Wir schätzen nicht den Menschen nach seiner

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Henry Leide
„Wir schätzen nicht den Menschen nach seiner Vergangenheit ein“ – Beispiele
vergangenheitspolitischer Bedenkenlosigkeit in der Anwerbungspraxis des MfS im
Westen. Aus der Zeitschrift „Horch und Guck“, Ausgabe 74 (Heft 4/2011)
Es gehörte zum Selbstverständnis des MfS, „Schild und Schwert der Partei“ zu sein. Als
„Generalunternehmer für Sicherheit“ erhielt die Geheimpolizei eine dominante Stellung im
Herrschaftsgefüge der DDR mit dem Auftrag, die Diktatur mit allen Mitteln nach innen und
außen zu sichern.1 Von besonderer Bedeutung für die Machtsicherung war dabei der
Antifaschismus, welcher in der DDR nicht nur „Gründungsmythos, sondern auch dauerhafte
Staatslegitimation“ war.2 Hierbei verfolgten die Machthaber die Externalisierung der
Schuldfrage in Richtung Bundesrepublik, was eine Identifizierung mit der DDR und die
Akzeptanz des SED-Regimes durch die Bevölkerung erleichtern sollte. Das MfS-offizielle,
politisch-propagandistische Selbstverständnis spiegelt sich unter anderem in folgender
Aussage wieder: „Die Aufspürung und Bestrafung der Nazi- und Kriegsverbrecher als eine
Ehrenpflicht der deutschen Kommunisten und Antifaschisten gegenüber dem Sowjetvolk,
gegenüber allen vom Hitlerfaschismus gequälten und verfolgten Völkern sowie gegenüber
dem Weltproletariat zu betrachten, wurde zum festen Grundsatz der Tätigkeit der
Staatssicherheitsorgane.“3 Wie die Akten des Apparates belegen, stand der Umgang mit
diesem Personenkreis in der Alltagspraxis der ostdeutschen Geheimpolizei jedoch oftmals in
einem krassen Gegensatz hierzu und auch zu den öffentlichen Verlautbarungen, in denen
die DDR als antifaschistischer Musterstaat präsentiert wurde. Heute wird durch ehemalige
Mitarbeiter des MfS, auch als Reaktion auf vorangegangene kritische Veröffentlichungen,
zugegeben: „Es gab zwei Gründe, weshalb gelegentlich das MfS über seinen
antifaschistischen Schatten sprang und mit Personen zusammenarbeitete, die zwischen
1933 bis 1945 bei der Gestapo, dem SD, der Geheimen Feldpolizei oder SSWachmannschaften waren. Erstens: Wenn sie in einem westlichen Dienst arbeiteten und
darum als Quelle für unsere Auslandsaufklärung interessant waren. Zweitens: Wenn auf
diesem Wege Nazi- und Kriegsverbrechen aufgeklärt werden konnten.“4 Wie eine
umfassende Studie des Verfassers belegt, sind dies zu einem erheblichen Teil nur
Schutzbehauptungen, um das eigene Fehlverhalten, welches ansonsten ausschließlich den
1 Clemens Vollnhals: Der Schein der Normalität. Staatssicherheit und Justiz in der Ära Honecker, in: Siegfried Suckut, Walter
Süß (Hg.): Staatspartei und Staatssicherheit. Zum Verhältnis von SED und MfS, Berlin 1997, S. 245.
2 Antonia Grunenberg: Anti-Faschismus und politische Gegenwelten, in: Claudia Keller (Hg.): Die Nacht hat zwölf Stunden,
dann kommt schon der Tag. Antifaschismus, Geschichte, Neubewertung, Berlin 1996, S. 15.
3 MfS, Juristische Hochschule (Hg.): Geschichte des Ministeriums für Staatssicherheit, Bd. I, Potsdam 1979, S. 135.
4 Dieter Skiba, Wolfgang Schmidt: Geschichtsschreibung nach Art des Hauses Birthler, in, Klaus Eichner, Gotthold Schramm
(Hg.): Angriff und Abwehr. Die deutschen Geheimdienste nach 1945, Berlin 2007, S. 195 f.
