Abgrenzung zwischen Betreuungsverfügung und - kanzlei

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Abgrenzung zwischen
Betreuungsverfügung und
Vollmachtserteilung in Verbindung mit
der Patientenverfügung
Vortrag im Klinikum
Schwäbisch Gmünd
am 17. Juni 2009
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I. Ausgangspunkt
Ich möchte zu Beginn meiner Ausführung zunächst auf die Frage
eingehen, aus welchen Gründen wir uns heute mit der Abgrenzung
zwischen Betreuungsverfügung und Vollmachtserteilung in
Verbindung mit Patientenverfügung auseinandersetzen müssen:
Im Vergleich zu den vorangegangenen Jahrzehnten ist zunächst
festzustellen, daß Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügungen oder
gar eine Patientenvollmacht vom Einzelnen nicht gemacht wurden und
dies letztendlich auch nicht erforderlich war.
Dies hat sich grundlegend geändert, da heute
- ein weit höheres Alter erreicht werden kann
- und das soziale Umfeld, „die Absicherung“, wie sie in früheren
Zeiten bestand, nicht mehr grundsätzlich vorhanden ist. Ein
hohes Lebensalter ist im Gegensatz zu früher nicht die
Ausnahme, sondern eher die Regel.
Hinzu kommt, daß
- der wirtschaftliche und technische Fortschritt es möglich
machen, auch schwerstkranken Menschen zu helfen, für die
es vor 50 Jahren noch keine Rettung gegeben hätte.
Auf diese Weise geraten wir nun in ein Spannungsfeld, das uns noch
vor Jahren unbekannt war:
Die Perspektive, heute geholfen bekommen zu können in
Situationen, die früher aussichtslos erschienen, stellt auf
der einen Seite eine Chance dar, beinhaltet
aber auf der anderen Seite ein Risiko, daß eine Leidens- und
Sterbeverlängerung vorgenommen wird, die nicht im
Interesse des Patienten ist.
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Und genau an dieser Stelle kommt nun die für sie wesentliche
Problematik ins Spiel:
Sie wissen,
- jeder Mensch hat das Recht für sich zu entscheiden, ob und
welche medizinische Maßnahme für ihn ergriffen werden
soll
- daß Sie für jede Handlung die Zustimmung des Betroffenen
benötigen und ohne Zustimmung des Betroffenen am
Patienten vorgenommene Behandlungen den Tatbestand
einer Körperverletzung darstellen können
Frage: Wie können sie den Willen eines Menschen feststellen,
wenn er nicht mehr in der Lage ist diesen selbst zu äußern
sowie welche Möglichkeiten hat der Einzelne Vorsorge zu treffen
was geschieht, wenn der Patient im Vorfeld sich hierüber
keine Gedanken gemacht hat, also keine
Vorsorgmaßnahmen traf?
Ich möchte nun zunächst auf den letzteren Punkt der Frage eingehen
und komme auf die
II. Betreuerbestellung
zu sprechen:
Ausgangspunkt ist also, daß eine Person, bei welcher medizinische
Maßnahmen ergriffen werden müssen, nicht mehr in der Lage ist, ihren
Willen zu äußern.
Entgegen einem weitverbreiteten Irrtum verhält es sich nun nicht so,
daß in einem solchen Fall der Ehepartner oder die Kinder sich nun
automatisch um alles kümmern könnten, insbesondere rechtlich
verbindliche Erklärungen für den betroffenen Patienten abgeben
dürfen.
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In unserem Recht haben nur Eltern gegenüber ihren minderjährigen
Kindern ein umfassendes Sorgerecht und damit die Befugnis zur
Entscheidung und Vertretung in allen Angelegenheiten.
Für einen Volljährigen hingegen können die Angehörigen nur in zwei
Fällen entscheiden oder Erklärungen abgeben:
Entweder aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht oder
wenn sie gerichtlich bestellter Betreuer sind.
Liegt eine Vollmacht nicht vor, so muß dementsprechend eine
Betreuung angeordnet werden.
