Medizinische Ethik und pränatale Diagnostik

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Medizinische Ethik und pränatale Diagnostik
Günther Pöltner
1. Medizinethik
1.1 Ethos (Moral)
Medizinethik ist zuerst einmal Ethik. Ethik (ETHIKE EPISTEME) ist nicht mit Ethos (Moral)
zu verwechseln. Ethos (Moral) meint die konkret-geschichtliche Form sittlich bestimmten
Miteinanderlebens, die gelebte sittliche Überzeugung einer Gruppe, einer Gesellschaft, einer
Epoche. Das Ethos (die Moral) umfaßt Grundhaltungen, Wertmaßstäbe, Sinnvorstellungen,
Handlungsregeln sowie Institutionen, die das sittliche Leben ermöglichen und schützen. Auf
diese Weise bildet das Ethos (die Moral) einen normativen Rahmen für das Verhalten des
Menschen zu seinen Mitmenschen, zu sich selbst, zur Welt. Ethos (Moral), so kann man formelhaft sagen – das ist das Insgesamt von Einstellungen und Regeln, aus denen wir, meist
ohne lange zu reflektieren, routinehaft handeln.
1.2 Ethik
1.2.1 Ethik als Theorie der Moral
Ethik ist die Theorie der Moral. Sie ist die philosophische Wissenschaft des Ethos (philosophia moralis), die methodisch-kritische Reflexion auf das Handeln unter dem normativen Gesichtspunkt der Differenz von gut/böse. Ziel einer Ethik ist der Gewinn von Wissen – aber
weder eines theoretischen noch auch eines technischen Wissens, sondern der Gewinn eines
praktischen, d.i. eines handlungsleitenden Wissens. In der Ethik geht um ein allgemein verbindliches praktisches, d.i. handlungsleitendes Wissen und dessen rationale Begründung. Ihr
Ziel ist, wie Aristoteles sagt, „nicht die Erkenntnis, sondern das Handeln“ (Nik. Eth. I, 1095
a), nämlich das sittlich-gute Handeln. Eine Handlung ist kein Naturereignis, kein Geschehnis,
sondern ein willentlicher, von Überlegung (Absichten und Motivationen) geleiteter Vollzug.
Im Handeln vollziehen wir uns selbst, und d.h. unser Dasein insgesamt, unser Dasein in der
Gänze seiner zeitlichen Erstreckung. Beim Handeln geht es daher immer auch um die (freilich
meist unausdrückliche und nur in wenigen Fällen ausdrückliche) Frage, ob und inwiefern das
hier und jetzt vollzogene Handeln Moment gelingender Lebenspraxis ist oder nicht.
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1.2.2 Ethik als Krisenphänomen
Ethik ist ein Krisenphänomen. Wenn die Moral aus vielfältigen Gründen in die Krise gerät,
ertönt der Ruf nach Ethik. Ethik wird notwendig, wenn einzelne Inhalte eines Ethos, einer gelebten Sittlichkeit, fragwürdig geworden sind. In solch einem Fall setzt die methodischkritische Rückfrage nach den Prinzipien der gelebten Sittlichkeit ein. Wie alles Nachdenken
setzt auch eine Ethik ihren ‚Gegenstand‘ voraus. Keine Ethik ohne vorgegebenes Ethos. Ohne
sittliche Erfahrung keine Ethik. Wer nicht erfahren hat und weiß, was Dankbarkeit, Schuld,
Scham, Lob, Verwerfliches etc. ist, kann nicht Ethik betreiben. Ethik setzt eine gewisse Lebenserfahrung voraus. Ethik erzeugt bekanntlich nicht Sittlichkeit, sondern setzt sie schon gelebte voraus. Nun ist ‚gelebt‘ nicht identisch mit ‚begrifflich angeeignet‘. In der Ethik fügen
wir unserem sittlichen Verstehen nicht völlig neue Inhalte hinzu, sondern wir versuchen, das,
was uns schon irgendwie bekannt ist, in einen geordneten Zusammenhang zu bringen. Und da
kann es dann sein, daß wir auf bislang verborgene Diskrepanzen und Unverträglichkeiten stoßen – es ist dies ein Umstand, der die Frage nach dem Maßstab unserer sittlichen Überzeugungen hervorruft und zu neuen Einsichten führt. Anders gesagt: Die ethische Reflexion wirkt
auf das vordem schon Verstandene zurück, verwandelt es. Daher gilt auch der Satz: Kein
Ethos ohne Ethik. Ethik läßt uns das, was uns irgendwie schon bekannt gewesen ist, besser
und tiefer verstehen. Als besser und tiefer Verstehende sind wir dann in der Lage, uns und anderen Rechenschaft zu geben.
Ethische Überlegungen müssen Sach- und Sinneinsichten miteinander vermitteln, sollen systematisch kohärent und rational nachvollziehbar sein. Ethische Reflexion soll soweit wie