1
Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik vorgeworfen wurde und wird, nachträglich zu
legitimieren und zu rechtfertigen. Die meisten angeworbenen IM halfen, schon aus Angst
sich selbst zu belasten, keineswegs bei der Aufklärung von NS-Verbrechen oder der
Enttarnung bisher unbekannter Taten und Täter mit, sondern dienten als „schnöde
Berichterstatter aus ihrem Lebensalltag in der DDR“.5
Im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen steht die MfS-Anwerbungspraxis gegenüber, den
NS-Tätern mit Wohnsitz im „Operationsgebiet“ Bundesrepublik, die von besonderer
Skrupellosigkeit gekennzeichnet war. Zu jenen gehörte der in Hamburg ansässige Otto
Somann (Jg. 1899). Der in einem Dorf unweit von Hagenow/Mecklenburg (DDR-Bezirk
Schwerin) geborene Somann hatte von 1920 bis 1922 dem „Freikorps Roßbach“ und
anschließend dem rechtsextremen „Frontbann“ angehört. Bis 1925 war er Mitglied der
Deutschvölkischen Freiheitspartei und bereits im März 1927 in die NSDAP (Nr. 58 502)
sowie in die SA eingetreten. Neben seiner Tätigkeit im väterlichen Betrieb hatte Somann bis
1931 als Ortsgruppenleiter der NSDAP in Hagenow fungiert und bis 1934 auch den dortigen
SS-Trupp geführt. Somann war Träger des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP, des
Gauehrenzeichens von 1923 von Mecklenburg sowie weiterer NS-Auszeichnungen. Ab 1935
arbeitete Somann hauptamtlich im Sicherheitsdienst (SD) der NSDAP, zunächst als
Stabsführer beim SD-Oberabschnitt Nord in Stettin, später dann als Führer des SDUnterabschnitts Liegnitz, des SD-Leitabschnitts Breslau und des SD-Leitabschnitts
Hamburg. Ab Januar 1943 wirkte Somann als Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD
(IdS) in Wiesbaden. Im Rang eines SS-Standartenführers stellte er hier einen der
„persönlichen Repräsentanten des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD“ auf regionaler
Ebene dar, zu dessen zahlreichen Aufgaben und Befugnissen unter anderem die Errichtung
von „Arbeitserziehungslagern“ gehörte.6 In seiner Funktion als IdS war Somann
mitverantwortlich für die Ermordung von 23 luxemburgischen Häftlingen am 25. Februar
1944 im SS-Sonderlager (KZ) Hinzert.7 Am Tag nach diesem Massaker wurde Somann unter
Berufung in das Beamtenverhältnis zum Oberst der Polizei ernannt. Seine Beförderung zum
SS-Oberführer erfolgte im Juni 1944. Wenige Monate später, im September 1944 wurde
Somann zum Inspekteur des Zollgrenzschutzes beim Generalgrenzinspekteur im
Reichssicherheitshauptamt (RSHA) ernannt.8 Als Vertreter des RSHA war Somann Anfang
April 1945 als Beisitzer im SS- und Polizei-Standgerichtsverfahren im KZ Sachsenhausen
gegen den schwerkranken Widerstandskämpfer Hans von Dohnanyi beteiligt, der auf einer
5 Henry Leide: NS-Verbrecher und Staatssicherheit. Die geheime Vergangenheitspolitik der DDR, Göttingen 2007, S. 415.
6 Jens Banach: Heydrichs Elite. Das Führercorps der Sicherheitspolizei und des SD 1936-1945, Paderborn 1998, S. 183, 188.
7 Uwe Bader, Beate Welter: Das SS-Sonderlager/KZ Hinzert, in, Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hg.): Der Ort des Terrors.
Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 5, München 2007, S. 30.
8 Sofern nicht anders ausgewiesen, sind die Angaben über Biographie und Dienstlaufbahn der SSO Otto Somann, BA Berlin,
BDC, entnommen.
2
Trage liegend zum Tode verurteilt und kurz darauf hingerichtet wurde.9 Im Rahmen der
Dachauer Prozesse musste sich Somann 1947 für die Beteiligung an der Ermordung
abgeschossener alliierter Flieger verantworten und wurde mit vier Jahren Haft bestraft.10
Offenbar war Somann davon nicht beeindruckt und hielt, ohne jede Reue, an seiner
nationalsozialistischen Gesinnung fest. Noch während seiner Haft im
Kriegsverbrechergefängnis in Landsberg am Lech schrieb er der Witwe des wegen
Kriegsverbrechen hingerichteten Franz Stattmann, wie stolz er sei, dass er dessen Chef sein
durfte und jener zu den „gläubigsten und besten Deutsche gehörte.“ Auch habe Stattmann,
der „sein Vaterland liebte über alles, seine Pflicht tat und sonst nichts“, nur sterben müssen,
weil „es der Hass und die jüdische Rache“ so wollte.11 Nach seiner Haftentlassung kehrte er
zu seiner in Hamburg lebenden Familie zurück. Dort rekrutierte ihn 1951 ein Bekannter aus
der Zeit beim SD, SS-Obersturmführer Hans Sommer, für die Organisation Gehlen. Somann
seinerseits warb einen vormaligen Untergebenen, SS-Untersturmführer Ernst-Jochen
Schwarzwäller, an.12 Zur selben Zeit setzten in der DDR die Kritik der SED und deren
Auftrag, die „Organisatoren des faschistischen Putsches am 17. Juni 1953“ aufzudecken, die
Staatssicherheit unter kurzfristigen Erfolgszwang. In der Folgezeit führte die Staatssicherheit
– federführend war das für Spionageabwehr „auf der deutschen Linie“ zuständigen Referat 4
der Abteilung IV (ab 1953 HA II) – daher „konzentrierte Schläge“ durch, etwa die
Festnahmeaktionen „Feuerwerk“ und „Pfeil“, begleitet von entsprechender Propaganda in
den Medien der DDR gegen die Organisation Gehlen und andere westliche
Nachrichtendienste.13 In diesem Zusammenhang war Somann Ende Dezember 1953 in
einem Artikel des Neuen Deutschland als Mitarbeiter der „Spionageorganisation Gehlen“
enttarnt worden. Ein SED-Funktionär, machte daraufhin die Staatssicherheit auf dessen
Herkunft, seine SS- und NSDAP-Vergangenheit und die noch im Kreis Hagenow lebenden
Verwandten und Bekannte aufmerksam. Unter der Anleitung von Hauptmann Gerhard
Neiber, dem späteren stellvertretenden Minister für Staatssicherheit, überprüfte die Abt. II/4
(Spionageabwehr, „deutsche Linie“) der BV Schwerin daraufhin die Angaben und witterte
nach deren Bestätigung die Chance, eine „Überwerbung“ vornehmen zu können.14
So wurde zunächst dessen Schwager, Paul D., einst Mitglied in NSDAP und SA, als
Geheimer Informator (GI) „Hirschfeld“ angeworben und mit dem Auftrag nach Hamburg
geschickt, die Lebensverhältnisse von Somann auszuspionieren und ihn zu einem Besuch in
der DDR zu überreden. „Hirschfeld“ erfüllte die in ihn gesetzten Erwartungen jedoch nicht.
