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Newsletter zur aktuellen Online-Ausgabe der “Weltkirche“
Nr. 4(2005)
www.weltkirche-online.de
Liebe Freunde von weltkirche-online,
ganz herzlich begrüßen wir Sie zur vierten Online-Ausgabe der „Weltkirche“. Im Vorfeld des
G-8-Gipfeltreffens in Gleneagles ist ein beachtenswerter Hirtenbrief der kenianischen
Bischofskonferenz erschienen. Er befasst sich mit den Hintergründen und Folgen der
internationalen Verschuldung und definiert die Rolle der Kirche als die des barmherzigen
Samariters, der sich sowohl um die Armen als auch um die Reichen kümmert. Den Reichen droht
der Verlust der menschlichen Identität, wenn sie die Armen ignorieren. Das Motiv des
barmherzigen Samariters spielt auch im Abschlussdokument der AMECEA-Vollversammlung
eine wichtige Rolle. Im Umgang mit Aids-Kranken wollen die Bischöfe vor allem die drohende
Stigmatisierung und Marginalisierung der Betroffenen vermeiden und rufen zur Achtung ihrer
menschlichen Würde auf. Die Rechte und die Würde von Menschen, die aus den Slums der
großen Städte in Simbabwe vertrieben worden sind, thematisiert das Dokument der
Bischofskonferenz unter dem Titel „Der Schrei der Armen“. Aber es gibt noch andere Formen
des Versagens von Regierungen. Häufig ist das die Unfähigkeit, den inneren Frieden zu sichern.
Mit diesem Mangel befassen sich die Dokumente aus Kongo-Zaire und aus Kolumbien.
Wir bedanken uns für Ihr Interesse an weltkirche-online. Bitte, empfehlen Sie uns weiter!
Die Redaktion
Inhaltsverzeichnis:
Über die Last der internationalen Verschuldung
Ein Hirtenbrief der katholischen Bischöfe von Kenia
17.05.2005
Seite 4-16
Antwort auf die Herausforderung von HIV/Aids in AMECEA-Ländern
Botschaft der 15. AMECEA-Vollversammlung
11.06.2005
Seite 17-24
2
Der Schrei der Armen
Hirtenbrief der Katholischen Bischofskonferenz von Simbabwe
13.07.2005
Seite 25-29
"Warum habt ihr solche Angst?" (Mk 4,40)
Die Zukunft des Kongo hängt von seinem Volk ab
Botschaft der Bischöfe aus Anlass des 45. Jahrestages der Unabhängigkeit der Demokratischen
Republik Kongo
22.06.2005
Seite 30-36
Offener Brief der Bischöfe von Quibdó und Istmina-Tadó an den Präsidenten der Republik
zur Legitimitätskrise des Staates in der Atrato-Region, Kolumbien
Paramilitär und Armee in Kolumbien
27.04.2005
Seite 37-40
Infografiken:

AMECEA-Länder: Zahl der Katholiken nach Ländern

Auslandsverschuldung Afrikas 1970-2002: Schuldendienst übersteigt das Kreditvolumen

HIV-Infizierte Personen: Verteilung nach Weltregionen (Verhältniszahlen)

HIV-Infizierte Personen: Verteilung nach Weltregionen (absolute Zahlen)

UNO-Millenniumsziele 1990-2015: Halbierung der Armut

UNO-Millenniumsziele 1990-2015: Halbierung der Armut (3D-Darstellung)
Landkarten:

AMECEA-Länder

Kenia

Simbabwe

Kongo (Zaire)

