Stolperstein Terrorismusbekämpfung Scheitert der europäische Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Angesicht des internationalen Terrorismus? Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades doctor philosophiae (Dr. phil.) vorgelegt der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität Chemnitz von Jens Wetzel geboren am 22. Januar 1982 in Zschopau Dresden, 30. Juni 2013 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ................................................................................... I Abkürzungsverzeichnis ........................................................................ IV A Einleitung ........................................................................................ 1 1 Thematische Einführung ....................................................................................1 2 Fragestellung und Relevanz .............................................................................. 3 3 Stand der Forschung.......................................................................................... 7 4 Methodischer Ansatz ........................................................................................ 15 5 Aufbau der Arbeit .............................................................................................19 B Terrorismus als völkerrechtliche und menschenrechtliche Herausforderung .......................................................................... 24 1 Terrorismus und Völkerrecht .......................................................................... 24 2 Freiheit und Sicherheit angesichts terroristischer Bedrohungen .................. 38 3 Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte .............................................. 57 C Die Rechtsgüter Sicherheit und Freiheit im Prozess voranschreitender Europäisierung............................................... 66 1 Europäische Erfahrungen mit dem Terrorismus ............................................ 66 1.1 Terrorismus in Europa – 1960er Jahre bis 9/11 ............................................. 66 1.2 Wandlungen des Terrorismus als Herausforderung für dessen Bekämpfung ..................................................................................................... 79 2 Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts .................................. 83 2.1 Rechtliche Grundlagen .................................................................................... 83 2.2 Politische Konzeption .......................................................................................91 2.3 Dimensionen des Raumes ............................................................................... 98 I 3 Menschenrechtliche und rechtsstaatliche Normen in der EU ....................... 101 3.1 Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in den Verträgen .......................... 101 3.2 Rechtsprechung des EuGH............................................................................ 106 3.3 Bedeutung der EMRK ..................................................................................... 110 3.4 Charta der Grundrechte.................................................................................. 114 3.5 Europäische Grundrechteagentur .................................................................. 119 4 Zwischenfazit: Fehler im System? .................................................................. 127 4.1 Europäisches Demokratiedefizit?! ................................................................. 127 4.2 Inkohärenter Menschenrechtsschutz?! .......................................................... 131 D Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung ................................. 135 1 Grundlegende Dokumente .............................................................................135 1.1 Erklärungen, Aktions- und Fahrplan zur Terrorismusbekämpfung .............135 1.2 Nach Madrid und London – neue Ansätze oder alte Forderungen? ............ 144 2 Definition des Begriffes „terroristische Handlung“ .......................................156 3 Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus .......................................... 163 3.1 Rechtsgrundlagen .......................................................................................... 163 3.2 Menschenrechtliche und rechtsstaatliche Bedenken .................................... 168 4 Europäischer Haftbefehl ............................................................................... 180 5 Verarbeitung personenbezogener Daten........................................................ 191 5.1 Datenschutz als europäisches Grundrecht ..................................................... 191 5.2 Datenverarbeitung zur Bekämpfung des Terrorismus .................................. 197 6 Änderungen im Bereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik ............................ 212 7 Stärkung der Kooperation zwischen der EU und den USA im Bereich der inneren Sicherheit ................................................................................... 223 7.1 Datenübermittlung und Kooperation der Sicherheitsdienste ...................... 223 7.2 Auslieferungsabkommen ............................................................................... 235 II 7.3 Auswirkungen der CIA-Affäre um „extraordinary renditions“ und „black sites“ ............................................................................................ 237 E Schlussbetrachtung .................................................................... 244 1 Zusammenfassung der Ergebnisse ................................................................ 244 2 Bewertung und Schlussfolgerungen .............................................................. 254 3 Lissabon als Lösung? ..................................................................................... 258 F Literaturverzeichnis ................................................................... 265 1 Primärquellen ................................................................................................ 265 2 Sekundärquellen ............................................................................................ 274 III Abkürzungsverzeichnis AEMR Allgemeine Erklärung der Menschenrechte AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union BVerfG Bundesverfassungsgericht CTC Counter-Terrorism Committee EEA Einheitliche Europäische Akte EG Europäische Gemeinschaften EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGV Vertrag über die Europäischen Gemeinschaften EMRK / ECHR Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention) / European Convention on Human Rights EP Europäisches Parlament EPG Europäische Politische Gemeinschaft ESVP Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ETA Euskadi Ta Askatasuna EU Europäische Union / European Union EuG Gericht erster Instanz EuGH / ECJ Europäischer Gerichtshof / European Court of Justice EuHb / EAW Europäischer Haftbefehl / European Arrest Warrant EuHbG Europäisches Haftbefehlgesetz IV EÜK Europol-Übereinkommen EURATOM Europäische Atomgemeinschaft EUV Vertrag über die Europäische Union EVG Europäische Verteidigungsgemeinschaft EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft FLNC Frontu di Liberazione Naziunale Corsu (National Liberation Front of Corsica) GASP Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik GFK Genfer Flüchtlingskonvention GG Grundgesetz GKI Gemeinsame Kontrollinstanz GRC Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Europäische Grundrechtecharta) IRA Irish Republican Army IStGh Internationaler Strafgerichtshof NGO Non Governmental Organisation (Nichtregierungsorganisation) OECD Organisation for Economic Co-operation and Development OJ Official Journal of the European Community (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften) PJZS Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen PKK Partiya Karkeren Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) PLO Palestine Liberation Organization PNR Passenger Name Record V RAF Rote Armee Fraktion RFSR / AFSJ Raum der Freiheit, der Sicherheit und der Sicherheit / Area of Freedom, Security and Justice SDÜ Schengener Durchführungsübereinkommen SIS Schengener Informationssystem SR-VN / UNSC Sicherheitsrat der Vereinten Nationen / United Nations Security Council Swift Society for worldwide interbank financial telecommunication TE-SAT Terrorism Situation and Trend Report TFTP Terrorist Finance Tracking Program TREVI Terrorism, Radicalism, Extremism, Violence International UNHCR Office of the United Nations High Commissioner for Refugees VIS Visa-Informationssystem VN/UN Vereinte Nationen / United Nations ZBJI Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres VI A Einleitung 1 Thematische Einführung Am Morgen des 11. September 2001 wurden im Luftraum über der amerikanischen Ostküste vier Passagierflugzeuge entführt. Wenig später rasten zwei der Maschinen in das World Trade Center in New York. Ein drittes Flugzeug stürzte in das Pentagon in Arlington nahe Washington, D.C. Die vierte entführte Maschine zerschellte auf einem Feld im US-Bundesstaat Pennsylvania – es wird vermutet, dass dieses Flugzeug in der US-amerikanischen Hauptstadt zum Absturz gebracht werden und dort das Weiße Haus zerstören sollte. Fast dreitausend Menschen kamen bei dieser Katastrophe ums Leben, Tausende wurden verletzt. Schnell wurde deutlich, dass es sich nicht um ein tragisches Unglück, sondern um einen minutiös geplanten Terroranschlag handelte. Unterstützt durch das islamistisch motivierte Netzwerk al-Qaida hatten sich die Attentäter monatelang auf dieses Ereignis vorbereitet. Sie machten aus Passagierflugzeugen „menschliche Bomben“ und steuerten diese „ins Herz westlicher Macht“. Die Wirkung dieser Symbolik wurde noch dadurch verstärkt, dass Menschen rund um den Globus die Einschläge ins World Trade Center live am Fernseherbildschirm mit verfolgen konnten. Weltweit erzeugten die Anschläge Entsetzen, Trauer, Solidarität – und ein abstraktes Gefühl der Angst. Aufgrund ihrer Schwere erfüllen die Terroranschläge vom 11. September 2001 nach Auffassung verschiedener Völkerrechtler den Tatbestand eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit.1 Folgerichtig verurteilte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (SR-VN) in seinen Resolutionen 1368 (2001)2 und 1373 (2001)3 die Terrorattacken auf New York und Washington als eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit. Unter Berufung auf Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen wurde die Staatengemeinschaft dazu Vgl. Bruha, Thomas (2002a): Menschenrechtliche Erfordernisse bei der Bekämpfung des Terrorismus, in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Menschenrechtliche Erfordernisse bei der Bekämpfung des Terrorismus. Bericht und Beiträge zu einem Arbeitsgespräch am 19. April 2002 im Französischen Dom/Berlin-Mitte, Berlin, S. 12-15, hier S. 12. 2 Vgl. United Nations Security Council (2001a): Resolution 1368 (2001), in: http://daccess-ddsny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N01/533/82/PDF/N0153382.pdf (29. März 2012). 3 Vgl. United Nations Security Council (2001b): Resolution 1373 (2001), in: http://daccess-ddsny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N01/557/43/PDF/N0155743.pdf (29. März 2012). 1 1 aufgerufen, ihre Bemühungen zur Prävention und Verfolgung terroristischer Anschläge zu verstärken und alle erforderlichen Maßnahmen hierfür einzuleiten. Hierzu gehörten u.a. die Verhinderung von so genannten „safe havens“ für Terroristen bzw. Terrorismusverdächtige sowie der entschlossene Kampf gegen die Finanzierung terroristischer Aktivitäten.4 Neben dieser für die Staaten völkerrechtlich verbindlichen Forderung nach innerstaatlichen sicherheitspolitischen Maßnahmen ermöglichten die Resolutionen auch ein militärisches Vorgehen gegen die Urheber der Anschläge und deren Unterstützer. Grundsätzlich richtete sich dieser „Blankoscheck“ – schließlich waren die Drahtzieher zunächst unbekannt – an die USA als angegriffener Staat. Durch den Rückgriff auf Kapitel VII appellierten die Resolutionen letztlich aber an die Verpflichtung zur „Kollektiven Sicherheit“. Beide Aspekte, die durch die Anschläge erzeugte abstrakte Angst in den Gesellschaften rund um den Globus und die völkerrechtlich verpflichtenden Forderungen der Vereinten Nationen (VN), sollten weltweit in den kommenden Jahren entscheidenden Einfluss auf politische Debatten, die politische Kultur und das politische Handeln nehmen. So war eine der „Begleiterscheinung“ der neuen Weltlage nach dem 11. September 2001 eine grundlegende Veränderung in der Diskussion um das Verhältnis zwischen den Rechtsgütern Freiheit und Sicherheit. Wie sich bald zeigte, hatte dieser Diskurs nicht nur rhetorische oder intellektuelle Dimensionen, sondern wirkte sich unmittelbar auf das soziale Zusammenleben in vielen Staaten auf dem gesamten Erdball aus. Das Handeln von (nationalstaatlichen) Sicherheitsbehörden wurde auf neue Begründungszusammenhänge und Argumentationsgrundlagen gestellt. Dies wurde u.a. durch den Umstand bedingt, dass das Sicherheitsbewusstsein weltweit zunahm, die Sicherheitspolitik somit zusehends ins Zentrum der öffentlichen und politischen Debatten rückte und schließlich die Durchsetzung von militärischen Aktionen, von Sicherheits- und Vergeltungsmaßnahmen wieder zum politischen Tagesgeschäft gehörte.5 Vgl. United Nations Security Council (2001a); vgl. auch United Nations Security Council (2001b). 5 Vgl. Dunne, Tim (2002): After 9/11: What Next for Human Rights?, in: The International Journal of Human Rights, 6. Jg., 2/2002, S. 93-102, hier S. 95; vgl. auch Frowein, Jochen Abr. (2005): Sicherheitsstaat und Menschenrechte, in: Deutsches Institut für Menschenrechte 4 2 Weltweit war zu beobachten, dass – unter Berufung auf die oben genannten Resolutionen des Sicherheitsrates – neue oder erweiterte Gesetze zur Bekämpfung terroristischer Gewalt erarbeitet und verabschiedet wurden. In vielen Staaten kam es dabei unter dem Hinweis auf die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus und die Notwendigkeit diesen zu bekämpfen, zur Einschränkung bzw. Verletzung von Freiheitsrechten. Gleichzeitig boten sich nun für verschiedene Staaten, die bereits vor den Anschlägen von 9/11 für ihre Menschenrechtsverletzungen massiv in der Kritik von Menschenrechtsorganisationen standen, neue „Argumentationshilfen“, um ihr Handeln zu legitimieren. Aus oppositionellen Kräften und Regimegegnern wurden über Nacht (international agierende) Terroristen, die es noch strikter zu verfolgen galt. So stand etwa der Tschetschenienkrieg unter einem völlig neuen Licht. Wurde das Handeln der russischen Armee unter dem Oberbefehl des Präsidenten Wladimir Putin vor den Anschlägen von New York und Washington durch europäische Regierungen und die US-Administration noch stark kritisiert, sah man nun in Moskau einen zentralen Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus, der auch im Kaukasus um sich greife. Abgesehen von einer verstärkten Bereitwilligkeit, über Menschenrechtsverletzungen anderer Staaten hinweg zu schauen, zeigte sich aber auch auf dem europäischen Kontinent „eine gewisse Bereitschaft, den Zielwert Freiheit zur Disposition zu stellen.“6 Diesem Umstand wird in der vorliegenden Arbeit genauer auf dem Grund gegangen. 2 Fragestellung und Relevanz Obwohl der (internationale) Terrorismus für die Europäische Union (EU) und deren Mitgliedstaaten kein neues Phänomen darstellte, wurden sie durch die Terrorattacken in New York und Washington vor bisher unbekannte Herausforderungen gestellt. Die Dimension von 9/11, sowohl hinsichtlich der Zahl der Opfer als auch der Präzision der Planung und Organisation, die „Verstrickung“ europäischer Bürger bzw. hier lebender Menschen sowie die hiermit verbunde(Hrsg.): Jahrbuch Menschenrechte 2006, Frankfurt/M., S. 17-37, hier S. 17; vgl. auch Calliess, Christian (2002): Sicherheit im freiheitlichen Rechtsstaat. Eine verfassungsrechtliche Gratwanderung mit staatstheoretischem Kompass, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, 35. Jg., 1/2002, S. 1-7, hier S. 2; vgl. auch Crotty, William (2005): Democratization and Political Terrorism, in: Crotty, William (Hrsg.): Democratic Development and Political Terrorism. The Global Perspective, Boston, S. 3-16, hier S. 3. 6 Hoffmann-Riem, Wolfgang (2002): Freiheit und Sicherheit im Angesicht terroristischer Anschläge, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, 35. Jg., 12/2002, S. 497-501, hier S. 498. 3 nen vielfältigen Aufgaben für eine zukünftige gemeinsame Sicherheitspolitik – all dies erforderte ein neues Denken, ein verändertes Handeln innerhalb der Union. In der rückblickenden Analyse kann festgestellt werden, dass die Anschläge vom 11. September 2001 in der EU einen Paradigmenwechsel einleiteten, welcher durch die Geschehnisse von Madrid (11. März 2004) und London (7. Juli 2005) noch verstärkt wurde.7 Sie können als Impuls gesehen werden, der die Möglichkeit für die Union eröffnete, ihr Engagement in Sicherheitsfragen auszubauen, sowohl innerhalb der eigenen Grenzen als auch darüber hinaus.8 Die Terrorismusbekämpfung ist heute „one of the most crucial security policy fields within the EU.“9 Um der Gefahr des (internationalen) Terrorismus entgegenzutreten, verabschiedete der Europäische Rat am 21. September 2001 einen umfangreichen Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung terroristischer Gewalt, den so genannten Aktionsplan10. Hierauf basierend erarbeitete der Rat einen Fahrplan11 zur Terrorismusbekämpfung, welcher in den folgenden Jahren – u.a. nach den Anschlägen von Madrid und London – mehrfach überarbeitet und aktualisiert wurde. Zusammen bildeten diese beiden Dokumente in der Folge von 9/11 den Rahmen für die europäischen Bemühungen im Kampf gegen den Terrorismus. Die im Aktions- und im Fahrplan aufgeführten Schritte lassen sich allen voran der gemeinsamen europäischen Justiz- und Innenpolitik zuordnen, welche zum Aufbau bzw. zur Weiterentwicklung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (RFSR) beitragen soll. Dieser verfolgt das Ziel, den Menschen Vgl. Ambos, Kai (2006): Terrorismusbekämpfung seit dem 11. September 2001, in: Becker, Michael/Zimmerling, Ruth (Hrsg.): Politik und Recht, PVS Sonderheft 36/2006, S. 416-448, hier S. 416; vgl. auch Boer, Monica (2003): The EU Counter-Terrorism Wave: Window of Opportunity or Profound Policy Transformation?, in: Leeuwen, Marianne (Hrsg.): Confronting Terrorism. European Experiences, Threat Perceptions and Policies, Den Haag, S. 185-206, hier S. 189. 8 Vgl. Guild, Elspeth (2008): The Uses and Abuses of Counter-Terrorism Policies in Europe: The Case of the Terrorist Lists, in: Journal of Common Market Studies, 1/2008, S. 173-193, hier S. 173. 9 Kaunert, Christian (2010): Towards Supranational Governance in EU Counter-Terrorism? The Role of the Commission and the Council Secretariat, in: Central European Journal of International & Security Studies, 1/2010, S. 8-31, hier S. 9. 10 Europäischer Rat (2001b): Außerordentliche Tagung am 21. September 2001. Schlussfolgerungen und Aktionsplan, in: http://ue.eu.int/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/ 85097.pdf (16. Februar 2006). 11 Rat der Europäischen Union (2001c): Koordinierung und Umsetzung des Aktionsplanes zur Terrorismusbekämpfung, in: http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/01/st12/12800d1.pdf (21. Dezember 2005). 7 4 unter Beachtung menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Erfordernisse ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewähren. Vor diesem Hintergrund, im Spiegel der primär- und sekundärrechtlichen Maximen für dieses Politikfeld, wird in der vorliegenden Arbeit untersucht, welche Rückwirkungen die Terrorismusbekämpfung seit dem 11. September 2001 auf das Ziel des Aufbaus eines RFSR hatte. Es stellt sich die Frage, ob dieser, als eines der zentralen Integrationsprojekte der Union, an den Herausforderungen des internationalen Terrorismus zu scheitern droht. Ein Scheitern kann sich dabei auf zwei Ebenen manifestieren: Zum einen in der Unfähigkeit der EU und deren Mitgliedstaaten, eine angemessene und erfolgversprechende gemeinsame Antwort auf die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus zu finden und somit kein ausreichendes Sicherheitsniveau zu erreichen. Zum anderen in der Geringschätzung oder gar Missachtung menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Prinzipien im Bestreben, Sicherheit zu erlangen. Diese Untersuchung beschäftigt sich im Folgenden ausschließlich mit letzterem Szenario und geht der Frage nach, ob es gelungen ist, das symbiotische Verhältnis zwischen Freiheit, Recht und Sicherheit – wie es die Verträge suggerieren – auch angesichts terroristischer Bedrohungen aufrechtzuerhalten, und ist somit innerhalb der Terrorismusforschung dem demokratietheoretischen Diskurs zuzurechnen. Dieser setzt sich insbesondere mit der Frage auseinander, ob und in welcher Form menschenrechtliche und rechtsstaatliche Grundlagen staatlichen Handelns im Zuge der Bekämpfung terroristischer Gewalt infrage gestellt oder verletzt werden. Diese Debatte ist dabei nicht lediglich Gegenstand wissenschaftlicher Analysen, sondern wird insbesondere auch in der Zivilgesellschaft – allen voran durch Menschen- und Bürgerrechtsbewegungen – geführt. Der demokratietheoretische Diskurs befindet sich somit an der Nahtstelle zwischen Wissenschaft und Politik und erfüllt die Funktion eines Frühwarnsystems, indem er den politischen Prozess kritisch aus grundrechtlicher und demokratietheoretischer Sicht begleitet.12 Denn konfrontiert mit lebensbedrohlichen Gefährdungen fordert die Gesellschaft umgehende und effektive Maßnahmen, wodurch Politik und Verwaltung zu einem schnellen Handeln 12 Vgl. Jaschke, Hans-Gerd (2006): Politischer Extremismus, Wiesbaden, S. 121-123. 5 gedrängt werden. Hierbei besteht die Gefahr, dass weniger aufgrund umfassender und ausreichender Informationen als vielmehr entsprechend der Intuition gehandelt wird. Der Wissenschaft kommt hier die Aufgabe zu, die Situation objektiv zu analysieren und zu erklären.13 Durch eine rechtsstaats- und menschenrechtsorientierte Evaluation von Sicherheitsgesetzen soll eine Wissensgrundlage geschaffen werden, auf deren Basis Politik und Verwaltung adäquate Entscheidungen treffen können.14 Die Verletzung von Menschenrechten15 und die Relativierung rechtsstaatlicher Prinzipien im Zuge der Terrorismusbekämpfung würden, so die zentrale These der vorliegenden Arbeit, den RFSR – als einen Grundpfeiler des europäischen Einigungsprozesses – in seinen Grundfesten erschüttern und die Legitimität der Unionspolitik in Zweifel ziehen. Die EU kann als rechtsstaatlich verfasster Staatenverbund ihre Glaubwürdigkeit nur wahren und so das Vertrauen der Unionsbürger gewinnen, wenn sie konsequent an ihren Grundwerten festhält. Und „dieses Vertrauen […] erweist sich auf lange Sicht als die wichtigste Stütze im Kampf gegen den Terrorismus.“16 Darüber hinaus wird aber auch davon ausgegangen, dass die Sicherheitsinteressen und das Freiheitsbedürfnis der Unionsbürger – als Hauptadressaten europäischer Politik – sich am besten in einem funktionierenden RFSR umsetzen lassen. Um hier den „richtigen“ Weg zu gehen, bedarf es einer kritischen Begleitung dieses Integrationsprojektes. Hierzu möchte der Verfasser mit der vorliegenden Arbeit einen Beitrag leisten. Dabei wird von drei Hypothesen ausgegangen: Vgl. Van de Voorde, Teun (2011): Terrorism Studies: A Critical Appraisel, in: Coolsaet, Rik (Hrsg.): Jihadi Terrorism and the Radicalisation Challenge. European and American Experiences, Farnham, S. 45-54, hier S. 45. 14 Vgl. Weinzierl, Ruth/Albers, Marion (2010): Wandel der Sicherheitspolitik - Menschenrechtsorientierte Evaluation als Kontrollinstrument, in: Albers, Marion/Weinzierl, Ruth (Hrsg.): Menschenrechtliche Standards in der Sicherheitspolitik. Beiträge zur rechtsstaatsorientierten Evaluierung von Sicherheitsgesetzen, Baden-Baden, S. 9-12, hier S. 12. 15 Die Begriffe „Menschenrechte“ und „Grundrechte“ werden in dieser Arbeit im Sinne der Lesbarkeit trotz ihres unterschiedlichen Anwendungsbereiches hinsichtlich des jeweils einbezogenen Personenkreises synonym verwendet. 16 Bielefeldt, Heiner (2004a): Das Folterverbot im Rechtsstaat, Berlin, S. 11, Hervorhebung im Original. 13 6 Der Schutz der Menschenrechte ist eine zentrale Legitimationsgrundlage der Europäischen Union. Der Schutz der Grundrechte ist ein unverzichtbares Mittel im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist ein richtiger und wichtiger Integrationsschritt – zum Schutz der Grundrechte und zur Bekämpfung des Terrorismus. Alle drei Hypothesen erscheinen auf den ersten Blick wenig kontrovers. Nur wenige Menschen, im Besonderen politische Akteure, würden sich gegen diese Aussagen stellen. Allerdings sind diese Prämissen in den medialen, tagespolitischen und wissenschaftlichen Debatten, aber auch in den Gesetzgebungs- und durchsetzungsverfahren seit 9/11 immer wieder in Zweifel gezogen worden. Auch wenn sich die Politik und die Behörden zu den Menschenrechten bekennen, so muss doch deutlich zum Ausdruck gebracht werden, dass das reine rhetorische Bekenntnis keinen hinreichenden Schutz von Grundrechten bietet. Für die Idee der Menschenrechte wurde Jahrzehnte, Jahrhunderte gekämpft. Nun, so fürchten immer mehr Beobachter, sind verschiedene „westliche“ Regierungen dabei, das hiermit Erreichte innerhalb weniger Jahre ad absurdum zu führen oder gar ganz zu vernichten. 3 Stand der Forschung Ein Ereignis wie 9/11 musste in den Politik-, Rechts- und Sozialwissenschaften einen Niederschlag finden. Neben der Suche nach möglichen staatlichen und gesellschaftlichen Reaktionsmustern stellten sich zahlreiche tiefgreifende Fragen wie etwa: Wer sind die Terroristen? Was wollen sie? Was treibt Menschen dazu an, Selbstmordattentate zu begehen? Welche Gründe gibt es für die wahrgenommene Zunahme terroristischer Gewalt? Wie in den USA war in europäischen Staaten, allerdings in einem bescheidenerem Maße, nach dem 11. September 2001 zu beobachten, dass an Universitäten und Forschungsinstitutionen verstärkt das Thema Terrorismus auf den Lehrplan gesetzt bzw. in Forschungsvorhaben integriert und zunehmend Terrorismusexperten engagiert wurden. Ein Grund für das gestiegene Interesse an diesem Forschungsfeld war sicherlich die Tatsache, dass dieses Phänomen nun nicht mehr unbeachtet bleiben konnte. 7 So finden sich etwa in verschiedenen Strategiepapieren der EU immer wieder Verweise auf das Erfordernis, terroristische Gewalt wissenschaftlich zu analysieren, um die „richtigen“ Gegenstrategien zu entwickeln.17 Ein Beispiel hierfür ist das Forschungsprojekt CHALLENGE (The Changing Landscape of Liberty and Security in Europe), das die Europäische Kommission in den Jahren 2004 bis 2009 förderte. Beteiligt waren 23 Universitäten und Forschungsinstitute aus zahlreichen EU-Staaten. Ziel war die Erforschung der gegenwärtigen Verschiebungen im Verhältnis von Freiheit und Sicherheit. Hierzu analysierten die Forscher aktuelle sicherheitspolitische Trends und deren Auswirkungen auf den Menschenrechtsschutz in Europa. Die zentralen Ergebnisse wurden im 2010 von Bigo u.a. herausgegebenen Sammelband Europe´s 21st Century Challenge. Delivering Liberty18 zusammengefasst. Im Zuge der intensivierten Beschäftigung mit dem Forschungsgegenstand „Terrorismus“ wurde auch die Terrorismusbekämpfung verstärkt als Thema für die Wissenschaft wahrgenommen und dementsprechend in der Literatur aufgearbeitet.19 Dennoch – trotz der Tatsache, dass „die Publikationsflut […] kaum noch zu überblicken [ist]“20 – ist die Literaturlage zum hier behandelten Forschungsthema als unbefriedigend einzuschätzen. Der Frage nach der Wahrung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit bei der Terrorismusbekämpfung auf europäischer Ebene und den entsprechenden Rückwirkungen auf den Integrationsprozess wurde bisher in der sozial- und rechtswissenschaftlichen Forschung wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Gleichzeitig kann aber auch nicht ausdrücklich von einer Forschungslücke gesprochen werden. Vielmehr ist seit dem 11. September 2001 ein unüberschaubares Konglomerat an Aufsätzen, Stu- Vgl. Wilkinson, Paul (2003): Implications of the attack of 9/11 for the future of terrorism, in: Buckley, Mary/Fawn, Rick (Hrsg.): Global Responses to Terrorism. 9/11, Afghanistan and beyond, London, S. 25-36, hier S. 25-26. 18 Bigo, Didier u.a. (Hrsg.) (2010a): Europe´s 21st Century Challenge. Delivering Liberty, Farnham. 19 Vgl. Wilkinson (2003), S. 25-26. 20 Oppel, Diana (2010): Terrorismusforschung heute: Abwägungen zwischen Freiheit und Sicherheit angesichts terroristischer Bedrohung, in: Riescher, Gisela (Hrsg.): Sicherheit und Freiheit statt Terror und Angst. Perspektiven einer demokratischen Sicherheit, Baden-Baden, S. 2545, hier S. 27. 17 8 dien, Sammelbänden und Monographien erschienen, die sich mit dem Terrorismus und der Terrorismusbekämpfung in der EU befassen.21 Erste umfassendere Studien zum europäischen Kampf gegen den Terrorismus im deutschsprachigen Raum beschäftigten sich u.a. mit außenpolitischen22 oder organisationstheoretischen23 Aspekten, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit nur eine nebengeordnete Rolle spielen. Abetz (2005)24 und Kraus-Vonjahr (2002)25 wiederum greifen die Terrorismusbekämpfung im Rahmen des RFSR exemplarisch und kursorisch zur Veranschaulichung der jeweils untersuchten Themenbereiche auf. Abetz beschäftigt sich in ihrer Dissertation mit den Justizgrundrechten in der Europäischen Union, insbesondere im RFSR. Vor dem Hintergrund immer tiefergreifender Machtbefugnisse für Brüssel und der fortschreitenden Ausweitung operativer Befugnisse europäischer Sicherheitsagenturen wie etwa Europol und Eurojust stellt Abetz die Frage, inwieweit die Bürger sich auch zukünftig auf rechtsstaatliche Gewährleistungen und Kontrollmechanismen verlassen können. Sie zeigt schließlich auf, dass die Entwicklung des Grundrechtsschutzes diesem Tempo nicht schritthalten konnte und verweist hierzu auch auf Entwicklungen in Folge von 9/11. Kraus-Vonjahr beschäftigt sich handbuchartig mit den Herausforderungen und Blockaden, den Widerständen und Zwängen sowie den rechtlichen Rahmenbedingungen für den Aufbau des RFSR. Er reflektiert – u.a. vor dem Hintergrund der Anschläge vom 11. September 2001 – wie sich die Ziele der europäischen Innen- und Justizpolitik im Primär- und Sekundärrecht der Union entwickelt haben. Ähnlich Beobachtungen sind mit Blick auf Forschungsarbeiten aus anderen EUStaaten zu machen. Im Mai 2005 legte Daniel Keohane seine Studie The EU and counter-terrorism26 vor. Er beschäftigt sich eingehend mit der Terrorismusbekämpfung auf europäischer Ebene, klammert die Frage zum Verhältnis von Vgl. Van de Voorde (2011), S. 51. Reckmann, Jan (2004): Außenpolitische Reaktionen der Europäischen Union auf die Terroranschläge vom 11. September 2001, Münster. 23 Kleine, Mareike (2004): Die Reaktion der EU auf den 11. September 2001. Zu Kooperation und Nicht-Kooperation in der inneren und äußeren Sicherheit, Münster. 24 Abetz, Marie-Claire (2005): Justizgrundrechte in der Europäischen Union, Frankfurt/M. 25 Kraus-Vonjahr, Martin (2002): Der Aufbau eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Europa. Die Innen- und Justizpolitik der Europäischen Union nach Amsterdam und Nizza, Frankfurt/M. 26 Keohane, Daniel (2005a): The EU and counter-terrorism, London. 21 22 9 Freiheit und Sicherheit aber ausdrücklich aus. In 2011 veröffentlichte Javier Argomaniz das Buch The EU and Counter-Terrorism. Politics, polity ans policies after 9/1127. Er verspricht eine umfassende Darstellung der Reaktionen der Union auf den internationalen Terrorismus in der Folge des 11. September 2001. Ihn beschäftigt insbesondere die Frage nach der „Konsistenz“ der europäischen Antiterrorstrategie. Hierbei legt Argomaniz seinen Fokus auf die institutionelle Entwicklung in diesem Politikfeld sowie die spezifischen politischen Prozesse innerhalb bzw. zwischen den beteiligten Institutionen und Akteuren. Es geht um Fragen wie: Welche politischen Diskussionen und Entscheidungen sind als Meilensteine in der Entwicklung der europäischen Terrorismusbekämpfung zu sehen? Welche Auswirkungen hatten diese auf institutionelle Zusammenhänge? Es wird deutlich, dass auch hier der Fokus nicht auf die Frage nach der Vereinbarkeit von Menschenrechten und Antiterrormaßnahmen gerichtet ist. Dennoch konnte die Untersuchung – ebenso wie Keohanes Arbeit – viele wichtige Impulse für die vorliegende Arbeit liefern. Anders verhält es sich mit Blick auf das Buch The Evolving EU Counter-Terrorism Legal Framework28 von Maria O´Neill. Hier wird anhand konkreter Beispiele – etwa der Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung, der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit oder dem Einsatz militärischer Mittel zur Terrorbekämpfung – die Entwicklung des rechtlichen Rahmens der EU-Antiterrorismuspolitik analysiert. Das abschließende Kapitel befasst sich zwar explizit mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit, allerdings lieferte die Lektüre keine neuen Erkenntnisse zur hier behandelten Fragestellung. Oldes Bures wiederrum hinterfragt in seiner Studie EU Counterterrorism Policy. A Paper Tiger?29 die positiven Einschätzungen europäischer Politiker hinsichtlich der Effektivität der Terrorismusbekämpfung als ein zentrales Handlungsfeld im Bereich der inneren Sicherheit. Auch er untersucht hierfür ausgewählte Maßnahmen – z.B. den Europäischen Haftbefehl, die Ernennung eines EU-AntiterrorKoordinators oder die Ausweitung der Befugnisse Europols. Mit seiner Analyse zielt Bures darauf ab, einen eventuellen Mehrwert der EU-Antiterrorpolitik zu ergründen. Inwiefern sind Maßnahmen der Union jenen der einzelnen NatioArgomaniz, Javier (2011): The EU and Counter-Terrorism. Politics, polity and policies after 9/11, Abingdon. 28 O´Neill, Maria (2012): The Evolving EU Counter-Terrorism Legal Framework, Abingdon. 29 Bures, Oldrich (2011): EU Counterterrorism Policy. A Paper Tiger?, Farnham. 27 10 nalstaaten vorzuziehen und werden entsprechend von den Mitgliedstaaten akzeptiert und schließlich umgesetzt? Dabei sieht er zwei mögliche Indikatoren: einerseits die Effektivität und andererseits – für die hier behandelte Fragestellung von besonderem Interesse – die Transparenz. Er diagnostiziert zwar einzelne Fortschritte im Bereich der Zusammenarbeit in der Justiz- und Innenpolitik, stellt aber letztlich doch fest, dass die Terrorismusbekämpfung auf Unionsebene lediglich ein Papiertiger ist. Bei der Erstellung der Arbeit konnte zudem auf eine Reihe von Aufsätzen über die europäische Terrorismusbekämpfung zurückgegriffen werden, die sich in Teilen auch mit menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Aspekten auseinandersetzten. Die Frage nach dem Verhältnis von Freiheit und Sicherheit wird somit – insbesondere in der unmittelbaren Folge der Anschläge – zwar in zahlreichen Veröffentlichungen angesprochen, allerdings in den meisten Fällen nur randständig oder nur exemplarisch für einzelne Antiterrormaßnahmen. Hervorzuheben als Analysen der unmittelbaren Reaktionen auf 9/11 sind Grabbe (2001)30, Muguruza (2001)31, Monar (2002a)32, Monar (2002b)33, Boer (2003)34 oder auch Vennemann (2004)35. In der Folge wurden die Analysen spezifischer und nahmen einzelne Aspekte der Terrorismusbekämpfung in den Fokus. So beschäftigten sich Boer und Kollegen mit der Frage der Legitimität zentraler europäischer Institutionen in diesem Politikfeld.36 Bossong wiederum untersuchte die Wirkung des Aktionsplans und den generellen Einfluss dieses Instruments auf europäische Sicherheitspolitik.37 Zudem ließen sich zahlreiche Grabbe, Heather (2001): Breaking new ground in internal security, in: Bannerman, Edward u.a.: Europe after September 11th, London, S. 63-75. 31 Muguruza, Christina Churruca (2001): The European Union´s reaction to the terrorist attacks on the United States, in: Humanitäres Völkerrecht, 4/2001, S. 234-243. 32 Monar, Jörg (2002a): Die EU als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und die Herausforderung des internationalen Terrorismus, in: INTEGRATION, 25. Jg., 3/2002, S. 171186. 33 Monar, Jörg (2002b): The Problems of Balance in EU Justice and Home Affairs and the Impact of 11 September, in: Anderson, Malcolm/Apap, Joanna (Hrsg.): Police and Justice Cooperation and the new European Borders, Den Haag, S. 165-182. 34 Boer (2003). 35 Vennemann, Nicola (2004): Country Report on European Union, in: Walter, Christian u.a. (Hrsg.): Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security vs. Liberty?, Berlin, S. 217-266. 36 Boer, Monica u.a. (2008): Legitimacy under Pressure: The European Web of CounterTerrorism Networks, in: Journal of Common Market Studies, 1/2008, S. 101-124. 37 Bossong, Raphael (2008): The Action Plan on Combating Terrorism: A Flawed Instrument of EU Security Governance, in: Journal of Common Market Studies, 1/2008, S. 27-48. 30 11 weitere Aufsätze aufführen, die sich mit einzelnen spezifischen Maßnahmen beschäftigen. Von besonderer Relevanz ist zudem der Sammelband Die Europäische Union im Kampf gegen den Terrorismus: Sicherheit vs. Freiheit?38 von Müller und Schneider. Vergleichbar dem Aufbau der vorliegenden Arbeit finden sich hier Aufsätze, die sich jeweils mit einem spezifischen Problemfeld der europäischen Terrorismusbekämpfung auseinandersetzen. Behandelt wird das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln. So kommen nicht nur Autoren aus der Wissenschaft zu Wort, sondern auch Vertreter aus Politik und Justiz. Im ersten Teil des Sammelbandes widmen sich die Aufsätze grundsätzlichen Fragen hinsichtlich des Spannungsverhältnisses zwischen den beiden Rechtsgütern Sicherheit und Freiheit und den entsprechenden Auswirkungen auf die Terrorismusbekämpfung sowie die Grundrechte. Anschließend werden der Stand, die Perspektiven und die Problemlagen der europäischen Strategie beleuchtet. Hierbei werden spezifische Einzelmaßnahmen, etwa die Rahmenbeschlüsse zur Terrorismusbekämpfung und zum Europäischen Haftbefehl (EuHb) oder das Wirken zentraler Akteure, z.B. Europol und Europäisches Parlament (EP), untersucht. Eine vergleichbare Herangehensweise findet sich im Sammelband International Terrorism. A European Response to a Global Threat?39 den Mahnke und Monar im gleichen Jahr herausgaben. Eine wichtige Grundlage für die vorliegende Arbeit bildeten zudem Publikationen von Nichtregierungsorganisationen (NGO), wie etwa der Bericht Human Rights Dissolving at the Borders? Counter-terrorism and the EU Criminal Law40 von Amnesty International. In dieser Studie wird der Frage nachgegangen wie eine europäische Strategie zur Terrorismusbekämpfung im Einklang mit Menschenrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen umzusetzen ist. Als konkrete Beispiele werden dabei u.a. die Definition des Begriffes „Terrorismus“, der EuHb sowie die Überstellung, Ausweisung bzw. Auslieferung von verdächtiMüller, Erwin/Schneider, Patricia (Hrsg.) (2006): Die Europäische Union im Kampf gegen den Terrorismus: Sicherheit vs. Freiheit?, Baden-Baden. 39 Mahnke, Dieter/Monar, Jörg (2006): International Terrorism. A European Response to a global Threat?, Brüssel. 40 Amnesty International (2005b): Human Rights Dissolving at the Borders? Counter-terrorism and the EU Criminal Law, in: http://web.amnesty.org/library/pdf/IR610132005 ENGLISH/$ FILE/IOR6101305.pdf (10. Juli 2006). 38 12 gen Personen analysiert. Auch mit der Verwicklung europäischer Staaten in die so genannten „extraordinary renditions“ sowie die Unterhaltung von Geheimgefängnissen US-amerikanischer Sicherheitsdienste hat sich Amnesty eingehend beschäftigt. Beispielhaft sind hier die Studie Partners in crime: Europe’s role in US renditions41 sowie der Aufsatz Das Rendition-Programm der USA und die Rolle Europas42 von Bartelt und Muggenthaler zu nennen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte (200343 sowie 200444) legte zwei Studien zum Thema Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte vor, die sich in Teilen mit der Politik der EU befassen. Mit diesen beiden Publikationen wurde das Ziel verfolgt, wesentliche Ereignisse und Entwicklungen im internationalen Kampf bzw. Krieg gegen den Terrorismus aufzuzeigen. Neben der Analyse der beobachteten Menschenrechtsverletzungen zeigten die Autoren mögliche Kontrollmechanismen auf, die zukünftig Völkerrechtsverletzungen verhindern könnten. 200745 folgte eine spezifische Untersuchung der Terrorismusbekämpfung und des Menschenrechtsschutzes in der EU, welche allerdings nur ausgewählte Fragestellungen bearbeitete. So werden hier Debatten aufgegriffen, die zunächst in einzelnen Mitgliedsländern geführt bzw. forciert wurden, schließlich aber eine unionsweite Bedeutung erlangten. Neben der oben bereits angesprochenen Verwicklung von EU-Staaten in das US-amerikanische renditionProgramm geht es insbesondere um Fragen des Asyl- und Ausländerrechts sowie der Diskussion um die Absolutheit des Folterverbotes und dessen Aushebelung durch die Nutzung von Informationen von Geheimdiensten aus Drittstaaten. Vor dem Hintergrund, dass die vorliegende Arbeit einen Beitrag zum demokratietheoretischen Diskurs innerhalb der Terrorismusforschung leisten will, werden als Quelle auch publizistische Veröffentlichungen von Verantwortungsträ- Amnesty International (2006): Partners in crime: Europe’s role in US renditions, London. Bartelt, Dawid Danilo/Muggenthaler, Ferdinand (2006): Das Rendition-Programm der USA und die Rolle Europas, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 36/2006, S. 31-38. 43 Heinz, Wolfgang S. u.a. (2003): Internationale Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte (Oktober 2001-April 2003), Berlin. 44 Heinz, Wolfgang S./Arend, Jan-Michael (2004): Internationale Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte. Entwicklungen 2003/2004, Berlin. 45 Heinz, Wolfgang S. (2007): Terrorismusbekämpfung und Menschenrechtsschutz in Europa. Exemplarische Fragestellungen 2005/2006, Berlin. 41 42 13 gern aus Politik und Verwaltung (z.B. Schaar46 und Ignatieff47), Schriftstellern (z.B. Trojanow/Zeh48) und Journalisten (z.B. Prantl49 und Wolf50) herangezogen. Diese Werke bieten einen tieferen Einblick in die z.T. hoch politisierten Debatten rund um Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung. Eine umfassende Analyse der EU-Antiterrorstrategie kann sich nicht allein auf wissenschaftliche Reflexionen beschränken, sondern erfordert eine Auseinandersetzung mit der zivilgesellschaftlichen Meinungsbildung zum Untersuchungsgegenstand. Aus diesem Grund wird insbesondere in Kapitel B sowie teilweise auch in Kapitel D auf diese Quellen zurückgegriffen. Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass menschenrechtliche und rechtsstaatliche Aspekte der europäischen Terrorismusbekämpfung im Bereich der Justiz- und Innenpolitik bisher noch nicht ausführlich und zusammenhängend untersucht wurden. Der Schwerpunkt der meisten einschlägigen Veröffentlichungen liegt auf Teil- bzw. nachgeordneten Aspekten. Gleichzeitig ist allerdings festzustellen, dass die Literaturlage ausgesprochen weit gefächert ist. Somit stellte es eine besondere Schwierigkeit dar, alle Quellen zu erfassen, ohne dabei den Fokus der Untersuchung zu verwischen. Anders gestaltet sich die Situation mit Blick auf die Literatur zum RFSR im Allgemeinen. Hier liegen sowohl aus politik- als auch aus rechtswissenschaftlicher Perspektive umfassende Abhandlungen vor. Allen voran zu nennen sind hier Knelangen (2001)51, Kraus-Vonjahr (2002)52, Müller (2003)53 sowie zahlreiche Aufsätze von Monar54. Einen sehr guten Überblick über die Veränderungen Schaar, Peter (2007): Das Ende der Privatsphäre. Der Weg in die Überwachungsgesellschaft, 2. Auflage, München. 47 Ignatieff, Michael (2005): Das kleinere Übel. Politische Moral in einem Zeitalter des Terrors, Berlin. 48 Trojanow, Ilija/Zeh, Juli (2009): Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte, München. 49 Prantl, Heribert (2008): Der Terrorist als Gesetzgeber. Wie man mit Angst Politik macht, München. 50 Wolf, Naomi (2008): Wie zerstört man eine Demokratie? Das 10-Punkte-Programm, München. 51 Knelangen, Wilhelm (2001): Das Politikfeld innere Sicherheit im Integrationsprozess. Die Entstehung einer europäischen Politik der inneren Sicherheit, Opladen. 52 Kraus-Vonjahr (2002). 53 Müller, Thorsten (2003): Die Innen- und Justizpolitik der Europäischen Union. Eine Analyse der Integrationsentwicklung, Opladen. 54 Beispielhaft sind hier zu nennen: Monar, Jörg (2003): Auf dem Weg zu einem Verfassungsvertrag: Der Reformbedarf der Innen- und Justizpolitik der Union, in: INTEGRATION, 26. Jg., 46 14 durch den Vertrag von Lissabon erhält man mittels der Expertise von Kietz und Parkes (2008)55. Und auch zum Themenbereich Grund- und Menschenrechte in der EU liegt umfangreiche Literatur vor. Beispielhaft sollen hier der Aufsatz An Ever Closer Union in Need of a Human Rights Policy von Alston und Weiler (1999)56, das Buch EU Human Rights Policies. A Study in Irony von Williams (2004)57 oder auch das Studien- und Handbuch von Jarass (2005)58 angeführt werden. Zur Beantwortung der Forschungsfrage war schließlich eine ausführliche Analyse einer Vielzahl von Rechtsdokumenten der EU zu leisten. So erforderte die Betrachtung des RFSR neben der Auseinandersetzung mit dessen primärrechtlichen Grundlagen eine Erörterung des entsprechenden Sekundärrechts, etwa des Wiener Aktionsplans59 oder des Haager Programms zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union60. Auch entsprechende Strategiepapiere und Stellungnahmen des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission spielten dabei eine besondere Rolle. Grundlegend für die Untersuchung der europäischen Antiterrorismuspolitik waren der vom Europäischen Rat verabschiedete Aktionsplan zur Terrorismusbekämpfung sowie der Fahrplan des Rates. Schließlich wurde eine Reihe von Rechtsakten zur Umsetzung der in diesen beiden Dokumenten verankerten Ziele analysiert. 4 Methodischer Ansatz In der vorliegenden Arbeit wird, im Spiegel der primär- und sekundärrechtlichen Maximen für das Politikfeld Justiz- und Innenpolitik, untersucht, welche 1/2003, S. 31-47 sowie Monar, Jörg (2005): Die politische Konzeption des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Vom Amsterdamer Vertrag zum Verfassungsentwurf des Konvents, in: Müller-Graff, Peter-Christian (Hrsg.): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, Baden-Baden, S. 29-41. 55 Kietz, Daniela/Parkes, Roderick (2008): Justiz- und Innenpolitik nach dem Lissabonner Vertrag, Berlin. 56 Alston, Philip/Weiler, Joseph (1999): An Ever Closer Union in Need for an Human Rights Policy: The European Union and Human Rights, in: http://www.jeanmonnetprogram.org/pa pers/99/990101.html (4. Mai 2006). 57 Williams, Andrew (2004): EU Human Rights Policies. A Study in Irony, Oxford. 58 Jarass, Hans D. (2005): EU-Grundrechte. Ein Studien- und Handbuch, München. 59 Rat der Europäischen Union/Europäische Kommission (1998): Action Plan on how best to implement the Provisions of the Treaty of Amsterdam an Area of Freedom, Security and Justice, in: OJ 1999 C 19/1. 60 Rat der Europäischen Union (2005a): Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union, in: OJ 2005 C 53/1. 15 Rückwirkungen die Terrorismusbekämpfung seit dem 11. September 2001 auf das Ziel des Aufbaus eines RFSR hatte. Es stellt sich die Frage, ob dieser, als eines der zentralen Integrationsprojekte der Union, an den Herausforderungen des internationalen Terrorismus zu scheitern droht. Wie oben bereits ausgeführt, könnte ein Scheitern an zwei Szenarien abgelesen werden: der unzureichenden Sicherheitsgewährung oder der Missachtung von rechtsstaatlichen Prinzipien und Grundrechten. In dem Bewusstsein, dass beide Aspekte in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen und somit nur schwer voneinander zu trennen sind, konzentriert sich die folgende Analyse auf letzteren Punkt. Begründet auf den Prämissen des demokratietheoretischen Ansatzes ist der „output“ von Antiterrorismusmaßnahmen, sprich die Sicherheitsgewährung, nur als legitim zu bewerten, wenn bereits der „input“, also die entsprechenden Gesetzgebungsverfahren zur Bekämpfung terroristischer Gewalt, rechtsstaatlichen Erfordernissen gerecht wird. Beruhen Strategien zur Bekämpfung terroristischer Gewalt auf illegitimen Mitteln, so kann das Ergebnis niemals positiv sein, auch wenn die terroristische Bedrohung für den Moment zurückgedrängt wird. Denn, so die zentrale These der vorliegenden Arbeit, durch die Verletzung von Menschenrechten sowie die Relativierung rechtsstaatlicher Prinzipien würde der RFSR in seinen Grundfesten erschüttert. Und dies zieht aufgrund der zentralen Bedeutung dieses Politikfeldes auf europäischer Ebene einen Legitimitätsverlust für die Unionspolitik als Ganzes nach sich. Vor diesem Hintergrund ist die vorliegende Arbeit als eine rechtsstaats- und menschenrechtsorientierte Evaluationsstudie zu verstehen. Untersuchungsgegenstand sind zentrale Antiterrorismusmaßnahmen der EU im Zeitraum vom 11. September 2001 bis zum Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags am 1. Dezember 2009. Die Konzentration auf diesen Analysezeitraum begründet sich anhand folgender drei Hypothesen: 1) 9/11 stellte für die EU und deren Mitgliedstaaten eine Zäsur, insbesondere im Politikfeld Justiz- und Innenpolitik, dar. Die gemeinsame Sicherheitspolitik musste neu gedacht werden. 