kampf gegen die eingesessenen Eliten spitzte sich jedoch bald die Auseinandersetzung innerhalb der Guomindang zu, die von Anfang an eine „Einheitspartei“ war, in der sich die unterschiedlichsten politischen und gesellschaftlichen Kräfte wiederfanden. Die Konflikte innerhalb der Guomindang, die in der Folge die Partei auf eine Zerreißprobe stellten, waren somit Ausdruck der Konflikte innerhalb der Gesellschaft, weshalb es nicht gelingen konnte, die Auseinandersetzungen zum Schweigen zu bringen. Hätte eine Gruppe innerhalb der Partei eindeutig die Vorherrschaft über die Gesamtpartei erlangt, hätte die Partei nicht mehr als Einheitspartei fungieren können. Kurz nach Sun Yatsens Tod im März 1925 spitzen sich auch die Auseinandersetzungen in den Städten zu. Im Mai 1925 kommt es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern in Shanghai und japanischen Truppen, wobei ein Arbeiter getötet wird.4 Die kommunistisch geleiteten Gewerkschaften und 4 Als eine der wenigen Studien in deutscher Sprache zu diesem Komplex sei hier die unlängst erschienene Arbeit genannt: Jürgen Osterhammel: Shanghai, 30.Mai 1925. Die chinesische Revolution. München (dtv) 1997. 4 Studenten bekunden den Arbeitern ihre Solidarität . Sie demonstrierten gegen Imperialismus und die China aufgezwungenen ungleichen Verträge, bis es am 30.Mai zu einer Eskalation der Auseinandersetzungen kommt. Es wird geschossen, und fünf oder sechs Studenten werden getötet, als chinesische und indische Polizei unter ausländischem Kommando in die Menge schießen. Am 1.Juni beginnt ein Generalstreik, es wird weiter demonstriert und weiter geschossen. Bald verläßt die Kunde Shanghai und breitet sich über das ganze Land aus, 28 Städte schließen sich dem Protest an. In dieser Situation wächst der Einfluß der KPCh und der Guomindang in nicht gekanntem Maße, Studenten schließen sich der Armee an und wollen in Whampoa ausgebildet werden, es wird gespendet und damit möglich, Streikgelder an streikende Arbeiter zu verteilen. So wie die Radikalisierung der ländlichen Bevölkerung Gegenreaktionen seitens der landbesitzenden und verpachtenden Bauern ausgelöst hatte, trifft die Radikalisierung der städtischen Bevölkerung auf den Widerstand der in Shanghai auch in Konkurrenz mit ausländischen Firmen ums Überleben kämpfenden Unternehmer und damit eine wichtige Interessensgruppe innerhalb der Guomindang, die vor allem auch für die finanzielle Unterstützung der Armee von besonderer Bedeutung war. Während also die Erweiterung der Massenbasis zur Herauskristallisierung der Guomindang als politisch führende Kraft in China beiträgt, trägt sie zur Verschärfung der Widersprüche innerhalb der Partei bei. 4.3 Die zweite Phase: Auseinandersetzungen innerhalb der Guomindang und innerhalb der Einheitsfront5 4.3.1 Auseinandersetzungen innerhalb der GMD 4.3.1.1 Auseinandersetzungen zwischen Kanton und der Western Hill Gruppe Ausdruck der sich zuspitzenden Widersprüche innerhalb der GMD ist das Attentat auf Liao Zhongkai, ein Mitglied des ständigen Ausschusses des zentralen Exekutivkomitees, und damit eines der ranghöchsten Mitglieder der GMD. Das Attentat galt dem linken Flügel der Partei, der auf enge Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und mit der KPCh setzte. Tschiang Kaishek, der bisher noch nicht in den höheren Gremien der Partei aufgetaucht war , wurde Mitglied jener Dreiergruppe, die das Attentat aufklären sollte. Ein zweites Mitglied dieser Untersuchungskommission, das im weiteren Verlauf von besonderer Bedeutung sollte, war Wang Jingwei. Das dritte Mitglied, Xu Zhongzhi, stellte sich als weniger kooperativ im Sinne der beiden anderen heraus und wurde kurzerhand innerhalb eines Monats seines Amtes enthoben. Die Macht