9 Michael Wildt: Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002, S. 710 f.
10 http://wwwl.jur.uva.nl/junsv/JUNSVEng/DTRR/files/us173.htm (06.07.2010)
11 Brief (maschinenschriftlich) von Otto Somann an Frau Stattmann, Landsberg (Lech), 25.11.1948. Der Brief wurde mir
freundlicherweise in Faksimile von der Firma ‚Historische Gegenstände’, Herrn Jörg Erlat, zur Verfügung gestellt.
12 Vgl. Leide: NS-Verbrecher und Staatssicherheit, S. 292-318.
13 Karl Wilhelm Fricke, Roger Engelmann: „Konzentrierte Schläge“. Staatssicherheitsaktionen und politische Prozesse in der
DDR 1953-1956, Berlin 1998, S. 42-60.
14 (BV Schwerin, Abt. II/4): Auskunftsbericht, 13.7.1954; BStU, MfS, AOP 647/57, Bd. 1, Bl. 73.
3
Ganz im Gegenteil, er warnte Somann sogar vor einem Besuch und wurde deshalb im Mai
1955 „abgeschaltet“.15 Darüber hinaus setzte man den ebenfalls in Hamburg lebenden
Geheimen Mitarbeiter (GM) „Friedel“ auf Somann an. Die beiden kannten sich durch ihren
Dienst in SS und SD; „Friedel“ selbst war SS-Obersturmführer gewesen und hatte nach dem
Krieg schon für die sowjetische Geheimpolizei gearbeitet. Die detaillierten Berichte von
„Friedel“, dessen Identität bisher noch nicht geklärt werden konnte, erlaubten es unter
anderem die Aussagen des GI „Hirschfeld“ zu überprüfen.16 Außerdem wurde mit dem GI
„Hans Probst“ ein früherer Schulfreund und Sportskamerad auf Somann angesetzt. „Hans
Probst“ war ebenfalls Mitglied der NSDAP gewesen und soll, wie der zuständige MfSMitarbeiter notierte, “mit Brutalität und menschenunwürdigem Verhalten“ gegen die
sogenannten „Ostarbeiter (Polen)“ vorgegangen sein.17 Zusätzlich dazu kontaktierte das MfS
auch noch eine der in der DDR lebenden Schwestern von Somann und schickte sie ebenfalls
mit Aufträgen versehen nach Hamburg. Da sie aber den Strapazen und den Ansprüchen des
MfS nervlich nicht gewachsen war, blieb auch dies ergebnislos.18
Parallel zu den Bemühungen der Schweriner Spionageabwehrfachleute wurden im Sommer
1954 zwei ‚Kollegen’ von Somann, Schwarzwäller und Sommer, von der Spionageabwehr
der Berliner MfS-Zentrale (HA II) rekrutiert.19 Als Geheime Hauptinformatoren (GHI) „Hirsch“
bzw. „Rumland“ berichteten sie auch umfassend über Somann, dessen Laufbahn, seine
zahlreichen Kontakte in das alte Milieu und dessen eventuelle Karriere im Landesamt für
Verfassungsschutz in Hamburg. Auch um die beiden neu geworben Quellen abzuschirmen,
übernahm die HA II die alleinige Zuständigkeit für den Vorgang, der unter der
Deckbezeichnung „Bremen“ geführt wurde. Trotz aller Bemühungen und obwohl Somann,
wie das MfS vermutete, „in finanzieller Hinsicht in der Klemme“ saß, lehnte der ein Treffen in
Ost-Berlin oder gar einen „Übertritt in die DDR“ beharrlich ab und äußerte den Wunsch, am
liebsten mit der Staatssicherheit über einen seiner „früheren Kameraden aus den Kreisen
des SD, SS, Sipo oder Polizei“ zu verhandeln.20 Auf der Suche nach einem passenden
Gesprächspartner stießen die zuständigen Mitarbeiter auf Hans Mittwede (Jg. 1906) alias
„Deckert“. Mittwede war Mitglied der NSDAP gewesen, hatte bis 1937 der Schutzpolizei in
Königsberg angehört21 und war bereits für das MfS einschlägig tätig gewesen. Vom MfS mit
fiktiven Personalpapieren ausgestattet, wurde „Deckert“ mehrfach zu Somann nach
Hamburg geschickt. Die ihm erteilten Aufträge waren zuvor von der Spitze des Ministeriums
bzw. der Hauptabteilung II (Mielke, Bruno Beater, Robert Mühlpforte, Josef Kiefel), allesamt