möglich alle Dimensionen der betroffenen Person, die Dimensionen auch der anderen, an einem Handlungsproblem beteiligten Personen und der Gesellschaft berücksichtigen und diese
bewerten. Sie muß immer sowohl die individual-ethischen als auch die sozial-ethischen Gesichtspunkte namhaft machen.
Was ‚kann‘ also eine Ethik? Ethik kann helfen, Begriffe zu klären, Argumente prüfen, Unklarheiten zu beseitigen, nicht reflektierte Inkonsistenzen aufdecken. Ethik liefert keine Handlungsanweisungen, sondern nennt die relevanten Gesichtspunkte, unter denen sie zu ermitteln
sind. Sie kann niemandem die Verantwortung für das Handeln abnehmen.
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1.2.3 Ethik in einer pluralistischen Gesellschaft
Keine noch so rational ethische Diskussion spielt sich im luftleeren Raum ab. Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft mit unterschiedlichen Wertvorstellungen und auch unterschiedlichen Begründungsformen einer Ethik. Hier ist zwischen strukturellem und normativem Pluralismus zu unterscheiden. Der faktische Pluralismus der Moral ist unbestreitbar, der
strukturelle Pluralismus der freiheitlichen Demokratie ist hoffentlich ein tragfähiger Konsens
in unserer Gesellschaft. Daraus ist aber nicht ein normativer Pluralismus zu folgern, in dem
Sinn, daß alle Moralvorstellungen gleich richtig und wertvoll sind, und daher nur der kleinste
gemeinsame Nenner von vornherein zu favorisieren ist. Das wäre ein Kurzschluß, der der Abdankung der Ethik gleichkäme.
1.4 Medizinethik
Medizinethik ist keine Sonderethik, d.h. sie hat keine von der allgemeinen Ethik verschiedenen Prinzipien, sondern ist eine Ethik besonderer Situationen. Sie bezieht sich normativ reflektierend auf das ärztliche Handeln – dieses im weitesten Sinn verstanden. D.h. sie umfaßt
neben ihrem Kernthema, der Arzt-Patienten-Beziehung, auch das sog. ‚institutionellen Handeln‘ im Bereich des Gesundheitswesens. Im Blick auf ihr ureigenstes Thema lautet ihre
Kernfrage: Was heißt es, ein guter Arzt zu sein? Ein guter Arzt ist nicht schon derjenige, der
ein guter Mediziner ist, d.h. ein solcher, der sich auf dem neuesten Stand medizinischen
Fachwissens befindet (so jemand kann auch ein Gesundheitsmanager sein), sondern derjenige
Mediziner, der im Patienten einen kranken Mitmenschen sieht und sich dementsprechend verhält.
1.5 Das Menschenbild als Grundlage einer Medizinethik
Alles menschliche Handeln bewegt sich notwendigerweise in einem mehr oder weniger reflektierten Verständnis davon, wer der Mensch ist, was es heißt, Mensch zu sein. Das gilt in
besonderem Maß im Bereich des ärztlichen und pflegerischen Handelns. Hinter den Kontroversen um die ethische Vertretbarkeit von medizinischen Handlungen vor allem am Lebensbeginn und am Lebensende stehen auch unterschiedliche Menschenbilder (z.B. Vorstellungen
vom Werden des Menschen, von seiner Würde, von der Begründung des Lebensschutzes).
Diese anthropologischen Grundvorstellungen werden nur selten reflektiert. Einige einseitige
Menschenbilder, die in der modernen Medizin noch anzutreffen sind, seien kurz erwähnt.
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1.5.1 Der Mensch als Maschine
Der Mensch wird hier reduziert auf dasjenige, was an ihm naturwissenschaftlich beschreibbar
ist. Diese Sicht verdankt sich einer gewaltigen Anfangsabstraktion: Sie blendet von vornherein die Tatsache aus, daß der Mensch ein Beziehungswesen ist, d.h. daß er als Vernunft- und
Freiheitswesen, d.i. als ein im Allbezug stehendes Wesen ein Naturwesen ist. Dementsprechend wird Krankheit und Gesundheit funktional verstanden: als Dysfunktionalität bzw. als
Funktionstüchtigkeit eines Organismus. Heilung = Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit.
(a) Auswirkungen bis in die Organisationsform von Krankenhäusern: „Moderne Kliniken
funktionieren zwar vordergründig effektiv und reibungslos, doch nur um den Preis, dass eine
Atmosphäre des umfassenden Heilens zwischen dem Kranken und dem Behandlungsteam