in Kanton war damit nach dem Tode Sun Yatsens in die Hände von Tschiang Kaishek und Wang Jingwei übergegangen. Im weiteren Verlauf der Jahres 1925 bemühten sich Tschiang und Wang auch um die Reorganisation der in Kanton stationierten militärischen Kräfte und um eine Konsolidierung der militärischen Macht. Nachdem es ihnen gelungen war, die Provinz Guangdong () unter ihre Kontrolle zu bringen, konnten sie auch die lokalen Militärmachthaber der umliegenden Provinzen für sich gewinnen und damit die Stärke der ihnen unterstehenden bzw. mit ihnen sympathisierenden Truppen auf ca. 150.000 Mann erhöhen. Die Stärke der in Kanton unter Tschiang Kaishek versammelten Kräfte rief aber auch die gegnerischen Kräfte auf den Plan. Im November 1925 trafen sich alt gediente Parteimitglieder in den Duftenden Hügeln in der Umgebung von Peking und stellten 5 Vgl. hierzu C. Martin Wilbur, a.a.O., S. 553-575. 5 dort erneut die Zusammenarbeit mit der KPCh in Frage. Sie beriefen das „4.Plenum des ZEK“ ohne Beteiligung Kantons ein und beschlossen, die Mitglieder der KPCh aus der GMD auszuschließen. Nachdem Tschiang jedoch die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und mit den Kommunisten bekräftigte, drohte die Partei sich zu spalten, zumal die Western Hill Gruppe in Shanghai ein Hauptquartier aufbaute. Von Kanton aus wurde der 2.Nationalkongreß der GMD einberufen , wobei rund ein Drittel der anwesenden Delegierten Mitglieder der KPCh gewesen sein sollen. Obwohl die Auseinandersetzung mit der Western Hill Gruppe scharf geführt wurde, setzte sich Wang Jingwei mit seinem Vorschlag durch, mit Verwarnungen zu arbeiten und die Spaltung der Partei zu vermeiden. In das neu gewählte ZEK wurden allerdings keine Vertreter der Western Hill Gruppe aufgenommen, während die KPCh mit sieben oder acht Vertretern im ZEK saß. 4.3.2 Tschiang Kaishek bemächtigt sich der GMD Die Zusammenarbeit zwischen Tschiang Kaishek und Wang Jingwei währte nur bis ins Frühjahr 1926. Tschiang sah sich in seinen Möglichkeiten von den russischen Beratern eingeengt und mißtraute Wang Jingwei, der seinerseits wiederum von diesen Beratern besonders offensichtliche Unterstützung erhielt. Höhepunkt der Auseinandersetzung war der Zhongshan-Zwischenfall am 20.März 1926, infolge dessen drei der russischen Berater des Landes verwiesen, Wang Jingwei nach Frankreich geschickt und der politische Einfluß der KPCh auf die Truppen Tschiang Kaisheks zurückgedrängt wurde. Damit war das Terrain für Tschiang bereitet, er berief im Mai 1926 eine Sitzung des ZEK nach Kanton ein, auf der beschlossen wurde, daß die KPCh nur noch in stark beschränktem Maße innerhalb der GMD aktiv werden konnte. Alle Parteimitglieder wurden verpflichtet, sich dem Parteivorsitzenden und den von Sun Yatsen formulierten „Drei Volksprinzipien“ () zu unterstellen. Tschiang Kaishek wurde Leiter der Organisationsbüros der GMD, seiner enger Verbündeter Zhang Renjie (Zhang Jingjiang) wurde Vorsitzender des ZEK der GMD. Gleichzeitig mit der Zurückdrängung des kommunistischen Einflusses schwächte Tschiang Kaishek auch seine Gegner aus der Western Hill Gruppe und bereitete damit die Voraussetzungen für die Durchführung der Nordexpedition, die sich sowohl gegen die regionalen Militärmachthaber des Nordens als auch gegen seine innerparteilichen Rivalen wenden sollte. 