Hierauf möchte ich nun im einzelnen eingehen:
Die Bestellung eines Betreuers durch das Vormundschaftsgericht
erfolgt dann, wenn die Voraussetzungen des § 1896 BGB vorliegen
Betreuungsbedürftigkeit besteht dementsprechend immer dann, wenn
eine ärztlich nachgewiesene Beeinträchtigung besteht und
zusätzlich der Betroffene die Angelegenheiten des
alltäglichen Lebens nicht mehr alleine bewältigen kann.
Ursachen hierfür gibt es viele, exemplarisch aufzuführen sind hier
-
psychische Erkrankung
geistige Behinderung
Drogenabhängigkeit
Bewußtlosigkeit nach Unfall
Altersverwirrtheit / Demenz
Das V e r f a h r e n hat folgendes Aussehen:
Wird durch einen Arzt, Verwandten oder Bekannten festgestellt, daß der
Betroffene für sich selbst nicht mehr richtig entscheiden und sorgen
kann, wird das Vormundschaftsgericht auf den Fall möglicher
Betreuungsbedürftigkeit aufmerksam gemacht.
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Das Vormundschaftsgericht beauftragt dann einen Arzt, die jeweilige
Person zu begutachten.
Wird dann festgestellt, daß die Voraussetzungen Betreuungsbedürftigkeit vorliegen, wird vom Vormundschaftsgericht ein Betreuer bestellt.
Das Vorgehen des Vormundschaftsgerichts ist hierbei rein formalistisch:
Das Vormundschaftsgericht eruiert zunächst die Vermögensverhältnisse des Betroffenen, um abklären zu können, wer die Kosten der
Betreuung zahlt und wird dann eine entsprechende Betreuerbestellung
vornehmen.
Liegt dem Vormundschaftsgericht eine Betreuungsverfügung des
Betroffenen vor, so ist das Gericht an diese Verfügung gebunden, in
welcher festgelegt ist, wer vom Vormundschaftsgericht als Betreuer
bestellt werden soll – oder auf keinen Fall bestellt werden soll.
Die Betreuungsverfügung hat Vorrang gegenüber der Amtsbetreuung.
Die Voraussetzungen einer wirksamen Betreuungsverfügung sind weit:
Sie muß nicht vor einem Notar errichtet werden
- ist dementsprechend f o r m f r e i, kann also grundsätzlich
auch mündlich erklärt werden, wobei in diesem Fall eine
erhebliche Beweisproblematik besteht.
Liegt eine Betreuungsverfügung nicht vor, so bestimmt das
Vormundschaftsgericht einen Betreuer, der nicht unbedingt aus dem
Familienkreis kommen muß.
Ob und inwieweit der von Amtswegen bestellte Betreuer den Wünschen
und Wertvorstellungen des betroffenen Patienten nachkommt bzw.
nachkommen kann, ist natürlich völlig offen.
Bestellt das Gericht einen Betreuer, so bestimmt es zugleich seinen
Aufgabenkreis.
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Liegt eine Betreuerbestellung durch das Vormundschaftsgericht vor,
so vertritt der Betreuer die Interessen des betroffenen Patienten,
berechtigt den Betreuer jedoch nicht zur Vertretung bei Rechtsgeschäften.
Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, daß der Betreuer gemäß §
1904 BGB grundsätzlich verpflichtet ist, eine richterliche Genehmigung einzuholen, wenn aufgrund der vorgesehenen diagnostischen oder
therapeutischen Maßnahmen, in welche er einwilligen soll, „die begründete Gefahr besteht, daß der Betreute aufgrund der Maßnahme stirbt
oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen
Schaden erleitet“ (§ 1904 Abs. 1 BGB).
Auf Einzelheiten dieser erforderlichen Einwilligung werde ich im
Folgenden noch eingehen.
Problematisch für Sie sind die Fälle, in welchen ein Patient in die Klinik
eingeliefert wird, der seine Meinung nicht mehr äußern kann, jedoch
weder eine Betreuerbestellung noch eine Vorsorgevollmacht
vorliegt. Kann der Patient selbst in die notwendig gewordenen
Behandlungen nicht mehr einwilligen muß von Ihrer Seite her der
Antrag bzw. die Anregung auf Anordnung einer vorläufigen
Betreuung beim Vormundschaftsgericht gestellt werden.