15 HA II/4: Aktennotiz, 14.5.1955, BStU, BV Schwerin, AIM 176/55, PA, Bl. 49.
16 (BV Schwerin, Abt: II/4): Sachstandsbericht, 22.7.1954, BStU, MfS, AOP 647/57, Bd. 2, Bl. 37.
17 BV Schwerin, Abt. II/4: Vorschlag zur Anwerbung, 14.12.1954, BStU, BV Schwerin, AIM 609/62, PA, Bl. 32.
18 HA II/4: Treffbericht, 16.5.1956, BStU, MfS, AP 447/61, Bl. 24-26.
19 Vgl. Leide: NS-Verbrecher und Staatssicherheit, S. 292-318.
20 HA II/4: Maßnahmeplan, 25. 10.1954, BStU, MfS AOP 647/57, Bd. 2, Bl. 15.
21 Recherchen über dessen Dienstlaufbahn bis 1945 waren bis zur Drucklegung noch nicht beendet und müssen daher
zunächst offen bleiben.
4
erprobte „Antifaschisten“, bestätigt worden.22 Bei diesen Gesprächen bot „Deckert“ Somann
unter anderem ein festes monatliches Gehalt und im Fall seines Übertritts weitere Zahlungen
sowie eine fertig eingerichtete Wohnung an. Selbst die kompletten Kosten einer Kur zur
Wiederherstellung seiner angeschlagenen Gesundheit wollte das MfS übernehmen.23
Bezogen auf die angeblich strikte Strafverfolgung von nationalsozialistischen
Gewaltverbrechen verdient der Entwurf seiner Instruktion vom 2. Juni 1955 besondere
Beachtung. Darin heißt es u.a.: „Weisen Sie darauf hin, das wir keine Menschen sind, die
Personen eventuelle Vergehen nachtragen. Jeder Mensch, der seine Kräfte für die Erhaltung
des Friedens einsetzt, hat bei uns einen Platz in der Gesellschaft. Wir schätzen nicht den
Menschen nach seiner Vergangenheit ein, sondern wie er heute ist und was er für die
Gesellschaft leistet.“24 In einem Brief teilte das MfS Somann Ende Mai 1956 überdies mit:
„Ihnen wird selbst bekannt sein, dass sich ein großer Teil Ihrer ehemaligen Kameraden in
der DDR befindet und ein auskömmliches Leben führt.“25 Bezeichnend ist auch, dass
Äußerungen Somanns, wonach die Regierung Westdeutschlands, insbesondere Adenauer
„sehr judenhörig“ sei, nicht weiter beachtet wurden.26 Auch der dem MfS bekannte Umstand,
dass Somann im Sommer 1955 wegen seiner Beteiligung am Standgerichtsverfahren gegen
Hans von Dohnanyi bereits als Beschuldigter vernommen wurde, spielte keine Rolle. Das
MfS ließ selbst dann nicht von seinen Plänen ab, als „Friedel“ berichtete, dass Reinhard
Gehlen im Gespräch mit Somann angedeutet hatte, „dass im Fall einer Anklage eine
Verwendung im Öffentlichen Dienst nicht möglich sei.“27 Zum Beweis der Ernsthaftigkeit der
Angebote und zur weiteren Festigung des Vertrauensverhältnisses übergab „Deckert“ sogar
eine vom Minister des Innern der DDR, Karl Maron, unterschriebene „Bescheinigung“, die
Somann „einen ungehinderter Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik
gewährte“ und gleichzeitig freies Geleit für seine Rückkehr in die Bundesrepublik
zugesicherte.28 Im Gegenzug forderte das MfS von Somann Informationen über den Aufbau
der Organisation Gehlen sowie über Mitarbeiter und Agenten, die den Auftrag hatten, gegen
die KPD zu arbeiten. Doch alle Hoffnungen auf eine gewinnbringende Kooperation
zerstoben, als Somann unerwartet am 7. Dezember 1956 in Hamburg verstarb.
Vermutlich hatte Somann die Treffen und Gespräche mit den MfS-Emissären den
zuständigen bundesdeutschen Sicherheitsbehörden gemeldet oder möglicherweise sogar in
22 HA II/4): Auftrag Nr. 1 für den GI „Deckert“ in Westdeutschland, 7.6.1955; Operativplan, 21. 11.1955; Auftrag Nr. 3, 6. 4.