2) Im Laufe der Zeit verschoben sich zusehends die Handlungsfelder Brüssels in der Antiterrorismuspolitik. In der Folge von 9/11 standen Maß- 16 nahmen im Zentrum, die klar der Justiz- und Innenpolitik zuzurechnen waren und sich in weiten Teilen aus internationalen Strategien und Verpflichtungen ergaben. Mit der Verabschiedung der Europäischen Antiterrorismusstrategie im Dezember 2005 traten verstärkt andere Aspekte in den Fokus der EU-Politik – z.B. Infrastruktur, Integration, Bildung. In den Jahren 2008/09 waren somit die „großen Baustellen“ im hier untersuchten Politikbereich weitgehend umgesetzt. 3) Mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon wurde der RFSR auf ein neues rechtliches Fundament gestellt. Die Grundlagen der gemeinschaftlichen Terrorismusbekämpfung wurden neu justiert. Allerdings haben diese Neuregelungen kaum bzw. keine Auswirkungen auf die hier untersuchten Maßnahmen, die aber dennoch auch zukünftig für die Unionsbürger von Bedeutung sind. Eine weitergehende Betrachtung der Antiterrorismuspolitik über den 1. Dezember 2009 hinaus wird zudem nicht unternommen, da sich, wie in 2) bereits dargestellt, der Fokus dieses Politikfeldes vom hier untersuchten RFSR entfernt hat. Die untersuchten Maßnahmen spiegeln die zentralen Schritte der EUAntiterrorismuspolitik im Untersuchungszeitraum wider. Die Begrenzung auf eine Auswahl von Instrumenten begründet sich dabei mit der besonderen Dynamik dieses Politikfeldes. Neben der inhaltlichen Betrachtung der Maßnahmen werden diese einer Analyse aus menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Sicht unterzogen. Die Arbeit verfolgt einen interdisziplinären Ansatz. Das Thema wird aus Sicht der Internationalen Politik, der politischen Philosophie sowie des Völker- und des Europarechts betrachtet und analysiert. Zur Bearbeitung der Forschungsfrage werden daher politik- als auch rechtswissenschaftliche Methoden herangezogen. Dies erklärt sich u.a. mit Blick auf die empirischen Grundlagen: Neben zahlreichen Sekundärquellen aus diesen beiden Wissenschaftsbereichen bilden Rechtstexte der EU in weiten Teilen der Arbeit den Untersuchungsgegenstand. Diese werden rechtswissenschaftlich interpretiert und schließlich aus politikwissenschaftlicher Sicht bewertet. Der methodische Ansatz verfolgt das Ziel, die durch die Union selbst formulierten oder übernommenen Verpflichtungen im 17 Bereich des Menschenrechtsschutzes der politischen Realität am Beispiel der Terrorismusbekämpfung gegenüberzustellen und deren Verhältnis zueinander mit Blick auf die Integrationsentwicklung zu bewerten. Dabei wird ein Analyseschema verwendet, welches zum einen auf den „hard-line approach“ von Paul Wilkinson und zum anderen auf spezifische Indikatoren zur Überprüfung der Legitimität europäischer Politik, entwickelt von Boer und Kollegen, zurückgreift.61 Trotz des gestiegenen Interesses bzw. Engagements seitens der Politik und der Wissenschaft ist die Terrorismusforschung auch nach dem 11. September 2001 kein etabliertes wissenschaftliches Forschungsfeld. Dies spiegelt sich etwa im Fehlen einer eigenen Methodik wider. Hintergrund hierfür ist insbesondere der kontroverse Diskurs über den Begriff „Terrorismus“ selbst und dessen normative Konnotation. Hinzu tritt aber auch der Umstand, dass aufgrund der Natur des Forschungsgegenstands – Agieren im Untergrund – die Erhebung empirischer Daten kaum möglich ist. Viele Publikationen beziehen sich somit fast zwangsläufig auf Sekundärquellen.62 So bemängelt etwa Van de Voorde, neben der verbreiteten inhaltlichen Fokussierung auf einzelne Phänomene wie etwa alQaida oder die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen, eine zu starke Konzentration auf deskriptive Analysen.63 Zudem spricht er mit Blick auf die zu beobachtende Publikationsflut von einer „persistent poor quality of much terrorism research.“64 Die vorliegende Arbeit bleibt hiervon natürlich nicht unberührt. Da Sicherheitspolitiker und -behörden im starken Maße in einer für Wissenschaft und Öffentlichkeit nicht einsehbaren „black box“ agieren, sind die der (europäischen) Terrorismusbekämpfung zugrunde liegenden Prozesse häufig aufgrund fehlender Primärquellen nicht umfänglich rekonstruierbar. Um die Gefahr der Fehlinterpretation zu minimieren, wurde in der Analyse der einzelnen Antiterrorismusmaßnahmen versucht, auf möglichst viele Sekundärquellen zurückzugreifen, um schließlich ein valides Bild zeichnen zu können. Siehe hierzu Kapitel B.3. Vgl. Oppel (2010), S. 27-28. 63 Vgl. Van de Voorde (2011), S. 51. 64 Van de Voorde (2011), S. 51. 61 62 18 5 Aufbau der Arbeit Den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit bildet eine theoretisch-juristische Vorüberlegung zu den Herausforderungen des internationalen Terrorismus aus völkerrechtlicher Sicht und dem hiermit eng im Zusammenhang stehenden Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit angesichts terroristischer Bedrohungen (Abschnitt B). Zunächst sollen Antworten des Völkerrechts auf die Gefährdung der Staatengemeinschaft durch terroristische Gewalt herausgearbeitet werden. Wie gehen die VN mit diesem Phänomen um? Welche Mittel stehen ihr dabei zur Verfügung? Und ergeben sich hieraus Implikationen für die europäische Terrorbekämpfung? In einem weiteren Schritt wird die Debatte um das Verhältnis zwischen Freiheitsgewährung einerseits und Sicherheitsgewährleistung andererseits erörtert. Dabei wird exemplarisch auf die Diskussionen um die Absolutheit des Folterverbots und um das so genannte „Feindstrafrecht“ eingegangen. Die vorgefundenen Argumentationsmuster werden aus Sicht des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes analysiert und bewertet, so dass schließlich hierauf aufbauend eine grundlegende Analyse der Anforderungen an eine rechtsstaatlich und menschenrechtlich unbedenkliche Antiterrorpolitik erfolgen kann, die in der Folge der Untersuchung der EUPolitik zugrunde gelegt wird. Wie oben bereits erläutert, wird dabei insbesondere auf die theoretischen Vorarbeiten von Wilkinson sowie Boer und Kollegen zurückgegriffen. In Abschnitt C schließt sich eine ausführliche Betrachtung der Rahmenbedingungen des RFSR (Kapitel 1) sowie der Bedeutung der Menschenrechte und des Rechtsstaatlichkeitsprinzips für die europäische Justiz- und Innenpolitik (Kapitel 2) an. Grundlegend erfolgt zunächst eine Analyse der Herausforderungen, die der internationale Terrorismus an die EU stellt. Hier geht es allen voran um die Betrachtung historischer Erfahrungen bei der Bekämpfung des Terrorismus in Europa und deren Bedeutung für Entwicklungen nach 9/11. In einem zweiten Schritt stellt sich die Frage, welche rechtlichen Grundlagen zum Aufbau bzw. zur Weiterentwicklung des RFSR in den vergangenen Jahren im Rahmen des europäischen Primärrechts geschaffen wurden. Daran anschließend wird die politische Konzeption des Raumes erörtert. Wo lagen die Gründe für eine immer weiter reichende Integration im Bereich der inneren Sicherheit, einem 19 Kernbereich staatlicher Souveränität? Welche politischen Interessen und Ziele standen und stehen hinter diesem Integrationsprojekt? Darüber hinaus wird untersucht, wie sich die einzelnen Dimensionen des Raumes – Freiheit, Sicherheit, Recht – gestalten und wie sie zueinander im Verhältnis stehen. Kapitel 2 dient der detaillierten Betrachtung des Freiheits- und des Rechtsaspektes. Diese spiegeln im RFSR einerseits die Achtung menschenrechtlicher Normen und andererseits rechtsstaatlicher Bestimmungen wider. Grundlegend wird untersucht, inwieweit das Primärrecht der Union Aussagen zu den Menschenrechten und zum Rechtsstaatsprinzip trifft. Dabei wird die Entwicklung vom Gründungvertrag der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) bis zum Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages im Jahr 2009 nachverfolgt. Im folgenden Schritt untersucht die Arbeit die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) bezüglich der Bedeutung von Grundrechten und internationalen Menschenrechtsverträgen für die europäische Politik. Insbesondere in den sechziger und siebziger Jahren traf der EuGH wegweisende Entscheidungen für den Grundrechtsschutz auf EG-Ebene. Von besonderem Interesse ist zudem das Verhältnis zwischen dem Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht und den Regelungen der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), als einem zentralen Instrument des gesamteuropäischen Menschenrechtsschutzes. Schließlich wird der Einfluss der im Jahr 2000 verabschiedeten Charta der Grundrechte in der Europäischen Union (GRC) sowie der 2007 gegründeten EU-Grundrechteagentur näher beleuchtet. Beide Institutionen sind ein deutlicher Verweis auf die hohe Bedeutung des Menschenrechtsschutzes im Rahmen der europäischen Integration. Dennoch haben sich die Debatten zu deren Etablierung über viele Jahre erstreckt. Hier stellen sich Fragen nach deren realpolitischer Bedeutung und ihren Einfluss auf europäische (Antiterror-)Politik. Schließlich wird ein erstes Zwischenfazit gezogen, wobei die Fragen nach einem immer wieder postulierten Demokratiedefizit in der europäischen Justiz- und Innenpolitik sowie dem Vorwurf eines inkohärenten Menschenrechtsschutzes im Vordergrund stehen. Dies macht sich erforderlich, um schließlich einschätzen zu können, ob ggf. zu beobachtende Verletzungen von Rechtsstaatsprinzi- 20 pien bzw. Grundrechtsverpflichtungen letztlich als „Fehler im System“ zu bewerten, oder tatsächlich als eine Auswirkung eines veränderten Klimas in der europäischen Politik nach 9/11 zu sehen sind. In Abschnitt D folgt eine ausführliche Behandlung ausgewählter Antiterrorismusmaßnahmen der EU im Rahmen des RFSR seit dem 11. September 2001. Die betrachteten Politikfelder spiegeln dabei die maßgeblichen innenpolitischen Schritte der EU zur Bekämpfung des Terrorismus zwischen dem 11. September 2001 und dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags wider. Die Begrenzung auf eine Auswahl zentraler Maßnahmen begründet sich mit der großen Dynamik des Politikprozesses im Bereich der Terrorismusbekämpfung in diesem Zeitraum. Neben der inhaltlichen Betrachtung der Maßnahmen werden diese einer Analyse aus menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Sicht unterzogen, wobei auf die in Abschnitt B und C erarbeiteten Erkenntnisse zurückgegriffen wird. Vorangestellt wird dem eine Analyse der unmittelbaren Reaktionen der EU auf den 11. September 2001 sowie die Anschläge von Madrid und London. Allen voran der Aktions- und der Fahrplan, verschiedene Erklärungen und Strategiepapiere des Europäischen Rates und der EU-Organe sowie die 2005 verabschiedete Antiterrorismusstrategie stehen hier im Mittelpunkt der Betrachtung. Aus diesen wird „herausgelesen“, welche „rhetorische“ oder „deklaratorische“ Bedeutung menschenrechtliche und rechtsstaatliche Erfordernisse im Kampf gegen den Terrorismus haben. Es ist anzunehmen, dass der Zusammenhang von Freiheit und Sicherheit in diesen Papieren immer wieder aufgegriffen und im Sinne einer Gleichgewichtung dieser Rechtsgüter beantwortet wird. Ein Muster, welches den oben angeführten Hypothesen folgt. In der anschließenden Betrachtung zentraler Antiterrorismusmaßnahmen kann hieraus ableitend, unter Hinzuziehung entsprechender völkerrechtlich verbindlicher Menschenrechtsstandards, die Ernsthaftigkeit dieser Bekenntnisse überprüft werden. Konkret werden sechs Maßnahmekomplexe untersucht, die hier kurz aufgeführt werden: Zu den ersten und grundlegendsten Maßnahmen nach dem 11. September 2001 zählte auf EU-Ebene die Verabschiedung einer gemeinsamen Terrorismusdefinition. Mit dieser verband sich seit deren Verabschiedung massive Kritik aus menschenrechtlicher Perspektive. Die entsprechenden Aspekte wer- 21 den vorgestellt und bewertet. Daran anschließend beschäftigt sich die Untersuchung mit der Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung. Dieses Handlungsfeld zählt weltweit nach 9/11 zu den zentralen Maßnahmen im Kampf gegen terroristische Aktivitäten. Zunächst werden die entsprechenden sekundärrechtlichen und völkerrechtlichen Rechtsakte erörtert und schließlich vor dem Hintergrund menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Verpflichtungen analysiert. Im folgenden Schritt befasst sich die Arbeit mit dem Europäischen Haftbefehl. Dieses Instrument wurde bereits Ende der 1990er Jahre intensiv diskutiert. Aber erst die neue Weltlage nach 9/11 ermöglichte eine Einigung auf europäischer Ebene. Nicht zuletzt Bedenken aus grundrechtlicher Perspektive hatten im Vorfeld ein Übereinkommen verhindert. Wurde also ein neuer Handlungsdruck erzeugt, der diese Vorbehalte in den Hintergrund rücken ließ und somit Sicherheit über Freiheit stellte? Die gleiche Frage stellt sich auch im Bereich der Speicherung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten. Diese stellen unzweifelhaft ein wichtiges Instrument zur polizeilichen und strafrechtlichen Verfolgung jeglicher Kriminalität dar. Doch wirft die zunehmende Ausweitung exekutiver Kompetenzen zahlreiche datenschutzrechtliche Fragen auf. Da der Datenschutz von besonderer Bedeutung ist, wird an dieser Stelle eine ausführlichere Vorbetrachtung zu entsprechenden primär-, sekundär- und völkerrechtlichen Grundlagen vorangestellt. Anschließend betrachtet die Untersuchung zentrale Maßnahmen im Bereich der Datenverarbeitung auf europäischer Ebene. Die Anschläge in New York und Washington hatten zudem unmittelbare Auswirkungen auf die europäischen Debatten um die Weiterentwicklung des Asylrechts und des Flüchtlingsschutzes. Die Agenda änderte sich nicht grundlegend, aber der Tenor verschob sich merklich. Diesen Entwicklungen wird kritisch nachgegangen. Schließlich wird die Zusammenarbeit der EU mit den Vereinigten Staaten von Amerika erörtert. Als zentraler sicherheitspolitischer Partner Brüssels wurden direkt nach dem 11. September 2001 die gemeinsamen Bemühungen im Kampf gegen den Terrorismus verstärkt. Zahlreiche Maßnahmen riefen in der Folge allerdings Menschenrechtsorganisationen auf den Plan – nicht nur die Folterbilder aus Guantanamo oder Abu Ghraib. In Abschnitt E, der Schlussbetrachtung, folgt mit der Zielstellung einen Beitrag zur Debatte um die Weiterentwicklung des RFSR zu leisten, die Zusammenfas- 22 sung der herausgearbeiteten Ergebnisse sowie deren abschließende Bewertung. Hieraus ableitend werden Schlussfolgerungen gezogen und Empfehlungen bzw. Forderungen an die EU-Politik formuliert. Schließlich zeigt die Arbeit in einer Art Exkurs mögliche Entwicklungstendenzen im Anschluss an das Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon auf. 23 B Terrorismus als völkerrechtliche und menschenrechtliche Herausforderung 1 Terrorismus und Völkerrecht Durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt und die hiermit verbundende Verbreitung von Unsicherheit und Angst beraubt der Terrorismus die Menschen einer ihrer grundlegendsten Freiheiten – der Freiheit von Furcht65. Nicht zuletzt die Anschläge vom 11. September 2001 zeigten, dass Terroristen „keine humanitären Konventionen [respektieren]; sie setzen sich gezielt über alle moralischen und rechtlichen Restriktionen hinweg und zeichnen sich oft durch besondere Willkür, Unmenschlichkeit und Brutalität aus.“66 Zentrale, völkerrechtlich festgeschriebene Rechte des Einzelnen wie etwa die körperliche und geistige Unversehrtheit oder das Recht auf Leben haben für sie keine Bedeutung. Durch die bewusste Verletzung dieser Menschenrechtsnormen, wie sie etwa in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) oder dem Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) niedergeschrieben sind, wird terroristische Gewalt zu einer Herausforderung für die internationale Staatengemeinschaft. Denn die Regierungen rund um den Globus sind durch das Menschenrechtsschutzregime der Vereinten Nationen dazu verpflichtet, die Grundrechte eines jeden Menschen zu achten und zu gewährleisten und – gegenüber Dritten– zu schützen. Sie müssen somit terroristischer Gewalt entschieden entgegentreten. Dies machte Kofi Annan, damaliger Generalsekretär der Vereinten Nationen, in seinem so genannten Reformbericht In larger freedom67 aus dem Jahr 2005 deutlich. Darin erklärte er, dass der Terrorismus eine globale Gefahr darstellt; eine Gefahr für all das, wofür die VN stehen: dem Schutz der Menschenrechte In einer Rede vor dem US-Kongress im Jahr 1941 erklärte der damalige amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt die Freiheit von Furcht zu einer der grundlegenden „vier Freiheiten“ – neben der Meinungs- und Glaubensfreiheit sowie der Freiheit von Not – für eine zukünftige friedliche Weltordnung. Diese vier Freiheiten fanden in den folgenden Jahrzehnten Eingang in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und bilden somit eine wichtige Grundlage des internationalen Menschenrechtsschutzes. 66 Waldmann, Peter (2005): Terrorismus. Provokation der Macht, 2. Auflage, Hamburg, S. 14. 67 Annan, Kofi (2005): In larger freedom. Towards development, security and human rights for all, New York. 65 24 und der Rechtsstaatlichkeit, der Toleranz zwischen den Menschen und den Nationen sowie dem Grundsatz der friedlichen Konfliktbeilegung.68 Er ruft die Weltgemeinschaft daher zu einer umfassenden Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus auf, die auf fünf Säulen beruht: „It must aim at dissuasion people from resorting to terrorism or supporting it; it must deny terrorists access to funds and materials; it must deter states from supporting terrorism; it must develop state capacity to defeat terrorism; and it must defend human rights.“69 Es wird deutlich, dass die Terrorismusbekämpfung nach Meinung von Annan eines starken präventiven Charakters bedarf. Staatliches oder transnationales Handeln muss in erster Linie die Radikalisierung von einzelnen Personen, deren Hinwendung zu extremistischen Ideologien verhindern. Hier stellt sich die Frage, welche sozialen und individuellen Faktoren dafür ausschlaggebend sind, dass sich Menschen terroristischen Zielen verschreiben bzw. diese zumindest (aktiv) unterstützen. Als zweiten wichtigen Punkt spricht Annan die Unterbindung des Zugangs zu finanziellen und materiellen Ressourcen für Terroristen an. In einer globalisierten Welt hat sich die „Beweglichkeit“ von Geldwerten (z.B. auch Schwarzgeld) und Waffen aller Art dramatisch erhöht. Unfassbare Geldströme werden via elektronischer Medien in Sekundenbruchteilen über den ganzen Globus verschoben. Gewehre und Granaten, aber auch Großwaffen wie Panzer und Flugabwehrgeschütze oder gar chemische und biologische Waffen werden heute ohne ausreichende staatliche oder internationale Aufsicht gehandelt. Mit seiner dritten Forderung verweist Annan deutlich auf historische Erfahrungen, nach denen Terrorgruppen in der Vergangenheit im starken Maße auf Hilfe von staatlichen Behörden angewiesen waren – auf diese aber auch zählen konnten. Am Pranger standen hier etwa immer wieder Libyen, der Iran, der Sudan oder Afghanistan. Die staatliche Unterstützung für terroristische Gewalt müsse beendet werden. Dies bildet auch die Basis für den vierten Aspekt seiner Mahnung. So sieht Annan es als eine zentrale Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft an, die staatlichen Ressourcen zur Terrorismusbekämpfung gemeinsam auszubauen. Schließlich verweist er auf die enorme Bedeutsamkeit 68 69 Vgl. Annan (2005), S. 35. Annan (2005), S. 35. 25 der Wahrung der Menschenrechte im Kampf gegen terroristische Gewalt. Die Missachtung der Grundrechte hätte – wenn man die fünf Säulen als gleichwertig betrachtet – zwangsläufig das Scheitern der von Annan vorgeschlagenen Strategie zur Folge. Mit Blick auf die im Reformbericht geforderten Maßnahmen ist zu erkennen, dass die Bekämpfung des Terrorismus in erster Linie Aufgabe der Nationalstaaten und deren Sicherheitsorgane ist. Doch nicht erst die Anschläge von New York und Washington haben gezeigt, dass Terroristen transnational operieren. Terroristische Gewalt wird so auch zu einer internationalen Herausforderung; einer Herausforderung der gesamten Staatengemeinschaft. Die effektive Umsetzung der von Annan vorgeschlagenen Strategie bedarf daher der zwischenstaatlichen, völkerrechtlich verankerten Zusammenarbeit.70 Dabei „sind die Vereinten Nationen aufgrund ihres soliden normativen Fundaments, ihrer universellen Mitgliedschaft und globalen Reichweite sowie ihrer politischthematischen Bandbreite prädestiniert dafür, eine führende Rolle bei der multilateralen Terrorismusbekämpfung zu spielen.“71 Hieraus leitet sich nun aber die Frage ab, ob und in welcher Form das Völkerrecht überhaupt in der Lage ist, einen Beitrag zur Bekämpfung des Terrorismus zu leisten, wurde dieses doch als zwischenstaatliches Recht entwickelt. Die zentralen Begriffe – Krieg, Frieden, Gewaltverbot oder Selbstverteidigungsrecht – beziehen sich grundsätzlich auf das Verhältnis zwischen Staaten. Die Interaktion zwischen Regierungen bzw. staatlichen Behörden und zivilgesellschaftlichen Organisationen oder auch Individuen ist im völkerrechtlichen Rahmen bisher unterentwickelt. Nichtstaatliche Akteure wie international agierende Terrorgruppen stellen das Völkerrecht daher vor neue Herausforderungen.72 Es bestehen gegenwärtig keine völkerrechtlichen Mechanismen, die Terroristen für ihre Verbrechen, für die von ihnen begangenen Menschenrechtsverletzungen zur Vgl. Schweisfurt, Theodor (2006): Völkerrecht, Tübingen, S. 496. Schaller, Christian (2007): Völkerrechtliche Rahmenbedingungen und die Rolle der Vereinten Nationen bei der Terrorismusbekämpfung, in: Schneckener, Ulrich (Hrsg.): Chancen und Grenzen multilateraler Terrorismusbekämpfung, Berlin, S. 13-28, hier S. 13. 72 Vgl. Klein, Eckart (2004): Die Herausforderung durch den internationalen Terrorismus – Hört hier das Völkerrecht auf?, in: Isensee, Josef (Hrsg.): Der Terror, der Staat und das Recht, Berlin, S. 9-39, hier S. 13-15. 70 71 26 Verantwortung ziehen können, da allein Staaten als Adressaten der VNMenschenrechtskonventionen gelten.73 So ist gegenwärtig etwa im Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) der Tatbestand des Terrorismus nicht vorgesehen. Subsumiert man Terroranschläge allerdings unter den bestehenden Völkerrechtsverbrechen – Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen – ist zukünftig denkbar, terroristische Gewalt auf internationaler Ebene zu ahnden. Derzeit ist aber auch hier letztendlich auf die nationalstaatliche Ebene zu verweisen. Die Staaten sind dazu verpflichtet, ihre legislativen und exekutiven Möglichkeiten auszuschöpfen, um die von Annan geforderten Maßnahmen umzusetzen. Diese bilden den Rahmen für das Handeln der staatlichen Behörden. Die Verpflichtung zur Einhaltung von Menschenrechten und zur Achtung rechtsstaatlicher Prämissen wirkt dabei in gewisser Weise als (völkerrechtliche) Schranke. Wenn hier davon gesprochen wird, dass die Vorgaben der Vereinten Nationen eine Art Rahmen für nationalstaatliches politisches Handeln darstellen sollen, muss doch einschränkend erörtert werden, dass es der Staatengemeinschaft bis heute nicht gelungen ist, eine international anerkannte Definition des Begriffes Terrorismus zu entwickeln; trotz des weltweiten Konsens über die Notwendigkeit der Ächtung und der Bekämpfung terroristischer Gewalt, welcher sich in verschiedenen VN-Übereinkommen niederschlägt.74 Das Fehlen einer Terrorismusdefinition lässt die globale Terrorbekämpfung schnell an Grenzen stoßen. So wird diese etwa dadurch untergraben, dass der Kampf gegen terroristische Aktivitäten häufig zum Vorgehen gegen Oppositionsgruppen oder Minderheiten missbraucht wird.75 Ein Grund für das Fehlen einer solchen Definition ist der Umstand, dass der Gebrauch des Begriffs „Terrorismus“ ein moralisches Werturteil voraussetzt und somit immer subjektiv Vgl. Scheinin, Martin (2007): Terrorism and Human Rights, in: Zeitschrift für Menschenrechte, 1/2007, S. 11-18, hier S. 13. 74 Vgl. Wandscher, Christiane (2002): Terrorismus und die Vereinten Nationen, in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Menschenrechtliche Erfordernisse bei der Bekämpfung des Terrorismus. Bericht und Beiträge zu einem Arbeitsgespräch am 19. April 2002 im Französischen Dom/Berlin-Mitte, Berlin, S. 9-11, hier S. 9. 75 Vgl. Mattes, Hanspeter (2010): Terrorismusbekämpfung durch die UN: vielfältige Maßnahmen – wenig Erfolg, in: GIGA Focus, 7/2010, S. 1; vgl. auch Lorz, Ralph Alexander (2012): Der Terrorismus und das Völkerrecht, in: Schwarz, Kyrill-Alexander (Hrsg.): 10 Jahre 11. September – Die Rechtsordnung im Zeitalter des Ungewissen, Baden-Baden, S. 53-69, hier S. 54. 73 27 bestimmt ist; die Etikettierung einer Gruppe als terroristisch hängt im starken Maße davon ab, wie Staaten bzw. Staatsregierungen gegenüber dieser und deren Zielen eingestellt sind. Dass es hier innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft grundlegend unterschiedliche Positionen gibt, wurde erstmals 1972 beim Anschlag auf die Olympischen Spiele in München deutlich. Die Geiselnahme und die Ermordung der israelischen Olympiamannschaft durch palästinensische Attentäter ließ die Welt für einen historischen Moment den Atem stocken. Der Sport im Namen der Völkerverständigung trat in den Hintergrund, der Nahost-Konflikt brannte sich in grausamer Art und Weise ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit. Kurt Waldheim, damaliger Generalsekretär der Vereinten Nationen, erklärte in dieser Situation, dass die Staatengemeinschaft angesichts terroristischer Gewalt nicht länger stummer Zuschauer bleiben könne, sondern entschlossen gegen diese vorgehen solle. Diese Position wurde in diesem Kontext von verschiedenen arabischen, afrikanischen und asiatischen Staaten aufs Schärfste kritisiert. Ihnen zufolge waren die Palästinenser keine Terroristen, sondern Kämpfer für die gerechte Sache. Sie vertraten die Auffassung, dass Völker das Recht besitzen, Gewalt anzuwenden um sich aus (kolonialer) Unterdrückung zu befreien. Diese sei das einzig wirksame Mittel, sich gegen die übermächtigen Besatzer zur Wehr zu setzen. Aus dieser Diskussion erwuchs in den folgenden Jahren und Jahrzehnten eine „definitorische Lähmung“, die substanzielle Schritte zu einer umfassenden Strategie zur Terrorismusbekämpfung auf der Ebene des Völkerrechts verhinderte.76 Vielmehr kam es in der Folge zur Ausarbeitung und Verabschiedung einzelner Übereinkommen, mit denen nicht das Phänomen des Terrorismus als solches, sondern jeweils spezifische Ausformungen terroristischer Gewalt bekämpft werden sollten. Bei den entsprechenden Debatten wurde dabei die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Gewaltausübung ausgeklammert. So etablierte sich im Laufe der Zeit eine Art Arbeitsdefinition, die allerdings nicht rechtlich kodifiziert wurde. Hiernach sprach man von Terrorismus, wenn sich Gewalt, die sich Vgl. Hoffman, Bruce (2008): Terrorismus – der unerklärte Krieg. Neue Gefahren politischer Gewalt, Frankfurt/M., S. 54-56. 76 28 in ihrer Intensität deutlich von „normalen“ Straftaten abhob, gegen die Zivilbevölkerung richtete, um politische Ziele durchzusetzen.77 Diese „pragmatische Herangehensweise“ führte dazu, dass die Vereinten Nationen bereits vor 9/11 über ein umfangreiches Instrumentarium zur Bekämpfung terroristischer Gewalt verfügte, auch wenn dieses in weiten Teilen eher ein Schattendasein fristete. So war lange Zeit bei vielen der Abkommen ein geringer Ratifikationsstand zu verzeichnen. Zwar verurteilte man den Terrorismus – was auch immer die jeweiligen Regierungen unter diesem verstanden – auf das Schärfste. Doch unter völkerrechtlich verbindlichen Rahmenbedingungen wollte man sich nicht gegen diesen zur Wehr setzen. Erst mit dem 11. September 2001 stieg die Bereitschaft der Staaten, sich zur Umsetzung der VNAntiterrorismuskonventionen78 zu verpflichten.79 Neben der wachsenden Zahl der Ratifikationen bereits in der Vergangenheit beschlossener Abkommen, wurde aber auch deutlich, dass die internationalen Bemühungen verstärkt werden müssen. „The attacks against the United States […] pushed the United Nations to begin working on a suitable and agreeable strategy on counterterrorism.“80 Trotz einer fehlenden Einigung über zentrale Begrifflichkeiten, weisen die einzelnen Konventionen und Übereinkommen im Hinblick auf die Gegenmaßnahmen verschiedene gemeinsame Kernelemente auf. Neben der Verpflichtung zur zwischenstaatlichen Zusammenarbeit und Rechtshilfe gehört hierzu auch die Verhinderung so genannter „safe havens“ – Terroristen sollen nirgendwo auf der Welt vor Strafverfolgung sicher sein. Auf diesem Wege hoffte man, würden sich nationale Strafrechtsbestände nach und nach international annähern.81 Hierbei ist allerdings kritisch einzuwenden, dass die VN-Antiterrorismusabkommen einen stark repressiven Charakter aufwiesen, terroristische Gewalt somit vor allem mit Mitteln des Strafrechts zurückdrängen wollten. Präventive Vgl. Lorz (2012), S. 54-55. Für einen Überblick über die einzelnen Antiterrorismuskonventionen der Vereinten Nationen siehe http://www.un.org/terrorism/instruments.shtml (10. September 2012). 79 Vgl. Eichhorst, Kristina (2007): Terrorismus – eine schwierige Begriffsbestimmung, in: Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (Hrsg.): Jahrbuch Terrorismus 2006, Opladen, S. 23-36, hier S. 24; vgl. auch Ambos (2006), S. 417-418. 80 Murthy, C.S.R. (2008): The U.N. Counter-Terrorism-Committee: An Institutional Analysis, in: Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (Hrsg.): Jahrbuch Terrorismus 2007/2008, Opladen, S. 217-237, hier S. 218. 81 Vgl. Wandscher (2002), S. 9-10; vgl. auch Eichhorst (2007), S. 24; vgl. auch Ambos (2006), S. 417-418. 77 78 29 Maßnahmen zur Verhinderung von Anschlägen konnten hieraus nicht abgeleitet werden.82 In der Declaration on Measures to Eliminate International Terrorism83, welche die Generalversammlung am 9. Dezember 1994 verabschiedete, wurden erstmals Grundelemente einer einheitlichen Definition sichtbar und terroristische Akte – kriminelle Handlungen mit dem Ziel, die Öffentlichkeit in Schrecken zu versetzen – ohne Einschränkung verurteilt. Die Erklärung macht deutlich, dass Gewalt auch zur Durchsetzung politischer Zielstellungen unter keinen Umständen zu rechtfertigen sei. Getragen von der Überzeugung, dass Terrorakte eine Friedensgefährdung darstellen können, wird zudem festgestellt, dass dem SR-VN bei der Bekämpfung des Terrorismus eine besondere Verantwortung obliegt.84 Tatsächlich verurteilte der Sicherheitsrat bereits seit den 1970er Jahren mehrfach einzelne Terroranschläge. Allerdings erst 1992, im Zusammenhang mit der Weigerung des lybischen Regimes zur Auslieferung von Personen die mit dem Terrorakt von Lockerbie in Verbindung standen, erließ das Gremium eine Resolution, die Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der Charta der VN beinhaltete. In der Folge wurde dieses Instrument immer häufiger im Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt. Zu denken ist hier an das Finanz- und Waffenembargo gegen die Taliban, nachdem diese sich weigerten Osama bin Laden auszuliefern. So wurde die Staatengemeinschaft durch Resolution 1267 (1999)85 vom 15. Oktober 1999 dazu aufgefordert, sämtliche Vermögenswerte einzufrieren, die dem Taliban-Regime, dem al-Qaida-Netzwerk oder mit diesen in Verbindung stehenden Personen und Organisationen zuzuordnen sind. Von besonderer Bedeutung ist diese Resolution des Sicherheitsrates, da seither die Bekämpfung der Vgl. Lorz (2012), S. 60. United Nations General Assembly (1994): Declaration on Measures to Eliminate International Terrorism, in http://www.un.org/documents/ga/res/49/a49r060.htm (10. September 2012). 84 Vgl. United Nations General Assembly (1994); vgl. auch Erbel, Günter (2002): Die öffentliche Sicherheit im Schatten des Terrorismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 10-11/2002, S. 1421, hier S. 17; vgl. auch Schaller (2007), S. 17. 85 United Nations Security Council (1999): Resolution 1267 (1999), in: http://www.un.org/ Depts/german/sr/sr_99/sr1267.pdf (10. September 2012). 82 83 30 Finanzierung des Terrorismus einen zentralen Schwerpunkt der Antiterrorismusstrategie der VN bildet.86 So wurde Ende 1999 das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus87 verabschiedet. Hiermit ging ein deutlicher Wandel in der Diskussion um eine Bestimmung des Terrorismus-Begriffs einher. Die Verpflichtung, die finanzielle Unterstützung terroristischer Aktivitäten unter Strafe zu stellen, zwang die Staatengemeinschaft dazu, den Tatbestand zu definieren. So heißt es in Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens: „Any person commits an offence within the meaning of this Convention if that person by any means, directly or indirectly, unlawful or willfully, provides or collects funds with the intention that they should be used or in the knowledge that they are to be used, in full or in part, in order to carry out a) an act which constitutes an offence within the scope and as defined in one of the treaties listed in the annex88; or b) any other act intended to cause death or seriously bodily injury to a civilian, or any other person not taking an active part in the hostilities in a situation of armed conflict, when the purpose of such act, by its nature or its context, is to intimidate a population, or to compel a government or an international organization to do or to abstain from doing any act.“89 Trotz ihrer Schwächen, ihrer begrifflichen Unschärfe und ihrer eingeschränkten Reichweite, muss diese Definition als ein Erfolg betrachtet werden. Erstmals war es der Staatengemeinschaft gelungen, sich auf einen gemeinsamen Begriff zu einigen, auf dem schließlich in der Folge aufgebaut werden konnte.90 So greift etwa auch das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung terrorisVgl. United Nations Security Council (1999); vgl. auch Klein (2004), S. 19-20; vgl. auch Wandscher (2002), S. 10; vgl. auch Ambos (2006), S. 421. 87 United Nations General Assembly (1999): International Convention for the Suppression of the Financing of Terrorism, in: http://treaties.un.org/doc/db/Terrorism/english-18-11.pdf (10. September 2012). 88 Im Anhang zum Übereinkommen werden alle bisher verabschiedeten VN-Konventionen zur Terrorismusbekämpfung aufgeführt. 89 United Nations General Assembly (1999), S. 3. 90 Vgl. Oeter, Stefan (2002): Terrorismus – ein völkerrechtliches Verbrechen?, in: Koch, HansJoachim (Hrsg.): Terrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit. Symposium für Hans Peter Bull und Helmut Rittstieg am 31. Mai 2002, Baden-Baden, S. 29-50, hier S. 3742. 86 31 tischer Bombenanschläge91, das zwar bereits 1997 von der VN- Generalversammlung verabschiedet wurde, aber erst vier Monate vor den Anschlägen von New York und Washington in Kraft trat, auf diese Vorarbeiten zurück. Doch nach wie vor wird bei der Bestimmung dessen, was unter Terrorismus zu verstehen ist, lediglich das Wesen der Tat, nicht aber der Status der Täter – staatlich, nichtstaatlich – oder deren Motivation einbezogen. Insbesondere die Gleichsetzung bzw. die fehlende Trennung zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Gewalt wird in der Wissenschaft stark kritisiert.92 Mit der Verabschiedung des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus gingen zwei weitere bedeutende Entwicklungen einher. Zum einen werden auch Unterstützernetzwerke im Hintergrund in den Fokus der Bekämpfungsstrategie gerückt. Zum anderen weist das Abkommen klare präventive Maßnahmen auf.93 Fortan bot das Völkerrecht also nicht nur Mittel zur grenzüberschreitenden Strafverfolgung von Terroristen, sondern auch Instrumente zum gemeinsamen Agieren zur Verhinderung von Anschlägen. Somit verfügten die VN am 11. September 2001 einerseits zwar über ein aus zahlreichen Übereinkommen bestehendes Instrumentarium zur Bekämpfung terroristischer Aktivitäten, andererseits allerdings nicht über einen abschließenden Konsens bezüglich der Definition des Begriffes Terrorismus. Von einer umfassenden und effektiven Strategie war die Staatengemeinschaft also noch weit entfernt. So wurde das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus bis zu diesem Zeitpunkt von gerade einmal vier Staaten ratifiziert. Dennoch gelang es dem Sicherheitsrat schnell und entschlossen auf die Anschläge von New York und Washington zu reagieren. Einstimmig verabschiedeten die Ratsmitglieder die Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001). Erstmals wurden einzelne Terrorakte als Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit gegeißelt.94 United Nations General Assembly (1997): International Convention for the Suppression of Terrorist Bombings, in: http://treaties.un.org/doc/db/Terrorism/english-18-9.pdf (10. September 2012). 92 Vgl. United Nations General Assembly (1997); vgl. auch Klein (2004), S. 10-11; vgl. auch Schweisfurt (2006), S. 499. 93 Vgl. Lorz (2012), S. 61. 94 Vgl. Bruha, Thomas (2002b): Neuer Internationaler Terrorismus: Völkerrecht im Wandel?, in: Koch, Hans-Joachim (Hrsg.): Terrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicher91 32 „The immediate and unusually concerted response by the UNSC to the 9/11 attacks marked a sea change in the role of the UN in the relation to international terrorism and reflected the genuine shock and outrage voiced by the overwhelming majority of governments around the world […].“95 Vor dem Hintergrund der oben aufgeführten Schwächen des bisherigen Vorgehens veränderte sich im Kontext von 9/11 die Strategie der VN bzw. einzelner Mitgliedstaaten. Fortan standen nicht mehr Konventionen als Hauptinstrument im Fokus, sondern der Erlass legislativer Vorgaben sowie die Verhängung individueller Sanktionen durch den Sicherheitsrat – Instrumente also, die Staaten auch gegen ihren konkreten Willen zum Handeln verpflichten können.96 Im Besonderen Resolution 1373 (2001) stellte in der Folge des 11. September 2001 einen zentralen Baustein der völkerrechtlichen Bekämpfung des Terrorismus dar. Inhaltlich deckt sich diese weitgehend mit dem zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft getretenen Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus. Durch den Erlass der Resolution wurde somit der innerstaatliche Ratifikationsprozess, welcher zum Inkrafttreten des Übereinkommens hätte durchlaufen werden müssen, umgangen.97 Dieses Muster lässt sich in der Phase nach 9/11 weithin beobachten. Die Anschläge von New York und Washington boten den Regierungen ein „window of opportunity“, um z.T. heftig umstrittene Gesetzesinitiativen unter Rückgriff auf abstrakte Angstgefühle und durch das Appellieren an die Verantwortung für die Sicherheit der Bürger und die Solidarität mit den Opfern der Anschläge durchzusetzen. Bei der Formulierung von Resolution 1373 (2001) nahm der SR-VN eine quasilegislative Kompetenz in Anspruch, indem er diese unter Kapitel VII der VNCharta verabschiedete und die Staaten somit auf die Umsetzung der hier festgeschriebenen Maßnahmen, die z.T. weit in die Politik der inneren Sicherheit eingreifen, verpflichtete und gleichzeitig Möglichkeiten der Sanktionierung bei heit. Symposium für Hans Peter Bull und Helmut Rittstieg am 31. Mai 2002, Baden-Baden, S. 51-82, hier S. 62-63. 95 Wilkinson, Paul (2006): Terrorism versus Democracy. The Liberal State Response, 2. Auflage, London, S. 169. 96 Vgl. Lorz (2012), S. 61. 97 Vgl. Ambos (2006), S. 423. 33 Nichteinhaltung der niedergeschriebenen Forderungen bestanden. Um die Umsetzung der Bestimmungen in den Mitgliedstaaten zu überprüfen, wurde das Counter-Terrorism Committee (CTC)98 als ein regulärer Ausschuss des Sicherheitsrates eingerichtet.99 Entscheidend ist auch, dass sich die beschlossenen Maßnahmen dabei erstmals nicht ausschließlich gegen Staaten bzw. staatstragende Organisationen oder Personen richteten, sondern im Besonderen gegen ein friedensbedrohendes Verhalten nichtstaatlicher Akteure. Schließlich wurden, ausgehend von der Überzeugung dass die Gefährdung durch den internationalen Terrorismus eine abstrakte und dauerhafte Bedrohungssituation schafft, die geforderten Maßnahmen keiner zeitlichen Beschränkung unterworfen.100 Die vorgesehenen Schritte lassen sich grob in fünf Schwerpunkte unterteilen: - Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung, - Bekämpfung der Unterstützung terroristischer Aktivitäten, - Einschränkung der Reisemöglichkeiten für Personen, die des Terrorismus verdächtigt werden, - Einfügung des Terrorismus als Tatbestand in nationale Gesetze sowie - Stärkung der internationalen Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung. Als eine zentrale Schwachstelle muss identifiziert werden, dass Resolution 1373 (2001) im gesamten Text keinen Bezug zur völkerrechtlichen Verpflichtung der Staaten nimmt, die Menschenrechte zu achten, zu schützen und zu wahren. Auch internationale Kritik änderte hieran nichts. Der immense Handlungsdruck unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gab Sicherheitspolitikern einen Hebel in die Hand, um menschenrechtliche und rechtsstaatliche Bedenken in den Hintergrund zu drängen. Mitunter wurden die Menschenrechte bzw. das Menschenrechtsschutzregime gar zum Spielball der SicherheitspoliDas Counter-Terrorism Committee setzt sich, entsprechend der jeweiligen Sitzverteilung im VN-SR, aus 15 Mitgliedern zusammen. Abgesehen von der besonderen Bedeutung dieses Gremiums für die effektive Zusammenarbeit der Staaten im Bereich der Terrorismusbekämpfung, ist dessen Rolle aber durchaus kritisch zu hinterfragen. Dies begründet sich vor allem darin, dass sich die Aufgaben des CTC nicht allein auf das Monitoring zur Umsetzung der Resolution 1373 (2001) und die Beratung nationalstaatlicher Sicherheitsbehörden beschränkt, sondern dass dem Komitee auch weitreichende Entscheidungsbefugnisse insbesondere im Feld der Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung übertragen wurden. Siehe hierzu auch Kapitel D.4. 99 Vgl. Wilkinson (2006), S. 170-171. 100 Vgl. Schweisfurt (2006), S. 503-504; vgl. auch Bruha (2002b), S. 63; vgl. auch Murthy (2008), S. 220-221. 98 34 tik gemacht, indem man restriktive Maßnahmen in den Kontext der Terrorismusbekämpfung und somit des Grundrechtsschutzes stellte. Oosting spricht daher von einer „unheilvollen Trennlinie […] zwischen der doppelten Verpflichtung der Vereinten Nationen, internationale Sicherheit aufrecht zu erhalten und die internationalen Menschenrechte zu fördern.“101 Dass diese Bedenken ihre Berechtigung hatten, sollte die Zukunft deutlich zeigen. So ist in einem Bericht des VN-Hochkommissariats für Menschenrechte zu lesen: „There has been a proliferation of security and counter-terrorism legislation and policy throughout the world since the adoption of Security Council resolution 1373 (2001), much of which has an impact on the enjoyment of human rights. Most countries, when meeting their obligations to counter terrorism by rushing through legislative and practical measures, have created negative consequences for civil liberties and fundamental human rights.“102 Vorschub leistete hierfür u.a., dass es den VN auch im Zusammenhang mit der Verabschiedung der Resolution 1373 (2001) nicht gelang, eine allumfassende Definition des Tatbestands Terrorismus zu formulieren. Der Sicherheitsrat gab somit – unbeabsichtigt – den Staaten die Möglichkeit, all jene mit dem „Label“ Terrorist zu belegen und die entsprechenden Sanktionen gegen sie zu erlassen, die als „unliebsam“ galten; etwa politische Oppositionsgruppen, religiöse Vereinigungen oder Autonomiebewegungen.103 Zudem war auch eine Tendenz zu beobachten, dass Menschenrechtsverletzungen weniger scharf verurteilt wurden, waren sie mit dem Verweis auf eine terroristische Bedrohung „zu rechtfertigen“. Der weltweite Kampf gegen den Terrorismus wurde hierdurch massiv diskreditiert. Erst in Resolution 1456 (2003)104 fordert der Sicherheitsrat explizit, dass Antiterrorismusmaßnahmen unter Berücksichtigung der Menschenrechte, des Humanitären Völkerrechts und des weltweiten Flüchtlingsschutzes verabschiedet Oosting, Dick (2002): Die Erfahrungen internationaler Menschenrechtsorganisationen (NGOs), in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Menschenrechtliche Erfordernisse bei der Bekämpfung des Terrorismus. Bericht und Beiträge zu einem Arbeitsgespräch am 19. April 2002 im Französischen Dom/Berlin-Mitte, Berlin, S. 24-27, hier S. 24. 102 Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (2008): Human Rights, Terrorism, and Counter-Terrorism, Genf, S. 20. 103 Vgl. Scheinin (2007), S. 14. 104 United Nations Security Council (2003): Resolution 1456 (2003), in: http://www.unhchr.ch/ Huridocda/Huridoca.nsf/%28Symbol%29/S.RES.1456+%282003%29.En (10. März 2013). 101 35 werden müssen. Einerseits ist dieser Schritt zu begrüßen, andererseits fällt auf, dass das Dokument keinerlei Festlegungen bezüglich entsprechender Monitoring-Instrumente festschreibt.105 Die „rhetorische Lücke“ war damit geschlossen. Die VN hatten klargestellt, dass die Terrorismusbekämpfung die Menschenrechte als völkerrechtliche Handlungsmaxime, als Schranke politischen Handelns zu berücksichtigen hat. Das weltpolitische Klima hatte sich inzwischen aber stark gewandelt, das Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit schien sich klar in Richtung der Sicherheitspolitik verschoben zu haben. Auf diesen Umstand reagierte Kofi Annan in seinem oben bereits erwähnten Reformbericht, welcher die Basis für die im September 2006 durch die Generalsversammlung verabschiedete Global Strategy106, der globalen Strategie zur Bekämpfung terroristischer Gewalt, bildet. Annan misst dem Schutz der Menschenrechte eine außerordentliche Bedeutung bei der Bekämpfung terroristischer Gewalt bei. Dies wird etwa dadurch deutlich, dass „die Forderung nach der Herrschaft des Rechts und nach Einhaltung der Menschenrechte im Kampf gegen Terrorismus […] den Bericht wie ein roter Faden [durchzieht].“107 Entsprechend finden sich in der Global Strategy spezifische Ausführungen. Die Generalversammlung verdeutlichte in ihrer Antiterrorismusstrategie noch einmal, dass die Staatengemeinschaft den internationalen Terrorismus in all seinen Formen verurteilt und als eine der größten Herausforderungen des Friedens und der internationalen Sicherheit ansieht. Es wird darüber hinaus festgestellt, dass terroristische Gewalt auf die Zerstörung der Menschenrechte, der fundamentalen Freiheitsrechte und der Demokratie abzielt. Darüber hinaus werden die Staaten dazu aufgerufen, eine umfassende Konvention zur Bekämpfung terroristischer Gewalt zu erarbeiten, die u.a. eine globale Definition umfassen soll.108 Vgl. United Nations Security Council (2003); vgl. auch Heinz/Arend (2004), S. 12-13. United Nations General Assembly (2006): The United Nations Global Counter-Terrorism Strategy, in: http://daccess-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N05/504/88/PDF/N0550 488.pdf (22. Februar 2011). 107 Schaller (2007), S. 13. 108 United Nations General Assembly (2006). 105 106 36 Die VN-Antiterrorismusstrategie bildet seit ihrer Verabschiedung den Bezugsrahmen für die Staatengemeinschaft und deren gemeinsames Vorgehen gegen terroristische Gewalt.109 Die zentralen Ziele der Global Strategy sind - „die Verbesserung der Effizienz der einzelnen Antiterrorismusmaßnahmen, - der Ausbau der Hilfsprogramme für Opfer terroristischer Anschläge, - die verstärkte Einbeziehung der Zivilgesellschaft in Präventivmaßnahmen, - die Schärfung des Bewusstseins für Bioterrorismus sowie - Maßnahmen zur Eindämmung der Internetnutzung durch terroristische Gruppen.“110 Im Anhang der Resolution verabschiedete die Generalversammlung einen Plan of Action, in dem sich die Staaten zu einer umgehenden Verstärkung ihrer Bemühungen im Kampf gegen den Terrorismus verpflichten. Die konkreten Maßnahmen unterscheiden sich dabei nicht von den bisher bereits in verschiedenen SR-VN-Resolutionen geforderten Schritten. Explizit wird auf die hohe Bedeutung der Resolution zum Schutz der Menschenrechte beim Kampf gegen den Terrorismus hingewiesen. Auch im Weiteren wird immer wieder deutlich gemacht, dass sich die Reaktionen der Staaten am Maßstab der Menschenrechte messen lassen müssen. „The promotion and protection of human rights for all and the rule of law is essential to all components of the Strategy. […] Effective counter-terrorism measures and the protection of the human rights are not conflicting goals, but complementary and mutually reinforcing.“111 Amnesty International stellt fest: „The Global Strategy is a pathbreaking document as all states recognize in it, unequivocally, that human rights are the basis for the fight against terrorism.“112 Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Anschläge von New York und Washington auf der Ebene der Vereinten Nationen und des Völkerrechts zu einer weiteren Schärfung des Profils im Politikbereich der Terrorismusbekämp- Vgl. Mattes (2010), S. 3. Mattes (2010), S. 3. 111 United Nations General Assembly (2006). 112 Amnesty International (2008): Security and Human rights. Counter-terrorism and the United Nations, London, S. 7. 109 110 37 fung führten, etwa durch die Verabschiedung entsprechender Resolutionen oder Übereinkommen sowie die Schaffung neuer Institutionen. Dennoch ist es der Staatengemeinschaft nicht gelungen, den Terrorismus zurückzudrängen. Noch immer ist eine zu starke Konzentration auf die Beseitigung einzelner Symptome terroristischer Gewalt, nicht aber auf deren Ursachen gerichtet. Gleichzeitig ist die Bereitschaft der Mitgliedstaaten zu einer gemeinschaftlichen Antiterrorpolitik nicht allumfassend.113 Unabhängig von den Schwächen der VN-Instrumente zur Terrorismusbekämpfung stellt die Umsetzung der Bestimmungen aus der Sicherheitsratsresolution 1373 (2001) und weiterer Resolutionen sowie der verschiedenen VNÜbereinkommen zur Terrorismusbekämpfung für die Europäische Union und deren Mitgliedstaaten eine Priorität innerhalb ihrer eigenen Strategie dar.114 Neben der Orientierung an den operativen Maßnahmekatalogen sollte sich Brüssel dabei unbedingt auch jene Aussagen zur besonderen Bedeutung des Menschenrechtsschutzes zu eigen machen. 2 Freiheit und Sicherheit angesichts terroristischer Bedrohungen Theodore Roosevelt stellte einmal fest: „Order without liberty and liberty without order are equally destructive.