Bis durch das Vormundschaftsgericht der Betreuer bestellt ist muß bei
allen Maßnahmen die ärztliche Behandlung nach dem „mutmaßlichen
Willen“ des Patienten vorgenommen werden, Behandlungsentscheidungen, die zurückgestellt werden können, müssen – bis ein
Betreuer bestellt ist – zurückgestellt werden.
Aufgrund der Zeit- und Reibungsverluste, die bei Einschaltung des
Vormundschaftsgerichtes auftraten und eine optimale Versorgung des
Patienten somit häufig nicht mehr gewährleistet war, wurde durch
das Justizministerium Baden-Württemberg Anfang 2009 ein von
Gericht und Medizinern gemeinsam entworfenes Formblatt als
ärztliches Attest zur Vorlage beim Vormundschaftsgericht zur
Verfügung gestellt.
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Nach Auffassung des Justizministeriums wurde den behandelnden
Ärzten damit ein Dokument in die Hand gegeben, mit dem von Seiten
der Justiz umfassend und abschließend die Informationen von der
Klinik abgerufen werden, die rechtlich für eine Eilbetreuerbestellung
notwendig sind.
Ob und in wieweit dieses „neue Eilverfahren“ zu dem gewünschten
Erfolg, nämlich eine optimale Versorgung der Patienten zu
gewährleisten, geführt hat, kann sicherlich eher von Ihnen als von mir
beurteilt werden.
III. Vorsorge- /Generalvollmacht
Von einer völlig anderen Situation können sie ausgehen, wenn ihnen
eine Vorsorge- oder Generalvollmacht vorgelegt wird.
Im Gegensatz zur Betreuungsverfügung, die nicht zur Vertretung bei
Rechtsgeschäften berechtigt, sondern nur Wünsche festgelegt werden
für den Fall, daß ein Betreuer bestellt werden muß, handelt es sich bei
der Vollmacht
um eine durch Rechtsgeschäft erteilte Vertretungsvollmacht.
Sie wird im Regelfall durch Erklärung des Vollmachtgebers gegenüber
dem Bevollmächtigten erteilt.
Wie jedes Rechtsgeschäft setzt sie die Geschäftsfähigkeit des
Vollmachtgebers voraus.
Mit Erteilung der Vollmacht gibt der Vollmachtgeber somit der Person
seines Vertrauens
die Möglichkeit, stellvertretend für ihn zu handeln,
wenn er seine persönlichen Angelegenheiten nicht mehr selbst
verantwortlich regeln kann.
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Der Bevollmächtigte
handelt im Namen des Vollmachtgebers
im Rahmen der erteilten Vollmacht.
Der Vollmachtgeber entscheidet hierbei über den Umfang der
Vollmacht nach eigenen Wünschen und Bedürfnissen.
Daraus folgt, daß die Vollmacht auf einzelne Lebensbereiche
begrenzt sein kann oder auch in Form einer Generalvollmacht erteilt
wird.
Möglich ist auch, daß mehrere Vollmachten an verschiedene
Personen die jeweils unterschiedlichen Lebensbereiche ausgestellt
werden.
Bei der Vollmacht handelt es sich also um eine
für Dritte bestimmte Erklärung in welcher die Person des
Vollmachtnehmers angegeben und beschrieben wird, was
diese „im Außenverhältnis“ mit Rechtswirkung für den
Vollmachtgeber tun darf.
Was ist nun der Unterschied zwischen der Generalvollmacht und
der Vorsorgevollmacht ?
Eine Generalvollmacht kann „zur Vertretung in allen Angelegenheiten“ ermächtigen.
