Werner Müller - EWE

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Werner Müller
Mein Ossiloop 3
Eine sehr persönliche Betrachtung des
Ossiloop 2012
von ganz weit hinten.
"Nach dem Ossiloop ist vor dem Ossiloop",
so heißt es doch - und es ist was dran, an diesem Spruch. Kaum hat man die
Laufschuhe nach der letzten Etappe von den Füßen gestreift, denkt man
bereits darüber nach, was vielleicht in dem Jahr nicht so gut gelaufen ist und
beim nächsten Ossiloop besser werden sollte und man läuft einfach weiter.
Doch im Sommer ist es manchmal nicht so einfach, sich dieser Aufgabe zu
stellen, denn es ist heiß! Zumindest warm ist es und bei Temperaturen jenseits
der 20 Grad-Marke macht das Laufen nicht wirklich Spaß.
Zu Mehreren hält man dieses Problem besser in Schach. Deshalb haben
Frauke, Cordula, Gaby und ich beschlossen, jeweils dienstags gemeinsam zu
laufen, keine Gewaltstrecken, jeweils eine gute Stunde auf der Piste soll
genügen. Diesen Dienstagslauf haben wir auch konsequent durchgezogen,
jedenfalls ein halbes Jahr lang.
Das Jahr nach dem Ossiloop teilte sich ohnehin in lauftechnisch positive und
weniger positive Abschnitte. Der Anfang war sehr positiv. Die Leeraner Polizei
veranstaltet jedes Jahr im Sommer den City-Lauf in Leer. Zu diesem Lauf, bei
dem die Strecken 5 km, 10 km und Halbmarathon angeboten werden, habe ich
mich für die 5000 Meter angemeldet. Wen treffe ich am Start? Meinen Freund,
den Seeräuber vom Ossiloop. Johnny hat sich ebenfalls angemeldet. Der
gegenseitige Blick in die Augen verheißt ein spannendes Rennen, das jeder von
uns beiden für sich entscheiden will. Wir versichern uns jedoch gegenseitig,
dass es völlig egal ist, wer hier heute gewinnt - wer´s glaubt?
Kurz nach dem Start zieht das Feld, wir kennen es ja vom Ossiloop, auf und
davon. Von den Langsamsten sind wir jedoch die Schnellsten und gehen das
Rennen natürlich wieder mit einer viel zu hohen Pace an. Zwei Runden von je
2.5 Kilometern sind rund um den Leeraner Hafen zu laufen. Dabei ist auch die
Nessebrücke zu überqueren, die sich in einem eleganten Bogen über den Hafen
spannt. Dieser "elegante" Bogen macht einen Höhenunterschied von ca. 8-10
Metern, der erst einmal überwunden werden muss und einem ordentlich in die
Beine geht. Nachdem wir diese Brücke zum zweiten Mal passiert haben und wir
in Richtung Rathaus laufen, höre ich Johnnys Dampfmaschine nicht mehr. Es
sind noch gut zwei Kilometer zu laufen. Wie weit Johnny hinter mir läuft weiß
ich nicht, aber die Beine werden schwer, das Anfangstempo war wieder einmal
zu hoch. In der Brunnenstraße, etwa 800 Meter vor dem Ziel möchte ich am
liebsten aufgeben, mir ist übel, das Herz rast und die Beine fühlen sich an wie
Kaugummi - aber eventuell Johnny vorbei lassen? Nein, dann doch lieber
weiter laufen! In der Mühlenstraße feuern mich die Zuschauer an, das gibt
noch einmal einen Schub für die letzten Meter bis ins Ziel. Bei 33 Minuten und
sechsundfünfzig Sekunden bleibt die Uhr stehen, was einer Pace von 6 Minuten
45 entspricht, eine Zeit, über die viele nur mitleidig lächeln können, für mich
jedoch die schnellste 5000 Meter Zeit meines Läuferlebens ist. Was mich
natürlich besonders stolz macht ist die Tatsache, dass ich meinen persönlichen
Piraten Johnny geschlagen habe. Er kommt etwa zwei Minuten nach mir ins
Ziel.
Trotzdem haben wir uns alle noch "ganz lieb". Bereits während des Ossiloop
haben wir "Spätstarter der Gruppe 10" vereinbart, uns doch einmal zwischen
den Rennen zu treffen, denn einmal im Jahr beim Ossiloop ist ein bisschen
wenig.
Also sitzen an einem Freitagabend im November Johnny, Sören, Anja und ich
mit unseren Partnern beim Italiener, lassen uns die Pizza schmecken und
versichern uns schon mal gegenseitig unseres schlechten Trainingszustands,
um in Ruhe weiter üben zu können und topfit zum Ossiloop auflaufen zu
können.
Um ein Optimum an Fitness zu erreichen haben wir, Cordula, Frauke und ich,
uns bei einem von Edzard angebotenen Halbmarathonkurs angemeldet. Ziel
des Kurses soll es sein, beim Logabirumer Winterlauf im Februar zumindest die
Kurzstrecke mitlaufen zu können. Die Kurzstrecke beim Winterlauf beträgt
16.2Kilometer, die Langstrecke 26 Kilometer.
Wir haben uns Edzards Trainingsplan unterworfen! Wir sind zum Teil am
Sonntagmorgen um 9.00 Uhr zum Lauf angetreten und sind bis zu zweieinhalb
Stunden durch die Prairie getrabt. Frauke und ich haben uns zudem freitags
noch an der Evenburg getroffen, um zu trainieren. Wir haben das letzte
Lüftchen aus der Lunge geholt und wir wären absolut fit gewesen...wenn nicht
Krankheit und Gebrechlichkeit uns aus der Bahn geworfen hätten:
Frauke hatte "Wade", ich hatte "grippalen Infekt" und Cordula hatte "Zuviel
Wetter".
Angetreten zum Probelauf auf der 16 Kilometer-Strecke sind dann Cordula und
ich.
Schlapp gemacht haben wir ca. 2 Kilometer vor dem Ziel. Cordula war am
Ende ihrer Kräfte und ich bin in die psychologische Falle "Autobahnbrücke"
getappt. Wenn einem der Kopf befiehlt, nicht mehr laufen zu können, weil ja
gleich der "steile" Anstieg zur Autobahnbrücke kommt, geben auch die Beine
nach und der innere Schweinehund tut sein Übriges. Nach einer kurzen GehPause sind wir allerdings beide noch laufend ins Ziel gekommen.
Den Lauf am 12. Februar musste ich dann allein bestreiten. Hier erging es mir
genauso, wie beim Probelauf, kurz vor dem Ziel die bekannte Brücke, Geh
Pause und Ärger über den inneren Schweinehund, den ich nicht besiegen
konnte. Nach guten zwei Stunden im Ziel war ich allerdings doch recht stolz
darauf, diese Strecke hinter mich gebracht zu haben.
Eine Woche später bin ich noch einmal gelaufen, nur so für mich, und konnte
dank der stimmenden inneren Einstellung die Strecke in einem Stück
absolvieren.
Nach diesem Lauf hat sich Cordula aus unserer Gruppe verabschiedet um,
zwecks Steigerung des eigenen Lauftempos, am Intervall -training mit Edzard
teilzunehmen.
Auch Gaby hatte mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen und konnte sich
nicht, wie erforderlich, auf den Ossiloop vorbereiten, was sie frühzeitig zu der
Entscheidung führte, in diesem Jahr nicht mitzulaufen.
So haben dann Frauke, Thea und ich regelmäßig jeden Dienstag gemeinsam
unsere Runden gedreht. Zusätzlich ist natürlich jeder für sich noch zweimal in
der Woche gelaufen.
Schon kommen wir zum, für mich, nachhaltigsten Negativ-Erlebnis des Jahres
zwischen den Läufen.
Die letzte größere Laufveranstaltung vor dem Ossiloop ist der City Lauf in
Norden. Für Edzard der erste Termin für die Ausgabe der Startnummern für
den Ossiloop und ansonsten ein Volkslauf, wie viele andere. In diesem Jahr
allerdings ist der City Lauf verbunden mit den Niedersächsischen LangstreckenLandesmeisterschaften, ein Termin, den ich mir eigentlich nicht merken
müsste, wenn nicht Edzard mir einen Floh ins Ohr gesetzt hätte.
"Wir bekommen dort als Mannschaft Punkte und wenn in deiner hohen
Altersklasse nur wenige Läufer antreten und du, egal in welcher Zeit, von drei
Läufern der Dritte bist, dann gibt es für die Mannschaft noch Punkte".
Nun gut, zehn Kilometer laufen kann ich, und wenn die Zeit keine Rolle spielt,
dann lass mich doch laufen, so habe ich mir gedacht. Kurz nach dem Start
unserer Gruppe, in der Frauen und ältere Herren liefen, waren alle weg und ich
allein auf weiter Flur, trotz persönlicher Bestzeit von 6 Minuten fünfzehn auf
den ersten Kilometer. Viermal wäre der Rundkurs durch die Altstadt von
Norden zu absolvieren gewesen. Bereits in der zweiten Runde bekam ich müde
Beine und, was ich bis dahin gar nicht kannte, Seitenstechen. Zur Aufgabe
nach drei Kilometern veranlasste mich allerdings auch der Kommentar des
Streckensprechers, der meinen Laufstil per Mikrofon als "sehr grazil"
kommentierte. Hätte ich mehr Luft gehabt, ich hätte ihm das Mikro aus der
Hand genommen...
Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich auf dieser Veranstaltung nichts, aber
auch gar nichts zu suchen hatte. Ich hätte es machen sollen wie Frauke, die
zusammen mit ihrem Sohn am Volkslauf teilgenommen hat. So ganz nebenbei
hat sie mit 64 Minuten auch noch eine persönliche Bestzeit über 10 Kilometer
aufgestellt. Für uns, die wir nicht mehr so ganz jugendlich sind, eine
beachtliche Zeit. So kamen wir mit ganz unterschiedlichen Eindrücken aus
Norden zurück.
In den nächsten Tagen sitze ich immer wieder vor dem Computer, um die
Meldeliste für den Ossiloop auf Neueinträge durchzusehen. Man freut sich doch
über jeden bekannten Namen aus Startgruppe 10. So nebenbei bekomme ich
dann noch eine E-Mail von einer Helga von den EWE-Wattloopern. Sie hat
wohl meine Berichte über die vergangenen beiden Ossiläufe gelesen und
möchte mir auf diesem Wege dazu gratulieren und mir sagen, dass sie alles,
was ich geschrieben habe persönlich nachvollziehen konnte. Von ihren Zeiten
liegt sie in etwa auf meinem Niveau, uns trennen vielleicht dreißig Sekunden.
Ich nehme mir vor, ihr in Bensersiel ein herzliches "Hallo" zu sagen und mich
für die Mail zu bedanken. Es ist ein schönes Gefühl, wenn auch anderen gefällt,
was man geschrieben hat.