4.3.3 Auseinandersetzungen innerhalb der Einheitsfront Die sich zuspitzenden Konflikte innerhalb der Guomindang waren immer engstens mit Auseinandersetzungen innerhalb der Einheitsfront verknüpft. Die Einheitsfront mit der KPCh stärkte den sogenannten linken Flügel der Guomindang und rief schon deshalb den Unmut der Western Hill Gruppe hervor. Die von der KPCh verfolgte Politik der Massenmobilisierung war dabei den alt gedienten Parteimitgliedern, deren soziale Basis die Gentry war und die ihrerseits oft auch Beziehungen zu den regionalen Militärmachthabern pflegten, ein besonderer Dorn im Auge, fühlten sie sich doch zu recht in ihren Möglichkeiten durch die Radikalisierung der Bauern und Arbeiter stark eingeschränkt. Die KPCh ihrerseits mußte an ihrer Politik der Massenmobilisierung festhalten, um das im Rahmen der „Einnistung“ verfolgte Ziel der Machteroberung nicht vollständig aufzugeben. Da sich innerhalb der Partei die Linie durchgesetzt hatte, „Einnistung“ mit Opposition zu verbinden, um auf die Weise die Selbständigkeit der Partei unter Beweis zu stellen, hätte ein Eingehen auf die politischen Wünsche der Unternehmer 6 und Gentrymitglieder innerhalb der Guomindang so etwas wie eine Kapitulation beinhaltet. Dementsprechend konnte die KPCh nicht anders, als durch Weiterverfolgung der Politik der Massenmobilisierung ihre Position und damit die des linken Flügels innerhalb der GMD zu stärken und im Grunde auf eine Spaltung der GMD hinzuarbeiten. 4.4 Die dritte Phase: Der Nordfeldzug 6 4.4.1 Die Eroberung Shanghais Auf einer offiziellen Zeremonie am 9.Juli 1926 wurde Tschiang Kaishek zum Oberkommandierenden der Guomin geming jun (), der revolutionären Nationalarmee, ernannt und die Nordexpedition offiziell eröffnet. Die Armee zog von Kanton aus nach Süden Richtung Hunan (, zog dann weiter nach Wuchang (), wo sie auf heftigen Widerstand stieß, und hatte bis Ende 1926 alle wichtigen Städte in den Provinzen Hunan, Hubei (), Jiangxi ( und Fujian (eingenommen. Die Provinzen Guangxi ( und Guizhou ( hatten sich kampflos ergeben, was bedeutete, daß nun sieben Provinzen mit einer Bevölkerung von ungefähr 280 Millionen Menschen der Kontrolle der Guomin geming jun unterstanden. Trotz der militärischen Erfolge ebbten die internen Auseinandersetzungen innerhalb der GMD nicht ab. Dabei spielte die Verknüpfung zweier Aspekte, nämlich die Verknüpfung von Bekämpfung der „äußeren“ Feindes mit der der verschiedenen „inneren“ Rivalen, eine große Rolle. So gab es Streitigkeiten über die Frage, ob man zu Beginn des Jahres 1927 zuerst nach Peking vorstoßen (um dort die „Machtfrage“ gegenüber den äußeren Feinden zu stellen) oder ob man zuerst nach Shanghai ziehen sollte. Sollte die GMD ihr Hauptquartier in Wuhan oder Nanchang () errichten? Hinter diesen Fragen stand die Auseinandersetzung um die Führung innerhalb der GMD und die Auseinandersetzung um das Verhältnis von Kampf um die nationale Einigung einerseits und um soziale Veränderungen andererseits. Die nationale Einigung verlangte nach Kompromissen in der sozialen Frage, die Lösung der sozialen Frage behinderte die Verwirklichung der Einigung. Die ursprünglich in Kanton konzentrierte Führung der GMD zog mit den Truppen nach Norden und verlagerte das Zentrum nach Wuhan. Diese Gruppe stand unter dem Einfluß von Borodin und galt innerhalb der GMD als links. Sie wurde von der KPCh unterstützt. Tschiang Kaishek, sein enger Freund Zhang Jingjiang und Tan Yankai zogen jedoch nach Nanchang und legitimierten sich durch die Beschlüsse des 2.Nationalkomgresses. Tschiang trat für eine Weiterführung des Kampfes Richtung Shanghai ein, die Wuhaner Gruppe wollte nach Peking. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung ging Tschiang Kaishek innerhalb der von ihm kontrollierten Teile von Partei und Armee immer stärker gegen Kommunisten und linke GMD-Parteimitglieder vor. Gleichzeitig suchte er nach neuen Verbündeten, entsandte seine Truppen Richtung Shanghai und verhandelte mit dem stärksten unter den regionalen Militärmachthabern Zhang Zuolin, um eine kriegerische Auseinandersetzung mit der Fengtian-Gruppe herauszuzögern. Um diese Ziele zu erreichen und genügend finanzielle Mittel für den Feldzug gegen Shanghai zu sammeln, mußte er sich jedoch immer stärker mit den Kräften in der Guomindang verbünden, für die die nationale Einigung im Vordergrund stand und die nicht an einer Zuspitzung der sozialen Problematik interessiert waren. Dementsprechend mußte er immer stärker gegen die Kommunisten in den eigenen Reihen vorgehen. Im 6 Vgl. hierzu C.Martin Wilbur, a.a.O., S.575-603. 