Eine solche Formulierung deckt aber mehrere wichtige Fälle nicht
ab:
- der Bevollmächtigte kann nicht anstelle des Vollmachtgebers
einer ärztlichen Untersuchung, einer Heilbehandlung oder
einem medizinischen Eingriff zustimmen, wenn dieser
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lebensgefährdend ist, (etwa bei einer Herzoperation) oder ein
schwerer, länger andauernder Gesundheitsschaden zu
erwarten ist (z.B. eine Amputation)
- der Bevollmächtigte kann anstelle des Vollmachtgebers nicht
in eine zum Schutze des Vollmachtgebers notwendige
geschlossene Unterbringung oder in eine andere
freiheitsbeschränkende Maßnahme (etwa ein Bettgitter)
einwilligen
- der Bevollmächtige kann an der Stelle des Vollmachtgebers
nicht in eine Organspende einwilligen
Hier kommt § 1904 Abs. 2 Satz 2 zum Tragen, in welchem ausdrücklich geregelt ist:
„Die Einwilligung eines Bevollmächtigten, ist nur wirksam, wenn
die Vollmacht schriftlich erteilt ist und die genannten Maßnahmen ausdrücklich umfaßt“.
Eine Generalvollmacht genügt hierfür also nicht. Erforderlich hierfür
ist die sogenannte Vorsorgevollmacht, in welcher ausdrücklich
aufgeführt sein muß, daß der Vollmachtgeber dem Vollmachtnehmer
die Vollmacht erteilt, Einwilligung in eine lebensgefährliche Operation
oder in lebensverlängernden Maßnahmen bzw. deren Abbruch zu
erteilen.
Beachtenswert ist jedoch auch in solchen Fällen, wenn eine wirksame
Vorsorgevollmacht vorliegt, daß der Bevollmächtigte bei Einwilligungen in "Risikomaßnahmen" ebenso einer obligatorischen vormundschaftsgerichtlichen Genehmigungspflicht bedarf, wie ein
Betreuer.
Beachtenswert ist jedoch, daß auch dann, wenn eine wirksame
Vorsorgevollmacht vorliegt, der Bevollmächtigte bei Einwilligungen in
Risikomaßnahmen ebenso einer vormundschaftsgerichtlichen
Genehmigung bedarf, wie ein Betreuer.
Es gilt somit festzuhalten:
In der deutschen Gesetzgebung existiert derzeit kein Rechtsinstitut,
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welches es auch außerhalb akuter Notfallsituationen ermöglicht, risikobehaftete Stellvertreterentscheidungen bei einwilligungsunfähigen
Patienten zu treffen, ohne daß diese zuvor durch ein Vormundschaftsgericht genehmigt worden sind.
Zweifelsohne stellt Sie dies vor erhebliche Probleme, die alleine schon unter
logisch-pragmatischen Gesichtspunkten kaum zu bewältigen sind.
Auf dieses Problemfeld möchte ich nun im weiteren noch eingehen:
Auszugehen ist von der Voraussetzung, daß auch Entscheidungen bei
der Behandlung von selbst nicht (mehr) einwilligungsfähigen Patienten
grundsätzlich durch eine rechtswirksame Einwilligung gedeckt sein
müssen.
Diese kann auf zwei Grundlagen basieren:
Entweder der (inzwischen einwilligungsunfähige) Patient selbst erteilte
(oder verweigerte) mittels einer zu einem früheren Zeitpunkt mündlich
abgegebenen und/oder schriftlich verfaßten Vorausverfügung, der
sogenannten Patientenverfügung, seine Zustimmung zu entsprechenden
Therapiemaßnahmen.
Oder eine Stellvertreterentscheidung wird für den Betroffenen durch eine
Person herbeigeführt, die hierzu ausdrücklich legitimiert sein muß.
Im ersten Fall (Patientenverfügung) ist -um überhaupt eine Bindungswirkung
annehmen zu können- Voraussetzung, daß die Verfügung sich auf
konkrete Behandlungssituationen bzw. Maßnahmen bezieht, keine
Umstände erkennbar sein dürfen, daß der Patient diese Verfügung aktuell
nicht mehr gelten lassen würde und es dürfen keine begründeten
Zweifel an ihrer Ernsthaftigkeit bestehen.
Liegt darüber hinaus noch eine wirksame Vorsorgevollmacht vor, kann
sich also eine Person als Stellvertreter legitimieren, so können mit dieser die
weitaus meisten Entscheidungen herbeigeführt werden.