Kolumbien mit Atrato-Fluss
3
Eigennutz unter dem Mantel der Hilfe.
Bischöfe von Kenia klagen an
Angesichts der entsetzlichen Ereignisse der letzten Tage in Kenia muss sich heute jeder die Frage
stellen, warum sich die kenianischen Bischöfe nicht mit dem Problem der eskalierenden
ethnischen Konflikte in ihrem Land, sondern mit einem außenpolitischen Thema wie
Verschuldung befassen? Nach dem Massaker im Norden Kenias und der Ermordung von Bischof
Luigi Locati von Isiolo ist Kenia in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr das Land mit dem
gravierenden Schuldenproblem geblieben, sondern zum Land mit brutal ausgetragenen ethnischen
Konflikten geworden. Wahrscheinlich sind diese Konflikte noch schwerer zu regeln als die
Probleme, die durch manipulierte Kapitalflüsse verursacht werden.
Obwohl innenpolitisch sehr angeschlagen, steht Kenia außenpolitisch als potentieller Kandidat für
den Sitz im UN-Sicherheitsrat und als eine der wenigen Demokratien in Afrika gut da. Aufgrund
ihrer gut organisierten Strukturen genießt die Katholische Kirche in Kenia hohes Ansehen.
Die Bischöfe veröffentlichen anlässlich besonderer Ereignisse (Soziale Spannungen,
bevorstehende Wahlen, etc.) gemeinsame Hirtenbriefe, die im ganzen Land und auch von den
Führungskräften des Landes sehr geschätzt werden; die von Missionsinstituten getragenen
Schulen und Gesundheitseinrichtungen sind auf dem neuesten Stand und deshalb sehr beliebt. Es
gibt zahlreiche engagierte katholische Laien, die zum Teil auch auf Regierungsebene tätig sind.
Im Vorfeld des G 8-Gipfels haben die Bischöfe von Kenia einen Hirtenbrief über das Problem der
Verschuldung verfasst, der als Musterbeispiel für eine kompetente Beteiligung der Kirche an der
politischen Willensbildung gelten kann. Eigentlich müsste er zur Pflichtlektüre aller
Regierungschefs und der Entscheidungsträger bei Weltbank und Weltwährungsfonds werden.
Hoffentlich bleibt der Brief nicht nur ein „Ruf in der Wüste“, sondern bekommt eine gebührende
Resonanz.
Die
Bischöfe
Kenias
haben
eine
Anklageschrift verfasst, in der theologische und pastorale Argumente ganz in den Hintergrund
getreten sind, wirtschaftliche, geschichtliche und soziale Aspekte dagegen eine tonangebende
Rolle spielen. Sie führen eine massive Klage, gerichtet sowohl gegen die Regierungen und
Institutionen wohlhabender Länder, als auch gegen die Regierung Kenias. Dabei meinen sie nicht
nur die gegenwärtige Regierung von Mwai Kibaki, sondern auch die ein Vierteljahrhundert
anhaltende despotische Regierungsherrschaft von Daniel arap Moi und andere Regierungen der
4
Vergangenheit. Alle Beteiligten haben bei der Schuldenregelung ein obskures Spiel gespielt,
dessen oberste Regel gewesen sei, den Eigennutz zu optimieren und die Kosten den Schwächsten
aufzubürden. Durch die Vergabe von Krediten haben wohlhabende Länder die unzureichende
Nachfrage nach ihren Produkten stimuliert und die Krisenerscheinungen (Rezession und
Arbeitslosigkeit) ihrer Volkswirtschaften aufzufangen versucht. Bei Kreditgewährung geht es
nicht um Hilfsbereitschaft und Verpflichtung dem Gemeinwohl gegenüber, sondern um
Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des eigenen Lebensstandards. So tragen die armen Länder als
Kreditnehmer zur Stabilisierung des Wohlstands in den reichen Ländern bei. Kreditwirtschaft
betreibt Eigennutz unter den Mantel der Hilfe. So wird der Reichtum auf legale aber moralisch
verwerfliche Weise aufrechterhalten. Das ist nur ein Vorbehalt, den die Bischöfe aufstellen. Der
zweiter ist nicht weniger gewichtig: Reichtum ohne soziale Verantwortung raubt sowohl den
einzelnen Menschen als ganzen Nationen ihre Identität. Die Aussagen der Bischöfe werden immer
radikaler und ihre Kritik härter. Der Schuldendienst stelle ein wesentliches Hindernis für die
Entwicklung und den Schutz von Menschenrechten dar. Eine Sozialisierung der Lasten bei
gleichzeitiger Elitarisierung der Gewinne und Vorteile bilde eine Bedrohung für den sozialen
Frieden. Daher sei die Forderung nach einem Schuldenerlass gerechtfertigt und als Chance für
eine gerechte Gesellschaft zu verstehen.
***
Über die Last der internationalen Verschuldung
Ein Hirtenbrief der katholischen Bischöfe von Kenia
17. Mai 2005
„Nimm von ihm keinen Zins und Wucher! Fürchte deinen Gott, und dein Bruder soll neben dir
leben können“ (Lev 25,36)
Einleitung
Wir, die katholischen Bischöfe von Kenia, möchten unsere Sorge mit den Christen und allen
Menschen guten Willens in unserem Land teilen. In den nächsten Monaten werden in der ganzen
Welt viele internationale Ereignisse auf dem Programm stehen. Diese Treffen werden sich mit
wichtigen Angelegenheiten befassen, die unser Land, unseren Kontinent Afrika und alle
Entwicklungsländer in der Welt betreffen. Im Juli werden sich die mächtigsten Länder, die so
genannten G 8, in Edinburgh, Großbritannien, treffen, und sie werden über den Stand der
internationalen Verschuldung und über Programme zur Reduzierung der Armut im Süden der
Welt diskutieren (1). Im September werden die Vereinten Nationen (UNO) die MillenniumsVersammlung organisieren, um über die Durchführung von Programmen zu sprechen, die es der
Menschheit ermöglichen werden, die Millenniumsziele zu erreichen, darunter die Reduzierung
der Armut und die Entwicklung einer gerechten Welt (2). Im nächsten Dezember wird die
Welthandelsorganisation in Hongkong zu einer neuen Gesprächsrunde zusammenkommen, um
5
über eine wichtige Regelung im Hinblick auf den internationalen Handel zu entscheiden. Wir
dürfen nicht vergessen, dass zu Anfang dieses Jahres sich das Weltsozialforum in Brasilien und
Handelsminister aus der ganzen Welt sich hier in Kenia, in Mombasa, im vergangenen März
getroffen haben, um das Treffen der Welthandelsorganisation im kommenden Dezember
vorzubereiten. Somit ist unser Land nicht nur an diesen Ereignissen interessiert, sondern Kenia ist
ein wesentlicher Bestandteil dieses Prozesses, der zu einer besseren Welt führen könnte. Wir
möchten mit euch gerne einige Gedanken austauschen über die Rolle, die jeder übernehmen kann,
um die Armut zu lindern und eine gerechte Gesellschaft aufzubauen.
Der Ursprung der internationalen Verschuldung
Ehe wir unsere derzeitige Situation betrachten, müssen wir zeitlich zurückgehen und zu verstehen
versuchen, warum und auf welche Weise Kenia, wie viele andere afrikanische Länder auch, bei
den reichen Ländern in der Welt so große Schulden hat (3). Am Ende des Zweiten Weltkrieges
arbeiteten die Vereinigten Staaten den Marshall-Plan aus. Dieser Plan sah Spenden und
langfristige Darlehen an europäische Länder vor, um ihren Wiederaufbau zu finanzieren und es
ihnen zu ermöglichen, ihre Industrie zu modernisieren. Die Europäer wussten diese Anreize gut
zu nutzen und wurden schon bald zu den bevorzugten Handelspartnern der Vereinigten Staaten.
Letztere, die fürchteten, dass die so geschaffenen Überflussgelder zu einer Inflation führen
könnten, unterstützten Investitionen in amerikanischen Firmen im Ausland. In den frühen 60er
Jahren des 20. Jahrhunderts wurden europäische Banken von amerikanischen Dollars
überschwemmt. Zur selben Zeit erlangten die meisten afrikanischen Länder ihre Unabhängigkeit
und sie benötigten Geldmittel, um ihre Volkswirtschaften wachsen zu lassen und die Infrastruktur
zu verbessern. Internationale Banken begannen, ihr Geld zu sehr niedrigen Zinsen zu verleihen.
Später, bald nach der Energiekrise von 1973 beschlossen Regierungen nördlicher Länder, die zu
Hause mit Rezession und Massenarbeitslosigkeit konfrontiert waren, Staaten im Süden mit
Kreditkraft auszustatten, die durch bilaterale Verträge geregelt waren. Mit anderen Worten, ein
Land im reichen Norden ermöglichte es einem Land im Süden, Waren und Dienste aus seiner
Industrie zu kaufen und später zu bezahlen. Auf diese Weise erhielten Beschäftigung und
Produktion neuen Aufschwung gegen spätere Bezahlung aus Drittländern. Darlehen, die von der
Weltbank bereitgestellt wurden, um Entwicklungsprojekte zu finanzieren, sind eine dritte
6
Schuldenquelle. Die meisten dieser Darlehen wurden in den 1960ern unterschrieben; sie lasten
immer noch schwer auf den Volkswirtschaften im Süden der Welt.
Afrika: ein verschuldeter Kontinent
Heute haben alle Entwicklungsländer, darunter Kenia, gewaltige Schulden zurückzuzahlen (4).
Sie schulden Privatfirmen, gewöhnlich internationalen Banken, Regierungen und internationalen
Institutionen wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds Geld. Ende 2004 belief
sich die Auslandsverschuldung der Länder südlich der Sahara auf 231 Milliarden US-Dollar.
Gleichzeitig betrug das Bruttoinlandsprodukt dieser Länder gerade einmal 350 Milliarden USDollar. Mit anderen Worten, afrikanische Länder können nicht gleichzeitig ihre Schulden
zurückzahlen und die Entwicklung in Gang halten. Die meisten Länder müssen mehr als 20
Prozent ihrer Einkünfte für den Schuldendienst ausgeben, d.h. sie müssen jährliche
Schuldenkontingente und die bisher aufgelaufenen Zinsen bezahlen. Die Schulden haben zur
Erholung und zum Wachstum reicher Länder beigetragen, aber die Entwicklung armer Länder
behindert. Diese Situation geht einher mit anderen Ursachen für Stagnation und Armut. Die G 8Länder (Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Russland, das Vereinigte Königreich
und die Vereinigten Staaten von Amerika) fordern den Süden weiterhin auf, sich für den freien
Handel zu öffnen. Sie tun das, obwohl sie im eigenen Land ihre Industrie- und Agrarsektoren
massiv subventionieren. Wie können afrikanische Bauern mit reichen Bauern im Norden
konkurrieren, die von der Regierung unterstützt werden und so in der Lage sind, ihre Erzeugnisse
unter Preis zu verkaufen? Es gibt aber auch lokale Ursachen für das wachsende Ungleichgewicht
in Weltentwicklung und -armut. In der Vergangenheit wurden Gelder, die durch Hilfe und
Darlehen zur Verfügung gestellt wurden, oft durch korrupte Beamte abgeschöpft, für
Fehlinvestitionen missbraucht oder anderen Zwecken zugeführt, nicht aber denen, für die sie
vorgesehen waren. Korruption bei unseren Regierungsbeamten und der Mangel an guter
Regierungsführung sind ebenso verantwortlich für die heutige Armut wie externe Ursachen. Wir
dürfen nicht das Übel der Auslandsverschuldung anprangern, ohne unsere Verantwortung für die
wachsende Armut bei uns zu übernehmen.
Gott spricht zu uns
7
Bei unserem Versuch, das Problem des Schuldenerlasses zu verstehen und in seinem rechten
Licht darzustellen, müssen wir uns dem Wort Gottes zuwenden. Wir möchten die
Aufmerksamkeit aller auf das Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus richten, das
man im Lukas-Evangelium (16,19-31) findet. Den reichen Mann kann man leicht als
stellvertretend für den Norden ansehen, den armen Lazarus für den unterentwickelten Süden. Der
reiche Mann ignoriert dessen Elend. Weil er sich so verhielt, wurde sein Name nicht übermittelt,
während alle den Namen des armen Mannes kennen: Lazarus. Die Situation anderer Menschen zu
ignorieren, oder schlimmer noch, sich nicht darum zu kümmern, was unser Handeln
möglicherweise im
Leben anderer
Menschen
verursacht, führt zu
einem Verlust
echter menschlicher
Identität: An unsere
Namen wird man
sich nicht erinnern.
Die Anstrengungen
um einen Erlass der
Schulden, die man
bis jetzt unternommen hat, könnten mit den Essensresten vergleichen werden, die sich Lazarus
vom Tisch des reichen Mannes erhoffte: Es sind trügerische Versprechungen ohne echte
Substanz. Lazarus starb trotzdem an Hunger und Krankheit! Außerdem entspricht das Essen von
Speiseresten, die von einem Tisch fallen, nicht der Würde der Menschen: Es mag für Tiere
angebracht sein! Wenn man anderen irgendwelche Reste gibt und nicht das, was ihnen zusteht,
bedeutet das im Grunde, sie unmenschlich, nicht als Menschen zu behandeln!
Das Wort Gottes spricht häufig von Schulden und von Schuldenerlass. Im Buch Levitikus fordert
Gott die Menschen auf, alle fünfzig Jahre alle Schulden zu erlassen. Es ist das Jubeljahr des Herrn
(vgl. Lev 25,1-22; Dt 15,1-2). Selbst wenn man eine zusätzliche Sicherheit verlangt, darf man die
Armen nicht unterdrücken. „Man darf nicht die Handmühle oder den oberen Mühlstein als Pfand
nehmen; denn dann nimmt man das Leben selbst als Pfand“ (Dt 24,6). Als Verantwortliche für die
Lehraufgabe in der Kirche haben wir die Pflicht, allen zum Bewusstsein zu bringen, dass die Zeit,
8
um an Gerechtigkeits- und Gleichheitsfragen zu arbeiten, gerade jetzt ist, in diesem Leben. In der
Fülle des Reiches Gottes werden die Rollen der Macht vertauscht sein: Die Unterdrückten werden
sich freuen und die Unterdrücker werden leiden. Weit davon entfernt, eine Aufforderung zu
passiver Hinnahme des Status’ quo zu sein, erinnern diese Bemerkungen daran, dass es zu spät
sein wird, wenn man alle Wiedergutmachung auf die Zukunft verschiebt. Jetzt ist die richtige Zeit.
Die Heilige Schrift und die christliche Lebensweise sind so klar, dass alle Gläubigen in der Lage
sein sollten, sich daran zu halten. Jene, die sich anders entscheiden, sind von der Gemeinschaft
und der Freude aller Kinder Gottes ausgeschlossen: auch nicht etwas Außergewöhnliches würde
sie zur Vernunft bringen
Wie einige andere Gleichnisse, ist das vom reichen Mann und von Lazarus nicht zu Ende: Was
am Ende geschehen wird, welchen Standpunkt man vertreten wird, hängt vom Einzelnen ab. Die
Augen aufzumachen für die Not des Armen ist allen Generationen möglich und das gilt auch für
die heutige. Die Aufforderung, die wir an alle richten, ist klar: Wir wollen lernen zuzuhören und
hinzuschauen! In dieser Situation würden wir gern die Worte des Heiligen Vaters in seinem
Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Ecclesia in Africa wiedergeben. Die Rolle der Kirche
bei diesem besonderen Problem ist die des barmherzigen Samariters, nicht nur für die Völker und
Nationen Afrikas (Ecclesia in Africa), sondern auch für jene, die zum wohlhabenden Norden
gehören. Gewarnt zu sein im Hinblick auf die Weigerung, ungerechte Schulden zu erlassen,
bedeutet, eine Chance zu erhalten, nicht wie der reiche Mann aus dem Gleichnis zu enden, der
seine Augen zu spät öffnete. Gleichzeitig sind wir davon überzeugt und möchten es noch einmal
sagen, dass Gottes Barmherzigkeit allen gilt, da er unsere Namen in seine Handflächen
geschrieben hat (vgl. Jes 49,15-16; Ecclesia in Africa, Nr. 143). Als Kinder Gottes sind wir alle
miteinander aufgefordert, die Probleme dieser Erde zu lösen, ohne einen Unterschied zu machen
zwischen Arm und Reich, sondern uns zu vergewissern, dass alle miteinander in dieselbe
Richtung gehen.
Kenia: Ringen um einen Wandel
Es ist unsere Verantwortung als Oberhirten, uns klarzumachen, dass die Auslandsverschuldung
schlecht ist, und unserer Herde zu helfen, das zu verstehen. Wie auch immer die kenianische
Verschuldung vertraglich festgelegt wurde, heute ist sie die Ursache von Unterdrückung, von
Armut, ja wir wagen es, von neo-moderner Sklaverei zu sprechen. Kenia erhielt eine
9
Gesamtsumme von 17 Milliarden US-Dollar an Darlehen und Hilfe; das sind 1,275 Milliarden
Schillinge oder durchschnittlich 40.000 Kenia-Schillinge pro Staatsbürger. Trotz dieser
gigantischen Geldmenge hat Kenia einen fortschreitenden Verfall seiner Wirtschaft erlebt. Heute
lebt die große Mehrheit von Kenianern unter der Armutsgrenze, während eine kleine Minderheit
einen Lebensstil genießt, der höher ist als der in entwickelten Ländern (5). Der Schuldendienst
behindert unseren Kampf um Entwicklung und soziale Gerechtigkeit. Wir sollten uns daran
erinnern, dass die offizielle Armutsgrenze bei einem täglichen Verdienst von weniger als 1 USDollar pro Person angesetzt ist (6). Wir alle wissen, dass dieses Limit an sich eine Farce ist. Man
kann nicht erwarten, dass jemand mit weniger als 80 (Kenia-)Schillingen pro Tag auskommt,
besonders in unseren städtischen Gebieten, wo die Lebenshaltungskosten nicht niedriger sind als
die so vieler europäischer Länder. Die Menschen nach den Lohnstrukturen zu bezahlen, die für
die meisten unserer Arbeiter gelten, kommt einer Ausbeutung ihrer Arbeit unter dem Schutz der
Legalität gleich.
Wir sollten auch hervorheben, dass ein großer Teil der Hilfe, die wir von Geberländern erhalten,
keine Spende für die Entwicklung ist. Häufig ist sie ein Darlehen, das zurückgezahlt werden muss
und noch zu dem bereits riesigen Schuldenberg hinzukommt, den unser Land gegenüber den
reichen Nationen des Nordens angehäuft hat. In seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2005 sagte
uns Seine Heiligkeit Johannes Paul II.: „Das Drama der Armut erscheint noch immer eng
verknüpft mit dem Problem der Auslandsverschuldung der armen Länder. … Die armen Länder
bleiben in einem Teufelskreis gefangen: Die niedrigen Einkünfte und das langsame Wachstum
schränken die Vermögensbildung ein, ihrerseits sind wiederum die schwachen Investitionen und
die unwirksame Verwendung des Ersparten dem Wachstum nicht förderlich“ (Weltfriedenstag
2005, Nr. 8). „Das wird besonders offenkundig, wenn man an die vielen und heiklen Probleme
herangeht, die der Entwicklung des afrikanischen Kontinents im Wege stehen: Man denke an die
unzähligen bewaffneten Konflikte, an die pandemischen Krankheiten, deren Gefährlichkeit durch
die elenden Lebensverhältnisse noch erhöht wird, an die politische Instabilität, die mit der weit
verbreiteten sozialen Unsicherheit einhergeht. Das sind dramatische Wirklichkeiten, die auf einen
radikal neuen Weg für Afrika hindrängen: Es müssen neue Formen der Solidarität auf bilateraler
und multilateraler Ebene entstehen durch einen entschlosseneren Einsatz aller und im vollen
Bewusstsein, dass das Wohl der afrikanischen Völker eine unverzichtbare Voraussetzung für die
Erreichung des universalen Gemeinwohls darstellt“ (Weltfriedenstag 2005, Nr. 10).
10
Ist es gerechtfertigt, einen Schuldenerlass zu fordern?
Schulden werden zu einem ethischen Problem, wenn sie ein Haupthindernis für den vollen
Genuss der Menschenrechte darstellen. Insofern als der Schuldendienst die Menschen zur Armut
degradiert, während ihre Gläubiger Kenias politisches, wirtschaftliches und soziales Schicksal
bestimmen, ist die Verschuldung im Wesentlichen ein Menschenrechtsproblem und für einen
Christen ein moralisches Anliegen. Wir müssen uns fragen: Warum sollten die Armen in unserem
Land, die sich nicht äußern können zu einer Ansammlung von Schulden und wenig oder gar
keinen Nutzen daraus gezogen haben, die Hauptlast ihrer Bezahlung zu tragen haben? Kenias
riesiger Schuldenberg ist nach unserer Ansicht nicht vertretbar, insofern als das Land nicht
genügend Mittel hat, um seinen Menschenrechtsverpflichtungen nachzukommen, besonders in
Zusammenhang mit den Millenniumszielen für die Entwicklung. Wir weisen das engstirnige
Kriterium zurück, das in der Analyse des Internationalen Währungsfonds zur
Schuldentragfähigkeit gebraucht wird. Dieser Ansatz vergleicht nur die Auslandsschulden mit
dem Export und scheint keine Inlandsschulden als Teil des finanziellen Dilemmas eines Landes
einzuschließen. Doch Kenias Inlandsverschuldung ist beträchtlich. Sie macht 45 Prozent der
gesamten noch ausstehenden Schulden des Landes aus und ist mit den Auslandsschulden
verknüpft: Wir interpretieren das als den Versuch unserer Regierung, das Defizit in ihrer
Zahlungsbilanz zu verbergen, das vom Auslandsschuldendienst verursacht wird (7).
Eine schlechte Verwaltung der Ressourcen und besonders jener, die mit der Staatsverschuldung
zusammenhängen, ging einher mit einer chronischen Korruption in unserem Land (8). 1999
analysierten wir, was wir dann „das Paradox unseres nicht erfüllten wirtschaftlichen Potentials“
nannten (Hirtenbrief der Bischöfe „Die wirtschaftliche Situation Kenias“ vom 8. Juni 1999) (9).