7 Februar 1927 nahm das mit ihm verbündete 1.Corps die Stadt Hangzhou ein, von dort aus rückte man weiter über Gaxing nach Shanghai vor. Gleichzeitig riefen die Kommunisten in Shanghai zum Aufstand auf, um die Gegner der Nationalarmee zu schwächen und ihren Einfluß in der Stadt zu konsolidieren. Während es ihnen gelang, einen Massenprotest in der ganzen Stadt zu entfachen, formierten sich aber auch ihre Gegner zu neuen Fronten. Die in Shanghai aktiven ausländischen Mächte sahen sich genauso bedroht wie die Gruppe der Unternehmer und der Konservativen innerhalb der Guomindang. Sie alle boten sich unter dem Druck der Ereignisse Tschiang als neue Verbündete an und schufen damit die Voraussetzung für den Gegenschlag, den Tschiang vom 18.März an ausführen ließ. Am 21.März kam es zu einer erneuten, von kommunistischen Kadern innerhalb der Stadt geleiteten Revolte, diesmal von bewaffneten Arbeitermilizen unterstützt. Innerhalb kürzester Zeit schien die Stadt in der Hand der Nationalisten, überall waren die Flaggen der Guomindang gehißt. Am 22.März erreichten jedoch 20.000 Soldaten unter General Xue Yue die Stadt, errichteten ein Hauptquartier und beendeten den Aufstand. Den Ausländern wurde ihre Sicherheit garantiert. Die Nationalisten hatten Shanghai eingenommen, doch die, welche mit ihrem Aufstand die Voraussetzungen dafür bereitet hatten, wurden innerhalb kürzester Zeit entmachtet und durch Kräfte ersetzt, welche die im Aufstand erhobenen sozialen Forderungen für zu weitgehend hielten. Die Einnahme Shanghais gereichte damit nicht mehr dem linken Flügel und der KPCh zum Ruhme, sondern sollte im weiteren Verlauf in ihr Gegenteil umschlagen und zur Voraussetzung für die Ausschaltung der Linken und den Bruch der Einheitsfront werden. Am 26.März erreichte Tschiang Kaishek Shanghai.. Die Situation in der Stadt war spannungsgeladen. Auf der einen Seite standen die Gewerkschaften, die zu Recht für sich beanspruchen konnten, mit ihren Aufständen das Vorrücken der Nationalarmee begünstigt zu haben. Auf der anderen Seite standen die ausländischen Interessen, die Unternehmen und die konservativen altgedienten Parteimitglieder, die von Tschiang forderten, er möge geeignete Maßnahmen unternehmen, um den kommunistischen Einfluß zu liquidieren und damit einer weiteren Radikalisierung der Verhältnisse entgegenzuarbeiten. Tschiang versuchte zunächst, einen Ausgleich zwischen den divergierenden Kräften zu finden. Doch sah er sich dem Druck von verschiedenen Seiten ausgesetzt, die verlangten, daß er radikale Maßnahmen gegen die „Roten“ eingreifen sollte. Gleichzeitig änderten sich auch die Machtverhältnisse innerhalb der Guomindang zugunsten eines Ausschlusses der Kommunisten und einer Zurückdrängung der radikalen Kräfte. In dieser Situation, in der die kaum verhinderte Spaltung der Partei wieder zur Möglichkeit wurde, kam Wang Jingwei von seiner Parisreise zurück und wurde von Tschiang Kaishek trotz des vorausgegangenen Zwistes freundlich empfangen. offenbar hoffe Tschiang, Wang für sich gewinnen zu können und damit gleichzeitig ein Signal an den linken Flügel der Partei auszusenden, daß eine Entfremdung zwischen den verschiedenen politischen Flügeln verhindern könnte. Dennoch verschärfen sich die innerparteilichen