Nochmals zu beachten ist in diesem Zusammenhang jedoch,
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daß sowohl der Betreuer, als auch der Vorsorgebevollmächtigte
ausdrücklich auch zu Einwilligungen über medizinische sowie
gegebenenfalls aufenthaltsbestimmende Maßnahmen ermächtigt
sein müssen.
Alleine Personen, die mit diesen Rechtstiteln ausgestattet wurden,
sind für den Arzt maßgebliche Ansprechpartner.
Die Erklärungen und Entscheidungen eines legitimierten Stellvertreters
des Patienten sind für den Arzt im Grundsatz verbindlich.
Sind die beabsichtigten Diagnose- oder Therapiemaßnahmen als
risikobehaftet im Sinne des Gesetzes einzustufen, müssen nach
gegenwärtiger Rechtsvorschrift (§ 1904 Abs. 1 BGB) hierfür zusätzlich
vormundschaftsgerichtliche Genehmigungen durch den gesetzlichen
Stellvertreter und/oder den behandelnden Arzt eingeholt werden.
Ich möchte hier zu Verdeutlichung den Wortlaut des § 1904 BGB zitieren:
Abs. 1 I:
Die Einwilligung des Betreuers/Stellvertreters in eine Untersuchung
des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen
Eingriff bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, wenn
die begründete Gefahr besteht, daß der Betreute/Vertretene aufgrund
der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden
gesundheitlichen Schaden erleidet.
Ohne Genehmigung darf die Maßnahme nur durchgeführt werden, wenn
mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist.
Folge dieser gesetzlichen Vorgabe ist nach wohl herrschender Rechtsprechung, daß eine richterliche Zustimmung erforderlich ist bei
- Operationen, die mit Organverlusten bzw. Amputationen
einhergehen, oder durch die wesentliche Organ- oder Stoffwechselfunktionen (Gehirn, Herz, Lunge, Leber, Niere) bzw. wichtige
(Sinnes-) Fähigkeiten des Patienten (Auge, Gehör, Gleichgewichtssinn, Sprech-, Kommunikations-, Denkvermögen, Mimik, Mobilität,
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Zeugungsfähigkeit und anderes) längerfristig beeinträchtigt oder
bleibend geschädigt werden oder mit einer ernstzunehmenden
Wahrscheinlichkeit geschädigt werden könnten (die jedoch im
Einzelfall schwer zu quantifizieren sein dürfte).
- Gefäßchirurgischen Eingriffen an großen Gefäßen, Operation am
offenen Thorax, Organtransplantationen sowie Eingriffe im Gehirn
und am Rückenmark.
- Operationen, bei denen bereits aufgrund präoperativ vorliegender
Befunde oder bekannter Vorerkrankungen davon auszugehen ist,
daß sie mit einem deutlich erhöhten Komplikationsrisiko
behaftet sein werden, die einen langwierigen Genesungsprozeß
erwarten lassen, oder deren „Erfolgsaussichten“ schon primär als
zweifelhaft angesehen werden müssen.
- Eingriffe, die absehbar eine (gegebenenfalls längerfristige) Intensivtherapie oder Organersatztherapie notwendig machen könnten (z.B.
Dialyse, Langzeitbeatmung u.a.).
- Für zahlreiche und sehr häufige „konservative“ Therapieverfahren wird
von der Literatur teilweise die gerichtliche Zustimmungspflichtigkeit
ebenfalls bejaht, wie z.B. bei Langzeitbehandlungen mit Neuroleptika,
Chemotherapien, langfristigen Ernährungstherapien über PEG-Sonde
usw..
- Für Maßnahmen, die gravierende Nebenwirkungen von Medi
kamenten, erhebliche Schmerz- und Schwächezustände sowie
Siechtum befürchten lassen.
- Für Maßnahmen, wie beispielsweise „Bettgitter, Festbinden im Bett oder
am Stuhl, vom Betroffenen nicht zu öffnende Schließmechanismen“
sowie Sedierungen, mit denen bisweilen auch Krankenhauspatienten
fixiert oder ruhiggestellt werden, fordert das Gesetz -außer wiederum in
akuten Notfällen- grundsätzlich eine gerichtliche Genehmigung.