1956; Auftrag Nr. 4, 4.5.1956; BStU, MfS, AOP 647/57, Bd. 2, Bl. 92, 120, 143, 160.
23 HA II: Auftrag Nr. 8, 14. 7.1956, BStU, MfS, AIM 6805/61, Bd. 3, Bl. 82.
24 (HA II/4): Auftrag für den [GI Deckert], 2.6.1955, BStU, MfS, AOP 647/57, Bd. 2, Bl. 87.
25 (HA II/4): Brief an Otto Somann, der laut handschriftlichem Vermerk am 23.5.1956 durch GM „Deckert“
an ihn ausgehändigt wurde, BStU, MfS, AOP 647/57, Bd. 2, Bl. 163.
26 HA II/4: Bericht des GM „Deckert„ über seine Reise nach Hamburg, Abschrift, 3.2.1956, BStU, MfS AOP 647/57, Bd. 2,
Bl. 128.
27 (BV Schwerin, Abt. II): Bericht [des GI „Friedel“], 5.11.1955, BStU, MfS AOP 647/57, Bd. 2, Bl.207.
28 Regierung der DDR, Ministerium des Innern: Bescheinigung, o.D., BStU, MfS AOP 647/57, Bd. 2, Bl. 241.
5
deren Auftrag gehandelt. Entsprechende Hinweise wurden durch das MfS wohl mit Blick auf
die erhoffte prestigeträchtige Anwerbung ignoriert – mit fatalen Folgen, wie sich
herausstellen sollte. Denn bei einem weiteren Einsatz in der Bundesrepublik im Frühjahr
1957 wurde „Deckert“ bei seiner Einreise verhaftet. Der von der Generalbundesanwaltschaft
in Karlsruhe ausgestellter Haftbefehl bezog sich ausdrücklich auf die Kontakte zu Somann.
Während den Offizieren der Spionageabwehr der ‚Erfolg’ versagt blieb, agierten deren
Kollegen von der Hauptverwaltung A (Auslandsspionage) erfolgreicher, wie nachfolgendes
Beispiel zeigt.29 Nicht ohne Grund findet dieser Fall allerdings in den Erinnerungsschriften
der ehemaligen MfS-Offiziere über ‚Kundschafter’ bzw. ‚Aufklärer’ der HV A keine
Erwähnung. Die Ostforschung der Bundesrepublik stand traditionell im Fokus des MfSInteresses, da diese nicht als universitärer Wissenschafts- und Forschungszweig, sondern
als politisches Kampfprogramm unter der Ägide der Geheimdienste angesehen wurden.30
Das 1971 gegründete Institut für Internationale Politik und Wirtschaft (IPW) diente der HV A,
hierbei faktisch als „wissenschaftliche Tarneinrichtung“ und wurde nicht nur zur „aktiven
Einflussnahme auf Personen und Einrichtungen“, sondern auch zur Informationssammlung
genutzt.31 Die nationalsozialistische Vergangenheit zahlreicher Protagonisten in der
Bundesrepublik bot dabei eine gute Angriffsfläche.32 Nur das MfS mit seinen Ressourcen,
den dort verwahrten NS-Akten und seinen Kontakten zur sowjetischen Geheimpolizei war in
der Lage, entsprechende Untersuchungen durchzuführen und die Ergebnisse
geheimdienstlich nutzbar zu machen. Ein Beispiel dafür ist der „Forschungsvorgang“
„Wannsee-Institut“, der von der Abteilung 11 (NS-Archiv) der Hauptabteilung IX
(Untersuchung) des MfS bearbeitet wurde. Die Ergebnisse präsentierte der Leiter der HA IX
dem Minister Mielke verbunden mit dem Hinweis, dass es sich beim „Wannsee-Institut“, um
„eines [der] wichtigsten Geheimdienstorgane der faschistischen SD-Führung zur
nachrichtendienstlichen Vorbereitung des Überfalls auf die Sowjetunion“ gehandelt habe.33 In
einer gesonderten „Information“ wurde Mielke auch darüber informiert, dass der Leiter dieses
Instituts, SS-Hauptsturmführer Dr. Gerhard Teich „langjähriger IM der HV A ist“.34
Teich (Jg. 1912) trat bereits als Student 1932 in die NSDAP ein und engagierte sich in der
NS-Studentenbewegung. Nach dem Studium der Soziologie in Berlin und an der estnischen
29 Den Hinweis auf diesen Fall gab mir mein Kollege Arno Polzin, dem ich dafür danken möchte.
30 Stefan Creutzberger, Jutta Unger: Osteuropaforschung als politisches Instrument im Kalten Krieg. Die Abteilung
Geschichte der imperialistischen Ostforschung in der DDR (1960-1968), in, Osteuropa, Heft 8/9 1998, 48. Jhg., S. 849-867.
31 Michael B. Klein: Das Institut für Internationale Politik und Wirtschaft der DDR in seiner Gründungsphase 1971-1974,
Berlin 1999, S. 125.