Für die restlichen Tage heißt es nun: Warten auf den Mai! Gelaufen wird am
Wochenende noch ein lockeres halbes Stündchen, bis es am Dienstag heißt:
Der Mai ist gekommen, der Ossiloop fängt an.
Dienstag, 1. Mai 2012, der Ossiloop beginnt.
1. Etappe: 11,2 Kilometer von Bensersiel nach Dunum.
Seitdem ich am Ossiloop teilnehme, hat der 1. Mai eine völlig neue Qualität für
mich. Vorbei ist es mit Tanz in den Mai, feuchtfröhlichem Maibaum aufstellen
und derlei konditionsfeindlichen Veranstaltungen. Natürlich habe ich auch in
diesem Jahr während der letzten vier Wochen vor dem Lauf keinen Tropfen
Alkohol zu mir genommen.
So stolziere ich dann am späten Nachmittag des 1. Mai 2012 in voller Montur
unserem Treffpunkt auf dem Parkplatz der "Ostfriesenzeitung " entgegen. Vor
der Brust meine spezielle Startnummer, die Heike, Edzards Frau, mir hat
zukommen lassen. Ich durfte mir die Nummer selbst aussuchen und habe mich
für die Nummer 2222 entschieden, obwohl gar nicht so viele männliche Läufer
am Start sind, das macht aber nichts, ich fand es ganz lustig.
Obwohl ich immer wieder die Teilnehmerliste studiert habe und somit eigentlich
genau weiß, wer sich angemeldet hat und wessen Name fehlt, blicke ich mich
vor dem ersten "Hallo" doch erst einmal um, um die Gesichter meiner Lieben
zu finden und festzustellen, ob denn auch alle da sind. Sie sind da: Sören, der
eigentlich gar nicht laufen wollte, wegen "Rücken", Sabine, seine Frau, Johnny,
dessen Teilnahme wegen "Knie" auch auf des Messers Schneide stand, Cordula,
die sich für dieses Jahr ordentlich was vorgenommen hat und Frauke, meine
treue Mitläuferin. Gerold, unser Kassenwart, nebst Gemahlin Henny, H.-D., der
Ultraläufer, Maggie, die Laufkatze aus Logabirum und viele andere bekannte
Gesichter warten an diesem 1. Mai gespannt auf den Bus, der uns zum Start
des Ossiloop nach Bensersiel bringen soll.
Es ist kurz nach 17.00 Uhr, der Bus rollt auf der B 436 gen Nordseeküste. Da
ist es auf einmal wieder, dieses Gefühl, dieses Kribbeln, das Ossiloop-Feeling:
Hast du dich gut vorbereitet, war es überhaupt richtig, sich anzumelden, stehst
du den Lauf durch...? Tausend Sachen gehen einem durch den Kopf. Doch
diese gesamte Gedankenmacherei ist unsinnig, am Ende steht doch die Freude
darüber, dass es jetzt endlich wieder losgeht. Ein ganzes Jahr haben wir darauf
warten müssen.
Unterwegs in Hesel, in Aurich und auch zwischendurch stehen an der Strecke
Gruppen von Läufern, die auf ihre Busse oder Mitfahrgelegenheiten warten.
Auch ihnen steht die Freude auf das, was kommt ins Gesicht geschrieben. Man
winkt sich zu, man grüßt sich, die Ossiloopfamilie kommt wieder zusammen.
Ein geiles Gefühl (dieses Wort durfte man früher nicht einmal in den Mund
nehmen)!
Während der gesamten Fahrt sehe ich Bilder des Laufes vor zwei Jahren wie
einen Film vor mir ablaufen. Wir passieren Bagband, Holtrop, Plaggenburg,
Etappenziele, die wir auch in den nächsten Tagen wieder erreichen wollen. Ich
kann den Muskelschmerz und die keuchende Lunge von damals fast körperlich
spüren. Wir fahren an Dunum vorbei. War die Strecke bis Esens eigentlich
immer schon so lang? Es dauert Ewigkeiten, bis wir den Ort durchfahren. Auf
der Reststrecke bis Bensersiel nur noch "die Augen links" auf den Deich
gerichtet, der uns vor einem Jahr vom Ende unserer Strapazen kündete und
uns heute, in der umgekehrten Richtung, auf den ersten 3 Kilometern
begleiten wird.
Es wird ernst, wir haben den Parkplatz in Bensersiel erreicht und müssen aus
dem Bus aussteigen. Ein erster Blick auf den Graben sagt mir, dass das
Freiluftklo in diesem Jahr längst nicht so stark frequentiert wird, wie vor zwei
Jahren. Vermutlich haben die meisten zu Hause nochmal die Spülung betätigt.
Da die Uhr erst kurz nach 18.00 Uhr zeigt, ist das Treiben am Start noch sehr
übersichtlich, es treffen aber immer mehr Busse ein, über fünfzig sollen es in
diesem Jahr sein, die immer neue Läufer in den zu diesem Zeitpunkt vor dem
Verkehrsinfarkt stehenden Badeort bringen.
Da ich immer noch der Vorsitzende des Ausrichters Fortuna Logabirum bin,
obliegt es mir auch in diesem Jahr, die Läuferinnen und Läufer zu begrüßen.
Natürlich habe ich mir wieder einige Worte zurechtgelegt, will etwas von einer
Ü-30 Party erzählen, die der Leeraner Bürgermeister Kellner uns zum
Abschluss des 31. Ossiloop in diesem Jahr in Aussicht gestellt hat. Und dass er
die Getränke schon mal kalt stellen soll, wir sind auf dem Weg. Vermutlich
wird’s wieder keinen interessieren und kaum einer hört zu, aber Programm ist
Programm!
Langsam füllt sich der Startplatz, neue altbekannte Gesichter tauchen auf.
Thea, unsere Mitläuferin ist eingetroffen, Anton und Geda, ossiläuferisches
Urgestein, sind dabei und auch Gebhard aus Maiburg, der bisher nur für sich
allein gelaufen ist und nie im Leben eine Teilnahme am Ossiloop ins Auge
gefasst hat, hat sich kurzfristig noch angemeldet. Heike aus meinem OssiloopKurs 2010 ist auch wieder dabei, allerdings ohne Ricardo, der erkrankt ist und
in diesem Jahr nicht mitlaufen kann. Es ist eine tolle Sache, wie der Ossiloop
Menschen verbindet. EWE Wattlooper sehe ich an diesem Abend jede Menge,
jedoch keine Läuferin mit der Startnummer F110 und dem Namen
Helga. Nach ja, dann bedanke ich mich eben bei der nächsten Gelegenheit für
ihre Mail, wir werden uns schon noch über den Weg laufen. Stattdessen sehe
ich eine Läuferin, die sich mit einem großen Hund in ihrer Start Box
eingefunden hat. Ob dieser Hund mitläuft? Für unsere kleine Mischlingshündin
"Nelly", die mich noch im vorigen Jahr bei all meinen Trainingsläufen
begleitete, hatte ich auch schon einmal erwogen, Edzard zu fragen, ob ich sie
mitlaufen lassen könne. Bei der Menge an Läufern und der Enge des
Wanderweges habe ich diese Idee dann aber doch als nicht durchführbar
wieder verworfen. Außerdem wären bis zu vierzehn Kilometer für meinen
kleinen Hund doch des Guten zu viel gewesen. Wenn die Läuferin ihren Hund
an der Leine führt, Edzard damit einverstanden war und der Hund andere
Läufer mit behindert, dann soll es mir doch recht sein, dass sie ihren
Vierbeiner mitnimmt. Sie läuft sowieso vor mir und ich werde den Hund
vermutlich während des Laufes nie zu Gesicht bekommen.
Es ist zehn vor Sieben, ich darf als erster ans Mikrofon, begrüße die
Läuferinnen und Läufer, wünsche uns einen guten Lauf und vergesse völlig, die
Ü-30 Party zu erwähnen, wie geplant, hat aber wie gesagt keinen gestört, oder
interessiert. Nach mir noch der Bürgermeister von Bensersiel, der vermutlich
auch seine Ansprache von vor zwei Jahren wiederholt (wenn sogar
Silvesteransprachen von Bundeskanzlern wiederholt werden, sollte das kein
Beinbruch sein) und den Startschuss geben soll. Die Startboxen sind
mittlerweile alle gefüllt. Bis ich mit der letzten Startgruppe an der Reihe bin,
vergeht erfahrungsgemäß noch eine Viertelstunde.
Punk Sieben fällt der Startschuss. Mit lauter, hämmernder Musik und unter den
Beifall der Zuschauer, die zahlreich den Deich und das Hafengebiet bevölkern,
fliegen die ersten Läufer durch die Sieltore, dem Deich zu. Es ist wieder zu
vermuten, dass sie bereits fast das Ziel erreicht haben, wenn wir
Rennschnecken gerade mit dem Lauf begonnen haben. Aber - sei´s drum, wir
wollen nicht siegen, wir wollen ankommen, das ist für uns Sieg genug.
"Piep" - Auch wir sind durch! Jetzt gilt´s. Thea, Frauke, Cordula und ich haben
uns vorgenommen, die Strecke gemeinsam zu laufen. Frauke läuft vor lauter
Übermut die ersten Meter rückwärts, um zu sehen ob wir auch mitkommen.
Auf dem Deich in Richtung Esens kann man kaum zu zweit nebeneinander
laufen. So verlieren wir doch relativ schnell die Bindung aneinander und ich
laufe wieder allein. Gut dass ich den Weg kenne! Mir ist es recht, wenn die
Mädels das Tempo laufen, das für sie das Beste ist, ich möchte nicht ihr
Bremsklotz sein. Zum anderen weiß ich, dass Johnny hinter mir läuft und auf
ihn werde ich aufpassen.
Anders, als bei meinem ersten Lauf versuche ich, mir meine Kräfte diesmal
besser einzuteilen und es langsam angehen zu lassen. Der Blick auf meine
unlängst erworbene Garmin (man muss bei den Kilometerlängen ja mitreden
können) verheißt mir allerdings, dass ich mit siebenzehn doch recht flott
unterwegs bin. Meine Damen sind mir kurz vor Esens weit enteilt und ich
überlege, ob sie zwischenzeitlich vielleicht fliegen gelernt haben.
Da sich das müde Gefühl in den Beinen noch nicht einstellt und wir den halben
Weg bald hinter uns haben behalte ich mein Tempo bei. Es wird schon gut
gehen. Ausgangs der Stadt wechseln wir wieder die Straßenseite und passieren
die erste Wasserstelle. Ich schleudere mir einen Becher voll ins Gesicht und
versuche möglichst viel von dem Nass in den Mund zu bekommen, denn im
Laufen versuchen zu trinken, das geht nicht. Hier an der Wasserstelle treffe ich
auch Gebhard, den Neuling aus Maiburg. Als Neuling ist er vorsichtig mit der
Geschwindigkeit und lässt es langsam angehen. Ich werde einen ganzen Kopf
größer, weil ich ihn überholen kann, allerdings ohne ihm weit enteilen zu
können.