Wir fordern unsere Regierungen weiterhin beharrlich auf, demokratische Strukturen und gerechte
politische Grundsätze zu schaffen, um sich mit Hunger, Löhnen, Arbeitsbedingungen,
Ausbeutung, Konflikten und Unsicherheit auseinander zu setzen. Wir erinnern unsere politischen
Führer insbesondere daran, dass die Verweigerung einer neuen Verfassung für die Kenianer
indirekt darauf hinausläuft, ihren Mitbürgern ihr Recht auf Leben vorzuenthalten. Soweit Kenias
Verschuldung betroffen ist, könnten schätzungsweise 90 Prozent aller Posten, die in den
Absicherungsbeständen der Staatsverschuldung illegitim, verabscheuungswürdig und betrügerisch
11
sein (Obonyo, R.O., 2005, The Cripping Debt Burden, Research on Kenya’s Current Debt
Situation, Paper von Prof. Obonyo, Universität Nairobi, an das Kenianische SchuldenhilfeNetzwerk KENDREN, unveröffentlicht. Wenn sie verabscheuungswürdig sind, dann ist ein Land
nach internationalem Recht nicht verpflichtet, die Schulden zu bezahlen). Wenn das zutrifft, dann
ist Kenia nach internationalem Recht nicht verpflichtet, diese Art von Schulden zu bezahlen.
Gleichzeitig weisen wir die Meinung zurück, dass die schlechte Wirtschaft einzig und allein das
Ergebnis einer schlechten Regierungsführung und des „rent-seeking“ (10 ) ist. Auch wenn alle
Kenianer fleißige Menschen wären und friedlich zusammenleben und von rechtschaffenen
Führern regiert würden, wären sie immer noch arm aufgrund der Zahlungen für den
Schuldendienst. Wir glauben Herrn David Mwiraria, dem Finanzminister, als er in seiner
Haushaltsrede 2003/2004 erklärte, dass der Schuldendienst weiterhin wesentliche Ausgaben aus
dem Budget herausquetschte. Der Schuldendienst war Kenias einziger und größter Posten im
Haushalt 2003/2004, der sich auf 32 Prozent des Gesamthaushalts belief - mehr als das Land für
Bildung und Gesundheit zusammen ausgibt (11). Diese Art von Verschuldung ist eine Sache
austeilender oder ausgleichender Gerechtigkeit (12): Ein rechtlich durchsetzbarer Vertrag ist nicht
unbedingt ein moralisch gerechtfertigter. Um gerechtfertigt zu sein, muss eine Vereinbarung auch
sozialen Zusammenhalt, eine friedliche Koexistenz zwischen Nationen und ihre allgemeine
Entwicklung sicherstellen (vgl. Päpstlicher Rat „Cor Unum“, 1999, Welthunger, eine
Herausforderung an alle: Entwicklung und Solidarität, Nr. 26). Während Sparmaßnahmen, die auf
den Schuldendienst ausgerichtet sind, unseren Armen die schwersten menschlichen Kosten
aufbürdeten, und es nicht schafften, Kenia in ein Paradies zu verwandeln, haben Banken in
Hochlohnländern ihre ausstehenden Darlehen für die Dritte Welt einbrechen sehen. Der
Internationale Währungsfonds leistete ihnen gute Dienste. Diese Banken haben zudem
ausreichende Maßnahmen ergriffen, um Verluste aufzufangen, die vielleicht von der Säumigkeit
eines einzelnen Großschuldners herrühren. Hier sagen wir, dass die Last der Schuldenkrise von
allen geteilt werden muss. Handelsbanken, obwohl sie nicht Kenias Hauptgläubiger sind, darf
man nicht länger erlauben, ihre Verluste auf die Steuerzahler in Kenia abzuwälzen.
Es ist bereits sichtbarer Schaden angerichtet worden. Zusammen mit allen Bischöfen Afrikas und
Madagaskars sehen wir einen klaren Zusammenhang zwischen der Pandemie HIV/Aids und der
Armut (Symposium der Bischofskonferenz von Afrika und Madagaskar/SECAM, 2003, Die
12
Kirche in Afrika angesichts der Pandemie HIV/Aids. „Unser Gebet ist stets voller Hoffnung“,
Botschaft des SECAM, 7. Oktober 2003, Dakar) (13). Es ist auch kein Zufall, wenn der Heilige
Vater am Weltfriedenstag über die Verschuldung Afrikas spricht. Selbstverständlich muss dieser
Teufelskreis von Verschuldung, Armut, Krankheit und Konflikten in Afrika durchbrochen
werden. Wir begrüßen die Bereitschaft der Internationalen Finanzinstitutionen und einiger G 8Länder, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Afrika die Schulden, die das internationale
Gemeinwohl untergraben, zu erlassen. Andererseits erkennen wir, dass ein Schuldenerlass an sich
nicht die historischen/faktoriellen/strukturellen Ungleichheiten zwischen den Nationen der Welt
verändern wird. Das Ergebnis eines sportlichen Wettkampfs zwischen einem Weltmeister und
einem Anfänger ist vorhersagbar, auch wenn die Spielregeln fair sind und gleichermaßen
eingehalten werden. Der Misserfolg, eine internationale soziale Gerechtigkeit zuwege zu bringen,
ist nicht nur ein technischer oder politischer Fehler, es ist ein Versagen der Solidarität (vgl.
Johannes Paul II., Sollicitudo Rei Socialis, Washington, D.C.: Katholische Konferenz der
Vereinigten Staaten, 1986, Nr. 23). Darüber hinaus sollten Mechanismen geschaffen werden, um
die Ausgaben unserer Führung zu kontrollieren und Verantwortlichkeit und Transparenz zu
fördern. Wir werden uns auch um eine klare Vorstellung von der Entwicklung in unserem Land
bemühen müssen.
Was wir uns wünschen
Wir erwarten, dass die Regierungen der Gläubigerländer den völligen Erlass von Kenias Schulden
durchführen, eine restriktive Geldpolitik lockern und Importe aus den Entwicklungsländern
fördern; bei der Verfolgung makroökonomischer Strategien sollten sie daran denken, dass die
Fähigkeit, Schulden zurückzuzahlen und privates Investitionskapital anzulocken, vom Niveau
globaler und inländischer Zinssätze mitbestimmt wird.
Wir erinnern die Industrieländer an ihr Versprechen, 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für
die offizielle Entwicklungshilfe auszugeben.
Wir erwarten, dass die internationalen Finanzinstitutionen für eine ausreichende Liquidität und für
politische Flexibilität sorgen, damit Kenia die notwendigen Anpassungen durchführen kann, ohne
weiterhin Wachstum und Gerechtigkeit zu opfern.
13
Wir erwarten, dass die Handelsbanken in den Hochlohnländern nach Prinzipien handeln, die die
fundamentalen Menschenrechte in den am geringsten entwickelten Ländern schützen.
Wir erwarten, dass nationale und internationale Banken die Armen begünstigen und bei ihren
Geschäftsabschlüssen für die Entwicklung eintreten und nicht nur gewinnorientiert arbeiten.
Wir ermutigen die Regierung von Kenia, mit interessierten Gruppen gemeinsam auf den Erlass
ihrer Auslandsschulden hinzuarbeiten.
Wir erwarten von der Regierung eine gute Führung und dass sie sich darum bemüht, dem
Ansehen unserer Nation in der Welt Transparenz, Verantwortlichkeit und echte Sorge für die
Armen zugrunde zu legen; ein „Mangel an Leistungsfähigkeit“ darf keine Ausrede für die
Regierung sein, andere das Schicksal unserer Nation bestimmen zu lassen.
Wir bitten die Regierung zu tun, was immer möglich ist, um die Inlandsverschuldung drastisch zu
senken. Wir fordern das Volk von Kenia auf, für eine ordentliche Kontrolle zu sorgen und eine
transparente Verwendung von Entwicklungsgeldern zu erleichtern.
Wir fordern, dass all jene Menschen, vor allem die Bürger von Kenia, die einige Regierungsgelder
abgezogen haben und sie nun auf privaten Konten im Ausland versteckt halten, diese
zurückzahlen und sich bei der Nation entschuldigen.
Wir bitten alle Menschen guten Willens, mitzuhelfen bei der Neuordnung des gesamten
internationalen Handels- und Finanzsystems. Wir bitten sie vor allem, bei der Schaffung eines
fairen und transparenten Rahmens für Schlichtungsverfahren mitzuhelfen.
Wenn wir alles Menschenmögliche getan haben, müssen wir uns vertrauensvoll an unseren Herrn
und Erlöser wenden und ihn bitten, dass er Kenia und seine Menschen segne.
Unterzeichnet von allen katholischen Bischöfen Kenias
14
Cornelius Arap Korir
Bischof von Eldoret, Vorsitzender der Kenianischen Bischofskonferenz
Peter Kairo
Bischof von Nakuru, Zweiter Vorsitzender der Kenianischen Bischofskonferenz
R.S Ndingi Mwana’a Nzeki
Erzbischof von Nairobi
John Njenga
Erzbischof von Mombasa
Zacchaes Okoth
Erzbischof von Kisumu
Nicodemus Kirima
Erzbischof von Nyeri
John Njue
Erzbischofs-Koadjutor von Nyeri
Philip Sulumeti
Bischof von Kakamega
Ambrose Ravasi
Bischof von Marsabit
Paul Darmanin
Bischof von Garissa
Joseph Mairura Okemw
Bischof von Kisii
Boniface Lele
Bischof von Kitui
Philip Anyolo
Bischof von Homa Bay
Luigi Locati (14)
Bischof des Vikariats Isiolo
Alfred Rotich
Militärbischof
Maurice Crowley
Bischof von Kitale
15
Norman King'oo Wambua
Bischof von Bungoma
Peter Kihara Kariuki IMC
Bischof von Murang'a
David Kamau Ng'ang'a
Weihbischof von Nairobi
Anthony Mukobo IMC
Weihbischof von Nairobi
Patrick Harrington
Bischof von Lodwar
Francis Baldacchin
Bischof von Malindi
Virgilio Pante IMC
Bischof von Maralal
Salesius Mugambi
Bischof von Meru
Cornelius Schilder
Bischof von Ngong
Luigi Paiaro
Bischof von Nyahururu
Emmanuel Okombo
Bischof von Kericho
Martin Kivuva Musonde
Bischof von Machakos
Anthony Muheria
Bischof von Embu
17. Mai 2005
Quelle: CISA Nr.429 vom 17.05.05
Übersetzung aus dem Englischen
Anmerkungen der Redaktion:
16
(1) Die Staats- und Regierungschefs des G-8-Gipfels trafen sich von 06. bis 08.07.2005 im
Golfhotel Gleneagles 70 Kilometer von der schottischen Hauptstadt Edinburgh entfernt.
(2) 14.-16.06.2005; UNO-Konferenz zur Weiterverfolgung der Ergebnisse des MillenniumsGipfels (06.-08.09.2000).
(3) Die Auslandsverschuldung Kenias beträgt 6,03 Milliarden US-Dolllar (Stand 2002). Das
entspricht der Hälfte des Bruttoinlandsprodukts (BDI), das bei 12,3 Milliarden US-Dollar liegt.
Um das Gesamtbild der Schuldenlast zu haben, müssen auch inländische Bankenkredite
berücksichtigt werden, die 43,2 Prozent des BDI betragen. Dieser Anteil entspricht etwa dem
Betrag von 5,3 Milliarden US-Dollar. Zusammengerechnet liegt die Gesamtverschuldung Kenias
bei 93 Prozent des Bruttoinlandprodukts.
(4) Der Schuldendienst Kenias beansprucht 3,7 Prozent des BIP.
(5) Die reichsten 30 Prozent der Bevölkerung verbrauchen 87 Prozent der Konsumgüter,
während der Anteil am Konsumgüterverbrauch der ärmsten 30 Prozent der Bevölkerung bei 7
Prozent liegt.
(6) Nach Angaben der Weltbank leben in Kenia 23 Prozent der Bevölkerung unter der
Armutsgrenze von 1 US-Dollar pro Tag. 58,6 Prozent der Bevölkerung müssen mit weniger als 2
U-Dollar pro Tag auskommen.
(7) s. (3)
(8) Kenia gehört zu den Ländern mit den höchsten Staatsausgaben, die bei 19 Prozent des BIP
liegen und zum großen Teil durch den verbürokratisierten und korrupten Staatsapparat verursacht
werden.
(9) S. WELTKIRCHE Nr. 6 (1999), S.173-181.
(10) In der Volkswirtschaftslehre wird nach Adam Smith unter „rent-seeking“ das Erkämpfen
von Monopolstellungen unter Verwendung von Ressourcen, welche dazu aus gesellschaftlicher
Sicht verschwendet werden, verstanden (Quelle: wikipedia). Es handelt sich dabei um ein
individuelle ökonomische Vorteile versprechendes Handeln, dessen Kosten aber die
Allgemeinheit trägt.
(11) Für den Bildungs- und Gesundheitssektor gibt die Regierung entsprechend 6,2 bzw. 1,7
Prozent des BIP aus.
(12) Aristotelische Unterscheidung zwischen distributiver Gerechtigkeit und kommutativer
Gerechtigkeit. Distributive Gerechtigkeit (Austeilende Gerechtigkeit): Gerechtigkeit nach dem
Prinzip „Jedem das Seine“: Sie bedeutet verhältnismäßige Gleichheit in der Behandlung mehrerer
Personen bei der Zuteilung sozialer Vorteile und Ehren. In der Antike implizierte das eine stark
naturalisierende Sichtweise, die soziale Stellung und individuelle Eigenschaften als naturgegeben
deutete (z.B. Sklaven müssen von der Natur aus dienen, sie dienen, weil sie nicht herrschen
können, weil ihre intellektuellen Fähigkeiten beschränkt sind, während reiche Bürger, gerade weil
sie nicht arbeiten müssen, herrschen können und die vollen menschlichen Fähigkeiten ausbilden
17
können usw.). In der Moderne wird distributive
Gerechtigkeit meist umgekehrt gedeutet, als
redistributive Gerechtigkeit, als Auftrag zur
Umverteilung. Progressive, prozentuale
Beitragssysteme (Steuer gleichermaßen wie
Sozialversicherungsbeiträge) können unter diesem
Licht gesehen werden: Jede(r) gibt, was er/sie
geben kann und prozentual berechnete Beiträge
sind gerechter als fixe Beitragsätze, die für alle
gleich sind. Kommutative Gerechtigkeit
(Iustititia directiva): Sie ist die Gerechtigkeit
unter von Natur Ungleichen, aber vordemGesetz
Gleichen. Sie bezieht sich auf rechtliche
Ansprüche, z.B. innerhalb eines
Vertragsverhältnisses oder dem Gesetz nach und
drückt sich als Strafe, Wiedergutmachung,
Entschädigung usw. aus.
(13) s. WELTKIRCHE Nr. 9 (2003), S.207-210
(14) Bischof Luigi Locati ist am 14.07.2005 in Folge eines Mordanschlags gestorben.
Afrika wird durch Aids nicht untergehen
Im Anschluss an die Vollversammlung der Vereinigung Ostafrikanischer Bischofskonferenzen
AMECEA, die sich mit der bedrohlichen Ausbreitung von Aids befasste, veröffentlichten die
Bischöfe eine optimistische Botschaft über die Antwort der Kirche auf die Herausforderungen der
Pandemie. Darin rufen sie kirchliche und staatliche Einrichtungen zur Intensivierung,
Differenzierung und Vernetzung ihrer Anstrengungen auf.
Basierend auf dem Prinzip der Barmherzigkeit sind kirchliche Einrichtungen und Initiativen in der
Lage, beide Wege der Bekämpfung von Aids-Pandemie erfolgreich zu beschreiten: den Weg der
Fürsorge und den der Vorsorge. Im Bewusstsein der Kontroverse, die die Benutzung von
Kondomen als Methode der Prophylaxe ausgelöst hat, lehnen die Bischöfe „eine weltliche
Mentalität, die gern alle Arten von Problemen lösen möchte“ ab. Eine einfache Lösung für eine so
komplexe Erkrankung gibt es nicht. Den besten Schutz für nicht infizierte Menschen bieten
immer noch sexuelle Abstinenz und Treue.
In den acht ostafrikanischen Ländern, Mitgliedern von AMECEA, leben 38,1 Millionen
Katholiken. Das ist etwas mehr als ein Viertel (26,5 Prozent) aller Katholiken Afrikas. Die Zahl
der Einwohner, die bei 223,5 Millionen liegt, macht 26,3 Prozent der Einwohner Afrikas aus. Die
Zahl der in der Region lebenden Aids-Infizierten wird auf 7,11 Millionen geschätzt und liegt
damit bei 28 Prozent der Menschen mit Aids in Afrika südlich der Sahara.
* * *
18
Aufgerufen, ein barmherziger Samariter zu sein (vgl. Lk 10,30-37)
Antwort auf die Herausforderung von HIV/Aids in AMECEA-Ländern
Botschaft der 15. AMECEA-Vollversammlung (Mukono, Lugazi, 01.-11.06.05)
1. Einleitung
„An alle, die von Gott geliebt sind“ in den AMECEA-Ländern (Eritrea, Äthiopien, Malawi,
Kenia, Tansania, Sudan, Uganda, Sambia und die angeschlossenen Mitglieder Somalia und
Dschibuti), „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus
Christus“ (Röm 1,7-8).
Wir, die katholischen Bischöfe der AMECEA, haben im Hinblick auf die pastoralen
Herausforderungen von HIV und Aids in unserer Region zugehört, Neues erfahren, nachgedacht
und gebetet und teilen nun durch diese Botschaft unsere Sorgen und Gedanken mit euch. Wir
fordern die Priester, die Ordensleute, die gläubigen Laien, Regierungen und
Nichtregierungsorganisationen in Afrika und darüber hinaus sowie alle Menschen guten Willens
auf, sich zusammenzutun und sich Seite an Seite mit uns darum zu bemühen, die Seuche zu
stoppen, die die Völker unserer Regionen verheert. Wir bitten jeden Christen und jeden Menschen
guten Willens, sich an diesem Kampf zu beteiligen und der Aufforderung Christi zu folgen, für
jeden, der in Not ist, leidet oder Kummer hat, ein barmherziger Samariter zu sein, besonders für
jene, die mit HIV/Aids leben.
2. Würdigung
Nach unseren Besuchen bei vielen Institutionen und Gemeinschaften, die sich in Uganda und in
unseren jeweiligen Ländern mit HIV/Aids beschäftigen, und nachdem wir uns mit ihnen
ausgetauscht haben, würdigen wir die beeindruckenden Bemühungen von Bischofskonferenzen,
Diözesen, Pfarreien, Orden und Gläubigen, die großzügig, oft unter schwierigen Umständen, auf
die Herausforderung von HIV/Aids reagiert haben.
Mit den Worten des verstorbenen Papstes Johannes Pauls II. erinnern wir „voll Bewunderung an
die vielen im Gesundheitswesen tätigen Personen, die Ordensleute und die freiwilligen Helfer, die
als gute Samariter das Leben an der Seite der Opfer von Aids verbringen und sich um deren
Angehörige kümmern. Wertvoll ist in diesem Zusammenhang der Dienst, den Tausende
katholischer Gesundheitseinrichtungen leisten, wenn sie in Afrika den Menschen zu helfen
versuchen, die von allen möglichen Krankheiten, besonders von Aids, Malaria und Tuberkulose,
befallen sind. (Botschaft von Johannes Paul II. zum 13. Welttag der Kranken, 2005, Nr. 4).
•
Wir würdigen auch die großen Anstrengungen von Regierungen und anderen Institutionen,
die sowohl zu Abstinenz und Treue als auch zur Betreuung von Menschen anregen, die mit
HIV/Aids leben, und dabei ermutigende Ergebnisse aufzuweisen haben.
•
Ganz besonders würdigen wir die vielen Familien und Gemeinschaften, die eine
ganzheitliche Versorgung ihrer kranken Mitglieder leisten und die das noch mit so viel Liebe und
unter großen Opfern tun. Wir danken auch den Familien, die sich um Waisen, verwitwete Frauen
19
und Männer kümmern, und zwar auf eine von Herzen kommende und wahrhaft christliche Weise.
Wir ermutigen alle Familien und Gemeinschaften, diesen guten Beispielen nachzueifern. „Ich war
krank, und ihr habt mich besucht“ (Mt 25,36).
•
Wir loben die Bemühungen aller ärztlichen Mitarbeiter in der Region, die Menschen mit
HIV/Aids behandeln und pflegen, und aller Berater, die den Kranken Hoffnung geben ebenso wie
jener, die sowohl in der modernen als auch in der traditionellen Medizin forschen, die bei der
Suche nach einem Heilmittel ihr Bestes geben.
•
Wir würdigen die Mitarbeit vieler pflichtbewusster Eltern, Lehrer und religiöser Führer,
denen es ein Anliegen ist, Kinder, Jugendliche und Gemeinschaften zu gutem moralischen
Verhalten anzuhalten, das in hohem Maße dazu beiträgt, der Ausbreitung von HIV/Aids
vorzubeugen.
3. Realität und Sorgen
Wir sind höchst beunruhigt über das Ausmaß der Pandemie HIV/Aids, deren Ursprung, Ursachen,
Ausbreitung und Konsequenzen. Wir sind uns klar geworden über die vielen Faktoren, die die
Ausbreitung von HIV/Aids in ganz Afrika verstärkt haben. Zu diesen gehören: bittere Armut,
Habgier und Korruption, Ignoranz und Analphabetismus, hohe Arbeitslosigkeit, Krieg,
Flüchtlinge und landesintern Vertriebene, geschlechtsspezifisches Ungleichgewicht, Unmoral,
Missachtung der Rechte von Kindern und negative traditionelle, kulturelle Gewohnheiten. Alle
diese Faktoren haben die Ausbreitung von HIV/Aids verstärkt und damit zu Vorurteil,
Diskriminierung und Stigmatisierung geführt.
Die Konsequenzen sind weit reichend und sichtbar in städtischen Gebieten und auf dem Land;
man sieht das an unsäglichem Leid, sich verstärkendem Elend, vielen Todesfällen, die zu
zahllosen Waisen, verwitweten Frauen und Männern geführt haben. Wir fordern das Volk Gottes
auf, den Auftrag Christi zu übernehmen, das Leben umfassend zu schützen. „Ich bin gekommen,
damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10).
4. Ganzheitliche Betreuung
Die Kirche in ihrer Evangelisierungsaufgabe ist aufgerufen worden, den Forderungen des
Evangeliums zu folgen und den Menschen, die mit HIV/Aids leben, pastorale Fürsorge
anzubieten. Doch wir sehen, wie notwendig im Kontext des ungeheuren Leidens unserer
Menschen eine ganzheitliche Betreuung ist. Eine ganzheitliche Betreuung bezeichnet eine
vollständige und integrierte Antwort auf die Bedürfnisse eines Menschen, die spiritueller,
physischer, psychischer, sozialer und materieller Art sind. Diese Betreuung muss man sowohl den
Kranken in unseren Gemeinschaften als auch denen in Krankenhäusern angedeihen lassen,
einschließlich der Mitarbeiter in der Pastoral, die mit HIV/Aids leben.
5. Solidarität mit Menschen, die mit HIV/Aids leben
Wir bitten alle Christen und Menschen guten Willens, die volle Würde und gleichen Rechte für
alle Menschen, die mit HIV/Aids leben, zu respektieren. Wir fordern die Regierungen beim