“ Benjamin Franklin wiederum formulierte: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.“ Während Roosevelt die Gleichwertigkeit der beiden Rechtsgüter herausstellt, verdeutlicht Franklin die Gefährdung freiheitlicher Grundrechte durch die Fokussierung auf Sicherheitsaspekte. (Rechts-)Philosophisch ist hiermit eine Debatte eröffnet, die Riescher zufolge lange Zeit vernachlässigt wurde.115 Besteht zwischen Freiheit und Sicherheit ein Spannungsverhältnis, vielleicht gar ein Zielkonflikt, wie er häufig unterstellt wird? Bures spricht hier, in Zusam- Vgl. Mattes (2010), S. 6-7. Vgl. Rat der Europäischen Union (2003): Leitlinien für ein gemeinsames Konzept zur Bekämpfung des Terrorismus, in: http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/03/st09/st09864ex01.de03.pdf (27.09.2008), S. 7. 115 Vgl. Riescher, Gisela (2010): Demokratische Freiheit und die Sicherheit des Leviathan, in: Riescher, Gisela (Hrsg.): Sicherheit und Freiheit statt Terror und Angst. Perspektiven einer demokratischen Sicherheit, Baden-Baden, S. 11-24, hier S. 12. 113 114 38 menführung der Konzeptionen von Edwards/Meyer (2008)116 und Bigo (2006)117, von drei möglichen Zugängen: (1) dem security first approach, wonach Sicherheit die erste Freiheit und als solche ein gesellschaftliches Gut darstellt, (2) dem balancing freedom and security approach, im Rahmen dessen beide Rechtsgüter grundsätzlichen Charakter genießen und daher in Balance gehalten werden müssen sowie (3) dem freedom first approach, bei dem Freiheit an erster Stelle steht.118 Die Frage, welcher Ansatz schließlich maßgeblich für eine Gesellschaft ist, unterliegt einer politischen Entscheidung, an der bestenfalls die Bürger selbst beteiligt werden. Nach den Anschlägen von New York und Washington gewann diese Debatte wieder an Bedeutung in den westlichen Demokratien. Im Folgenden wird die Diskussion um dieses Spannungsverhältnis exemplarisch anhand der Beispiele des absoluten Folterverbots und des so genannten Feindstrafrechts referiert und im Hinblick auf das Thema der Arbeit bewertet. Der Journalist Heribert Prantl zeichnet mit Blick auf die Debatten in Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sowie die Reaktionen auf globaler, regionaler und nationalstaatlicher Ebene in der Folge der Anschläge vom 11. September 2001 das gedankliche Bild einer Sanduhr, deren oberes Glas jenes der Freiheit und das untere jenes der Sicherheit darstellt. Quasi zwangläufig verliert das Gefäß mit den Menschenrechten Sand. Im gleichen Maße füllt sich das untere Glas, jenes der Sicherheitsmaßnahmen.119 Genau betrachtet hinkt der Vergleich, suggeriert er doch, dass die Aufgabe von Freiheitsrechten im Gegenzug Sicherheit erzeugt. Fakt ist, dass vor dem Hintergrund eines Sicherheitsversprechens Grundrechte in weiten Teilen der Welt eingeschränkt oder gar verletzt wurden, und dies nicht selten ohne gesellschaftliche Empörung. Das mühsam ausgehandelte und weithin akzeptierte Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit wurde und wird durch den Terrorismus in Frage gestellt. Die abstrakte Angst, die durch Bedrohungen wie terroristische Gewalt in der Bevölkerung erzeugt wird, führt zu einer gewissen Bereitschaft zur Aufgabe von Freiheitsrechten bzw. deSiehe hierzu Edwards, Geoffrey/Meyer, Christian O. (2008): Introduction: Charting a Contested Transformation, in: Journal of Common Market Studies, 1/2008, S. 1-25. 117 Siehe hierzu Bigo, Didier (2006): Liberty, whose Liberty? The Hague Programme and the Conception of Freedom, in: Balzacq, Thierry/Carrera, Sergio (Hrsg.): Security versus Freedom? A Challenge for Europe´s Future, Aldershot, S. 35-44. 118 Vgl. Bures (2011), S. 205-206. 119 Vgl. Prantl (2008), S. 47-48. 116 39 ren widerspruchslosen Einschränkung im Tausch gegen das Gefühl der Sicherheit. „Es [gibt] nur wenige Gründe, warum freie Bürger auf Freiheiten verzichten, aber die Bereitschaft, Freiheit zugunsten von Sicherheit einzutauschen, liegt in der menschlichen Natur. Mehr als alles andere fürchten Menschen Chaos und Gewalt.“120 Vielleicht begründet sich dies tatsächlich allein in der individuellen Hoffnung, im Gegenzug mehr Sicherheit zu gewinnen. Vielleicht ist dies aber auch ein Beleg für das fehlende Bewusstsein für die Bedeutung der Grundrechte. Grundsätzlich ist aber nicht bestreitbar: „security poses some of the most prominent and controversial challenges facing European societies.“121 Dabei ist der Begriff Sicherheit nur schwer zu fassen und kann nicht objektiv beschrieben werden. Was er bedeutet bzw. was ein Sicherheitsrisiko ausmacht, ist letztlich rein subjektiv. Und auch konzeptionell liegt keine einheitliche Definition vor, gilt es doch beispielsweise zu unterscheiden zwischen a) der individuellen Sicherheit, b) der Sicherheit einzelner sozialer Gruppen oder c) der gesamtgesellschaftlichen Sicherheit. Auch ließe sich eine Differenzierung nach dem zu schützenden Gut vornehmen: Geht es um soziale Sicherheit im Sinne der Deckung der Grundbedürfnisse? Um den Schutz vor Angriffen Dritter? Oder um infrastrukturelle Sicherheit?122 Jeder Staat besitzt das Recht und die Pflicht sich gegen Terrorismus zur Wehr zu setzen und die Bevölkerung vor diesem zu schützen. Mehr noch, ein Staat kann im Angesicht einer terroristischen Bedrohung nicht untätig bleiben, ohne sich selbst aufzugeben, ohne die Legitimität und Autorität seines Rechtssystems aufs Spiel zu setzen.123 Diese sind gleichzeitig aber auch durch mögliche staatliche Überreaktionen gefährdet. Dem Rechtsstaat stehen im Kampf gegen den Terrorismus nicht alle Mittel zur Verfügung, da sein rechtsstaatliches, auf den Menschenrechten beruhendes System ihm auch im Umgang mit seinen Feinden Grenzen setzt. Operiert er außerhalb dieser, stellt er sich selbst in Frage. 124 Wolf (2008), S. 68. Cottey, Andrew (2007): Security in the New Europe, Basingstoke, S. 1. 122 Vgl. Cottey (2007), S. 6-7. 123 Vgl. Wassermann, Rudolf (1976): Sicherung oder Aushöhlung des Rechtsstaates?, in: Wassermann, Rudolf (Hrsg.): Terrorismus contra Rechtsstaat, Darmstadt, S. 125-162, hier S. 128129. 124 Vgl. Wassermann (1976), S. 133. 120 121 40 Selbst Winfried Brugger, einer der Protagonisten in der Debatte um ein staatliches „Recht auf Folter“, stellt fest, dass zur Erreichung legitimer Staatsziele, wie der Sicherheit der Bürger, ein Staat nicht alle verfügbaren Mittel einsetzen kann, sondern nur jene, die ihm von Gesetzeswegen offen stehen und die, bei Eingriffen in die Freiheitsrechte des Einzelnen, dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit entsprechen.125 Der (internationale) Terrorismus stellt die Staaten dabei zweifellos vor eine besondere Herausforderung: Ihre Aufgabe ist es, im Kampf gegen terroristische Gewalt häufig polizei- und strafrechtlich unauffällige Personen ausfindig zu machen, die vielleicht einen Gewaltakt planen oder unterstützen, von dem man selbst aber noch keine (konkrete) Vorstellung hat.126 Scheitert eine Regierung bzw. deren Sicherheitsbehörden bei dieser Aufgabe, kostet dies im extremen Unglücksfall nicht nur Menschenleben, sondern hat auch direkte politische Konsequenzen für sie selbst. Aus diesem Grund stellt die Effektivität von Maßnahmen zur Bekämpfung terroristischer Gewalt heute eine zentrale Triebfeder exekutiven Handelns dar. Juristische und parlamentarische Kontrollinstrumentarien erscheinen hierbei schnell als Hindernisse. 127 Denn vor dem Hintergrund einer abstrakten Bedrohung wie dem internationalen Terrorismus wird der Erfolg politischer Maßnahmen zur Gewährung innerer Sicherheit nicht mehr nur daran gemessen, ob die Behörden auf Gefährdungen angemessen reagieren, sondern ob diese auch präventiv zur Verhinderung von Störungen der öffentlichen Ordnung beitragen.128 Die Politik, insbesondere die Sicherheitspolitik, sieht sich neuen Herausforderungen gegenüber, reichen doch die vorhandenen Handlungsmöglichkeiten für Polizei und andere Sicherheitsbehörden nicht mehr aus, um die wahrgenommene Bedrohung hinlänglich zu bekämpfen.129 Als Folge der Anpassungsstrategien des Terrorismus müssen daher immer neue Wege zur Verhinderung und zur Verfolgung von Anschlägen bzw. Anschlagsversuchen gefunden werden. Allerdings ergibt sich für die politischen Entscheidungsträger ein so genanntes Vgl. Brugger, Winfried (1996): Darf der Staat ausnahmsweise foltern?, in: Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre, öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte, 1/1996, S. 67-97, hier S. 67. 126 Vgl. Darnstädt, Thomas (2010): Der globale Polizeistaat. Terrorangst, Sicherheitswahn und das Ende unserer Freiheiten, München, S. 136. 127 Vgl. Parkes/Maurer (2007), S. 7. 128 Vgl. Glaeßner, Gert-Joachim (2002): Sicherheit und Freiheit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 10-11/2002, S. 3-13, hier S. 10; vgl. auch Wassermann (1976), S. 131. 129 Vgl. Darnstädt (2010), S. 19. 125 41 „Präventionsdilemma“. Es gilt abzuwägen zwischen den Vor- und Nachteilen immer frühzeitiger einsetzender Kontrollinstrumente.130 Politik ist daher schlecht beraten, wenn sie sich von einer allgemeinen Hysterie, etwa in Folge eines terroristischen Anschlags, anstecken lässt. Zu den Tugenden politischen Handelns gehört es eben auch, Ruhe in die Dinge zu bringen und sich nicht von der kollektiven Aufgeregtheit anstecken zu lassen. Häufig unterliegen Maßnahmen die in Momenten hysterischer Angst verabschiedet werden der Gefahr, unnötige und unzweckmäßige Eingriffe in die Freiheitsrechte der Menschen zu erzeugen.131 Ein Beispiel hierfür ist die so genannte Rasterfahndung, ein Instrument das bereits in den 1970er Jahren in der Bundesrepublik zur Bekämpfung der Roten Armee Fraktion (RAF) zum Einsatz kam: Im Jahr 2004 „rasterten“ Sicherheitsbehörden vor dem Hintergrund der abstrakten Bedrohungslage durch den internationalen Terrorismus die deutsche Bevölkerung. Über acht Millionen Datensätze wurden erhoben und ausgewertet. Hätte durch diese Sicherheitsmaßnahme ein terroristischer Anschlag verhindert werden können, so wäre die Aktion, die weitreichend in die Grundrechte Tausender Menschen eingriff, mit Sicherheit auch von Kritikern hingenommen worden. Doch die politische Realität war eine andere: Aus den erhobenen Datensätzen ergab sich ein einziges Ermittlungsverfahren, welches schließlich eingestellt wurde.132 Waren die Geheimdienste und Polizeibehörden schlecht auf die Aktion vorbereitet? Hatten sie in der allgemeinen Hysterie der Jahre nach 9/11 und nach den Anschlägen in Madrid Fehler gemacht? Oder diente die Fahndung vielleicht ausschließlich der Machtdemonstration? Aus rechtsstaatlicher Sicht steht in jedem Fall außer Frage, dass sowohl die Verhältnismäßigkeit als auch die Frage nach Eignung und Angemessenheit dieses Eingriffs in die Freiheitsrechte verneint werden müssen. Somit sind die Mindestanforderungen an freiheitseinschränkende Sicherheitsmaßnahmen, welche abgeleitet aus den Ideen von Locke und Kant immer der Vgl. Albers, Marion (2012): Das Präventionsdilemma, in: Schmidt, Jan-Hinrik/Weichert, Thilo (Hrsg.): Datenschutz. Grundlagen, Entwicklungen und Kontroversen, Bonn, S. 102-114, hier S. 103. 131 Vgl. Münkler, Herfried (2007): Terrorabwehr ohne Hysterie, in: Frankfurter Rundschau vom 5. Juli 2007, S. 13. 132 Vgl. Trojanow/Zeh (2009), S. 55. 130 42 Rechtfertigung bedürfen, nicht eingehalten worden.133 Das Beispiel der Rasterfahndung macht deutlich, dass in unserer modernen Informationsgesellschaft Prävention in einem wachsenden Maße möglich wird; und aufgrund neuer Risiken sicherlich auch nötig ist. Gleichzeitig ist aber zu sehen, dass präventive Maßnahmen zahlreiche Nachteile mit sich bringen können, so dass diese schließlich selbst zu einem Risiko für die Gesellschaft werden können.134 Sicherheitsmaßnahmen stehen vor dem Problem, dass die Bedrohungspotenziale nicht genau abschätzbar sind. Somit bleibt unklar, ob Risiko und Reaktion in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.135 Dennoch halten einzelne Politiker, Wissenschaftler, Journalisten und Bürger an der Überzeugung fest, dass der Staat alles tun müsse, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Bestehende Grenzen oder Schranken, die sich etwa durch nationalstaatliche Gesetze oder völkerrechtliche Verpflichtungen ergeben, sollen fallen gelassen, zumindest aber verschoben werden. Dies wird etwa in der öffentlichen Debatte über das notstandsfeste Folterverbot, wie es im Völkerrecht verankert ist, deutlich. So wird argumentiert, dass es dem Dilemma demokratischer Staaten im Kampf gegen den Terrorismus nicht gerecht werde. In Abwägung zwischen dem Recht auf Leben möglicher Opfer und der Menschenwürde potentieller Täter wird von einer Pflicht des demokratischen Rechtsstaates zum Einsatz der so genannten „Rettungsfolter“ gesprochen, deren Anwendung durch entsprechende gesetzliche Regelungen für den Extremfall festgeschrieben werden soll.136 Das hier in einer abstrakten Bedrohungssituation, wie sie durch den (internationalen) Terrorismus erzeugt wird, die Grenzen zwischen potenziellen Opfern und Tätern schnell verschwimmen, scheint vorprogrammiert. Winfried Brugger beschäftigte sich bereits Mitte der 1990er Jahre mit der Frage, ob Staaten in Ausnahmefällen foltern dürfen. Stand er damals zumindest in der Vgl. Bielefeldt, Heiner (2004b): Freiheit und Sicherheit im demokratischen Rechtsstaat, Berlin, S. 7-9 sowie S. 16-17. 134 Vgl. Albers (2012), S. 104. 135 Vgl. Riescher (2010), S. 20-21. 136 Vgl. Ehrlich, Avishai/Johannsen, Margret (2002): Folter im Dienste der Sicherheit? Terrorismus und Menschenrechte am Beispiel der Vernehmungspraxis des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet gegenüber palästinensischen Häftlingen, in: Hasse, Jana u.a. (Hrsg.): Menschenrechte. Bilanz und Perspektiven, Baden-Baden, S. 332-359, hier S. 356-357; vgl. auch Prantl (2008), S. 71. 133 43 Öffentlichkeit mit seinen Forderungen noch eher allein, so gehören seine Diskussionsbeiträge inzwischen zum Mainstream der Debatte. Um seine Argumentation zu entwickeln konstruierte er eine abstrakte Situation, welche heute weithin als „ticking bomb-Szenario“137 bezeichnet wird. Dabei wird von dem Fall ausgegangen, dass ein Terrorist eine Stadt mit einer Bombe bedroht und erpresst. Bei der Geldübergabe wird er festgenommen. Allerdings erklärt er gegenüber den Beamten glaubhaft, dass er den Sprengsatz inzwischen aktiviert hat, dieser in wenigen Stunden explodieren und vielen Menschen das Leben kosten wird. Alle Bemühungen der Beamten mit den ihnen zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mitteln das Versteck der Bombe zu erfahren zeigen keinen Erfolg. Auch eine Evakuierung der Bewohner der Stadt erscheint aussichtslos. Schließlich stellt sich die Frage, ob die Polizisten in dieser Situation auch zu gewaltsamen Mitteln greifen dürfen, um das Leben von Menschen zu retten.138 Mit Blick auf internationale Menschenrechtsabkommen, das Grundgesetz sowie das deutsche Polizeirecht folgert Brugger, dass die Frage nach dem Gewalteinsatz unzweifelhaft mit Nein zu beantworten ist. In seiner folgenden Argumentation spricht er allerdings von einer Wertungslücke, wonach im vorliegenden Szenario die Interessen der Bewohner der Stadt nicht ausreichend berücksichtigt würden, wenn die Polizisten nicht alle Maßnahmen – einschließlich gewaltsamer Methoden – ergreifen, um deren Leben zu retten. Dabei verweist er insbesondere auf das Fehlen dieser Interessen in Art. 3 der EMRK.139 Das hier festgeschriebene absolute Folterverbot ruft nach Auffassung von Brugger in dieser Ausnahmesituation erhebliche Rechtsstaats- und Grundrechtseingriffe bei unschuldigen Menschen hervor. Somit sind seiner Meinung nach Zweifel an der richtigen Abwägung von Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtsschutz angebracht. Mit Blick auf die Verpflichtung der Polizei, Bürger vor Gewalt durch Dritte zu schützen, könne ihm zufolge – in Anbetracht einer Kollision zwischen der Achtung der Würde sowie der körperlichen Unversehrtheit des Erpressers und der Würde sowie des Rechts auf Leben der Bewohner der Stadt – die Anwendung von Folter gerechtfertigt sein. Darüber hinaus kann die Ausübung von Gewalt im beschriebenen Szenario ein auch nach dem VerhältnismäßigkeitsgeVgl. Brugger (1996), S. 69. Vgl. Brugger (1996), S. 69. 139 Vgl. Brugger (1996), S. 74-75. 137 138 44 bot angemessenes Mittel sein, da alle bisherigen Bemühungen der Beamten nicht zum Erfolg führten. Schließlich führt Brugger an, dass der beschriebene Fall eher einer Notwehrsituation als einer typischen Foltersituation gleiche und somit – unter Verweis auf den finalen Rettungsschuss – staatliche Gewalt zum Schutz von Menschenleben durchaus in Ausnahmefällen Anwendung finden darf.140 Brugger tritt somit deutlich dafür ein, dass die Befugnisse der Sicherheitsbehörden im Angesicht der Bedrohung durch Terroristen erweitert werden und die gewaltsame Informationsbeschaffung nicht mehr ausschließen. Dabei möchte er die Anwendung der Folter nur auf wenige extreme Ausnahmefälle begrenzen. So könne das Folterverbot gar gestärkt werden, da unvermeidbare Ausnahmen klar gesetzlich geregelt sind. Daher plädiert Brugger für die Ergänzung des Art. 3 der EMRK. So solle ein zweiter Satz eingefügt werden, nachdem Folter oder unmenschliche Behandlungen nicht das Folterverbot verletzen würden, wenn diese unbedingt erforderlich seien, um eine klare, unmittelbare und schwerwiegende Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit eines unschuldigen Dritten zu beseitigen.141 Hiermit proklamiert Brugger das Ende des absoluten Folterverbots, ein Menschenrecht, das aufgrund historischer Erfahrungen bereits seit Jahrzehnten einen zentralen Teil des ius cogens, des zwingenden Völkerrechts, ausmacht. Welche Wirkungen hat dies auf eine demokratische Gesellschaft oder auf das völkerrechtliche Menschenrechtsschutzregime? Unabhängig von dieser moralischjuristischen Frage sprechen auch ganz praktische Argumente gegen Bruggers Vorschläge. So kann von einer klaren Regelung in diesem Fall nicht gesprochen werden. Was in konkreten Situationen als erforderliche Maßnahme aufgefasst wird oder als unmittelbare Bedrohung für das Leben eines Menschen zu gelten hat, muss durch die jeweils betroffenen Sicherheitsbeamten oder Justizangestellten entschieden werden, ist somit subjektiv geprägt bzw. beeinflusst. Neben der Gefahr individueller Fehleinschätzungen in Extremsituationen ist insbesondere die gesellschaftliche Wirkung dieses Vorgehens als Schwachstelle in der Vgl. Brugger (1996), S. 82-86. Vgl. Brugger, (1996), S. 73-83; vgl. auch Bock, Andreas M. (2011): 9/11, Terrorismus und die Legalisierung der Folter, in: Jäger, Thomas (Hrsg.): Die Welt nach 9/11. Auswirkungen des Terrorismus auf Staatenwelt und Gesellschaft, Wiesbaden, S. 882-901, hier S. 887. 140 141 45 Argumentation zu betrachten. Es sind keine klaren Grenzen auszumachen und „Dammbrüche“ somit nicht auszuschließen. Die Folter könnte auf diesem Wege wieder als übliches Instrumentarium in polizeiliches Handeln Eingang finden. Auch der amerikanische Rechtsprofessor Alan Dershowitz geht in seiner Argumentation vom „ticking-bomb-Szenario“ aus. Er ist überzeugt, dass Folter fast nie funktioniert. Vielmehr vertritt er die Meinung, dass Aussagen unter Folter nicht glaubhaft sind.142 Gleichzeitig schränkt er aber ein, dass der Gewalteinsatz von Polizeibeamten in einzelnen Fällen doch zu nützlichen Informationen führen und Anschläge verhindern könne. Hieraus ergibt sich nach seiner Auffassung ein moralisches Dilemma für die Staaten, das er – anders als Brugger – nicht aus einer juristischen oder philosophischen Argumentation, sondern aus einer praktischen, pragmatischen Perspektive ableitet. Die „tragic reality“ sei der Grund, warum es bis heute nicht gelungen ist, Foltermethoden abzuschaffen, diese vielmehr auch heute noch in weiten Teilen der Welt angewendet werden.143 Dershowitz sieht es als empirische Gegebenheit an, dass in bestimmten Verhörsituationen Gewalt eingesetzt wird: „The question is whether it would be done openly, pursuant to a previously established legal procedure, or whether it would be done secretly, in violation of existing law.“144 Aus diesem Grund möchte er die Folter, die bereits heute in vielen Staaten, in vielen Fällen Realität ist, aus der Grauzone „befreien“, indem für Ausnahmefälle entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden.145 Dieser Auffassung folgend sind demokratische Rechtsstaaten – Staaten die seit vielen Jahren Diktaturen und autoritäre Regime aufgrund der Anwendung von Foltermethoden verurteilen, Entwicklungshilfegelder streichen oder gar sämtliche diplomatische Beziehungen abbrechen – dazu aufgerufen, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um verdächtige Personen in „Ausnahmesituationen“ mit grausamen und erniedrigenden Verhörmethoden zu Geständnissen zu Vgl. Dershowitz, Alan (2002): Why Terrorism Works. Understanding the threat, responding to the challenge, New Haven, S. 136-137. 143 Vgl. Dershowitz (2002), S. 137-138. 144 Dershowitz (2002), S. 151. 145 Vgl. Dershowitz (2002), S. 151-153; vgl. auch Kleine-Brockhoff, Thomas (2005): Wenn die Bombe tickt. Der amerikanische Jurist Alan Dershowitz will Folter in Ausnahmefällen erlauben, in: Die Zeit vom 15. Dezember 2005, S. 58. 142 46 zwingen. Die jeweilige Entscheidung über den Einsatz von Gewalt im Einzelfall, einer außergewöhnlichen Notsituation, will er nicht der Judikative, sondern der Exekutive überlassen. Dieser Aspekt spielt auch in der Argumentation von Michael Ignatieff, einem kanadischen Publizisten, Wissenschaftler und Politiker,146 eine zentrale Rolle. Er entwickelt seine Aussagen basierend auf der Grundüberzeugung, dass „eine liberale Gesellschaft verpflichtet [ist], die Rechte derer zu achten, die für Rechte keinerlei Respekt gezeigt haben, denen Gnade zu erweisen, die gnadenlos sind, und diejenigen menschlich zu behandeln, die sich unmenschlich verhalten haben.“147 Weitergehend macht er zudem deutlich, dass eine Regierung auch in Zeiten einer direkten Bedrohung durch den Terrorismus dazu angehalten ist, freiheitsbeschneidende Maßnahmen zu rechtfertigen und diese einer kritischen Prüfung durch das Parlament, die Judikative und die öffentliche Meinung zu unterziehen. Seiner Auffassung nach ist es die Aufgabe der Exekutive, die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens eindeutig nachzuweisen und auf Kritik durch die Opposition oder zivilgesellschaftliche Organisationen umgehend zu reagieren. Gleichzeitig stellt er aber auch fest, dass einer Regierung im Falle eines terroristischen Notstandes, „bei dem ein lebenswichtiges Interesse der Mehrheit durch individuelle Freiheit bedroht werden kann“148, ein entsprechendes Vertrauen entgegengebracht werden sollte, so dass – mit Blick auf die Langwierigkeit des politischen Prozesses – die Minister Vorrechte in Anspruch nehmen und Sicherheitsbehörden schnell reagieren können.149 Vor diesem Hintergrund und ausgehend von der Überzeugung, dass ein demokratischer Rechtsstaat sowohl Sicherheit für die Bevölkerung gewährleisten als auch die Freiheit des Einzelnen schützen muss, plädiert Ignatieff für eine „Moral des kleineren Übels“. Anders als etwa Brugger oder Dershowitz spricht er Michael Ignatieff wurde 2006 für die Liberale Partei Kanadas in das Unterhaus des kanadischen Parlaments gewählt. In den Jahren 2008 bis 2011 war er zudem Parteivorsitzender und somit Führer der Opposition. Vor seiner politischen Karriere forschte und lehrte Ignatieff an zahlreichen Universitäten in Kanada, Großbritannien und den USA. Zudem wurde er bekannt als Publizist, Kommentator und Moderator etwa bei der BBC. 147 Ignatieff, Michael (2005), S. 58. 148 Ignatieff (2005), S. 18. 149 Vgl. Ignatieff (2005), S. 16-17. 146 47 dabei nicht explizit von „Rettungsfolter“. Doch auch er vertritt die Forderung, dass beim Vorliegen entsprechender Gründe Grundrechte hinter Sicherheitsbedürfnissen zurücktreten müssten. Auch er fordert klare Grenzen für Eingriffe in die Menschenrechte. Doch darf es nach seiner Auffassung nicht sein, dass die Verteidigung der verfassungsmäßig festgeschriebenen Rechte dazu führt, dass der Staat einem Gegner nicht entschieden und energisch entgegentreten kann.150 Ignatieff ist davon überzeugt, dass der Kampf gegen den Terrorismus nur zu gewinnen ist, wenn auch die westlichen Demokratien zum „Bösen“ greifen. Durch die Duldung kleinerer Übel ist es ihm zufolge möglich größere zu verhindern. Dies muss allerdings in dem Bewusstsein erfolgen, dass die gewählte Methode trotz der spezifischen Rechtfertigung ein Übel ist. Neben der Rechtfertigung des Mittels bzw. der Notwendigkeit muss das gewählte Mittel die letztmögliche Handlungsstrategie sein und schließlich transparent gegenüber der Öffentlichkeit dargestellt werden,151 denn „in einem demokratischen Staat lässt es sich niemals rechtfertigen, irgendjemanden der Herrschaft des Rechts zu entziehen.“152 Diesen Argumentationen für eine gesetzliche Regelung des Ausnahmefalls ist entgegenzusetzen, dass hierdurch den Sicherheitsbehörden Ermessensspielräume eröffnet werden, die faktisch zwangsläufig zu einer Ausdehnung einmal verabschiedeter Ausnahmeregelungen führen wird. Die Festlegung eines gesetzlichen Rahmens wird nicht dazu führen, die von Dershowitz beschriebenen Grauzonen zu verlassen. Vielmehr werden diese schlichtweg verlagert. Es ist zu befürchten, dass die Forderung nach dem Einsatz jeglicher Mittel zur Bekämpfung jedes Verbrechens immer weiter um sich greift. Schwerer als diese „Dammbrüche“ wiegt aber sicherlich noch die Tatsache, dass die Zulassung der Folter, auch im Angesicht des Szenarios einer tickenden Bombe, zur Delegitimierung des Staates führt. Denn letztendlich gleichen sich Folterer und Terroristen: Beide nutzen die Angst des Anderen, um ihre Ziele zu erreichen. Vor diesem Hintergrund erscheint der Einsatz von Foltermethoden nicht nur unverständlich, sondern entzieht sich jeglicher Legitimation, gar jeglichem Legitimationsversuch. Die Schaffung entsprechender Rechtsvorschriften kann hier keine Vgl. Ignatieff (2005), S. 24-26. Vgl. Ignatieff (2005), S. 37-38. 152 Ignatieff (2005), S. 52. 150 151 48 Abhilfe schaffen. Semantische Legitimationsversuche wie die „Moral des kleineren Übels“ erscheinen ebenfalls wenig überzeugend, lässt sich doch auch deren Reichweite immer weiter ausdehnen. Durch eine gesetzliche Regelung von Folter „rückt die staatliche Gewalt jedem einzelnen Bürger auf den Leib und hebt die Schwelle für den zu Meinungsäußerung nötigen Mut für alle an.“ 153 Auch mit Blick auf die drei „R´s“, mit deren Hilfe Richardson die zentralen Ziele terroristischer Gruppen – Rache, Ruhm, Reaktion – beschreibt,154 erscheint die Anwendung der Folter in keiner Weise als erfolgversprechendes Instrument im Kampf gegen Terroristen. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass so ein nicht endender Kreislauf der Gewalt angeschoben wird. Die Misshandlung von Personen ist genau jene Reaktion des Staates, die Terroristen provozieren wollen, um hierdurch ihr eigenes Handeln legitimieren zu können. Doch war die schleichende Aushöhlung des absoluten Folterverbotes vor dem Hintergrund der im Untersuchungszeitraum angemahnten terroristischen Bedrohung immer als eine reale Gefahr anzusehen. So wurden, ungeachtet der öffentlichen Empörung über die Geschehnisse in Abu Ghraib, Bagram oder Guantánamo, immer wieder Einwände gegen die ausnahmslose Geltung des Folterverbots laut. Und tatsächlich wurde in den vergangenen Jahren im Kampf gegen den Terrorismus, oder im Krieg gegen den Terror, das international geltende Verbot der Folter und anderer unmenschlicher Behandlungen durch Sicherheitsbehörden, Geheimdienste und andere Institutionen gebrochen – auch in westlichen Demokratien. Allen voran die US-Regierung unter George W. Bush vertrat die Auffassung, dass die ihr gegenüberstehenden Feinde sich nicht auf geltende Menschenrechtsbestimmungen berufen könnten.155 Hierfür prägte die amerikanische Regierung die Kategorie des „unlawful enemy“. Mit diesem abstrakten theoretischen Konstrukt unternahm Washington den Versuch, verdächtige Personen bzw. Gefangene im Krieg gegen den Terrorismus in einem rechtsfreien Raum zu halten und so die Geltung des Völkerrechts zu negieren. Hier wird, anders als bei Brugger, Dershowitz oder Ignatieff, Wolf (2008), S. 93. Siehe hierzu Richardson, Louise (2007): Was Terroristen wollen. Die Ursachen der Gewalt und wie wir sie bekämpfen können, Bonn, S. 126-141. 155 Vgl. Bielefeldt (2004a), S. 4 sowie S. 7-8; vgl. auch Amnesty International (2005a): Grausam. Unmenschlich. Entwürdigt uns alle. Stoppt Folter und Misshandlung im „Krieg gegen den Terror“!, Bonn, S. 3-5. 153 154 49 nicht versucht eine Rechtfertigung für die gesetzliche Regelung der Anwendung von Gewalt durch staatliche Sicherheitsbehörden zu geben. Vielmehr ist diese Argumentation gleichbedeutend mit der absoluten Aushebelung des völkerrechtlichen Folterverbots und anderer grundlegender Menschenrechte. Auch in europäischen Staaten wurden entsprechende Debatten geführt. So unterscheidet der Bonner Strafrechtsprofessor Günther Jakobs zwischen einem Bürgerstrafrecht und einem Feindstrafrecht. Er plädiert dafür, für bestimmte Personen die sich fundamental gegen die Rechtsordnung stellen, einen eben solchen rechtsfreien Raum zu schaffen, in dem ihre Menschenrechte außer Kraft gesetzt werden. Nur so könne der Staat bei der Verfolgung und Bekämpfung des Terrorismus die ihm auferlegten engen Grenzen umgehen. Jakobs geht dabei davon aus, dass es nicht nur legitim ist, die jeweilige Person als rechtsfrei zu behandeln, sondern gar geboten – der Staat ihn somit nicht mehr als Rechtsperson anerkennen darf.156 Diese Art der Argumentation ist nicht neu. Vielmehr geht sie auf den deutschen Theoretiker Carl Schmitt, dem „Kronjuristen“ der Nationalsozialisten, zurück. Bereits er plädierte für die Vorstellung, dass Politik auf der Trennung zwischen „Freund“ und „Feind“ beruhe und legitimierte so philosophisch die Verbrechen des Nazi-Regimes.157 Folgt man der entsprechenden Argumentation, so stellt man schließlich fest, dass das Feindstraffrecht prinzipiell die Geltung der Unschuldsvermutung negiert. Da ein Staat nun aber nicht abschließend definieren kann, wer seine „Feinde“ sind, ist zu befürchten, dass dieses zentrale rechtsstaatliche Prinzip grundsätzlich an Bindungswirkung verliert. Die Unschuldsvermutung wird somit zur „bloßen Variabel sicherheitspolitischen Ermessens.“ 158 Vergleichbare Wirkungen hätte ein Feindstrafrecht auch auf andere rechtsstaatliche Grundsätze.159 „Ein Feindstrafrecht rechtfertigt Guantanamo und geht noch darüber Vgl. Jakobs, Günther (2004): Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht, in: http://www.hrrstrafrecht.de/hrr/archiv/04-03/index.php3?sz=6 (30. Oktober 2012); vgl. auch Bielefeldt (2004a), S. 9; vgl. auch Trojanow/Zeh (2009), S. 71. 157 Vgl. Darnstädt (2010), S. 31. 158 Bielefeldt, Heiner (2008): Gefahrenabwehr im demokratischen Rechtsstaat. Zur Debatte um ein „Feindrecht“, Berlin, S. 16. 159 Vgl. Bielefeldt (2008), S. 16. 156 50 hinaus.“160 Es kann somit nicht zur Sicherung demokratischer Rechtsstaaten beitragen, sondern führt diese ad absurdum.161 Nun mag hier angeführt werden, dass diese Debatten in der EU – anders als in den USA – allein in der wissenschaftlichen Diskussion von Bedeutung waren. Tatsächlich war in den vergangenen Jahren aber immer wieder zu beobachten, wie (Sicherheits-)Politiker mit dem Thema Sicherheit „spielen“, um politische Ziele zu erreichen. Als Beispiel sei hier ein Zitat von Wolfgang Schäuble in seiner Funktion als bundesdeutscher Innenminister angeführt: „Viele Fachleute sind inzwischen überzeugt, dass es nur noch darum geht, wann ein [atomarer] Anschlag kommt, nicht mehr ob. […] Aber ich rufe dennoch zur Gelassenheit auf. Es hat keinen Zweck, dass wir uns die verbleibende Zeit auch noch verderben, weil wir uns vorher schon in Weltuntergangsstimmung versetzen.“162 Diese Art der Kommunikation abstrakter Gefährdungspotenziale durch Politik und Medien trägt zur steigenden Bereitschaft der Menschen bei, sich der Einschränkung ihrer Grundrechte „im Tausch“ für vermeintliche Sicherheit zu beugen.163 Zudem „[verhindert] der täglich beschworene Schrecken eine ruhige und sachliche Auseinandersetzung mit dem Sinn oder Unsinn der vorgeschlagenen Gegenmittel.“164 Unabhängig vom Wahrheitsgehalt seiner Aussagen erscheint es im hohen Maße moralisch fragwürdig und rechtsstaatlich unverantwortlich in dieser Form Unsicherheitsgefühle in der Bevölkerung zu wecken bzw. zu verstärken. Es ist geradezu zynisch, einerseits den Weltuntergang heraufzubeschwören und andererseits „Gelassenheit“ einzufordern. Nicht minder irritierend ist Schäubles Aufforderung das Buch Selbstbehauptung des Rechtsstaates165 zu lesen. Das vom Kölner Staatsrechtsprofessor Otto Depenheuer verfasste Werk spiegle den aktuellen Stand der Debatte wider. Der Jurist plädiert – basierend auf Vorstellungen von Carl Schmitt – für die Herauslösung des islamistischen Feindes aus der Gesellschafts- und Rechtsordnung. Prantl (2008), S. 162. Vgl. Prantl (2008), S. 167. 162 Zitiert nach Trojanow/Zeh (2009), S. 54. 163 Vgl. Prantl (2008), S. 37; vgl. auch Darnstädt (2010), S. 56. 164 Trojanow/Zeh (2009), S. 53. 165 Depenheuer, Otto (2007): Selbstbehauptung des Rechtsstaates, Paderborn. 160 161 51 Dieser habe kein Anrecht auf die Inanspruchnahme verfassungsrechtlicher, menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Garantien jener Rechtsordnung, die er bekämpft. Auch Depenheuer entwickelt so ein „Feindrecht“, welches nach seiner Auffassung bereits am Entstehen ist. Die Bedrohung durch den Terrorismus mache es erforderlich, der Exekutive Instrumentarien des Kriegsrechts als permanente Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen.166 Mit Blick auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Bereich der Terrorismusbekämpfung spricht Depenheuer von „wirklichkeitsblinden und letztlich verantwortungslosen Verfassungsautismus.“167 In einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung kritisiert Depenheuer, dass stärker darüber debattieret werde, welche Grundrechte nicht eingeschränkt werden dürfen, als über Möglichkeiten, sich effektiv gegen die terroristische Bedrohung zur Wehr zu setzen. Für die Bundesrepublik konstatiert er, dass sich der Staat im Namen der Menschenwürde selbst aufgibt. Die Berufung auf die Menschenwürde führt seiner Auffassung nach im Kampf gegen den Terrorismus dazu, dass es keine effektiven Schutzmechanismen gibt und der Staat somit schwerwiegend gegen seine Schutzpflicht gegenüber den Bürgern verstößt: „Das ist nicht nur eine eklatante Verletzung der staatlichen Schutzpflicht den potentiellen Opfern im Zielobjekt gegenüber; es ist die Selbstaufgabe des Staates im Namen der Menschenwürde.“168 Depenheuer postuliert einen Vorrang der staatlichen Selbstbehauptung vor allen Prinzipien des Rechtsstaates. Diese werden von ihm unter einen „sicherheitspolitischen Generalvorbehalt“169 gestellt.170 „Rechtsstaatliche Eingriffsschwellen und Transparenzerfordernisse, die Abwägungskriterien innerhalb des Verhältnismäßigkeitsprinzips, Gewaltenteilung und Rechtswegegarantie, das Schuldprinzip im Strafrecht, schließlich auch das Vgl. Depenheuer (2007), S. 50-52 sowie S. 63-65; vgl. auch Trojanow/Zeh (2009), S. 110-116; vgl. auch Bielefeldt (2008), S. 18-19. 167 Depenheuer (2007), S. 29. 168 Wagner, Richard (2008): „Der Westen mit seinen Werten ist ein Auslaufmodell“. Der Staatsrechtler Otto Depenheuer über Terrorgefahr, Rechtsstaat, Doppelmoral – und warum Feinde nicht als solche behandelt werden, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 4. Mai 2008, S. 6. 169 Bielefeldt (2008), S. 17. 170 Vgl. Wagner (2008), S. 6. 166 52 Recht auf Leben, das Folterverbot und andere Menschenrechtsnormen werden damit zu vollends abhängigen Variablen sicherheitspolitischer Effektivitätserwägungen herabgestuft; sie können nach Ermessen jederzeit beiseite geschoben werden.“171 Mit Blick auf das bundesdeutsche Luftfahrtsicherheitsgesetz, welches den Abschuss von entführten Passagierflugzeugen regeln sollte, allerdings vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte, gehört es für Depenheuer zur Selbstbehauptung des Staates, dass Bürger dazu bereit sind, ihr Recht auf Leben zugunsten der staatlichen Sicherheit aufzugeben. Er negiert somit nicht allein die Rechte von „Feinden“, sondern auch jene unschuldiger Bürger, die zum Objekt staatlichen Sicherheitshandelns werden. Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit verlieren vor dem Hintergrund eines absoluten Vorrangs der Sicherheitspolitik nicht nur für „Feinde“, sondern im Allgemeinen an Bedeutung.172 Depenheuers Thesen nun als aktuellen Stand der Debatte zu betrachten, macht deutlich, wie kritisch die Situation für völkerrechtlich festgeschriebene Menschenrechte in Zeiten einer abstrakten Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ist. Das postulierte Spannungsverhältnis zwischen den Rechtsgütern Freiheit und Sicherheit hat sich eindeutig zugunsten des Letzteren verschoben. Diese Wahrnehmung bezieht sich dabei nicht allein auf das staatliche Handeln, sondern auch auf den gesellschaftlichen Diskurs und schließlich die Einstellung der Bürger. Auf dieser Basis konnten Sicherheitspolitiker unzählige ihrer Initiativen umsetzen. Ein anderes exemplarisches Beispiel ist Großbritannien. Auch hier wurde und wird die Debatte um eine Balance zwischen den Rechtsgütern Sicherheit und Freiheit kontrovers geführt. So forderten Regierungsvertreter seit 9/11 und verstärkt nach den Anschlägen von 2005 in London eine „Überarbeitung“ des britischen Menschenrechtsschutzes. Dieser und die Wahrung der inneren Sicherheit seien nicht miteinander vereinbar. Es wird ein Nullsummenspiel postuliert, welches schließlich darauf hinauslaufen müsse, sich für eine Seite der Medaille zu entscheiden. Von besonderer Bedeutung ist dabei die weitgehende SchwäBielefeldt (2008), S. 17. Vgl. Wagner (2008), S. 6; vgl. auch Bielefeldt (2008), S. 18-19; siehe hierzu auch Bundesverfassungsgericht (2006): 1 BvR 357/05 vom 15.2.2006, in: https://www.bundesverfassungsge richt.de/entscheidungen/rs20060215_1bvr035705.html (29. März 2014) 171 172 53 chung der Judikative zugunsten eines Machtausbaus der Regierung.173 Diese Debatten verblieben in Großbritannien allerdings nicht auf einer rein theoretischen Ebene. Schon mit dem Anti-Terrorism, Crime and Security Act vom November 2001 setzte London ein Gesetz durch, das zentrale Justizgrundrechte außer Kraft setzte. Hier wurde bewusst der Bruch der Art. 5 und 14 EMRK in Kauf genommen. Diese „Hürde“ umging die britische Regierung durch die Verhängung des Notstands – als einziger Staat in der EU. Erst drei Jahre später hob das Oberhaus diesen wieder auf.174 Inzwischen ist in Großbritannien aber auch eine zunehmende Skepsis der Zivilgesellschaft gegenüber dieser Argumentation sowie den sehr repressiven Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung zu beobachten.175 London bediente sich in der Debatte des juristisch-philosophischen Konstrukts eines Menschenrechts auf Sicherheit. Hier wird postuliert, dass im Falle einer Bedrohung des Gemeinwesens, etwa durch einen bevorstehenden Terrorakt, die individuellen Freiheitsrechte hinter das kollektive Recht der Gesamtbevölkerung zurückzutreten hätte.176 Deutlich wurde die Position der britischen Regierung in einer 2006 gehaltenen Rede des damaligen Innenministers John Reid. Er stellte fest, dass die Herausforderungen der Sicherheitspolitik heute andere seien als in der Phase nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Gegenwart sind es nicht mehr totalitäre Regime, die die grundlegenden Freiheiten des Menschen bedrohen, sondern nicht-staatliche Akteure, die einerseits selbst keinen völkerrechtlichen Menschenrechtskonventionen unterworfen sind, andererseits aber die freiheitlichen Rechtssysteme ausnutzen, um diese schließlich zu zerstören. Vor diesem Hintergrund stelle sich Reid zufolge die Frage nach der Aktualität von völkerrechtlichen Verträgen wie der EMRK. Jenen, die in der Debatte um das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit auf die Durchsetzung der Menschenrechte pochen, spricht er eine reale Wahrnehmung der aktuellen politischen Lage ab. Er ruft dazu auf, die nationale Sicherheit in ihrem neuen internationalen Kontext wahrzunehmen und diesem anzupassen. Unter Berufung auf Vgl. Parkes, Roderick/Maurer, Andreas (2007): Britische Anti-Terror-Politik und die Internationalisierung der Inneren Sicherheit. Zur Balance zwischen Freiheit, Sicherheit und Demokratie, Berlin, S. 5-6. 174 Vgl. Greiner, Bernd (2011): 11. September. Der Tag, die Angst, die Folgen, Bonn, S. 231-232. 175 Vgl. Parkes/Maurer (2007), S. 5-6. 176 Vgl. Parkes/Maurer (2007), S. 13. 173 54 Charles Darwin, stellt er fest, dass nur jene überleben würden, die sich am besten geänderten Umweltbedingungen anpassen könnten.177 Unter Anpassung versteht er dabei eine Schwächung des Menschenrechtsschutzes. Und auch der ehemalige britische Innenminister Charles Clarke argumentierte in diese Richtung, als er nach den Anschlägen von London vor dem EP erklärte: „European Union states may have to accept an erosion of some civil liberties if their citizens are to be protected from organised crime an terrorism. […] The human right to travel on the underground on a Thursday morning without being blown up is also an important right.“178 Vor diesem Hintergrund ist zu schlussfolgern, dass es weniger die terroristische Gewalt an sich ist, die Freiheit und Rechtsstaat bedrohen. Denn wie hoch auch immer materielle Schäden oder Opferzahlen waren, nur sehr wenige Terrorkampagnen haben unmittelbar zum Niedergang eines politischen oder gesellschaftlichen Systems beigetragen. Vielmehr ist es die Reaktion der Politik und der Behörden auf eine tatsächliche oder auch eine abstrakte, antizipierte Bedrohungssituation.179 Die Terrorismusforschung hat gezeigt, dass terroristische Gewalt nicht allein auf größtmögliche Zerstörung zielt, sondern mindestens im gleichen Maße auf die Verbreitung einer Botschaft. Die Bevölkerung soll erkennen, dass der Terrorismus dazu fähig ist, das staatliche Gewaltmonopol in Frage zu stellen. Regierungen und Sicherheitsbehörden sind so zum Handeln gezwungen und schränken hier nicht selten Freiheitsrechte ein.180 Dies entspricht letztlich dem Kalkül des Terroristen, denn dieser weiß, dass er allein nicht in der Lage ist, eine Gesellschaft und deren Wertesystem zu zerstören. Aber er weiß auch, dass er Regierungen und Bürger durch seine Gewalt oder der Drohung hiermit dazu provozieren kann, dies selbst zu tun. Eine von Angst und Unsicherheit geprägte Reaktion, die Verabschiedung und Umsetzung unverhältnismäßiger Sicherheitsmaßnahmen, führt letztendlich zur von Terrorgruppen intendierten Schwächung oder gar Zerstörung von Freiheit und Demokratie, da Vgl. Reid, John (2006): Security, freedom and the protection of our values, Rede am 9. August 2006, in: http://www.demos.co.uk/files/johnreidsecurityandfreedom.pdf (22. November 2012). 178 Zitiert nach Bures (2011), S. 222. 179 Vgl. Beck, Ulrich (2007): Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit, Bonn, S. 30-31; vgl. auch Ignatieff (2005), S. 91. 180 Vgl. Riescher, Gisela (2014): Freiheit und Sicherheit, in: Riescher, Gisela: Spannungsfelder der politischen Theorie, Bonn, S. 20-29, hier S. 26. 177 55 sich der Staat hierdurch selbst „delegitimiert“ und die Anwendung von Gewalt gegen ihn gar noch rechtfertigt.181 Ergebnis hiervon könnte eine weitere Transformation unserer modernen Risikogesellschaft in eine „Angstgesellschaft“ sein, in der allein der Verweis auf gemeinschaftliche Sicherheitsbedürfnisse sowie die Unvorhersehbarkeit (terroristischer) Bedrohungen der Politik die Möglichkeit geben, neue Gesetze und Aktionsprogramme zu erlassen oder die Budgets von Sicherheitsbehörden immer weiter zu erhöhen.182 Mit Blick auf die Debatten und die politische Realität der vergangenen Jahre ist davon auszugehen, dass auch das Strafrecht in Europa, welches in zunehmenden Maße unter dem Dach der EU vergemeinschaftet wird, im Umgang mit dem Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit einer Zerreißprobe unterzogen wird.183 So schlussfolgern Bigo und Kollegen mit Blick auf die Ergebnisse des CHALLENGE-Projekts, dass die Beziehung dieser beiden Rechtsgüter immer problematischer wird und somit gar das Bild der EU infrage gestellt wird bzw. werden muss.184 Vor diesem Hintergrund ist für die vorliegende Arbeit festzustellen, dass die Gewährung von Grund- und Menschenrechten nicht bloßes Ergebnis von Sicherheitspolitik sein kann, sondern der Maßstab ist, an dem sich staatliches Handeln orientieren muss. Freiheitsrechte lassen sich nicht mit Sicherheitsinteressen aufrechnen, und ihre Einschränkung bedarf in jedem Fall einer Rechtfertigung die rechtsstaatlichen Ansprüchen genügt.185 Dies sind die Grundvoraussetzungen einer erfolgreichen Antiterrorstrategie; in dem Wissen, dass Demokratien, auch wenn sie meist mit einer auf dem Rücken gefesselten Hand kämpfen müssen, immer die Oberhand behalten.186 Zweifellos wird es immer wieder zu Zielkonflikten zwischen den Rechtsgütern Freiheit und Sicherheit kommen. Doch der immer wieder behauptete pauschale Gegensatz ist zu verneinen. Vielmehr ebnet die antagonistische Entgegensetzung von Freiheit Vgl. Beck (2007), S. 148-149; vgl. auch Bock (2011), S. 893. Vgl. Boer, Monica (2006): Fusing the Fragments. Challenges for EU Internal Security Governance on Terrorism, in: Mahncke, Dieter/Monar, Jörg (Hrsg.): International Terrorism. A European Response to an Global Threat?, Brüssel, S. 83-111, hier S. 84. 183 Vgl. Albrecht, Peter-Alexis (2006): Die vergessene Freiheit. Strafrechtsprinzipien in der europäischen Sicherheitsdebatte, 2. Auflage, Berlin, S. 16. 184 Vgl. Bigo, Didier u.a. (2010b): The Changing Landscape of European Liberty and Security, in: Bigo, Didier u.a. (Hrsg.): Europe´s 21st Century Challenge. Delivering Liberty, Farnham, S. 1-27, hier S. 4. 185 Vgl. Bielefeldt (2004b), S. 6. 186 Richterspruch des Obersten israelischen Gerichtshofes aus dem Jahr 1999. Frei übersetzt nach Dershowitz (2002), S. 3. 181 182 56 und Sicherheit einem maßlosen Streben nach Prävention die Bahn.“187 Im Fall von Kollisionen sind es schließlich rechtsstaatliche Prinzipien, die „handhabbare Kriterien und klare Grenzen für mögliche Abwägungen“188 vorgeben. Hierzu gehören insbesondere die Erforderlichkeit, die Verhältnismäßigkeit und die Angemessenheit der Maßnahmen – Prinzipien, die der Präventionslogik massiv widersprechen. Zudem ist immer darauf zu achten, dass sicherheitspolitische Erwägungen nicht dazu führen, die Bindung staatlichen Handelns an menschenrechtliche Verpflichtungen zu verwässern.189 Anderenfalls wird sich in zunehmenden Maße der Charakter des Staates verändern: „Hat der Bürger im Rechtsstaat die Möglichkeit, den Staat dadurch auf Distanz zu halten, dass er sich regelkonform verhält, so hat er diese Option im Präventionsstaat nicht: Hier stellt jeder Bürger ein potentielles Risiko dar.“ 190 So besteht die Gefahr, dass demokratische Staaten „Selbstmord aus Angst vor dem Tode“191 begehen. Sicherheit heißt in einem Rechtsstaat, welcher durch Gewaltenteilung, rechtmäßiges Verwaltungshandeln und friedliche Konfliktaustragung gekennzeichnet ist, in erster Linie Schutz und Gewährung von Freiheitsrechten.192 In dieser „Sicherheitsidee“ verbinden sich die ideengeschichtlichen Grundlagen von Hobbes, die Verhinderung privater Gewalt durch einen „starken Staat“, und Locke, der Schutz bürgerlicher Freiheiten vor dem „übermächtigen Staat“, welche die Basis der modernen demokratischen Rechtsstaaten in Europa bilden. An dieser Rechtstradition sollte und muss die EU – und ihre Mitgliedstaaten – festhalten. 3 Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte Terrorismus hat direkte Auswirkungen auf die Menschenrechte, etwa dem Recht auf Leben, dem Recht auf Freiheit oder dem Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit. Hinzu kommt, dass der Menschenrechtsschutz durch Greiner (2011), S. 226-227. Bielefeldt (2008), S. 22. 189 Vgl. Bielefeldt (2008), S. 22; vgl. auch Greiner (2011), S. 234. 190 Busch, Andreas (2011): Freiheits- und Bürgerrechte nach 9/11, in: Jäger, Thomas (Hrsg.): Die Welt nach 9/11. Auswirkungen des Terrorismus auf Staatenwelt und Gesellschaft, Wiesbaden, S. 861-881, hier S. 865. 191 Busch (2011), S. 866. 192 Vgl. Glaeßner, Gert-Joachim/Lorenz, Astrid (2005b): Innere Sicherheit in einem Europa ohne Grenzen, in: Möllers, Martin H. W./Ooyen, Robert Chr. (Hrsg.): Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2004/2005, Frankfurt/M., S. 365-381, hier S. 365. 187 188 57 terroristische Aktivitäten geschwächt wird, indem hierdurch Regierungen destabilisiert oder die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung eines Staates gefährdet werden können.193 Regierungen und Sicherheitsbehörden sind daher verpflichtet, sowohl durch (präventive) Maßnahmen der inneren Sicherheit als auch durch internationale Zusammenarbeit dem terroristischen Bedrohungspotenzial entgegenzutreten – dies ist politisch und wissenschaftlich unumstritten. Die Herausforderung, vor die Staaten bei der Bekämpfung des (internationalen) Terrorismus gestellt werden, könnte dabei nicht komplexer sein. Unsere moderne Risikogesellschaft hat ein Zeitalter der Ungewissheit hervorgebracht.194 Im Kampf gegen terroristische Gewalt müssen Sicherheitsbehörden dafür Sorge tragen, dass aus einer latenten Bedrohung keine reale Gefahr wird. Häufig kennen sie weder die potentiellen Täter, noch deren Pläne in Hinsicht auf Anschlagsziele oder eingesetzte Waffen. Grundsätzlich besteht dabei in demokratischen Rechtsstaaten weitgehend Konsens darüber, dass bei der Bekämpfung des Terrorismus menschenrechtliche Standards einzuhalten sind. Selbst die oben beschriebenen Diskussionen um das absolute Folterverbot oder das Feindstrafrecht stehen dem – zumindest nach Auffassung deren Protagonisten wie etwa Brugger, Depenheuer oder Sicherheitspolitikern wie Schäuble – nicht entgegen. Auch sie widersprechen nicht grundsätzlich der Geltung völkerrechtlicher Menschenrechtsregime, sondern wollen deren Parameter verändern indem etwa Schrankenregelungen oder Adressatengruppen neu definiert werden. Mögliche Folgen dieses Handelns wurden im vorangegangenen Kapitel genauer betrachtet. An dieser Stelle soll ausschließlich pragmatisch festgestellt werden, dass Grundrechtsschutz und Terrorismusbekämpfung kein Nullsummenspiel darstellen (müssen). Ganz im Gegenteil wird hier die These aufgestellt, dass sich beide Politikbereiche ergänzen und aufeinander angewiesen sind. Diesen Zusammenhang hat u.a. das VN-Hochkommissariat für Menschenrechte erkannt und führt hierzu aus: „Effective counter-terrorism measures and the protection of human rights are complementary and mutually reinforcing objectives which must be pursued together as part of States’ duty to protect individuals within their jurisdiction.”195 Vgl. Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (2008), S. 7. Siehe hierzu Beck (2007). 195 Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (2008), S. 19. 193 194 58 Das Brechen internationaler Rechtsgrundsätze ist nicht nur moralisch und rechtlich falsch, sondern spielt darüber hinaus Terroristen in die Hände. Indem demokratische Rechtsstaaten ihr Selbstverständnis in Frage stellen, fördern sie indirekt Sympathien für terroristische Ziele und steigern somit die Gefahr weiterer Anschläge.196 Die Einhaltung der Menschenrechte im Kampf gegen den Terrorismus hingegen engt die Möglichkeiten der Reaktion auf den Terrorismus nicht ein, sondern zählt zu den „stärksten Waffen in unserem Arsenal.“197 In den vergangenen Jahren war allerdings zu beobachten, dass Menschenrechte immer wieder in den Schatten sicherheitspolitischer Interessen treten mussten – und dies weltweit.198 Dieser Umstand ist dabei nicht neu. Bereits vor 9/11 führte die Terrorismusbekämpfung in zahlreichen Staaten zur Verletzung von Menschenrechten und rechtsstaatlichen Standards. Doch was nach den Anschlägen von New York und Washington geschah, ging weit darüber hinaus. In der Folge waren nicht einzelne Grundrechtsverletzungen zu beobachten, sondern es kam zu einer Unterminierung völkerrechtlicher und humanitärer Konventionen. Es kam defacto zu einer Umkehr der Menschenrechtspolitik. Verstöße gegen Freiheitsrechte wurden nicht mehr angeprangert, sondern im Namen des Krieges bzw. Kampfes gegen den Terrorismus legitimiert.199 Drastische Worte für diese Entwicklung finden die Schriftsteller Juli Zeh und Ilija Trojanow in ihrer Wahrnehmung zur (bundesdeutschen) Terrorismusbekämpfung seit den Anschlägen vom 11. September 2001: „Grundlegende Auffassungen von bürgerlicher Freiheit wurden wie Ballast über Bord geworfen. Ein Grundrechtsstandard, den wir als eine unserer größten Stärken betrachtet hatten, erschien plötzlich als Sicherheitslücke. Zivilisatorische Errungenschaften, die über Jahrhunderte erkämpft und erstritten worden sind, wurden im Handumdrehen entsorgt.“200 Tatsächlich ist seit den Anschlägen von New York und Washington zu beobachten, dass Sicherheitsbehörden in vielen Staaten dieser Welt immer wieder jene Vgl. Heinz/Arend (2004), S. 8; vgl. auch Scheinin (2007), S. 16. Richardson (2007), 267-268. 198 Vgl. Heinz (2007), S. 5; vgl. auch Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (2008), S. 8-9. 199 Vgl. Amnesty International (2008), S. 7. 200 Trojanow/Zeh (2009), S. 12. 196 197 59 Grenzen überschreiten, die einem Rechtsstaat gesetzt sind und rechtsstaatliche Verfahren und menschenrechtliche Garantien ausgehöhlt wurden. Regierungen haben Maßnahmen in Kraft gesetzt, die die Menschenwürde verletzen und internationale Menschenrechtsnormen brechen.201 So lassen sich mit Blick auf die Verabschiedung von innerstaatlichen Sicherheitsmaßnahmen Tendenzen aufzeigen, die der Idee der Menschenrechte und den Standards der Rechtsstaatlichkeit entgegenstehen: - die Formulierung unbestimmter bzw. weit gefasster Terrorismusdefinitionen, die das Recht auf Meinungsfreiheit oder das Recht auf Demonstrationsfreiheit unverhältnismäßig beeinträchtigen; - Repressionen gegen Oppositionelle, Menschenrechtsverteidiger oder auch Journalisten wurden ausgeweitet und mit dem Kampf oder Krieg gegen den Terror gerechtfertigt; - die Anwendung der Isolationshaft, in der Gefangene oftmals einer besonderen Bedrohung durch Folter oder unmenschliche Behandlung unterliegen, wurde in vielen Staaten eingeführt bzw. ausgeweitet; - in manchen Staaten wurden Folter oder andere erniedrigende Bestrafungen (wieder) zum „Alltagsgeschäft“; - verdächtige Personen wurden an Staaten ausgeliefert, in denen bekanntlich gefoltert wird, was einen Verstoß gegen das völkerrechtliche nonrefoulement-Gebot bedeutet; - Schutzmechanismen und die Justiz wurden geschwächt, die Rechte Gefangener massiv beschnitten, etwa indem unzählige Gesetze Inhaftierungen ohne Anklage oder Verurteilung möglich machten.202 Neben den direkten menschenrechtsgefährdenden Rechtsakten erzeugte das weltpolitische Klima in der Folge der Anschläge von New York und Washington ein deutliches Anwachsen von Diskriminierungen und rassistischer Gewalt. Ohne entsprechende Gegenmaßnahmen ist zu befürchten, dass diese Umstände langfristig zu einer Steigerung von Fremdenfeindlichkeit führen werden.203 Tatsächlich hat in vielen europäischen Staaten in den vergangenen Jahren die Islamophobie deutlich zugenommen. In einigen Staaten haben sich gar Parteien Vgl. Scheinin (2007), S. 11; vgl. auch Ehrlich/Johannsen (2002), S. 332. Vgl. Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (2008), S. 1; vgl. auch Oosting (2002), S. 24; vgl. auch Heinz u.a. (2003), S. 13. 203 Vgl. Oosting (2002), S. 26. 201 202 60 auf dieser Basis gegründet und mitunter ebenso erstaunliche wie erschreckende Erfolge bei Wahlen gefeiert. Zweifellos sind diese Entwicklungen u.a. auf die politische und mediale Debatte um die abstrakte Gefährdung durch terroristische Gewalt, insbesondere islamistisch motivierter, zurückzuführen. Daneben wurde die weltweite Menschenrechtssituation auf verschiedenen anderen Ebenen von den internationalen Bemühungen im Kampf gegen den Terrorismus beeinflusst. Mit Blick auf die militärischen Aktionen in Afghanistan – aber auch im Kaukasus oder im Jemen – wurde schnell deutlich, dass unzählige zivile Opfer zu beklagen waren. Hinzu kommen zahlreiche widerrechtliche Inhaftierung oder gar Tötungen von Kämpfern. Das Humanitäre Völkerrecht erfuhr eine deutliche Schwächung, wurde im Bedarfsfall umdefiniert oder schlicht und ergreifend negiert.204 Schließlich ist hier anzuführen, dass die zunehmende Transnationalisierung terroristischer Gewalt zur Schaffung verschiedener grenzüberschreitender Institutionen und Netzwerke im Bereich der Sicherheitspolitik führte. In diesen Foren und Kooperationsstrukturen sind insbesondere die Exekutiven der jeweiligen Nationalstaaten eingebunden. Einerseits ist hierdurch eine Effektivitätssteigerung im Kampf gegen den Terrorismus zu erwarten. Andererseits besteht die Gefahr, dass die Regierungen hier Politik auf Kosten nationaler juristischer und parlamentarischer Kontrollinstrumente betreiben. Wie in diesen Fällen eine ausreichende Legitimität und eine Übereinstimmung mit völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzregimen gewahrt werden kann, ist bis heute unbeantwortet.205 In den vergangenen Jahren waren es somit häufig auch die Antiterrorismusmaßnahmen, die die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit in Zweifel gezogen haben. Heribert Prantl fasst plakativ zusammen: „Nicht nur Menschen, auch Rechtsgrundsätze wurden also von den Trümmern der Twin Towers erschlagen.“206 Es wurde ein Klima erzeugt, in dem Menschenrechtsverletzungen im Namen der Terrorismusbekämpfung zumindest toleriert werden. Dieses Vgl. Heinz u.a. (2003), S. 13; vgl. auch Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (2008), S. 1. 205 Vgl. Parkes/Maurer (2007), S. 8. 206 Prantl (2008), S. 75. 204 61 führt schließlich aber zu einem Verfall der „Kultur der Menschenrechte“. Der gesellschaftliche Konsens über die Bedeutung von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit beginnt so zu bröckeln. Von besonderer Brisanz aus völkerrechtlicher Sicht ist, dass dabei u.a. das Fehlen einer international anerkannten Definition des Begriffes „Terrorismus“ es den Staaten erleichterte, unliebsame Gruppen als „terroristisch“ zu brandmarken und somit eine gewisse Legitimität für ihr repressives Handeln zu erreichen.207 So war bei europäischen Staaten oder den USA in der Folge von 9/11 eine deutliche Veränderung in der Kommunikation gegenüber der russischen Regierung im Hinblick auf den Krieg in Tschetschenien zu beobachten. Die massiven Menschenrechtsverletzungen traten zusehends in den Hintergrund. Vielmehr wurden die Kampfhandlungen nun als Kampf gegen terroristische Gewalt in einen neuen Legitimationszusammenhang gebracht. Ähnliches war auch im Verhältnis zur Volksrepublik China zu beobachten. Die innerstaatlichen Konflikte zwischen der Zentralregierung und verschiedenen Minderheitengruppen, wie etwa den Uiguren oder den Tibetern, wurden in den Kontext der Terrorismusbekämpfung gesetzt. Vor dem Hintergrund des philosophischen Diskurses und der politischen Debatten, wie sie im vorangegangenen Kapitel vorgestellt wurden, und den Beobachtungen politischer Realität seit dem 11. September 2001, stellt sich nun die Frage nach einer geeigneten Strategie für rechtsstaatliche Demokratien im Kampf gegen den Terrorismus. Der britische Terrorismusexperte Paul Wilkinson plädiert dafür, dass diese auf einer Kombination von drei Elementen beruhen sollte: 1) Reformen und Diplomatie, 2) Maßnahmen zur Erhöhung der inneren Sicherheit sowie 3) militärische Mittel.208 Die zentralen Aspekte dieses Ansatzes, des so genannten „hard-line approach“, den er bereits in den siebziger und achtziger Jahren erarbeitete, sollen im Folgenden kurz widergegeben werden: Er warnt eindringlich vor einer Überreak207 208 Vgl. Heinz/Arend (2004), S. 8; vgl. auch Oosting (2002), S. 24. Vgl. Wilkinson (2006), S. 61. 62 tion bzw. einer umfassenden Repressionsstrategie, „which could destroy democracy far more rapidly and effectively than any campaign by a terrorist group.“209 Gleichzeitig sieht Wilkinson aber auch die Gefahren eines zu zögerlichen staatlichen Eingreifens. Können die verfassungsrechtliche Autorität der Regierung und des Rechts nicht aufrecht erhalten werden, so drohe ein Abgleiten in anarchische Zustände oder die Entstehung so genannter no-go areas, die von Warlords, der Mafia oder eben Terroristen dominiert werden.210 Hier wird bereits deutlich, dass der hard-line approach kein Konzept allein für westliche Rechtsstaaten ist, sondern eine globale Ausrichtung verfolgt. Von den staatlichen Behörden fordert Wilkinson ein ausnahmsloses Agieren innerhalb der Grenzen des Gesetzes. Andererseits würde die Legitimität staatlichen Handelns unterminiert. Als Folge schwinde das öffentliche Vertrauen in die Regierung sowie das Polizei- und Justizwesen.211 Von besonderer Bedeutung für Wilkinson ist das präventive Handeln der Sicherheitsbehörden: „The secret of winning the battle against terrorism in an open democratic society is winning the intelligence war.“212 Der Einsatz von Überwachungsmaßnahmen wird somit nicht ausgeschlossen. Gefordert wird aber gleichzeitig, dass sich die Arbeit der Geheimdienste und anderer Sicherheitsbehörden zu jeder Zeit unter Kontrolle des Parlaments befindet. Gleiches sieht der hard-line approach für verabschiedete Gesetze zur Terrorismusbekämpfung vor. Die getroffenen Maßnahmen bedürfen einer regelmäßigen Überprüfung durch Parlamentarier und der zeitlichen Beschränkung.213 Letzterer Aspekt leitet sich aus der Tatsache ab, dass Antiterrormaßnahmen häufig in Notstandssituationen erlassen werden und demzufolge auch nur für dieses Bedrohungsszenario gelten sollten. Ist die unmittelbare Gefahrensituation beendet, bedürfen erlassene Sicherheitsmaßnahmen einer Evaluation und der Anpassung bzw. ggf. der Beendigung. Schließlich fordert Wilkinson, dass Regierungen – auch angesichts der bestehenden Dilemmata etwa bei Flugzeugentführungen – keine Zugeständnisse an Terroristen machen sollten.214 Wilkinson (2006), S. 61. Vgl. Wilkinson (2006), S. 61. 211 Vgl. Wilkinson (2006), S. 61. 212 Wilkinson (2006), S. 62. 213 Vgl. Wilkinson (2006), S. 62. 214 Vgl. Wilkinson (2006), S. 62. 209 210 63 Ein weiteres Analyseraster, das in dieser Arbeit zu Rate gezogen wird, ist ein 2008 von Boer und Kollegen entwickeltes Modell zur Untersuchung demokratischer, rechtlicher und sozialer Legitimität.215 Auf diesen drei Ebenen untersuchten sie, inwiefern politisches Handeln aus menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Sicht zu rechtfertigen ist. Hierfür entwickelten sie Indikatoren, die sie auf das Agieren spezifischer politischer Institutionen („networks“) wie etwa Europol, Eurojust oder dem EU Joint Situation Centre (SitCen) übertragen haben. In der hier vorliegenden Arbeit kann dabei darauf verzichtet werden, zwischen „input-“ und „output-legitimacy“ zu unterscheiden. Die Effektivität von Antiterrormaßnahmen, der „output“, ist im Bereich der inneren Sicherheit, einem Politikfeld mit weitreichendem Einfluss auf die Grundrechte des Einzelnen, nur als legitim zu bewerten, wenn bereits der „input“ rechtsstaatlichen Erfordernissen gerecht wurde. In folgender Tabelle werden die „Legitimacy Indicators“ nach Boer u.a. kurz vorgestellt: democratic legitimacy legal legitimacy social legitimacy formal adoption of a binding legal parliamentary scrutiny (investigation rights, active consultation) instrument, clarifying the jurisdiction, a legally controllable mandate and a right to complain transparency about activities by public reporters or a website or appeal ministers are accountable to par- individual legal responsibility for independent monitoring by om- liament law enforcement officials budsman or court of auditors Parliament approves appointments whenever possible, inclusion of procedural legitimacy citizens in consultation and debate Parliament controls policy plans and budgets Quelle: Boer u.a. (2008), S. 109. 215 Siehe hierzu Boer u.a. (2008). 64 Basierend auf dem Ansatz von Wilkinson und den „Legitimacy Indicators“ von Boer und Kollegen wird als Maßstab zur Bewertung der europäischen Antiterrorismusstrategie folgendes Raster herangezogen: - Eine Überreaktion ist in jedem Fall zu vermeiden. Als solche werden Maßnahmen verstanden, die unverhältnismäßig in die Grundrechte eingreifen und somit gegen rechtsstaatliche Grundlagen verstoßen. - Die Verabschiedung von Rechtsakten hat sich in jedem Fall an den Prinzipien des Rechtsstaates zu orientieren. Als Rechtsstaatsprinzipien216 werden hierbei die Normenklarheit und -bestimmtheit, die Gewaltenteilung und -kontrolle, die Rechtswegegarantie sowie die Verhältnismäßigkeit (Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit) gesehen. Hiermit einhergehend sollte der Gesetzgebungsprozess jederzeit transparent gestaltet und durch parlamentarische und juristische Kontrolle begleitet werden. - Die zur Terrorismusbekämpfung eingesetzten Instrumente und Institutionen unterliegen einer strikten Kontrolle (Evaluation) durch politische Verantwortungsträger. Insbesondere ergriffene Maßnahmen, die die Menschenrechte einschränken, sind zeitlich zu begrenzen und sollten einer regelmäßigen (parlamentarischen) Überprüfung unterliegen. Anhand dieser Kriterien werden in Kapitel D die Antiterrorismusmaßnahmen der Europäischen Union zu überprüfen sein. Insbesondere das Verhältnismäßigkeitsprinzip gilt hierbei als Prüfstein dafür, ob die Sicherheitspolitik dem Selbstverständnis des demokratischen Rechtsstaates als Gewährleister der Freiheit gerecht wird.217 Sollten diese Kriterien nicht eingehalten werden, ist aus Sicht der durch die Union selbst definierten Zielstellung des RFSR von dessen Scheitern auszugehen. Siehe hierzu Bielefeldt, Heiner (2010): Rechtsstaatliche Transparenz und Menschenwürde. Rechtsethische Überlegungen zur Evaluierung von Sicherheitsgesetzen, in: Albers, Marion/Weinzierl, Ruth (Hrsg.): Menschenrechtliche Standards in der Sicherheitspolitik. Beiträge zur rechtsstaatsorientierten Evaluierung von Sicherheitsgesetzen, Baden-Baden, S. 13-23, hier. S. 20-21. 217 Vgl. Bielefeldt (2010), S. 21. 216 65 C Die Rechtsgüter Sicherheit und Freiheit im Prozess voranschreitender Europäisierung 1 Europäische Erfahrungen mit dem Terrorismus 1.1 Terrorismus in Europa – 1960er Jahre bis 9/11 „Europa war in der jüngsten Vergangenheit stets mit Terrorismus konfrontiert. Allein in Großbritannien, Irland und Spanien kamen seit Beginn der 1970-er Jahre durch terroristische Anschläge mehr als 5000 Menschen ums Leben.“ 218 Die Erfahrungen der EU-Staaten mit dem Phänomen des Terrorismus sind dabei aber sehr unterschiedlich. Während in einzelnen Ländern, insbesondere Großbritannien und Spanien, sehr viele Terroranschläge zu verzeichnen waren, stellte terroristische Gewalt in anderen EU-Staaten, etwa in Deutschland, Italien und Griechenland, in der Vergangenheit eine temporäre Herausforderung dar. Die meisten heutigen Mitgliedstaaten waren hingegen in den vergangenen Jahrzehnten gar nicht mit dieser Gewaltform konfrontiert. Bures schlussfolgert vor diesem Hintergrund: „Terrorism is not an EU-wide threat in terms of incidents, fatalities or terrorist profiles.“219 So kannten nationale Strafrechtsbestimmungen vor den Anschlägen von 9/11 nur in wenigen Ländern einen entsprechenden Tatbestand. Hieraus folgend waren immer auch Unterschiede in den Bekämpfungsstrategien sichtbar. Rechtstraditionen, Strafrechtsverfahren oder Sanktionsmechanismen aber auch die politischen Kulturen, etwa im Umgang mit Terrorgruppen, unterschieden sich zwischen den EU-Staaten z.T. deutlich.220 Diese Differenzen stellten für eine lange Zeit eine scheinbar unlösbare Herausforderung für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit dar. Mit Blick auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhundert wird zudem deutlich, dass in den europäischen Staaten im Besonderen nationale Terrorgruppen aktiv waren. Erst seit den 1990er Jahren wandelte sich dies mehr und mehr. Der internatio- Hauser, Gunther (2007): Die EU und der Kampf gegen den Terrorismus, in: Siedschlag, Alexander (Hrsg.): Jahrbuch für europäische Sicherheitspolitik 2006/2007, Baden-Baden, S. 2536, hier S. 25. 219 Bures (2011), S. 35, Hervorhebung im Original. 220 Vgl. Argomaniz (2011), S. 3-4; vgl. auch Cottey (2007), S. 170. 218 66 nale oder der „importierte“ Terrorismus gewann zusehends an Bedeutung. Viele der „alten“ Terrorgruppen legten die Waffen dagegen nieder oder wurden zerschlagen.221 Mit diesem Wandel veränderten sich die Herausforderungen für die Sicherheitspolitik, sowohl in den einzelnen Nationalstaaten als auch für die Europäische Union als Ganzes. Ihren Anfang nahmen die Entwicklungen einer gemeinschaftlichen Terrorismusbekämpfung in den späten 1960er und 1970er Jahren, als das Potenzial europäischer Terrorgruppen mit verstärkten Aktionen der Roten Armee Fraktion (RAF), der Euskadi Ta Askatasuna (ETA) oder der Irish Republican Army (IRA) deutlicher zutage trat. Dabei war festzustellen, dass sich die Terroristen zunehmend untereinander vernetzten, sowohl innerhalb Europas als auch darüber hinaus. Insbesondere die Palestine Liberation Organization (PLO) spielte hierbei eine besondere Rolle. Noch immer standen die jeweiligen meist auf einen Staat bzw. ein politisches System fokussierten Ziele der einzelnen Terrorgruppen für ihr Agieren im Zentrum. Doch bei der Planung, Organisation, Vorbereitung oder Finanzierung wurden nun grenzüberschreitende Netzwerke genutzt. Man hielt gemeinsame „Trainingslager“ ab oder unterstützte sich direkt bei der Umsetzung von Anschlagsplänen.222 Auch wenn sich mit Blick auf die Anzahl von Terroranschlägen und den dabei getöteten bzw. verletzten Personen in EU-Staaten die terroristische Bedrohung zu jener Zeit insbesondere auf Großbritannien, Spanien, Frankreich, Deutschland, Italien und Griechenland konzentrierte, wuchs vor diesem Hintergrund das Bewusstsein, dass Terroristen eine gemeinsame Gefahr darstellen, die einer gemeinsamen Reaktion bedarf. Denn es wurde deutlich, dass terroristische Aktivitäten pan-europäisch sind. Die Terroristen machten und machen sich die Vorzüge europäischer bzw. nationaler Gesetzgebung sowie der offenen Grenzen zu Nutze, um Anschläge zu organisieren, vorzubereiten und umzusetzen. Zudem setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass die Bemühungen zur Bekämpfung des Terrorismus auf VN-Ebene ineffektiv blieben. Hierdurch bildete Vgl. Boer (2003), S. 185-186. Vgl. Bures, Oldrich (2006): EU Counterterrorism Policy: A Paper Tiger?, in: Terrorism and Political Violence, 18/2006, S. 57-78, hier S. 58; vgl. auch Stein, Torsten/Meiser, Christian (2001): Die Europäische Union und der Terrorismus, in: Die Friedens-Warte, Jg. 76, 1/2001, S. 33-54, hier S. 39-42; vgl. auch Bures (2011), S. 59-60. 221 222 67 sich die Überzeugung heraus, dass ein regionaler Ansatz deutlichere Erfolge erzielen könne. Hieraus leiteten die Regierungen schließlich das Erfordernis ab, eine gesamteuropäische Antiterrorismuspolitik zu etablieren bzw. auszubauen.223 Beruhend auf Impulsen des 1974 neu geschaffenen Europäischen Rates nahm die Terrorismusbekämpfung in den folgenden Jahrzehnten bedeutenden Einfluss auf die europäische Integrationsentwicklung und stand damit am Anfang der heute umfassenden Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit.224 Die Staats- und Regierungschefs beschlossen auf dem europäischen Gipfel in Rom vom 1./2. Dezember 1975 einem von Großbritannien unterbreitetem Vorschlag zur Einrichtung ministerieller Arbeitsgruppen, die sich explizit mit Gewalt- und Kriminalitätsphänomenen auseinandersetzen sollten. Ein halbes Jahr später, im Juni 1976, traten die Justiz- und Innenminister der Staaten der Europäischen Gemeinschaften (EG) zur konstituierenden Sitzung zusammen. Die so genannten TREVI-Kooperationen225 waren „intergouvernementale Konsultations- und Kooperationsmechanismen“226, die außerhalb des EG-Rahmens standen und das Ziel hatten, Informationen über terroristische Aktivitäten, extremistische Gewalt oder Waffenschmuggel auszutauschen. Gleichzeitig ging es um die Vernetzung von nationalen Sicherheitsbehörden, das gemeinsame Training von Polizeibeamten sowie die Verstärkung der Luftfahrtsicherheit. In zunächst drei, späterhin vier Arbeitsgruppen arbeiteten Fachkräfte aus allen EGStaaten zusammen.227 Ebenfalls außerhalb des EG-Rahmens verabschiedeten die Mitgliedstaaten am 4. Dezember 1979 das Dubliner Abkommen228 mit dem Ziel, innerhalb des HoVgl. Bures (2006), S. 58; vgl. auch Stein/Meiser (2001), S. 39-42; vgl. auch Bakker, Edwin (2006): Differences in the Terrorist Threat Perceptions in Europe, in: Mahncke, Dieter/Monar, Jörg (Hrsg.): International Terrorism. A European Response to a Global Threat?, Brüssel, S. 4762, hier S. 50-51 sowie S. 60-61. 224 Vgl. Bures (2006), S. 58; vgl. auch Stein/Meiser (2001), S. 39-42; vgl. auch Bures (2011), S. 59-60. 225 Das Akronym TREVI steht für Terrorism, Radicalism, Extremism, Violence International. 226 Fischer, Klemens H. (2011): Die Europäische Union nach dem 9/11 – Vom strikten Intergouvernementalismus hin zu einem supranationalen Ansatz – Eine Frage von Subsidiarität oder staatlicher Souveränität oder lediglich von Effizienz?, in: Jäger, Thomas (Hrsg.): Die Welt nach 9/11. Auswirkungen des Terrorismus auf Staatenwelt und Gesellschaft, Wiesbaden, S. 191-211, hier S. 194. 227 Vgl. Knelangen (2001), S. 90-93; vgl. auch Vennemann (2004), S. 220-221. 228 Der Originaltitel des Dubliner Abkommens lautet Übereinkommen über die Anwendung des Europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus zwischen den Mitgliedstaa223 68 heitsgebietes der EG das Europäische Übereinkommen über die Bekämpfung des Terrorismus229, das der Europarat 1977 verabschiedet hatte, ausnahmslos umzusetzen. Straßburg verfolgte mit der Konvention den Wunsch, eine der größten Schwachstellen in der internationalen Terrorismusbekämpfung auszuhebeln – die Verweigerung der Auslieferung von Personen, die einer politisch motivierten Tat verdächtigt bzw. beschuldigt werden. Allerdings gewährte das Dokument an entscheidender Stelle selbst Ausnahmeregelungen, die diesem Grundgedanken entgegenstanden. Ursächlich hierfür waren allen voran die Heterogenität der Mitgliedstaaten des Europarates im Hinblick auf deren Strafverfolgungssysteme, etwa hinsichtlich strafrechtlicher Verfahren, sowie die Befürchtung, die staatliche Autonomität in der Verbrechensbekämpfung zu verlieren. Mit dem Dubliner Abkommen wollten die EG-Staaten verdeutlichen, dass ihre Rechtssysteme eine ausreichende Homogenität aufweisen, um auf vertrauensvoller Basis im Bereich des Auslieferungsrechts zusammenzuarbeiten und die Bestimmungen der Europarat-Konvention im Rahmen der Gemeinschaft umzusetzen.230 Eine Annahme, die sich späterhin als trügerisch erweisen sollte. Mitte der 1980er Jahre schwächte sich die wahrgenommene Bedrohungslage im Hinblick auf terroristische Gewalt in Europa wieder ab. In dieser Phase war zu beobachten, dass die Bereitschaft zur gemeinschaftlichen Terrorismusbekämpfung schwand und andere Themenbereiche, allen voran die Organisierte Kriminalität sowie der Abbau der Binnengrenzen in den Fokus der Debatten auf europäischer Ebene rückten.231 So wurde zwar die Justiz- und Innenpolitik im Vertrag von Maastricht als dritter Pfeiler der EU konstituiert und die Bekämpfung terroristischer Aktivitäten dabei in Art. K.1 (9) als eine Angelegenheit des gemeinsamen Interesses aufgeführt, aber, so stellt Boer fest, „the issue of terrorism had been returned to the back-boiler.“232 ten der Europäischen Gemeinschaften. Einzusehen als Anhang in: Stein, Torsten (1980): Die Bekämpfung des Terrorismus im Rahmen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften, in: ZaöRV, 1980, S. 312-318. 229 Europarat (1977): Europäisches Übereinkommen über die Bekämpfung des Terrorismus, in: http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/090.htm (21. September 2012). 230 Vgl. Vennemann (2004), S. 221-222; vgl. auch Bures (2006), S. 58. 231 Vgl. Knelangen, Wilhelm (2005): Die Europäische Union und die Bekämpfung des Terrorismus, in: Möllers, Martin H. W./Ooyen, Robert Chr. (Hrsg.): Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2004/2005, Frankfurt/M., S. 403-413, hier S. 403; vgl. auch Vennemann (2004), S. 222-223. 232 Boer (2003), S. 188. 69 In Reaktion auf eine Reihe neuerlicher Terroranschläge erklärte der Rat der Justiz- und Innenminister auf einer informellen Tagung in La Gomera am 14. Oktober 1995, „dass der Terrorismus eine Bedrohung für die Demokratie, die freie Wahrnehmung der Menschenrechte und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung darstellt, von der sich kein Mitgliedstaat der Europäischen Union als nicht betroffen betrachten kann.“233 Nach Jahren der Zurückhaltung auf diesem Gebiet fühlte sich der Rat zu einem deutlichen Statement veranlasst. Terroristische Gewalt wird hier nicht nur als eine Bedrohung für einzelne Personen oder Personengruppen verstanden, sondern als Gefahr für zentrale Grundlagen der staatlichen Souveränität, auf welchen sich auch die EU gründet. Die Bekämpfung des Terrorismus wird in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Verteidigung der demokratischen, auf Menschenrechten beruhenden Gesellschaft gesetzt. Darüber hinaus stellte die Erklärung aus einem weiteren Grund einen wichtigen politischen Schritt dar, beschrieb sie doch erstmals die sich verändernde Natur des Terrorismus. Der Rat diagnostizierte, dass Terroristen aus fundamentalistischen Überzeugungen heraus auf einer transnationalen Ebene operieren und dabei Methoden der Organisierten Kriminalität anwenden. Darüber hinaus nutzen sie die Unterschiede in den nationalen Strafsystemen, um sich einer Bestrafung zu entziehen.234 Dies brachte die Innen- und Justizminister – neuerlich – zu der Einsicht, „dass zur Verhinderung und wirksamen Bekämpfung terroristischer Akte eine tiefgreifende Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten durch Verbesserung der Mechanismen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit […] notwendig ist.“235 Doch auch wenn im Oktober 1996 der Rat die Schaffung einer Aufstellung von spezifischen Kompetenzen und Kenntnissen im Bereich der Terrorismusbekämpfung mit dem Ziel einer verstärkten Kooperation zwischen den EU-Staaten beschloss und im Dezember 1998 Europol mit Verantwortlichkeiten für Vergehen im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten ausstattete oder sich für eine engere Kooperation bei der Bekämpfung der Finanzierung von Terrorismus Europäischer Rat (1995): Schlussfolgerungen des Vorsitzes (Madrid am 15./16. Dezember 1995), in: http://www.europarl.europa.eu/summits/mad2_de.htm (21. Juni 2006). 234 Vgl. Europäischer Rat (1995); vgl. auch Vennemann (2004), S. 226-227. 235 Europäischer Rat (1995). 233 70 aussprach,236 muss festgestellt werden, dass „the La Gomera call for action remained essentially unanswered in the following years.“ 237 Denn trotz der Aufforderung zu einem verstärkten gemeinsamen Vorgehen gelang es in den folgenden Jahren nicht, umfassende Maßnahmen zur Bekämpfung terroristischer Aktivitäten zu verabschieden. Noch immer standen diesem Wunsch – trotz der wahrgenommenen Notwendigkeit, trotz der befürchteten Destabilisierung demokratischer Strukturen– sowohl materielle als auch ideologische Barrieren im Wege. Vielmehr war es das Europäische Parlament, das das Thema Terrorismus mit seiner Entschließung zur Bekämpfung des Terrorismus in der Europäischen Union238 vom 30. Januar 1997 wieder auf die politische Agenda setzte, um so einen neuen Impuls für eine gemeinschaftliche Terrorismusbekämpfung zu geben. Die Entschließung beinhaltet die erste europäische Definition des Begriffes Terrorismus,239 welcher „als eine kriminelle Handlung anzusehen [ist], die unter Anwendung von Gewalt politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen in Rechtsstaaten ändern will.“240 Unter einem terroristischen Akt verstand das Parlament hiernach „jede von Einzelpersonen oder Gruppen unter Anwendung von Gewalt oder Drohung mit Gewalt begangene Tat gegen ein Land, seine Einrichtungen oder seine Bevölkerung im allgemeinen oder einzelne Individuen […], mit der aus separatistischen, extremistisch-ideologischen, fanatisch-religiösen oder subjektivirrationalen Motiven ein Zustand des Schreckens bei offiziellen Stellen, bei bestimmten Einzelpersonen oder gesellschaftlichen Gruppen oder ganz allgemein in der Öffentlichkeit angestrebt wird.“241 Das EP griff bei der Formulierung der Entschließung auf entsprechende Resolutionen und Empfehlungen des Europarates zurück. Die Definition sollte als eine unverbindliche Richtschnur für die Verabschiedung von AntiterrorismusmaßVgl. Parizkova, Lada (2005): European Counterterrorism. Lessons for the U.S. Policy, in: Crotty, William (Hrsg.): Democratic Development and Political Terrorism. The Global Perspective, Boston, S. 353-372, hier S. 354. 237 Vennemann (2004), S. 227. 238 Europäisches Parlament (1997): Entschließung zum Kampf gegen den Terrorismus in der Europäischen Union, in:OJC 055 vom 24. Februar 1997. 239 Vgl. Vennemann (2004), S. 227. 240 Europäisches Parlament (1997), S. 29. 241 Europäisches Parlament (1997), S. 29. 236 71 nahmen durch Kommission und Rat dienen.242 Gleichzeitig rief das Parlament in seiner Entschließung zur Verabschiedung einer langfristigen Strategie zur Bekämpfung terroristischer Gewalt auf und unterstrich die Notwendigkeit präventiver und repressiver Maßnahmen unter Berücksichtigung menschenrechtlicher Standards. Als konkrete Maßnahmen wurden die Ausweitung des EuropolMandats auf Terrorismus, die Harmonisierung des Strafrechts sowie die Ratifizierung des Übereinkommens über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union243 von 1996 gefordert. Einzelne der Maßnahmen wurden in der Folge umgesetzt, die Forderung nach einer Unionsstrategie verhallte allerdings ungehört. Einen neuen Impuls erhielt der europäische Kampf gegen den Terrorismus durch das Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam. Spätestens seit dessen Verabschiedung gehört die Justiz- und Innenpolitik zu den zentralen Integrationsprojekten der Union. In Art. 29 EU-Vertrag (EUV) wird die Terrorismusbekämpfung explizit als eine der Herausforderungen des RFSR angeführt. Die Union ist dem Primärrecht folgend zur Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität durch eine engere Kooperation zwischen den Polizei- und Justizbehörden der Mitgliedstaaten unter Einschaltung von Europol und – nach dem Vertrag von Nizza – Eurojust sowie einer Annäherung der Vorschriften des Strafrechts verpflichtet. Als ein weiterer wichtiger Meilenstein der europäischen Terrorismusbekämpfung sind die Beschlüsse des Gipfels von Tampere 1999 anzusehen. So wird bei genauer Betrachtung des im September 2001 verabschiedeten Aktionsplans zur Terrorismusbekämpfung deutlich, dass viele der vorgeschlagenen Maßnahmen bereits in Tampere auf die Tagesordnung gesetzt wurden und sich in der Folge bereits zum Teil in Umsetzung befanden. Viele der Vorhaben gerieten aber schnell ins Stocken. Es bedurfte erst der besonderen weltpolitischen Situation in Folge des 11. Septembers 2001, um die Tampere-Agenda im Bereich der Terrorismusbekämpfung maßgeblich voranzutreiben. Vgl. Vennemann (2004), S. 34. Rat der Europäischen Union (1996): Übereinkommens über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in: OJ, C 313 vom 23.10.1996. 242 243 72 Wohl auch aus diesem Grund waren es einmal mehr die Straßburger Abgeordneten, die in der „Zwischenphase“ die entscheidenden Impulse in diesem Politikbereich setzten. In seiner Entschließung zur Lage der Grundrechte in der Europäischen Union244 vom 5. Juli 2000 empfiehlt das EP den Mitgliedstaaten „im Hinblick auf die Achtung der Würde des Menschen […] den Kampf gegen den Terrorismus zu verstärken, um die Demokratie zu erhalten und allen Bürgern Freiheit und körperliche und seelisch-geistige Unversehrtheit zu gewährleisten.“245 Nur sechs Tage vor den Terrorattacken auf New York und Washington nahm das Parlament dann eine Empfehlung zu der Rolle der Union beim Kampf gegen den Terrorismus246 an. Darin stellten die Parlamentarier fest, „dass auf dem Gebiet der Europäischen Union im Verlauf der vergangenen Jahre eine Zunahme terroristischer Aktivitäten zu verzeichnen war.“ 247 Daher empfehlen sie dem Rat die Annahme von Rahmenbeschlüssen zur Angleichung von nationalen Straftatbeständen bezüglich des Terrorismus und zur Erleichterung von Auslieferungen zwischen den Mitgliedstaaten. Insgesamt war aber zu beobachten, dass die EU keine maßgeblichen Schritte gehen konnte. Das Thema Terrorismus wurde deklaratorisch zwar immer wieder ins Zentrum gerückt, fand aber kaum Eingang in konkrete Gesetzgebungsverfahren. Dass die Bekämpfung des Terrorismus bei der Etablierung der Dritten Säule der EU kein herausgehobenes Ziel der Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres war, wird etwa auch mit Blick auf die zwischen 1992 und 2000 verabschiedenden Rechtsakte in der europäischen Justiz- und Innenpolitik deutlich. Nur 14 der 509 Gesetzesinitiativen bezogen sich auf dieses Politikfeld.248 „Die Europäische Union unter dem Nizza-Regime wähnte sich auf einem guten Weg, und sie wähnte sich in einem – relativ – sicheren Umfeld.“249 Europäisches Parlament (2000): Entschließung zur Lage der Grundrechte in der Europäischen Union (2000), in: http://europa.eu/bulletin/de/200107/p102002.htm (13. Juli 2006). 245 Europäisches Parlament (2000), Hervorhebung im Original. 246 Europäisches Parlament (2001a): Empfehlung des Europäischen Parlaments zu der Rolle der Union beim Kampf gegen den Terrorismus, in: http://europa.eu/bulletin/de/200109/ p104001.htm (23. Juni 2006). 247 Europäisches Parlament (2001a). 248 Vgl. Brown, David (2007): The EU and Counter-Terrorism: A Reliable Ally in the „War on Terror“?, in: Eder, Franz/Mangott, Gerhard/Senn, Martin (Hrsg.): Transatlantic Discord. Combating Terrorism and Proliferation, Preventing Crisis, Baden-Baden, S. 121-143, hier S. 122. 249 Fischer (2011), S. 199. 244 73 So wurde innerhalb der Union von einer geringen Bedrohungssituation ausgegangen. Dies begründete sich u.a. auch darin, dass die vorhandenen Instrumente als ausreichend erachtet wurden, um auf potentielle Terrorereignisse reagieren zu können. Schließlich war es eben jenes Instrumentarium, das zur Eindämmung bzw. Überwindung der Terrorwellen in den 1970er Jahren beigetragen hatte. Nach wie vor vertrauten die EU-Staaten sehr stark auf ihre jeweiligen nationalstaatlichen Strategien zur Bekämpfung terroristischer Gewalt.250 „Ein Zwang für rasches Handeln und eine Systemumstellung auf gemeinschaftliches Vorgehen war für die europäischen Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union nicht erkennbar. Die Union jedenfalls verharrte vis-a-vis terroristischer Bedrohungen gleichsam in einem intergouvernementalen Biotop.“251 Und auch Knelangen stellt fest, dass „von einer kohärenten und praktisch wirksamen Anti-Terrorismus-Politik der EU vor dem 11. September 2001 kaum die Rede sein konnte.“252 Vielmehr verblieb die Antiterrorismusstrategie der Union vor den Anschlägen von New York und Washington auf einem rein politischen Level. Für eine tatsächliche operative Zusammenarbeit fehlte (noch) die Bereitschaft.253 Dennoch stellten die Terrorattacken auf New York und Washington für die Union und deren Mitgliedstaaten keineswegs eine „Stunde Null“ dar. Es wurden nicht völlig neue Wege beschritten oder die bisherige Politik infrage gestellt. Vielmehr versuchte die Union, die vorgezeichneten Pfade nun effektiver zu nutzen.254 Schließlich konnte Brüssel auf einen reichhaltigen Erfahrungsschatz in der Zusammenarbeit der EU-Staaten bei der Terrorismusbekämpfung zurückgreifen und die Antiterrorismusmaßnahmen der Union in der Folge des 11. September an bereits zuvor diskutierte Vorschläge und Projekte anknüpften, auch Vgl. Fischer (2011), S. 199; vgl. auch Argomaniz (2011), S. 19. Fischer (2011), S. 199. 252 Knelangen, Wilhelm (2011): Die Europäische Union und der 11. September 2001, in: Jäger, Thomas (Hrsg.): Die Welt nach 9/11. Auswirkungen des Terrorismus auf Staatenwelt und Gesellschaft, Wiesbaden, S. 508-528, hier S. 509. 253 Vgl. Bures (2011), S. 63. 254 Vgl. Schroeder, Ursula C. (2012): Strategic patchwork or comprehensive framework? Upside down security strategy development in the European Union, in: Kanuert, Christian u.a. (Hrsg.): European Homeland Security. A European strategy in making?, Abingdon, S. 35-56, hier S. 3536. 250 251 74 wenn bisher kein spezifischer rechtlicher Besitzstand vorhanden war.255 Erst die Anschläge von New York und Washington entfalteten auf europäischer Ebene eine Art Katalysatorwirkung, allen voran im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen.256 Einerseits boten die Terrorattacken die Möglichkeit zur und andererseits den „Beweis“ für die Notwendigkeit einer verstärkten Kooperation.257 So „[markiert] der 11. September 2001 für die Zusammenarbeit im Politikfeld innere Sicherheit einen Wendepunkt.“258 Zwar konnte auf Vorerfahrungen aufgebaut und auf Vorarbeiten zurückgegriffen werden. Doch zeigten die Entwicklungen nach 9/11 auch eine neue Qualität, Quantität und Nachhaltigkeit.259 Die durch al-Qaida verübten Terrorakte stellten für die europäischen Staaten eine qualitativ neuartige Herausforderung dar. Terrorismus, wie ihn die EU-Staaten kannten, wies zwar schon spätestens seit den 1970er Jahren transnationale Bezüge auf, konzentrierte sich aber dennoch auf ein bestimmtes Land.260 Auf politischer Ebene ist zu erkennen, „dass die terroristischen Anschläge vom 11. September 2001 in den USA innerhalb der Europäischen Union der Terrorismusbekämpfung einen neuen Stellenwert gegeben haben.“261 Edwards und Meyer gehen sogar noch ein Stück weiter und postulieren: „The governance of the European Union has been changed through its responses to international terrorism.“262 Hintergrund für diesen Politikwandel war mit Sicherheit auch die Tatsache, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten unmittelbar von den Geschehnissen des 11. September betroffen waren. Neben einer hohen Zahl europäischer Staatsbürger unter den Opfern wurde bald deutlich, dass die Attacken zum Teil auf dem Hoheitsgebiet der Union vorbereitet wurden.263 Einige der Attentäter hat- Vgl. Knelangen (2005), S. 403-404; vgl. auch Grabbe (2001), S. 63-64; vgl. auch Schroeder (2012), S. 35-36. 256 Vgl. Vennemann (2004), S. 218. 257 Vgl. Bures (2011), S. 63. 258 Knelangen (2005), S. 404. 259 Vgl. Greiner (2011), S. 227-228. 260 Vgl. Knelangen (2005), S. 405. 261 Neisser, Heinrich (2005): Maßnahmen der Europäischen Union zur Terrorismus-Abwehr, in: Knop, Katharina u.a. (Hrsg.): Countering Modern Terrorism. History, Current Issues and Future Threats. Proceedings of the Second International Security Conference Berlin 15-17 December 2004, Bielefeld, S. 227-237, hier S. 227. 262 Edwards/Meyer (2008), S. 1. 263 Vgl. Townsend, Adam (2003): Can the EU achieve an area of freedom, security and justice?, in: http://www.cer.org.uk/opinion_at_jhaoct.pdf (21. Juni 2006), S. 2; vgl. auch Reckmann (2004), S. 4-5. 255 75 ten jahrelang in Deutschland gelebt und hier studiert, bevor sie später in die USA einreisten. Offenbar wurden sie auch hier radikalisiert. Reckmann folgert hieraus, dass „die Terroranschläge die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten unter enormen Zugzwang gesetzt“264 haben. Dies lässt sich mit Blick auf die öffentliche Meinung bestätigen. In einer Eurobarometer-Befragung im November 2001 gaben 86 Prozent der EU-Bürger an, dass sie Angst vor Terrorismus haben. Jeder Fünfte rechnete mit weiteren Anschlägen, auch in Europa. Neun von zehn Befragten waren der Auffassung, dass eine verstärkte Zusammenarbeit der Polizei- und Justizbehörden in Europa notwendig wäre.265 Und natürlich war auch den Regierungen der EU-Staaten klar, dass die Zusammenarbeit im Bereich der Inneren Sicherheit effizienter gestaltet werden muss, um der terroristischen Bedrohung entgegenzutreten. So waren es bspw. gerade die Unterschiede in den nationalstaatlichen Rechtsordnungen, die es ermöglichten, dass Terroristen in der Union Unterschlupf fanden.266 Aus den Ereignissen vom 11. September 2001 erwuchsen für die EU drei zentrale Herausforderungen, die sich auf folgenden Ebenen ansiedeln lassen: Maßnahmen zur Gewährleistung bzw. Verbesserung der inneren Sicherheit sowie des außen- und sicherheitspolitischen Handelns auf globaler Ebene und schließlich die Solidarisierung mit den USA, als wichtigstem (sicherheits-)politischen Partner.267 Dabei standen zunächst „pragmatische Lösungsansätze“ im Vordergrund. Anders als Washington zielte Brüssel nicht auf eine umfassende Strategie ab.268 Zuvorderst waren die Union und ihre Mitgliedstaaten dazu aufgefordert für die Sicherheit ihrer Bürger zu sorgen und spezifische Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet zu erlassen. Dies betraf vor allem die in der Dritten Säule angesiedelte Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS). Darüber hinaus wies die neue Bedrohungslage eine starke globale Dimension auf, auf die eine entsprechende außen- und sicherheitspolitiReckmann (2004), S. 40. Vgl. Boer (2003), S. 187. 266 Vgl. Boer (2006), S. 90. 267 Vgl. Monar, Jörg (2004): Die EU und die Herausforderung des internationalen Terrorismus. Handlungsgrundlagen, Fortschritte und Defizite, in: Weidenfeld, Werner (Hrsg.): Herausforderung Terrorismus. Die Zukunft der Sicherheit, Wiesbaden, S. 136-172, hier S. 148; vgl. auch Neisser (2005), S. 227. 268 Vgl. Schroeder (2012), S. 35-36. 264 265 76 sche Reaktion erfolgen musste. Diese in erster Linie in der Zweiten Säule, der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), zu realisierenden Maßnahmen, stehen in einem engen Zusammenhang mit den innenpolitischen Reaktionen. Die Solidarität mit den USA sollte vor allem durch den Ausbau der Zusammenarbeit im Bereich der transatlantischen Sicherheit, auch und allen voran in der Justiz- und Innenpolitik, zum Ausdruck gebracht werden. Dies betrifft wiederum im Besonderen die Dritte Säule der EU, in deren Bereich bisher kaum mit amerikanischen Behörden kooperiert wurde. Zudem wurde erklärt, dass die Union im Kampf gegen den Terrorismus an der Seite der Vereinigten Staaten stehen wird.269 Parizkova schlussfolgert gar: „The EU reacted to the September 11 attacks as it would have had the United States been a member state.“270 Diese „moralische Verpflichtung“ zur Mitwirkung im Kampf gegen terroristische Gewalt wurde von Brüssel dabei durchaus strategisch genutzt, um bei der Mehrheit der EU-Staaten das Bewusstsein zu stärken, dass hierfür eine verstärkte Kooperation auf Unionsebene erforderlich sei.271 Und tatsächlich gelang es, insbesondere seitens der Kommission und des Generalsekretariats des Rates, erheblichen Einfluss in diesem Politikfeld auszuüben, gleichwohl die Führungsrolle bei den Mitgliedstaaten verblieb.272 Zur Veränderung der Entscheidungsprozesse in Europa trug maßgeblich auch die amerikanische Seite bei. Allein die Rhetorik der Bush-Administration ließ keine andere Wahl, als sich uneingeschränkt an die Seite der USA zu stellen. So erklärte George W. Bush unmittelbar nach den Anschlägen, dass diese nicht nur ein Angriff auf die Vereinigten Staaten von Amerika seien, sondern auf alle Demokratien. Und weiter sprach er dann von einem anstehenden Kampf, dem Kampf zwischen Gut und Böse.273 Doch es gibt durchaus deutliche Unterschiede zur US-amerikanischen Strategie. Vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen mit dem Phänomen Terrorismus sahen europäische Regierungen 9/11 nicht als Anbruch einer neuen Zeit- Vgl. Reckmann (2004), S. 40, vgl. auch Parizkova (2005), S. 363. Parizkova (2005), S. 363. 271 Vgl. Kaunert (2010), S. 13-14. 272 Vgl. Kaunert (2010), S. 11. 273 Vgl. Kaunert (2010), S. 16. 269 270 77 rechnung.274 So kann die Reaktion der Union auf den 11. September 2001 nach Auffassung von Schorlemer als eine „civil reaction“275 bezeichnet werden, währenddessen Washington insbesondere auf kriegerische Mittel zurückgriff. Zwar schloss die Union ein militärisches Vorgehen gegen Terroristen nicht aus, doch wählten sowohl die meisten europäischen Staaten als auch die EU im Inneren eine Strategie der polizeilichen und geheimdienstlichen Prävention und Strafverfolgung und betonten außenpolitisch die Bedeutung nicht-militärischer Maßnahmen, etwa der Entwicklungszusammenarbeit oder der Wirtschaftskooperation. Darüber hinaus rief die Union die Staatengemeinschaft dazu auf, die Instrumente des internationalen Menschenrechtsschutzes zu stärken, woraus sich natürlich auch eine moralische Selbstverpflichtung ergibt. Die ergriffenen Maßnahmen im Rahmen der Union sind ein eindeutiges Zeichen dafür, dass die Mitgliedstaaten den Terrorismus als eine Form der Kriminalität betrachten, der mit den Mitteln von Polizei- und Justizbehörden zu begegnen ist.276 So spielte auch die Frage nach den Gründen für die Radikalisierung junger Menschen für terroristische Ziele eine Rolle in den europäischen Überlegungen. Auf amerikanischer Seite war dies nicht zu beobachten.277 Hierbei erfährt die europäische Politik die Zustimmung der Unionsbürger, die das Konzept des „Krieges gegen den Terrorismus“ mehrheitlich ablehnen.278 Es ist zu konstatieren, dass trotz der Tatsache, dass seit der Begründung der TREVI-Kooperation in den siebziger Jahren die Terrorismusbekämpfung schrittweise ausgebaut wurde, die Union zu jeder Zeit lediglich reaktiv mit dem Phänomen des Terrorismus umgegangen ist. Nahm die Intensität terroristischer Gewalt ab, sank auch die Bereitschaft, gemeinsam über eine entsprechende Bekämpfungsstrategie nachzudenken. Selbst der Aktions- und der Fahrplan, welche infolge von 9/11 verabschiedet wurden, führten nicht zur Kohärenz europäischer Antiterrorpolitik. Immer wieder mahnte die Kommission zur effektiveren Vgl. Coolsaet, Rik (2011): Counterterrorisms and Counter-Radicalisation in Europe: How Much Unity in Diversity?, in: Coolsaet, Rik (Hrsg.): Jihadi Terrorism and the Radicalisation Challenge. European and American Experiences, Farnham, S. 227-246, hier S. 230. 275 Schorlemer, Sabine (2003): Human Rights: Substantive and Institutional Implications of the War against Terrorism, in: European Journal of International Law, 14/2003, S. 265-282, hier S. 267, Hervorhebung im Original. 276 Vgl. Schorlemer (2003), S. 267; vgl. auch Kahl, Martin (2006): Nach Madrid und London: Die EU im Kampf gegen den Terrorismus, in: Mutz, Reinhard (Hrsg.): Friedensgutachten 2006, Berlin, S. 237-245, hier S. 238; vgl. auch Coolsaet (2011), S. 227. 277 Vgl. Coolsaet (2011), S. 230. 278 Vgl. Bures (2010), S. 70. 274 78 Umsetzung einzelner Maßnahmen. Der 11. September 2001 sowie die Anschläge von Madrid und London können so als Krisen betrachtet werden, die die europäische Antiterrorpolitik infrage stellten und hierdurch politische Prozesse zum Ausbau der entsprechenden Instrumente auslösten. Auf diese Phasen folgten aber regelmäßig Perioden des Stillstands.279 Die Gründe hierfür sind mit Sicherheit vielschichtig. In erster Linie verdeutlicht dieser Umstand, dass dieses Politikfeld weit in die staatliche Souveränität wirkt und somit immer wieder nationalstaatliche Vorbehalte geweckt werden. Darüber hinaus wurde oben bereits auf die sehr unterschiedlichen Erfahrungen mit terroristischer Gewalt hingewiesen. Und bis heute ist die Terrorismusbekämpfung kein klar definierter Politikbereich in der EU. Vielmehr überspannt diese eine Vielzahl verschiedener Politiken.280 Schließlich, und dies kann vor dem Hintergrund der Fragestellung der vorliegenden Untersuchung als positiver Aspekt angeführt werden, waren Regierungen, Parlamente oder auch Höchste Gerichte in den EU-Staaten nicht bereit, jede erdenkliche auf europäischer Ebene ausgearbeitete Maßnahme umzusetzen und dabei die Grundrechte und rechtsstaatliche Prinzipien aus dem Blick zu verlieren. 