So stolz ich auf mein Überholmanöver auch bin, die Beine und der ISH, der
innere Schweinehund, melden sich, nachdem wir ein gutes Stück auf dem
Wanderweg gelaufen sind. Ich hadere mit mir, weil ich eigentlich so gut
vorbereitet bin, dass ich die 11,2 Kilometer ohne Probleme durchstehen
müsste, Garmin erzählt mir aber, dass ich die bisherigen Kilometer in einer für
mich ungewöhnlich schnellen Zeit gelaufen bin. Also, sagt mir mein ISH, wenn
du bisher so schnell gelaufen bist, dann hast du dir jetzt auch eine Geh Pause
verdient. Manchmal ist der Kopf stärker als die Beine und ich höre auf zu
laufen und lege die nächsten Meter im flotten Gang zurück. Dabei ärgere ich
mich über mich selbst und schimpfe mich "Weichei". Also nehme ich den Trab
wieder auf. Auf dem elften Kilometer erwischt mich der ISH noch einmal in
einer Weicheiphase. Nun schließt Gebhard zu mir auf, fragt mich was los ist
und schickt sich an, mich wieder zu überholen. Scheiß auf den ISH, das will ich
nicht! So trotte ich den nächsten Kilometer mit lahmen Beinen aber
ausreichend Luft neben Gebhard her, bis wir den letzten Bogen vor dem Ziel in
Dunum erreichen. Es sind noch etwa dreihundert Meter, Gebhard wird schneller
- ich auch. Noch einhundertfünfzig Meter, ich werde schneller - Gebhard auch.
Noch hundert Meter bis ins Ziel, beide laufen wir so schnell wir können, jeder
will der Erste sein, der ISH ist vergessen, die Beine laufen von allein, die
letzten Meter.....Schulter an Schulter erreichen wir das Ziel und hören auch nur
ein einziges "Piep" beim Überqueren der Matte für die Zeitnahme. "Das ist
nochmal gut gegangen", denke ich mir, völlig außer Atem. Da ereilt mich der
nächste Schicksalsschlag. Heino, die Stimme des Ossiloop, hat sich mal wieder
einen Spaß daraus gemacht, bei meinem Zieleinlauf lauthals zu verkünden,
dass jetzt der Vorsitzende von Fortuna Logabirum...und hält mir auch schon
das Mikrophon vor den Mund. Wie mir die erste Etappe und mein Lauf gefallen
hätten, möchte er wissen. Leider bin ich noch nicht in der Lage, ihm auf seine
Frage zu antworten. Das einzige was ich ihm sagen kann ist, dass er mir
immer zur falschen Zeit die richtigen Fragen stellt. Wir müssen beide herzlich
lachen.
Nach den üblichen drei Minuten geht es mir wieder gut und ich suche als erstes
den Stand mit den Getränken auf. Brunos warmer Früchtetee ist in diesem
erbärmlichen, ausgelaugten Zustand das Köstlichste, was man sich überhaupt
vorstellen kann und bringt einen augenblicklich wieder zu Kräften. Eine gute
Alternative hier in Dunum wäre vielleicht auch der nur hier vom Bürgerverein
angebotene "Krintstuut mit Botter und ‘n Köppke Tee", von dem ist aber
erfahrungsgemäß, weil sehr schmackhaft, nach kurzer Zeit nichts mehr da.
Auch meine Mitläufer finde ich im Getümmel. Frauke ist schon vor einer
geraumen Weile durchs Ziel gelaufen, Cordula und Thea waren auch gute fünf
Minuten schneller, als ich. Macht aber ja nichts, auch ich bin angekommen, und
das in einer Zeit, die fünf Minuten unter der vor zwei Jahren liegt. Mein
Piratenfreund Johnny ist zusammen mit Sabine und Sören mittlerweile auch
eingetroffen. Natürlich nehme ich mit Freude zur Kenntnis, dass er hinter mir
geblieben ist, was sicherlich Grund für neue Frozzeleien zwischen uns sein
wird. Obwohl man erklärender Weise zu seiner Leistung sagen muss: Johnny
hat "Knie"!
Eigentlich ist mir jetzt nach einer Etappen-Bratwurst zumute. Doch Cordulas
freundliche Bemerkung, dass ich mir die dann wohl gleich auf die Hüften
tackern könne, lässt mich vom Genuss derselben absehen und so fahre ich mit
meiner lieben Frau, die mich, wie gewohnt, am Etappenziel erwartet hat,
müde, zugleich stolz auf das Geschaffte, aber auch etwas enttäuscht über die
notwendigen Gehpausen nach Hause, um für die zweite Etappe am Freitag
wieder Kräfte zu sammeln.
Freitag, 4. Mai 2012
2. Etappe: 11.9 Kilometer von Dunum nach Plaggenburg.
(Durch den grünen Tunnel)
Es ist Freitag, der 4. Mai 2012, wir sitzen mit neuen Kräften wieder im Bus, um
auf der Straße von Ogenbargen nach Esens in Dunum zunächst wieder das
zweimal jährliche Verkehrschaos durch fünfzig Busse und ungezählte PrivatPKW zu veranstalten.
Es ist recht kühl geworden und so bleiben wir so lange, wie möglich im warmen
Bus sitzen. Irgendwann müssen wir dann doch raus in die Kälte. Viele
erfahrene Läuferinnen und Läufer haben vorgesorgt und Müllsäcke
mitgebracht, in die sie für Kopf und Arme Löcher geschnitten haben. Unter
diesen Hüllen kühlt man nicht so schnell aus. Ich frage mich allerdings, wohin
mit dem ganzen Müll nach dem Start, denn mit Müllsack wird ja wohl keiner
rennen. Nach den obligatorischen Ansprachen wichtiger Menschen und den
Ansagen von Edzard erfolgt, wie immer pünktlich um Sieben der Startschuss
für die zweite Etappe, übrigens wieder mit Frauchen und Hund. Dieses Thema
hat sich im Forum auf der Ossiloop-Homepage als ein Quell unerschöpflichen
geistigen Dünnpfiffs etabliert. Ohne im Einzelnen auf die meisten der
Schreiberlinge einzugehen, nimmt es einen schon wunder, weshalb immer
gerade diejenigen, die grundsätzlich am wenigsten zu einem Thema zu sagen
haben, sich als erste zu Wort melden, um ihr krudes Gedankengut öffentlich zu
machen. Bei manch einem dieser anonymen Deutschverderber möchte man
meinen, das Angebot für eine kostenlose Patenschaft zur Erlangung des
Hauptschul-Abschlusses würde sich als sehr hilfreich erweisen.
Soviel, und kein Wort mehr zu diesem Thema.
Als sich die vorletzte Gruppe, also die Gruppe vor uns, auf den Weg macht,
sehe ich was mit den vielen Müllsäcken passiert. sie werden nicht einfach
achtlos in die Landschaft geworfen, sondern locker an den Draht eines Zaunes
gebunden, der den Weg im Startgelände begrenzt. Auf über hundert Meter
Müllsack an Müllsack am Zaun, ein auch nicht gerade alltäglicher Anblick.
So trabe ich denn an diesem Freitagabend zusammen mit den anderen
Rennschnecken aus dem zehnten Startblock los, um den von Klaus Beyer so
benannten "Grünen Tunnel", der in diesem Jahr zu dieser Jahreszeit tatsächlich
schon grün leuchtet, in Angriff zu nehmen. Allerdings auch heute, ohne eine
EWE-Helga gesehen zu haben. Mich verwundert das, denn unsere Zeiten
liegen sehr nahe beieinander, bei der ersten Etappe trennten uns gerade mal
21 Sekunden, die ich vor ihr im Ziel war.
Frauke und Cordula sehe ich nach dem Start bis Plaggenburg nicht wieder, da
sie aus dem Block vor uns gestartet sind, was auch ihrer Leistungsfähigkeit
entspricht. Heike läuft einige Meter vor mir, Thea ist auch noch in Sicht,
allerdings vergrößert sich ihr Abstand zu mir mit jedem Kilometer, bis ich auch
sie nicht mehr sehe. Auch Gebhard ist wieder aus Block Neun gestartet und
auch ihn sehe ich nicht. Trotzdem habe ich ein gutes Gefühl, da mein
Strandräuber aus Norderney noch hinter mir läuft. Mal sehen, wie lange ich
ihm heute Paroli bieten kann.
So geht es die ersten sechs Kilometer fast schnurgerade bis Ogenbargen, wo
die Bundesstraße nach Wilhelmshaven gekreuzt wird. Zwischendurch immer
wieder den Blick auf Garmin. Man wird abhängig von der Uhr. Im Grunde will
ich die Geschwindigkeit laufen die ich zu laufen vermag und nicht die Zeit, die
ich, angestachelt durch die Uhr, glaube, laufen zu müssen. Meine Vorbereitung
auf den Ossiloop kann wohl doch nicht so schlecht gewesen sein, denn bisher
laufe ich das Tempo von sieben Minuten ohne große Probleme, kann sogar
unterwegs Heike und Gebhard noch ein – und überholen und behalte den
Piraten hinter mir.
Nach dem Passieren der Bundesstraße, das wieder hervorragend durch unsere
Freunde und Helfer von der Polizei gesichert wird, heißt es: „Westwärts zieht
der Wind“ (war mal der Titel eines Western mit Lee Marwin). Weitere sechs
lange Kilometer sind, bis auf wenige Zickzacks des Weges, auf einer
schnurgeraden Strecke Richtung Westen, vorbei an dem Dörfchen Middels zu
absolvieren. Auch bei diesem Lauf ist mir der Schornstein der ehemaligen
Molkerei wieder die Markierung für die Hälfte der Reststrecke. Spätestens an
diesem Punkt, an dem ich, bedingt durch den Westwind, schon wieder Fetzen
der Lautsprecherdurchsagen und Musik vom Ziel vernehmen kann, erwischt
mich wieder der ISH. Mit süßen Worten säuselt er mir ins Ohr: „Du bist fertig,
Du kannst nicht mehr, hör auf zu rennen, was treibt Dich an?“ Und wieder
erliege ich den Verlockungen, die mir dieser innere Schweinehund flüstert. Ich
mache eine Geh Pause! Aus der einen Pause werden am Ende drei und ich
ärgere mich wieder mal über mich selbst, dass ich nicht die Willensstärke
besessen und dem ISH widerstanden habe Die letzte Pause mache ich etwa
einen Kilometer vor dem Zieleinlauf. Danach beiße ich die Zähne zusammen,
denke nicht mehr an müde Beine oder kurzen Atem, ich richte meinen Blick
nur noch stur auf das Ziel, das ich aus einigen hundert Metern Entfernung
bereits ausmachen kann und laufe einfach einen Schritt nach dem nächsten.
Auf den letzten Metern gelingt es mir sogar noch einige Läuferinnen überholen.