32 z.B. Rudi Goguel: Über Ziele und Methoden der Ostforschung, in, Literaturhistorische Abteilung des Instituts für Slawistik
der DAW (Hg.): Ostforschung und Slawistik. Kritische Auseinandersetzungen, Berlin (Ost) 1960, S. 12-39;
33 HA IX, Leiter: Information über den Forschungsvorgang „Wannsee-Institut“, 8.4.1975, BStU, MfS, HA IX Nr. 20982, Bl. 26, hier Bl. 2. Ausführlicher hierzu Gideon Botsch: „Geheime Ostforschung“ im SD. Zur Entstehungsgeschichte und Tätigkeit
des „Wannsee-Instiuts“ 1935-1945, in, ZfG, 48. Jg., Heft 6/2000, S. 509-524.
34 (HA IX/11): Information zum ehemaligen SS-Hauptsturmführer im Reichssicherheitshauptamt Teich, Dr. Gerhard,
26.3.1975, BStU, MfS, HA IX Nr. 20982, Bl. 7-9, hier Bl. 7.
6
Universität Dorpat (Tartu) promovierte er 1941 in Leipzig.35 Im Frühjahr 1941 wurde er als
Assistent an der eng mit der ‚wissenschaftlichen Gegnerforschung’ des SD36 verflochtenen
Auslandswissenschaftlichen Fakultät (Lehrstuhl Prof. Dr. Karl Christian von Loesch) der
Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin eingestellt.37 Parallel hierzu wirkte Teich als Leiter
der Abteilung ‚Politische und wissenschaftliche Eigenarbeit’ am Institut für Grenz- und
Auslandsstudien in Berlin-Steglitz, welches ebenfalls unter der Leitung von Prof. von Loesch
stand.38 Das Institut führte, so die Einschätzung des MfS, „Spionageaufträge für die
Abwehrorgane der faschistischen Wehrmacht sowie für zentrale SS-Dienststellen“ durch und
sei „mit Bevölkerungsanalysen sowie Volkstums- und Rassenkunde besonders Osteuropas
und Asiens befasst gewesen und stellte entsprechende Grundlagenmaterialien für politische
und militärische Maßnahmen zusammen.“39 Als Vertreter des Instituts und „Experte für
Fragen der Assimilation (und Vernichtung)“40 nahm Teich am 4. Februar 1942 an einer
behördenübergreifenden Besprechung teil, die vom Reichsministerium für die besetzten
Ostgebiete organisiert worden war.41 Im Mittelpunkt dieser Sitzung stand ein
Meinungsaustausch über die „Fragen der Eindeutschung, insbesondere in den baltischen
Ländern“, aber auch in der Tschechoslowakei und in Polen. Diskutiert wurde hierbei unter
anderem, „ob nicht durch die Industrialisierung des baltischen Raumes zweckmäßigerweise
die rassisch unerwünschten Teile der Bevölkerung verschrottet werden könnten“ oder „nach
dem Osten evakuiert werden müssten“. Hintergrund war der ‚Generalplan Ost’, der vorsah,
nach Kriegsende 31 Millionen „der rassisch unerwünschten Fremdvölkischen“, gemeint
waren die Einwohner Polens, der Tschechoslowakei, des Baltikums und der sowjetischen
Westgebiete nach Sibirien „auszusiedeln“. 42
Im Frühjahr 1943 wurde Teich vom Amt VI (SD-Ausland) des RSHA übernommen und kurz
darauf zum Hauptkommando Russland-Mitte des sogenannten „Unternehmens Zeppelin“
(UZ) in Marsch gesetzt worden.43 Dabei handelte es sich um ein „breitangelegtes
Kommandounternehmen“, bei dem Spionage- und Sabotagetrupps im sowjetischen
35 Carsten Klingemann: Soziologie und Politik. Sozialwissenschaftliches Expertenwissen im Dritten Reich und in der frühen
westdeutschen Nachkriegszeit, Wiesbaden 2009, S. 104.
36 Vgl. Gideon Botsch: >Politische Wissenschaft< im Zweiten Weltkrieg. Die >Deutschen Auslandswissenschaften< im
Einsatz 1940-1945, Paderborn 2006; Lutz Hachmeister: Der Gegnerforscher. Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six,
München 1998.
37 Bestätigung der Humboldt-Universität zu Berlin, 14.10.1971, in, Personalakte Gerhard Teich des Instituts für
Weltwirtschaft, LA Schleswig-Holstein, Abt. 811 Nr. 16709, Bl. 168d.
38 HA IX, Stellv. des Leiters: Anschreiben an HVA, Dokumentenanhang, BStU, HA IX/11, FV 2/72, Bd. 12, Bl. 49.
39 (HA IX/11): Information zum ehemaligen SS-Hauptsturmführer im Reichssicherheitshauptamt Teich, Dr. Gerhard,
26.3.1975, BStU, MfS, HA IX Nr. 20982, Bl. 8.