strukturell nahezu unmöglich wird“ (Maio 2012, 378).1
(b) ‚medizinische‘ Behandlung der Unfruchtbarkeit – diese stellt auch ein psychosoziales
Problem. Wofür ist die Unfruchtbarkeit ein Symptom? Das zugrundeliegende Problem ist kein
technisches Problem, es wird nur technisch umgangen.
1.5.2 Der Mensch als Konsument
Der Patient ist nicht primär der kranke Mitmensch, sondern der Kunde – der Arzt als Dienstleistungsanbieter. Der Arzt als der, der ums Know-how Bescheid weiß (siehe: Problem der
Angebot induzierten Nachfrage). Man denke an die Probleme einer ästhetischen Chirurgie
(Leute haben Probleme mit dem Altern und glauben, sie mit face-lifting lösen zu können).
1.5.3 Der Mensch als solus ipse
Dahinter steht eine individualistische Auffassung von Autonomie. Ausdruck dieses Menschenbildes ist der „Siegeszug des Informed consent, der aufgeklärten Einwilligung des
Kranken“ (Maio 2012, 380). Hier wird nicht berücksichtigt, daß der Mensch ein Beziehungswesen ist, ein Wesen, das in soziale Strukturen eingebettet ist: „Der Einzelne ist es, der gefragt wird, der Einzelne ist es, von dem Antworten erwartet werden, der Einzelne ist es, dem
unter Umständen weitreichende Entscheidungen abverlangt werden“ (Maio 2012, 378).
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Maio, Giovanni, Mittelpunkt Mensch: Ethik in der Medizin, Stuttgart 2012.
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1.5.4 Der Mensch als herstellbares Produkt
Die technischen Möglichkeiten der modernen Medizin konnten nur deshalb erfunden werden,
weil die Suche nach diesen Möglichkeiten von der unreflektierten Annahme geleitet ist, der
Mensch sei ein herstellbares Produkt. Damit kein Mißverständnis aufkommt: Hier geht es
nicht um eine Pauschalkritik an den technischen Möglichkeiten der modernen Medizin, sondern um verkehrte Schlußfolgerungen für das menschliche Selbstverständnis – daß nämlich
dasjenige verdrängt wird, was landläufig ‚Schicksal‘ genannt wird.
2. Schicksal als Herausforderung der Medizin(ethik)
Es kann kein gutes Leben ohne Auseinandersetzung mit dem Schicksal geben, weil es ein
Schicksal loses Leben grundsätzlich nicht geben kann. Unser Dasein selbst ist ja bereits
Schicksal – Vorgegebenheit, Unverfügliches. Es kommt nicht darauf an, Schicksal beseitigen
zu wollen oder zu verdrängen, es geht auch nicht darum, es zu bekämpfen, sondern zu versuchen, es zu bewältigen. Dazu abschließend einige Gesichtspunkte.
2.1 Schicksal
Zunächst einmal ist daran zu erinnern, daß das Wort ‚Schicksal‘ nicht etwas per se Negatives
nennt. Wir reden ja auch von einem günstigen Schicksal. Wenn wir von Schicksalsschlag reden, dann meinen wir freilich etwas Negatives, etwas, was uns unverhofft, plötzlich trifft und
uns aus der Bahn wirft. Aber Schicksal ist per se nicht schon negativ besetzt. ‚Schicksal‘
meint das uns Vorgebene, das, was uns unverfügbar ist – das aber ist ja, wie schon gesagt, bereits unser Überhaupt- Dasein-können. „Das Wunder, das den Lauf der Welt und den Gang
der menschlichen Dinge immer wieder unterbricht und vor dem Verderben rettet <…> ist
schließlich die Tatsache der Natalität, das Geborensein, welches die ontologische Voraussetzung dafür ist, dass es so etwas wie Handeln überhaupt geben kann“ (Hannah Arendt) (zit.:
Maio 2012, 231).
2.2 Schicksal als Herausforderung
Freilich: Wenn von Schicksal und seiner Unverfügbarkeit gesprochen wird, meinen wir den
Schicksalsschlag, das ‚mißgünstige‘ Schicksal. Das Schicksal trifft uns, aber es trifft uns nicht
wie ein mechanischer Schlag, sondern es ‚schlägt‘ uns, indem es unsere Pläne durchkreuzt,
uns fassungslos macht, sprachlos, wie wir sagen. Es trifft uns, mich selbst. In der Form eines
mir unverständlichen Anspruchs. Schicksal ist nicht bloß der Schicksalsschlag – das ist nur
die eine Seite, die andere ist mein Verhalten. Was es mit dem Schicksalsschlag auf sich hat,
das hängt auch von mir und meinem Verhalten ab. Schopenhauer: „Das Schicksal mischt die