Als ich, wieder einmal, völlig fertig über die Matte und durch den Zielturm
hechele, Heinos freundliche Begrüßung ignoriere und mich nur noch freue,
endlich angekommen zu sein, sehe ich in das mitleidige Antlitz meiner
Eheliebsten, die mich erwartet und es wieder einmal nicht fassen kann, wie
man sich freiwillig und auch noch gegen die Zahlung einer Summe Geldes
solch einer Strapaze unterwerfen kann. Nun, nach wenigen Minuten bin ich
wieder bei mir, kann sprechen und auch sonst am Leben teilnehmen. In ein
trockenes T-Shirt geschlüpft, die Stirn vom Schweiß befreit, schon ist man ein
neuer Mensch. Jetzt sehe ich auch Cordula und Frauke, die schon seit
geraumer Zeit auf mich warten. Gegenseitig beglückwünschen wir uns zur
geschafften zweiten Etappe und verabreden, dass wir den heutigen Rückweg
gemeinsam antreten. Wir fahren alle mit Margret, da das Verkehrschaos hier in
Plaggenburg erfahrungsgemäß eine Weile andauert und wir mit dem PrivatPKW schneller zuhause sind, als mit dem Bus. Aber bis dahin muss ich mich
noch etwas im Zielbereich umgucken.
Heino steht immer noch am Zielturm und begrüßt ankommende Läufer. So
schlecht kann meine Zeit ja dann doch nicht gewesen sein, wenn immer noch
Läufer kommen. Ich geselle mich zu ihm, um zu sehen, ob noch bekannte
Gesichter unter den „Nachzüglern“ sind. Sofort hält er mir wieder das Mikrofon
unter die Nase, um mich nach meinen bisherigen Eindrücken des diesjährigen
Ossiloop zu fragen. Als ob die so wichtig wären. Ich sage ihm, dass ich mich
am meisten auf die Ü-30 Party von Bürgermeister Kellner beim Einlauf in Leer
freue. Heino nimmt diesen Ball auf, und so entspinnt sich ein nicht ganz ernst
zu nehmender kurzweiliger Dialog zwischen uns, bis er die nächsten Läufer
empfangen muss. Unter den jetzt eintreffenden ist auch Gebhard aus
Logabirum, dem die Anstrengungen des Laufes wohl anzusehen sind. Aber
auch er ist glücklich, diese Etappe geschafft zu haben. Dabei fällt mir ein: Wo
ist Johnny? Nach kurzer Suche im Zielbereich finde ich die gesamte Truppe,
Johnny, Sabine und Sören. Sabine hat sich von den beiden noch etwas
absetzen können und kam zwei Minuten nach mir ins Ziel, Johnny und Sören
brauchten noch weitere zwei Minuten, um die Zielmatte zu überlaufen. Ich
kann mich eines klammheimlichen Freudengefühles nicht erwehren und zähle
genüsslich die bisherigen Minuten zusammen, die der Pirat nun hinter mir liegt.
Aber – sechs Etappen hat der Ossiloop und man soll bekanntlich den Tag nicht
vor dem Abend loben. Es fängt langsam an zu dämmern und wird kühl. Es ist
Zeit, um nach Hause zu fahren und sich unter einer heißen Dusche zu
entspannen und schlafen zu gehen, schließlich müssen wir am Dienstag zur
Königsetappe wieder fit sein. So geschieht es dann auch, wir sammeln Frauke
und Cordula ein und fahren los.
Die Busse quälen sich immer noch ganz langsam, einer nach dem anderen, auf
die auch um diese Zeit noch hoffnungslos verstopfte Hauptstraße.
Freitag, 8. Mai 2012
3. Etappe: 14 Kilometer von Plaggenburg nach Holtrop
( Die Königsetappe)
Dienstag, 8. Mai 2012, heute ist der Tag der Königsetappe. 13,6 Kilometer von
Plaggenburg über Aurich, bis Holtrop sind heute zu bewältigen. Gut kann ich
mich noch an das letzte Jahr erinnern, als Edzard uns heimlich, still und leise
noch 600 zusätzliche Meter auf die offizielle Distanz von damals 14 Kilometern
zugemutet hat. In diesem Jahr, wo wir die Strecke in umgekehrter Richtung
laufen, hat man das Ziel von Aurich aus an den Ortsanfang verlegt, da sonst
die im Zeitraum von über einer Stunde eintreffenden Läufer den
Durchgangsverkehr in Holtrop zum Erliegen bringen würden.
Analog zum letzten Jahr wird auch heute wieder nach der Hälfte der Starter
eine längere Pause eingelegt, um den Verkehrsfluss auf der Auricher FockenBollwerk-Straße, einer stark frequentierten Ausfallstraße in Richtung Osten zu
gewährleisten. Aus dem Schaden vor zwei Jahren klug geworden, setzt Edzard
auch in diesem Jahr ein Führungsfahrrad vor diesem zweiten Startblock ein,
das genau die Geschwindigkeit einhält, das die Läufer der folgenden Start Box
haben müssten und nicht überholt werden darf. So kann die gewollte Lücke
nicht zugelaufen und damit Sinn und Zweck des ganzen Unterfangens ad
absurdum geführt werden.
Noch stehen wir allerdings auf dem Parkplatz der OZ und warten auf den „Tour
Bus“ der Firma Kok, der uns, samt Fahrer, schon ans Herz gewachsen ist. Die
einzige, die nach dem Eintreffen des Busses noch fehlt ist Frauke. Sie wird
doch wohl nicht kneifen – jetzt, wo sie so gut im Rennen liegt? Wir haben
schon alle Platz genommen und der Fahrer lässt den Bus anrollen, da kommt
Frauke um die Ecke gefegt. Termine, Termine, Termine haben sie aufgehalten
erzählt sie atemlos aber zufrieden, es doch noch vor Abfahrt des Busses
geschafft zu haben. Jetzt kann´s losgehen. Auf nach Plaggenburg.
Auf dem Weg in den Auricher Vorort herrscht gute Stimmung im Bus. Im
Grunde wissen wir alle, dass wir die vor uns liegenden 13.6 Kilometer laufen
können und wie wir unsere Kräfte einteilen müssen. Eine ähnlich unliebsame
Überraschung wie im letzten Jahr, wo wir statt der erwarteten vierzehn
Kilometer glatte sechshundert Meter mehr laufen mussten, werden wir in
diesem Jahr nicht erleben, da sich das Ziel, aus Auricher Sicht, bereits im
Ortseingangsbereich von Holtrop befindet. Im vergangenen Jahr mussten wir
noch das ganze Dorf durchqueren.
Den Kopf voller solch schöner Gedanken kann ich mich gerade noch bremsen,
bevor ich Johnny frage, ob er denn den Ossiloop auch mitläuft, ich hätte ihn
bisher noch gar nicht gesehen. Er scheint zu ahnen, was in meinem Hirn
vorgeht. Wissendes Grinsen ist die Antwort. Er scheint mir damit sagen zu
wollen: „Es ist noch ist nicht aller Tage Abend, mein Freund, ich hol` dich
noch“.
Das große Verkehrschaos beim gleichzeitigen Eintreffen der Busse in
Plaggenburg kennen wir ja bereits, daher bleiben wir auch alle ruhig, es ist
noch genügend Zeit bis zum Start und im Bus ist die Temperatur angenehmer,
als draußen. Außerdem bittet uns der Fahrer, alle im Bus sitzen zu bleiben, bis
die endgültige Parkposition erreicht ist. Dank des Eingreifens der Freiwilligen
Feuerwehr Plaggenburg klappt das Parkleitsystem heute sogar.
Da wir noch fast zwanzig Minuten Zeit haben, zieht es Frauke und mich noch
nicht zum Startplatz, wir verweilen noch zusammen mit H.-D., dem Ultraläufer,
hier an der Turnhalle, vor der unser Bus Position bezogen hat. Geredet wird
über Gott und die Welt und das Laufen im Besonderen.
Da die Halle zu dieser Zeit genutzt wird, also offen ist, sind auch die Toiletten
zugänglich, was von mehreren Ossiläufern dankend angenommen wird, denn
die vorhandenen Möglichkeiten am Startplatz sind hoffnungslos überlaufen und
es haben sich lange Schlangen gebildet.
Behält derweil Die Freundlichkeit der Plaggenburger Sportler findet jedoch ein
jähes Ende, als sie der Nutzung der WC-Anlagen durch, für sie fremde
Personen gegenwärtig werden. Sofort wird die Halle abgeschlossen und der
Zutritt zur Toilettenanlage unterbunden. Vor was man hier wohl Angst hat, und
ist es nicht ein sportlich faires Unterfangen, anderen Sportlern in der
Vorbereitung auf ihren Wettkampf zu helfen, zumal wenn es sich um das für
Plaggenburg größte Sportevent des Jahres handelt? Bei zweitausend Startern
kann das Organisationsteam kurz vor dem Start nun mal nicht für jeden ein
Töpfchen bereithalten.
Kopfschüttelnd verlassen wir das Areal und begeben uns auf die andere Seite
der Bundesstraße zum Startplatz. Hier herrscht großes Volksgemurmel. Viele
Starter stehen schon in ihren Startboxen und harren der Dinge, die da
kommen sollen. Edzard erklärt über den Lautsprecher noch einmal den
Startmodus mit der großen Pause und dem Radfahrer in der Mitte.
Um Punkt Sieben fällt der Startschuss und die Überflieger um Stefan Immega
machen sich zu den hämmernden Beats aus den Lautsprecherboxen auf ihren
Weg nach Holtrop.
Unser Schneckengeschwader bewahrt derweil noch die Ruhe, denn wir haben
noch gute zwanzig Minuten Zeit, bis auch für uns die Uhr zu laufen beginnt.
Kurz vor halb acht dürfen dann auch wir die Startmatten überlaufen „Piep“.
Jetzt gilt es!
Ich laufe für mich allein. Cordula startet aus einer früheren Start Box, Frauke
entfernt sich mit jedem Schritt weiter von mir, Thea läuft zusammen mit
Bekannten aus ihrem Dorf und ward auch nicht mehr gesehen. Johnny, Sören
und Sabine starten gewohnheitsmäßig ganz hinten, einzig Henning in
Ich seinem grasgrünen Ganzkörperkondom von Werder Bremen läuft noch eine
Weile neben mir her. Mir ist diese Laufordnung jedoch ganz recht, so kann ich
das Lauftempo so wählen, wie es für mich am angenehmsten ist. Kurz nach
dem Start passiere ich die Stelle, am die ich vom Ossiloop des vergangenen
Jahres noch die unangenehmsten Erinnerungen habe. Hier stand vor einem
Jahr das nette kleine Schildchen mit der verträumten „14“, wo eigentlich das
Ziel sein sollte. Nun ja, im letzten Jahr hatte ich beim Passieren dieses Punktes
noch 600 Meter vor mir, heute sind es 13400! Ich lasse mich nicht beirren und
laufe mein Tempo, das so etwa bei sechsfünfzehn liegt, gleichgültig, ob ich
jemanden überhole oder selber überholt werde. Erstes Highlight auf der
Strecke ist das Passieren des „Ostfriesland-Äquators“ kurz vor Aurich. Weiter
geht es, immer im leichten Linksbogen, auf die Ostfriesische Hauptstadt zu.