Als Fazit kann festgestellt werden, daß der bei weitem überwiegende
Anteil von Risikoentscheidungen bei nicht einwilligungsfähigen Patienten
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derzeit eindeutig nicht durch rechtswirksame Einwilligungen gedeckt
ist:
Willigt anstelle des Patienten ein nahestehender Angehöriger in die
Maßnahme ein, so ist dieser aufgrund eines fehlenden Rechtstitels hierzu
juristisch gar nicht ermächtigt.
Selbst wenn ein tatsächlich legitimierter Stellvertreter einwilligt, jedoch in
die mit den Risiken behafteten Eingriffe das Vormundschaftsgericht die
erforderliche Genehmigung nicht erteilt, so besteht das Risiko für Sie darin,
daß –aus formal-juristischen Gründen- zivilrechtliche Sanktionen gegen
den behandelnden Arzt drohen, da die vom Gesetzgeber vorgeschriebene
Vorgehensweise nicht eingehalten wurde und somit eine wirksame
Einwilligung in den Eingriff nicht als gegeben angesehen wird.
Auch eine rechtskräftige Verurteilung wegen des strafrechtlich relevanten
Tatbestands der Körperverletzung ist möglich – hierauf wird Herr Dr.
Schütze in seinem Teil des Vortrags noch näher eingehen.
IV.
Ich möchte nun kurz auf das Spannungsfeld zwischen Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung eingehen:
In der Vorsorgvollmacht werden die Rechte des Vollmachtnehmers im
Außenverhältnis dargestellt, das heißt welche Handlungen,
Rechtsgeschäfte und Verfügungen im Namen des Vollmachtgebers
durchgeführt werden sollen.
Die Patientenverfügung gibt dagegen den Ärzten und Pflegeverantwortlichen Auskunft darüber, wie sie eine bestimmte Person behandeln
und pflegen sollen, die ihren Willen nicht mehr äußern kann.
Und damit komme ich nun letzten Punkt meines Vortrags, nämlich
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V. Die Patientenverfügung
Wie bereits dargestellt, legt der die Verfügung Erstellende in einer
„perfekten Patientenverfügung“ fest, was Ärzte, bevollmächtigte
Betreuer oder aber auch das Vormundschaftsgericht tun oder lassen
sollen, um nach dem Willen des Bewußtlosen, Hilflosen und
Pflegebedürftigen Menschen zu handeln.
Grundsätzlich gilt:
Jeder entscheidet selbst, welche Behandlung an ihm
durchgeführt werden wird und welche nicht.
Streitig und nach wie vor ungeklärt ist jedoch,
wie weit eine Patientenverfügung reichen, bindend sein
soll.
Über diese Frage wird im Deutschen Bundestag seit Jahren diskutiert; am
18.06.2009 wurde vom Deutschen Bundestag eine gesetzliche Regelung
zur Wirksamkeit und Reichweite von Patientenverfügungen beschlossen.
Danach sollen künftig die Voraussetzungen von Patientenverfügungen
und ihre Bindungswirkung eindeutig im Gesetz bestimmt werden. Mit einer
Patientenverfügung soll dem Arzt der Wille eines Patienten vermittelt
werden, der sich zur Frage seiner medizinischen Behandlung nicht mehr
selbst äußern kann.
Fest steht jedoch bereits jetzt, daß ein Gesetz nicht für jeden Einzelfall
eine exakte Lösung bereit halten kann; gesetzliche Entscheidungen über
ärztliche Behandlungen gerade am Lebensende werden auch jetzt
schwierig bleiben und ein hohes Verantwortungsbewußtsein aller
Beteiligten erfordern.
Die beabsichtigte gesetzliche Regelung soll aber sicherstellen, daß der
das Betreuungsrecht prägende Grundsatz der Achtung des
Selbstbestimmungsrechtes entscheidungsunfähiger Menschen auch bei
medizinischen Behandlungen beachtet wird.
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Unklarheiten bestehen derzeit insbesondere in folgenden Fällen:
1. In der Patientenverfügung wird angegeben, daß eine künstliche
Ernährung nicht gewünscht wird.
Soweit der diese Verfügung treffende Mensch später in einen
irrevesiblen Zustand gerät, der zum Tode führt, besteht
Einigkeit, daß dieser Wille auch bindend sein soll.