Auseinandersetzungen bis zu dem Punkt, daß gewaltsame Kämpfe zwischen den rivalisierenden Gruppen in verschiedenen Städten ausbrechen. So brechen schon Ende Februar in Hangzhou Kämpfe zwischen den linken Kräften der Guomindang, den Gewerkschaften und Studentenorganisationen auf der einen und Kadetten aus der Whampoa Akadmie sowie Soldaten der Guomindang-Armee auf der anderen Seite aus. Es folgten ähnliche Auseinandersetzungen in Chongqing und Nanchang. Dabei stand in den politischen Diskussionen immer wieder die Frage im Mittelpunkt, ob in China die nationale Einigung Priorität gegenüber der sozialen Reform haben müssen oder ob, 8 andersherum, der sozialen Revolution Vorrang gegenüber der nationalen Einigung eingeräumt werden müßte. Doch bevor mit den blutigen Auseinandersetzungen in Shanghai die Einheitsfront endgültig zerschlagen werden sollte, ging Tschiang Kaishek zunächst noch nach Nanjing, in jene Stadt also, die Sitz der Regierung und neue Hauptstadt der Republik China werden sollte. Er erreichte Nanjing am 9.April und ließ dort eine Attacke auf das von linken Kräften dominierte Hauptquartier der Guomindang inszenieren. Die linken Kräfte versuchten sich, gegen dieses Vorgehen zur Wehr zu setzen, organisierten Melizen und Demonstrationen, doch standen ihnen Polizei und Militär entgegen, die mit eiserner Hand das Militärrecht durchzusetzen versuchten, welchen Tschiang gleich nach seiner Ankunft hatte über Nanjing verhängen lassen. Als Ergebnis dieser Kämpfe waren zwar die „linken“ in der GMD auch in Nanjing in die Defensive gedrängt, doch hatten sich die Kräfte um Tschiang Kaishek nicht nur eng mit den konservativen Kräften in der Guomindang verbinden müssen, sie hatten auch eine „Einheitsfront“ mit Banden und Gangster eingehen müssen, um diesen „Sieg“ erringen zu können. Trotz dieser offensichtlichen Punktgewinne auf Seiten Tschiang Kaisheks hielt die KPCh an ihrer Linie der Massenmobilisierung als einziges Mittel der Gegenwehr fest. Man versuchte, einen Generalstreik in Shanghai vorzubereiten, die Arbeitermilizen zu bewaffnen und die Gewerkschaften zu mobilisieren. Dementsprechend konzentrierte sich in der nächsten Runde der Auseinandersetzung der Kampf in Shanghai auf die Frage der Entwaffnung der Arbeitermilizen. Wieder griff man auf Seiten tschiang Kaisheks nach dem in Nanjing bereits erfolgreich angewandten Mittel. Man verband sich mit Gangstern und Banden, kleidete diese als Arbeiter und ließ sie wichtige Treff- und Knotenpunkte der Arbeitermilizen angreifen. Es erfolgte die Beschlagnahmung von Waffen und die Inhaftierung vor allem von Führern der Arbeitermilizen, die größten Teils schon wenige Stunden nach ihrer Inhaftierung erschossen wurden. Als Gegenmaßnahme rief die Gewerkschaft den Generalstreik aus. 100.000 Arbeiter folgten dem Aufruf, organisierten Demonstrationen unter Einbezug von Frauen und Kindern, doch zwang die Gewalt sie in die Knie. Hunderte von organisierten Arbeitern wurden getötet, Tausende flohen aus der Stadt, viele wurden verwundet. Am Abend des 13.April ging die Führung der Gewerkschaft in die Hände von Tschiang-freundlichen Funktionären über. 4.4.2 Nanjing wird Hauptstadt der Republik Die Errichtung des Hauptquartiers der Guomindang und der Regierung in Nanjing konnte nur gegen die in Wuhan versammelte Parteilinke durchgesetzt werden. Tschiang Kaishek berief eine Sitzung des zentralen Exekutivkomitees nach Shanghai ein, und als nach ein gewissen Zeit sich die in Wuhan versammelten Mitglieder des ZEK noch nicht eingefunden hatten, schuf er ein neues Zentrales Exekutivkomitee, dem nur 5 Mitglieder angehörten, die in das „rechtmäßige“ Exekutivkomitee mit ursprünglich 36 Mitgliedern gewählt worden waren. Dieses von Tschiang Kaishek geschaffene neue Exekutivkomitee beschloß am 17.April 1927, daß die Nationalregierung ihren Sitz in Nanjing haben sollte. Die in Wuhan versammelten Mitglieder des Exekutivkomitees alter Prägung beschlossen am 17.April1927, Tschiang Kaishek aller Parteiämter zu entheben und ihn aus der Partei auszuschließen. In Wuhan wurde ebenfalls eine Nationalregierung etabliert. 