1.2 Wandlungen des Terrorismus als Herausforderung für dessen Bekämpfung Seit dem 11. September 2001 hat sich die terroristische Gefahr deutlich verändert, insbesondere wenn man den islamistischen Terrorismus in den Blick nimmt. Dass Europa heute nicht mehr nur ein Raum zur Rekrutierung und zur Finanzierung, sondern selbst Ziel ist und mehr denn je im Visier islamistischer Fundamentalisten steht, machten die Anschläge vom 11. März 2004 in Madrid und vom 7. Juli 2005 in London auf dramatische Weise deutlich. Al-Qaida hat sich dabei als „lernende Organisation“281 gezeigt und sich den aktuellen Anforderungen angepasst. Waren Gruppen früher komplex strukturiert und wiesen klare Verbindungen zu einer „Muttergruppe“ im arabischen Raum auf, so ist heute zu beobachten, dass Attentäter häufig keine unmittelbaren Verbindungen zu terroristischen Organisation aufweisen, sich vielmehr lediglich von diesen Vgl. Argomaniz (2011), S. 19; vgl. auch Coolsaet (2011), S. 228. Vgl. Bures (2011), S. 1. 281 Siehe hierzu Musharbash, Yassin (2008): Die neue al-Qaida. Innenansicht eines lernenden Terrornetzwerks, Bonn. 279 280 79 „inspirieren“ lassen. Es haben sich lose Netzwerke gebildet, die zumeist auf lokaler Ebene autark operieren, angetrieben von einer via Internet verbreiteten Ideologie. Terroristen schlagen heute zumeist dort zu, wo sie leben. Sie reisen nicht mehr durch die ganze Welt und planen nicht über Monate oder gar Jahre einen Anschlag. Die Individuen, die Bürger in europäischen Staaten heute zu fürchten haben, kommen häufig aus der Mitte ihrer Gesellschaften – es sind homegrown terrorists.282 Terroristische Gewalt ist im Allgemeinen, dies hat die Vergangenheit gezeigt, einem ständigen Wandel unterworfen. Terrorgruppen passen sich den geänderten Umweltbedingungen und den Verfolgungsstrategien staatlicher Behörden an. Sie legen die Schwächen des Gegners offen und nutzen diese für sich.283 Hieraus ist zu schlussfolgern, dass sich die Bekämpfungsstrategien fortwährend wandeln müssen. Maßnahmen und Instrumente, die im Kampf gegen ethnonationale oder sozialrevolutionäre Terrorgruppen in den 1970er und 1980er Jahren erfolgreich waren, zeigen heute nicht mehr in allen Fällen die gewünschten Ergebnisse. So ist es unter den neuen Voraussetzungen nicht ausreichend zu wissen, wer sich wann mit wem trifft, oder wer wie viel Geld an wen überweist. Ziele, Vorgehensweisen, Gewaltpotenzial oder technische Fähigkeiten terroristischer Gruppen sind für Polizei und Geheimdienste im Kampf gegen diese heute vielfach nur schwer zu erkennen und zu identifizieren. Dabei hat sich das Reservoir potentieller Terroristen aufgrund der multiethnischen Zusammensetzung von Terrorgruppen sowie der globalen Ideologie vergrößert. Zudem weisen die inzwischen herausgebildeten Netzwerkstrukturen eine hohe Robustheit gegenüber polizeilichen, geheimdienstlichen oder militärischen Verfolgungsdruck sowie gegenüber gezielten Angriffen von Strafverfolgungsbehörden auf.284 Diese Umstände sind im Weiteren in die Analyse der Antiterrorismusmaßnahmen einzubeziehen. Denn unzweifelhaft setzen diese Wandlungsprozesse Politik und Vgl. Musharbash (2008), S. 76; vgl. auch Vidino, Lorenzo (2009): Origins and Characteristics of Homegrown Jihadist Networks in Europe, in: Eder, Franz/Senn, Martin (Hrsg.): Europe and Transnational Terrorism. Assessing Threats and Countermeasures, Baden-Baden, S. 35-58, hier S. 36; vgl. auch Sageman, Marc (2008): The Next Generation of Terror, in: Foreign Policy, March/April 2008, S. 37-42, hier S. 37-39 sowie S. 41. 283 Vgl. Hoffman (2008), S. 446; vgl. auch Wilkinson (2003), S. 35. 284 Vgl. Musharbash (2008), S. 14-15; vgl. auch Sageman (2008), S. 39; vgl. auch Hoffman (2008), S. 206-207; vgl. auch Schneckener, Ulrich (2006): Transnationaler Terrorismus. Charakter und Hintergründe des „neuen“ Terrorismus, Frankfurt/M., S. 191-193. 282 80 Sicherheitsbehörden unter einen ständigen Zugzwang, entsprechende Instrumente der Prävention und Strafverfolgung zu etablieren. Dass sich die europäische Politik dieser besonderen Herausforderung bewusst ist, zeigt etwa die Europäische Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2003. So wird der Terrorismus hier als erste der zentralen Sicherheitsgefährdungen der EU aufgeführt. Ein solch expliziter und exponierter Verweis findet sich in älteren Dokumenten nicht. Gleichzeitig wird die terroristische Bedrohung erstmals sowohl als äußere als auch als innere Gefährdung dargestellt. Die Strategie stellt somit eine bedeutende Weiterentwicklung der bisherigen Verlautbarungen dar, im Besonderen durch die Einsicht in die Komplexität der Gefährdung sowie die Notwendigkeit einer multidimensionalen Bekämpfungsstrategie.285 So heißt es in der Sicherheitsstrategie: „Terrorism puts lives at risk; it imposes large costs; it seeks to undermine the openness and tolerance of our societies and it poses a growing strategic threat to the whole of Europe. Increasingly, terrorist movements are well-resourced, connected by electronic networks, and are willing to use unlimited violence to cause massive casualties.“286 Als größte terroristische Bedrohung wird dabei der global agierende und gewaltbereite religiöse Fundamentalismus angesehen. Als Hintergründe für dessen Entstehen betrachtet der Europäische Rat die zunehmende Modernisierung der Lebensweisen, die vielfältigen soziokulturellen und politischen Krisen in der Welt sowie die immer stärker zu beobachtende Entfremdung junger Migranten in ihren jeweiligen Aufnahmekulturen. In einem Nachsatz wird hierzu schließlich ausgeführt, dass diese Erscheinungen auch in den europäischen Gesellschaften zu beobachten sind. Schließlich wird festgestellt, dass die EU sowohl Opfer als auch Operationsbasis des internationalen Terrorismus ist. Vor diesem Hintergrund sei ein gemeinschaftliches Vorgehen der Mitgliedstaaten unverzichtbar.287 Vgl. Europäischer Rat (2003): A Secure Europe in a Better World. European Security Strategy, in: http://ue.eu.int/uedocs/cmsUpload/78367.pdf (8. Februar 2006), S. 3; vgl. auch Monar, Jörg (2007): Common Threat and Common Response? The European Union´s CounterTerrorism Strategy and its Problems, in: Government and Opposition, 3/2007, 42. Jahrgang, S. 292-313, hier S. 295. 286 Europäischer Rat (2003), S. 3. 287 Vgl. Europäischer Rat (2003), S. 3. 285 81 Nach Einschätzung von Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden, Wissenschaft und Politik, Medien und öffentlicher Meinung stellen die homegrown terrorists heute für Europa die größte Herausforderung dar. Dies bedeutet allerdings nicht, dass „alte“ Strukturen aufgeben wurden oder nicht mehr existieren. Die Staaten der EU sind mit allen Formen des Terrorismus – ethnonationalistischen, sozialrevolutionären, religiös-fundamentalistischen und rechtsextremistischen Terrorgruppen – konfrontiert.288 „A large number of various types of terrorist organizations have an active presence in the EU. Some of them target Member States or Third State interests in Member States, whereas some others use the EU as their logistical base or for fundraising and conduct their campaigns mainly outside the EU.”289 Dies wird etwa bei der Betrachtung der Zahlen aus dem Terrorismus-Bericht des Europäischen Polizeiamtes (TE-SAT) deutlich: Für das Jahr 2009 registrierte Europol 294 terroristische Straftaten (inkl. in Planung befindlicher Attacken) im EU-Hoheitsgebiet (ohne Großbritannien). Lediglich ein Anschlagsversuch wurde dem islamistischen Spektrum zugerechnet. Vielmehr zeichneten 2009 separatistische Bewegungen wie die ETA oder die National Liberation Front of Corsica (FLNC) für die meisten Anschläge in der EU verantwortlich. Gleichzeitig waren zunehmende terroristische Aktivitäten allen voran seitens links- sowie rechtsextremistischer Gruppierungen festzustellen. Dennoch betont z.B. Europol immer wieder die latente Gefahr durch islamistische Gruppierungen, die etwa durch verschiedene unterbundene oder gescheiterte Anschlagsplanungen deutlich würde. Grundsätzlich wird hier aber noch einmal deutlich, dass es die EU und deren Mitgliedstaaten nicht mit einem eindimensionalen Problem zu tun haben, sondern vor der Herausforderung stehen, eine Antiterrorismusstra- Vgl. Wilkinson, Paul (2009): The Transnational Terrorism Threat to Europe: An Interim Assessment, in: Eder, Franz/Senn, Martin (Hrsg.): Europe and Transnational Terrorism. Assessing Threats and Countermeasures, Baden-Baden, S. 21-34, hier S. 23; vgl. auch Bures (2010), S. 55. 289 Europol (2007): EU Terrorism Situation and Trend Report 2007, in: http://www.europol.eu ropa.eu/publications/EU_Terrorism_Situation_and_Trend_Report_TE-SAT/TESAT2007.pdf (8. Januar 2008), S. 17. 288 82 tegie zu entwickeln, die Instrumente zur Auseinandersetzung mit vielfältigen Formen terroristischer Gewalt beinhaltet.290 2 Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts 2.1 Rechtliche Grundlagen Die europäische Integration, die 1950 mit der Vorlage des Schuman-Plans ihren Anfang nahm, beschränkte sich für viele Jahre auf wirtschaftspolitische Bereiche. Andere Politikfelder, etwa die Außen- oder die Innenpolitik, waren zunächst nicht Bestandteil des Einigungsprozesses. Erst nach und nach wurde der Arbeitsrahmen der EG bzw. der EU ausgeweitet. Die oben bereits kurz angesprochene TREVI-Kooperation und das so genannte Schengen-Abkommen, welche beide außerhalb des EG-Rahmens initiiert wurden, können dabei als Auslöser und „Versuchslabors“ für die verstärkte Zusammenarbeit in den Bereichen Inneres und Justiz betrachtet werden. Die Verabschiedung des Schengener Abkommens, welches den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (Schengen-Raum) regelt, war eine logische Folge des Wunsches zur Verwirklichung eines Binnenmarktes, der u.a. den freien Waren- und Personenverkehr vorsah. Doch die Erweiterung der Freizügigkeit für EG-Bürger gewährte potentiell auch Terroristen und Kriminellen einen größeren Bewegungsspielraum innerhalb des EG-Gebietes. Aus diesem Grund wurden im Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ, auch „Schengen II“ genannt) von 1990 Ausgleichsmaßnahmen (u.a. grenzüberschreitende Observationen und Festnahmen, gegenseitige Unterstützung bei der Aufklärung von Straftaten) und die Einführung eines staatenübergreifenden computergestützten Fahndungssystems, dem Schengener Informationssystem (SIS), beschlossen. Durch die Verträge von Maastricht bzw. Amsterdam wurden diese Vorhaben schließlich in den Rechtsrahmen der EU integriert.291 Neben der „schlichten“ vertraglichen Inkorporierung entwickelten der TREVIProzess und die Verabschiedung von Schengen eine Dynamik im Bereich der Justiz- und Innenpolitik, die großen Einfluss auf die Regierungskonferenz 1991 Vgl. Europol (2009): EU Terrorism Situation and Trend Report 2009, in: http://www.europol.europa.eu/publications/EU_Terrorism_Situation_and_Trend_Report_TE -SAT/TESAT2009.pdf (20. April 2009). 291 Vgl. Glaeßner/Lorenz (2005b), S. 373; vgl. auch Hauser (2007), S. 28. 290 83 und somit auf die Ausarbeitung einer neuen primärrechtlichen Grundlage der Gemeinschaft nahm.292 So wurde im Vertrag von Maastricht 1992 neben der GASP – der zweiten Säule der EU – die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI) in das Vertragswerk aufgenommen und als Dritte Säule der Union festgeschrieben. Die intergouvernementale Zusammenarbeit der EG-Staaten zu Fragen der inneren Sicherheit, welche bisher vor allem in informellen Arbeitsgruppen außerhalb des Rechtsrahmens der EG stattfand, erhielt hierdurch eine vertragliche Grundlage.293 In Titel VI sah der Unionsvertrag eine umfassende zwischenstaatliche Kooperation im Bereich der Justiz- und Innenpolitik vor. So wurden beispielsweise die Asyl- und Einwanderungspolitik sowie die justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen zu Angelegenheiten des gemeinsamen Interesses erklärt.294 „Die Einfügung der ZBJI in den EU-Vertrag [stellt] einen Meilenstein in der Entwicklung einer europäischen Justiz- und Innenpolitik dar.“295 Die Regierungskonferenz 1996, die am 29. März ihre Arbeit in Turin aufnahm, wurde mit der Revision der Bestimmungen des Unionsvertrages beauftragt. Dabei stand auch die vertragliche Weiterentwicklung der ZBJI im Zentrum der Diskussionen. In der Debatte um eine Vertiefung der Kooperation im Bereich der inneren Sicherheit wurden eine Reihe von Reformvorschlägen laut, so zum Beispiel eine vollständige Vergemeinschaftung, eine Effektivierung der Rechtsetzung, die Einführung eines grundsätzlichen Initiativrechtes der Kommission, eine größere Teilhabe des EP sowie eine umfassende Zuständigkeit des EuGH.296 Vgl. Fischer (2011), S. 196. Vgl. Kraus-Vonjahr (2002), S. 16; vgl. auch Schlichting, Jan Muck (2005): Haager Programm für Justiz und Inneres, in: http://www.bundestag.de/bic/analysen/2005/2005_09_30.pdf (9. Juni 2006), S. 1. 294 Vgl. Theobald, Volkmar (1997): Von der Europäischen Union zur „Europäischen Sicherheitsunion“? – Die Gemeinsame Politik der Inneren Sicherheit in der EU, in: Theobald, Volkmar (Hrsg.): Von der Europäischen Union zur „Europäischen Sicherheitsunion“? Die Gemeinsame Politik der Inneren Sicherheit in der EU, Berlin, S. 7-12, hier S. 8. 295 Kraus-Vonjahr (2002), S. 8, Hervorhebung im Original. 296 Vgl. Meng, Werner (1997): Die Dritte Säule und Maastricht II – Perspektiven der Gemeinsamen Innen- und Rechtspolitik in der Regierungskonferenz 1996, in: Theobald, Volkmar (Hrsg.): Von der Europäischen Union zur „Europäischen Sicherheitsunion“? Die Gemeinsame Politik der Inneren Sicherheit in der EU, Berlin, S. 175-204, hier S. 175-176 sowie S. 191-192. 292 293 84 Die Verhandlungen mündeten schließlich in der Unterzeichnung des Amsterdamer Vertrages am 2. Oktober 1997. Zu den bedeutendsten Neuerungen dieses Vertragswerkes, welches am 1. Mai 1999 in Kraft trat, gehört die Einführung des RFSR.297 Die Staats- und Regierungschefs der EU verankerten in Art. 2 EUV „die Erhaltung und Weiterentwicklung der Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen, das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität der freie Personenverkehr gewährleistet ist“, als ein grundlegendes Ziel europäischer Politik. Die Entwicklung einer gemeinsamen Justiz- und Innenpolitik wurde somit als fundamentale Wegmarke der Integration festgeschrieben.298 Der RFSR war nahezu identisch mit der bisherigen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in den Bereichen Justiz und Inneres.299 Allerdings war der entsprechende Rechtsrahmen nach Amsterdam von einer durchgehenden Spaltung zwischen der Ersten und der Dritten Säule der Union gekennzeichnet.300 Die durch den Vertrag von Maastricht eingeführte „Säulenkonstruktion“ wurde sowohl in Amsterdam als auch später in Nizza aufrechterhalten. Gleichzeitig überführte die Regierungskonferenz 1996 weite Teile der ZBJI aus der Dritten in die Erste Säule und vergemeinschaftete diese somit. Hierzu gehörten mit der Ausländer-, der Asyl- und der Einwanderungspolitik, der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen sowie der Zusammenarbeit im Zollwesen ausschließlich Politikbereiche, die einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Binnenmarkt aufwiesen. Die PJZS verblieb dagegen in der intergouvernementalen Dritten Säule.301 Bei der Betrachtung der Rechtsgrundlagen des RFSR muss somit zwischen dem Gemeinschaftsrecht und dem Unionsrecht differenziert werden, da sich sowohl im Vertrag über die Europäischen Gemeinschaften Vgl. Monar (2005), S. 29; vgl. auch Müller (2003), S. 146. Vgl. Monar (2003), S. 32. 299 Vgl. Kraus-Vonjahr (2002), S. 2. 300 Vgl. Müller-Graff, Peter-Christian (2005): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Der primärrechtliche Rahmen, in: Müller-Graff, Peter-Christian (Hrsg.): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, Baden-Baden, S. 11-27, hier S. 20. 301 Vgl. Kraus-Vonjahr (2002), S. 121; vgl. auch Ludwig, Christian H. (2002): Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Vertrag von Amsterdam, Baden-Baden, S. 51-52. 297 298 85 (EGV)302 als auch im EUV303 entsprechende Bestimmungen finden. Mit Blick auf die während der Regierungskonferenz vorgebrachten Reformvorschläge ist von einem eher unbefriedigenden Ergebnis zu sprechen. Nur in Teilen gelang es, die Verantwortlichkeiten des EP, der Kommission und des EuGH zu stärken. Insbesondere in grundrechtssensiblen Politikbereichen wurde dieser Forderung nicht nachgekommen. Die Folgen dieser politischen Entscheidung werden im Folgenden bei der Untersuchung der Ausgestaltung des RFSR ein wichtiger Gegenstand der Betrachtung sein. „Das Gravitationszentrum des zu betrachtenden Raums“304 bildeten bis zum Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags die Regelungen der Art. 61 ff. EGV. So wird in Art. 61 EGV festgeschrieben: „Zum schrittweisen Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts erlässt der Rat a) […] Maßnahmen zur Gewährleistung des freien Personenverkehrs nach Artikel 14 in Verbindung mit unmittelbar damit zusammenhängenden flankierenden Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen, Asyl und Einwanderung nach Artikel 62 Nummern 2 und 3, Artikel 63 Nummer 1 Buchstabe a und Nummer 2 Buchstabe a sowie Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität nach Artikel 31 Buchstabe e des Vertrages über die Europäische Union; […] e) Maßnahmen im Bereich der polizeilichen und justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen, die durch die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität in der Union nach dem Vertrag über die Europäische Union auf ein hohes Maß an Sicherheit abzielen.“ Die Bestimmungen dieses Artikels unter den Buchstaben a) und e) schafften durch den Verweis auf die ergänzenden Festlegungen des EUV, allen voran der Art. 29 ff., eine funktionale Verknüpfung zwischen der Ersten und der Dritten Säule.305 Dennoch konnte mit Blick auf den vertraglichen Rahmen des RFSR Der EGV regelt in Titel IV des 3. Teils die Bereiche Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politik betreffend den freien Personenverkehr. 303 Der EUV regelt in Titel VI Bestimmungen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. 304 Müller-Graff (2005), S. 11, Hervorhebung im Original. 305 Vgl. Kraus-Vonjahr (2002), S. 123. 302 86 von einer weitgehenden Rechtszersplitterung gesprochen werden. Dies wird besonders deutlich bei der Betrachtung der Rechtsetzungsverfahren und des Systems der gerichtlichen Kontrolle nach Titel IV des 3. Teils des EG-Vertrages bzw. Titel VI des EU-Vertrages. Für die in das Gemeinschaftsrecht überführten Politiken galten seit dem Vertrag von Amsterdam die Rechtsinstrumente der Gemeinschaft: Richtlinie, Verordnung und Beschluss. Rechtsakte im Sekundärrecht, welche auf diesen Grundlagen erlassen werden, sind für die Mitgliedstaaten verbindlich, gelten unmittelbar und gehen dem nationalen Recht vor.306 Gleichzeitig lassen sich mit Blick auf die Bestimmungen zu den Rechtsetzungsverfahren in Kapitel IV des 3. Teils des EGV des Amsterdamer Vertrages noch starke Bezüge zum bisherigen intergouvernementalen Charakter dieser Politiken erkennen. Während einer Übergangszeit von fünf Jahren beschloss der Rat weiterhin einstimmig auf Vorschlag der Kommission oder eines Mitgliedstaates und nach Anhörung des EP. Nach Ablauf der fünfjährigen Frist erhielten die Brüsseler Kommissare schließlich das alleinige Initiativrecht, mussten aber dennoch alle Vorschläge der Mitgliedstaaten prüfen.307 Durch einen einstimmigen Beschluss des Rates vom 22. Dezember 2004 fanden seit dem 1. Januar 2005 schließlich die Bestimmungen des Art. 251 EGV Anwendung auf einzelne Artikel des Kapitel IV des 3. Teils EGV. Hier wurde das Entscheidungsverfahren in das Mehrheitsprinzip überführt und dem EP eine Mitentscheidungskompetenz eingeräumt. Die gerichtliche Kontrolle im Bereich der Justiz- und Innenpolitik im Rahmen des EGV wurde durch Art. 220 ff. EGV festgeschrieben, allerdings sah Art. 68 EGV erhebliche Einschränkungen der Kompetenzen des EuGH vor. So verfügte Luxemburg beispielsweise über keine Entscheidungskompetenz in Fragen, die die innere Sicherheit und die öffentliche Ordnung der Mitgliedsländer betreffen.308 Dieser Bestimmung folgend lagen zahlreiche Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung auf Grundlage von Rechtsinstrumenten der EG außerhalb der Rechtsprechungskompetenz des EuGH. Bedenkt man nun den Vorrang des Eu- Vgl. Müller (2003), S. 163. Vgl. Harings, Lothar (1998): Die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, in: EUROPARECHT, Beiheft 2/1998, S. 81-97, hier S. 86-87; vgl. auch Müller-Graff (2005), S. 23. 308 Vgl. Harings (1998), S. 87-88. 306 307 87 roparechts gegenüber nationalem Recht, kann für die Phase nach 9/11 von einem unzureichenden Rechtsschutz ausgegangen werden. Neben der Vergemeinschaftung weiter Teile der ZBJI hat der Vertrag von Amsterdam auch die Struktur der Dritten Säule erheblich reformiert. 309 Laut Art. 34 EUV war der Rat nun ermächtigt, einstimmig oder mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission oder eines Mitgliedstaates gemeinsame Standpunkte, Rahmenbeschlüsse und Beschlüsse anzunehmen sowie Übereinkommen zu verabschieden. Mit Hilfe Ersterer legte die Union die Leitlinien ihres gemeinsamen Vorgehens in bestimmten Fragen fest. Rahmenbeschlüsse und Beschlüsse besaßen keine unmittelbare Wirkung auf die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten. Sie definierten lediglich ein verbindliches Ziel für die EUStaaten und setzten somit Mindestanforderungen, gewährten den Regierungen allerdings eine freie Wahl der Mittel bei der Umsetzung der jeweiligen Maßnahmen. Während Rahmenbeschlüsse der Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften dienten, wurden Beschlüsse in jenen Angelegenheiten verwandt, in denen keine Harmonisierung vorgesehen war. Einen noch unverbindlicheren Charakter wies das Instrument des Übereinkommens auf, welches lediglich eine Empfehlung des Rates an die Mitgliedstaaten darstellte.310 Das Parlament musste beim Erlass von Rechtsakten nach dem Unionsrecht angehört werden. Dennoch blieb es trotz dieser neu eingeführten Anhörungspflicht vergleichsweise schwach. So war etwa eine Konsultation bei der Verabschiedung eines gemeinsamen Standpunktes nicht vorgesehen. Daher sind die Bestimmungen des Titel VI EUV aufgrund der fehlenden Entscheidungskompetenz der Parlamentarier und einem daraus folgendem Mangel an parlamentarischer Kontrolle sowie der Dominanz der Exekutive im sensiblen Bereich der inneren Sicherheit aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zu kritisieren.311 Die Kontrollrechte des EuGH im Bereich der Dritten Säule wurden durch den Vertrag von Amsterdam im Vergleich zum Maastrichter Vertrag deutlich ge- Vgl. Harings (1998), S. 88. Vgl. Müller (2003), S. 160-161; vgl. auch Knelangen (2001), S. 285-286. 311 Vgl. Glaeßner, Gert-Joachim/Lorenz, Astrid (2005a): Europa und die Politik der inneren Sicherheit, in: Glaeßner, Gert-Joachim/Lorenz, Astrid (Hrsg.): Europäisierung der inneren Sicherheit. Eine vergleichende Untersuchung am Beispiel von organisierter Kriminalität und Terrorismus, Wiesbaden, S. 21-41, hier S. 27; vgl. auch Müller (2003), S. 156-158. 309 310 88 stärkt. So erhielten die Luxemburger Richter durch die Vertragsrevision eine generelle Zuständigkeit für die PJZS. Dennoch unterlag die Gerichtsbarkeit einer Reihe von Einschränkungen. So entschied der Gerichtshof lediglich im Wege der Vorabentscheidung, wodurch ihm nach wie vor eine direkte Rechtskontrolle über die Rechtsakte im Rahmen der Dritten Säule entzogen wurde. Gleichzeitig waren die Mitgliedstaaten nicht an die Beachtung der EuGHEntscheidungen gebunden. So erklärte Art. 35 Abs. 2 EUV, dass „jeder Mitgliedstaat durch eine bei der Unterzeichnung des Vertrags von Amsterdam oder zu jedem späteren Zeitpunkt abgegebene Erklärung die Zuständigkeit des Gerichtshofs für Vorabentscheidungen […] anerkennen [kann].“ Diese „kannBestimmung“ erscheint hinsichtlich eines ausreichenden Rechtsschutzes bedenklich. Darüber hinaus waren die Luxemburger Richter nicht zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit polizeilicher oder anderer Strafverfolgungsmaßnahmen nationaler Behörden berechtigt, wenn diese dem Schutz der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit dienen. 312 Der Vertrag von Nizza veränderte oder ergänzte die Bestimmungen im Bereich der Innen- und Justizpolitik nur im geringen Maße.313 Hervorzuheben ist dabei sicherlich die Einführung von Eurojust zur Stärkung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Die hier kursorisch dokumentierte Zersplitterung des Rechtsrahmens des RFSR ist vor dem Hintergrund der Fragestellung der vorliegenden Untersuchung aus zwei Blickwinkeln zu kritisieren. Einerseits wurde unter diesen Voraussetzungen die Entwicklung einer kohärenten, proaktiven Antiterrorismuspolitik erschwert. So stellte der RFSR als zentrale Bezugsgröße im Kampf gegen den Terrorismus eher ein abstraktes Konstrukt als ein greifbares Instrument zur gemeinschaftlichen Politikgestaltung dar. Immer wieder mussten sich die Kommission und der Rat Rechtsgrundlagen aus verschiedenen Politikbereichen und Säulen der EU herausfiltern, um entsprechende Gesetzgebungsverfahren einzuleiten, die unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten verschiedenen Kontrollmechanismen unterlagen. Andererseits wurden diese Rahmenbedingungen mitunter aber auch aktiv genutzt, um die Agenda zu gestalten. So sind in einzelnen 312 313 Vgl. Müller (2003), S. 156-158. Vgl. Müller (2003), S. 166. 89 Fällen, wie weiter unten noch zu sehen sein wird, offenbar bewusst jene Verfahren gewählt wurden, die parlamentarische Mitsprache und gerichtliche Kontrolle minimierten. Eine pragmatische Sicht auf die vertrags- und sekundärrechtliche sowie institutionelle Entwicklung der europäischen Justiz- und Innenpolitik lässt aber auch eine andere, positiver gestimmte Analyse zu: „Mit den durch die Verträge von Amsterdam und Nizza schrittweise verbesserten rechtlichen Instrumenten gewann die Politik zur Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts eine ungeahnte, von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Dynamik.“314 Von besonderer Bedeutung waren dabei zum einen das 1999 vom Europäischen Rat verabschiedete Programm von Tampere sowie die politische Situation nach den Anschlägen von New York, Washington, Madrid und London.315 Dennoch waren in der politischen Praxis noch immer weitreichende Schwachstellen zu beobachten. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund beschrieb der Vertrag über eine Verfassung für Europa, der schließlich in Referenden in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt wurde, weitreichende Reformen für den RFSR. So fasste dieser die einzelnen bisher in den Titeln IV des 3. Teils EGV und VI EUV geregelten Bereiche des Raumes zu einem einheitlichen Kapitel zusammen. Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts wurde zugleich zu einem Hauptziel der EU erklärt, welches fortan denselben Rang wie die Verwirklichung des Binnenmarktes eingenommen hätte.316 So bestimmte Art. I-3 (2) des Verfassungsvertrages: „Die Union bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen und einen Binnenmarkt mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb.“ Nach Art. 13 der Verfassung sollte für die weitere Verwirklichung des RFSR eine geteilte Zuständigkeit gelten. Zukünftig wären somit sowohl die Union als Pernice, Ingolf (2005): Europäische Justizpolitik in der Perspektive der Verfassung für Europa. Zur horizontalen Dimension des europäischen Verfassungsverbundes, WHI-Paper 03/05, Berlin, S. 2. 315 Vgl. Pernice (2005), S. 2. 316 Vgl. Müller-Graff (2005), S. 13. 314 90 auch die Mitgliedstaaten berechtigt gewesen, Regelungen in diesem Bereich zu erlassen. Zudem sollten die politische und die gerichtliche Kontrolle für dieses Politikfeld verstärkt werden.317 Das Scheitern des Verfassungsvertrages bedeutete für die Terrorismusbekämpfung, dass die EU weiterhin auf einen zersplitterten Rechtsrahmen zurückgreifen musste – mit entsprechenden negativen Folgen sowohl für das Ziel eine kohärente Strategie zur Terrorismusbekämpfung zu erarbeiten als auch für den effektiven Schutz von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Mit Blick auf die Integrationsgeschichte der Union ist festzustellen, dass es während des gesamten europäischen Einigungsprozesses keinen Politikbereich gab, der sich hinsichtlich der vertraglichen Grundlagen in ähnlich schneller und umfangreicher Weise entwickelt hat wie die Justiz- und Innenpolitik.318 Gleichzeitig ergaben sich für den hier relevanten Untersuchungszeitraums vor dem Hintergrund der mangelnden parlamentarischen und der stark eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle – sowohl in der Ersten als auch in der Dritten Säule – rechtsstaatliche Bedenken. Die Wahrung der Grundrechte im Rahmen der europäischen Justiz- und Innenpolitik, welche dieser Kontrollinstrumente bedarf, scheint so bereits mit Blick auf die rechtlichen Grundlagen des RFSR nicht umfassend möglich. 2.2 Politische Konzeption Mit dem RFSR etablierte der Vertrag von Amsterdam ein neues grundlegendes Integrationsprojekt dessen Ziel es ist, „ein hohes Maß an Freiheit und Rechtsstaatlichkeit bei gleichzeitiger Gewährleistung der Sicherheit“319 für die Bürger der EU zu schaffen. Mit diesem Projekt „schufen die Vertragsparteien ein kohärentes Gesamtkonzept, um den Herausforderungen im Bereich der inneren Sicherheit und der justiziellen Zusammenarbeit wirksam begegnen zu können. Damit wurde die gemeinschafts- und uni- Vgl. Gusy, Christoph/Schewe, Christoph S. (2004): Die Rechts- und Asylpolitik der Europäischen Union, in: Weidenfeld, Werner (Hrsg.): Die Europäische Union. Politisches System und Politikbereiche, Bonn, S. 342-358, hier S. 353-354. 318 Vgl. Monar (2002b), S. 165. 319 Müller (2003), S. 146. 317 91 onsrechtliche Zielsetzung um die Gewährleistung von Freiheit, Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit als grundlegende Aufgaben eines jeden Staates erweitert.“320 Dies ist ein deutlicher Ausdruck dafür, dass die EU und deren Mitgliedstaaten heute einen ungleich größeren politischen Anspruch an den europäischen Integrationsprozess stellen als zu Beginn der Einigung.321 Erkennbar ist dies allen voran an der Bereitschaft der EU-Staaten, weitere Kompetenzen auf die Union zu übertragen, auch im Bereich der inneren Sicherheit, der zum Kernbereich staatlicher Souveränität gehört. Dies begründet sich in der Einsicht, dass die Gewährleistung von Freiheitsrechten und Rechtsstaatlichkeit einerseits und der Sicherheit andererseits u.a. die Koordination der Innen- und Justizpolitik der EU-Staaten erfordert. Insbesondere bedarf es einer zunehmenden Vereinheitlichung von Strafrechtsbestimmungen sowie der effektiveren Zusammenarbeit nationalstaatlicher Polizei- und Sicherheitsbehörden, um die Rechte eines jeden Einzelnen schützen zu können.322 Die Gründe für den Integrationsschub im Bereich der inneren Sicherheit, welchen Monar als „an exceptional carrier“323 beschreibt, sind allen voran in der zunehmenden grenzüberschreitenden Kooperation der Organisierten Kriminalität und dem steigenden Migrationsdruck zu suchen. Der wachsende Handlungsbedarf in diesen Bereichen machte deutlich, dass die EU-Staaten nur gemeinsam effektiv gegen diese Phänomene vorgehen können. Kein Land Europas kann allein etwa den Herausforderungen des internationalen Terrorismus begegnen, sondern es bedarf eines gemeinschaftlichen Vorgehens. Diese Einsicht ermöglichte eine enge zwischenstaatliche bzw. supranationale Zusammenarbeit im Bereich der Justiz- und Innenpolitik. Vor allem mit Blick auf die Verwirklichung eines Binnenmarktes wurde deutlich, dass eine gemeinsame Kriminalitätsprävention und -bekämpfung erforderlich ist. So setzt etwa die Freiheit des Personenverkehrs Ausgleichsmaßnahmen an den Außengrenzen der Union voraus.324 Ludwig (2002), S. 24. Vgl. Monar (2005), S. 33. 322 Vgl. Townsend (2003), S. 1. 323 Monar (2002b), S. 165. 324 Vgl. Schelter, Kurt (1997): Kooperation und Integration in der Europäischen Union im Bereich der Inneren Sicherheit, in: Theobald, Volkmar (Hrsg.): Von der Europäischen Union zur „Europäischen Sicherheitsunion“? Die Gemeinsame Politik der Inneren Sicherheit in der EU, 320 321 92 „Die Mitgliedstaaten sahen sich im Bereich der Innen- und Justizpolitik inneren und äußeren Herausforderungen gegenüber, die sie zwangen, die europäische Integration auf diesem Gebiet voranzutreiben, damit die EU auch weiterhin ein Garant für Frieden und Wohlstand bleibt.“325 Die Bestimmungen des Amsterdamer Vertrages zum Vorgehen beim Aufbau des RSFR waren wenig konkret und bedurften einer Systematisierung. Im Auftrag des Europäischen Rates von Cardiff verabschiedete der Rat 1998 daher den Wiener Aktionsplan326, welcher die vagen Regelungen der primärrechtlichen Grundlagen inhaltlich konkretisieren sollte. Ziel war die Strukturierung des Vorgehens der EU bei der Weiterentwicklung des Raumes. Das für die EUStaaten verbindliche Dokument beschreibt einen umfassenden Maßnahmenkatalog zur Gewährleistung von Grundrechten, zur effektiven Kriminalitätsverhütung bzw. -bekämpfung sowie zur Angleichung der nationalen Rechtssysteme. So ruft der Aktionsplan u.a. zu einer umfassenden Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und Europol auf, um die polizeiliche Kooperation zu stärken. Gleichzeitig wird festgestellt, dass eine engere Verknüpfung der europäischen Justizbehörden zur effektiven Bekämpfung der organisierten Kriminalität notwendig ist.327 Bereits im Vorfeld der Verabschiedung des Aktionsplans von Wien wurde allerdings deutlich, dass dieser die Erwartungen der Kommission, des EP und einiger Mitgliedstaaten nicht erfüllen würde. Jacques Santer, damaliger Kommissionspräsident, verkündete daher im Oktober 1998 vor dem Parlament die Idee eines Sondergipfels, der auf Basis des Amsterdamer Vertrages effektive Maßnahmen zur Verwirklichung des RFSR beschließen sollte. Auf der Tagung der Staats- und Regierungschefs im Pörtschach vom 24./25. Oktober 1998 wurde dieser Gedanke vom damaligen spanischen Premier Aznar aufgenommen und schließlich durch die österreichische Präsidentschaft in einen formellen Beschluss umgesetzt. Darin wurde die künftige finnische Präsidentschaft zur Vor- Berlin, S. 15-31, hier S. 16; vgl. auch Pastore, Ferruccio (2001): Reconciling the Prince’s two 'Arms'. Internal-external security policy coordination in the European Union, in: http://www.iss-eu.org/occasion/occ30.pdf (27. Februar 2006), S. 1-2. 325 Kraus-Vonjahr (2002), S. 20. 326 Rat der Europäischen Union/Europäische Kommission (1998). 327 Vgl. Rat der Europäischen Union/Europäische Kommission (1998). 93 bereitung eines Gipfels mit dem thematischen Schwerpunkt Justiz- und Innenpolitik beauftragt.328 Auf jenem Europäischen Gipfel, der am 15./16. Oktober 1999 in Tampere stattfand, machten die Staats- und Regierungschefs deutlich, dass sie dem Aufbau des RFSR eine große Bedeutung beimessen. So wurde in den Schlussfolgerungen des Vorsitzes erklärt, dass dieses Vorhaben „für den Europäischen Rat […] ein absolut prioritärer Punkt auf der politischen Agenda sein und auch bleiben [wird].“329 Der Gipfel von Tampere verfolgte das Ziel, die Idee eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts „mit Leben zu füllen.“ Hiermit verbunden war der Gedanke, dass die Bürger der EU in diesem Integrationsprojekt einen tatsächlichen für sie persönlich spürbaren Fortschritt wahrnehmen können. Neben der effektiveren Bekämpfung von Kriminalität durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit war dabei ein weiterer Fokus der verbesserte Zugang zur Justiz und somit der Ausbau des europaweiten Rechtsschutzes für jeden einzelnen.330 Zu diesem Zweck legten die Staats- und Regierungschefs politische Orientierungen bzw. Prioritäten fest, die klare Aufträge an den Rat und die Kommission einschlossen. Diese Prämissen wurden dabei in drei „Körbe“ unterteilt: (1) eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik, (2) ein echter europäischer Rechtsraum und (3) eine unionsweite Kriminalitätsbekämpfung.331 Mit den Schlussfolgerungen von Tampere wurde eine politische Tradition geboren, die in den kommenden Jahren bis zur Gegenwart die weitere Entwicklung der gemeinsamen europäischen Justiz- und Innenpolitik prägen sollte: Seither Vgl. Monar, Jörg (2000): Die Entwicklung des „Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“: Perspektiven nach dem Vertrag von Amsterdam und dem Europäischen Rat von Tampere, in: INTEGRATION, 23. Jg., 1/2000, S. 18-33, S. 27; vgl. auch Aalto, Pekka (2002): Outcome of the Tampere European Council: Birth of a New Project for Europe?, in: Cullen, Peter/Jund, Sarah (Hrsg.): Criminal Justice Co-operation in the European Union after Tampere, Köln, S. 9-16, hier S. 11. 329 Europäischer Rat (1999b): Schlussfolgerungen des Vorsitzes (Tampere am 15./16. Oktober 1999), in: http://europa.eu.int/council/off/conclu/oct99/oct99.htm (16. Februar 2006). 330 Vgl. Jakobi, Stephen/Mas, Sarah (2002): Achieving Balance among Liberty, Security and Justice: An Agenda for Europe, in: Cullen, Peter/Jund, Sarah (Hrsg.): Criminal Justice Cooperation in the European Union after Tampere, Köln, S. 87-92, hier S. 88. 331 Vgl. Kraus-Vonjahr (2002), S. 129; vgl. auch Elsen, Charles (2005): Die Politik im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der sich erweiternden Europäischen Union, in: Müller-Graff, Peter-Christian (Hrsg.): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, BadenBaden, S. 43-51, hier S. 44-45. 328 94 wird alle fünf Jahre durch den Europäischen Rat ein entsprechendes Programm mit strategischen und operativen Zielsetzungen verabschiedet. Hiermit verbunden erhielt die Kommission die Befugnis, die Fortschritte bei der Umsetzung der Maßnahmen in den einzelnen Mitgliedstaaten zu überprüfen. Zwar bestimmte Brüssel somit nicht die Agenda, konnte aber dennoch seinerseits einen gewissen Druck aufbauen.332 Die Umsetzungsphase des Programms von Tampere war u.a. durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 und in Madrid im März 2004 geprägt. Mit dem Haager Programm, dem zweiten Fünfjahresprogramm im Bereich Justizund Innenpolitik, sollte hierauf eine Antwort gefunden werden. Dabei wurden u.a. folgende Ziele verfolgt: Verbesserung der gemeinsamen Fähigkeit der Union und ihrer Mitgliedstaaten zur Gewährleistung der Grundrechte, der Mindestnormen für Verfahrensgarantien und des Zugangs zur Justiz; Schutz von schutzbedürftigen Menschen in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention und anderen internationalen Verträgen; Regulierung der Migrationsströme und Kontrolle der Außengrenzen der Union; Bekämpfung der organisierten grenzüberschreitenden Kriminalität und der Bedrohung durch den Terrorismus.333 Die Terrorismusbekämpfung wird im Haager Programm somit als eines der zentralen zukünftigen Handlungsfelder im Bereich der europäischen Justiz- und Innenpolitik identifiziert – neben dem Schutz der Menschenrechte und rechtsstaatlicher Standards. Eine Konkretisierung erfuhr das Haager Programm durch einen Aktionsplan der Kommission, welcher im Juni 2005 durch den Rat gebilligt wurde. Diese beiden Dokumente bestimmten fortan die gemeinschaftliche Politik in den Politikfeldern Justiz und Inneres und stellten „richtungsweisende Weichen für ei- 332 333 Vgl. Kaunert (2010), S. 14. Vgl. Rat der Europäischen Union (2005a). 95 nen europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.“ 334 Die Umsetzung des Haager Programms wurde allerdings durch das Scheitern des Verfassungsvertrages „torpediert“, waren doch viele vereinbarte Zielstellungen und Maßnahmen bereits im Hinblick auf ein reformiertes Primärrecht und der hiermit verbundenen Ausweitung der Unionskompetenzen im Bereich der Justiz- und Innenpolitik formuliert.335 Neben der immer weitergehenden Vergemeinschaftung einzelner Politikbereiche im RFSR sowie der schrittweisen Verabschiedung gemeinsamer Rechtsvorschriften zur Zusammenarbeit in der Justiz- und Innenpolitik gab es auch außerhalb des EU-Rahmens weiterführende Initiativen einzelner EU-Staaten. So unternahmen der damalige deutsche Innenminister Otto Schily und der luxemburgische Justizminister Luc Frieden mit Blick auf die langsamen Fortschritte im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit in der Union den Versuch, hier geeignete Lösungen zu finden und schnell effektive Maßnahmen umzusetzen. Der hieraus resultierende Vertrag von Prüm336 wurde am 27. Mai 2005 zwischen Belgien, Deutschland, Luxemburg, Spanien, Frankreich, den Niederlanden und Österreich unterzeichnet. Dieser sieht im Kampf gegen Terrorismus, grenzüberschreitende Kriminalität sowie illegale Migration u.a. einen automatischen Austausch von DNA- und Fingerabdruckdaten sowie Daten aus Kraftfahrzeugregistern vor. Hiermit geht das Vertragswerk deutlich über das hinaus, was bis dahin im EU-Kontext verabschiedet werden konnte. Bereits kurze Zeit später erklärten zehn weitere EU-Staaten ihre Beitrittsabsicht. Nachdem späterhin mit Finnland, der Slowakei und Ungarn drei weitere Staaten beigetreten waren, einigten sich am 12. Juni 2007 die Justiz- und Innenminister darauf, den Vertrag von Prüm in den Rechtsrahmen der Union zu überführen. Die Initiatoren des Vertrages waren von Beginn an darauf bedacht, diesen Schritt zu vollziehen. Hierfür sprechen die im Vertrag erklärte Absicht der Überführung, die festgeSchlichting (2005), S. 3. Vgl. Bures (2011), S. 70. 336 Königreich Belgien u.a. (2005): Vertrag zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande und der Republik Österreich über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration, in: http://www.bmi. bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Themen/Sicherheit/Polizei/Pruemer_Vertrag.pdf;jses sionid=58FB13B7EDFE8C5512A864CA41AAC2C8.2_cid231?__blob=publicationFile (7. Oktober 2012). 334 335 96 schriebenen Informationspflichten gegenüber Brüssel oder auch der Passus, dass Vertragsregelungen bei der Neugestaltung von EU-Rechtsakten hinter diese zurücktreten.337 Problematisch an diesem Vorgehen erscheint, neben der fehlenden Kohärenz in Bezug auf die europäische Justiz- und Innenpolitik, dass der Rückgriff auf intergouvernementale Instrumente der Zusammenarbeit außerhalb des EU-Rahmens die parlamentarische und gerichtliche Kontrolle aushebelte. Gerade in einer Phase in der das EP an Einfluss im Rechtsetzungsprozess in diesem Politikbereich gewann, wurde hier durch die Erstunterzeichner ein deutliches Zeichen zur Stärkung von Sicherheit unter Auslassung von Instrumenten des Menschenrechtsschutzes und der Kontrolle der Rechtsstaatlichkeit gesetzt.338 Zusammenfassend kann hier resümiert werden, dass die EU-Staaten seit dessen Einführung im Vertrag von Amsterdam erhebliche Anstrengungen unternommen haben, um das Integrationsprojekt RFSR rechtlich und politisch auszufüllen. Sowohl mit Blick auf verabschiedete Rechtsakte als auch mit Blick auf die Errichtung neuer Institutionen zur Umsetzung der politischen Ziele ist zu bilanzieren, dass seit der Verabschiedung des Programms von Tampere zahlreiche substanzielle Fortschritte erzielt wurden. Allen voran die Formulierung von Leitlinien und grundsätzlichen Zielen im Rahmen von Mehrjahresprogrammen, einer Besonderheit der europäischen Justiz- und Innenpolitik, war dabei ein zentrales Instrument. Kritisch ist allerdings anzumerken, dass es aufgrund von vertragsrechtlichen Rahmenbedingungen oder fehlender Bereitschaft der Mitgliedstaaten immer wieder auch zu langwierigen Gesetzgebungs- bzw. Umsetzungsprozessen gekommen ist. Dies wird im Politikfeld der Terrorismusbekämpfung sehr deutlich. Viele der im Aktionsplan vom September 2001 aufgeführten Maßnahmen und Instrumente fanden sich bereits auf der Agenda von Tampere, konnten in der Folge jedoch nicht umgesetzt werden, da die erforderlichen Mehrheiten nicht gefunden wurden. Es bedurfte erst der veränderten Vgl. Niemeier, Michael/Zerbst, Petra (2007): Der Vertrag von Prüm – vertiefte grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur Kriminalitätsbekämpfung in der EU. Die Überführung des Vertrages von Prüm in den Rechtsrahmen der EU, in: ERA Forum, 8/2007, S. 535-547, hier S. 536-538. 338 Vgl. Balzacq, Thierry u.a. (2006): Security and the Two-Level Game: The Treaty of Prüm, the EU and the Management of Threats, in: http://www.ceps.eu/book/security-and-the-two-levelgame-treaty.prüm-eu-and-management-threats (17. November 2009), S. 18. 337 97 politischen und sozialen Weltlage nach 9/11, um in diesem Bereich nennenswerte Fortschritte zu erreichen. 2.3 Dimensionen des Raumes Trotz der unvergleichbaren rechtlichen Entwicklung fehlt in den vertraglichen Grundlagen bisher eine umfassende und zielgeleitete Definition des RFSR. Auch der Vertrag von Lissabon, welcher den Raum als ein grundlegendes Ziel der Union festschreibt, benutzt den Begriff als offenes Ziel. Gründe hierfür sind allen voran in der Reich- bzw. Tragweite der einzelnen Dimensionen des Raumes zu suchen. „Das Bedeutungsvolumen der Trias der grundlegenden öffentlichen Güter Freiheit, Sicherheit und Recht ist so umfassend, dass eine genauere Definition unweigerlich mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre.“339 Doch ist eine solche Begriffsbestimmung unumgänglich, „denn die Begriffe Freiheit, Sicherheit und Recht sind Abstrakta, die keineswegs aus sich selbst heraus verständlich sind.“340 Der Wiener Aktionsplan unternahm den bisher weitgehendsten Versuch zur Definition der Dimensionen des Raumes. Dort bekennt sich der Rat zu einem umfassenden Begriff der Freiheit, welcher über den bloßen freien Personenverkehr innerhalb der EU hinausgeht und stellt fest, „[freedom] is also to live in a law-abiding environment in the knowledge that public authorities are using everything in their individual and collective power […] to combat and contain those how seek to deny or abuse that freedom. Freedom must also be complemented by a full range of fundamental human rights, including protection from any form of discrimination.“341 Dies verdeutlicht, dass der Raum der Freiheit auch den Schutz der Grundrechte sowie den Schutz der Bürger vor Diskriminierung umfasst. Daneben betont der Rat ausdrücklich das Recht auf Privatsphäre und den Schutz personenbezogener Daten als Teil des Raumes der Freiheit: „Another fundamental freedom deserving special attention in today’s fastdeveloping information society is that of respect for privacy and in particular the Monar (2005), S. 29. Müller-Graff (2005), S. 14. 341 Rat der Europäischen Union/Europäische Kommission (1998). 339 340 98 protection of personal data. When, in support of the development of police and judicial cooperation in criminal matters, personal data files are set up and information exchanged, it is indeed essential to strike the right balance between public security and the protection of individuals’ privacy.“342 Ziel des Raumes der Sicherheit, welcher in erster Linie die innere Sicherheit umfasst, ist die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, insbesondere des Terrorismus, des Drogen- und des Waffenhandels sowie des Menschenhandels.343 Dies bedeutet keineswegs, dass die Verantwortung der Mitgliedstaaten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung negiert wird, sondern diese soll durch ein gemeinsames europäisches Vorgehen auf dem Gebiet der justiziellen und polizeilichen Kooperation verstärkt und effektiviert werden, um den Bürgern ein Höchstmaß an Sicherheit gewähren zu können.344 Der Raum des Rechts wurde durch den Wiener Aktionsplan im Vergleich zum Vertrag von Amsterdam inhaltlich erweitert. So strebte dieser seither einen gemeinsamen Sinn für Recht und Gerechtigkeit in der Union und einen verbesserten rechtlichen Schutz der Bürger an.345 Kraus-Vonjahr definiert den Raum des Rechts als einen gemeinsamen Rechtsraum, der dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit unterliegt. Dies bedeutet aber keinesfalls die vollständige Harmonisierung der nationalen Rechtssysteme, sondern zielt allen voran auf deren verbesserte Zusammenarbeit ab.346 Grundlegend festzustellen ist, dass jede der Dimensionen des Raumes zu den fundamentalen Zielen eines modernen demokratischen Rechtsstaates gehört.347 Allerdings lässt sich aus den primärrechtlichen Formulierungen keine Verpflichtung zu einer gleichwertigen Verwirklichung dieser drei Ziele ableiten.348 Rat der Europäischen Union/Europäische Kommission (1998). Vgl. Pache, Eckhard (2005): Die EU – ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, in: Pache, Eckhard (Hrsg.): Die Europäische Union – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, Baden-Baden, S. 9-13, hier S. 10; vgl. auch Kraus-Vonjahr (2002), S. 32. 344 Vgl. Rat der Europäischen Union/Europäische Kommission, 1998. 345 Vgl. Rat der Europäischen Union/Europäische Kommission, 1998; vgl. auch Monar (2000), S. 26. 346 Vgl. Kraus-Vonjahr (2002), S. 37. 347 Vgl. Monar (2005), S. 33. 348 Vgl. Monar (2003), S. 32. 342 343 99 Der Rat stellt im Wiener Aktionsplan bezüglich der Gewichtung der drei grundlegenden Güter des Raumes allerdings fest: „These three inseparable concepts have one common denominator people and one cannot be achieved in full without the other two. Maintaining the right balance between them must be the guiding thread for Union action.“349 Mit Blick auf die weiteren Ausführungen ist dem gegenüber aber festzustellen, dass der Schwerpunkt bei der Ausgestaltung des Raumes eindeutig beim Aspekt der Sicherheit liegt. „Nicht nur ist der dem RFSR zugrunde liegende Freiheitsbegriff bereits teilweise ein sicherheitsbezogener, sondern auch das Recht ist durch die starke Betonung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen und grenzüberschreitender Strafverfolgung teilweise vom Ziel der inneren Sicherheit geleitet.