Bald erreichen wir Sandhorst, wo wir wieder den Wanderweg verlassen um die
berüchtigte „Schewi-Meile“ zu laufen. Ich habe es Stefan Schewiola immer
noch nicht verziehen, dass wir dank seiner Erfindung einen zusätzlichen
Kilometer laufen müssen, obwohl, das muss man sagen, die Strecke durch die
baumbestandene Allee wesentlich schöner ist, als der Weg entlang der
Hauptstraße.
Auf diesem Streckenabschnitt hole ich auch, die von meinem ersten Ossiloop
schon bekannte Heike ein und lasse sie ganz langsam hinter mir. Das ist auch
ein Erfolgserlebnis der besonderen Art, denn bei meinen ersten beiden Läufen
kam sie noch jeweils früher, als ich ins Ziel.
Nach Umrundung der Kaserne und Beendigung der „Schewi-Meile“ gelangen
wir wieder auf die ehemalige Kleinbahn-Trasse und laufen auf dem Wanderweg
weiter. Viele Zuschauer säumen hier im Auricher Stadtbereich die Strecke.
Jeder Läufer wird, da unsere Vornamen auf die Startnummern gedruckt sind,
namentlich angefeuert und beklatscht. Ich quittiere diese Anfeuerung, solange
es geht, mit einem Lächeln und dem leichten Heben der „Grußhand“ (siehe
auch: Mein Ossiloop 1).
Ich wundere mich, dass wir bereits an der Focken-Bollwerk-Straße
angekommen sind, welche die Hälfte der Laufstrecke markiert, wo Polizei und
Feuerwehr auch für uns letzte Läufer noch freundlich den Verkehr stoppen und
uns freien Lauf verschaffen. Am Ostbahnhof vorbei geht es jetzt bereits in
Richtung Ems-Jade-Kanal. Langsam spüre ich meine Beine und die Strecke bis
zu der berüchtigten Bogenbrücke über den Kanal ist doch wieder länger, als
meine Erinnerung mir vorgaukelt. Statt mich darüber zu freuen, dass ich
bereits mehr als die Hälfte der Strecke hinter mir habe, male ich mir nun aus,
wie steil der „Anstieg“ zur Kanalbrücke ist, dass noch das gesamte Schirumer
Gewerbegebiet vor mir liegt und dann nochmals eineinhalb Kilometer bis zum
Ziel in Holtrop zu laufen sind. Diese Kopfsache macht mir das Laufen nicht
leichter.
Für den Rest der Strecke heißt es nun wieder: Zähne zusammen beißen!
Durch das unablässige voreinander setzen der Füße mache ich auch Strecke,
überliste durch einfache Nichtbeachtung meinen ISH und laufe mit einem Mal
auf die Brücke über den Ems-Jade-Kanal zu. Merkwürdig, heute ist der Anstieg
zur Brücke lange nicht so steil, wie in den vergangenen Jahren. Vermutlich
haben irgendwelche Heinzelmännchen den Bogen heimlich, still und leise
abgeflacht.
Wenn ich jetzt noch das Gewerbegebiet in Schirum hinter mich bringe, dann
habe ich es fast geschafft.
Obwohl ich mit Tunnelblick laufe und nicht viel mehr, als den Wanderweg
wahrnehme, bemerke ich doch, wie das Gewerbegebiet immer weiter
expandiert. Es gibt immer weniger freie, unbebaute Flächen, überall entstehen
neue Hallen und Lagerflächen für immer neue Firmen, von denen die meisten
auf irgendeine Art und Weise mit Windenergie zu tun haben. Aloys Wobben
lässt grüßen.
Endlich liegt Schirum hinter mir, der Wanderweg verlässt nun die parallel
verlaufende Bundesstraße in südöstlicher Richtung, nächste Station: Holtrop!
Es wird Zeit, dass das Ziel näher kommt, ich kann nicht mehr. Bisher habe ich
allen ISH-Attacken widerstehen können und bin gelaufen, doch nun eineinhalb
Kilometer vor dem Ziel kann ich nicht mehr, glaube ich jedenfalls, und lege
eine erste Geh Pause ein. Ein paar Atemzüge Luft schöpfen, der
Beinmuskulatur eine kleine Ruhepause gönnen, nach wenigen Augenblicken
geht es weiter, es naht die letzte lange Gerade bis Holtrop. Wenige Minuten
später muss ich noch eine Pause einlegen, der ISH ist bei mir jetzt
allgegenwärtig. Während dieser Erholungsphase zieht Gebhard an mir vorbei.
Eigentlich wollte ich das nicht zulassen, doch mein momentaner Zustand lässt
es nicht zu, ihm Paroli zu bieten. So what? Soll er doch vor mir ins Ziel
kommen, wird schon sehen, was er davon hat!
Die letzte Kurve ist genommen, es geht geradewegs auf Holtrop zu, ein guter
Kilometer ist noch zu laufen. In der Ferne sehe ich etwas großes, weißes, das
kann eigentlich nur der Zielturm sein. Den Zieleinlauf vor Augen werden die
letzten Reserven mobilisiert. Gebhard läuft etwa hundert Meter vor mir, ich
kann ihn jedoch nicht einholen und finde mich damit ab, dass er heute besser
ist, als ich. Das weiße Etwas, das ich für den Zielturm gehalten habe, kommt
immer näher und hat immer weniger Ähnlichkeit mit dem vermaledeiten Turm.
Es ist, soviel kann ich jetzt erkennen, lediglich ein weißes Banner, auf dem
geschrieben steht: „Holtrop begrüßt seine Ossiläufer“. So ein Scheiß, da läufst
du auf das Ziel zu und dann ist es gar keins! Ich würdige das Banner keines
Blickes und laufe weiter, wundere mich aber, weshalb die Zuschauer einige
Meter weiter die Strecke so eng machen, es ist kaum ein Durchkommen.
Unmutig trabe ich weiter, habe den Engpass fast erreicht, als ich von hinten
auf Plattdeutsch angerufen werde: Hey, doar büst du verkehrt, du musst hier
langs lopen, hier is dat Ziel!
In meinem ganzen Ärger hatte ich gar nicht bemerkt, dass sich der Zieleinlauf
zirka zehn Meter rechts von dem ominösen Banner befindet. Durch diesen
überflüssigen Schlenker habe ich natürlich sehr viel Zeit verloren, mindestens
fünf Sekunden. Überglücklich nehme ich die letzten Meter und überquere mal
wieder fix und fertig die Ziellinie. „Piep“ - da bin ich! ...Und da ist auch schon
Heino der Moderator mit seinem Mikrofon bei mir. Nachdem er seinen
unverzichtbaren Spruch vom nun auch endlich eingetroffenen Vorsitzenden von
Fortuna Logabirum verkündet hat, erkundigt er sich bei mir, wie mir die
Königsetappe gefallen hat. Kaum wieder bei Luft erzähle ich ihm, dass ich mich
gewundert hätte, dass die Etappe hier bereits zu Ende ist und dass ich bereits
halbwegs in Bagband war, weil ich mich verlaufen hätte. Ansonsten wäre ich ja
schon längst im Ziel gewesen, vermutlich zusammen mit Stefan Immega, oder
kurz danach. Heino nimmt diesen Ball auf und es folgen noch ein paar
gegenseitige Frozzeleien, bevor er weitere Neuankömmlinge begrüßen muss
und ich mich auf die Suche nach Brunos phantastischem, bekömmlichem und
durstlöschendem Tee, sowie meinen Mitläuferinnen mache. So ganz nebenbei
bekomme ich auch das Eintreffen meines schärfsten Konkurrenten, des Piraten
von Norderney mit. „Johnny der Freibeuter des Ossiloop“ überläuft die
Zielmatte zusammen mit Sören und Sabine etwa vier Minuten nach mir. So
langsam sehe ich für mich eine Chance, am Ende vor Jack Sparrow in der
Ergebnisliste zu stehen.
An Brunos Tee Stand lasse ich mich, zusammen mit selbigem noch von Jürgen,
unserem vereinseigenen Pressefotografen für die Nachwelt ablichten und finde
alsbald auch Thea, Frauke und Cordula. Die drei waren auch heute wieder
deutlich schneller, als ich. Wir lassen die Etappe Revue passieren. Jeder
schildert die Highlights des Laufes noch einmal aus seiner Sicht. Zu
Apfelspalten und Bananenstückchen, die auch hier wieder kostenlos für die
Läufer bereit gehalten werden und uns verbrauchte Energie sofort zurück
geben, suchen wir Herrn Steffens, der eigentlich Lüken heißt und uns heute
nach Hause fahren möchte, da meine Margret heute verhindert ist und wir
zeitig wieder in Leer sein möchten. Wenn wir schon mitgenommen aussehen,
dann möchten wir auch gerne mitgenommen werden. Die EWE-Helga bleibt
allerdings nach wie vor für mich unsichtbar, dabei hätte ich ihr doch gern
gesagt, dass sie eine tolle Homepage mit vielen interessanten Fotos vom
Ossiloop hat. Nun ja, es wird schon noch eine Gelegenheit geben, ihr „Guten
Tag“ zu sagen.
Wir suchen nun dem Gatten von Cordula sein Auto, finden es auch irgendwann,
warten dann noch auf den Fahrer, steigen ein und stellen das Gebläse auf
Maximum damit es unseren Ausdünstungen Herr wird und die
Windschutzscheibe nicht vollends beschlägt und machen uns auf den Weg
zurück in unsere Heimat nach Leer, wohl wissend, dass wir zwar die
sogenannte „Königsetappe“ geschafft haben, das härteste Stück Arbeit,
nämlich die Schlussetappe, aber noch vor uns liegt. Aber diese Etappe ist noch
weit weg. Zunächst heißt es: Regenerieren und Kräfte sammeln für Freitag,
wenn es über zwölf Kilometer auf die Mühlenetappe von Holtrop nach Bagband
geht.
Freitag, 11. Mai 2012
4. Etappe: 12,1 Kilometer von Holtrop nach Bagband
( Die Mühlenetappe)
Es ist Freitag, der 11. Mai, heute gehen wir mit der vierten Etappe die zweite
Hälfte des Ossiloop an. Im Grunde wiederholt sich auch das Procedere bis zum
Start zum vierten Mal. Mittags zeitig essen, damit einem die Mahlzeit während
des Laufes nicht im Magen liegt, ausruhen und mental auf die Etappe
vorbereiten, in aller Ruhe umziehen und gegen 18.00 Uhr langsam zum
Parkplatz der „Ostfriesen-Zeitung“ laufen, mit den Mitläufern die bisherigen
Erlebnisse noch einmal durchgehen, über die heutige Etappe reden und noch
einmal gegenseitig sticheln (Johnny, läufst du noch mit?). Kurzer rundum Blick,
ob auch alle da sind, dann aufsatteln, in den Bus einsteigen und ab geht’s nach
Holtrop.