9 4.4.3 Der weitere Verlauf des Nordfeldzuges Die Etablierung der Nationalregierung in Nanjing konnte sich nicht durchsetzen, ohne daß der Streit innerhalb der GMD geschlichtet und Peking als bisherige Hauptstadt der Republik eingenommen wurde. Zunächst führten jedoch die beiden Hauptfraktionen innerhalb der GMD, die mit Sitz in Nanjing und die mit Sitz in Wuhan, getrennt den Nordfeldzug fort, dort zeigte sich bald, daß Wuhan in seiner Position noch stärker gefährdet sein sollte als Nanjing. Die Frage des weiteren Verbleibs von Kommunisten in der Partei blieb weiter auf der Tagesordnung und wurde erst im Juni 1927 mit der offiziellen Verstoßung der Kommunisten auch durch die Wuhaner GMD besiegelt. Nachdem die KPCh derart aus der GMD gedrängt und von ihren engsten Verbündeten in der GMD abgespalten worden war, zeigte sich die Wuhaner GMD-Fraktion auch wieder gesprächsbereit. Man traf sich in Shanghai zu einem Treffen aller parteiinternen Gruppierungen, mit dem Ziel, den Nordfeldzug endgültig nach Peking führen zu können. Am 4.Februar fand dann das „Vierte Plenum des ZEK“ statt, auf dem sich die GMD von einer Sowjetunion freundlichen und auf Klassenkampf ausgerichteten Politik verabschiedete. Danach wurden die Vorbereitungen für den Nordfeldzug in Angriff genommen.7 Je näher der Feldzug an Peking herankam, um so mehr fühlten sich die in diesem Teil des Landes stark vertretenen Ausländer durch die militärischen Ereignisse bedroht. Insbesondere die Japaner, deren Regierung – wie bereits erwähnt – eng mit der Pekinger Zentralregierung zusammenarbeitete und die Interessen in den nördlichen Provinzen in China verfolgten, sahen sich genötigt, in das geschehen einzugreifen unter dem Vorwand, daß nur so das Leben japanischer Bürger in China geschützt werden könnte. Die Zentralregierung wiederum war darauf angewiesen, daß die regionalen Militärmachthaber des Nordens ihre Truppen einsetzten, um die Hauptstadt zu verteidigen. Es gelang aber den Vertretern der Guomindang, einen Teil der in Nordchina stationierten Truppen und ihre Generäle für sich zu gewinnen und auf die Weise den Kampf um Peking wesentlich zu erleichtern. Am 6.Juli 1928 fand vor dem Sarg Sun Yatsens in den Duftenden Hügeln vor der Stadt eine feierliche Zeremonie statt, in der der Nordfeldzug für siegreich beendet und die Ausschaltung der Pekinger Zentralregierung verkündet wurde. Peking hieß nicht mehr länger Beijing (gleich Hauptstadt des Nordens), sondern erhielt seinen alten Namen Beiping zurück. 4.5 Zusammenfassung Die Erfahrungen aus den Bemühungen der Guomindang um die Herstellung der nationalen Einheit in China lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der Kampf um die Herstellung der nationalen Einheit in Zeiten des Zerfalls beginnt an der Peripherie und hat die Errichtung eines neuen Zentrums zum Ziel. Er gilt als erfolgreich, sobald sich das neue Zentrum behauptet hat, d.h. das neue Zentrum muß nicht am Ort des alten Zentrums etabliert werden, was allerdings nicht bedeutet, daß auf die Zerschlagung des bisherigen Zentrums verzichtet werden könnte.. Im zwanzigsten Jahrhundert ist der Kampf um die nationale Einheit immer verknüpft mit dem Kampf um die soziale Erneuerung. Ohne die Bewegung für eine Umgestaltung der sozialen Verhältnisse sind die Arbeiter und Bauern für den Kampf um die nationale Einheit nicht zu gewinnen, je mehr diese jedoch mit 7 Zu diesem Teil des Nordfeldzuges vgl. C. Martin Wilbur, a.a.o., S.697-721. 