“350 Monar stellt fest, dass sich bereits in den Verträgen diese einseitige Betonung des Sicherheitsaspektes widerspiegelt. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die größten Fortschritte zur Verwirklichung des RFSR im Bereich der Sicherheit erreicht wurden.351 Das Haager Programm führt zum Verhältnis der beiden Rechtsgüter Sicherheit und Freiheit aus: „Die Sicherheit der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten ist dringlicher denn je, insbesondere in Anbetracht der Terroranschläge, die am 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten und am 11. März 2004 in Madrid verübt wurden. Die Bürger Europas erwarten zu Recht von der Europäischen Union, dass sie im Hinblick auf die grenzüberschreitenden Probleme wie illegale Einwanderung, Menschenhandel und -schmuggel, Terrorismus sowie organisierte Kriminalität und deren Verhütung gemeinsam und noch wirksamer vorgeht, dabei jedoch die Achtung der Grundfreiheiten und -rechte sicherstellt.“352 Ziel des Mehrjahresprogrammes ist unbestreitbar die Stärkung der Sicherheit. Freiheit und Recht stehen hier deutlich in den hinteren Reihen. 353 So spricht Bigo mit Blick auf das Haager Programm davon, dass „Sicherheit“ die beiden anderen Dimensionen des RFSR infiltriert und kontaminiert hat. Seiner AuffasRat der Europäischen Union/Europäische Kommission (1998). Monar (2005), S. 34. 351 Vgl. Monar (2002b), S. 167. 352 Rat der Europäischen Union (2005a). 353 Vgl. Bures (2011), S. 224. 349 350 100 sung nach ist „Freiheit“ hier nur ein Instrument zur Maximierung von Sicherheit.354 So ist zu befürchten, dass das was die EU unter „Freiheit“ versteht etwas anderes ist als Locke und Kant meinten. Freiheit kann und darf sich nicht darin erschöpfen, Schutz vor Gefahren seitens Dritter zu gewähren – und dies muss sich auch deutlich in der politischen Praxis zeigen, nicht nur in rhetorischen Bekenntnissen.355 „Ultimately both the credibility and legitimacy of the AFSJ as a political project will depend on whether all three of the essential public goods freedom, security and justice will be developed in balance with each other, with the freedom and justice dimension not being overshadowed in any way by the security rationale, however legitimate the latter may be.“356 Dieser Befund ist mit Blick auf das Thema der vorliegenden Arbeit von besonderer Bedeutung. Die Verwirklichung des RFSR kann in Zeiten des Kampfes gegen den Terrorismus nur gelingen, wenn bei der Verabschiedung als auch bei der Umsetzung entsprechender Antiterrorismusmaßnahmen die Grundrechte der Menschen geachtet und die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit gewahrt werden. Sowohl der Wiener Aktionsplan als auch das Haager Programm rufen die Union und die EU-Staaten zu einer Gleichgewichtung der drei Güter des Raumes auf. Doch darf diese nicht lediglich eine Versprechung mit empfehlendem Charakter bleiben, sondern muss das dem RFSR immanente Ziel darstellen. Nur so kann es schließlich vermieden werden, einen Zielkonflikt zwischen Freiheit und Sicherheit offenbar werden zu lassen. 3 Menschenrechtliche und rechtsstaatliche Normen in der EU 3.1 Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in den Verträgen Der Wunsch einen Raum zu etablieren in dem die Menschen den Schutz ihrer Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit genießen, verdeutlicht dass die Menschenrechte eine besondere Rolle in den Vorstellungen europäischer Politik einnehmen. Alston und Weiler stellen fest: „A strong commitment to human rights is Vgl. Bigo (2006), S. 35-36. Vgl. Darnstädt (2010), S. 196. 356 Monar (2002b), S. 168. 354 355 101 one of the principal characteristics of the European Union.“357 Gleichzeitig führt die Ausweitung der Kompetenzen der EU, insbesondere im Bereich der Justizund Innenpolitik, zu einer zunehmenden Verdrängung des nationalen Grundrechtsschutzes. Hieraus folgend erwächst die Verpflichtung einer Kompensation auf europäischer Ebene.358 In den folgenden Kapiteln wird analysiert, welchen Stellenwert menschenrechtliche und rechtsstaatliche Normen im Rahmen der europäischen Politik einnehmen. Hieraus lässt sich schließlich ableiten, welchen (Selbst-)Verpflichtungen – sowohl rechtlich als auch moralisch – die Union unterliegt. Diese bilden das Raster zur Bewertung der Terrorismusbekämpfung. Die Gründungsverträge der EG sahen mit Ausnahme der Warenverkehrs-, der Dienstleistungs-, der Kapitalverkehrs- und der Niederlassungsfreiheit sowie dem Diskriminierungsverbot aufgrund der Nationalität oder des Geschlechts keine positiv-rechtlichen Grundrechtsverbürgungen vor.359 Anders als die letztendlich gescheiterten Vertragsentwürfe zur Schaffung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) und einer Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) sahen die Verträge zur Gründung der EGKS, der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) keine Regelungen zu den Menschenrechten oder zum Rechtsstaatsprinzip vor. Die Gründungsväter der EG verwiesen bei dieser Entscheidung auf den nationalen Grundrechtsschutz, der nicht überlagert werden sollte und als ausreichend angesehen wurde.360 Ein weiterer Grund für das Fehlen eines eigenen Menschenrechtskataloges in den Verträgen war die Tatsache, dass die EG von Beginn an nicht auf den Schutz individueller Rechte, sondern vielmehr im Sinne der Erreichung gemeinsamer vor allem wirtschaftlicher Ziele ausgerichtet waren. Die Einfügung menschenrechtlicher Normen in die Vertragswerke schien nicht erforderlich, da die Verletzung von Freiheitsrechten Alston/Weiler (1999). Vgl. Abetz (2005), S. 132. 359 Vgl. Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine (2002): Die Entwicklung des Schutzes der Grundrechte in der EU, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, 8/2002, 35. Jg., S. 329-332, hier S. 329; vgl. auch Warnken, Petra (2002): Das Verhältnis der Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Hamburg, S. 15. 360 Vgl. Abetz (2005), S. 68; vgl. auch Hummer, Waldemar (2002): Der Status der „EUGrundrechtecharta“: Politische Erklärung oder Kern einer europäischen Verfassung?, Berlin, S. 24. 357 358 102 aufgrund der rein ökonomischen Integration nicht erwartet wurde.361 Zudem hätte ein Grundrechtskatalog den Verträgen einen Anschein einer staatstragenden Verfassung geben und so zum einen wirtschaftliche Ziele, zum anderen insbesondere aber auch die Verabschiedung eines Vertrages politisch belasten können.362 Nach der Gründung der EGKS, der EURATOM und der EWG wurde jedoch schnell deutlich, dass durch die gemeinschaftliche Rechtsetzung immer wieder auch grundlegende Rechte des Einzelnen betroffen waren. „Mit dem kontinuierlichen Zuwachs an europäischer Hoheitsgewalt zeigten sich immer mehr Reibungsflächen mit individuellen Grundrechtspositionen.“363 Vor allem die Rechtsauslegung und die Rechtsprechung des EuGH zeigten deutlich, dass die fortschreitende Integration im ökonomischen und sozialen Bereich entgegen den Erwartungen der EG-Gründungsväter menschenrechtliche Probleme aufwarf.364 Der Vorrang des Gemeinschaftsrechtes gegenüber dem nationalen Recht und dessen hiermit verbundene unmittelbare Wirkung auf die Bürger machten einen Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene erforderlich.365 Seit den siebziger Jahren gab es verschiedene Versuche der EG-Organe, diesem Erfordernis Geltung in der Politik der Gemeinschaft zu verschaffen. So verpflichteten sich das EP, der Rat und die Kommission am 5. April 1977 in einer feierlich verkündeten gemeinsamen Erklärung zur Achtung der Grundrechte bei der Ausübung ihrer Kompetenzen und bei der Verfolgung der Ziele der EG.366 Dieses Bekenntnis erlangte jedoch zu keiner Zeit einen rechtsverbindlichen Charakter, sondern stellte lediglich eine Selbstbindung der Organe dar, welche Vgl. Hummer (2002), S. 17-18; vgl. auch Bogdandy, Armin (2000): The European Union as a Human Rights Organization? Human Rights and the Core of the European Union, in: Common Market Law Review, 37. Jg., S. 1307-1338, hier S. 1308. 362 Vgl. Warnken (2002), S. 18; vgl. auch Hummer (2002), S. 25. 363 Abetz (2005), S. 68. 364 Vgl. Wallrab, Annette (2004): Die Verpflichteten der Gemeinschaftsgrundrechte. Umfang und Grenzen der Bindung der Europäischen Gemeinschaft und der Mitgliedsstaaten an die Grundrechte des Europäischen Gemeinschaftsrechts, Baden-Baden, S. 23. Siehe zur Rechtsprechung des EuGH auch Kapitel 3.2. 365 Vgl. Abetz (2005), S. 70. 366 Vgl. Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Gemeinschaften/Europäische Kommission (1977): Gemeinsame Erklärung vom 5. April 1977 über die Grundrechte, in: http://europa.eu.int/eur-lex/de/accesible/treaties/de/livre602.htm (24. Mai 2006). 361 103 keiner außenstehenden Kontrolle unterlag und somit nur ein sehr geringes Schutzniveau bot.367 Der Schutz der Grundrechte fand dann 1986 mit der Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA), welche neben der Vollendung des Binnenmarktes auch den Wunsch nach einer verstärkten politischen Integration festschrieb, erstmals Eingang in das Primärrecht der EG. In der Präambel dieser ersten grundlegenden Vertragsrevision bekannten sich die EG-Staaten zur Achtung der Menschenrechte.368 Auch dieser Schritt besaß zunächst nur einen deklaratorischen Charakter. Ein weiterer wichtiger Schritt hin zu einem europäischen Grundrechtsschutz wurde durch die Verabschiedung des Vertrages von Maastricht zur Errichtung der EU 1992 vollzogen. Auch dieser enthält keinen expliziten Katalog von Grundrechten. In Artikel F Abs. 2 wird allerdings erklärt, dass „die Union […] die Grundrechte, wie sie in der […] Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben [achtet].“ Die grundlegenden Rechte des Menschen wurden so endgültig im Primärrecht der Union verankert. Nach den Revisionen der Verträge durch den Vertrag von Amsterdam und den Vertrag von Nizza schrieb der EUV in Art. 6 fest: „(1) Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam. (2) Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.“ Vgl. Abetz (2005), S. 69. Vgl. Kübler, Johanna (2002): Die Säulen der Europäischen Union: einheitliche Grundrechte? Zur Grundrechtsdivergenz zwischen der ersten und der dritten Säule am Beispiel des Datenschutzes, Baden-Baden, S. 139; vgl. auch Wallrab (2004), S. 27. 367 368 104 Nach Art. 6 EUV gehört der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit zu den grundlegenden Pfeilern auf denen die Union ruht. Bei der Ausübung hoheitlicher Gewalt sind die europäischen Institutionen daraus folgend an dieses Prinzip gebunden. Die Grundrechte, die den jeweiligen Institutionen Grenzen setzen, sind dabei die wichtigste Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips. Durch die Anerkennung der EMRK und der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechtes erfahren auch internationale Menschenrechtsnormen, wie sie beispielsweise in den Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen niedergeschrieben sind, eine Positivierung, sind in dieser Form allerdings nicht justiziabel.369 Mit Blick auf die „menschenrechtliche Pflichtentrias“ des Völkerrechts – Achtung, Schutz, Gewährleistung – wird hier deutlich, dass die EU zunächst einen ersten Schritt geht und sich selbst zur Anerkennung der Grundrechte verpflichtet. Ein eigenständiges Handeln im Sinne eines aktiven Menschenrechtsschutzes ist hieraus nicht abzuleiten. Entsprechend finden sich im Primärrecht zu jener Zeit auch keine entsprechenden Kompetenzen. Das Rechtsstaatsprinzip und der Menschenrechtsschutz erfuhren in den vergangenen Jahren eine immer tiefergreifende Verankerung im Primärrecht der Union. Seit der erstmaligen Erwähnung in der Präambel der EEA wurden die entsprechenden Vertragsbestimmungen bei den folgenden Vertragsrevisionen nach und nach inhaltlich erweitert. Die Organe sind mit Blick auf Art. 2 zur Anerkennung menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Normen verpflichtet. Allerdings ist festzustellen, dass es den Begriff „Grundrechte“ lediglich im Vertragswerk der EU gibt. Im EGV wurde ausschließlich von Diskriminierungsverboten und Wirtschaftsfreiheiten gesprochen. Neben der Festschreibung der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit als leitende Prinzipien der europäischen Politik gab und gibt das Primärrecht den Institutionen der Union zudem ein Instrument in die Hand, um Menschenrechtsverletzungen im Hoheitsgebiet der EU zu ahnden. Laut Art. 7 EUV ist es dem Rat auf begründeten Vorschlag des EP, eines Drittels der Mitgliedstaaten oder der Kommission möglich Sanktionen gegen Mitgliedstaaten, insbesondere eine Vgl. Nicolaysen, Gert (2004): Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, in: Weidenfeld, Werner (Hrsg.): Die Europäische Union. Politisches System und Politikbereiche, Bonn, S. 109-124, hier S. 110-113. 369 105 Suspendierung bestimmter Mitbestimmungs-/Mitwirkungsrechte, auszusprechen, die die Menschenrechte missachten oder verletzen. Gleichzeitig finden sich in diesem Paragraphen keine Mechanismen zur Überwachung der EUPolitik.370 Der Rückgriff auf dieses Instrument kann aber durchaus ein Indikator für die Ernsthaftigkeit europäischer Bekundungen und der Handlungsfähigkeit der Union in Menschenrechtsfragen sein. Bisher wurde Art. 7 EUV allerdings noch nie angewendet. Nach der Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen FPÖ im Jahr 2000 wurden die Kontakte zur österreichischen Regierung zwar auf ein Mindestmaß reduziert, allerdings erfolgte kein formaler Beschluss entsprechend des EU-Vertrags. 3.2 Rechtsprechung des EuGH Wie oben bereits dargestellt waren es allen voran Entscheidungen und Urteile des EuGH und des Gerichts erster Instanz (EuG), die die Notwendigkeit eines Grundrechtsschutzes auf europäischer Ebene aufzeigten. Daher wird im Folgenden die Rechtsprechung der Luxemburger Richter bezüglich der Rechtskraft internationaler und nationaler Menschenrechtsverbürgungen im Rahmen der EG- bzw. EU-Politik näher erörtert. Mit dem Inkrafttreten der Römischen Verträge am 1. Januar 1958 nahm der EuGH seine Arbeit als Rechtsprechungsorgan der Europäischen Gemeinschaften (EG) auf. Seine Aufgabe besteht in der Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge. Dabei wurden dem Gerichtshof im EGVertrag keine ausdrücklichen Kompetenzen in Grundrechtsfragen zugestanden.371 „Folgerichtig hat es der EuGH in mehreren seiner frühen Entscheidungen auch wegen mangelnder Zuständigkeit abgelehnt, europäische Rechtsakte am Maßstab nationaler Grundrechtsverbürgungen zu überprüfen.“372 Doch konnte diese Haltung aufgrund des supranationalen Charakters der EG nicht beibehalten werden, da diese eine Befugnis zum Erlass von Rechtsakten mit unmittelbarer Wirkung auf die EG-Bürger besaß.373 Die Annahme, der Grundrechtsschutz könne auch weiterhin im ausreichenden Maß durch nationale Gerichte gesichert werden, erwies sich mit Blick auf die Spruchpraxis des EuGH Vgl. Williams (2004), S. 96-97. Vgl. Warnken (2002), S. 15 sowie S. 25. 372 Leutheusser-Schnarrenberger (2002), S. 330, Hervorhebung im Original. 373 Vgl. Warnken (2002), S. 19; vgl. auch Wallrab (2004), S. 23. 370 371 106 als trügerisch. Eine lediglich mittelbare Wirkung der Gemeinschaftsgesetzgebung durch die Legislativgewalt der Mitgliedstaaten war nach Überzeugung der Luxemburger Richter in vielen Bereichen der europäischen Politik nicht gegeben.374 „Um den Vorrang des Gemeinschaftsrechts durchzusetzen, war der Gerichtshof […] gezwungen, Grundrechte zu entwickeln.“375 Und so begann der EuGH, trotz einer fehlenden vertragsrechtlichen Grundlage, Ende der sechziger Jahre den Schutz der Menschenrechte in seine Rechtsprechung aufzunehmen. Grundrechtswidrige Rechtsakte der Gemeinschaft wurden in der Folge regelmäßig für nichtig erklärt.376 In der Rechtssache Stauder377 von 1969 erkannte der EuGH erstmals ungeschriebene Gemeinschaftsgrundrechte als allgemeine Grundsätze des EGRechts an und ermöglichte so dessen Überprüfung anhand menschenrechtlicher Normen. In seinem Urteil zur Rechtssache Internationale Handelsgesellschaft378 von 1970 erklärte der Gerichtshof nochmals ausdrücklich, dass „die Beachtung der Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat [,gehört].“379 Die Anerkennung gemeinsamer mitgliedstaatlicher Verfassungsüberlieferungen im Sinne allgemei- Vgl. Hummer (2002), S. 25. Warnken (2002), S. 24. 376 Vgl. Alston/Weiler (1999). 377 Stauder/Stadt Ulm: Die Entscheidung 69/71 gewährte den EG-Staaten die Möglichkeit, Butter zu herabgesetzten Preisen an bedürftige Bürger abzugeben. In der deutschen Fassung dieser Entscheidung war zwingend vorgesehen, dass der Käufer verbilligter Butter dem Verkäufer seinen Namen preisgeben musste. In anderen Staaten waren jedoch auch andere Identifikationsmöglichkeiten vorgesehen. Der in Ulm lebende U. Stauder war berechtigt, vergünstigte Butter zu beziehen, sah aber in der Pflicht, beim Kauf seinen Namen offenbaren zu müssen, eine Verletzung seiner Grundrechte. Vgl. Pechstein, Matthias/Koenig, Christian (Hrsg.) (2003): Entscheidungen des EuGH. Studienauswahl, 2. Auflage, Tübingen, S. 44. 378 Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel: Basierend auf der Verordnung Nr. 120/67 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide erhielt die in Frankfurt/M. ansässige Internationale Handelsgesellschaft mbH gegen Hinterlegung einer entsprechenden Kaution eine Ausfuhrlizenz über 20000 Tonnen Mais. Diese Lizenz wurde bis zum 31. Dezember 1967 befristet. Während der Geltungsdauer wurde diese aber nur teilweise ausgenutzt, so dass die zuständige Behörde die Kaution für verfallen erklärte. Das durch die Internationale Handelsgesellschaft mbH angerufene Verwaltungsgericht Frankfurt/M. ersuchte den EuGH um eine Vorabentscheidung zur Rechtmäßigkeit verschiedener Verordnungspassagen. Das Verwaltungsgericht selbst vertrat die Auffassung, dass Gemeinschaftsverordnungen die durch das deutsche Grundgesetz garantierten Grundrechte achten müssen, anderenfalls müsse der Vorrang des Gemeinschaftsrechtes gegenüber dem nationalen Recht negiert werden. Vgl. Hummer, Waldemar/Vedder, Christoph (2005): Europarecht in Fällen. Die Rechtsprechung des EuGH, des EuG und deutscher und österreichischer Gerichte, 4. Auflage, Baden-Baden, S. 35. 379 Zitiert nach Hummer/Vedder (2005), S. 36. 374 375 107 ner Rechtsgrundsätze des europäischen Rechtes führte in der Folge zur Erarbeitung spezifischer Grundrechte auf EG-Ebene.380 Neben den Verfassungen der EG-Staaten als zentrale Rechtserkenntnisquellen stützte sich der EuGH bei seinen Entscheidungen bezüglich der Grundrechte auch auf die von allen Mitgliedstaaten ratifizierten völkerrechtlichen Menschenrechtsabkommen, allen voran den Konventionsrechten der EMRK.381 In seinem Urteil zur Rechtssache Nold382 vom 14. Mai 1974 stellte der EuGH fest, dass „auch die internationalen Verträge über den Schutz der Menschenrechte, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind, Hinweise geben [können], die im Rahmen des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen sind.“383 Hieraus folgt dass internationale Menschenrechtsabkommen durch die Unterzeichnung aller EG-Staaten zu einer Grundlage des Gemeinschaftsrechts werden.384 Gleichzeitig ist festzustellen, dass trotz der Tatsache, dass der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung eine materielle Bindung der Gemeinschaft an die EMRK bestätigte, er zu keiner Zeit grundsätzlich erklärte, dass die EG an die Konventionsgarantien gebunden sei.385 Seit den 1970er Jahren ist es Luxemburg gelungen, „Urteile zu wesentlichen Grundrechtsbereichen zu fällen und die entsprechenden Grundrechte auch europarechtlich zu konstituieren, das heißt, in das Gemeinschaftsrecht zu inkorporieren.“386 Unter Berufung auf die EMRK und die Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten und gestützt auf seine Kompetenz zur Wahrung des Rechts hat der Gerichtshof u.a. die Menschenwürde, das Eigentumsrecht, die Vereinigungsfreiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung und den Schutz der PriVgl. Wolf, Joachim (2002): Vom Grundrechtsschutz „in Europa“ zu allgemeinverbindlich geltenden europäischen Grundrechten – Wege der Grundrechtssicherung unterhalb der Ebene europäischer Verfassungsgebung, in: Bröhmer, Jürgen (Hrsg.): Der Grundrechtsschutz in Europa, Baden-Baden, S. 9-65, hier S. 13-16. 381 Vgl. Wolf (2002), S. 18. 382 Nold/Kommission: Aufgrund der Tatsache, dass er nicht in der Lage war, die erforderliche Mindestmenge Kohle abzunehmen, wurde der Kohlehändler Nold von der Direktbelieferung durch die Ruhrkohle AG ausgeschlossen. Entsprechende Regelungen wurden durch die Kommission verabschiedet. Durch diese Entscheidung sah Nold seine Firma gefährdet und machte eine Verletzung seiner Eigentumsgrundrechte und seiner Berufsfreiheit geltend. Vgl. Pechstein/Koenig (2003), S. 46. 383 Zitiert nach Hummer/Vedder (2005), S. 303-304. 384 Vgl. Williams (2004), S. 82. 385 Busch, Andrej Victor Mykola Wasyl (2003): Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention für den Grundrechtsschutz in der Europäischen Union. Grundrechtskontrolle des EGMR über das Recht der EU, Baden-Baden, S. 26. 386 Leutheusser-Schnarrenberger (2002), S. 330. 380 108 vatsphäre als „europäische Grundrechte“ anerkannt. Darüber hinaus etablierte er rechtsstaatliche Prinzipien wie den Vertrauensschutz oder die Verhältnismäßigkeit.387 „The European Court of Justice (ECJ) has in fact established a robust line of case law to substantiate the limitation.“388 Allerdings besitzen diese grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Verbürgungen lediglich einen Abwehrcharakter gegenüber der Hoheitsgewalt der EG bzw. der EU und begründen keine Schutz- und Gewährleistungspflichten der Gemeinschaftsorgane gegenüber den Bürgern. Hieraus ergibt sich, dass die Kommission, der Rat und das EP entsprechend der Verträge über keine Befugnisse zum Erlass von Vorschriften im Bereich des Menschenrechtsschutzes verfügen.389 In der bereits oben erwähnten gemeinsamen Erklärung vom 5. April 1977 erkannten der Ministerrat, das Parlament und die Kommission die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundrechten trotz der fehlenden vertragsrechtlichen Grundlagen als verbindliche Vorgabe für das Handeln der EG an. 390 Aber erst mit dem Unionsvertrag in der Fassung von Amsterdam wird, basierend auf der Formulierung des Art. 6 Abs. 2, dieser Schritt auch förmlich vollzogen.391 Der Vertrag von Amsterdam wies dem EuGH zudem nachträglich eine vertragliche Kompetenz in Fragen des Grundrechtsschutzes zu. Die Luxemburger Richter haben, wie eben ausgeführt, seit den 1970er Jahren einen gewissen Grundrechtsstandard für die EG bzw. die EU formuliert, welcher auf den gesamteuropäischen Rechtstraditionen beruht. Auf diesen kann sich jeder Einzelne gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaftsorgane berufen. Doch stellte die Rechtsprechung des EuGH zu keinem Zeitpunkt einen abschließenden Menschenrechtskatalog dar. Dies begründet sich vor allem darin, dass dessen Ausgestaltung unmittelbar abhängig von konkreten Verfahren war, in deren Zusammenhang der Gerichtshof Inhalte und Schranken einzelner Grundrechte klären musste.392 Gleichzeitig ist festzustellen, dass diese Rechtsprechung in Einzelfällen zu einem unübersichtlichen und komplexen Fundus an Vgl. Abetz (2005), S. 71-72. Williams (2004), S. 81. 389 Vgl. Nicolaysen, Gert (2003): Die gemeinschaftsrechtliche Begründung von Grundrechten, in: EUROPARECHT, 5/2003, 38. Jg., S. 719-743, hier S. 723-724. 390 Vgl. Wallrab (2004), S. 26. 391 Vgl. Kübler (2002), S. 140-141. 392 Vgl. Nicolaysen (2004), S. 112. 387 388 109 grundlegenden Rechten führte.393 Aufgrund der fehlenden Stringenz und Transparenz ist die Wirkungsmacht im Hinblick auf den Menschenrechtsschutz für jeden einzelnen Bürger eher als gering einzuschätzen. 3.3 Bedeutung der EMRK Aus den Trümmern des zerstörten Europas entstand am 5. Mai 1949 der Europarat. Basierend auf den Unrechtserfahrungen während des Zweiten Weltkrieges proklamierte dieser beruhend auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am 4. November 1950 die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten. In diesem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag verpflichten sich die Vertragsstaaten gegenseitig zur Einhaltung menschenrechtlicher Mindeststandards. Der Grundrechtskatalog der EMRK gewährleistet elementare Menschenrechte, Justizgrundrechte und Freiheitsrechte. So umfasst dieser etwa das Verbot der Folter, das Recht auf Leben, das Recht auf persönliche Freiheit, ein umfassendes Diskriminierungsverbot, die Meinungsfreiheit oder den Schutz der Privatsphäre. Daneben werden auch rechtsstaatliche Verfahrensgarantien wie etwa der Rechtswegeschutz gewährt. Dieser Kanon wurde seit der Unterzeichnung der Konvention durch 14 Zusatzprotokolle inhaltlich erweitert.394 „Die EMRK stellt […] heute eine Bill of Rights für den gesamten europäischen Kontinent […], die einen gemeineuropäischen Grundrechtsfreiraum geschaffen hat, dar.“395 Zur Überwachung der in diesem Übereinkommen niedergeschriebenen Rechte wurde der EGMR etabliert. Seine Einrichtung beruht auf der Überzeugung, dass neben der (verfassungs-)rechtlichen Verankerung der Grundrechte deren Überprüfung und Durchsetzung durch unabhängige Gerichte von hoher Bedeutung für ihre Geltung ist. Der europäische Menschenrechtsgerichtshof mit Sitz in Straßburg kann von jeder Person in Europa angerufen werden, die sich in ihren in der Konvention verbrieften Menschenrechten verletzt sieht. Die Entscheidungen des EGMR besitzen allerdings einen lediglich feststellenden Charakter Vgl. Hummer (2002), S. 28. Vgl. Herdegen, Matthias (2013): Europarecht, 8. Auflage, München, S. 11-12; vgl. auch Warnken (2002), S. 1-2. 395 Polakiewicz, Jörg (2003): Europäischer Menschenrechtsschutz zwischen Europarat und Europäischer Union. Zum Verhältnis von EMRK und EU-Grundrechtecharta, in: Marauhn, Thilo (Hrsg.): Die Rechtsstellung des Menschen im Völkerrecht, Tübingen, S. 37-54, hier S. 41, Hervorhebung im Original. 393 394 110 und heben somit nationale, gegen Grundrechte verstoßende Rechtsakte nicht auf, sondern verpflichten den jeweiligen Staat völkerrechtlich zur Abstellung des Verstoßes.396 Dennoch ist das System des Menschenrechtsschutzes des Europarates heute „a part of the cultural self-definition of European civilization.“397 Alle EU-Mitgliedstaaten sind zugleich Vertragsstaaten der EMRK. Somit ergibt sich für deren Bürger die Möglichkeit aufgrund nationaler Verstöße gegen die in der Konvention niedergeschriebenen Rechte vor dem EGMR zu klagen. Mit Blick auf die zunehmende Kompetenzübertragung der EU-Staaten auf die Union als Nicht-Vertragspartner der Konvention und der Tatsache, dass die EU nicht nur Rechtsakte erlässt, sondern darüber hinaus Exekutivgewalt besitzt, stellt sich die Frage, ob die Unionsbürger noch immer im vollem Umfang den Schutz der EMRK genießen können.398 Nach Überzeugung von Milke zeigt sich mit Blick auf die Formulierung von Art. 6 EUV der Wille, die Union zur Einhaltung der Konventionsrechte zu verpflichten.399 Allerdings wird im Folgenden noch deutlich werden, dass dieser These in der wissenschaftlichen Debatte nicht umfassend zugestimmt wird. In den vergangenen Jahrzehnten gab es verschiedene Ansätze die EG-Politik an das Menschenrechtsschutzregime des Europarates zu binden. So stellte beispielsweise die Kommission mit Blick auf die verstreute Rechtsprechung des EuGH bezüglich der Grundrechte bereits Ende der siebziger Jahre fest, dass es einer Systematisierung der Grundrechte in der EG bedürfe. In einem Memorandum vom 4. April 1979 schlug die Kommission daher den Beitritt der EG zur EMRK vor. Das EP unterstützte diesen Vorschlag.400 In den neunziger Jahren wurde diese Initiative schließlich vom Rat aufgenommen. Dieser gab aufgrund rechtlicher Bedenken im April 1994 ein Gutachten beim Gerichtshof in Luxemburg in Auftrag, das die Möglichkeiten eines Beitrittes der EU zur Menschenrechtskonvention prüfen sollte. Laut diesem Gutachten Vgl. Polakiewicz (2003), S. 38; vgl. auch Jarass (2005), S. 5-6. Alston/Weiler (1999). 398 Vgl. Warnken (2002), S. 83-84; vgl. auch Busch (2003), S. 19. 399 Vgl. Milke, Tile (2003): Europol und Eurojust. Zwei Institutionen zur internationalen Kriminalitätsbekämpfung und ihre justitielle Kontrolle, Göttingen, S. 203. 400 Vgl. Hummer (2002), S. 29. 396 397 111 besaß die Union zum damaligen Zeitpunkt keine Kompetenz zu einem Beitritt zur EMRK, da die Verträge keinem Organ die Befugnis zusprachen, Vorschriften auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes zu erlassen, auch wenn die Wahrung der Menschenrechte eine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Handlungen der europäischen Organe sei. Für den Beitritt der EU zur EMRK bedürfe es daher einer Revision der Verträge.401 Bei den Verhandlungen über eine europäische Verfassung wurde dieses Thema erneut problematisiert und so sah der Vertrag über die Europäische Verfassung schließlich in Art. I-9 Abs. 2 einen Beitritt der EU zur Konvention vor. Mit dessen Scheitern konnte dieses Vorhaben im Untersuchungszeitraum allerdings nicht umgesetzt werden. Gleichzeitig ist festzustellen, dass der Vertragstext der EMRK ebenfalls eine Bindung der EU an das Übereinkommen ausschloss, da nach Art. 59 Abs. 1 EMRK lediglich die Mitglieder des Europarates zur Einhaltung der Konventionsrechte verpflichtet werden konnten.402 Erst die Einfügung des Art. 59 Abs. 2 durch das 14. Zusatzprotokoll am 1. Juni 2010 schaffte die vertraglichen Voraussetzungen für einen Beitritt der Union. Im Untersuchungszeitraum besaßen somit sowohl die Menschenrechtskonvention als auch die Rechtsprechung des EGMR keine unmittelbare Wirkung auf das Gemeinschaftsrecht.403 Problematisch hieran erscheint allen voran die Tatsache, dass damit eine außenstehende Überprüfung der EU-Politik hinsichtlich der Einhaltung von Menschenrechten verhindert wurde.404 Gleichzeitig verwies der EuGH in seinem Urteil zur Rechtssache Rutili405 ausdrücklich auf die Bedeutung der EMRK für den Grundrechtsschutz in der EG.406 Jarass schlussfolgert dennoch, dass „insgesamt die ganz überwiegenden Gründe dafür [sprechen], in der Europäischen Menschenrechtskonvention […] eine bloße RechtVgl. Busch (2003), S. 27; vgl. auch Warnken (2002), S. 78-79. Vgl. Busch (2003), S. 23. 403 Vgl. Herdegen (2013), S. 44; vgl. auch Abetz (2005), S. 80. 404 Vgl. Williams (2004), S. 95-96. 405 Rutili/Minister des Inneren der Französischen Republik: Der italienische Staatsbürger Rutili wohnte und arbeitete im französischen Departement Meurthe-et-Moselle, wo er sich auch gewerkschaftlich engagierte. Nach den Unruhen von 1968 verfügte das französische Innenministerium seine Ausweisung. Diese Entscheidung wurde schließlich dadurch ersetzt, dass sein Aufenthaltsrecht durch ein Aufenthaltsverbot für die lothringischen Departements eingeschränkt wurde. Dieser Beschluss beruhte offenkundig auf seiner gewerkschaftlichen Tätigkeit und stellte somit eine Einschränkung seiner Menschenrechte dar. Vgl. Hummer/Vedder (2005), S. 572573. 406 Vgl. Warnken (2002), S. 63. 401 402 112 serkenntnisquelle zu sehen, wenn auch eine Erkenntnisquelle von besonderem Gewicht.“407 Warnken hingegen vertritt die Meinung, dass aufgrund der vertraglichen Verpflichtung aller EU-Staaten gegenüber der EMRK deren Menschenrechtsschutz auch in der Union gelte.408 Hector stellt ebenfalls fest, dass die Rechtsakte der EG bzw. der EU auch ohne Ratifikation der Menschenrechtskonvention unterliegen, da sich die Mitgliedstaaten, welche sich zur Einhaltung der in der Konvention festgeschriebenen Rechte verpflichtet haben, deren Geltung nicht durch den Verweis auf das Gemeinschaftsrecht entziehen können.409 Aus diesem Grund ergebe sich eine mittelbare Bindung der Union an die EMRK und die Rechtsprechung des europäischen Menschenrechtsgerichtshofes. Rechtsakte der EG konnten im Untersuchungszeitraum zwar nicht einer Überprüfung vor dem EGMR unterzogen werden. Allerdings ist denkbar, dass auf Gemeinschaftsrecht beruhende nationale Ausführungsakte aufgrund einer Verletzung der Konventionsrechte vor dem Straßburger Gerichtshof angefochten werden.410 Diese Auffassung wird auch durch ein Urteil des Menschenrechtsgerichtshofes vom 18. Februar 1999 in der Rechtssache Matthews411 gestützt. Hier stellten die Straßburger Richter fest, dass die Übertragung von Zuständigkeiten auf die EU deren Mitgliedstaaten nicht von der Gewährleistung der Konventionsrechte entbindet. Zwar könne der EGMR nicht über Rechtsakte der EG als solche befinden, doch seien die Mitgliedstaaten bei der Übertragung von Rechten dafür verantwortlich, die Geltung der in der EMRK niedergeschriebenen Rechte zu gewährleisten.412 Beruhend auf dieser Entscheidung wurde erstmals ein Staat wegen einer Konventionsverletzung, welche sich im Gemeinschaftsrecht begründete, verurteilt. Im Jahr 2000 begannen vor dem EGMR die Ver- Jarass (2005), S. 22. Vgl. Warnken (2002), S. 64. 409 Vgl. Hector, Pascal (2002): Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, in: Bröhmer, Jürgen (Hrsg.): Der Grundrechtsschutz in Europa, Baden-Baden, S. 180-204, hier S. 184-185. 410 Vgl. Abetz (2005), S. 80; vgl. auch Herdegen (2013), S. 44. 411 Matthews/Vereinigtes Königreich Großbritannien: Die auf Gibraltar lebende Beschwerdeführerin hatte die Teilnahme an den Europaparlamentswahlen 1994 beantragt. Das Vereinigte Königreich lehnte diesen Antrag ab, da Großbritannien das Wahlrecht nur auf das Vereinigte Königreich beschränkte und somit außerhalb lebende Staatsangehörige von den Wahlen zum Europaparlament ausgeschlossen waren. Die Beschwerdeführerin sah darin einer Verletzung des Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls der EMRK, welche das Recht auf die Teilnahme an Wahlen zu gesetzgebenden Körperschaften festschreibt. Vgl. Hummer/Vedder (2005), S. 324. 412 Vgl. Wolf, Sebastian (2003): Das Demokratiedefizit der Europäischen Union aus Sicht der Europäischen Menschenrechtskonvention, in: ZEuS, 3/2003, S. 379-397, hier S. 383-384. 407 408 113 handlungen über die Beschwerde der DRS Senator Lines413, in der alle damaligen 15 EU-Staaten wegen der Verletzung der EMRK durch auf EG-Recht basierenden Rechtsakten verklagt wurden. Wäre Straßburg auch dieser Beschwerde gefolgt, hätte dies eine direkte Kontrolle des Unionsrechtes durch den EGMR nach sich gezogen.414 Allerdings wiesen die Straßburger Richter die Klage im September 2003 ab.415 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die EMRK „als wichtiger Anknüpfungspunkt für die inhaltliche Konkretisierung ungeschriebener Grundrechte in der Gemeinschaft“416 dient. Selbst das Fehlen einer unmittelbaren Bindung begründet nicht die Nichtbeachtung von Konventionsrechten in der europäischen Politik.417 Rechtlich und moralisch besonders bedenklich wäre der Versuch nationalstaatlicher Exekutiven, über den „Umweg“ Brüssel – bei welchem sie „am Steuer sitzen“ – menschenrechtlich bedenkliche Maßnahmen an der staatlichen EMRK-Bindung vorbei zu lenken. 3.4 Charta der Grundrechte Auch aufgrund der Nicht-Mitgliedschaft der EG am Menschenrechtsschutzregime des Europarates gab es seit den frühen achtziger Jahren aus den Reihen des EP heraus verschiedene konkrete Vorschläge zur Verabschiedung eines Grundrechtskataloges für die Gemeinschaft. Dabei handelte es sich einerseits um Forderungen nach einem eigenständigen Dokument, andererseits um Grundrechtsverbürgungen im Rahmen eines Verfassungsentwurfes für eine Europäische Union. Nationale Einwände, insbesondere die Befürchtung eine Grundrechtecharta könne die Basis einer europäischen Verfassung bilden, lösten aber immer wieder große Bedenken gegenüber der Verabschiedung eines solchen Dokumentes aus.418 1989 erarbeiteten die EU-Parlamentarier dann die DRS Senator Lines/EU-Staaten: Die deutsche Reederei Senator Lines wurde gemeinsam mit anderen Reedereien aufgrund eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht von der EUKommission zu einem Bußgeld in Höhe von 13,75 Mio. € verpflichtet. Diese Summe sollte unabhängig von gegen diese Entscheidung erhobene Klagen vor dem EuGH gezahlt werden. Daraufhin reichte Senator Lines im März 2000 mit dem Verweis auf die Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes Individualbeschwerde beim EGMR gegen die damaligen EU-Staaten ein. Vgl. Hummer/Vedder, 2005, S. 326. 414 Vgl. Polakiewicz (2003), S. 42-45; vgl. auch Busch (2003), S. 20. 415 Vgl. Hummer/Vedder (2005), S. 326. 416 Wallrab (2004), S. 25. 417 Vgl. Wallrab (2004), S. 25. 418 Vgl. Hummer (2002), S. 32 sowie S. 72. 413 114 Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten, welche sich stark an der EMRK orientierte, darüber hinaus aber auch soziale Grundrechte umfasste. Ein ähnlicher Kanon an Grundrechtsverbürgungen fand sich in der 1994 vom Parlament angenommenen Entschließung zur Verfassung der Europäischen Union.419 Im Juni 1999 erklärte der Europäische Rat auf seinem Gipfel in Köln, dass „die Wahrung der Grundrechte […] ein Gründungsprinzip der Europäischen Union und unerlässliche Voraussetzung für ihre Legitimität [ist]“420 und die gegenwärtig auf der Ebene der EU gültigen Grundrechte in einer Charta zusammengefasst werden sollten. Hierzu verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs einen eigenen Beschluss zur Erarbeitung einer Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Die nachfolgende finnische Präsidentschaft wurde gebeten bis zum Gipfel von Tampere im Oktober 1999 entsprechende Voraussetzungen für die Umsetzung des Beschlusses zu schaffen.421 Mit diesem Schritt unterstrich der Europäische Rat „die besondere Bedeutung der Grundrechte für das Funktionieren einer Union als demokratisch legitimiertes Gemeinwesen.“ 422 Das Ziel der Verabschiedung einer Grundrechtecharta war dabei nicht die Veränderung der bestehenden Rechtslage, sondern das Erreichen einer größeren Transparenz für die Bürger.423 Es wurde davon ausgegangen, dass ein solches Dokument ein deutliches Zeichen dafür sei, dass die Union nicht lediglich eine Wirtschafts-, sondern darüber hinaus eine Rechts- und Wertegemeinschaft ist. Zudem mache die Charta deutlich, dass der Mensch im Mittelpunkt europäischer Politik stehe und erhöhe somit die Legitimität der Union gegenüber den Bürgern.424 Dem Beschluss von Köln folgend sollte der zu erarbeitende Grundrechtskatalog neben den Unionsbürgerrechten die Freiheits- und Gleichheitsrechte sowie die Verfahrensgrundrechte der EMRK und der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten umfassen. Ferner beschloss der Europäische Rat die Vgl. Nicolaysen (2003), S. 734; vgl. auch Jarass (2005), S. 8. Europäischer Rat (1999a): Schlussfolgerungen des Vorsitzes (Köln am 3./4. Juni 1999), in: http://europa.eu.int/abc/doc/off/bull/de/9906/i1064.htm (2. Mai 2006). 421 Vgl. Hummer (2002), S. 37-38. 422 Hummer (2002), S. 39. 423 Vgl. Abetz (2005), S. 119; vgl. auch Hector (2002), S. 181. 424 Vgl. Abetz (2005), S. 120. 419 420 115 Aufnahme sozialer und wirtschaftlicher Rechte, wie sie beispielsweise in der Europäischen Sozialcharta niedergelegt sind, wenn diese keine reinen Zielbestimmungen, sondern durchsetzbare Rechte für die Unionsbürger begründeten.425 Am 17. Dezember 1999 trat das Gremium zur Ausarbeitung der GRC in Brüssel zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Der ehemalige deutsche Bundespräsident Roman Herzog wurde zum Vorsitzenden gewählt. Auf seiner zweiten Plenarsitzung am 1./2. Februar 2000 gab sich das Gremium selbst die Bezeichnung „Konvent“. Damit wollten die Mitglieder vor allem ihre Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit betonen.426 Neben den vom Europäischen Rat vorgeschlagenen Rechtsquellen griff der Konvent bei der Formulierung der Charta auch auf Bestimmungen des EGPrimärrechtes, der Datenschutz- sowie der Bioethikkonvention des Europarates, dem SDÜ, der VN-Kinderrechtskonvention, dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie der Rechtsprechung des EuGH und des EGMR zurück.427 So werden in der Präambel neben den gemeinsamen Verfassungstraditionen explizit auch die gemeinsamen internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten als Grundlage der Grundrechtecharta genannt.428 Beruhend auf dem Mandat der Staats- und Regierungschefs vom Juni 1999 legte der Konvent dem Europäischen Rat am 2. Oktober 2000 den Entwurf für die Charta der Grundrechte der Europäischen Union vor. Dieser wurde am 7. Dezember 2000 am Rande des Gipfels von Nizza durch die Präsidentin des EP, dem Vorsitzenden des Rates und dem Präsidenten der Kommission feierlich proklamiert. Der Europäische Rat von Nizza begrüßte die Proklamation, überführte die GRC allerdings nicht in die Verträge. Dementsprechend war sie völkerrechtlich nicht bindend und erlangte damit zunächst keine unmittelbare Wirkung auf die europäische Politik. Die Charta war lediglich eine politische Vgl. Hummer (2002), S. 38-39. Vgl. Hummer (2002), S. 46. 427 Vgl. Hummer (2002), S. 39. 428 Vgl. Nicolaysen (2004), S. 113. 425 426 116 Willensbekundung der EU-Organe zur Anerkennung der darin aufgeführten Grundrechte.429 Die Endfassung der GRC umfasst neben einer Präambel 54 Artikel in folgenden sieben Kapiteln: Würde des Menschen, Freiheiten, Gleichheit, Solidarität, Bürgerrechte, justizielle Rechte und allgemeine Bestimmungen. Das erste Kapitel schließt neben der Menschenwürde das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie das Verbot der Folter und der Sklaverei ein. Über die aus der EMRK bekannten Freiheitsgewährungen (Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit u.a.) hinausgehend schreibt die Charta der Grundrechte in Kapitel 2 ein Recht auf den Schutz personenbezogener Daten fest. Das Kapitel Gleichheit umfasst den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz und eine Reihe spezifischer Diskriminierungsverbote. Die Solidarrechte beinhalten soziale Menschenrechte wie beispielsweise Arbeitnehmerschutzrechte oder das Recht auf den Zugang zu sozialen Sicherungssystemen. Kapitel 5 schließt neben den Unionsbürgerrechten Bestimmungen zu einer gerechten Verwaltung ein. Die justiziellen Rechte umfassen Verfahrensgarantien, welche bereits bisher durch den EuGH geachtet wurden.430 Anders als die EMRK kennt die Grundrechtecharta lediglich eine Schrankenklausel. So können nach Art. 52 Abs. 1 sämtliche in der Charta festgeschriebenen Rechte unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips eingeschränkt werden, wenn diese Einschränkungen „den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.“431 Im Gegensatz zur Menschenrechtskonvention des Europarates formuliert die EU-Charta somit keine notstandsfesten Grundrechte.432 Allerdings ist hierbei auf das Völkergewohnheitsrecht sowie den ius cogens, das zwingende Völkerrecht, hinzuweisen. Hier finden sich verschiedene Menschenrechte, die unter keinen Umständen – auch nicht in Notstandssituationen – einschränkbar sind. Hierzu gehören etwa das Verbot der Folter oder zahlreiche Justizgrundrechte. Vgl. Hummer (2002), S. 54-56; vgl. auch Jarass (2005), S. 9-10. Vgl. Hector (2002), S. 194-196. 431 Zitiert nach Löffler, Klaus (Hrsg.) (2002): Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage, Baden-Baden, S. 100. 432 Vgl. Polakiewicz (2003), S. 50. 429 430 117 Laut Vertragstext gilt die GRC „für die Organe und Einrichtungen der Union unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union.“433 Sie gewährt Art. 51 Abs. 1 folgend ausschließlich Grundrechtsschutz gegenüber Akten der Union. Das grundrechtsgefährdende Verhalten muss direkt oder zumindest mittelbar den EU-Organen zugerechnet werden können. Dies umfasst Rechtsakte, die von der EU selbst erlassen oder die durch die Mitgliedstaaten in Umsetzung von Gemeinschaftsrecht verabschiedet werden.434 Sowohl das EP als auch die Kommission haben in der Folge der Proklamation der Grundrechtecharta deren Wichtigkeit für die europäische Politik ausdrücklich betont und sich eine Selbstbindung auferlegt.435 Nicole Fontaine, damalige Präsidentin des EP, verkündete in einer Erklärung, dass „die Charta […] ab sofort für unsere Versammlung Gesetz sein wird. […] Von jetzt an wird die Charta unser Bezugspunkt für alle Rechtsakte sein, die unmittelbar oder mittelbar für die Unionsbürger Geltung haben.“436 Der damalige Kommissionspräsident Romano Prodi erklärte gegenüber den Medien: „Durch die feierliche Proklamation der EU-Grundrechtecharta verpflichteten sich alle Organe, diese Charta überall dort, wo die Union tätig wird, zu beachten.“437 Die GRC wurde durch ihre Proklamation Teil des gemeinschaftlichen Besitzstandes, stellte jedoch kein Primärrecht dar. Gleichzeitig war sie aber auch nicht dem Sekundärrecht zuzuordnen.438 Problematisch erschien darüber hinaus, dass die Grundrechtecharta auch Rechte festlegt, „welche die EG mangels entsprechender Kompetenz gar nicht gewähren kann.“439 Zudem fehlte dem EuGH eine Kontrollkompetenz über die Umsetzung der Charta bzw. über die Verletzung der darin verbrieften EU-Grundrechte.440 Dennoch spielten die Vorgaben der GRC auch als nicht rechtsverbindliches Dokument eine wichtige Rolle beim europäischen Grundrechtsschutz, da diese bereits vor der Ratifizierung des Lis- Zitiert nach Löffler (2002), S. 97. Vgl. Hector (2002), S. 191. 435 Vgl. Hummer (2002), S. 57-58. 436 Zitiert nach Löffler (2002), S. 16-17. 437 Zitiert nach Hummer (2002), S. 57. 438 Vgl. Hummer (2002), S. 56. 439 Warnken (2002), S. 17. 440 Vgl. Warnken (2002), S. 17. 433 434 118 sabonner Vertrages weithin faktisch geltendes Primärrecht darstellte.441 So wurde in den Erwägungsgründen neuer EU-Rechtsakte regelmäßig auf die Grundrechtecharta verwiesen. Gleichzeitig griffen der EuGH und das EuG bei der Ermittlung allgemeiner Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts auf die hier niedergelegten Grundrechte zurück, da die Charta ein Abbild der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen bietet und damit die in Art. 6 Abs. 2 genannten Grundrechte präzisierte.442 3.5 Europäische Grundrechteagentur In einem Aufsatz von 1999 konstatieren Alston und Weiler, dass die Menschenrechtspolitik der Europäischen Union einem Paradox unterliegt. Mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH, entsprechende Erklärungen des Europäischen Rates und verschiedene Initiativen der Kommission bezeichnen sie die Union als „a staunch defender of human rights“443 und stellen fest: „A strong commitment to human rights is one of the principal characteristics of the European Union.“444 Gleichzeitig mahnen Alston und Weiler aber das Fehlen einer umfassenden und kohärenten Politik im Bereich des Menschenrechtsschutzes an. Eine effektive Menschenrechtsstrategie bedarf ihnen zufolge einer systematischen Überwachung durch unabhängige Institutionen und der Unterstützung der Zivilgesellschaft. Um dies zu gewährleisten – Monitoring einerseits und die Aktivierung der Bevölkerung andererseits –, schlagen die Autoren die Gründung einer entsprechenden europäischen Agentur bzw. die Erweiterung des Aufgabenfeldes der in Wien ansässigen Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vor.445 Das politische Tauziehen um eine solche „Grundrechteagentur“, deren Aufgaben und Kompetenzen begann auf dem Europäischen Gipfel am 13. Dezember 2003. Der Europäische Rat preschte mit einem Vorschlag für die Einrichtung einer Menschenrechtsagentur vor, ohne andere Gemeinschaftsinstitutionen oder den Europarat zu konsultieren.446 Vielleicht war es dieses zweifelhafte VorVgl. Jarass (2005), S. 10. Vgl. Hummer (2002), S. 60; vgl. auch Polakiewicz (2003), S. 37-38. 443 Alston/Weiler (1999). 444 Alston/Weiler (1999). 445 Vgl. Alston/Weiler (1999). 446 Vgl. Toggenburg, Gabriel Nikolaij (2007): Die EU-Grundrechteagentur: Satellit oder Leitstern?, Berlin, S. 2. 441 442 119 gehen der Staats- und Regierungschefs, welches die Arbeit an deren Anliegen, die Ausweitung des Mandats der 1997 eingerichteten Europäischen Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und die Gründung einer Europäischen Agentur für Grundrechte, in einen langwierigen Diskussions- und Verhandlungsprozess münden ließ. Am 25. Oktober 2004 veröffentlichte die Kommission eine Mitteilung über die Einrichtung einer Grundrechteagentur im Internet. Damit verbunden war der Aufruf zu einer öffentlichen Konsultation zu Mandat, Rechten und Aufgaben der Agentur. Zahlreiche internationale Organisationen, nationale Gremien sowie Nichtregierungsorganisationen lieferten daraufhin Beiträge zur Diskussion. Am 25. Januar 2005 folgte schließlich eine öffentliche Anhörung. Als Ergebnisse der Konsultation lassen sich zusammenfassen: Die Einrichtung der Agentur wurde grundsätzlich befürwortet. Die Unabhängigkeit der Institution und die Förderung von Synergien und somit die Verhinderung der Duplizierung anderer Institutionen des Menschenrechtsschutzes sollten gewährleistet sein. Einer der zentralen Streitpunkte war die Beteiligung der Agentur im Verfahren nach Art. 7 EU-Vertrag. Während die Nichtregierungsorganisationen ein generelles Engagement in diesem Bereich befürworteten, waren die Mitgliedstaaten eher zurückhaltend.447 Auch das im November 2004 verabschiedete Haager Programm betonte die wichtige Rolle der zukünftigen Grundrechteagentur für die Verbesserung der Kohärenz und Schlüssigkeit der Menschenrechtspolitik der Union. Es dauerte dennoch 49 Monate bis der Rat am 15. Februar 2007 die Verordnung (EG) 168/2007 zur Einrichtung einer Agentur der Europäischen Union für Grundrechte verabschieden konnte. Die Diskussionen auf Ministerebene drehten sich allen voran um zwei Fragen: Zum einen wurde erörtert auf welche Politikbereiche sich die Zuständigkeit der „neuen“ Institution erstrecken solle und zum anderen war der Rat bestrebt, eine unnötige Duplizierung der Arbeit anderer Ein- Vgl. Europäische Kommission (2005a): Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für Grundrechte. Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Ermächtigung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, ihre Tätigkeiten in den Bereichen nach Titel VI des Vertrags über die Europäische Union auszuüben, in: http://europa.eu.int/comm/justice_home/doc_centre/rights/com_2005_280_de.pdf (27. August 2007). 447 120 richtungen im Bereich des Menschenrechtsschutzes, allen voran des Europarates, zu verhindern.448 Schließlich nahm die Grundrechteagentur am 1. März 2007 ihre Arbeit in Wien auf; allerdings konnte erst im März 2008 ein Direktor ernannt und der erste Mehrjahresrahmen verabschiedet werden. Das Jahr 2007 galt nicht zuletzt aus diesem Grund als eine Art Übergangsphase, in der allen voran die Arbeit der Europäischen Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit weitergeführt wurde.449 Die Errichtung der Grundrechteagentur, als „Fachzentrum für Grundrechtsfragen auf EU-Ebene“450, ist von der Überzeugung getragen, dass „eine bessere Kenntnis der Grundrechtsproblematik in der Union und eine breitere Sensibilisierung der Öffentlichkeit für diese Problematik […] dazu bei[tragen], die uneingeschränkte Achtung der Grundrechte zu gewährleisten.“451 Das vorrangige „Ziel der Agentur besteht darin, den relevanten Organen, Einrichtungen, Ämtern und Agenturen der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts in Bezug auf die Grundrechte Unterstützung zu gewähren und ihnen Fachkenntnisse bereitzustellen, um ihnen die uneingeschränkte Achtung der Grundrechte zu erleichtern, wenn sie in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich Maßnahmen einleiten oder Aktionen festlegen“452, um somit den Schutz von Menschenrechten innerhalb der EU ins Zentrum der politischen Aufmerksamkeit zu rücken.453 Die Agentur soll vergleichbare und verlässliche Informationen und Daten zur Lage der Grundrechte auf europäischer Ebene, welche ihr durch Mitgliedstaaten, Einrichtungen der Union, Forschungsinstitute, Nichtregierungsorganisationen, Drittländer oder andere internationale Organisationen, allen voran dem Europarat, übermittelt werden, zusammentragen und erfassen. Dies umfasst einerseits die Analyse von Berichten bezüglich der Ursachen, Folgen und AusVgl. Bibisidis, Thomas (2007): Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, in: http://www.europa-digital.de/dschungelbuch/nochorg/agenturen/fra.shtml (2. Juli 2007). 449 Vgl. Bibisidis (2007). 450 Europäische Kommission (2005a). 451 Rat der Europäischen Union (2007): Verordnung 168/2007 zur Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, in: OJ 2007 L 53. 452 Rat der Europäischen Union (2007). 453 Vgl. Bibisidis (2007). 448 121 wirkungen von Grundrechtsmissachtungen, andererseits die Untersuchung von Beispielen bewährter Praktiken im Bereich des Menschenrechtsschutzes. Darüber hinaus ist sie dazu angehalten, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und der Kommission Methoden und Standards im Bereich des Monitoring auf europäischer Ebene zu entwickeln.454 Des Weiteren ist die Grundrechteagentur dazu aufgefordert Maßnahmen zu ergreifen, „um die breite Öffentlichkeit für die Grundrechte zu sensibilisieren und sie über die Möglichkeiten und Verfahren zur Durchsetzung der Grundrechte zu informieren.“455 So gehören die Förderung des Dialoges und die enge Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, der beim Schutz der Grundrechte nach Auffassung des Rates eine wichtige Rolle zukommt, zu den grundlegenden Aufgaben der Agentur. Die thematischen Schwerpunkte der Arbeit der Grundrechteagentur werden in Mehrjahresrahmen, welche sich über fünf Jahre erstrecken und die Grundlage für die Jahresarbeitsprogramme darstellen, festgelegt. Dieser Arbeitsrahmen bestimmt die inhaltlichen Tätigkeitsbereiche der Agentur und wird vom Rat, nach Anhörung des EP auf Grundlage eines Vorschlages der Kommission verabschiedet.456 Die inhaltliche Arbeit der Europäischen Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wird dabei weitergeführt. Der Kampf gegen Xenophobie bildet somit weiterhin einen Arbeitsschwerpunkt der Agentur. In diesem Bereich, auch mit Blick auf die Politikbereiche Immigration und Integration, wird die Wiener Behörde nach Auffassung von Toggenburg in den kommenden Jahren die zentrale Denkfabrik in Europa darstellen, denn sowohl der Europarat als auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OECD) verfügen hier nicht über ein solch konzentriertes Wissen.457 In Abgrenzung zum Aufgabenfeld des Europarates ist deutlich hervorzuheben, dass sich die Grundrechteagentur ausschließlich mit der Frage beschäftigt, ob der Aquis der EU und dessen Umsetzung in den Mitgliedstaaten sowie in den Beitrittskandidatenländern mit den Grundrechten vereinbar ist. Straßburg hin- Vgl. Europäischer Rat (2007). Rat der Europäischen Union (2007). 456 Vgl. Rat der Europäischen Union (2007). 457 Vgl. Toggenburg (2007), S. 7. 454 455 122 gegen kann sich lediglich – bis zum Beitritt der EU zur EMRK – über den „Umweg“ der nationalen Normensetzung und Rechtspraxis mit dem Unions- und Gemeinschaftsrecht auseinandersetzen.458 Allen voran mit Blick auf Letzteres ist auf die große Bedeutung der Wiener Behörde aufmerksam zu machen: Aufgrund der direkten Wirkung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten und der Nicht-Mitgliedschaft der Union im Europarat, ist die Grundrechteagentur bis zum Beitritt der EU zur EMRK die einzige unabhängige Institution – mit Ausnahme des EuGH und verschiedener zivilgesellschaftlicher Einrichtungen –, die das Recht der Gemeinschaft bezüglich dessen Grundrechtskonformität überprüfen kann. Allerdings ist hier grundsätzlich festzustellen, dass die Agentur lediglich eine unterstützende und beratende Funktion einnimmt und keine rechtsverbindlichen Entscheidungen treffen kann. Ein weiterer Kritikpunkt ergibt sich mit Blick auf den Zuständigkeitsbereich der Wiener Behörde. Bereits in den Erwägungsgründen zur Verordnung (EG) 168/2007 wird explizit darauf hingewiesen, dass alle Staaten anerkennen, „dass die Agentur ausschließlich innerhalb des Anwendungsbereichs des Gemeinschaftsrechts tätig werden sollte.“459 Die Agentur war somit bis zum Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon ausschließlich für die in der Ersten Säule der EU geregelten Politikbereiche – etwa dem Binnenmarkt, der Wirtschafts- und Währungsunion, der Asyl- und Einwanderungspolitik, der Agrarpolitik oder der Sozialpolitik – zuständig. Sie besaß bis zu diesem Zeitpunkt keine Kompetenzen in den Bereichen der Zweiten (GASP sowie Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik) und der Dritten (PJZS) Säule. „Damit liegen eine Vielzahl von Politikbereichen, in denen die EU und die Mitgliedstaaten für die Grundrechte relevante Eingriffe vornehmen, außerhalb ihres Aufgabenbereichs.“460 In den Erwägungsgründen wird allerdings auch festgestellt, dass eine spätere Ausweitung des Zuständigkeitsbereiches der Agentur nicht ausgeschlossen ist und sich die Gemeinschaftsorgane sowie die Mitgliedstaaten auf freiwilliger Basis im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses die Fachkenntnisse der Agentur auch im Bereich der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen Vgl. Tretter, Hannes (2007): Die Grundrechteagentur der Europäischen Union: Feigenblatt oder Aufbruchsignal?, in: Deutsches Institut für Menschenrechte u.a. (Hrsg.): Jahrbuch Menschenrechte 2008, Frankfurt/M., S. 257-264, hier S. 258. 459 Rat der Europäischen Union (2007). 460 Bibisidis (2007). 458 123 zunutze machen können. Somit lag es allein am politischen Willen der relevanten Akteure, ob die Agentur in den Politikbereichen des Inneren und der Justiz eingebunden wurde.461 Die Hintergründe für den Wunsch der Kompetenzbeschränkung sind laut Toggenburg klassische Souveränitätsbedenken.462 Und auch Tretter stellt fest, dass sich insbesondere Berlin und London „bis zuletzt vehement gegen eine Zuständigkeit der Agentur im grundrechtlich hochsensiblen Bereich der Dritten Säule […] aus[sprachen], weil sie eine Überwachung ihrer Politik bei der Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität durch eine unabhängige Institution ablehnen.“463 Die Agentur hat das Recht von sich aus oder auf Ersuchen des EP, des Rates oder der Kommission Gutachten, Schlussfolgerungen oder Berichte für die Organe der Union und die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der Durchführung des Gemeinschaftsrechts abzugeben. Zentrale Fragestellung dabei ist, ob Legislativvorschläge bzw. die im Rechtsetzungsverfahren vertretenen Standpunkte im Einklang mit den Grundrechten stehen. Diese Stellungnahmen dürfen allerdings im Rahmen der Gesetzgebungsverfahren nur eingehen, wenn das jeweilige Organ darum ersucht hat. Hieraus folgend darf sich die Grundrechteagentur nicht „mit der Frage, ob ein europäisches Gesetz oder die Umsetzung eines europäischen Gesetzes in den Mitgliedstaaten rechtmäßig ist, […] befassen. Dies hat zu Folge, dass der Gesetzgebungsprozess nicht zu jedem Zeitpunkt aus menschenrechtlicher Perspektive begutachtet werden kann.“464 Auch in anderer Hinsicht sind die Befugnisse der Grundrechteagentur begrenzt: So ist die Wiener Behörde nicht befugt sich mit der Prüfung von Einzelbeschwerden europäischer Bürger auseinanderzusetzen. Zudem ist die Befassung mit der Grundrechtslage in einzelnen Mitgliedstaaten im Sinne des Art. 7 EUVertrag ausgeschlossen. Allerdings kann der Rat die Agentur um Unterstützung ersuchen, wenn ein solches Verfahren gegen einen EU-Staat eingeleitet wird. Vgl. Bibisidis (2007). Vgl. Toggenburg (2007), S. 2. 463 Tretter (2007), S. 257. 464 Bibisidis (2007). 461 462 124 Doch ist eine systematische und ständige Beobachtung der Menschenrechtssituation in einem Staat ausgeschlossen.465 Der Hauptgrund für die Einrichtung der Europäischen Agentur für Grundrechte war der Wunsch, dass dem Schutz der Grundrechte oberste Priorität im europäischen Handeln zukommt.466 Dick Oosting, damaliger Leiter des Amnesty International-Büros in Brüssel, bewertete die Einrichtung der Grundrechteagentur als Schritt in die richtige Richtung. Allerdings sei das Mandat dem Umfang der Menschenrechtsprobleme in der EU nicht entsprechend. Lediglich in den Themenbereichen Rassismus und Diskriminierung sei die Agentur gerüstet. Die Wiener Behörde könne die Menschenrechte nur schützen, so die Ansicht von Oosting, wenn ihr Auftrag umfassend sei. Viele Schlüsselbereiche fallen aber aus dem Mandat der Agentur, etwa die nationale Sicherheit oder Fälle von Polizeiübergriffen. Diese bleiben nach wie vor Sache der Mitgliedstaaten. Auch im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik gebe es Defizite. So dürfe die Agentur zwar Empfehlungen geben, besitze aber keine Überwachungsfunktion.467 Die Einschränkung des Mandats auf den Bereich des Gemeinschaftsrechts erscheint höchst unbefriedigend. Es wurde bereits festgestellt, dass die weitere Vertiefung der Integration in den Bereichen der PJZS einer Kompensation im Bereich des Menschenrechtsschutzes bedarf. Dies war im Untersuchungszeitraum faktisch ausgeschlossen. Maßnahmen in diesem Politikbereich, welche durchweg (un-)mittelbaren Bezug zu Freiheitsrechten aufweisen, können durch die Grundrechteagentur nicht kritisch begleitet werden. Dies ist auch aus dem Blickwinkel des rechtsstaatlichen Prinzips der Transparenz bedauernswert. Gerade bei Themen der inneren Sicherheit, etwa der Terrorismusbekämpfung, wäre ein Dialog mit der Zivilgesellschaft von zentraler Bedeutung. Gleichzeitig ist aber darauf hinzuweisen, dass René van der Linden, Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, auf der Sitzung der Parlamentarischen Versammlung im Juni 2006 ein Beschränkung der Zuständigkeit der Grundrechteagentur auf die Bereiche des Gemeinschaftsrechtes forderte, um so Überschneidungen mit der Arbeit des Europarates zu verhindern. Diesem Einwand Vgl. Bibisidis (2007). Vgl. Europäische Kommission (2005a). 467 Vgl. Amnesty International (2007): Grundrechteagentur ohne Rechte, in: Amnesty Journal, 4/2007. 465 466 125 ist mit Blick auf das Beispiel polizeilicher Übergriffe, wie es Oosting darstellt, sicherlich zuzustimmen, da in einem solchen Fall der Europarat aktiv werden kann. Allerdings kann dieser eine generelle Begleitung der Unionspolitik nur indirekt, im Sinne der Vertragsverpflichtungen der Mitgliedstaaten gegenüber der Europäischen Menschenrechtskonvention, gewährleisten. Der unmittelbare Einfluss nimmt mit der zunehmenden Vergemeinschaftung im Bereich der Dritten Säule ab. Die Arbeit der Wiener Behörde unterliegt gegenwärtig somit einem Paradox: Einerseits ist diese für den gesamten Bereich der Menschenrechte zuständig, doch werden einzelne Grundrechte etwa im Rahmen der europäischen Justiz- und Innenpolitik eingeschränkt oder verletzt, ist diese nicht zum Handeln befugt. Schlussendlich bleibt hier zu hoffen, dass das Mandat der Grundrechteagentur in den kommenden Jahren dem Kommissionsvorschlag entsprechend ausgeweitet wird. Kritisiert werden muss schließlich die mangelhafte Einbindung der Stellungnahmen der Agentur in den Gesetzgebungsprozess. Diese finden nur auf Ersuchen der jeweiligen Organe Eingang in den Legislativprozess. Somit ist zu befürchten, dass „unliebsame“ Gutachten nicht beachtet werden und keine Wirkung entfalten können. Anstatt einer „kann-Bestimmung“ sollte hier eine verpflichtende Regelung eingeführt werden. Zudem ist die fehlende Überwachungskompetenz als große Schwäche des Mandats anzusehen. Die Idee der Gründung einer Grundrechteagentur, wie Alston und Weiler diese formulieren, beruht auf der Überzeugung, dass eine effektive Menschenrechtspolitik eines unabhängigen Monitoring bedarf. Diese Rolle kann die Agentur gegenwärtig nicht wahrnehmen, da ihr hierfür entsprechende Befugnisse fehlen. Eine systematische Überwachung der Menschenrechtssituation in den Mitgliedstaaten ist mit Blick auf die Arbeit des Europarates nicht zwingend erforderlich. Allerdings bot die Etablierung der Grundrechteagentur die Gelegenheit, eine unabhängige Institution zur Überwachung der Unionspolitik zu schaffen. Dies wäre ein wichtiger Schritt in Richtung einer Stärkung der Menschenrechtspolitik im Sinne des EU-Vertrages. 126 Nach Auffassung von Toggenburg verfügt die Grundrechteagentur „über ein beträchtliches Potential für eine verbesserte Menschenrechtspolitik der EU.“468 Dieser Einschätzung ist nur bedingt zuzustimmen. Sicher, ein gewisses Potential ist nicht zu leugnen, doch ist fraglich, ob dieses zukünftig effektiv genutzt wird. So stellt Tretter fest, dass sich erst noch zeigen muss, ob die Agentur ein Aufbruchsignal oder ein Feigenblatt der europäischen Grundrechtspolitik ist. Seiner Auffassung nach wird dies allen voran von jenen Personen abhängen, die die Agentur aufbauen und deren Mandat mit Leben füllen. So sieht er – bei entsprechendem Mut – Chancen einer weiten Auslegung des Auftrages.469 Gleichzeitig ist die Arbeit der Europäischen Agentur für Grundrechte im großen Maße abhängig vom politischen Willen des Rates, der Kommission, des Parlaments sowie der Mitgliedstaaten. Es wird allen voran den Europaabgeordneten obliegen, die fachlichen Kompetenzen der Wiener Behörde in den Entscheidungsprozess auf Unionsebene einzubinden. 4 Zwischenfazit: Fehler im System? 4.1 Europäisches Demokratiedefizit?! Sollen die primär- und sekundärrechtlichen Rahmenbedingungen des RFSR und des Grundrechtsschutzes auf EU-Ebene als Spiegel zur Analyse der Antiterrorismuspolitik nach 9/11 dienen, muss zunächst überprüft werden ob mögliche zu beobachtende Fehlentwicklungen bereits im institutionellen Gefüge begründet liegen und somit nicht bzw. nicht allein dem Politikprozess in der Folge der Anschläge zuzurechnen sind. Es stellt sich also die Frage nach möglichen Fehlern im System. Zu untersuchen ist hierbei einerseits das immer wieder postulierte Demokratiedefizit europäischer Politik und andererseits der Vorwurf einer inkohärenten Menschenrechtspolitik. Dabei werden im folgenden Zwischenfazit hierzu keine abschließenden Betrachtungen angestellt, sondern ausschließlich in Kapitel C herausgearbeitete Aspekte unter diesen beiden Perspektiven diskutiert. Auslöser für die Debatte um ein vermeintliches Demokratiedefizit in der Union war die Ablehnung des Maastrichter Vertrages 1992 durch die dänische Bevöl468 469 Toggenburg (2007), S. 1. Vgl. Tretter (2007), S. 263. 127 kerung. Bis zu diesem Zeitpunkt ging man in Brüssel und in den Hauptstädten der EG-Staaten davon aus, dass die Bürger den europäischen Einigungsprozess grundsätzlich und nahezu uneingeschränkt befürworten. Institutionell wird das Demokratiedefizit vor allem an mangelnden Partizipationsmöglichkeiten für die Bürger sowie nationale Parlamente und das EP festgemacht. Unbestreitbar ist, dass die Machtposition der Regierungen in den EU-Staaten im Zuge des Integrationsprozesses gegenüber den nationalen Parlamenten ausgebaut wurde. Immer stärker wurden die Abgeordneten in den Mitgliedstaaten zu „Vollstreckern“ europäischer Politik. Nicht mehr sie selbst gestalteten Gesetzesvorlagen, sondern setzten jene aus Brüssel um. Gleichzeitig wurden die nationalstaatlichen Exekutiven auf europäischer Ebene immer stärker zur legislativen Gewalt. Als Rat der Europäischen Union waren und sind sie auf Unionsebene das Hauptgesetzgebungsorgan. Auch mit der immer weitergehenden Kompetenzsteigerung für die Parlamentarier in Straßburg war dieser Prozess nicht zu stoppen, da etwa das Initiativrecht bei der Kommission und den Mitgliedstaaten lag und liegt.470 Diese Entwicklung hat weitreichende Auswirkungen für die hier betrachtete Problematik. So schlussfolgern Parkes und Maurer: „Seit langem [ist] belegt, dass die Politikgestaltung auf europäischer Ebene es den sicherheitsorientierten Akteuren der nationalen Exekutiven prozedural erleichtern kann, ihre Prioritäten unter Umgehung des nationalen Parlaments und der Opposition durchzusetzen.“471 Die Verschiebung der Diskussionen über Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung in Richtung Brüssel ermöglicht so eine Erweiterung der Handlungsspielräume für die Regierungen der EU-Staaten. Nationalstaatliche Parlamente und Gerichte werden hierdurch erheblich in ihren Kontrollkompetenzen eingeschränkt.472 Beispielhaft verdeutlicht werden können die Folgen etwa mit Blick auf die Programme von Tampere (1999) und Den Haag (2004). Zu beobachten war eine klare Verschiebung des Fokus. Waren Freiheit und Rechtsstaatlichkeit im ersten Fünfjahresprogramm für die Justiz- und Innenpolitik noch tonangebend, sah dies fünf Jahre später bereits anders aus: im Zentrum stand nun der Vgl. Murswiek, Dietrich (2009): Die Lücke wächst, in: Frankfurter Rundschau vom 26. Juni 2009, S. 6. 471 Parkes/Maurer (2007), S. 16. 472 Vgl. Parkes/Maurer (2007), S. 16. 470 128 Aspekt der Sicherheit.473 Dieser Befund verstärkt sich noch einmal mit Blick auf jene Politikbereiche, die auf Unionsebene in Form intergouvernementaler Zusammenarbeit geregelt wurden, da sich diese weitgehend dem Zugriff demokratisch legitimierter Kontrollorgane entzogen. Insbesondere für den Bereich der Justiz- und Innenpolitik hat dies tiefgreifende Implikationen. Sowohl das EP als auch die nationalen Parlamente verfügten hier über sehr eingeschränkte Kompetenzen in Hinblick auf den Entscheidungsprozess. Balzacq und Carrera schlussfolgern, dass „the EU third pillar remains far from being the best democratic practice for the EU.“474 Hierzu zählten bis zum Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages weite Teile des RFSR.475 So resümiert etwa Guild, dass die Verfahren im Bereich der Terrorismusbekämpfung einen kleinen Kreis von Akteuren der Sicherheitspolitik bevorteilt, die die europäische Ebene nutzen können, um ihre Interessen in einem relativ abgeschirmten Raum diskutieren und durchsetzen zu können.476 „When they reach agreement, albeit with only a vague content, it passes to the national level with all the authority of an EU decision.“477 Demokratische Legitimität zeichnet sich in Rechtsstaaten durch eine starke parlamentarische Kontrolle der Exekutive aus. Der RFSR war bis zum Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon insbesondere ein Instrument der intergouvernementalen Dritten Säule. Eine wirkliche Überwachung des Gesetzgebungsprozesses durch das EP war hier nicht gegeben. Indirekt könnte sich aber eine demokratische Legitimität basierend auf der Verantwortlichkeit der jeweiligen Minister ableiten. Dennoch ist im historischen Rückblick festzustellen, dass „[d]er Ausbau […] repräsentativ-demokratischer Instrumente auf Gemeinschaftsebene […] mit dem umfangreichen Transfer von Hoheitsrechten nicht Vgl. Balzacq, Thierry/Carrera, Sergion (2006): The Hague Programme: The Long Road to Freedom, Security and Justice, in: Balzacq, Thierry/Carrera, Sergio (Hrsg.): Security versus Freedom? A Challenge for Europe´s Future, Aldershot, S. 1-32, hier S. 5. 474 Balzacq/Carrera (2006), S. 4. 475 Vgl. Glaeßner, Gert-Joachim (2006): Sicherheit durch Integration? Nationale und europäische Politik im Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit, in: Müller, Erwin/Schneider, Patricia (Hrsg.): Die Europäische Union im Kampf gegen den Terrorismus: Sicherheit vs. Freiheit?, Baden-Baden, S. 110-129, hier S. 125. 476 Vgl. Guild (2008), S. 175. 477 Guild (2008), S. 175. 473 129 Schritt gehalten [hat]. So ist die Möglichkeit des Einzelnen, auf Gesetzgebungsprozesse Einfluss zu nehmen, überproportional geringer geworden und das viel zitierte europäische Demokratiedefizit entstanden.“478 Dieses ergibt sich zusammenfassend aus vier Faktoren: (1) Bedeutungsverlust nationaler und regionaler Parlamente; (2) Aufhebung der Gewaltenteilung durch die starke Stellung des Rates im Gesetzgebungsprozess sowie die lediglich mittelbare Legitimierung der Ratsmitglieder; (3) schwache Stellung des EP aufgrund unzureichender Mitentscheidungsrechte sowie dem Fehlen eines europäischen Parteiensystems; (4) starke Rolle der Kommission, welche in keiner ausreichenden Form demokratisch legitimiert ist, im Gesetzgebungsprozess.479 Folgt man der Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls der EMRK, in der zentrale Kriterien für die repräsentative Demokratie in europäischen Staaten formuliert wurden, wird deutlich, dass das EUGesetzgebungsverfahren in der untersuchten Post-Nizza-Ära gegen dessen Grundsätze verstieß, da es nicht den Mindestanforderungen des Europarates bezüglich der Verfassungsorganisation entsprach – und die EU-Mitgliedstaaten somit ihre vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllen. Hiernach ist es erforderlich, dass jene Institutionen die maßgeblich am Gesetzgebungsprozess beteiligt sind, direkt gewählt sein bzw. diesen eine zweite, durch Wahlen direkt legitimierte Kammer gegenübergestellt werden muss. Dies war auf EU-Ebene nicht gegeben.480 Mit Blick auf die diagnostizierten Schwächen ergaben sich zwei mögliche Optionen, um das vorhandene Demokratiedefizit aufzuheben: Zum einen eine Stärkung des EP indem das Mitentscheidungsverfahren auf alle Politikbereiche ausgeweitet und somit eine Art Zweikammersystem geschaffen wird. Zum anderen Wolf (2003), S. 380. Vgl. Wolf (2003), S. 381. 480 Vgl. Wolf (2003), S. 393-394. 478 479 130 ein grundlegender Umbau des Rates, um so dessen Legitimation durch direkte Wahlen zu stärken.481 Im Untersuchungszeitraum litt das politische System der Europäischen Union tatsächlich an einem Mangel demokratischer Legitimität. Aufgrund der weitgehenden Marginalisierung parlamentarischer und juristischer Kontrollinstrumente im Gesetzgebungsprozess ist mit Blick auf die in Kapitel B.3 formulierten Ansprüche an eine rechtsstaatliche und menschenrechtskonforme Antiterrorpolitik von weitreichenden Schwächen zu sprechen. Der rechtliche Rahmen des RFSR selbst bot nur wenige Vorkehrungen und Instrumente, um die Gefahr einer Überreaktion im Kampf gegen den Terrorismus zu vermeiden. Gleichzeitig ist diese allerdings auch nicht als systemimmanent zu betrachten. 4.2 Inkohärenter Menschenrechtsschutz?! In kritischer Auseinandersetzung mit der europäischen Menschenrechtspolitik stellt Williams fest: „Respect for human rights formed one of the fundamental principles governing the operation of Community law.“482 Diesen Befund stärkt bereits die Tatsache, dass die Mitgliedstaaten die Union und deren Institutionen im Primärrecht zur Wahrung der Grundrechte und den Prinzipien der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet haben. Sowohl im Bereich der Rechtsetzung als auch im Bereich des Rechtsvollzuges sind Rat, Parlament und Kommission an die Grundrechte gebunden.483 Für den hier betrachteten Zeitabschnitt ist mit Blick auf die Säulenkonstruktion der EU festzustellen, dass keine einheitlichen Bestimmungen zum Grundrechtsschutz formuliert waren, sondern dieser trotz des allgemeinen Bekenntnisses in Art. 6 EUV in den drei Säulen divergierte.484 Leutheusser-Schnarrenberger beschrieb den Grundrechtsschutz auf Unionsebene vor diesem Hintergrund „als lückenhaft und unbefriedigend.“485 Vgl. Wolf (2003), S. 394-395. Williams (2004), S. 8. 483 Vgl. Wallrab (2004), S. 30-31; vgl. auch Griebenow, Olaf (2004): Demokratie- und Rechtsstaatsdefizite in Europa. Die europäische Zusammenarbeit im Bereich Inneres und Justiz, Hamburg, S. 14. 484 Vgl. Kübler (2002), S. 15. 485 Leutheusser-Schnarrenberger (2002), S. 330. 481 482 131 Vor dem Hintergrund der durch den Vertrag von Amsterdam sowie den Vertrag von Nizza gesteigerten Handlungsfähigkeit der Union im Bereich der Justiz- und Innenpolitik erscheint dieser Befund beunruhigend. Denn hierdurch erhöht sich die Gefahr grundrechtsverletzender Eingriffe durch Rechtsakte der EU-Institutionen,486 da vor allem die „Regelungen im materiellen Bereich der Dritten Säule durchweg Grund- und Freiheitsrechte [berühren] und […] besondere Gefahren für die Verletzung von Individualrechten“487 in sich bergen. Eine Expertengruppe der Kommission unter Vorsitz von Spiros Simitis konstatierte mit Blick auf die Entwicklung des Grundrechtsschutzes nach der Verabschiedung des Amsterdamer Vertrages, dass „den deutlich erkennbaren Bestrebungen, den Schutz der Grundrechte im Rahmen des Gemeinschaftsrechtes auszubauen und konkret umzusetzen, nicht minder klare Bestrebungen gegenüber [stehen], die Auswirkungen der Grundrechtsbindung im Bereich der […] dritten Säule zu begrenzen.“488 Gleichzeitig ist aber darauf hinzuweisen, dass aufgrund des intergouvernementalen Charakters der PJZS keine unmittelbar anwendbaren, möglicherweise grundrechtsverletzenden Maßnahmen durch die EU erlassen werden konnten, da diese lediglich in ihrem jeweiligen Ziel, nicht aber in der Wahl der Mittel für die Mitgliedstaaten bindend waren.489 Diese Tatsache impliziert gleichzeitig, dass sämtliche Antiterrorismusmaßnahmen im Rahmen der Dritten Säule indirekt der Gerichtsbarkeit des EGMR unterlagen, da diese eines nationalen Rechtsaktes zur Umsetzung der jeweiligen Bestimmungen bedurften. Dies galt nicht für Maßnahmen nach Titel IV des 3. Teils EGV. Hier erscheint ein Grundrechtsschutz durch die EMRK nur im geringen Maße gegeben. Zwar sind die Organe der EU bei der Rechtsetzung den Konventionsrechten verpflichtet, doch fehlt hier eine ausreichende gerichtliche und parlamentarische Kontrolle. Die Grundrechtecharta erlangte aufgrund ihres nicht rechtsverbindlichen Charakters im Untersuchungszeitraum eine geringe Bedeutung für die Justiz- und Innenpolitik der Union, sowohl im Bereich der Ersten als auch der Dritten SäuVgl. Leutheusser-Schnarrenberger (2002), S. 330. Ludwig (2002), S. 259. 488 Europäische Kommission (1999): Die Grundrechte in der Europäischen Union verbürgen – es ist Zeit zu handeln. Bericht der Expertengruppe „Grundrechte“, in: http://europa.eu.int/ comm/dgs/employment_social/publicat/fundamri/simitis_de.pdf (2. Mai 2006). 489 Vgl. Ludwig (2002), S. 262-263. 486 487 132 le. Die bloße Erwähnung der Charta in den Erwägungsgründen der Rechtsdokumente sichert dem Menschen keinen umfassenden Grundrechtsschutz. Deutlich wird dies vor dem Hintergrund, dass dem EuGH, der die Rechte der Grundrechtecharta seit deren Verabschiedung in seine Rechtsprechung einfließen lässt, in diesem Bereich der EU-Politik weitgehend die Hände gebunden sind. Er verfügt über keine Entscheidungskompetenz zu Fragen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, worunter Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung fallen. Vor dem Hintergrund einer immer tiefgreifender Beeinflussung des Lebens der Unionsbürger durch die EU ergibt sich die Notwendigkeit eines umfassenden Grundrechtsschutzes. „Insbesondere die unmittelbare Anwendung und Wirkung des Unionsrechts führt dazu, dass der Bürger in seiner Freiheitssphäre gravierend beeinträchtigt wird. […] So wie der moderne Staat der Begrenzung der Grundrechte bedurfte, ist das auch bei der Europäischen Union erforderlich.“490 Der Menschenrechtsschutz und die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit haben für die Verwirklichung des RFSR eine herausragende Bedeutung. So heißt es etwa in der Grundrechtecharta: „Die Union [gründet sich] auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität. Sie beruht auf den Grundsätzen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Sie stellt die Person in den Mittelpunkt ihres Handelns, indem sie […] einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts begründet.“491 Das hier aufgezeigte Verständnis europäischer Politik, insbesondere im RFSR, wird im Folgenden als für den Untersuchungszeitraum gegeben angesehen. Tatsächlich kann für die Zeit zwischen 9/11 und der Verabschiedung des Lissabonner Vertrags nicht von einem kohärenten Menschenrechtsschutz gesprochen werden. Allerdings lässt ein Blick auf die zahlreichen entsprechenden Bekundungen in Beschlüssen europäischer Organe, die Formulierung von Art. 6 EUV oder auch die Rechtsprechung des EuGH den Schluss zu, dass trotz fehlender Instrumente die grundsätzliche Idee, wie sie sich in obigen Zitat spiegelt, bereits vor den Anschlägen von New York und Washington zum Kernbestand europäi490 491 Jarass (2005), S. 8. Zitiert nach Läufer (2002), S. 22. 133 scher Politik zählte. Ohne entsprechende starke und effektive Instrumente zur Durchsetzung von Grundrechten sowie der gerichtlichen und parlamentarischen Kontrolle der Legislative und der Exekutive bestand im Untersuchungszeitraum allerdings tatsächlich die Gefahr, dass sich der Menschenrechtsschutz in der Union auf bloße Rhetorik beschränkt. Die vertragliche Bindung an die EMRK und die Einbindung der Grundrechtecharta in das Primärrecht der Union oder auch die weitere Stärkung der Europäischen Grundrechteagentur werden hierbei zukünftig eine zentrale Rolle spielen. Schlussendlich bleibt festzuhalten, dass im Untersuchungszeitraum tatsächlich weitreichende Fehler im System festzumachen sind. Insbesondere die weitgehende Rechtszersplitterung des Politikfeldes Justiz- und Innenpolitik sowie die Tatsache, dass der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ein abstraktes Konstrukt blieb, führten zu Intransparenz, eingeschränkter Gewaltenteilung und Rechtswegegarantie sowie unzureichender politischer Kontrolle. Zudem wurde den Grundrechten, als postuliertem Fundament des europäischen Integrationsprozesses, institutionell nur eine marginale Bedeutung beigemessen. Gerade im menschenrechtssensiblen Bereich der Politik der inneren Sicherheit wurde deren unabhängige Überprüfung erschwert bzw. nicht im selben Tempo europäisiert. Die rechtlichen und politischen Grundlagen des RFSR boten somit in der Zeit zwischen den Anschlägen von New York und Washington und dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags keine ausreichenden Vorkehrungen, um eine aus menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Sicht vollkommen unbedenkliche Antiterrorismuspolitik gewährleisten zu können. 134 D Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung 1 Grundlegende Dokumente 1.1 Erklärungen, Aktions- und Fahrplan zur Terrorismusbekämpfung Seit den 1970er Jahren hat die EU bzw. die EG immer wieder kleinere Schritte unternommen, um im Bereich der Terrorismusbekämpfung enger zu kooperieren. Hintergrund war im Besonderen die beobachtete Ineffektivität von Vorhaben in diesem Politikfeld auf Ebene der Vereinten Nationen und des Europarates. Es wurden Arbeitsgruppen eingerichtet und vollmundige Erklärungen sowie Appelle verfasst, doch oftmals stockten diese Versuche. Die bilateralen Bemühungen einzelner Staaten oder deren Sicherheitsbehörden zeigten zumeist größere Effekte. Das Phänomen terroristischer Gewalt rückte immer wieder in den Hintergrund politischer Diskussionen, sobald dessen Intensität vermeintlich abnahm. Der 11. September 2001 und später auch der 11. März 2004 sowie der 7. Juli 2005 erzeugten aber einen enormen Handlungsdruck auf europäischer Ebene und führten zur intensiveren gemeinsamen Beschäftigung mit dem Phänomen Terrorismus.492 Ein Indiz hierfür ist die Tatsache, dass die noch immer vollmundigen Erklärungen nun auch mit konkreten Maßnahmepaketen untermauert wurden. Wie sich diese gestalteten, wird auf den folgenden Seiten näher beleuchtet. Trotz des erheblichen Koordinationsaufwandes zwischen den damaligen 15 Mitgliedstaaten und den EU-Organen gelang es der Union rasch und mit großer Geschlossenheit und Eindeutigkeit auf die Geschehnisse des 11. September 2001 zu reagieren. Auf einer Sondersitzung am 12. September 2001 bezeichnete der Rat Allgemeine Angelegenheiten die Attacken vom Vortag als einen Anschlag auf die Menschheit und stellte fest, dass der Terrorismus eine Bedrohung für die Menschenrechte, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit darstellt.493 Im Vgl. Wilkinson (2006), S. 171. Vgl. Rat der Europäischen Union (2001a): Sondertagung des Rates Allgemeine Angelegenheiten am 12. September 2001 in Brüssel, in: http://ue.eu.int/ueDocs/cms_Data/docs/press Data/de/gena/11795.d1.html (16. Februar 2006); vgl. auch Knelangen, Wilhelm (2004): Die 492 493 135 Weiteren bekundeten die Außenminister der EU-Staaten ihre Entschlossenheit zum Kampf gegen terroristische Aktivitäten und erklärten: „Die Union verurteilt aufs Schärfste die Urheber dieser Akte der Barbarei und diejenigen, die sie unterstützen. Die Union und ihre Mitgliedstaaten werden keine Mühen scheuen, um dabei zu helfen, die Verantwortlichen ausfindig zu machen, vor Gericht zu stellen und zu bestrafen: es wird keinen sicheren Unterschlupf für Terroristen und diejenigen, die sie unterstützen, geben.“494 Hieraus folgend ersuchte der Rat Allgemeine Angelegenheiten den Rat Justiz und Inneres unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um das höchstmögliche Sicherheitsniveau gewährleisten und den Terrorismus effektiv bekämpfen zu können. Darüber hinaus wurden der Hohe Vertreter der GASP sowie die Kommission zur Ausarbeitung eines Berichts mit Empfehlungen bezüglich einer beschleunigten Stärkung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik aufgefordert.495 Ähnliche Formulierungen finden sich in der Gemeinsamen Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, der Präsidentin des Europäischen Parlaments, des Präsidenten der Europäischen Kommission und des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik vom 14. September 2001. Es wurde festgestellt, dass die Ereignisse vom 11. September 2001 „auch ein Anschlag auf uns alle und damit auf unsere weltoffenen, demokratischen, multikulturellen und toleranten Gesellschaften“496 waren. Das Medium einer Gemeinsamen Erklärung der führenden Institutionen und Persönlichkeiten europäischer Politik verdeutlicht, welche tiefgreifende Bedeutung die Anschläge von New York und Washington hatten und welche Gefahr der internationale Terrorismus in der Wahrnehmung Europas nun darstellte.497 In Bekräftigung der Erklärung vom 12. September 2001 wurden die UnterstütAmbitionen Europas und die Erfahrung des Scheiterns – Die Europäische Union und der „Krieg gegen den Terrorismus“, in: Pradetto, August (Hrsg.): Sicherheit und Verteidigung nach dem 11. September 2001. Akteure – Strategien – Handlungsmuster, Frankfurt/M., S. 175-200, hier S. 178. 494 Rat der Europäischen Union (2001a). 495 Vgl. Rat der Europäischen Union (2001a). 496 Europäischer Rat (2001a): Gemeinsame Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, der Präsidentin des Europäischen Parlaments, des Präsidenten der Europäischen Kommission und des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, in: http://europa.eu.int/abc/doc/off/bull/de/200109/p106004.htm (16. Februar 2006). 497 Vgl. Argomaniz (2011), S. 19. 136 zungsleistungen für terroristische Akte begrifflich weiter differenziert. Es wurde deutlich hervorgehoben, dass die (finanzielle) Förderung und Unterstützung sowie die Unterbringung von Terroristen als Verbrechen angesehen werden. Im Weiteren riefen die Vertreter der EU alle Staaten, die die Werte der Demokratie und der Toleranz teilen, zum gemeinsamen Vorgehen gegen den internationalen Terrorismus auf. Darüber hinaus wurden die VN dazu angehalten, die Terrorismusbekämpfung zur obersten Priorität auf ihrer Agenda zu erklären. Für die eigene Rolle in diesem Kampf stellten die Politiker heraus, dass sich die Union verstärkt in den internationalen Beziehungen engagieren muss, um Gerechtigkeit und Demokratie zu verteidigen, um Sicherheit und Wohlstand zu erreichen. Hierzu soll die GASP weiter ausgebaut und die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) schnellstmöglich verwirklicht werden, damit die Union in diesen Bereichen zukünftig mit starker und geeinter Stimme sprechen kann. Des Weiteren sollten die Bemühungen zur Etablierung eines echten europäischen Rechtsraumes nach Maßgabe der Beschlüsse von Tampere erhöht werden, wobei der Wunsch nach der Einführung eines europäischen Haft- und Auslieferungsbefehls direkt erwähnt wurde. Abschließend verwiesen die Verfasser der Erklärung nochmals darauf, dass das gesellschaftliche Leben unbeirrt „seinen Gang gehen wird“ und sich die europäischen Bürger nicht von Terroristen einschüchtern lassen.498 Am 20. September 2001 trat der Rat Justiz und Inneres zu einer außerordentlichen Tagung in Brüssel zusammen, „um im Sinne der seit dem Europäischen Rat (Tampere) gefassten Beschlüsse die erforderlichen Maßnahmen zur Wahrung eines höchstmöglichen Sicherheitsniveaus sowie jede andere angezeigte Maßnahme zur Bekämpfung des Terrorismus zu ergreifen.“499 Die Minister beschlossen auf alle bisher verfügbaren Instrumente – Auslieferungsübereinkommen, Europol, Pro-Eurojust500, Übereinkommen über Rechtshilfe in Straf- Vgl. Europäischer Rat (2001a). Rat der Europäischen Union (2001b): Außerordentliche Tagung des Rates Justiz, Inneres und Katastrophenschutz am 20. September 2001. Bekämpfung des Terrorismus – Schlussfolgerungen, in: http://ue.eu.int/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/jha/12019.d1.html (16. Februar 2006). 500 Bereits die Schlussfolgerungen des Gipfels von Tampere 1999 sahen die Errichtung von Eurojust vor. Im Anschluss an die Tagung der Staats- und Regierungschefs der Union kam man auf Expertenebene zu der Überzeugung, dass in der Zeit bis zur Verabschiedung eines entsprechenden Rechtsaktes, eine vorläufige Stelle zur justiziellen Zusammenarbeit – Pro-Eurojust – einge498 499 137 sachen u.Ä. – zurückzugreifen, stellten aber gleichzeitig fest, dass die Bemühungen zur Verwirklichung des RFSR mit Blick auf die Ereignisse vom 11. September 2001 forciert werden müssen. Daher formulierte der Rat zahlreiche Schlussfolgerungen zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung in der Union und zur Intensivierung der Zusammenarbeit mit den USA. Hervorzuheben wären hier der Wunsch nach der Verabschiedung eines Rahmenbeschlusses für einen Europäischen Haftbefehl, die Bekräftigung der Entschlossenheit zur Errichtung von Eurojust, die Aufforderung zu einer umfassenden und effektiven Zusammenarbeit zwischen Europol und den nationalen Polizeibehörden sowie den Nachrichtendiensten, das Ersuchen der Mitgliedstaaten zur Ratifizierung des VN-Übereinkommens zur Verhütung und Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus, die Bitte zur Verstärkung der Außengrenzkontrollen und der Wunsch nach einer verstärkten Vernetzung mit amerikanischen Sicherheitsbehörden.501 „Nach den ersten Solidaritätsbekundungen war zunächst die Umsetzung der gemeinsam formulierten Positionen in konkrete Politikangebote sowie die Entwicklung einer umfassenden, längerfristig angelegten Handlungsstrategie zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus von zentraler Bedeutung.“502 Denn es wurde, wie oben bereits angeführt, deutlich, dass die EU zwar über entsprechende Handlungsmöglichkeiten und Strukturen im Bereich der Terrorismusbekämpfung, nicht aber über einen spezifischen rechtlichen Besitzstand verfügte.503 Daher verabschiedete der Europäische Rat am 21. September 2001 auf einer außerordentlichen Tagung – dem ersten Gipfeltreffen auf dem das Phänomen des Terrorismus oberste Priorität genoss – Bezug nehmend auf die Vorarbeiten der Kommission und die Schlussfolgerungen des Rates unter der Überschrift Europäische Politik zur Bekämpfung des Terrorismus einen Aktionsplan504, der in der Folge regelmäßig fortgeschrieben und aktualisiert wurde. Dieser bildet seither das Herzstück der Antiterrorismuspolitik der EU.505 richtet werden solle, um Erfahrungen für die endgültige Schaffung dieser neuen europäischen Institution zu sammeln. Vgl. Milke (2003), S. 279. 501 Vgl. Rat der Europäischen Union (2001b). 502 Reckmann (2004), S. 39. 503 Vgl. Monar (2002a), S. 173. 504 Eine umfassende und kritische inhaltliche sowie strukturelle Bewertung des EUAktionsplanes zur Terrorismusbekämpfung bietet Bossong, Raphael (2008): The Action Plan on 138 Ziel des Treffens der Staats- und Regierungschefs war zum einen eine Analyse der internationalen Lage nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und zum anderen der Union die entsprechenden Impulse für ihr Handeln auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung zu geben.506 Der Europäische Rat wies der EU in seinen Schlussfolgerungen „eine zentrale Rolle im Kampf gegen den Terrorismus [zu], der unter der Ägide der Vereinten Nationen geführt werden müsse.“507 Darüber hinaus wurden nochmals der Wunsch und der Wille zu einem gemeinsamen Vorgehen an der Seite der USA gegen die Drahtzieher und die Unterstützer der Anschläge von New York und Washington betont. Gleichzeitig wird ausgeführt, dass sich die EU-Staaten nach Maßgabe nationaler Möglichkeiten an einem durch Resolution 1368 (2001) des SR-VN legitimierten Gegenschlag beteiligen werden. Schließlich beschreibt der Europäische Rat die Schwerpunkte der zukünftigen Antiterrorismuspolitik: das Erfordernis nach innen gerichteter Antiterrorismusmaßnahmen, der Wunsch nach einer Stärkung der GASP und der ESVP sowie die Stärkung der Kooperation mit den USA.508 Der auf dieser Sondersitzung verabschiedete Aktionsplan zielte auf eine Intensivierung der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit, auf eine Weiterentwicklung internationaler Rechtsinstrumente, eine Verhinderung der Terrorismusfinanzierung, eine Verstärkung der Flugsicherheit und eine Koordinierung der Gesamtaktion der EU ab. Dabei benannte der Europäische Rat bereits erste Maßnahmen. So beauftragten die Staats- und Regierungschefs den Rat Justiz und Inneres das gesamte in Tampere beschlossene Maßnahmenpaket umzusetzen, eine gemeinsame Terrorismusdefinition zu erarbeiten und die Verabschiedung eines Beschlusses über den EuHb vorzubereiten. Darüber hinaus wurde der Rat ersucht, mutmaßliche Terroristen in Europa zu identifizieren, um diese in einer gemeinsamen Liste terroristischer Organisationen und deren Unterstützer aufzuführen. Außerdem wies der Europäische Rat eine unverzügliche Combating Terrorism: A Flawed Instrument of EU Security Governance, in: Journal of Common Market Studies, 1/2008, S. 27-48. 505 Vgl. Reckmann (2004), S. 40-41. 506 Vgl. Europäischer Rat (2001b). 507 Thiel, Elke (2001): Das Engagement der EU nach dem 11. September, in: http://www.swpberlin.org (28. Februar 2006), S. 2. 508 Vgl. Kleine (2004), S. 38-39; vgl. auch Brady, Hugo/Keohane, Daniel (2005): Fighting Terrorism: The EU needs a Strategy not a Shopping List, in: http://www.cer.org.uk/pdf/briefing_ terrorism_11oct05.pdf (21. Juni 2006), S. 1. 139 Übermittlung sachdienlicher Hinweise bezüglich des Terrorismus von den nationalen Sicherheitsbehörden an Europol an. Dort solle ein Expertenteam gebildet werden, welches eng mit amerikanischen Behörden zusammenarbeitet. Des Weiteren riefen die Staats- und Regierungschefs der EU dazu auf, dass internationale Abkommen zur Terrorismusbekämpfung (VN, OECD u.Ä.) umgehend umgesetzt werden. Sie wiesen auf die zentrale Bedeutung der Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus hin und forderten den Rat dazu auf, alle erforderlichen Maßnahmen in die Wege zu leiten. Der Rat Verkehr wurde aufgerufen die Luftverkehrssicherheit zu verstärken, etwa durch spezifische fachliche Ausbildung der Besatzungen und eine verbesserte Gepäckkontrolle. Gleichzeitig beauftragten die Staats- und Regierungschefs den Rat Allgemeine Angelegenheiten die Umsetzung dieses Aktionsplanes zu koordinieren und eine Impuls gebende Rolle bei der Bekämpfung des Terrorismus einzunehmen.509 Diesem Auftrag kam der Rat nach, indem er am 16. Oktober 2001 den Fahrplan zur Terrorismusbekämpfung510 vorlegte. Dieser enthält „sämtliche Maßnahmen und Initiativen, die im Rahmen des nach den Ereignissen vom 11. September 2001 beschlossenen Aktionsplans durchzuführen sind. Es handelt sich dabei um eine erschöpfende, alle betroffenen Bereiche abdeckende Liste der Maßnahmen und Instrumente, die im Laufe der nächsten Monate nach und nach vorzusehen sind, damit die verschiedenen in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates genannten politischen Ziele verwirklicht werden können.“511 Der Fahrplan, auch road map genannt, stellt eine Operationalisierung des Aktionsplanes dar und umfasste zum damaligen Zeitpunkt mehr als 200 Maßnahmen in 72 verschiedenen Bereichen.512 Wie oben bereits angedeutet ist festzustellen, dass die wenigsten Maßnahmen einen unmittelbaren Bezug zur Bekämpfung des Terrorismus aufwiesen. Vielmehr spiegelten Aktions- und Fahrplan eine Vielzahl von Vorschlägen und Initiativen wider, die der Rat bzw. die Kommission bereits vor dem 11. September Vgl. Europäischer Rat (2001b); vgl. auch Knelangen (2011), S. 511. Rat der Europäischen Union (2001c), S. 45. 511 Rat der Europäischen Union (2001c), S. 45. 512 Vgl. Monar (2002a), S. 173. 509 510 140 2001 zur Bekämpfung der schweren organisierten Kriminalität erwogen hatten. Nun, da sich eine Art „window of opportunity“ auftat, wurden diese lediglich unter eine neue Überschrift gesetzt und zu elementaren Bausteinen der Terrorismusbekämpfung erklärt.513 Knelangen spricht in diesem Kontext von einer „pragmatischen Umwidmung.“514 Dies lässt sich z.B. an der Einrichtung von Eurojust verdeutlichen: Wurde deren Notwendigkeit in Tampere noch mit einem randständigen Bezug zum Terrorismus dargelegt, gelang es im Zuge des erhöhten Handlungsdrucks durch den 11. September 2001 die bis dahin stockenden Verhandlungen zügig abzuschließen.515 Zusammenfassend kann geschlussfolgert werden, dass bei der Verabschiedung des Aktionsplanes und der Ausarbeitung des Fahrplans „offenkundig die Absicht Pate [stand], gegenüber den nationalen Öffentlichkeiten, aber auch gegenüber der internationalen Umwelt (namentlich der USA) ein deutliches Zeichen der Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit sowie der Entschlossenheit zu setzen.“516 Gusy und Schewe erachten es als positiv, dass sich auf europäischer Ebene nach dem 11. September 2001 kein Aktionismus breit machte, sondern der durch den Aktionsplan von Wien und den Gipfel von Tampere vorgegebene Weg weitergegangen wurde.517 Und auch Knelangen ist der Meinung, dass der Aktionsplan die Ernsthaftigkeit des Anliegens deutlich macht, die Bekämpfung des Terrorismus zu einem vorrangigen Ziel der Union zu machen.518 Keohane und Bradey hingegen beurteilen das Dokument eher kritisch: „The action plan looks impressive on paper, detailing measures […] that the member states have agreed to undertake“519, „but their action plan as it currently stands is little more than a long shopping list of desirable measures.“520 Und auch Bossong stellt kritisch fest: „[T]he entire Action Plan and anti-terrorism roadmap […] Vgl. Knelangen (2005), S. 405; vgl. auch Bossong (2008), S. 35. Knelangen (2011), S. 512. 515 Vgl. Knelangen (2011), S. 512. 516 Knelangen (2005), S. 405. 517 Vgl. Gusy, Christoph/Schewe, Christoph S. (2003): Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, in: Weidenfeld, Werner/Wessels, Wolfgang (Hrsg.): Jahrbuch der Europäischen Integration 2002/2003, Berlin, S. 185-192, hier S. 190. 518 Vgl. Knelangen (2005), S. 404. 519 Keohane, Daniel (2005b): One step forward, two steps back, in: http://www.cer.org.uk/pdf/ article_keohane_esharp_nov05.pdf (21. Juni 2006). 520 Brady/Keohane (2005), S. 3. 513 514 141 emerged out of a hectic garbage-can process of agenda-setting and policymaking.