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Karten, und wir spielen“ (Aphorismen zur Lebensweisheit). So gesehen ist das eine Herausforderung an uns, und es kommt jetzt auf uns an, wie wir uns dazu verhalten. Angesichts eines Schicksalsschlages werden die Dinge zurecht gerückt, Maßstäbe des Wesentlichen und
Unwesentlichen werden verrückt. Schicksalsschläge haben etwas mit Wahrheit zu tun: das für
wesentlich Gehaltene wird zum Schein, das für unwesentlich Gehaltene entpuppt sich als das,
worauf es im Grunde ankommt. Wenn zu einem gelingenden Leben die Unterscheidung des
Wesentlichen vom Unwesentlichen gehört, dann muß ein Schicksalsschlag nicht schon ein gelingendes Leben verunmöglichen. Das will recht verstanden werden! Niemand will vom
Schicksal ‚geschlagen‘ werden. Schon gar nicht darf ein Schicksal funktionalisiert werden
(Motto: Man braucht den Schlag, damit man zurecht gerückt wird).
2.3 Annahme und Bewältigung – Haltung der Gelassenheit
Gegen das, was wir nicht ändern können, was uns unverfügbar ist, ist nicht anzukämpfen. Erstens ist das Ankämpfen sinnlos, weil der Kampf aussichtslos ist, und zweitens und vor allem
bedeutet gegen das Schicksal ankämpfen gegen sich selbst ankämpfen, sich mit sich selbst
entzweien. Wer mit sich selbst entzweit ist, der lebt nicht in Freundschaft mit sich, und wer
nicht mit sich in Freundschaft lebt, dessen Leben kann nicht gelingen. Also kommt es darauf
an, sich mit dem Unverfüglichen anzufreunden. Ein Schicksal will nicht bekämpft, sondern
bewältigt werden. Bewältigung ist nicht ohne Selbstannahme möglich. Wer das kann, den
nennen wir mit einem uralten Wort jemanden, der Gelassenheit besitzt.
Ein Schicksal annehmen, sich mit ihm anfreunden, heißt nicht, es beschönigen, es verharmlosen. Schicksalsannahme heißt auch nicht fatalistische Ergebung, resignatives Nichtstun,
Gleichgültigkeit, distanzierte Indifferenz, Apathie. Gelassen ist nicht, wer sich so verhärtet
hat, daß ihn aus Leidenschaftslosigkeit nichts mehr betreffen kann. Zur Annahme gehört
durchaus so etwas wie Engagement. Damit sich das Unmögliche als solches erweisen kann,
müssen die Grenzen des Möglichen ausgelotet werden, nicht aber darf dieser Schritt aus
Angst vor Mißerfolg unterlassen werden. Die Grenze zwischen dem Gegebenen als einem
Veränderbarem und dem Gegebenen als einem zu Respektierenden zu finden, ist schwierig,
daraus folgt aber nicht, sie von vornherein zu negieren.
Der Gelassene, dem es um Bewältigung geht, unterscheidet sich von dem, der gegen das Unvermeidliche ankämpft, durch die Haltung: Er lotet die Grenzen des Möglichen in der Bereitschaft aus, sie als Grenzen des Handelns anzuerkennen, und das heißt, das Scheitern nicht als
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Niederlage zu nehmen, sondern als sinnvoll, d.i. als Ausdruck menschlicher Endlichkeit zu
akzeptieren. Gewiß – in das Unvermeidliche können wir uns letztlich nur fügen. Menschlich
ist aber dieses Sich-Fügen eben nur dann, wenn das Unvermeidliche sich als solches gezeigt
hat. Das Machbare (= das Zweckmäßige!) findet seine Grenze nicht am derzeit Noch-nichtMachbaren, sondern an dem, was die Alten Scheu genannt haben, in der Anerkenntnis des
Ehrfurcht Gebietenden.
Ein guter Arzt wird um diese Zusammenhänge – die hier nur angedeutet wurden – wissen und
sein Handeln dementsprechend einrichten. Denn zum einen behandelt er nicht Krankheiten,
sondern kranke Mitmenschen, und zum anderen weiß er, daß als guter Arzt vor der Frage
nach den Bedingungen eines guten Lebens nicht ausweichen darf. Anderenfalls betätigt er
sich bloß als Gesundheitsmanager. Wie Romano Guardini einmal bemerkt hat, ist das Schicksal das Persönlichste und gleichzeitig das, was uns alle verbindet.
2. Pränatale Diagnostik (PND)
Die pränatale Diagnostik ist eine an noch Ungeborenen vorgenommene Diagnostik. Sie ist in
der Zwischenzeit zum Bestandteil einer guten Frauenheilkunde geworden.
2.1 Pränataldiagnostische Methoden
Es wird unterschieden zwischen