40 Carsten Klingemann: Soziologie im Dritten Reich, Baden-Baden 1996, S. 81.
41 Götz Aly weist daraufhin, das Teich im Ostministerium auch als Gruppenleiter zuständig für „politische Lenkung der
fremden Volksgruppen im Ostland“ geführt wurde. vgl. Götz Aly, Susanne Heim: Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und
die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Frankfurt a. M. 1993, S. 424 f;
42 Czeslaw Madajczyk (Hg.): Vom Generalplan Ost zum Generalsiedlungsplan, München 1994, S. 53 f.
43 (HA IX/11): Information zum ehemaligen SS-Hauptsturmführer im Reichssicherheitshauptamt Teich, Dr. Gerhard,
26.3.1975, BStU, MfS, HA IX Nr. 20982, Bl. 8.
7
Hinterland zum Einsatz kamen. Deren Mitglieder („Aktivisten“) rekrutierten sich aus der
Vielzahl sowjetischer Kriegsgefangener und Zivilisten der besetzten Gebiete.44 Teich
fungierte beim „Unternehmen Zeppelin“ als verantwortlicher Leiter für die Auswertung der
Nachrichten, die von den hinter den sowjetischen Linien agierenden Agenten gefunkt
wurden. Bei einer späteren Vernehmung konnte er sich (natürlich) an keine
Tötungshandlungen an „russischen Hilfswilligen“ oder „Aktivisten“ erinnern, die sich aus
unterschiedlichsten Gründen für den beabsichtigten Einsatz als nicht brauchbar erwiesen.45
Außerdem agierte er als Führer eines selbstständigen Außenkommandos, das Informationen
durch Befragung sowjetischer Kriegsgefangener beschaffte.46 Die dabei gewonnen
Erkenntnisse wurden als „sehr sorgfältig zusammengestellte Auszüge von
Kriegsgefangenaussagen“ sogar „dem Führer“ vorgelegt.47 Nachdem Teich im Februar 1944
nach Berlin zurückgekehrt war, arbeitete er dort zunächst weiter für das “Unternehmen und
übernahm, nach Ablösung des langjährigen Leiters, Prof. Dr. Michael Achmeteli, im Herbst
1944 dann die Leitung des Wannsee-Institut.48
Nach Kriegsende wurde Teich von den amerikanischen Besatzungsbehörden bis 1948 im
Lager Dachau interniert. Nach Jahren freiberuflicher publizistischer Tätigkeit (u.a. für das
Statistische Bundesamt, die Arbeitsgemeinschaft Osteuropa in Tübingen) fand er im Januar
1956 Anstellung als wissenschaftlicher Angestellter, dann als Referatsleiter (Südosteuropa
und DDR), in der Bibliothek des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel. Anlässlich
der 50-Jahrfeier der Deutschen Bücherei in Leipzig stattete Teich Anfang Oktober 1962 der
Universitäts- und Landesbibliothek in Halle/Saale einen Besuch ab. Hier kam er mit dem
Direktor, Prof. Dr. Erhard Selbmann, der von 1940 bis 1945 der NSDAP angehörte und im
November 1945 in die KPD eingetreten war, ins Gespräch. Da Selbmann dem MfS bereits
seit 1951 als Geheimer Informator„Fink“ verpflichtet war, erstattete er seinem
Führungsoffizier detailliert Bericht: „Die Menschen im Osten“ – so Teich laut Selbmann –
„seien ihm weit lieber als die im ökonomischen Denken erstickten Menschen des Westens.
Die Lebensweise des Westens vernichte alle moralischen Werte und mache die Menschen
zu unpersönlichen, nur dem Profit und dem Geschäft nachjagenden Wesen.“ Sofern es ihm
möglich sei, würde er die Anstellung von Republikflüchtlingen in seinem Institut verhindern.
Selbmann konstatierte: „Dr. Teich, der mutmaßlich Sozialdemokrat ist, macht den Eindruck
44 Klaus-Michael Mallmann: Der Krieg im Dunkeln. Das Unternehmen „Zeppelin“ 1942-1945, in, Michael Wildt (Hg.):
Nachrichtendienst, politische Elite und Mordeinheit. Der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS, Hamburg 2003, S. 324346.
45 LKA NRW: Zeugenbefragungsprotokoll Dr. Gerhard Teich, 21.10.1964, BA, Ast. Ludwigsburg, B 162/5882, Bl.
46 (HA IX/11): Information zum ehemaligen SS-Hauptsturmführer im Reichssicherheitshauptamt Teich, Dr. Gerhard,
26.3.1975, BStU, MfS, HA IX Nr. 20982, Bl. 8.
47 Auswärtiges Amt: [Erlass], Geheim!, Eilt sehr, mit handschriftlichen Vermerk: „Erlaß ist an die VAA’s [Vertreter des
Auswärtiges Amts] bei den Heeresgruppen und OB’s [Oberbefehlshabern] gegangen.“, NLA Staatsarchiv Stade, Rep. 171a
Stade Nr. 1664, Bl. 58.
48 (HA IX/11): Information zum ehemaligen SS-Hauptsturmführer im Reichssicherheitshauptamt Teich, Dr. Gerhard,
26.3.1975, BStU, MfS, HA IX Nr. 20982, Bl. 9; vgl. dazu auch Wildt: Generation des Unbedingten., S. 410.