Umgang mit Menschen, die von HIV/Aids betroffen sind, dazu auf, auch eine AkzeptanzKampagne durchzuführen und Strategien zur Stärkung und Befähigung zu finden. Wir bitten die
20
katholischen Gläubigen, im Hinblick auf die Achtung der Menschenrechte von Menschen, die mit
HIV/Aids leben, als nachahmenswerte Vorbilder zu dienen und ihnen eine besondere Fürsorge
angedeihen zu lassen.
Wie Christus selbst sich mit den Leidenden identifizierte, sind nun wir Christen aufgerufen,
angesichts dieser großen Bedrohung von HIV/Aids uns mit den Schwachen und Leidenden zu
identifizieren. Liebevolle und fürsorgliche Solidarität wird alle Formen der Stigmatisierung
beseitigen (vgl. Lk 17,11-19).
In Anbetracht der Tatsache, dass
ein Mensch nach dem Bild und
Gleichnis Gottes geschaffen wurde
(vgl. Gen 1,27), haben alle
Menschen eine Würde, die durch
Leiden oder Krankheit nicht
geschmälert wird. Deshalb müssen
alle Aspekte der Gerechtigkeit soziale, kulturelle, politische,
gesetzliche oder wirtschaftliche ohne Diskriminierung auch für all
jene Menschen gelten, die von
HIV/Aids betroffen oder damit
infiziert sind.
6. Die Medien
Wir erkennen und anerkennen, dass staatliche und private Medienunternehmen wichtige Partner
im Kampf gegen HIV/Aids sind. Die Kirche, die Regierung und private Medien sollten wohl
überlegte Schritte unternehmen, um die Medien in diesem Kampf kreativ einzusetzen. Wir rufen
katholische Rundfunkanstalten und Medienunternehmen auf, innovative Wege zu suchen, um die
Menschen im Hinblick auf HIV/Aids zu informieren und zu sensibilisieren, um Beratung und gute
Familienwerte zu fördern und um ein positives Verständnis für menschliche Sexualität und
Keuschheit zu verstärken.
7. Nahrungsmittel und Früchte
Gott, der Schöpfer, hat unserer AMECEA-Region reichlich gesunde und natürliche
Nahrungsmittel und Früchte geschenkt. Wir rufen unsere Regierungen in der Region auf, eine
nachhaltige Landwirtschaft zu fördern, um einheimisches Saatgut, den Boden und die Umwelt zu
entwickeln, zu schützen und zu erhalten.
Als eine Region, die stark von HIV/Aids betroffen und heimgesucht ist, wiederholen wir unsere
Verpflichtung, die Versorgung mit gesunden und natürlichen Nahrungsmitteln und Früchten zu
einer Priorität für alle unsere Menschen zu machen, besonders für jene, die mit HIV/Aids leben.
Wir verurteilen die Förderung genetisch veränderter Nahrungsmittel und fordern unsere
Regierungen auf, eine Politik zu verfolgen, die unsere natürlichen Nahrungsmittel und die
Umwelt schützt.
21
8. Ehepaare mit besonderen Problemen
Als Oberhirten der katholischen Kirche in der AMECEA-Region haben wir den Rufen unserer
Menschen, die mit HIV/Aids leben, aufmerksam zugehört, und sie haben viele Fragen. Aber wir
wollen ehrlich sein, es gibt keine einfachen Antworten und nicht, weil wir sie nicht geben wollen,
sondern weil sie einfach nicht da sind. Wir wollen nicht in die Falle tappen, uns schuldig oder
herabgesetzt oder herausgefordert zu fühlen von einer weltlichen Mentalität, die gern alle Arten
von Problemen lösen möchte. Wenn wir mit einer Situation wie dieser konfrontiert sind, dann
wollen wir uns an Christus wenden und ihn nachahmen, indem wir Menschen helfen, einen Sinn
für ihr Leiden zu finden. Die Menschen selbst werden dann lernen, aufzustehen und uns alle zu
lehren, was es bedeutet, „geheilt zu werden“. Wir versprechen, unsere Anstrengungen in der
Eheberatung zu verdoppeln. Wir bitten alle Mitarbeiter in der Pastoral, den Ehepaaren, die
besondere Probleme haben, nahe zu sein. „Einer trage des anderen Last; so werdet ihr das Gesetz
Christi erfüllen“ (Gal 6,2).
9. Integrierte Sexualität
Die Sexualität ist ein kostbares Geschenk von Gott, unserem Schöpfer, an jeden Mann und jede
Frau. Wir sind deshalb aufgerufen, sie entsprechend dem Gebot Gottes und der Lehre der Kirche
zu ehren, zu achten und zu leben.
•
Wir appellieren an Eltern, Lehrer und Mitarbeiter in der Pastoral, alles in ihrer Macht und
Fähigkeit Stehende zu tun, um Kinder, Jugendliche und Personen, die sich auf die Ehe
vorbereiten, über ihre menschliche Sexualität zu unterrichten, damit sie gesunde Werte und
Tugenden erwerben, um die Keuschheit hochzuhalten und jeglichen vorehelichen
Geschlechtsverkehr zu meiden.
•
Wir fordern alle Pastoralarbeiter auf, Ehepaare zu begleiten, damit sie gläubig ihre
eheliche Berufung leben können.
•
Wir verurteilen alle negativen und unmoralischen sexuellen Gepflogenheiten in unserer
Region.
10. Anwaltschaft
Als Kirchenführer sind wir verpflichtet, noch vor unseren Regierungen, allen
Gesellschaftsbereichen und der internationalen Gemeinschaft eine wirksame Kampagne der
Anwaltschaft für infizierte und von HIV/Aids betroffene Personen durchzuführen, damit
Strategien für eine Akzeptanz (affirmative action) aufgestellt und stärkere finanzielle Hilfe und
Unterstützung gewährt werden.
11. Nachhaltigkeit von HIV/Aids-Programmen
Angesichts der Herausforderungen der Pandemie HIV/Aids, besonders wegen der Bedürfnisse
unserer Menschen, die mit dieser schrecklichen Krankheit leben und jener, die von ihren
Auswirkungen betroffen sind, anerkennen und würdigen wir, was die örtlichen Gemeinschaften
geleistet haben, indem sie bei der Begleitung der Kranken und bei der Betreuung der verwitweten
Frauen und Männer und der Waisen in ihrer Mitte (vgl. Mt 25,31-46) für materielle Ressourcen
22
und für ein christliches Zeugnis gesorgt haben. Wir sind davon überzeugt, dass dies der Weg ist
zu einer langfristigen und nachhaltigen Antwort auf die Pandemie HIV/Aids. So werden wir zu
barmherzigen Samaritern werden (vgl. Lk 10,30-37).
Wir sind uns aber dessen bewusst, dass die Kirche in der AMECEA-Region zusätzliche
menschliche und finanzielle Ressourcen braucht, um eine umfassende, koordinierte und effektive
Antwort auf die Pandemie HIV/Aids unterstützen zu können. Wir drängen die angegliederten
Bischofskonferenzen, die strategische Zusammenarbeit mit Regierungen und internationalen
Finanzierungsorganisationen zu intensivieren. AMECEA ihrerseits wird Bemühungen durch
Lobbyarbeit und Anwaltschaft unterstützen.
12. Ökumenischer und interreligiöser Ansatz
Wir sind uns darüber klar, dass wir für eine Auseinandersetzung mit den vielen Aspekten von
HIV/Aids uns mit unseren ökumenischen Partnern und den interreligiösen Organisationen und
Gemeinschaften, die ähnliche Ziele und Programme zu HIV/Aids haben, zu einem Netzwerk
zusammenschließen müssen. Unsere Programme sollten gemeinsam durchgeführt werden, um
jenen, die mit HIV/Aids leben, effektiver helfen zu können. Diese Netzwerkarbeit wird uns
helfen, eine unnütze Doppelung von Bemühungen zu vermeiden und die erforderlichen
menschlichen Ressourcen intensiver zu mobilisieren, um eine wirksamere Antwort auf die
HIV/Aids-Pandemie geben zu können.
13. Neue Grundsätze in unserer Kirche
Wir verpflichten uns, in unserer Evangelisierung neue Grundsätze zu formulieren, damit die
Herausforderung, die HIV/Aids darstellt, bei allen Aktivitäten in den Mittelpunkt gestellt wird
und die größte Aufmerksamkeit erhält, um so den ganzheitlichen Ansatz zu stärken.
•
Wir bitten deshalb alle unsere höheren Schulen, Bildungshäuser und Seminare der
AMECEA, das Problem HIV/Aids in ihren Studienprogrammen gründlich zu behandeln. Einige
von ihnen sollten als Beratungsstellen für die bewusstseinsbildenden Programme zu HIV/Aids in
unserer Region ausgerüstet werden.
•
Wir beauftragen alle unsere Abteilung und Kommissionen auf der Ebene der
Bischofskonferenz, die Herausforderung von HIV/Aids in ihre Programme und in ihre Arbeit zu
integrieren.
•
Wir verpflichten uns, von der Diözesanebene bis hinunter zu den Kleinen Christlichen
Gemeinschaften, dasselbe zu tun.
•
Wir übernehmen vollständig den Aktionsplan des Symposiums der Bischofskonferenzen
von Afrika und Madagaskar (SECAM) für unsere AMECEA-Region bei der Antwort auf die
HIV/Aids-Herausforderung (vgl. SECAM, Die Kirche in Afrika angesichts der Aids-Pandemie,
2003, Nr. IV) (1).
14. Globalisierung
23
Wenngleich wir zugeben, dass die Globalisierung positive Elemente aufweist wie z.B. die
Ermöglichung leichter und schnellerer Kommunikation, die zu stärkerer Solidarität zwischen
Völkern und Nationen führen kann, sind wir doch außerordentlich besorgt über ihre negativen
Auswirkungen.
•
Wir sind besonders entsetzt über die Verheerung, die ein ungebremster Kapitalismus
anrichtet, der den Aufbau von wirtschaftlichen Initiativen auf lokaler Ebene erstickt, und so zu
einer gefährlichen Kluft zwischen den wenigen Reichen und der armen Mehrheit führt.
•
Wir sind tief erschrocken über die Förderung von Pornographie in allen Formen und durch
alle Arten von Medien, was Kinder und Jugendliche verdirbt und zur weiteren Verbreitung von
HIV/Aids beiträgt.
•
Wir bedauern außerdem die Liberalisierung und Kommerzialisierung von „Sex für alle“,
was im Widerspruch steht zu menschlichen und religiösen Werten im Hinblick auf Sex und
Sexualität und beiträgt zur Förderung unchristlicher sexueller Neigungen und zur Zerstörung der
Institution Familie, wie wir sie seit Urzeiten kennen.
15. Schuldenerlass und effektive Entwicklungshilfe
Um eine globale und menschliche Solidarität zu fördern, appellieren wir an die reichen Nationen
der Welt, den ärmsten Ländern unverzüglich die Schulden zu erlassen. Das wird die so sehr
benötigten Ressourcen für ganzheitliche menschliche Entwicklung freisetzen und wird langfristig
den Kampf gegen HIV/Aids stärken. Wir würdigen die Bemühungen der Tony Blair-Kommission
für Afrika und hoffen aufrichtig, dass ihren guten Absichten gute Taten entsprechen werden.
16.
Weitere wichtige Herausforderungen
a.
Friede im Südsudan. Wir danken Gott dafür, dass die 21 Jahre Krieg im Sudan durch ein
umfassendes Friedensabkommen (2) endlich vorüber sind. Wir danken all denen, die dazu
beigetragen haben, besonders der Zwischenstaatlichen Entwicklungsbehörde (IGAD), den
Führern und dem Volk von Kenia und vielen anderen Menschen, die in diesem langen
Friedensprozess eine wesentliche Rolle gespielt haben. Der neue Sudan ist nun herausgefordert,
den auf dem Papier niedergeschriebenen Frieden in einen konkreten Frieden, in Versöhnung und
in einen Frieden von Herz und Tat zu verwandeln. Wir rufen die Afrikanische Union, alle Führer
und Völker Afrikas und alle Länder der Welt auf, zu den dringenden Bedürfnissen, zur
Rehabilitation und zur umfassenden Entwicklung des Südsudan einen großzügigen Beitrag zu
leisten. Wir verpflichten uns, eine aktive Rolle der Anwaltschaft und Hilfe beim Aufbau des
Friedens im neuen Sudan zu übernehmen.
b.
Der Konflikt in Darfur. Wir sind betrübt über den fortdauernden Konflikt in Darfur
(Sudan). In den über zwei Kriegsjahren sind mehr als 300 000 Menschen umgekommen. Mehr als
200 000 Menschen sind in den Tschad geflüchtet und viele andere sind aus ihren Häusern
vertrieben worden. Wir bedauern das Leid der Menschen in dieser Region. Wir treten
nachdrücklich ein für eine friedliche Lösung dieses Konflikts durch die aktive Beteiligung der
Afrikanischen Union, der Vereinten Nationen und anderer internationaler Gremien. Wir drängen
auch darauf, dass der Weg zu einer Lösung in Darfur getrennt von dem Friedensabkommen für
24
den Südsudan behandelt wird, und vor allem sollte dies die Notwendigkeit humanitärer Hilfe und
Entwicklung für den Südsudan weder überschatten noch blockieren.
c.
Norduganda. Noch einmal fordern wir die Regierung und das Volk von Uganda auf, den
bewaffneten Konflikt in Norduganda mit friedlichen Mitteln beizulegen, damit die leidenden
Menschen in den Vertriebenenlagern in ihre Heimatsorte zurückkehren können. Wir fordern die
Rebellen der Lord’s Resistance Army (LRA) auf, den Schrei ihres Volkes zu beachten, und einen
Dialog mit der Regierung und ihrem Friedensteam zu akzeptieren, um diesen lang anhaltenden
Konflikt zu beenden.
d.
Eritrea/Äthiopien. Wir fordern die Regierungen von Eritrea und Äthiopien auf, den
Grenzkonflikt dringend auf friedliche Weise zu lösen. Wir appellieren nachdrücklich an die
internationale Gemeinschaft zu tun, was immer möglich ist, damit die beiden Länder ihre
gutnachbarlichen, grenzüberschreitenden Beziehungen wieder aufnehmen.
17. Afrika wird überleben!
Als AMECEA-Bischöfe sind wir sehr optimistisch, dass Afrika überleben wird. Wir teilen
unseren Optimismus mit allen unseren Mitbürgen in der AMECEA-Region, dass Afrika überleben
wird. Wir werden leben und die künftigen Generationen werden ebenfalls leben. Die Pandemie
HIV/Aids wird bekämpft werden. Dieser starke Optimismus kommt aus unserem christlichen
Glauben (vgl. Röm 8,35). Gott liebt Afrika und seine Menschen. Die Menschen in Afrika haben
reiche innere Kräfte und edle Werte, Mut und Entschlossenheit, um die Pandemie zu bekämpfen.
•
Wir fordern alle Völker Afrikas auf, einen mutigen Kampf gegen HIV/Aids zu führen.
•
Wir fordern alle Führer und Völker Afrikas und die Führer und Völker anderer Kontinente
auf, Afrika zu respektieren und unbedingt damit aufzuhören, durch die Medien ein negatives
Image von Afrika entstehen zu lassen. Afrika braucht kein Mitleid, sondern echte Liebe und
Solidarität. Christus ist unser Leben, unsere Hoffnung und unser Erlöser.
•
Wir weisen deshalb alle negativen Vorhersagen über die Zukunft Afrikas und jede
Ausgrenzung Afrikas als Kontinent zurück und verurteilen das nachdrücklich.
18. Schluss
Zum Abschluss unserer 15. AMECEA-Vollversammlung bieten wir unsere Liebe und unsere
Gebete allen Menschen in unserer Region an, die mit HIV/Aids leben und denen, die davon
betroffen sind. Wir versprechen, euch zur Seite zu stehen, und wir ermutigen alle unsere
Mitarbeiter in der Pastoral, euch ganzheitlich zu dienen und zu betreuen. Als voll berechtigte
Mitglieder unserer Kirche und Gesellschaft fordern wir euch auf, am Leben der Kirche
teilzunehmen, euch an uns zu wenden, und offen eure Meinung zu äußern, damit wir uns
weiterhin eurer annehmen können gemäß der Aufgabe, die wir von Christus, dem Herrn und
guten Hirten erhalten haben - erleuchtet und vereint im erlösenden Wert des Leidens Christi. Der
Gott der Liebe schütze euch und schenke euch mehr Glauben und Hoffnung, damit ihr positiv
leben und liebevoll auf seinen Ruf antworten könnt.
25
Das heldenhafte Beispiel der ugandischen Martyrer sei uns ein Leitbild für ein moralisches
Sexualverhalten im Kampf gegen die HIV/Aids-Pandemie.
Unterzeichnet:
Paul Bakyenga
Erzbischof von Mbarara, Uganda, und Vorsitzender der AMECEA
Gegeben in der katholischen Kathedrale der Diözese Lugazi, Uganda,
am 11. Juni 2005, dem Fest des heiligen Barnabas
Anmerkungen der Redaktion:
(1) Die Kirche in Afrika angesichts der Aids-Pandemie. Erklärung des SECAM in:
WELTKIRCHE Nr. 9 (2003), S.207-210.
(2) Das Friedensabkommen wurde am 09.01.2005 in Nairobi unterzeichnet.
Die Armen sind kostbar
Die Regierung von Simbabwe hat während der
letzten Monate in mehreren Städten des Landes
massive Zwangsräumungen vorgenommen. Es wird
geschätzt, dass durch diese so genannte „Operation
zur Wiederherstellung der Ordnung“ mehr als
200.000 Menschen ihr Obdach verloren haben und
bis zu 30.000 Straßenhändler und Arbeiter des
informellen Sektors verhaftet wurden. Unter
anderem sind auch ein Krankenhaus und ein
Kindergarten deutscher Dominikanerinnen zerstört
worden. Die katholischen Bischöfe von Simbabwe
haben am 16. Juni einen Hirtenbrief „Der Schrei der
Armen“ veröffentlicht, in dem sie die
Vertreibungsaktion scharf verurteilt haben, durch die
die ärmsten Bevölkerungsschichten mitten im simbabwischen Winter von jeder Grundversorgung
abgeschnitten worden sind. Nach Meinung von Kommentatoren ist die drastische Maßnahme als
der Versuch zu werten, die Wählerschichten der oppositionellen Bewegung für demokratischen
Wandel (MDC) zu bestrafen. In einem heimlich gedrehten Videoclip wird Bischof Pius Ncube
mit den Worten zitiert: „Die Regierung zwingt die Menschen in ländliche Regionen zu ziehen, wo
26
sie sie dem Hunger ausliefert. Ich bin dermaßen verärgert über diese Regierung, dass ich bereit
bin, mich vor dem Gewehrlauf zu stellen und mich erschießen zu lassen“.
Der Hirtenbrief der Bischöfe erfreut sich einer großen internationalen Resonanz.
* * *
Der Schrei der Armen
Hirtenbrief der Katholischen Bischofskonferenz von Simbabwe
16.06.2005
Wir, die Mitglieder der Katholischen Bischofskonferenz von Simbabwe, veröffentlichten am 2.
Juni 2005 eine Presseerklärung in Bezug auf die „Säuberungs“-Operation, die offiziell „Operation
zur Wiederherstellung der Ordnung“ genannt wurde (1). In dieser Presseerklärung äußerten wir
unsere Bestürzung über das Leid und das Elend, das die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft
in einigen Gebieten unserer Nation durchmachten. Nun, fast vier Wochen nach dem Vorfall
schlafen zahllose Männer, Frauen mit Säuglingen, Schulkinder, Alte und Kranke weiterhin im
Freien und das bei winterlichen Temperaturen, die nahezu den Gefrierpunkt erreichen. Diese
Menschen brauchen dringend Unterkunft, Nahrung, Kleidung, Medikamente etc. Ein Versuch,
diese Operation im Hinblick auf ein gewünschtes friedliches Ende zu rechtfertigen, entbehrt jeder
Grundlage, wenn man die grausamen und unmenschlichen Mittel bedenkt, die angewandt wurden.
Die Menschen haben ein Recht auf Unterkunft und gerade diese wurde bei dieser Operation ohne
Vorwarnung vorsätzlich zerstört. Wenngleich wir alle eine friedliche Ordnung ersehnen, hätte
man für eine andere Unterbringung sorgen und andere Einkommensquellen finden müssen, und
zwar vor den Zerstörungen und der Einstellung des informellen Handels. Wir verurteilen das
schreiende Unrecht, das den Armen zugefügt wurde.
Als eine Fortsetzung unserer Presseerklärung möchten wir eine pastorale Betrachtung dieser
Vorfälle anbieten, die auf der Heiligen Schrift und auf der Soziallehre der Kirche basiert.
Die Heilige Schrift
Im Evangelium vom Sonntag, den 5. Juni, also während dieser Vorfälle, sagt uns Jesus:
„Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ (Mt 9,13). Seine Worte spiegeln jene der
alttestamentlichen Propheten wider, die unaufhörlich erklären, dass Gebete und Opfer wertlos
sind, wenn man sich nicht um die Armen und Bedürftigen sorgt (vgl. Am 5,1-5). Es war bei dieser
Operation keinerlei Sorge um die Armen und Notleidenden festzustellen, und die Gebete und
Opfergaben derer, die dafür verantwortlich sind, finden bei Gott kein Wohlwollen.
Der Prophet Jesaja erinnert uns daran, an die Hungrigen unser Brot auszuteilen, die obdachlosen
Armen ins Haus aufzunehmen, wenn wir einen Nackten sehen, ihn zu bekleiden (vgl. Jes 58,5-7).
Das ganze Wirken Jesu ist gekennzeichnet von Sorge für die Schwachen und Verwundbaren.
Jesus sagt uns, dass wir am Ende der Zeit danach beurteilt werden, ob wir diese Sorge geteilt
haben, und er sagt schreckliche Worte zu denen, die ihn hungrig, durstig, fremd oder nackt oder
krank (oder obdachlos …) sahen und es versäumt haben, ihm zu helfen (vgl. Mt 25,42-46).
27
Als Christen müssen wir den Schrei der Armen und Obdachlosen in unseren Townships (2) und
Dörfern hören und sie in ihren Bemühungen unterstützen, allmählich ihr Leben neu aufzubauen.
Bei dieser Aufgabe sollten wir von der Soziallehre der Kirche motiviert und begleitet werden.
Die Soziallehre der Kirche
Die Soziallehre der Kirche wirft das Licht des Evangeliums auf Probleme, die unser Leben in der
Gesellschaft betreffen, und bietet die Weisheit, Kenntnis und Erfahrung der Kirche an, um sich
mit ihnen auseinander zu setzen. Diese Lehre, basierend auf der Heiligen Schrift, hat sich in mehr
als hundert Jahren entwickelt und ist in der Hauptsache in päpstlichen Schreiben und Dokumenten
zu finden, die von Synoden und Bischofskonferenzen stammen. Sie enthält eine Anzahl von
Grundsätzen, die zurzeit relevant sind:

Die Würde der menschlichen Person
Geschaffen nach dem Bild und Gleichnis Gottes (vgl. Gen 1,26-27), hat jede Person eine
angeborene menschliche Würde, die wir nicht von weltlichen Autoritäten, sondern vom
Schöpfer erhalten haben. Diese Würde ist schwer verletzt worden durch die
Rücksichtslosigkeit, mit der die „Operation Wiederherstellung der Ordnung“ in den
Townships und anderen Gebieten durchgeführt wurde.
„Darum schreit jede Verletzung der Menschenwürde vor dem Angesicht Gottes nach Rache
und ist eine Beleidigung des Schöpfers des Menschen“ (Papst Johannes Paul II, Christifideles
Laici, Nr. 37).

Die Grundrechte der menschlichen Person
Die menschlichen Grundrechte entspringen unserer gottgegebenen Würde. Jeder Mensch Mann, Frau und Kind - hat das Recht auf Leben, Wohnung, Kleidung, Nahrung, Bildung,
Gesundheitsfürsorge, Beschäftigung etc. Diese Grundrechte wurden und werden verletzt. Es
sollte keiner weltlichen Autorität, keiner Gruppe und keiner Einzelperson erlaubt sein, solche
Rechte zu verletzen.
Als christliche Führer müssen wir die Autoritäten unaufhörlich hinweisen sowohl auf ihre
Pflicht, die Menschenrechte zu achten und zu schützen als auch auf die ernsten
Konsequenzen, wenn sie gegen solche Rechte verstoßen. Darüber hinaus ist es unsere Pflicht
als eine lehrende Kirche, Christen in Rechten, Werten und Grundsätzen heranzubilden und zu
erziehen - eine Aufgabe, die wir weiterhin erfüllen werden.