Unterwegs im Bus der übliche Smalltalk über Gott und die Welt im Allgemeinen
und den Ossiloop im Besonderen. Dabei kommt natürlich auch die
Streckenführung der heutigen Etappe zur Sprache. In dieser Richtung laufen
wir sie heute zum ersten Mal. Um den ersten Kilometer nicht auf der
Landstraße laufen zu müssen, geht es von Holtrop aus durch den Hammrich
zum Ostfriesland Wanderweg. Das macht die Strecke zwar um einen Kilometer
länger, aber zum einen sind wir Kummer gewöhnt und zum anderen hat sich
diese Streckenführung im vergangenen Jahr sehr bewährt. Hier hätten wir
sonst den letzten Kilometer bis zum Ziel auf der Straße gegen die
Fahrtrichtung laufen müssen, was doch recht unfallträchtig gewesen wäre.
Unsere Fahrzeit mit dem Bus wird immer kürzer und durch die Unterhaltung
bekommen wir kaum mit, dass wir, kaum dass wir eingestiegen sind, auch
schon wieder aussteigen müssen, weil wir unseren heutigen Etappenort Holtrop
erreicht haben. Gestartet wird wieder vom Dorfplatz am östlichen Dorfrand,
der uns aus den letzten Jahren bereits wohl vertraut ist.
In der verbleibenden Zeit bis zum Start gehe ich etwas umher, halte die Augen
offen und versuche die „unsichtbare“ Helga zu orten. Aber, diese
geheimnisvolle Frau bleibt für mich, trotz unmittelbarer Nachbarschaft in der
Ergebnisliste weiterhin unsichtbar.
Nun gut, vor dem Startschuss werden noch die Sieger der dritten Etappe
geehrt, die gelben Trikots verteilt und freundliche Reden gehalten. Dann ist es
soweit, die erste Gruppe wird zum Start gerufen. Wie wir es gewohnt sind, fällt
pünktlich um 19.00 Uhr der Startschuss zur vierten Ossiloop - Etappe, der
sogenannten „Mühlen – Etappe“. Unter den dröhnenden, rhythmischen Klängen
aus sich überschreienden, viel zu kleinen Lautsprechern wird angetrabt. Das
heißt, bei den ersten Startgruppen kann von Traben wohl eher keine Rede sein,
sondern von der Aufnahme des Tieffluges.
Unter dem wohlwollenden Beifall der Zuschauer in Holtrop begibt sich nun
Start Box für Start Box auf die 12,1 Kilometer lange Strecke über OstGroßefehn, Spetzerfehn, Strackholt bis nach Bagband.
Nachdem die ersten Läufer sicherlich bereits Ostgroßefehn passiert haben,
dürfen auch wir aus der zehnten Startgruppe die Startmatten überqueren. „Auf
neuen Wegen dem Ziel entgegen“ so lautet mein heutiges Motto und ich hoffe
sehr, dass ich mir mein Rennen so vernünftig einteile, dass ich keine
Gehpausen einlegen muss. Der fast minütliche Blick auf mein linkes
Handgelenk verheißt mir allerdings diesbezüglich nichts Gutes. Ich laufe eine
Zeit von siebenfünfzehn, Für viele Läufer ist das ein Tempo kurz vorm
Spazierengehen, für mich jedoch am Rande dessen, was ich laufen kann. Wider
besseres Wissen behalte ich dieses Tempo bei, habe allerdings auch immer
noch meinen Kumpel Johnny im Hinterkopf, den ich auch auf dieser Etappe
gerne hinter mir lassen würde. So laufe ich in der Gemeinschaft der
Läuferinnen und Läufer, die mich auch die vergangenen drei Etappen begleitet
haben durch den Hammrich zwischen Holtrop und Ostgroßefehn. Es ist mir aus
dem vergangenen Jahr kaum noch gegenwärtig, wie lang die Strecke bis zum
Erreichen des Wanderweges war. Immer wieder denke ich: An der nächsten
Kreuzung müssen wir doch den Wanderweg erreicht haben, soweit kann er
doch nicht entfernt sein. Die Probleme des Laufens spielen sich doch immer
wieder zwischen den Ohren ab. Anstatt einfach nur zu laufen, gute zwölf
Kilometer sollten nach unserem Training kein Problem sein, mache ich mir
permanent Gedanken darüber, wie lang die noch zu absolvierende Strecke
noch ist und wie kaputt ich doch nach wenigen Metern bereits bin. Schuld an
dieser Denkweise ist natürlich der ISH. Ich frage mich, warum ich den
überhaupt mitgenommen habe, bereitet einem nichts wie Schwierigkeiten,
dieser Schweinehund. Auf der nächsten Etappe lasse ich ihn besser zu Hause!
Noch gut bei Kondition und mit ausreichender Luft für die nächsten Kilometer
erreichen wir nach etwa 3,5 Kilometern den Ostfriesland-Wanderweg. Auch
hier, in the middle of nowhere, stehen verhältnismäßig viele Zuschauer am
Wegesrand und feuern uns an. Das motiviert und man möchte sich natürlich
auch keine Schwachheiten anmerken lassen. So laufen wir denn auf der
ehemaligen Kleinbahn-Trasse, bis wir das Seniorenheim in Ostgroßefehn
umrunden, das genau in den Verlauf des damaligen Schienenweges gebaut
worden ist und passieren das frühere Bahnhofsgebäude. Hier, wo es mit einem
kleinen Schlenker auch über den Fehnkanal geht, ist immer was los. Es sind
sicherlich mehrere hundert Zuschauer, die sich hier bei Musik, Bratwurst und
Bier den Vorbeilauf der 2000 Ossiläufer ansehen. Wie nicht anders zu
erwarten, werden wir von einigen bierseligen, adipösen Jungmännern
aufgefordert, doch etwas schneller zu laufen, die ersten Läufer wären bereits in
Bagband . Wie gut, dass uns das nicht anficht! Weiter geht es durch die
Vorgärten des Ortes, die unmittelbar an der Bahnstrecke liegen, nach
Spetzerfehn und zur nächsten Versorgungsstelle. Ein Schluck Wasser wäre
jetzt wahrlich nicht schlecht.
In Spetzerfehn, geht es, vorbei an großem Publikum, über die Brücke des
Spetzerfehn-Kanals, die mit der dahinter liegenden Windmühle immer wieder
als fotografisches Highlight herhalten muss.
Die folgenden Kilometer gehören zu meinen Lieblingsstrecken, laufen wir doch
auf den von mir schon sooft erwähnten Bahnhof Strackholt mit seinem
herrlichen Biergarten zu, in dem man wunderbar sitzen kann, um die Explosion
der Geschmacksknospen beim Genuss eines herrlich gekühlten, frisch
gezapften Glases Jever zu erleben...ABER NICHT HEUTE!
ISH hätte es zu gerne, hier abzudrehen und eine Gerstenkaltschale zu
bestellen. Neidisch blicke ich auf die Zuschauer, die uns, natürlich jeweils mit
einem kühlen Bier in der Hand, teils aufmunternd und anfeuernd, teils aber
auch spöttisch einen guten restlichen Weg wünschen. Ja, restlicher Weg, wenn
der nur nicht wäre. Auf der Straße nach Bagband, die parallel zum Wanderweg
verläuft, ereilt mich abermals das Schicksal in Form meines ISH. Gegen
meinen Willen erfolgreich suggeriert er mir, dass ich nun wirklich nicht mehr
laufen könne, da mir meine Beine schmerzen, die Lunge pfeift und ich auch
ansonsten fix und fertig bin. Es ärgert mich kolossal, dass ich auch während
dieser Etappe eine Geh Pause einlegen muss, es fällt mir aber tatsächlich
wahnsinnig schwer, meinen Trab beizubehalten. Die Pause ist nicht von langer
Dauer, denn in einigen hundert Metern Entfernung sehe ich die Feuerwehr, die
mit ihrem Einsatzwagen die Straße absperrt. Hier verlassen wir die Straße, um
den letzten Kilometer der Strecke bis nach Bagband hinein auf einem
landwirtschaftlichen Weg anzugehen. Auf den letzten Metern muss ich
abermals eine kurze Pause einlegen. Natürlich werde ich bei solchen Pausen
von einigen Läuferinnen und Läufern überholt. Das ist zwar schade, aber nicht
wichtig! Wichtig ist nur: Wo ist Johnny? So eine kleine, freundliche Privatfehde
hält einen ja trotz ISH und anderer Unpässlichkeiten so weit, wie möglich in
Trab.
Endlich ist das Ziel nur noch wenige hundert Meter entfernt, ich mobilisiere
noch einmal alle Kräfte meines geschundenen Körpers und laufe die letzten
Meter so schnell, wie es eben geht. - Aber nicht schnell genug, Sörens Frau
Sabine überholt mich leichtfüßig, freundlich grüßend, und erreicht knapp vor
mir das Ziel. Ich finde meinen Frieden wieder, wie ich sehe, dass sie Sören und
Johnny voraus gelaufen ist und alleine vor mir ankommt.
Völlig aus der Puste muss ich nach dem Zieldurchlauf erst einmal zu Kräften
kommen. Heino kann es natürlich wieder einmal nicht lassen und möchte den
Kommentar zu meinen Eindrücken dieser Etappe. Auch heute kann ich ihm nur
sagen, dass er immer zur falschen Zeit die richtigen Fragen stellt und ich noch
nicht in der Lage bin, ihm eine vernünftige Antwort zu geben. Lachend gibt er
sich mit diesem Kommentar zufrieden und interviewt die nächsten
Ankömmlinge. Für mich geht es nun erst einmal in den Marketender-Bereich
um einen oder zwei bis drei Becher des köstlichen Tees bei Bruno zu mir zu
nehmen. Noch ein paar Apfelspalten und Bananenstückchen bei Edeka und
schon geht es mir wieder gut. Da ich heute etwas auf meinen Abtransport
warten muss, Margret hat noch Tochterpflichten, denen sie nachgehen muss,
habe ich noch genügend Zeit, um mich um meine Mitläufer zu kümmern und
Smalltalk zu halten. Gute zehn Minuten später sind immer noch nicht alle
Läufer eingetroffen. Ein Triumvirat von Läuferinnen, die so ziemlich den
Abschluss der Tabelle bilden, kommt gut gelaunt unter dem Beifall der
Zuschauer ins Ziel. Hier zeigt sich wieder einmal die Wahrheit des olympischen
Gedanken: Dabei sein ist alles. Die drei Damen sind sichtlich stolz auf ihre
vollbrachte Leistung. Recht haben sie! So einen Ossiloop mitzulaufen, egal in
welcher Zeit, das ist schon aller Ehren wert.