Wie sieht es jedoch in den Fällen aus, in denen offen ist, ob es sich
um einen tatsächlich irrevesiblen Zustand handelt (z.B.
Wachkoma).
2. In der Patientenverfügung ist angegeben, daß lebenserhaltende
Maßnahmen nicht durchgeführt werden sollen.
Derzeit bestehen keine eindeutigen gesetzlichen Regelungen, ob
und welche weiteren Zustimmungen benötigt werden, um den
Willen des Patienten, die lebenserhaltende Maßnahme zu beenden,
nachkommen zu können.
Diese Rechtsunsicherheit wird auch durch Entscheidungen der
Oberen Gerichte, auf welche mein Kollege, Herr Dr. Schütze noch
im einzelnen eingehen wird, verstärkt mit der Folge, daß
grundsätzlich eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung
eingeholt wird.
Hintergrund dafür, daß der Gesetzgeber bislang keine Lösung für
die bestehende Problematik fand, ist, daß das Thema im
Spannungsfeld zwischen Patientenwillen und der
Schutzfunktion des Staates steht und gleich mit Fragen rund um
die Sterbehilfe vermengt wird.
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Die zentrale Frage ist, ob der Staat dem mündigen Bürger
zutraut, die Reichweite einer Patientenverfügung selbst zu
erkennen oder ob er fordert, daß dieser zunächst von
verschiedenen Institutionen beraten werden müsse (und dies
unter Umständen sogar alle paar Jahre aufs Neue).
Uneinigkeit besteht auch darüber, ob Voraussetzung für eine
wirksame Patientenverfügung sein soll, daß diese notariell
beurkundet wird.
Unter Außerachtlassung der oben beschriebenen Problematik und
unter Hinweis auf die noch folgenden Ausführungen meines
Kollegen steht folgendes fest:
Geregelt werden kann in einer Patientenverfügung die sogenannte
„passive Sterbehilfe“, die als „Verzicht auf lebensverlängernde
Maßnahmen“ verstanden wird, sowohl bei Sterbenden als auch bei
Wachkomapatienten ohne Aussicht auf Heilung.
Diese sogenannte „straffreie oder passive Sterbehilfe“ kann
bedeuten:
-
keine Beatmung
keine Dialyse
keine Ernährung
keine Flüssigkeitszufuhr
keine Medikamente, außer Schmerz- und Beruhigungsmittel
Ebenfalls straffrei ist die indirekte Sterbehilfe, wovon man spricht,
wenn infolge einer besseren oder stärkeren Schmerzbehandlung
eine Verkürzung des Lebens in Kauf genommen wird, ohne daß
die Verkürzung des Lebens Ziel der Behandlung ist.
Der Wert der Patientenverfügung ist im wesentlichen von zwei
Faktoren abhängig:
- von der eindeutigen Äußerung des persönlichen Willens
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- von der vollständigen Erfassung der zu regelnden Situation
Verbunden mit der Entscheidung zur passiven oder indirekten
Sterbehilfe bzw. einem Behandlungs- und Ernährungsabbruch ist
die Bestimmung der konkreten Behandlungsmöglichkeiten, also
der Beantwortung der Frage ob
-
ob lebenserhaltende Maßnahmen
eine Schmerz- und Symptombehandlung
eine künstliche Flüssigkeitszufuhr
Wiederbelebungsmaßnahmen
die künstliche Beatmung
die Verabreichung von Antibiotika bzw. Gabe von Blut und
Blutbestandteilen
erfolgen sollen.
Formulierungsvorschläge für die Patientenverfügung:
>bmjwww.bmj.de< Patientenverfügung
Doch auch in den Fällen, in welchen eine klar formulierte Patientenverfügung vorliegt, bestehen erhebliche Unsicherheiten wann und
in welchen Fällen der niedergeschriebene Wille des Patienten, der
sich jetzt nicht mehr äußern kann, für die behandelnden Ärzte
bindend sein kann, darf, bzw. soll.
Auf diese Problematik wird nun im weiteren ein Kollege, Herr Dr.
Schütze, eingehen.
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