nicht-invasiven Methoden (Ultraschalluntersuchung)

invasiven Methoden:
(a) Chorionzottenbiopsie (Gewebeentnahme am ‚Mutterkuchen‘). Chromosomenuntersuchung zwischen der 11. und 14. Schwangerschaftswoche, um mögliche Fehlbildungen,
Erbkrankheiten und Chromsomenanomalien zu erkennen.
(b) Fetalblutpunktion
(c) Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung), durchgeführt zwischen der 15. und 18.
Schwangerschaftswoche. Bei Auffälligkeiten im Ultraschall oder Verdacht auf Chromosomenstörungen liefert die Fruchtwasseruntersuchung Ergebnisse mit hundertprozentiger
Sicherheit. Mit der Chromosomenanalyse aus Fruchtwasserzellen können sowohl zahlenmäßige als auch strukturelle Veränderungen aller Chromosomen erfaßt werden. Eine psychische Belastungsprobe ist der lange Zeitraum von 2 – 3 Wochen zwischen Punktion und
Vorliegen eines Befundes. [Mittlerweile kann im Rahmen der Amniozentese ein Schnell7
befund auf die drei wichtigsten Chromosomenstörungen (Trisomie 21, Trisomie 18 und
Trisomie 13) innerhalb von drei Tagen geliefert werden].
2.2 Funktionen einer Pränataldiagnostik
Eine Pränataldiagnostik hat mehrere Funktionen:

sie ermöglicht die Früherkennung von Krankheitsanlagen, Fehlbildungen noch vor der
Geburt.

sie dient dem Abbau von Befürchtungen und Sorgen während der Schwangerschaft, dient
Beruhigung der Eltern, der Entlastung von Risikopatientinnen (Ausschluß einer Erkrankungsrisikos des Ungeborenen).

sie ermöglicht in einigen Fällen eine frühzeitige Therapie.

sie ermöglicht es Eltern, sich auf die zu erwartende Erkrankung oder Behinderung einzustellen.