10 immer radikaleren sozialen Forderungen im Sinne einer Massenbasis mobilisiert werden, desto schwieriger wird es, den breiten gesellschaftlichen Konsens, der für die Erringung der nationalen Einheit nötig ist, herzustellen und zu bewahren. Der Kampf um nationale Einheit und soziale Reform wird auf der politischen wie militärischen Ebene ausgetragen. Auf der politischen Ebene bedarf er einer politischen Führungskraft in Form einer Partei. Je mehr diese Partei jedoch für sich beansprucht, im Sinne des gesellschaftlichen Konsenses alle an der Herstellung der nationalen Einheit interessierten Kräfte in sich aufzunehmen, desto stärker entwickeln sich in ihr unterschiedliche Fraktionen. Die Handlungsfähigkeit der Partei hängt deshalb in hohem Maße von der Autorität des Parteivorsitzenden innerhalb der Partei und darüber hinaus ab. Für die militärische Ebene der Auseinandersetzung bedarf die Partei einer Armee, deren Befehlsgeber der Partei politisch loyal verbunden sind. Es besteht jedoch die Gefahr, daß die Armee ebenso in unterschiedliche politische Fraktionen zerfällt wie die Partei. Um die Schlagkraft der Armee zu gewährleisten, bedarf es um so mehr einer starken Führerpersönlichkeit, die über Partei und Armee herrscht. Der politische Kampf wird jedoch letztlich mit militärischen Mitteln entschieden. Der politische Machtgewinn wird militärisch bemessen und drückt sich in Territorialgewinn aus. Die militärische Eroberung bereitet den Boden für den Aufbau der politischen Verwaltung. Die militärische Beherrschung des Territoriums ist die Voraussetzung für die Konsolidierung der politischen Macht. Diese im Zuge des Kampfes um die nationale Einheit gemachten Erfahrungen bilden die Beobachtungsgrundlage, aufgrund derer Mao Zedong seine Theorie der chinesischen Revolution entwickelte. Im weiteren Verlauf der politischen Kämpfe in China entwickelte Mao Zedong die Vorstellung, daß es drei Dinge gebe, welche die Revolution in China zu beherzigen habe: die Partei, die Armee und die Einheitsfront. Die beiden ersten Grundpfeiler der Revolution, Partei und Armee, haben sich in ihrer Bedeutung in der oben beschriebenen Phase zwischen 1922 und 1928 deutlich herausgebildet; der dritte Bereich, die Einheitsfront, ist deshalb für die KPCh von so großer Bedeutung, weil sie im Zuge der Zusammenarbeit mit der Guomindang die Vorteile der „Einnistungs-Politik“, aber auch die damit verbundenen Schwierigkeiten, kennengelernt hat und bemerkt hat, daß sie aus der bloßen Opposition heraus die politische Macht in China nicht erringen kann. Für die Guomindang stellt sich dieses Problem nicht, da sie als Einheitspartei konzipiert und entstanden ist, in diesem Sinne also als Partei schon eine Einheitsfront verschiedener gesellschaftlicher Kräfte darstellt und von daher keiner darüber hinausgehenden Einheitsfront bedarf, um sich gesellschaftlich verankern zu können. Die oben erwähnte Problematik der Herausbildung einer Führungspersönlichkeit wird von Mao Zedong in seinen Betrachtungen zur Theorie der chinesischen Revolution nicht ausdrücklich angesprochen. Im weiteren Verlauf der Entwicklung der KPCh zeigt sich aber, daß er sich der Notwendigkeit und Problematik der Herausbildung einer Führerpersönlichkeit durchaus bewußt war und in diesem Zusammenhang die sogenannte Ausrichtungsbewegung in Yanan im Jahr 1942 durchführte. Dabei ist beachtenswert, daß die KPCh genauso wie die Guomindang von dem Problem der Fraktionierung innerhalb der Partei ergriffen war, obwohl es sich bei der KPCh dem Selbstverständnis nach nicht um eine Einheitspartei handelt, sondern um die „Vorhut des Proletariats“. 11 12