Nachdem mein Ehegesponnst dann irgendwann doch noch kommt und mich
vor dem Erfrieren rettet, geht es wieder zurück in ein warmes Zuhause, um die
Wunden zu lecken und mit den Vorbereitung auf die vorletzte Etappe zu
beginnen.
Während der gesamten relativ kurzen Rückfahrt von Bagband nach Logabirum
kann ich nicht umhin, meiner Frau in den Ohren zu liegen um ihr zu erzählen,
wie unzufrieden ich mit der Tatsache bin, dass ich schon wieder Pausen
machen musste, wie zufrieden ich allerdings damit bin, meinen Piraten ein
weiteres Mal hinter mir gelassen zu haben.
Dienstag, 15. Mai 2012
5. Etappe: 9,6 Kilometer vom Gut Stikelkamp nach Holtland
( Die Klaus-Beyer-Etappe)
Ein neues Spiel, ein neues Glück! Heute, am Dienstag, den 15. Mai 2012
stellen wir uns dem vorletzten Teilstück des diesjährigen Ossiloop.
Alles ist bereits Routine. Das Warten auf die Freunde und den Bus auf dem
Parkplatz der Ostfriesen-Zeitung, die schon recht kurze Fahrt zum Gut
Stikelkamp und die letzten Meter zu Fuß bis zum Startbereich. Die Routine wird
heute allerdings vom Busfahrer unterbrochen. Er hat sich verfahren! Eigentlich
ist es kein richtiges Verfahren, denn um von Logabirum bis zum Gut
Stikelkamp zu fahren, braucht man nicht einmal ein „Navi“. Da keine fünfzig
Busse, zahllose Privat-PKW und Fußgänger auf die Zuwegung zum Gut passen,
wurde den Bussen ein extra Parkplatz zugewiesen. Diesen hat unser Fahrer
elegant umfahren, findet ihn aber letztendlich doch, so dass wir noch in aller
Ruhe aussteigen können und uns per pedes zum Startplatz begeben.
Der Startplatz mitten im Wald hat, warum auch immer, ein besonderes Flair.
Hier trifft man all die Bekannten, von denen man schon wusste, dass sie am
Ossiloop teilnehmen, die man bisher aber nicht zu Gesicht gekriegt hat. Also,
bis zum Start erst einmal großes Palaver mit allen und jedem, der einem
irgendwie bekannt vorkommt, außer mit EWE-Frau Helga. Hauptthema heute
ist natürlich die Streckenlänge. „Lediglich“ 9.6 Kilometer sind zu bewältigen.
Dass man sich mit einer solchen „Sprintstrecke“ leicht vertun kann, haben wir
im vergangenen Jahr gesehen, wo nach Kilometer Sieben fast nichts mehr
ging.
Für heute habe ich mir ein Konzept zurecht gelegt, das ich unbedingt befolgen
will. Um auf dieser doch recht kurzen Etappen nicht wieder Pausen einlegen zu
müssen, werde ich die ersten beiden Kilometer recht langsam angehen, das
heißt für mich, in einer Zeit nicht unter siebendreißig. Danach will ich sehen,
was geht.
Stephan Immega ist sicherlich bereits in Holtland, als es auch für uns in der
letzten Start Box auf die Reise geht. Die ersten Meter laufen wir in südlicher
Richtung aus dem Wald heraus, um dann nach links, auf den Wanderweg in
Richtung Bagband abzubiegen. Dem Wanderweg folgen wir allerdings nur einen
guten Kilometer lang, um dann nach rechts in Richtung Heselhörn zu laufen.
Die Heselhörntjer putzen ihren Ort zum Ossiloop immer ganz besonders
heraus. Mit Transparenten und Fahnen grüßen sie uns Ossiloper und finden
selbst für uns Letzten noch aufmunternde Worte und applaudieren uns.
Auch ich werde gegrüßt, und zwar persönlich – von Sabine, Sörens Frau. Mit
einem nicht zu übersehenden Grinsen holt sie mich ein, läuft an mir vorbei und
bestellt mir schöne Grüße von hinten, von Sören und Johnny. Und tschüss.
„Warte nur, Mädel! Wir sehen uns noch!“ Mit diesen Gedanken im Kopf
beschließe ich, meine Taktik nicht aufzugeben und weiterhin langsam zu
laufen. Vielleicht geht ja nachher noch was!
Sabine entfernt sich bis Kilometer Zwei nicht allzu weit von mir, das heißt,
wenn ich nun das Tempo etwas anziehe, müsste ich sie theoretisch bald wieder
eingeholt haben. Und tatsächlich verringert sich der Abstand kontinuierlich. Als
wir nach einem großen Rechtsbogen wieder den Ostfriesland Wanderweg
erreichen, bin ich mit Sabine auf einer Höhe und überhole sie just in dem
Moment, als wir auf den Wanderweg einbiegen, was sie allerdings nicht
bemerkt.
Mit klammheimlicher Freude laufe ich auf dem Wanderweg der Gemeinde Hesel
entgegen. Hier irgendwo auf der Strecke steht dann auch wieder der einsame
Trompeter, der alljährlich den Ossiläufern das letzte Halali bläst. Es ist
manchmal rührend zu sehen, was manch einer sich für den Ossiloop einfallen
lässt. Aber, diese Aktionen gehören zum Ossiloop dazu, sie sind Teil des Flairs,
das den Lauf umgibt und ihn so besonders macht.
Den Ort Hesel durchlaufen wir nicht auf direktem Wege, wir biegen vor
Erreichen der Stikelkamper Straße nach rechts ab, durchkurven eine Siedlung
und überqueren die Straße dann am westlichen Ortsrand.
Der Ostfriesland Wanderweg nimmt zwischen Hesel und Holtland einen ganz
eigenen Verlauf, der mit der früheren Kleinbahnstrecke nichts mehr zu tun hat.
Diese verlief damals geradewegs durch Hesel hindurch, kreuzte die heutige
Bundesstraße 436 in der Höhe, in der sich heutzutage das Aldi-Lager befindet,
um sie an der östlichen Straßenseite, vorbei an der „Fabrik“ bis Holtland zu
begleiten.
Wir laufen westlich der Bundesstraße in Richtung Kleinhesel, vorbei am
Pferdehof. Für die wunderbaren, stolzen Vierbeiner, die sich hier auf der Weide
tummeln, haben wir heute kein Auge. Wir müssen weiter, durchlaufen den
Tunnel des Autobahn-Zubringers nach Veenhusen, biegen dann scharf rechts
ab und laufen auf einem Plattenweg weiter bis auf Höhe des Gewerbegebietes
Wehrden. Von hieraus wäre es nicht einmal mehr ein Kilometer bis zum
Sportplatz in Holtland. Aber, wenn der Weg das Ziel ist und Edzard der
Wegbereiter, dann weiß man, dass das zu einfach gewesen wäre. Rechts
abbiegen ist hier angesagt. In der Kurve steht auch mein Eheweib und feuert
mich an. Gebhard wäre vor etwa einer Minute hier durchgelaufen, wenn ich
mich beeilen würde, könnte ich ihn noch einholen. Das Problem ist, ich beeile
mich schon, schneller kann ich nicht laufen. Immerhin sind noch mehr als zwei
Kilometer zu absolvieren. Meine Laufeinteilung macht sich jetzt bezahlt, ich
kann mein Tempo halten, ohne an Gehpausen zu denken. Es gelingt mir sogar,
einige vor mir laufende Läuferinnen und Läufer und Heike zu überholen.
Gebhard allerdings bleibt heute außer Reichweite für mich, ich allerdings auch
für Sabine, Sören und Johnny. Bei dem Gedanken an Sabine kann ich mir ein
leichtes Grinsen nicht verkneifen, sie läuft immer noch hinter mir und hat
meinen Überholvorgang nicht bemerkt. Das Grinsen ist aber nur sehr leicht, da
auf dem letzten Kilometer die Kraftreserven doch zur Neige gehen und ich
mich sehr anstrengen muss, um das Tempo halten zu können.
Die letzten Meter, bevor man auf die Straße zum Sportplatz einbiegt fallen mir
verdammt schwer. Die Strecke bis zum Abzweig scheint immer länger zu
werden. Die Beine werden immer schwerer. Der Atem geht jetzt hechelnd.
Endlich, der Weg zum Sportplatz ist erreicht, jetzt geht es auf die letzten
Meter. War die Strecke bis zum Ziel auf dem Sportplatz im vergangenen Jahr
auch so weit? Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich auf den Sportplatz
einbiegen kann, noch einmal alle Kräfte zusammen nehme und einen
ordentlichen Schlussspurt hinlege. Wie im vergangenen Jahr, so kommen mir
auch heute viele Zuschauer, die die Veranstaltung als beendet ansehen,
entgegen. Diese Menschen gilt es noch unfallfrei zu umkurven, bis endlich
mein Freund Heino und der Zielturm erreicht sind und das lang ersehnte „Piep“
zu hören ist. Überraschender Weise hat Heino heute für mich keine Fragen zum
Rennen und zur persönlichen Befindlichkeit. So finde ich Zeit, um langsam
wieder zu Atem zu kommen, Bruno aufzusuchen und erst einmal einen Becher
köstlichen Tees zu mir zu nehmen, danach einige Apfelspalten und
Bananenstückchen. Danach bin ich wieder Mensch und ansprechbar. Frauke,
Thea und Cordula erwarten mich schon zum Plausch. Aber es drängt mich
doch, zu sehen wie viele Stunden später Johnny ankommt. Vier werden es –
vier Minuten. Heute bin ich guter 1895ster geworden, mit einer Minute
Vorsprung vor der nächst platzierten Heike. Der Pirat konnte heute den
1927sten Platz erringen. Als ich Sabine treffe und wir beide uns ein Lachen
nicht verkneifen können, fragt sie mich, wo ich sie denn überholt hätte, sie hat
es nicht bemerkt. Dass ich das wohl mitgekriegt habe sage ich ihr, und dass ich
meinen Spaß daran hatte.
Glücklich, heute mit einer guten Zeit durchgelaufen zu sein, geselle ich mich zu
meiner lieben Frau, die schon darauf wartet, zusammen mit einem zufriedenen
Ossiläufer nach Hause zu fahren.
Freitag, 18. Mai 2012
6. Etappe: 13,6 Kilometer von Holtland nach Leer
(Der Zieleinlauf)
Wir schreiben Freitag, den 18. Mai 2012. Heute gilt es, das Werk zu vollenden.