sie dient der Gegensteuerung eines aus Angst vorgenommenen Schwangerschaftsabbruchs
2.3 Ethische Probleme
Das ethische Problem einer Pränataldiagnostik liegt in ihrer Handhabung. Was tun, wenn eine
Fehlbildung diagnostiziert wird? Eine Pränataldiagnostik ist für sich genommen sinnvoll und
positiv einzuschätzen (Betreuung des Kindes, Abwehr von Gefahren für Mutter und Kind), sie
hat aber auch Schattenseiten. Diese betreffen nicht die Diagnose selbst, sondern ihre unreflektierte oder zur Routine gewordene Handhabung (PND als Mittel zum Wählenkönnen). „Die
zunehmenden diagnostischen Möglichkeiten haben das ungeborene Kind immer mehr in die
Logik einer ‚Qualitätskontrolle‘ eingespannt. Immer häufiger muss das ungeborene Kind Prüfungen bestehen, bevor man sich definitiv für es und somit für sein Leben entscheidet“ (Maio
2012, 233).

Verhältnis von Indikation und Diagnose. Diagnosen sind (a) kein Selbstzweck, sondern
bedürfen einer medizinischen Indikation und dienen (b) der Therapie des geborenen oder
ungeborenen Patienten. Unter diesem Gesichtspunkt sind eine nicht indizierte Diagnostik
sowie eine Diagnostik nicht-therapierbarer Krankheiten abzulehnen. Eine pränatale Diagnostik sollte auf risikoreiche Schwangerschaften eingeschränkt und nicht auf risikoarme
Schwangerschaften ausgedehnt werden.

Gefahr einer Instrumentalisierung der Pränataldiagnose zur Feststellung von Normalmerkmalen (Geschlechtsbestimmung, Vaterschaftsnachweis)
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
Es kann zum Verlust einer unbefangenen Einstellung zur Schwangerschaft kommen und
zu einer Zweiteilung der Schwangerschaft führen: (a) Phase des Vorbehalts (b) Phase der
Akzeptanz bei unauffälliger Pränataldiagnose.

Diskrepanz zwischen Diagnosemöglichkeiten und Therapiemöglichkeiten

Pränataldiagnose – Schwangerschaftsabbruch. Eine Pränataldiagnose kann zur Frage der
Fortführung oder des Abbruchs der Schwangerschaft führen. Problematisch wäre ein Automatismus zwischen PND und Schwangerschaftsabbruch (so als ob ein Abbruch die logische Folge aus einer negativen Diagnose wäre). Nach welchen Selektionskriterien soll
hier vorgegangen werden? (ist z.B. ein diagnostiziertes Down Syndrom ein Abtreibungskriterium?) Die Dilemmasituation ist mit der Entgegensetzung von Lebensrecht des Kindes und Selbstbestimmungsrecht der Frau noch nicht adäquat beschrieben. Es ist vielmehr
die einmalige Situation der „Zweiheit in der Einheit“, die das Dilemma ausmacht (die
Mutter als Lebensgrundlage für das Kind).

Rechtslage in Österreich: rechtswidrig (§ 96 StGB), jedoch unter bestimmten Bedingungen straffrei (§ 97 StGB). Die Straffreiheit bedeutet keine ethische Unbedenklichkeitserklärung, vielmehr versucht der Gesetzgeber, der unvergleichlichen Konfliktsituation gerecht werden, die eine Schwangerschaft gegebenenfalls darstellen kann).
Verantwortung des Arztes:

Die Art und Weise der Übermittlung des Befundergebnisses hat so oder so Einfluß auf die
Entscheidung der Schwangeren. Wichtig: Diagnosestellung ohne eigene Wertung.