Die Förderung des Gemeinwohls
Staatliche Autoritäten sollten das Gemeinwohl aller Mitglieder der Gesellschaft, nicht das
Wohl einer elitären Gruppe fördern und dabei ein Umfeld schaffen, in dem das
wirtschaftliche, soziale, kulturelle und politische Leben blühen kann. In einer solchen
Umgebung können alle Bürger - einschließlich derjenigen, die ihre Häuser und ihren
Lebensunterhalt verloren haben - Zugang haben zu den Gütern der Erde, die nach Gottes
Willen gerecht geteilt werden sollen. Die Förderung des Gemeinwohls, nicht die Förderung
parteipolitischer Ziele, sollte die erste Priorität der staatlichen Politik sein.
28
„Gewiss kommt es der Autorität zu, im Namen des Gemeinwohls zwischen den verschiedenen
Sonderinteressen als Schiedsrichterin zu walten. Sie muss aber einem jeden das zugänglich
machen, was für ein wirklich menschliches Leben notwendig ist, wie Nahrung, Kleidung,
Wohnung, Gesundheit, Arbeit, Erziehung und Bildung, richtige Information und Recht auf
Familiengründung.“ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1908).
Es liegt in der Natur der Dinge - die Menschen kommen immer zuerst und dürfen eigentlich
nicht in einer Wirtschaft, einer politischen Agenda oder einer Ideologie unterworfen werden.