Die letzte, die sechste Etappe Ossiloop 2012 steht auf dem Programm. Mann,
habe ich eine scheiß Angst vor dieser Strecke. Sie ist nicht länger, als die dritte
Etappe von Plaggenburg nach Holtrop, aber sie ist ungleich schwieriger. Zwei
Berge der ersten Kategorie sind zu nehmen. Da ist zum einen die
Autobahnbrücke an der Zoostraße und zum Zweiten sind da die zweiunddreißig
Stufen hinauf zur Umgehungsstraße, um die Emder Bahn schrankenfrei
überqueren zu können. Nicht zu unterschätzen ist auch der psychologische
Effekt der Strecke, sie gaukelt einem relative Kürze vor, denn von Holtland
nach Leer kann es nicht allzu weit sein. Hat man dann den ersten Berg über
die Autobahn in kleinen Tippelschritten überwunden und läuft die Zoostraße,
bereits auf Leeraner Stadtgebiet, meint man, es schon fast geschafft zu haben,
doch dann kommt noch der nicht enden wollende Wanderweg von „Onkel
Heini“ bis zum Logaer Weg, wo er mit einem leichten Anstieg endet. Hinter
„Mazda-Schröder“ beginnt dann das große Grauen: Zweiunddreißig steile
Stufen hinauf zur Umgehungsstraße, die einem das letzte Quäntchen Kraft aus
den Beinen saugen.
Aber noch ist es nicht soweit, noch stehe ich mit all den anderen auf dem
Parkplatz der Ostfriesen-Zeitung und warte auf den Bus der Firma Kok. Ein
letztes Mal heißt es einsteigen, Platz nehmen und zum Startort gebracht
werden. Heute ist es eigentlich nur ein kurzer Shuttle-Service, kaum sitzen wir,
sind wir auch schon da. Bevor wir allerdings aussteigen können, gilt es noch
durch die engen Straßen der Holtlander Siedlung zu kurven, was bei der
Vielzahl an Bussen und wild geparkter privater PKWs gar nicht so einfach ist.
Schließlich finden wir doch noch ein Fleckchen Erde, an dem wir halten können.
Dem Fahrer danken wir seinen Einsatz und seinen allzeit sicheren Fahrstil mit
einem kleinen Obolus, den wir vorher unter allen Mitfahrern eingesammelt
hatten. Er hat sich wohl darüber gefreut.
Durch das Straßengewirr der Holtlander Siedlung erreichen wir nach einer
Weile den Sportplatz, auf dem schon Andrea Bunjes ihren Hammer geworfen
hat. Es herrscht bereits ein reges Treiben, überall wird schnabuliert und
geredet, alle freuen sich, dass es heute auf die letzte Etappe geht. Der
Ossiloop ist ein Wahnsinns-Event, besonders, wenn er vom Meer nach Leer
geht, aber irgendwann ist es gut gewesen und nach fast drei Wochen möchte
man sich auch wieder um andere schöne Dinge des Lebens kümmern, zum
Beispiel ein Bier zu trinken oder Freitagabend die Beine hoch zu legen und
Müßiggang zu pflegen...
Aber, vor das Bier hat der Herr den Schweiß gesetzt. „Peng“ - Es ist neunzehn
Uhr, Herr Immega ist „on the road“ und wir folgen (natürlich in gebührendem
Abstand) Es wird ernst, langsam antippeln, die Startmatten erreichen und:
„Piep“ - die Zeit läuft.
Frauke ist wieder aus Startgruppe neun gestartet, EWE-Helga bleibt
unauffindbar, Thea läuft noch in meiner Nähe, genauso wie Henning, der
grasgrüne Werderfrosch und Heike. Johnny und Sören starten wie immer nach
mir (und das soll auch bis zum Ziel so bleiben, nehme ich mir vor).
Auf diesem Weg zum Kilometer Null kenne ich jede Kurve und jeden
Straßenbelag, wie oft bin ich die Strecke mit Margret mit dem Fahrrad bereits
gefahren. Auf dem kurzen Stück von Logabirum bis Holtland wird man auf dem
Drahtesel gar nicht richtig warm. Heute, zu Fuß gestaltet sich das ein wenig
anders: die Kilometer sind länger die Entfernungen größer. Doch noch bin ich
guten Mutes, wir laufen gegen Meerhausen und erreichen schon bald die erste
Verpflegungsstelle. Ob es mir heute wieder gelingt, ohne Gehpausen...das
wäre zu schön. Schon biegen wir ein auf die Straße „Siebenbergen“, wir sind
schon halb zu Hause. Wie in jedem Jahr, so hat sich auch heute an der
Abzweigung zur Zoostraße neben vielen, mir als „altem“ Logabirumer fast allen
bekannten Zuschauern eine Rhythmusgruppe eingefunden, die uns auf den
letzten Kilometern noch mal so richtig einheizen will. Das beflügelt auf dem
Weg hinauf auf die Autobahnbrücke, die ich vor zwei Jahren nur im
Schritttempo bewältigen konnte. Downhill geht es leichter, die Zoostraße liegt
in ihrer ganzen Länge vor mir. Langsam bekomme ich Muffensausen, es liegt
noch viel Strecke vor mir und die Beine werden müde. Hoffentlich geht das
gut!
Vorbei an Onkel Heini, hinein in den Logabirumer Wald: ISH meldet sich und
sagt, ich kann nicht mehr. Ich könnte mich treten, denn ich schenke ihm
Glauben und höre auf zu laufen. Noch vor dem Überqueren der Feldstraße
fange ich wieder an zu traben. Nicht nur im Unterbewusstsein weiß ich,
warum: an der Feldstraße stehen wieder viele bekannte Gesichter. Dem
Gespött, wenn ich an denen vorbei gehe, statt zu laufen, möchte ich mich nicht
aussetzen. Ich höre sie schon: „Na, Werner, kannst nicht mehr, soll ich dich
tragen“ oder: „Du musst dich beeilen, die meisten sind schon im Ziel, wenn du
noch lange brauchst, ist das Bier alle“ Also weiter traben, freundlich lächeln
und grüßen.
Weiter geht es. Noch fünfhundert Meter bis zur nächsten Verpflegung. Dort
steht Hilke mit der gesamten Firma Hartema und reicht uns das Wasser. Ich
nehme diese Gelegenheit wahr und bleibe einen Augenblick stehen, um wieder
zu Luft zu kommen und die Beine, die doch jetzt gehörig schmerzen,
auszuschütteln. Es nutzt nichts: Weiter! Meine Laufabschnitte werden immer
kürzer, alle paar hundert Meter werde ich langsamer und ruhe mich aus.
Rüber, über den Mittelweg, sich bis zum Weidenweg quälen, den Logaer
Sportplatz rechts liegen lassen, abermals eine Pause einlegen, sich schämen,
die Etappe so elendiglich zu Ende zu laufen, kaum noch die leichte Anhöhe zum
Tor des Ostfriesland-Wanderweges am Logaer Weg hinauf kommen, die Straße
überqueren, hinter „Mazda-Schröder“ links einbiegen, sich mit abermaligen
Pausen keuchend und pustend mit schmerzenden Beinmuskeln mehr dahin
schleppend als laufend, stehe ich vor der letzten großen Herausforderung des
heutigen Tages. Vor mir die zweiunddreißig unüberwindlichen Stufen hinauf zur
Straße. Ich warte auf den Aufzug. Nachdem kein Aufzug kommt, weil es
keinen gibt und die Helfer vom Roten Kreuz mich auch nicht tragen wollen,
bleibt mir nichts anderes übrig, als mich die Stufen allein hinauf zu schleppen.
Irgendwie habe ich es geschafft, aber es bedeutete eine gewaltige
Anstrengung für mich. Warum ist die Etappe hier nicht zu Ende?
Nach überqueren der Brücke fällt die Strecke in sanftem Bogen und alsbald hat
mich die Erde wieder, allerdings auch die Schwerkraft. Den Berg herunter zu
laufen ist gewiss einfacher, als auf der Ebene der Erdanziehung zu trotzen. Wir
laufen heute nicht die Große Rossbergstraße hinunter, sondern biegen gleich
nach Unterquerung der Brücke rechts in einen Fußweg ab, bis zur Großstraße.
Die Großstraße ist neu gepflastert und lässt sich im Prinzip gut laufen, doch
das interessiert mich im Augenblick nicht die Bohne.
Christian, der vor zwei Jahren noch für die Gruppe des Leinerstiftes unterwegs
war und dem ich seinerzeit Paroli bieten konnte, der im vergangenen Jahr
deutlich schneller war, als ich und in diesem Jahr wieder um einiges hinter mir
blieb, dieser Christian schickt sich an, mich zu überholen. Doch damit nicht
genug, auch Sören geht an mir vorbei. Wo Sören ist, kann Johnny nicht weit
sein. Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, aber ich muss weiter. Noch
einmal das Tempo, so gut wie es geht erhöhen, Christian wieder einfangen,
Sören in Schach halten (der ist auch kaputt!) und weiter laufen bis Leffers, der
Rest geht wie von selbst. Durch die applaudierenden Zuschauer laufen wir, als
ginge es um unser Leben. Christian wehrt sich, auch er wird schneller, genau
wie ich denkt er sicherlich an das Finale 2010, als wir die Etappe erst in einem
Fotofinish entschieden haben.
Auf den letzten Metern holt man, man weiß gar nicht wo sie die ganze Zeit
gesteckt haben, noch Kräfte, die man nie für möglich gehalten hat, oder liegt
es an den vielen Zuschauern, vor denen man sich nicht blamieren möchte,
wenn man denn schon so spät ins Ziel kommt?
Das Ziel hätte keine hundert Meter weiter sein dürfen, denn ich spüre schon
Johnnys Atem in meinem Rücken.
„Piep“ es ist vollbracht! Der Denkmalplatz in Leer ist erreicht, der Ossiloop
2012 ist Geschichte, Müller, du bist angekommen, du hast es geschafft. Aber
das war eine verdammt knappe Kiste, das muss im nächsten Jahr besser
werden.
Irgendwie doch mal wieder stolz, wie Oskar geht es ans Freunde
beglückwünschen, Dörloper-Shirt abholen und sich ein Bier gönnen (oder auch
zwei...).
Es ist zu Ende, doch im nächsten Jahr geht’s von vorne los, dann heißt es
wieder:
Es ist Ossiloop!
P.S.: Ich bin den Ossiloop 2012 in 8:35:44 Stunden gelaufen und war somit
deutlich schneller, als in den Vorjahren. Kein Wunder, dass ich mich dabei
verausgabt habe und Pausen einlegen musste.
Mein Johnny hat übrigens 8:53:37 Stunden benötigt und war damit viiiiiel
langsamer, als ich. Gebhard konnte ich noch um 10 Sekunden hinter mir
halten, lediglich Heike war um ganze 2 Sekunden schneller, als ich. Das kommt
sicherlich daher, dass ich mich in Holtrop verlaufen habe.
Mit der für mich bis zum heutigen Tag unsichtbar gebliebenen EWE-Helga
hätte ich den Ossiloop im Prinzip Hand in Hand laufen können, gerade einmal
33 Sekunden trennten uns in der Endabrechnung voneinander. Natürlich kam
sie vor mir ins Ziel.
Also, bis zum nächsten Jahr und dann: Auf ein Neues!
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