Aufklärungspflicht des Arztes – sonst Verstoß gegen die Vertragspflicht den Eltern gegenüber, die auch den Schutz vor Vermögensnachteilen umfaßt. [Siehe Entscheidung des
OGH vom 25. Mai 1999 (Geschäftszahl: 1Ob91/99k; 6Ob303/02f; 5Ob165/05h;
6Ob101/06f; 2Ob172/06t; 5Ob148/07m; 6Ob148/08w):
„Der Arzt, der die mögliche Aufklärung über den Zustand der Leibesfrucht unterlässt,
verstößt gegen seine Vertragspflicht, die auch den Schutz vor Vermögensnachteilen infolge der unerwünschten, bei ordnungsgemäßer Aufklärung unterbliebenen Geburt eines
schwerstbehinderten Kindes umfasst. Unterläuft dem Arzt bei derartigen Untersuchungen
ein Fehler, der zur sonst unterbliebenen Geburt eines behinderten Kindes führt, so erstreckt sich seine Haftung auf die Freistellung des Vertragspartners von wirtschaftlichen
Belastungen, die - unter anderem - durch den Behandlungsvertrag, der wesentliche Elemente des Beratungsvertrags umfasst, vermieden werden sollten. Auch insoweit kann die
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Übernahme der medizinischen Aufgaben durch den Arzt, die der Erreichung eines erlaubten Vertragszwecks dient, nicht ohne rechtliche Verantwortung für den Arzt bleiben.“
3. Präimplantationsdiagnostik (PID)
Genetische Untersuchung eines in vitro hergestellten Embryos. Einem Embryo im Vier- bis
Achtzellenstadium werden totipotente Zellen (= Zellen, aus denen sich unter entsprechenden
Bedingungen noch ein Mensch entwickeln kann) entnommen und genetisch untersucht und im
Zuge der Untersuchung zerstört. Das Untersuchungsergebnis bildet die Grundlage für die Entscheidung, den Restembryo zu implantieren oder zu vernichten. Die Präimplantationsdiagnostik bietet sich für Paare an, mit erhöhtem Risiko ein erbbedingt krankes oder behindertes Kind
zu zeugen.
Die PID wirft sowohl empirische Fragen als auch eine Reihe von ethischen Problemen auf.
(1) Die empirischen Fragen betreffen (a) die Indikation (Welche Paare kommen in Frage? Unter welchen Umständen kommen wieviele Paare in Betracht?) und (b) die Mittel.
3.1 Ethische Probleme
3.1.1 Argumente für eine Zulassung der PID:

Alternative zur pränatalen Diagnostik: Vermeidung eines Schwangerschaftsabbruchs, weil
die Untersuchung vor der Schwangerschaft vorgenommen wird (Vermeidung vor allem
eines Spätabbruchs; die österreichische Rechtslage kennt die embryopathische Indikation,
die einen Schwangerschaftsabbruch auch nach der Dreimonatsfrist zuläßt).

Beitrag zur Erfüllung des Wunsches risikobehafteter Paare nach einem nicht behinderten
eigenen Kind (Behebung der Not der Kinderlosigkeit). Vermeidung des Leides, das die
Geburt eines behinderten oder erbkranken Kindes für die Eltern bedeuten kann.

‚Wertungswiderspruch‘: Verbot einer PID ist inkonsequent. Die Nichtakzeptanz der Vernichtung eines Embryos verträgt sich nicht mit Akzeptanz eines Schwangerschaftsabbruchs. Der Embryo in vitro genieße einen höheren Schutz als der Embryo im Mutterleib.
Wer A sagt (Schwangerschaftsabbruch akzeptiert), muß auch B sagen (die Vernichtung
von Embryonen akzeptieren).

Nicht wünschenswerte Folgen eines Verbots: Behandlungstourismus, Benachteiligung der
finanziell ärmer Gestellten.
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3.1.2 Argumente gegen eine Zulassung der PID:

Grundproblem: Bei der PID handelt es um eine Zeugung auf Probe, um Prävention durch
Selektion. Erzeugung eines Embryos zu Testzwecken (zu Zwecken einer genetischen
Qualitätsprüfung), d.h. in der Absicht, ihn gegebenenfalls zu vernichten. Erfüllung eines
Kinderwunsches um jeden Preis?

Es herrscht ein wesentlicher Unterschied zwischen Präimplantationsdiagnostik und Pränataldiagnostik: PID: Nicht-Vorliegen einer Schwangerschaft (einer möglichen Konfliktsituation), PND: Vorliegen einer Schwangerschaft (möglicherweise einer Konfliktsituation).
Bei der PND lautet gegebenenfalls die Entscheidung für oder gegen Weiterleben. Bei der
PID geht es um eine Auswahl: Die Entscheidung für den einen ist die Entscheidung gegen
einen anderen.