Die Option für die Armen
Wenn man das Prinzip des Gemeinwohls anwendet, bleiben einige Menschen arm und
ausgegrenzt. Die Kirche muss besondere Sorge für sie zeigen. Die Art, wie eine Gesellschaft
ihre schwächsten Mitglieder behandelt, ist ein moralischer Maßstab für diese Gesellschaft. Als
Christen müssen wir weiterhin die politischen Entscheidungen im Hinblick auf die Armen
überprüfen, einschließlich der politischen Linien, die mit Wohnungsbeschaffung,
Gesundheitsfürsorge und Nahrungssicherheit zusammenhängen, und wir müssen uns schämen
wegen der landesweiten Operation, die Armut und Elend in allen Regionen beträchtlich hat
anwachsen lassen. Die Einschränkung des informellen Handels, der den formellen Handel
stützt, kann unseren wirtschaftlichen Niedergang nur beschleunigen. Einen wesentlichen Teil
der Sorge der Gesellschaft um das Gemeinwohl aller ihrer Mitglieder, auch der armen
informellen Händler, stellt die Option für die Armen dar. Für die Kirche sind die Armen
kostbar (Der heilige Laurentius, in: Butler, Lives of the Saints, 10. August).

Subsidiarität
Das Subsidiaritätsprinzip bezieht sich auf die Weitergabe von Befugnissen von ganz oben bis
hinunter an die Basis, oder so nahe an die Basis wie möglich. Das Prinzip impliziert, dass man
den lokalen vor zentralen Entscheidungen den Vorzug geben sollte. Die zentrale Autorität
sollte Bemühungen einer lokalen Autorität unterstützen und nur solche Aufgaben
übernehmen, die örtliche Gremien nicht leisten können. Wenn auf unseren Straßen eine
„Säuberung“ erforderlich ist oder wenn es in den Townships ein Problem mit der Kriminalität
gibt, ist das im Wesentlichen die Aufgabe lokaler Behörden, darunter Bürger/Einwohnervereinigungen und kirchliche Organe, die von der Polizei und den Gerichten
beauftragt werden, sich mit diesen Problemen auseinander zu setzen.
Das sollte über einen gewissen Zeitraum in einem geregelten Verfahren geschehen und zwar
in einer Weise, die die Menschenrechte und das Gemeinwohl fördert und schützt.