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eines dem sonstigen Durchschnitt des Westens überlegenen akademisch gebildeten
Menschen. Meines Erachtens ist er geeignet und vielleicht auch dafür ausersehen,
bestimmte Aufgaben und Funktionen zu übernehmen. An seinem Verhalten zeigt sich in
keiner Weise die beamtenmäßige, spießbürgerliche Manier anderer Westdeutscher.“49 Bei
soviel Übereinstimmung, nicht nur auf ideologischem Gebiet, sowie seiner Tätigkeit in Kiel
war es nicht verwunderlich, das Teich auch das Interesse der HV A erregte.
Da die Akten der HV A bekanntlich weitgehend vernichtet wurden, ist die Rekonstruktion der
Kooperation nur in rudimentärer Form möglich. Laut Zentraler Personenkartei (F 16) wurde
Teich im November 1968 in der HVA-Personenkartei für die HVA/II/2 (Aufklärung und
Bearbeitung der politischen Parteien, Organisationen der Bundesrepublik) 1967 erstmals
erfasst, 1970 wurde er unter umregistriert (XV/254/70). Der Zentralen Vorgangskartei (F22)
ist zu entnehmen, dass der Mitarbeiter der HVA/II, Theodor Schönfelder, für diesen Vorgang
zuständig war. In der Teildatenbank 21 des Systems der Informationsrecherche der HVA
(SIRA) ist unter dieser Nummer einen IM-Vorgang mit Arbeitsakte (IMA) mit dem Decknamen
„See“ registriert. Die SIRA-Teildatenbank 12 enthält zu dieser Registriernummer Einträge zu
insgesamt 106 Informationseingängen. Sie betreffen Ausarbeitungen von Wissenschaftlern,
Politikern oder Institutionen der Bundesrepublik zum Ost-West-Verhältnis sowie die DDRund Osteuropaforschung.
Die mit den Forschungen zum Wannsee-Institut betrauten Offiziere der HA IX/11 trafen sich
im Frühjahr 1973 mit dem zuständigen HVA-Mitarbeiter Schönfelder, um Informationen und
Material auszutauschen und erhielten unter anderem Berichte von „See“ über zwei im
Rahmen des „Unternehmens Zeppelin“ eingesetzte Agenten- und Sabotagetrupps mit der
Bezeichnung „Wologda I und II“ und „Josef I und II“, die an das KGB weitergeleitet wurden.50
Mit Erreichung des Rentenalters schied Teich 1977 aus dem Institut für Weltwirtschaft aus.
Im Jahr darauf endete vermutlich auch die Kooperation mit dem MfS, da in der Datenbank
keine weiteren Informationseingänge vermerkt sind. Gerhard Teich verstarb im Mai 1986.
Die beiden Beispiele zeigen den ultrapragmatischen Umgang des MfS mit NS-Belasteten,
der sich freilich mit der Praxis auch anderer Nachrichtendienste in Ost und West deckt.
Festzuhalten ist dennoch, dass die Werbungen in diesem Personenkreis nicht nur den
eigenen Anspruch auf antifaschistische Rigorosität, sondern auch einen wesentlichen
Legimititätsanspruch der SED konterkarierten. Nachrichtendienstliche Interessen, ließen das
MfS über manche fatale Vergangenheit hinwegsehen. Selbst das Risiko des
Bekanntwerdens solcher heiklen Anwerbungsoperationen, mit kaum absehbaren innen- und
außenpolitischen Folgen, wurde in Kauf genommen. Die Behauptung ehemaliger MfS-
49 BV Halle, Abt. V/6: Bericht über Treffauswertung; Bericht des GM „Fink“, 11.10.1962, BStU, BV Halle AIM 1276/71, Bd.
III, Bl. 10, 47-49, hier Bl. 48 f.
50 [HVA] II/2: Bericht des IM-Vorgangs Nr. XV/254/70, 21.7.1970, BStU, HA IX/11 FV 2/72, Bd: 12/1, Bl. 335.
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Offiziere, „eine Zusammenarbeit mit nachweislichen NS-Verbrechern war für das MfS tabu“51
und der Verdacht, an Nazi- und Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein, habe bei WestIM zum Abbruch der Zusammenarbeit geführt, selbst wenn diese über „exzellente
Informationsmöglichkeiten“ verfügten,52 wird durch die beiden geschilderten Fälle eindeutig
falsifiziert.
Quelle:
„Horch und Guck“, Zeitschrift zur kritischen Aufarbeitung der SED-Dikatatur
Ausgabe 74 (4/2011) mit dem Themenschwerpunkt „Antifaschismus“
51 Werner Großmann, Wolfgang Schwanitz (Hg.): Fragen an das MfS. Auskünfte über eine Behörde, Berlin
2010, S. 347.
52 Klaus Eichner, Gotthold Schramm (Hg.): Angriff und Abwehr. Die deutschen Geheimdienste nach 1945, Berlin 2007, S.
459.
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