Antizipation eines Konflikts? – Rechtfertigt solch eine Antizipation die Selektion? Kann
man hier überhaupt von ‚Konflikt‘ sprechen, wenn er bewußt herbeigeführt wird?

Alternativen zur Erfüllung eines Kinderwunsches risikobehafteter Paare sind keineswegs
moralisch unzumutbar: Adoption

Mit der Befürwortung einer PID wird – ob gewollt oder nicht gewollt – für eine Selektion
menschlichen Lebens nach lebenswert und lebensunwert plädiert.

Vermeidung eines Schwangerschaftsabbruchs? Die Belastung eines Abbruchs für die Frau
wird vermieden. Doch die Beendigung des Lebens wird nicht vermieden, sondern nur vorverlegt. Nicht die Behinderung wird vermieden, sondern ihr Träger wird aussortiert. Bei
Vorliegen eines im Zuge einer PND diagnostizierten Gendefekts ist der Schwangerschaftsabbruch keineswegs die logische Konsequenz. Das ‚Vermeidungsargument‘ unterstellt, der Schwangerschaftsabbruch sei eine automatische Selbstverständlichkeit.

Es liegt kein Wertungswiderspruch vor: Eine Inkonsistenz läge nur dann vor, wenn A (=
Schwangerschaftsabbruch) ohne Vorbehalt akzeptabel, ethisch unbedenklich wäre. Das
aber ist nicht der Fall. Abgesehen davon, daß der Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig,
wenngleich straffrei ist: Gesellschaftliche Akzeptanz ist nicht identisch mit ethischer Unbedenklichkeit. Wer für die Logik plädiert, wer A sagt, müsse auch B sagen, verliert die
Vorbehalte gegen A aus dem Blick.

PID verändert die Zielsetzung der IVF. Diese wurde in therapeutischer Absicht entwickelt, um infertilen Paaren zu einem eigenen Kind zu verhelfen. Paare, die für eine PID
infrage kämen, sind zwar risikobehaftet, aber nicht infertil. Der Zweck einer im Hinblick
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auf eine PID vorgenommenen IVF ist jedoch ein anderer: Nicht die Umgehung der Infertilität, sondern die Zeugung auf Probe.
An diesen Fragen erkennt man leicht, wie sehr die ethische Debatte von anthropologischen
und ontologischen Fragestellungen mitbestimmt ist. Im konkreten Beispiel: Was hat es mit
dem Embryo auf sich? ‚Was‘ zeugen Eltern? Zeugen sie menschliches Leben oder zeugen sie
ihr Kind? Was heißt im Falle des Menschen pünktlich und genau: Werden? Entwickelt sich
etwas zu einem Menschen (zu jemand) oder wird der Mensch als Mensch zum Menschen?
Woher beziehen wir unser Verständnis von Werden – etwa im Blick auf die Herstellung von
etwas aus einem vorhandenen Material? Läßt sich das Herstellungsmodell auf die Zeugung
eines Menschen übertragen? Ist der Mensch ein Herstellungsprodukt? Wenn ja warum, wenn
nein, warum nicht? Was heißt, einen Anfang des eigenen Lebens haben? Ist die erste Lebensphase (der Beginn) mit dem Anfang des Lebens identisch? Wessen Phasen sind die ersten
Phasen eines menschlichen Lebens oder sind die ersten Lebensphasen niemandes Lebensphasen? Wer oder was ist das Subjekt des Lebens? Lebt menschliches Leben oder lebt jemand?
Kommt das Subjekt im Laufe der Entwicklung menschlichen Lebens zu diesem hinzu?
Gewiß: Man kann sich um diese Fragen ‚drücken‘ – doch wird eine ernsthafte Diskussion der
durch die moderne Reproduktionsmedizin geschaffenen ethischen Probleme um diese Fragen
nicht herumkommen. Zwar liefert eine philosophische Anthropologie für sich genommen
noch keine Ethik, doch ohne sie bleibt eine Ethik, insbesondere eine Medizinethik, bodenlos.
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