Solidarität
Als Söhne und Töchter unseres liebenden Vaters sind wir alle Schwestern und Brüder, die von
Gott aufgefordert werden, eine Gesellschaft zu errichten, in der wir miteinander in Solidarität
leben können. Solidarität bedeutet, bereit zu sein, die andere Person als anderes „Ich“ zu sehen
und Ungerechtigkeit gegen andere als Ungerechtigkeit gegen sich selbst zu betrachten.
Solidarität ist nicht ein vorübergehendes Gefühl der Sorge wegen des Leides anderer.
29
Sie ist vielmehr eine Verpflichtung, Seite an Seite mit denen zu stehen, die obdachlos sind und
keine Mittel für den Lebensunterhalt haben; zu tun, was einem möglich ist, um eine Situation
schweren Unrechts zu beseitigen und das Gemeinwohl zu fördern. Das Solidaritätsprinzip
spiegelt die Theologie des heiligen Paulus in Bezug auf den Leib Christi wider: Wo eine
Person leidet, leidet jede Person, und der ganze Leib wird geschwächt (vgl. 1 Kor 12,12-30).
Eine Betrachtung der oben angeführten sechs Prinzipien sollte alle Mitglieder der Gesellschaft
angehen, denn eine ganze Nation hat gelitten wegen der Aktionen die kürzlich durchgeführt
wurden und noch andauern. Speziell als Christen dürfen wir nicht die Prinzipien herauspicken und
auswählen, denen wir folgen wollen; sie sind alle bindend. Sie im täglichen Leben in die Praxis
umzusetzen, ist ebenso wichtig, wie an Sonntagen in die Kirche zu gehen.
Zum Schluss wiederholen wir, was wir bei einem anderen Anlass sagten: „…Wir fordern alle jene
(besonders Christen) auf, die in der Gesellschaft besondere Verantwortung tragen, sei es die
Regierung, die Geschäftswelt oder andere einflussreiche Kreise, entsprechend der Soziallehre der
Kirche eure Pflichten zu erfüllen … Wir können also kein Doppelleben führen, eines für
Sonntagsgottesdienste in der Kirche und ein anderes für unsere öffentlichen Aufgaben, seien sie
nun politischer, wirtschaftlicher, sozialer oder anderer Art. Wir sind stets aufgerufen, uns von
unserem Gewissen leiten zu lassen und unseren christlichen Glauben zu leben als einen
wesentlichen Bestandteil unseres Lebens. (Katholische Bischofskonferenz von Simbabwe,
Fastenhirtenbrief, März 2003, Kap 7.3).
Wie immer lautet unser Gebet: Der Friede sei mit euch!
Robert C. Ndlovu
Harare
Pius Alec M. Ncube
Bulawayo
Michael D. Bhasera
Masvingo, Präsident der Bischofskonferenz
Alexio Churu Muchabaiwa
Mutare
Angel Floro
Gokwe
Patrick M. Mutume
Weihbischof von Mutare
P. Alphonse Mapfumo
Administrator von Gweru
P. Matthew Jonga
Administrator von Chinhoyi
30
P. Albert Serrano SMI
Administrator von Hwange
Quelle : CISA Nr.438b vom 17.06.05
Übersetzung aus dem Englischen
Anmerkungen der Redaktion:
(1) Die örtlichen Behörden haben mit der Operation am 19. Mai begonnen.
(2) Townships ist die Bezeichnung für die während der Apartheid in Südafrika eingerichteten
Wohngegenden für die schwarze, die farbige oder die indische Bevölkerung. Sie haben auch heute
noch die Ausmaße von ganzen Städten. Ein typisches Beispiel ist Soweto (South Western
Township), ein Stadtteil von Johannesburg in der Provinz Gauteng. In den Vereinigten Staaten
von Amerika bezeichnet der Begriff T. eine Einheit der Lokalverwaltung. Häufig wird beim
Begriff T. an massenhafte Behausungen aus Wellblechhütten, Pappkartons und eine extrem hohe
Bevölkerungsdichte gedacht.
Eine verängstigte Gesellschaft ist nicht frei
Angesichts der leidvollen Fehlentwicklung in der Demokratischen Republik Kongo und der
umstrittenen Verlängerung der zweijährigen Übergangsperiode, verlangen die Bischöfe in ihrer
Botschaft unter dem programmatischen Titel „Warum Angst haben? Die Zukunft des Kongo
hängt von seinem Volk ab“ entscheidende politische Schritte der Übergangsregierung, um einem
verhängnisvollen Vertrauensverlust und einer weiteren Destabilisierung des Landes
entgegenzuwirken. Freie Wahlen können nur dann stattfinden, wenn die Menschen ohne Angst
leben können. Die Kirche im Kongo sprach sich schon früher gegen eine Verschiebung der ersten
freien Wahlen im Land aus. In einem sehr temperamentvoll geschriebenen Dokument fordern die
Bischöfe die Regierung dazu auf, die Verantwortlichen für die Verzögerungstaktik zur
Rechenschaft zu ziehen und klare Rahmenbedingungen für freie Wahlen herzustellen, die
voraussichtlich zwischen März und Mai 2006 stattfinden werden.
* * *
"Warum habt ihr soviel Angst?" (Mk 4,40)
Die Zukunft des Kongo hängt von seinem Volk ab
Botschaft der Bischöfe an die katholischen Gläubigen und alle Menschen guten Willens aus
Anlass des 45. Jahrestages der Unabhängigkeit der Demokratischen Republik Kongo
31
22.06.2005
Präambel
1. Wir, die Erzbischöfe, Bischöfe und Diözesenadministratoren, Mitglieder der nationalen
Bischofskonferenz des Kongo (CENCO), sind vom 20. bis 22. Juni 2005 zu einer
außerordentlichen Vollversammlung zusammengekommen
und richten an Euch diese Botschaft über die aktuelle
Situation, die gekennzeichnet ist durch die Angst unseres
Volkes in dieser entscheidenden Phase des politischen
Übergangs unseres Landes. Als Hirten und Bürger drängt
uns unser Gewissen dazu, die Würde der menschlichen
Person, geschaffen nach dem Bilde Gottes, zu verteidigen.
Unsere Mitbürger sind in der Tat mit der Ungewissheit
über den morgigen Tag, mit wachsender Unsicherheit und
mit unerträglichem Elend konfrontiert (1). 45 Jahre nach
der Erlangung der internationalen Souveränität unseres
Landes sind wir der Meinung, dass unser Volk es nicht
verdient, weiterhin diese schwere Last zu tragen.
Für eine schonungslose Evaluierung des Übergangs
2. In unserer Botschaft vom 14. Februar 2004 (2) hatten wir bereits die Langsamkeit und die
offensichtliche Absicht, bei der Errichtung der Institutionen der Republik den Übergang in die
Länge zu ziehen, beklagt. Wir möchten dennoch einige markante Punkte hervorheben, die das
politische Leben der letzten Monate bestimmt haben. Es handelt sich um die Veröffentlichung der
Übergangsverfassung (3), den Eid des Staatschefs auf die Verfassung, den Eid und die
Amtseinführung der Vizepräsidenten, die Bildung der Übergangsregierung (4), des Parlaments
und der die Demokratie unterstützenden Kommissionen, die Einsetzung der Gouverneure und
Vizegouverneure in den Provinzen, dem Beginn des Integrationsprozesses und die
Umstrukturierung von Armee und Polizei, die Durchführung einiger Sozial- und
Wirtschaftsprogramme mit Unterstützung aus dem Ausland, die Verabschiedung einiger Gesetze
durch das Parlament, die Inangriffnahme der Verfassung für die 3. Republik, die Beschleunigung,
ja sogar Überstürzung der Wahlvorbereitungen durch die unabhängige Wahlkommission ... Ein
langer Weg ist noch zurückzulegen, aber die genannten Fortschritte zeigen, dass es möglich ist,
die DR Kongo zur Demokratie zu führen. Hingegen lassen das Amnestiegesetz, das das
sozialpolitische Klima entschärfen könnte, sowie die feierliche Erklärung des Kriegsendes, auf
sich warten.
3. Angesichts der aktuellen Herausforderung bedarf das Volk der Ermutigung. Es fordert eine
schonungslose Evaluierung der Institutionen vor dem Hintergrund der fünf Ziele der
Übergangsperiode. In diesem Sinne sind die wahren Gründe zu nennen für die ständigen,
aufeinander folgenden Krisen, die unser Land, den Kongo, in einem Teufelskreis gefangen halten.
Dem Volk müsste auch erklärt werden, warum die Wahlen nicht in dem zunächst von der
Verfassung vorgegebenen Zeitrahmen (Art. 196, § 1) durchgeführt worden sind. Die
Verantwortlichen für die Verzögerung des Prozesses müssen benannt und mit angemessenen
Strafmaßnahmen belegt werden. Diese schonungslose Evaluierung ist dringend geboten. Sie wird
bei den Bürgern Vertrauen aufbauen in dieser Verlängerung des Übergangs, die das Parlament auf
32
Anfrage der unabhängigen Wahlkommission gewährt hat. Diese Evaluierung könnte dem
Übergang neuen Schwung verleihen.
4. Für uns wird der nationale Zusammenhalt durch das Schema „1+4“ (5), das wir von Anfang an
für konfliktträchtig gehalten haben, durch seine Zusammensetzung und seine Institutionen, den
Mangel an politischem Willen, den Hunger der Mächtigen nach Einfluss sowie durch die
Missachtung der Gesetze gelähmt. Das Funktionieren der Institutionen der Übergangsphase wird
dadurch beeinträchtigt, denn sie sind zu Einkommensquellen der Politikerfamilien und zum
Sprungbrett für den Wahlkampf geworden. Aus unserer Sicht kann die in unserem Land
existierende Legitimitätskrise nur durch die Errichtung eines Rechtsstaates und eine aus den
Wahlen hervorgehende Neuordnung der Institutionen überwunden werden.
5. Der Prozess der Integration von Armee und nationaler Polizei erzielt keine nennenswerten
Erfolge. Neben dem Mangel an logistischen Mitteln wird er durch die Schwerfälligkeit der
Zuordnungen und Gruppenzugehörigkeit beeinträchtigt. Die vertikale und horizontale Teilung der
Verantwortung bleibt in diesem Bereich eine große Herausforderung. Die ehemaligen
Kriegsparteien machen weiterhin ein Geheimnis aus der Frage, wer früher unter ihrem
Kommando stand. Es scheint sogar, dass Einzelne ihren Vorrat an Waffen und Munition dank der
Vorteile, die ihnen die relativ ruhige Phase des Übergangs bietet, aufgestockt haben. Dadurch
wird die Umsetzung des nationalen Programms zur Entwaffnung, Demobilisierung und
Wiedereingliederung (DDR) (6) beeinträchtigt. Ergebnisse des Programms vor Ort fallen durch
die bürokratische Vorgehensweise nur minimal aus oder werden ganz zunichte gemacht. Im
übrigen gibt es nach wie vor einige Spannungsherde, die von unsichtbarer Hand und aus nicht
geklärten Motiven gesteuert werden, insbesondere im Osten des Landes, wo nicht nur die
Soldaten und Angestellten der MONUC (7), sondern vor allem die Zivilbevölkerung Opfer der
Waffengewalt werden. Vor diesem Hintergrund bedarf die Bevölkerung am 45. Jahrestag der
nationalen Unabhängigkeit dringend der Ermutigung.
Die Psychose des 30. Juni 2005
6. Wir beklagen die Tatsache, dass die Wahlen nicht bis zum 30. Juni 2005 stattfinden werden.
Kurz vor diesem historischen Datum entzündet sich innerhalb der politischen Klasse ein Streit
über die Dauer der Übergangsperiode zwischen den Unterzeichnern des Pretoria-Vertrags (8) auf
der einen Seite, und denen, die bei dieser Vereinbarung nicht vertreten waren, auf der anderen.
Man scheint sich über den Buchstaben und den Geist von Artikel 196 der Übergangsverfassung
nicht mehr einig zu sein.
7. Deshalb zeichnet sich heute, vor dem 30. Juni 2005, das Bild einer tiefen Krise im Kongo ab.
Unserer Meinung nach wird diese Krise durch das Zusammenprallen zweier unnachgiebiger
Haltungen hervorgerufen: diejenigen, die eine Verlängerung der Übergangsphase ohne
Rechenschaft und ohne einschneidende Maßnahmen für selbstverständlich halten, stehen jenen
gegenüber, die das Ende der Übergangsphase für den 30. Juni 2005 unter Androhung von Gewalt
und Chaos fordern.
Gründe, Angst zu haben
8. Angesichts dieser Zuspitzung hat sich die kongolesische Bevölkerung häufig gegen die
Unzulänglichkeiten der aktuellen Regelung (1+4) an der Staatsspitze sowie gegen die
33
Verzögerungen der Wahlen ausgesprochen. Zum Ausdruck gebracht hat sie ihre Enttäuschung vor
allem im Juni 2004, nach den Ereignissen in Bukavu, und im Januar 2005, nach einem Interview
mit der unabhängigen Wahlkommission, in dem diese die Möglichkeit der Aufschiebung der
Wahlen anspricht. So hat die Bevölkerung ein deutliches Signal gesetzt, das ihre Missbilligung
der Art und Weise, wie der Übergang bisher gestaltet wird, zum Ausdruck bringt. Wir sind zudem
der Meinung, dass es Selbstmord wäre, würde man die Tatsache herunterspielen, dass das Maß
der Übergangsphase, die viel zu lange gedauert hat, voll ist.
9. Das Fehlen einer kohärenten Vision und einer vorausschauenden Politik auf Seiten der
Regierenden hat zu der aktuellen Krise geführt, die nicht nur den Pretoria-Vertrag in Frage stellt,
sondern auch die Zusammenschlüsse, die aus diesem Vertrag erwachsen sind. Die
Enttäuschungen mancher politischer Akteure, die soziale Not (Aussetzung der Zahlung von
Gehältern für Beamte, Lehrer und Militär, unzureichende medizinische Versorgung,
Schwierigkeiten im Transportwesen, die Übernahme der Schulkosten durch die Eltern ...), das
fehlende Vertrauen der Bevölkerung gegenüber den Regierenden, eine weit verbreitete
Korruption, die Plünderung und das Verschleudern der nationalen Reichtümer (besonders in den
Bereichen Forstwirtschaft und Bergbau), die unverhohlene Besetzung weiter Gebiete des
nationalen Territoriums durch ausländische Streitkräfte, mangelnde Rechenschaftspflichten
staatlicher Einrichtungen haben zu der überall spürbaren Verstimmung geführt.
10. Unterdessen herrscht in Kinshasa und in anderen Orten des Landes wieder die Unsicherheit.
Morde sind an der Tagesordnung, Menschenrechte werden weiter missachtet, ohne dass die
Bevölkerung in irgendeiner Weise geschützt würde. Alles trägt zu dem Eindruck bei, das Land
werde nicht regiert. Der Staat ist kaum noch sichtbar.
11. Die Stimmung, die zurzeit in der Bevölkerung herrscht, wird von der Angst vor der
bewaffneten Gewalt und vor der Infiltrierung durch ausländische Truppen, von der Angst vor
Plünderungen und vor der Unsicherheit geprägt. Dies ist die Psychose des 30. Juni 2005.
Besonders beunruhigend ist die Tatsache, dass gewisse Personen die Kirchenvertreter bedrohen
und es auf die Güter der Kirche abgesehen haben. Müssen wir fürchten, dass sie die Kirche ihrer
Infrastrukturen berauben und sie daran hindern wollen, der Bevölkerung zu dienen? Wir weisen
erneut darauf hin, dass der Präsident der unabhängigen Wahlkommission (9), obwohl ein
Geistlicher, nicht die katholische Kirche vertritt und nicht von ihr verpflichtet worden ist. Bei
diesem Thema ist jegliche Unklarheit zu vermeiden.
12. Jegliche Verzögerung des Übergangsprozesses schadet der Hoffnung auf freie und gerechte
Wahlen zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Deshalb ist es geboten, den laufenden Prozess mutig
fortzusetzen und die Anstrengungen im Sinne demokratischer und zuverlässiger Wahlen zu
verdoppeln.
13. Deshalb verurteilen wir jede Form von Gewalt, woher sie auch kommen mag, und rufen zur
Besonnenheit auf.
Notwendigkeit des Dialogs
14. Die Aufnahme von Verhandlungen im Sinne eines Dialogs zwischen den soziopolitisch
bedeutenden Kräften des Landes ist ein Gebot der Stunde, um die Bedingungen und den Rahmen
für die Verlängerung der Übergangsphase festzulegen. Diese könnten unter der Leitung einer
34
nationalen Ad-hoc-Kommission in enger Zusammenarbeit mit dem Internationalen Komitee zur
Unterstützung des Übergangs (CIAT) (10) ausgearbeitet werden. Als Ergebnis dieses
Abstimmungsprozesses könnte ein umfassendes nationales Komitee die Fortsetzung der
Wahlvorbereitung übernehmen, das mit der Begleitung dieses Prozesses sowie mit der
Vermittlung zwischen der Bevölkerung und jenen Institutionen, die für die Wahlen verantwortlich
sind, betraut wird.
Empfehlungen
Ein sich abzeichnender Konsens
15. Im Sinne der bisherigen Diskussion der sozialen und politischen Kräfte deutet sich ein
Konsens an über:
– die Notwendigkeit von Wahlen,
– die Notwendigkeit, den Rahmen, die Prioritäten und einen genauen Zeitplan für die
Verlängerung des Übergangs festzusetzen,
– die Notwendigkeit, die Institutionen des Übergangs erneut dynamisch an dem vorrangigen Ziel
der Wahlen auszurichten.
Die beklagenswerten Zustände vor dem 30. Juni 2005 dürfen nach dem 30. Juni 2005 nicht
unverändert weiter bestehen.
Der entscheidende Punkt der Wahlen
16. Auch wenn die Wahlen dem Elend des kongolesischen Volkes kein plötzliches Ende bereiten
werden, sind sie doch ein wichtiger Schritt zu Demokratie und Entwicklung. Unter den gegebenen
Umständen ist es illusorisch zu sagen, man könne die 3. Republik errichten, wenn nicht einmal
die Übergangsphase gelingt. Anstelle von Hass- und Gewalttiraden ist deshalb eine Kampagne zur
Sensibilisierung der Bevölkerung dringend notwendig, um die Gründe für die Verlängerung des
Übergangs zu erläutern und den Zeitplan bis zum tatsächlichen Abhalten der Wahlen vorzulegen.
Diese Kampagne der Sensibilisierung muss von der Regierung, der unabhängigen
Wahlkommission, den Institutionen der Zivilgesellschaft und den politischen Parteien
durchgeführt werden. Letztere müssen ihre Anhänger über die staatsbürgerlichen Pflichten und
die Bedeutung der Wahlen unterrichten. Sie müssen zudem unter allen Umständen vermeiden,
ihren Wahlkampf aus Mitteln des Staates zu finanzieren oder auf unlautere Methoden wie die
Manipulation der Bevölkerung zurückzugreifen.
Institutionen für die Abstimmung des Wahlkalenders
17. Die Veröffentlichung eines Wahlplans mit einem strengen Terminkalender geschieht in
einem zu findenden Konsens unter der Leitung der unabhängigen Wahlkommission und unter
Einbeziehung der politischen Parteien, der Institutionen der Zivilgesellschaft und der
internationalen Gemeinschaft.
18. Seitens der Regierung ist eine Verstärkung der Sicherheitsvorkehrungen dringend geboten.
Die Regierung ist aufgefordert, unter Einhaltung der Gesetze die Gewalttätigkeiten, die
Kriminalität und andere Formen der Verletzung innerer Sicherheit zu verhindern.
35
19. Ein verantwortlicher Umgang mit den öffentlichen Ressourcen muss durchgesetzt werden,
um die Organisation von Wahlen und die Lösung der sozialen Fragen (Schulwesen,
Gesundheitswesen) voranzutreiben. Hier ist ein soziales Notprogramm erforderlich, um das Elend
unseres Volkes zu lindern.
20. Eine Verstärkung des Integrationsprozesses von Armee und Polizei muss die Sicherheit der
Menschen und ihres Besitzes vor, während und nach den Wahlen gewährleisten. Das Programm
DDR muss ebenfalls fortgesetzt werden. Dabei müssen die nichtstaatlichen Akteure im Sinne der
Versorgung der ehemaligen Kämpfer (11) bei ihrer Wiedereingliederung in ausreichendem Maß
einbezogen werden.
21. Die nationale Versöhnung ist eine weitere Priorität, die dem Erfolg der Wahlen zugrunde
liegt. Dies beinhaltet das tatsächliche Ende des Krieges durch die Kontrolle über bewaffnete
Gruppen und die Wiedereingliederung von dissidenten Gruppen in die Armee. Solange die
ehemaligen Kriegsführer und ein Teil der unkontrollierten bewaffneten Gruppen nicht auf den
Krieg verzichten, ist Versöhnung nicht möglich und Wahlen werden zur Farce.
22. Die internationale Gemeinschaft muss ihre Unterstützung für die DR Kongo fortsetzen und
die Präsenz und die Glaubwürdigkeit der UNO-Truppen verstärken, um einen guten Ablauf der
Wahlen zu gewährleisten. Von den Nachbarländern und ihren Verbündeten fordern wir, dass sie
aufhören, den Frieden und den demokratischen Übergang in der RDC zu untergraben. Den
Mächtigen dieser Welt erklären wir erneut, dass die Integrität und die nationale Einheit der DR
Kongo unantastbar sind.
Die besondere Rolle der Kirche im Übergang
23. Im Dienst der Nation wird die Kirche die Bewusstseinsbildung und ihre Kampagne über
Wahlen und Staatsbürgerkunde verstärken, um das Volk weiter auf die kommenden Wahlen
vorzubereiten. Wir werden die Gläubigen weiterhin in jenen Tugenden unterrichten, die
notwendig sind, die Republik gut zu gestalten und, mehr denn je, die Liebe Christi besonders den
Ärmsten zukommen zu lassen. Wir wenden uns gegen jede Form von Gewalt und verpflichten
uns, für den Frieden zu beten, zu fasten und zu arbeiten. Wir werden eine nationale Kampagne der
Gewaltlosigkeit und der Versöhnung starten. Wir erneuern unseren Aufruf zu einem positiven
Dialog, zur Ruhe, zum Frieden und zur Beruhigung der Gemüter aller Kongolesen und
Kongolesinnen.
Schluss
24. Angesichts all dieser Ängste sagt uns der Herr: "Wenn nicht der Herr das Haus baut, mühen
sich jeder umsonst, der daran baut. Wenn nicht der Herr die Stadt bewacht, wacht der Wächter
umsonst." (Ps 127), und: "Steht auf, habt keine Angst!" (Mt 17,7). Denn die Zukunft des Kongo
hängt von seinem Volk ab.
25. Wir stellen unser Land und seine Zukunft unter den Schutz Gottes, der der Herr der
Geschichte ist und sein Volk nicht im Stich lassen wird. Möge Gott auf die Fürsprache der
Jungfrau Maria hin unser Land segnen.
36
Gegeben zu Kinshasa am 22. Juni 2005
Die Bischöfe der DR Kongo
Übersetzung aus dem Französischen:
Marco Moerschbacher (MWI)
Quelle: http://www.missio-aachen.de/menschen-kulturen/laender/afrika/kongodr/Erklaerung20050622.asp (21.07.05)
Originaltext (Französisch): http://www.cenco.cd/presidencenco/messageJuin2005.htm (29.07.05)
Anmerkungen der Redaktion:
(1) Kongo (Zaire) nimmt auf der Rangliste der menschlichen Entwicklung (HDI-Index) einen der
letzten Plätze, den 168. Platz ein. Das 53 Millionen Einwohner zählende Land hat ein Pro-KopfEinkommen von unter 100 US-Dollar im Jahr. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen unter 15
Jahren an der Bevölkerung liegt bei 47 Prozent, die Lebenserwartung beträgt 41 Jahre.
Es gibt 21 Millionen Menschen im arbeitsfähigen Alter, aber das Land zählt ganze 59.405 Steuern
zahlende Unternehmen und 565.000 bezahlte Arbeitsplätze im formellen Sektor. Die
Erwerbstätigenquote liegt bei 2,7 Prozent.
(2) S. „Um der Liebe zum Kongo willen kann ich nicht schweigen“. In: WELTKIRCHE Nr. 2
(2004), S.39-43.
(3) Die Übergangsverfassung trat am 05.04.2003 in Kraft.
(4) Die Übergangsregierung ist am 30.06.2003 ernannt worden.
(5) Schema 1+4 bezieht sich auf die Verteilung der Regierungsämter und bedeutet ein
Präsidentenamt und vier Vize-Präsidenten als Vertreter aller maßgeblichen politischen Kräfte.
(6) DDR ist die Abkürzung für „Désarmement, Démobilisation et Réinsertion“ (Entwaffnung,
Demobilisation und Wiedereingliederung).
(7) MONUC = französischsprachige Abkürzung für das UNO-Friedenskontingent im Kongo.
(8) Das Friedensabkommen „Accord global et inclusif“ ist am 16.12.2002 in Pretoria, Südafrika,
nach fünfjährigem Bürgerkrieg unterzeichnet worden und enthält die Vereinbarungen über freie
Wahlen und die Ablösung der gegenwärtigen Übergangsregierung.
(9) Pater Augustin Malu Malu bekleidet das Amt des Präsidenten der Unabhängigen
Wahlkommission.
37
(10) Comité International d'Appui de la Transition CIAT.
(11) Kongos Verteidigungsminister spricht von 190.000 bis 243.000 Kämpfern aus
verschiedenen Rebellengruppen, die demobilisiert werden müssen.
Paramilitär und Armee in Kolumbien
Die politischen und sozialen Konflikte in Kolumbien äußern sich seit Jahrzehnten in gewalttätigen
Auseinandersetzungen zwischen staatlichen Sicherheitskräften, paramilitärischen Gruppen und
Guerilla-Fraktionen. Sie sind mit gewalttätigen Übergriffen und schwersten
Menschenrechtsverletzungen verbunden. Opfer sind vor allem KleinbäuerInnen, die in den
zwischen Staat und Guerilla umkämpften Gebieten ansässig sind,
sowie MitarbeiterInnen von Menschenrechtsorganisationen und
sozial engagierte Basisgruppen.
Empfehlungen der UN-Menschenrechtskommission an den
kolumbianischen Staat und an die illegalen bewaffneten Akteure
wurden bisher nicht umgesetzt. Internationale
Menschenrechtsinstitutionen klagen zudem seit Jahren an, dass
der Paramilitarismus von der Regierung nicht bekämpft wird und
sogar eindeutige Belege von systematischer Zusammenarbeit
zwischen Paramilitärs und offiziellen Streitkräften sowie der
Polizei existieren. Seit Ende 2002 führt die Regierung
Verhandlungen mit paramilitärischen Gruppen über eine
schrittweise Entwaffnung und Demobilisierung von rund 15.000
Kämpfern bis Ende 2005 und eine alternative Strafbehandlung
für alle Ränge der Paramilitärs. Dieses Vorgehen lässt eine weitgehende Straflosigkeit auch für
Verbrechen gegen die Menschlichkeit befürchten. Die Straflosigkeit für Menschenrechtsvergehen
liegt in Kolumbien schon seit Jahren über 95%.
Auch in der kolumbianischen Pazifikregion hat sich der bewaffnete Konflikt kontinuierlich
verschärft. Grund hierfür sind die reiche Biodiversität und ihre strategisch interessante Lage für
wirtschaftliche und politische Vorhaben. Indigene und afrokolumbianische
Kleinbauernorganisationen, deren Organisationsprozesse international anerkannt sind, erklären
seit Jahren ihre Neutralität im bewaffneten Konflikt. Ihnen liegt die Strategie zu Grunde, sich
gemeinsam für die Wahrnehmung verfassungsmäßiger Rechte einzusetzen und durch
Landnutzungs- und Entwicklungsprozesse ein selbstbestimmtes Überleben in ihren angestammten
Gemeinden zu ermöglichen (friedlicher Widerstand im bewaffneten Konflikt).
Die vielfachen strategischen Interessen im Kampf um Land und Ressourcen in der Region stellen
eine ernste Gefahr für die Zivilbevölkerung und deren Organisationen dar. Aus diesem Grund
haben drei Bischöfe aus der Pazifikregion und das Solidaritätsforum Chocó erneut ihre besorgte
Stimme an Staatspräsident Álvaro Uribe gerichtet, und gefragt wessen Schutz die Präsenz
staatlicher Sicherheitskräfte in der Region diene?. In ihrem Brief beschreiben sie verschiedene
Fälle offensichtlicher Zusammenarbeit staatlicher Sicherheitskräfte mit den Paramilitärs fest.
38
* * *
Zweiter offener Brief an den Präsidenten der Republik
zur Legitimitätskrise des Staates in der Atrato-Region, Kolumbien
Sehr geehrter Herr Dr. Álvaro Uribe Vélez,
der Bischof der Diözese Quibdó, Fidel León Cadavid Marín, übergab Ihnen am 24. April 2004
persönlich einen OFFENEN BRIEF zur Legitimitätskrise des Staates in der Atrato-Region, der
von der Diözese Quibdó, der Regionalen Vereinigung indianischer Völker (OREWA) sowie dem
Hohen Gemeinderat der afrokolumbianischen Kleinbauerngemeinden (COCOMACIA)
unterzeichnet war.
In dem genannten Schreiben wurde die tiefe Besorgnis über die Unsicherheit und Schutzlosigkeit
zum Ausdruck gebracht, unter der die indianische und afrokolumbianische Bevölkerung der
Bezirke Bojayá, Murindó, Vigía del Fuerte und Medio Atrato trotz des großen Aufgebots an
staatlichen Sicherheitskräften zu leiden hat. Ihre Gemeinden sind zahlreichen Übergriffen der
illegalen Guerillaeinheiten der FARC (1) sowie der paramilitärischen AUC (2) ausgesetzt. Ganz
besonders wurde die offene Duldung, die Nachsicht und Komplizenschaft von Mitgliedern der
staatlichen Sicherheitskräfte gegenüber dem Vorgehen der Paramilitärs hervorgehoben.
Darüber hinaus übergab Ihnen Bischof Fidel Cadavid einen Vorschlag zu einer Humanitären
Vereinbarung, der in einem zweijährigen Prozess von 47 zivilgesellschaftlichen Organisationen
des Departements im Rahmen des Interethnischen Solidaritätsforums Chocó (Foro Interétnico
Solidaridad Chocó) als Beitrag zur Friedensentwicklung und Humanisierung des Konflikts
erarbeitet worden war.
Heute, ein Jahr später, müssen die Bistümer Quibdó, Istmina-Tadó und Apartadó sowie die 47
Organisationen des Interethnischen Solidaritätsforums Chocó mit tiefer Trauer feststellen, dass
sich die Lage der Gemeinden nicht verbessert, sondern stark verschlechtert hat.
•
Polizei, Marine und Armee haben entlang des Atrato-Flusses so viele Kontrollstellen
eingerichtet, dass es für Reisende überaus schwierig und bisweilen sogar unmöglich ist, ihr Ziel
vor der Sperrstunde um achtzehn Uhr zu erreichen. Danach verbieten die staatlichen
Sicherheitskräfte jeglichen Flussverkehr. Diese überzogenen Maßnahmen sind umso
unverständlicher, wenn man bedenkt, dass die rigorosen Kontrollen lediglich der
Zivilbevölkerung gelten, während sich die Paramilitärs weiterhin völlig frei bewegen können.
•
Über den Atrato und seine Zuflüsse Opogadó, Napipí und Bojayá dringt der
paramilitärische Block Elmer Cárdenas mit einem großen Aufgebot an Truppen und Material vor
und bewegt sich dabei durch zahlreiche Orte, die von den staatlichen Sicherheitskräften
kontrolliert werden. Demgegenüber gelten an den Zuflüssen, an denen der Guerilla präsent ist,
massive Beschränkungen für die indianische und afrokolumbianische Bevölkerung, so dass die
Menschen einer Lebensmittelblockade unterworfen sind.
•
Im Februar/März dieses Jahres flüchteten sich zweitausend afrokolumbianische Bewohner
des Bojayá-Beckens in die Bezirkshauptstadt Bellavista, um bei dem massiven Vordringen der
Paramilitärs und der FARC-Präsenz am Río Bojayá nicht zwischen die Fronten zu geraten. Die
Flussmündung des Bojayá liegt weniger als einen Kilometer von Bellavista entfernt gegenüber
von Vigía del Fuerte. In beiden Dörfern sind Polizei und Armee ständig präsent.
•
In der Karwoche übernahmen die Paramilitärs die Kontrolle über den Unterlauf des Río
Bojayá. Danach machten sich einige Mitglieder der Vertriebenengemeinden Corazón de Jesús,
Caimanero, La Loma und Cuía auf den Weg zu ihren Höfen, um dort die nötigsten
Nahrungsmittel zu holen. Als sie in ihre Dörfer kamen, fanden sie geplünderte Häuser vor,
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zertrümmerte Türen und Fenster, eingerissene Wände. Die Gemeinschaftstelefone waren
beschädigt und ins Wasser geworfen, Rinder und Schweine des Agrarinstituts gestohlen worden.
•
An den von Paramilitärs seit dem letzten Jahr beherrschten Flussläufen des Opogadó und
des Napipí werden die Holzressourcen bereits in großem Maßstab ausgebeutet, obwohl sich dieses
Gebiet in Kollektivbesitz der Gemeinden befindet. Niemand kontrolliert den illegalen Handel mit
diesem Holz.
•
Im März raubten die Paramilitärs in Bellavista Holz, das über den Río Bojayá transportiert
wurde. Die staatlichen Sicherheitskräfte sahen tatenlos zu. Verantwortlich für diese Aktion war
ein ehemaliger FARC-Milizionär mit dem Decknamen Chombo, der sich im November
vergangenen Jahres der Armee in Bellavista gestellt hatte und nach Riosucio kam. Zwei Monate
später kehrte er, mit neuem Decknamen zurück.
•
Am 20. März wurden am Río Bebará im Bezirk Medio Atrato 16 Kleinbauern von der
Armee 30 Stunden lang willkürlich festgehalten, darunter auch drei Minderjährige. Sie waren am
Morgen aufgebrochen, um Bananen zu schneiden und zu fischen. Die afrokolumbianischen
Gemeinden am Río Bebará und ihre Familien in Quibdó wurden durch diesen Übergriff in Angst
und Schrecken versetzt.
•
In Boca de Bebará, Bezirk Medio Atrato, stellte sich ein weiterer FARC-Milizionär mit
Spitznamen Barbachita Anfang Februar der Armee. Mittlerweile läuft er in Bellavista frei herum
und sorgt dort als Informant für Unruhe unter den Vertriebenen.
•
Im Dezember letzten Jahres zog sich die Armee aus der am Atrato gelegenen Gemeinde
Napipí zurück und ließ zu, dass sich dort eine paramilitärische Gruppe festsetzte. In dem
genannten Dorf wurde ein 75-jähriger Mann am 3. April von einem Paramilitär mit Spitznamen
Escamoso körperlich angegriffen und musste ins Krankenhaus von Quibdó eingeliefert werden.
•
Den Paramilitärs, die den Río Bojayá kontrollieren, gelang es am 18. April aufgrund der
Nachlässigkeit der staatlichen Sicherheitskräfte, den Motor der Gemeinde-Zuckerrohrmühle zu
entwenden. Sie nutzten dabei die Abwesenheit der Bauern, die sich nach ihrer Zwangsvertreibung
seit dem 14. Februar nach Bellavista geflüchtet hatten. Weitere Schäden, Viehdiebstähle und die
Zerstörung von Gemeindeeigentum gehen ebenfalls auf das Konto dieser paramilitärischen
Gruppe.
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Schon seit vier Monaten gibt es keinen Vertreter der Ombudsstelle in Bojayá.
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Im November 2004 wurde der Priester FRANCISCO JOSÉ MONTOYA aus dem Bistum
Istmina-Tadó während seiner Missionstätigkeit in den bäuerlichen Gemeinden des Bezirks Nóvita
von FARC-Guerilla ermordet. Bisher war es nicht möglich, seine sterblichen Überreste zu
bergen.
Die Hoffnung, dass unser OFFENER BRIEF den Anstoß für eine Initiative zur Beendigung einer
derartigen Vielzahl von Rechtsverstößen geben könnte, hat sich bisher nicht erfüllt. Mit
zunehmender Besorgnis fragen wir uns: Wen schützen die staatlichen Sicherheitskräfte eigentlich
in der Atrato-Region, wen bekämpfen sie? Nach wie vor beobachten und erleben wir Tag für Tag
am eigenen Leib diese für einen sozialen Rechtsstaat völlig unhaltbaren Entwicklungen. Aus
diesem Grunde bekräftigen wir nachdrücklich unsere vor einem Jahr vorgebrachten Forderungen:
1.
Ordnen Sie die sofortige Beendigung all dieser Rechtsverstöße an, die wir im Lauf der
letzten Jahre immer wieder angeprangert haben, und weisen Sie die staatlichen Sicherheitskräfte
an, ihrem verfassungsmäßigen und gesetzlichen Auftrag entsprechend zu handeln.
2.
Ordnen Sie rückhaltlose Ermittlungen gegen diejenigen Beamten an, die aufgrund ihrer
Duldung, Nachsicht und Komplizenschaft gegenüber den Paramilitärs dafür verantwortlich sind,
dass die Legitimität des Staates in der Atrato-Region untergraben wird.
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3.
Weisen Sie die staatlichen Institutionen an, die entsprechenden Ermittlungen zu
beschleunigen, damit der Tod des im November 2004 von der FARC-Guerilla im Bezirk Nóvita
ermordeten Priesters FRANCISCO JAVIER MONTOYA nicht ungestraft bleibt.
Herr Präsident, wir, die indianischen, afrokolumbianischen und mestizischen Gemeinden, können
keine weiteren Schikanen und Übergriffe mehr hinnehmen. Wir wollen auf unserem Territorium
in Frieden leben, und diejenigen, die zur Flucht gezwungen wurden, wollen baldmöglichst
zurückkehren. Deshalb fordern wir umgehend konkrete Maßnahmen, um die von unseren
Vorfahren ererbten und uns vom Gesetzgeber zuerkannten Rechte, die verletzt werden, durch die
Legislative wirksam zu schützen.
Mit freundlichen Grüßen
Fidel León Cadavid Marín
Bischof von Quibdó
Alonso Llano Ruiz
Bischof von Istmina-Tadó
Diözese Apartadó
Interethnisches Solidaritätsforum Chocó
Quibdó, den 27. April 2005
Übersetzung aus dem Spanischen: Beate Engelhardt
Quelle: Misereor
Anmerkungen der Redaktion:
(1) FARC, eigentlich F.A.R.C.-E.P. (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia - Ejercito
del Pueblo – Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens / Volksarmee), ist eine kolumbianische,
marxistisch orientierte Guerillabewegung. Aktiv seit 1964, gehört sie zu den ältesten noch aktiven
lateinamerikanischen Guerrillaorganisationen (wikipedia).
(2) AUC - Autodefensas Unidas de Colombia : Eine rechtsgerichtete Privatarmee der
Großgrundbesitzer, die teils mit Duldung, teils sogar mit Unterstützung des Staates und der
Armee linke Guerillabewegungen bekämpft (wikipedia).
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