“521 Und tatsächlich verdeutlichte bereits der Aktionsplan ein strukturelles Problem im Bereich der europäischen Justiz- und Innenpolitik: So war, neben der Absicht neue Rechtsakte auf den Weg zu bringen, ein zweiter Schwerpunkt des Plans die zeitnahe Umsetzung bereits beschlossener bisher aber nicht in nationales Recht überführter Maßnahmen. Auch der dritte Handlungsstrang, die verstärkte Zusammenarbeit der nationalen Sicherheits- und Justizbehörden, stellte und stellt die Union vor eine fast ausweglose Herausforderung angesichts nationaler Verlustängste hinsichtlich ihrer Souveränität.522 Vor diesem Hintergrund liegt die Vermutung nahe, dass die Reaktion der EU auf 9/11 nicht auf einer hinreichenden Analyse der Bedrohungssituation beruhte, sondern nun – in einem Moment größten Handlungsdrucks – schlicht der bisher vernachlässigte Maßnahmeplan von Tampere abgearbeitet wurde, um Handlungswille und -macht zu demonstrieren.523 Unabhängig von der Frage nach der sicherheitspolitischen Effektivität dieser ersten zentralen Dokumente stellt sich noch die Frage nach den Aspekten der Freiheit und des Rechts. Mit Blick auf den Zusammenhang zwischen der Bekämpfung des Terrorismus und der Wahrung der Menschenrechte erscheint folgende Passage der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von besonderer Bedeutung: „Die Europäische Union wird ihr Engagement gegen den Terrorismus durch einen miteinander abgestimmten und interdisziplinären Ansatz verstärken, in den alle Politiken der Union einfließen. Sie wird darauf achten, dass dieser Ansatz mit den Grundrechten vereinbar ist, die das Fundament unserer Zivilisation darstellen.“524 Dieses klare Bekenntnis zur Achtung der Grundrechte ist der Maßstab, an dem sich die Union messen lassen muss. Denn die Nichtbeachtung wäre gleichbe- Bossong (2008), S. 42. Vgl. Knelangen (2001), S. 514-515. 523 Vgl. Argomaniz (2011), S. 22. 524 Europäischer Rat (2001b). 521 522 142 deutend mit der Erschütterung, wenn nicht gar dem Verlust des „Fundamentes unserer Zivilisation“. Noch deutlicher wird dieser Aspekt in den Leitlinien für ein gemeinsames Konzept zur Bekämpfung des Terrorismus525. Diese wurden bereits 1986 durch die EU aufgestellt und 1996 sowie 1999 überarbeitet. Im Jahr 2003 erfolgte schließlich eine weitere Aktualisierung, um den Entwicklungen nach 9/11 Rechnung zu tragen. Ursprünglich stellten die Leitlinien ein internes Begleitdokument zum Aktionsplan dar. 2008 wurde der Geheimhaltungsgrad allerdings verändert, so dass das Dokument fortan auch der Öffentlichkeit zugänglich war. Von besonderer Relevanz erscheint dabei folgende Passage: „Die nationalen und internationalen Bemühungen zur Bekämpfung des Terrorismus müssen mit der Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, den rechtsstaatlichen Grundsätzen und gegebenenfalls dem humanitären Recht vereinbar sein. Um der Terrorismusbekämpfung willen darf niemals Gewalt gegenüber Zivilisten ausgeübt werden. In Reaktionen auf den Terrorismus dürfen die Menschenrechte nicht verletzt werden; die Terrorismusbekämpfung muss im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht erfolgen, wie es in den entsprechenden internationalen Übereinkünften festgelegt ist. Die Menschenrechte, wie sie in diesen internationalen Übereinkünften festgelegt sind, finden auf alle Personen Anwendung, auch auf die Personen, die terroristische Handlungen begangen haben oder solcher Handlungen verdächtigt werden. Eine Einschränkung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten ist mit Ausnahme der in den entsprechenden Menschenrechtsübereinkünften vorgesehenen Fälle nicht zulässig. Zudem gibt es Rechte, von denen unter keinerlei Umständen abgewichen werden darf; insbesondere gilt dies für das Recht auf Leben, das Recht darauf, nicht gefoltert oder einer grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden, das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit und das Recht darauf, nicht wegen einer Tat oder Unterlassung, die zur Tatzeit nicht strafbar war, einer strafbaren Handlung für schuldig befunden zu werden.“526 Diese Passage bietet einen perfekten Spiegel zur Auseinandersetzung mit der menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Verträglichkeit europäischer Anti525 526 Rat der Europäischen Union (2003). Rat der Europäischen Union (2003), S. 5. 143 terrorismusmaßnahmen. Die Fakten sind mit Sicherheit weder neu noch innovativ. Doch in ihrer Ausführlichkeit und Klarheit wohl nicht zu übertreffen, auch wenn – wie noch zu sehen sein wird – mit dem Schutz personenbezogener Daten ein besonders sensibler Bereich nicht explizit aufgeführt wird. 1.2 Nach Madrid und London – neue Ansätze oder alte Forderungen? Die Anschläge von Madrid und London erhöhten den Handlungsdruck auf die Union weiter. Offenbar waren die bisher umgesetzten Maßnahmen, die zur Verfügung stehenden Instrumente oder auch der erreichte Grad der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nicht ausreichend bzw. nicht geeignet, um Anschläge wie jene in Madrid und London zu verhindern. Gefragt waren demnach noch immer effektive Strategien und Instrumente zur Terrorismusbekämpfung. Ging es nach dem 11. März 2004 noch um die Verstärkung des „Harmonisierungsschubs“, standen nach dem 7. Juli 2005 weniger neue Antiterrormaßnahmen auf der Tagesordnung als vielmehr die Festsetzung neuer Fristen zur Umsetzung bereits beschlossener Schritte.527 Die Machtlosigkeit der Union im Bereich der Terrorismusbekämpfung wird etwa dadurch deutlich, dass zum Zeitpunkt der Anschläge in der spanischen Hauptstadt noch immer neun EUStaaten den Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung, einem zentralen Instrument der EU-Antiterrorpolitik, nicht umgesetzt hatten.528 Insbesondere der Umstand, dass die Attentäter von Madrid und London in Europa aufwuchsen oder sogar hier geboren wurden, erzeugte in der Zusammenarbeit auf Unionsebene spürbare Veränderungen. Viel stärker rückte nun der Terrorismus als innenpolitische Herausforderung zutage. Eine ausschließliche Fokussierung auf die Unterstützung des globalen, von den USA angeführten Krieges gegen den Terror war nicht mehr ausreichend.529 So stellt etwa Fischer mit Blick auf die Anschläge in der spanischen Hauptstadt fest: „Konnte man sich bei 9/11 noch einreden, dass Europa zwar ein Einzugsgebiet für Schläfer, aber kein direktes Terrorziel sei, musste man nach diesem Ereignis Vgl. Kahl (2006), S. 237; vgl. auch Ambos (2006), S. 428. Vgl. Argomaniz (2011), S. 23. 529 Vgl. Knelangen (2011), S. 516. 527 528 144 der Tatsache ins Auge sehen, dass die getroffenen Maßnahmen schlicht unzureichend waren.“530 Wie weiter unten noch ausführlicher beschrieben wird, verschob sich langsam auch der Fokus der europäischen Antiterrorismuspolitik. War diese nach den Anschlägen von New York und Washington noch stark auf „Reaktion“ ausgerichtet, so war nun eine Verschiebung zugunsten präventiver Ansätze zu beobachten.531 Javier Solana, damaliger Hoher Vertreter für die GASP, formulierte in einem Gastbeitrag für die Financial Times Deutschland am 25. März 2004 mit Blick auf das am gleichen Tag beginnende Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs drei mögliche Reaktionen der EU auf den Terrorismus. Neben der Überprüfung der Zusammenarbeit mit Drittländern in diesem Bereich dringt er vor allem auf eine Effektivierung der europäischen Bemühungen. So müsse die Zusammenarbeit der Geheimdienste gestärkt, der EuHb in seiner Gänze umgesetzt, die Dokumentensicherheit sowie die Kontrollen an den Außengrenzen verbessert werden. Im Sinne einer grenzüberschreitenden Abstimmung der Maßnahmen schlägt er die Ernennung eines Antiterror-Koordinators vor. Er verdeutlicht, dass der EU weder der Wille noch die Kapazitäten fehlen, um dem Terrorismus die Stirn zu bieten. Schließlich ruft er die Bürger Europas dazu auf, die Demokratie zu verteidigen und stellt fest, dass der Terrorismus besiegt wird, indem die Grundwerte der EU eingehalten werden.532 Auf dem Gipfeltreffen am 25. März 2004 verabschiedete der Europäische Rat schließlich die Erklärung zum Kampf gegen den Terrorismus533, einem kraftvollem Statement zur Verdeutlichung der gemeinsamen Solidarität gegen terroristische Gewalt.534 Hierin machen die Staats- und Regierungschefs deutlich, dass sich die politische und die öffentliche Aufmerksamkeit sehr bald nach dem 11. September wieder anderen Themen zugewendet haben und das Phänomen Fischer (2011), S. 202. Vgl. Boer (2006), S. 83. 532 Vgl. Solana, Javier (2004): Die Europäische Demokratie gegen den Terrorismus, in: http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressdata/DE/articles/79636.pdf (23. März 2007). 533 Europäischer Rat (2004): Declaration on Combating Terrorism, in: http://europa.eu.int/ uedocs/cmsUpload/79635.pdf (8. Februar 2006). 534 Vgl. Wilkinson (2006), S. 172. 530 531 145 des Terrorismus auf der politischen Agenda in den zurückliegenden Jahren wieder an Bedeutung verloren hatte:535 „The European Council, deeply shocked by the terrorist attacks in Madrid, expresses its sympathy and solidarity to the victims, their families and to the Spanish people. The callous and cowardly attacks served as a terrible reminder of the threat posed by terrorism to our society. Acts of terrorism are attacks against the values on which the Union is founded. The Union and its Member States pledge to do everything within their power to combat all forms of terrorism in accordance with the fundamental principles of the Union, the provisions of the Charter of the United Nations and the obligations set out under United Nations Security Council Resolution 1373 (2001). The threat of terrorism affects us all. A terrorist act against one country concerns the international community as a whole. There will be neither weakness nor compromise of any kind when dealing with terrorists. No country in the world can consider itself immune. Terrorism will only be defeated by solidarity and collective action.“536 Die zentralen Zielstellungen der Union im Kampf gegen den Terrorismus sollten die wirksame Prävention, die umfassende Vorsorge und die effektive Reaktion sein. Auf der operationalen Ebene wurde allen voran über Möglichkeiten zur Verhinderung von Terroranschlägen sowie zur Bewältigung deren Folgen, den Schutz kritischer Infrastrukturen und die Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus debattiert.537 Die strategischen Ziele der Union, die fortan die Terrorismusbekämpfung bestimmen sollten, lassen sich anhand des aktualisierten und erweiterten Aktionsplans in folgenden sieben Punkten zusammenfassen: 1) Vertiefung der internationalen Kooperation und Stärkung der internationalen Instrumente zur Bekämpfung des Terrorismus; 2) Verhinderung des Zugangs von Terroristen zu finanziellen und wirtschaftlichen Quellen; 3) Erhöhung der Kapazitäten innerhalb der EU zur Verfolgung und Bestrafung von Terroristen sowie zur Verhinderung von Terroranschlägen; Vgl. Knelangen (2011), S. 516; vgl. auch Argomaniz (2011), S. 24. Europäischer Rat (2004). 537 Vgl. Europäische Kommission (2004a): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament. Terroranschläge – Prävention, Vorsorge und Reaktion, in: http://eur.lex.europa.eu/LexUriServ.do?uri=COM:2004:0698:FIN:DE:PDF (29. März 2012), S. 3. 535 536 146 4) Sicherung des internationalen Transports und die Steigerung der Effektivität von Grenzkontrollen; 5) Erhöhung der Kapazitäten zum Umgang mit den Folgen terroristischer Gewalt innerhalb der Union; 6) Verfolgung derer, die Terrorismus in irgendeiner Form unterstützen; 7) Unterstützung von Drittländern bei der Bekämpfung des Terrorismus im Rahmen der europäischen Außenpolitik. Zudem wurden die Kompetenzen relevanter Agenturen (etwa Europol) und Institutionen (etwa entsprechender Arbeitsgruppen in den Generaldirektionen von Rat und Kommission) erweitert. Schließlich schuf man neue Strukturen. Hervorzuheben ist dabei im Besonderen der Antiterrorismus-Koordinator der EU.538 Doch auch nach den Anschlägen von Madrid gelang es nicht eine klare Strategie zur Terrorismusbekämpfung zu formulieren; nicht in der Erklärung zum Kampf gegen den Terrorismus, nicht im überarbeiteten Aktionsplan, nicht im 2005 verabschiedeten Haager Programm.539 Allerdings führte der 11. März 2004 zu einer signifikanten Ausweitung der Antiterrorismus-Agenda. Dabei spielten wiederum bereits im Vorfeld geführte Debatten und diskutierte Vorschläge eine besondere Rolle.540 Pointiert dargestellt könnte der kritische Betrachter zu der Überzeugung gelangen, er sei einem alten britischen Sketch aufgesessen: „The same procedure as every year, …?“ Fast schon reflexartig reagierte die EU auf die Anschläge in Madrid. Anders als im September 2001 war man nun aber selbst betroffen; die Bedrohung- bzw. Gefährdungslage stellte sich also anders dar. Die Forderungen in den Erklärungen ähneln sich hingegen sehr – ein Indiz dafür, dass es seit 9/11 nicht gelungen ist, entsprechende Instrumente und Argumente zu entwickeln. Deutlich zum Ausdruck kommt dies in einer Einschätzung von Coolsaet: „What had been created since 9/11 as the need for urgent action ultimately became a patchwork of decisions and mechanisms so complex that even EUVgl. Argomaniz (2011), S. 25-26. Vgl. Bures (2011), S. 71. 540 Vgl. Bossong, Raphael (2012): The fight against international terrorism. Driver and yardstick for European homeland security, in: Kaunert, Christian u.a. (Hrsg.): European Homeland Security. A European strategy in making?, Abingdon, S. 57-71, hier S. 59. 538 539 147 officials – let alone the public at large – lost oversight of what have been decided, who was doing what when, and who was in charge of implementing the wide variety of decisions.“541 War also der Handlungsdruck nicht stark genug? Mangelt es nach wie vor am Einsehen über die Notwenigkeit und an der Bereitschaft zum gemeinschaftlichen Vorgehen? Ist das Konstrukt des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu abstrakt geblieben, um die damit gesteckten Ziele zu erreichen? Diese Fragen, insbesondere jene nach der Entwicklung effektiver Bekämpfungsstrategien, mussten nach den Anschlägen von London im Juli 2005 noch lauter in den Raum gestellt werden. „Die als 7/7 bekanntgewordenen Anschläge der sogenannten Rucksackbomber zeigten überdeutlich auf, dass selbst in einem Mitgliedstaat, der extrem rigorose Antiterrorismusmaßnahmen ergriffen hatte, die Gefahr von Anschlägen keineswegs gebannt ist und eine Kooperation der Mitgliedstaaten untereinander nicht ausreicht.“542 Was folgte waren entsprechende Erklärungen und Stellungnahmen. Darüber hinaus verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs mit dem Ziel der Vernetzung außen- und innenpolitischer Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Bekämpfung terroristischer Gewalt im Dezember 2005 die EU-Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus. Den „Netzwerken des Terrors“ sollten „Netzwerke gegen den Terror“ entgegengesetzt werden. So wollte die Union der fehlenden Kohärenz in der gemeinsamen Terrorabwehr begegnen.543 Stärker ins Bewusstsein rückte hier aber auch, ausgelöst u.a. durch die Ermordung des Regisseurs Theo van Gogh Ende 2004, die Notwendigkeit, gemeinsam gegen die Radikalisierung innerhalb der EU-Grenzen vorzugehen.544 Tatsächlich können die Anschläge von London als „booster for enhanced cooperation“545 angesehen werden. Coolsaet (2011), S. 230. Fischer (2011), S. 203. 543 Vgl. Bendiek, Annegret (2006): Die Terrorismusbekämpfung der EU. Schritte zu einer kohärenten Netzwerkpolitik, Berlin, S. 5. 544 Vgl. Bossong (2012), S. 60. 545 Coolsaet (2011), S. 230. 541 542 148 Die Antiterrorismusstrategie der Union ist gekennzeichnet von der Abkehr einer Konzentration auf al-Qaida als einzige Bedrohung. Anders als in früheren Papieren fungiert diese lediglich an einer Stelle als ein Beispiel. Zwar wird die Radikalisierung durch bzw. im Sinne von al-Qaida als größte terroristische Herausforderung der Union gekennzeichnet, doch wird auch die Bedrohung durch andere Terrorgruppen ernst genommen.546 Mit der Strategie umreißt die EU ihre zentralen Ziele in der Terrorismusbekämpfung: Verhinderung der Neuanwerbung von Menschen für den Terrorismus, besserer Schutz für potenzielle Ziele; Verfolgung von und Ermittlung gegen Mitglieder bestehender Terrornetze und Verbesserung der Reaktions- und Bewältigungsfähigkeit bei Terroranschlägen.547 Es wird deutlich, dass sich zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt hatte, dass repressive und somit reaktive Maßnahmen mit präventiven Instrumenten verknüpft werden müssen.548 Zudem wird noch einmal deutlich hervorgehoben, dass der Kampf gegen den Terrorismus unter Einhaltung der Menschenrechte zu führen ist. „The primary idea behind the EU´s strategy is exactly that: it contains a basic set of principles, bringing some clarity and giving some direction to the action plan.“549 Die Strategie zur Terrorabwehr formuliert somit keine neuen strategischen Ziele im Vergleich zur Erklärung zum Kampf gegen den Terrorismus, sondern strukturiert die Maßnahmen aus dem Aktionsplan zur Terrorismusbekämpfung entlang der vier Felder Prävention, Schutz, Verfolgung und Reaktion. Diese werden im Folgenden überblicksartig graphisch dargestellt und anschließend mit Fokus auf die der Arbeit zugrunde liegenden Fragestellung kurz näher beleuchtet: Vgl. Monar (2007), S. 297; vgl. auch Argomaniz (2011), S. 26; vgl. auch Bures (2011), S. 71. Vgl. Rat der Europäischen Union (2005c): Strategie der Europäischen Union zur Terrorismusbekämpfung, in: http://register.consilium.eu.int/pdf/de/05/st14/st14469-re 04.de05.pdf (24. Juni 2010), S. 6. 548 Vgl. Bures (2011), S. 72. 549 Keohane, Daniel (2006): Implementing the EU´s Counter-Terrorism Strategy. Intelligence, Emergencies, and Foreign Policy, in: Mahncke, Dieter/Monar, Jörg (Hrsg.): International Terrorism. A European Response to an Global Threat?, Brüssel, S. 63-72, hier S. 64-65. 546 547 149 Europäische Strategie zur Terrorismusbekämpfung (Dezember 2005) Zielsetzung „Terrorismus weltweit bekämpfen und dabei die Menschenrechte achten, Europa sicherer machen und es seinen Bürgern ermöglichen, in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu leben.“ Prävention Schutz „In Europa und über Europa hinaus verhindern, dass sich Menschen dem Terrorismus zuwenden, und bei den Faktoren oder Ursachen ansetzen, die zu Radikalisierung und Anwerbung von Menschen für den Terrorismus führen können.“ „Bürger und Infrastruktur schützen und die Verwundbarkeit gegenüber Anschlägen verringern, auch durch eine erhöhte Sicherheit der Grenzen, des Verkehrs und kritischer Infrastrukturen.“ Zentrale Prioritäten Zentrale Prioritäten - - Bekämpfung der Anwerbung - Entwicklung einer Kommunikationsstrategie zum leichteren Verständnis europäischer Politik - - Verbesserung der Dokumentensicherheit durch Einführung biometrischer Daten - Verbesserung der europäischen Informationssysteme (SIS II und VIS II) - Entwicklung wirksamer Risikoanalysen bezüglich der EU-Außengrenzen - Anwendung gemeinsamer Standards für den Flug- und Schiffsverkehr - Schutz kritischer Infrastruktur durch entsprechende Forschungsbemühungen Gemeinsame Konzepte gegen den Missbrauchs des Internets Förderung von Good Governance und wirtschaftlicher Entwicklung - Entwicklung des interkulturellen Dialogs - Entwicklung einer emotionslosen Terminologie für die Debatte - Ausbau der Kenntnisse in der Prävention durch Forschung Verfolgung Reaktion „Über unsere Grenzen hinweg und weltweit Terroristen verfolgen und gegen sie ermitteln; Planungen, Reisen und Kommunikation unterbinden; Unterstützernetzwerke zerschlagen; Finanzierung von und Zugang zu Anschlagsmaterial unterbinden; Terroristen vor Gericht stellen.“ „Uns selbst in einer solidarischen Gesinnung dafür rüsten, die Folgen von Terroranschlägen zu bewältigen und möglichst gering zu halten, indem wir die Reaktionsfähigkeit, die Koordinierung der Reaktion und die Betreuung der der Opfer zu verbessern.“ Zentrale Prioritäten Zentrale Prioritäten - Stärkung der einzelstaatlichen Fähigkeiten - Vereinbarungen zur Koordinierung in Krisensituationen - Erleichterung der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit mithilfe entspre- - Überarbeitung der Rechtsvorschriften für Katastrophenschutzverfahren 150 chender Institutionen rojust, SitCen) (Europol, Eu- - Weiterentwicklung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen - Anwendung und Evaluierung bestehender Rechtsvorschriften sowie Ratifizierung entsprechender internationaler Abkommen - Entwicklung des Grundsatzes der Verfügbarkeit strafrechtlicher Informationen - Verhinderung des Zugangs zu Waffen und Sprengstoffen - Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung - Technische Unterstützung von Drittländern zur Steigerung derer Fähigkeiten - Entwicklung des Instruments der Risikobewertung - Abstimmung mit internationalen Organisationen zur Anschlags- und Katastrophenbewältigung - Entwicklung von Konzepten zur Betreuung von Terroropfern Eigene Darstellung; vgl. Rat der Europäischen Union (2005c), S. 9-16; vgl. auch Bendiek (2006), S. 11-14. Im Aktionsplan finden sich unter der Überschrift Prävention 25 sowohl außenals auch innenpolitische Maßnahmen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Strategie zur Bekämpfung von Radikalisierung und Anwerbung für den Terrorismus550, welche bereits am 24. November 2005 verabschiedet wurde. „Um zu verhindern, dass sich Menschen dem Terrorismus zuwenden und dass eine nächste Generation von Terroristen entsteht, hat die EU eine umfassende Strategie und einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Radikalisierung und Anwerbung für den Terrorismus vereinbart. Im Mittelpunkt dieser Strategie steht die Bekämpfung der Radikalisierung und der Anwerbung von Menschen für Terrorgruppen wie Al Qaida und die von Al Qaida inspirierten Gruppen […].“551 Unter Federführung des EU-Koordinators für Terrorismusbekämpfung wurden in verschiedenen Mitgliedstaaten entsprechende Projekte initiiert, etwa zur Schulung von Imamen, zur Zusammenarbeit von Bürgern und Polizei oder zur Entradikalisierung. Als zentrale Handlungsfelder zur Verhinderung der Radika- Rat der Europäischen Union (2005b): Strategie der Europäischen Union zur Bekämpfung von Radikalisierung und Anwerbung für den Terrorismus, in: http://www.auswaertigesamt.de/cae/servlet/contentblob/350328/publicationFile/3518/EUStrategieggRadikalisierung.p df;jsessionid=BDAC18B524FF274A2FE1A91C306B3604 (24.Juni 2010). 551 Rat der Europäischen Union (2005c), S. 7. 550 151 lisierung benennt die EU die Bekämpfung von Netzwerken zur Anwerbung für terroristische Gruppen, die Übertönung der Extremisten durch die Stimmen der Mehrheit sowie den stärkeren Einsatz für Sicherheit, Recht und Demokratie für alle Menschen. Während der erste Aspekt bereits Bekanntes wiederholt – Überwachung des Reiseverkehrs und elektronischer Kommunikation –, weisen die beiden letzten Punkte interessante neue Gedanken auf. So soll stärker auf muslimische Organisationen und Glaubensgemeinschaften zugegangen werden, um so den Dialog zwischen den Kulturen voranzutreiben. Aus menschenrechtlicher Sicht wird es schließlich im dritten Punkt besonders interessant: Es wird verdeutlicht, dass es eine Reihe gesellschaftlicher Faktoren gibt, die eine Radikalisierung wahrscheinlicher machen. Als zentrale Aspekte werden hierbei Ungleichheit und Diskriminierung genannt. Innerhalb der Europäischen Union soll diesen Phänomenen durch die Integration muslimischer Mitbürger begegnet werden. Auf globaler Ebene geht es um den stärkeren Einsatz für die Verwirklichung von good governance, Menschenrechten und wirtschaftlicher Entwicklung.552 „Die Strategie der EU zur Bekämpfung von Radikalisierung und Anwerbung für den Terrorismus ist zumindest in Teilen innovativ und richtet sich – wenn auch noch allzu bruchstückhaft – auf die tieferliegenden Ursachen des Terrorismus.“553 Gleichzeitig spielt die Internetnutzung zu Kommunikations-, Kapitalbeschaffungs-, Ausbildungs-, Anwerbungs- und Propagandazwecken durch Terroristen eine wichtige Rolle. Dem Stockholmer Programm folgend soll dieses Handlungsfeld in den kommenden fünf Jahren verstärkt werden, etwa durch entsprechende Forschungsvorhaben. Nach Verabschiedung der Europäischen Terrorismusstrategie wurde auf Betreiben der Kommission der Rahmenbeschluss 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung überarbeitet, so dass der Präventionsaspekt seither einen wichtigeren Stellenwert einnimmt. So sollen die Mitgliedstaaten zukünftig ihre Rechtsvorschriften bezüglich des Terrorismus so verändern, dass auch die öffentliche Aufforderung zur Begehung einer terroris- 552 553 Vgl. Rat der Europäischen Union (2005b). Kahl (2006), S. 244. 152 tischen Straftat, die Anwerbung für terroristische Zwecke sowie die Ausbildung für terroristische Zwecke verfolgt und bestraft werden können.554 Der Bereich „Prävention“ bedarf eines besonderen Augenmerks aus menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Sicht. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass präventive Instrumente der Terrorismusbekämpfung nicht zwangsläufig negative Auswirkungen auf das Rechtsgut „Freiheit“ haben müssen, im Gegenteil sogar freiheitsfördernd wirken können. Allerdings kann nicht verkannt werden, dass Sicherheitsmaßnahmen, die immer weiter in das Vorfeld von Straftaten gerückt werden, Freiheitsbeeinträchtigungen hervorrufen können. Denn um Risiken zu erkennen und frühzeitig unschädlich zu machen, müssen Politik und Sicherheitsbehörden tief in Persönlichkeits- und Gesellschaftsstrukturen eingreifen.555 Gleichzeitig führt die zunehmende Beschäftigung mit Radikalisierungsprozessen zwangsläufig dazu, dass die Antiterrorismuspolitik verstärkt Einfluss auf Politikfelder ausübt, die bisher nicht unmittelbar mit dieser in Zusammenhang standen (z.B. Sozial- und Bildungspolitik). Diese Entwicklung, bei der Sicherheitsaspekte immer weitreichender in alle Politikbereiche eindringen, wird in der Wissenschaft häufig als „securitisation“ bezeichnet.556 Hiermit einher geht die Gefahr, dass zukünftig Sicherheitspolitiker in zahlreiche Politikbereiche „hineinregieren“ oder Sicherheitsbehörden weitreichende Befugnisse erhalten, die weit über deren ursprüngliches Mandat hinausgehen. Im Arbeitsfeld „Schutz“ liegt der Fokus auf der Umsetzung der im Haager Programm formulierten Ziele, etwa der verstärkten Kooperation im Bereich des Informations- und Datenaustauschs. Der Aktionsplan zur Terrorismusbekämpfung sieht in diesem Feld ca. 30 Maßnahmen vor. Hier geht es u.a. um Analysen der Bedrohungslage, die Sicherung von Versorgungsketten und Verkehrswegen sowie dem Schutz kritischer Infrastruktur. Seit der Verabschiedung der Strategie wurde daran gearbeitet, ein integriertes Grenzverwaltungssystem zu schaffen. Im Jahr 2006 wurden biometrische Pässe eingeführt. Die Arbeit an den Vgl. Europäische Kommission (2010a): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat. Politik der EU zur Terrorismusbekämpfung: wichtigste Errungenschaften und künftige Herausforderungen, in: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri= COM:2010:0386:FIN:DE:PDF (29. August 2010), S. 3-5; vgl. auch Bendiek (2006), S. 11-15. 555 Vgl. Albers (2012), S. 108-109. 556 Vgl. Coolsaet (2011), S. 240. 554 153 zweiten Generationen der EU-weiten Datenbanken SIS und Visa-Informationssystem (VIS) wurde begonnen. „Wir müssen den Schutz unserer Außengrenzen verbessern, damit es für bekannte Terroristen oder Personen unter Terrorismusverdacht schwieriger wird, in die EU zu gelangen oder in der EU zu operieren. Technologische Verbesserungen für die Erhebung und den Austausch von Passagierdaten und die Aufnahme biometrischer Informationen in Identitäts- und Reisedokumente werden die Wirksamkeit der Grenzkontrollen erhöhen und den Bürgern ein stärkeres Sicherheitsgefühl geben. Als Teil der Bemühungen, die Kontrollen und die Überwachung an den Außengrenzen der EU zu stärken, wird im Hinblick auf die Erstellung von Risikobewertungen die Europäische Agentur (Frontex) für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen eine Rolle spielen. Mit der Einrichtung des Visa-Informationssystems und des Schengener Informationssystems der zweiten Generation wird gewährleistet, dass unsere Behörden Informationen gemeinsam nutzen und Zugriff darauf haben und erforderlichenfalls den Zugang zum Schengener Raum verweigern können.“557 Auch im Bereich der Verkehrswegesicherheit, allen voran mit Blick auf die Luftund Seefahrt, wurden zahlreiche Vorschläge durch die Kommission erarbeitet. Darüber hinaus wurde ein Aktionsplan zur Verbesserung der Sprengstoffsicherheit verabschiedet.558 Mit etwa 60 Maßnahmen bildet der Bereich „Verfolgung“ den umfangreichsten Abschnitt des Aktionsplans. Von zentraler Bedeutung ist hier die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung, die sowohl innen- als auch außenpolitische Aspekte beinhaltet. Diese dritte Säule der Strategie befasst sich darüber hinaus mit der Datenerfassung und -auswertung, der Vereitelung von Reisebewegungen von Terroristen sowie der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit. „Wir werden unser Engagement zur Vereitelung von Terrortätigkeiten und zur Verfolgung von Terroristen über Grenzen hinweg weiter intensivieren und verwirklichen. Unsere Ziele bestehen darin, Terrorplanung zu verhindern, Terrornetzwerke zu zerschlagen, die Tätigkeit derer, die Menschen für den Terrorismus anwerben, zu vereiteln, Terrorismusfinanzierung und den Zugang zu Anschlagsmaterial zu beenden sowie dafür zu sorgen, dass Terroristen vor Gericht 557 558 Rat der Europäischen Union (2005c), S. 10. Vgl. Europäische Kommission (2010a), S. 6-7; vgl. auch Bendiek (2006), S. 11-15. 154 gestellt werden, und dabei die Menschenrechte und das Völkerrecht zu achten.“559 Als zentrale Maßnahmen sind seit 2005 die Verabschiedung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, die Integration des Vertrages von Prüm in das EURecht oder der Rahmenbeschluss über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden zu nennen. Auch der Europäische Haftbefehl, der bereits 2002 verschiedet wurde, gehört in diesen Bereich. Dieser wird inzwischen durch die Kommission als erfolgreiche Maßnahme bewertet und steht Pate für weitere Rechtsangleichungen im Bereich des Strafrechts, etwa für die grenzübergreifende Verwendung von Beweisen. Das Europäische Polizeiamt erhielt eine neue Rechtsgrundlage, durch die es Den Haag ermöglicht wird effektiver zu arbeiten und besser mit Eurojust zu kooperieren. Zur Verhinderung der Terrorismusfinanzierung wurden verschiedene gesetzgeberische Schritte zur Geldwäsche verabschiedet. Die EURechtsvorschriften zur Erstellung der Terrorlisten wurden überarbeitet, um sie mit den Grundrechten in Einklang zu bringen.560 Die Stärkung der Reaktionsfähigkeit der EU in Krisen- und Katastrophenfällen wird schließlich durch 25 spezifische Maßnahmen angestrebt. Grundlegend für die Zusammenarbeit auf diesem Feld ist die 2004 verabschiedete Solidaritätsklausel. Der Arbeitsbereich „Reaktion“ beschäftigt sich dabei in erster Linie mit zivilen Krisenbewältigungsmöglichkeiten nach Terroranschlägen, Frühwarnsystemen sowie der Unterstützung von Terroropfern. So wurde u.a. das EUKatastrophenschutzverfahren entwickelt, das ein koordiniertes Vorgehen bei allen Arten von Krisen, einschließlich Terroranschlägen, und die optimale Nutzung vorhandener Kapazitäten in den Mitgliedstaaten gewährleisten soll. Gleichzeitig arbeitet die Kommission seit 2006 an einem Konzept, um die Sicherheit radiologischer, chemischer und biologischer Stoffe zu verstärken. Für Terroropfer wurden in den vergangenen Jahren durch die Kommission immer wieder auch Gelder, seit 2005 insgesamt in einer Höhe von ca. fünf Millionen Euro, zur Verbesserung ihrer Lebensumstände ausgezahlt.561 Rat der Europäischen Union (2005c), S. 12. Vgl. Europäische Kommission (2010a), S. 8-9; vgl. auch Bendiek (2006), S. 11-15. 561 Vgl. Europäische Kommission (2010a), S. 10-11; vgl. auch Bendiek (2006), S. 11-15. 559 560 155 Aus Sicht der Europäischen Kommission hat sich die Strategie zur Terrorismusbekämpfung „insofern als wertvoll erwiesen, als durch sie eine breite Palette von Maßnahmen und Instrumenten ins Leben gerufen und zusammengeführt wurde, die alle wesentlich dazu beigetragen haben, den Terrorismus auf Ebene der EU einzudämmen.“562 Der EU-Terrorismus-Koordinator wies in seinem Bericht zur Umsetzung aus dem Jahr 2010 darauf hin, dass die europäische Antiterrorpolitik dynamisch sein müsse, um immer adäquat auf die sich wandelnde Bedrohung reagieren zu können. Als zentrale Herausforderungen sieht er dabei die Transportsicherheit, die Reisebewegungen von Terroristen bzw. Terrorismusverdächtigen, die Sicherheit der elektronischen Kommunikation, die außenpolitische Dimension sowie den Kampf gegen Diskriminierung und soziale Marginalisierung.563 Tatsächlich kann von einer Systematisierung europäischer Antiterrorismuspolitik ausgegangen werden. Ob dies allerdings ausreicht, um effektiv gemeinschaftlich gegen terroristische Gewalt vorzugehen, ist fraglich.564 So zählte die Kommission im März 2007 lediglich 51 umgesetzte Maßnahmen und 33 weitere Initiativen.565 Mit Blick auf die praktischen Erfolge bei der Umsetzung ist daher ein divergierendes Bild zu zeichnen. Kaum Fortschritte gab es in den Bereichen „Prävention“ und „Reaktion“. Anders sieht es in den Feldern „Schutz“, in dem die Kommission eine führende Rolle übernommen hat, und „Verfolgung“, in welchem die Mitgliedstaaten vitale Interessen verfolgen und das Bewusstsein für die Erforderlichkeit für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit gestiegen ist, aus.566 2 Definition des Begriffes „terroristische Handlung“ Den Ausgangspunkt einer gemeinschaftlichen Terrorismusbekämpfung, welche auf einen harmonisierten rechtlichen Besitzstand zurückgreifen soll, bildet die Europäische Kommission (2010a), S. 14. Vgl. Rat der Europäischen Union (2010b): EU Counter Terrorism Strategy –Discussion Paper, in: http://consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/st15894-re01en.pdf (16. Februar 2013). 564 Eine Bewertung der Umsetzung der Strategie ist zu finden in: Bossong, Raphael (2012): The fight against international terrorism. Driver and yardstick for European homeland security, in: Kaunert, Christian (Hrsg.): European Homeland Security. A European strategy in making?, Abingdon, S. 57-71, hier S. 68. 565 Vgl. Edwards/Meyer (2008), S. 2. 566 Vgl. Coolsaet (2011), S. 235-236. 562 563 156 Formulierung einer gemeinsamen Definition des Begriffes „Terrorismus“.567 So stellt etwa Muguruza mit Blick auf den 11. September 2001 fest: „The recent events have demonstrated the urgent need for a common understanding, not only politically but also legally, of what terrorism means, in order to facilitate transborder co-operation.“568 Diese Notwendigkeit wird besonders deutlich wenn man sich vor Augen führt, dass in vielen Staaten der EU kein spezieller gesetzlicher Rahmen zur Verfolgung des Terrorismus bestand. Anders, realpolitisch ausgedrückt, Terroristen konnten hier erst verhaftet und angeklagt werden, wenn sie einen Mord begangen oder Eigentum zerstört hatten. Eine gemeinschaftliche Terrorismusdefinition war daher Grundvoraussetzung zur weiteren Ausweitung und Effektivierung der strafrechtlichen Verfolgung terrorverdächtiger Personen innerhalb des Hoheitsgebietes der EU.569 Vorangestellt sei hier gleich, dass nicht von einer Definition im engeren Sinne zu sprechen ist. So beschreibt der Rahmenbeschluss weniger, was der Terrorismus ist, sondern vielmehr was Terroristen tun.570 Bereits am 19. September 2001 veröffentlichte die Kommission einen Vorschlag für einen Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung; ein Indiz dafür, dass entsprechende Vorarbeiten bereits „in der Schublade lagen.“ Darin riefen die Kommissare die EU-Staaten dazu auf, Straftaten wie etwa Mord, Körperverletzung, Entführung, Erpressung, Raub, Besitz und Herstellung von Waffen, Beschädigung von Infrastruktur als „terroristisch“ einzustufen, wenn diese mit dem Ziel begangen werden, Staaten oder deren Bevölkerung einzuschüchtern oder die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen eines Staates zu schädigen oder zu zerstören. Die meisten dieser Tatbestände wurden in den Mitgliedstaaten bisher als „gewöhnliche“ Straftaten eingestuft und geahndet.571 Brüssel griff bei der Ausarbeitung dieses Vorschlages auf die spezifische Antiterrorismusgesetzgebung einzelner EU-Staaten zurück. Ziel war die Formulierung einer Terrorismusdefinition, die sektoren- und säulenübergrei- Vgl. Boer (2003), S. 191. Muguruza (2001), S. 237. 569 Vgl. Grabbe (2001), S. 64. 570 Vgl. Bures (2011), S. 8. 571 Vgl. Europäische Kommission (2001a): Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Terrorismusbekämpfung, in: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/com/2001/com 2001_0521de01.pdf (16. Februar 2006). 567 568 157 fende Anwendung finden und fortan sämtlichen Antiterrorismusmaßnahmen als Grundlage dienen sollte.572 Basierend auf diesem Vorschlag der Kommission und mit der Zielstellung, die Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten zu erleichtern, formulierte der Rat in seinem Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung, welcher am 13. Juni 2002 verabschiedet wurde, eine für das gesamte Hoheitsgebiet der EU verbindliche Definition des Begriffes „terroristische Handlungen“. Entsprechend Art. 1 Abs. 1 ist jeder Mitgliedstaat verpflichtet, Schritte einzuleiten, um Straftaten als terroristisch zu definieren, zu verfolgen und zu sanktionieren, „die durch die Art ihrer Begehung oder den jeweiligen Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen können […], wenn sie mit dem Ziel begangen werden, - die Bevölkerung auf schwer wiegende Weise einzuschüchtern oder - öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder - die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören.“573 Darüber hinaus wird eine Liste von Straftaten aufgestellt, die entsprechend zu behandeln sind. Hierzu gehören u.a. Angriffe auf das Recht auf Leben sowie die körperliche Unversehrtheit einer Person, Entführungen und Geiselnahmen, die Herstellung oder der Besitz von Waffen und Sprengstoffen oder die Manipulation von lebenswichtiger Infrastruktur. Auch die Androhung der aufgeführten Straftaten soll entsprechend sanktioniert werden.574 Im Weiteren werden die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, das Anführen einer terroristischen Vereinigung sowie die Beteiligung an Handlungen dieser Organisationen, einschließlich der Informationsbeschaffung, der Bereitstellung von Vgl. Vennemann (2004), S. 234-235. Rat der Europäischen Union (2002e): Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung, in: OJ 2002 L 164/3. 574 Vgl. Rat der Europäischen Union (2002e). 572 573 158 Gütern, der Finanzierung ihrer Aktivitäten im Wissen des Beitrages zu terroristischen Akten, unter Strafe zu stellen. Schwerer Diebstahl, Erpressung und Dokumentenfälschung mit dem Ziel eine terroristische Handlung zu begehen, sind ebenfalls als Straftaten im Sinne dieses Rahmenbeschlusses zu ahnden. Ebenso soll die Anstiftung zu den in Art. 1 Abs. 1 und in den Art. 2 und 3 aufgeführten Vergehen unter Strafe gestellt werden.575 Wie hier zu sehen ist, werden polizeiliche bzw. sicherheitsdienstliche Befugnisse sehr weit auf das Vorfeld möglicher Straftaten ausgerichtet, der Präventionsgedanke ist somit hier bereits zu erkennen. Bereits während der Verhandlungen über den Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung äußerten einzelne Mitgliedstaaten und verschiedene NGOs Bedenken bezüglich der Weite der Terrorismusdefinition, wie sie im Vorschlag der Kommission gegeben war. Insbesondere die Auflistung der einzelnen Straftatbestände wurde im Hinblick auf die fehlende Eindeutigkeit einzelner Begriffe kritisiert. Keinesfalls spiegle diese die einzigartige Bedrohung terroristischer Gewalt wider.576 Die Kritiker befürchten, dass eine solch weit gefasste Definition verschiedene Grundrechte, etwa das Recht auf Vereinigungsfreiheit oder das Recht auf Versammlungsfreiheit, welche u.a. in Art. 11 der EMRK niedergeschrieben sind, einschränken könnte.577 „Without clearly defining the terms this could lead to criminalisation of activities which are unrelated in any way to acts of violence.“578 Vor allem mit Blick auf die zentrale Bedeutung der Terrorismusdefinition für die gemeinschaftliche europäische Terrorismusbekämpfung und die Verabschiedung weiterer Antiterrorismusmaßnahmen erscheint die fehlende Klarheit der Bestimmungen des Rahmenbeschlusses allen voran aus rechtsstaatlicher Sicht problematisch. In den Erwägungsgründen ihres Vorschlages für einen Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung verweist die Kommission ausdrücklich auf die Achtung der Freiheit, der Demokratie und der Menschenrechte auf der sich die EU gründet und erklärt, dass der Rahmenbeschluss den Grundrechten Rechnung tragen soll. Dabei wird insbesondere auf die in Kapitel VI der GrundrechtecharVgl. Rat der Europäischen Union (2002e). Vgl. Vennemann (2004), S. 236. 577 Vgl. Boer (2003), S. 192; vgl. auch Amnesty International (2005b), S. 9. 578 Amnesty International (2005b), S. 9. 575 576 159 ta der Europäischen Union festgeschriebenen justiziellen Rechte, etwa die Unschuldsvermutung oder der wirksame Rechtsschutz, verwiesen.579 Der Rat reagierte bei der Verabschiedung des Beschlusses auf die Bedenken und die kritischen Stimmen, die während der Verhandlungen laut wurden, und verankerte mit Blick auf die Weite der Terrorismusdefinition in der Präambel folgende Erklärung: „In diesem Rahmenbeschluss werden die Grundrechte, wie sie von der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantiert werden, und wie sie sich aus den den Mitgliedstaaten gemeinsamen Verfassungstraditionen ergeben, als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts geachtet. Die Union achtet die in Artikel 6 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union anerkannten und in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere in Kapitel VI, niedergelegten Grundsätze. Dieser Rahmenbeschluss kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er die Grundrechte oder Grundfreiheiten wie das Streikrecht und die Versammlungs-, Vereinigungs- oder Meinungsfreiheit, einschließlich des Rechts, mit anderen Gewerkschaften zu gründen und sich zur Verteidigung seiner Interessen Gewerkschaften anzuschließen, und des damit zusammenhängenden Demonstrationsrechts, schmälert oder behindert.“580 Diese Erklärung entspricht aufgrund ihrer Stellung innerhalb des Rechtsdokuments jedoch lediglich einer Empfehlung ohne rechtliche Verbindlichkeit. Die Bedenken und Proteste von Mitgliedstaaten und Menschenrechtsorganisationen verstummten somit nahezu ungehört.581 Darüber hinaus weist Art. 1 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses zwar ausdrücklich darauf hin, dass die Verpflichtung zur Umsetzung der Bestimmungen dieses Beschlusses nicht die Pflicht zur Achtung der Grundrechte im Sinne des Art. 6 EUV berührt.582 Allerdings ist dies ein unzureichender und zudem eigentlich selbstverständlicher Hinweis auf die Bedeutung der Menschenrechte. Vgl. Europäische Kommission (2001a). Rat der Europäischen Union (2002e). 581 Vgl. Abetz (2005), S. 310; vgl. auch Gössner, Rolf (2007): Menschenrechte in Zeiten des Terrors. Kollateralschäden an der „Heimatfront“, Hamburg, S. 36. 582 Vgl. Abetz (2005), S. 310. 579 580 160 Darüber hinaus bleibt festzuhalten, dass der Terrorismusbegriff laut dem Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung unpräzise formuliert ist und daher unter Umständen gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstößt. Zudem „[ist] eine vage Generalklausel, die es dem Ermessen der Exekutive überlässt, die Grenzen der Freiheit im Einzelnen zu bestimmen, mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht zu vereinen.“583 Mit Blick auf den hier diskutierten Beschluss können unter den Tatbestand Terrorismus eine Reihe von Handlungen fallen, die im klassischen Sinne nicht als terroristische Taten gelten würden. Die breiten Interpretationsspielräume bietet laut Kritikern staatlichen Einrichtungen die Möglichkeit, beispielsweise Proteste von Globalisierungsgegnern oder gewaltfreie Aktionen von Kriegsgegnern als terroristischen Akt zu geißeln.584 So wurden 2006 in Dänemark Aktivisten der Umweltbewegung Greenpeace – nachdem sie auf ein Bürohaus geklettert waren und ein Plakat entrollten – basierend auf einer Rechtsnorm verurteilt, die ihren Ausgangspunkt im Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung nahm.585 Ein weiterer Kritikpunkt wird deutlich, wenn man die Terrorismusdefinition mit Europol in Verbindung setzt. Laut Europol-Übereinkommen (EÜK) erstreckt sich die Zuständigkeit des Europäischen Polizeiamtes auch auf den Terrorismus. Mit Blick auf die Weite der Bestimmungen des Rahmenbeschlusses ist festzustellen, dass sich fast lautlos eine Kompetenzerweiterung für die Beamten in Den Haag im Bereich der Terrorismusbekämpfung vollzieht, in dem Europol über sehr weit reichende Befugnisse verfügt. Abetz stellt hierzu fest: „Die Terrorismusdefinition der EU setzt auf europäischer Ebene die Entwicklung fort, die sich auf nationaler Ebene – nicht erst seit dem 11. September – abzeichnet: Polizeiliche Befugnisse werden vorverlagert oder den Sicherheitsdiensten übertragen, um rechtsstaatliche Kontrollen zu umgehen und vermeintlich effizienter bei der Strafverfolgung agieren zu können.“586 So verstärkt sich die Befürchtung, dass im Rahmen der Terrorismusbekämpfung eine umfassende polizeiliche und strafrechtliche Verfolgung auf europäiGriebenow (2004), S. 57-58. Vgl. Griebenow (2004), S. 37-38; vgl. auch Vennemann (2004), S. 236; vgl. auch Gössner (2007), S. 35-36. 585 Vgl. Gössner (2007), S. 36. 586 Abetz (2005), S. 313. 583 584 161 scher Ebene durchgesetzt werden soll, der keine ausreichende politische und rechtsstaatliche Kontrolle gegenübersteht. Abetz sieht daher die Gefahr, dass es den EU-Staaten durch die Terrorismusdefinition ermöglicht wird, Sondermaßnahmen im Namen der Terrorismusbekämpfung zu erlassen, welche letztendlich negative Auswirkungen auf den Rechtsschutz der Bürger haben werden. So könnten polizeiliche Maßnahmen in der Folge ohne richterliche Kontrolle durchgeführt und durch weite Tatbestände flächendeckend angewendet werden.587 Am 28. November 2008 verabschiedete der Rat den Rahmenbeschluss 2008/919/JI zur Änderung des Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämpfung588. Mit diesem reagiert die EU einerseits auf die sich verändernde Natur des Phänomens „Terrorismus“ und andererseits auf die VN-Resolution 1624 (2005). Ziel ist insbesondere die strafrechtliche Verfolgung der Anstiftung zu terroristischer Gewalt, allen voran über das Internet als zentralem Medium zur Rekrutierung und Radikalisierung. Denn zunehmend wurde deutlich, dass die Bedrohung immer stärker von autonomen Zellen und nicht von hierarchisch strukturierten Terrororganisationen ausgeht. Vor diesem Hintergrund wird der ursprüngliche Art. 3 des Rahmenbeschlusses, „Straftaten im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten“, umfassend erweitert. Zu den bisher aufgeführten Handlungen werden die öffentliche Aufforderung zur Begehung einer terroristischen Straftat und die Anwerbung sowie die Ausbildung für terroristische Zwecke ergänzt. Zudem wird Art. 4 entsprechend angepasst. Auch hinsichtlich des Zusammenhangs zu den Grundrechten gibt es einen sichtbaren Wandel. Zwar verbleibt das grundsätzliche Bekenntnis zur Gültigkeit der Menschenrechte weiterhin in der Präambel, allerdings befasst sich Art. 2 des Rahmenbeschlusses 2008/919/JI ausdrücklich mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Es wird zum Ausdruck gebracht, dass dieser Rechtsakt keine Verpflichtung zur Umsetzung von Maßnahmen darstellt, die etwa die Presse- oder Meinungsfreiheit einschränken.589 Kritisch betrachtet stellt dies aber keine aktive Forderung an die Mitgliedstaaten dar, sondern lediglich eine zurückhaltende Verteidigung, so dass eventuelle Grundrechtsverstöße nicht auf die Union als Vgl. Abetz (2005), S. 313-314. Rat der Europäischen Union (2008): Rahmenbeschluss 2008/919/JI zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung, in: OJ L330/21. 589 Vgl. Rat der Europäischen Union (2008). 587 588 162 Ganzes zurückfallen. Die entsprechende Passage in der Präambel wurde auch sprachlich modifiziert. Hieß es in der ursprünglichen Fassung noch, dass „dieser Rahmenbeschluss nicht dahingehend ausgelegt werden [kann], dass er Grundrechte oder Grundfreiheiten […] schmälert oder behindert“ 590, so lautet dieser Satz nun: „Dieser Rahmenbeschluss darf nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er darauf abzielt, Grundrechte und Grundfreiheiten […] zu beschränken oder zu behindern.“591 Die Sprachregelung hat sich also leicht verschärft. Ob sich hierin allerdings ein Bewusstseinswandel ablesen lässt, kann hier nicht beantwortet werden. Die Terrorismusdefinition leidet somit unter rechtsstaatlichen Mängeln und birgt gleichzeitig, allen voran aufgrund ihres zentralen Stellenwertes innerhalb der Strategie der Union zur Terrorismusbekämpfung, menschenrechtliche Gefahren in sich. Die Einschränkung von Freiheitsrechten ist keine zwangsläufige Folge der Verabschiedung des Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämpfung, kann aber mit Blick auf dessen Formulierung nicht ausgeschlossen werden. So zeigt sich mit welchen Schwierigkeiten Politik konfrontiert ist, wenn es darum geht berechtigte Sicherheitsbedürfnisse mit Erfordernissen des Menschenrechtsschutzes und der Wahrung von Demokratie und Rechtsstaat in Einklang zu bringen. 3 Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus 3.1 Rechtsgrundlagen Von Beginn an beinhaltete die Antiterrorismusstrategie der EU Maßnahmen zur Verhinderung weiterer terroristischer Anschläge. Eine wichtige Funktion nimmt dabei die Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus ein.592 So nahm der Rat beispielsweise bereits im Februar 2001 unter Verweis auf Resolution 1333 (2000)593 des VN-Sicherheitsrates einen Gemeinsamen Standpunkt an, der das Einfrieren der Vermögenswerte von Osama bin Laden und mit ihm assoziierten Personen und Gruppen vorsah. Nach dem 11. September 2001 wurden die Be- Rat der Europäischen Union (2002e). Rat der Europäischen Union (2008). 592 Vgl. Vennemann (2004), S. 238. 593 United Nations Security Council (2000): Resolution 1333 (2000), in: http://www.un.org/ Depts/german/sr/sr_00/sr1333.pdf (1. November 2012). 590 591 163 mühungen in diesem Bereich verstärkt und eine Reihe sekundärrechtlicher Rechtsakte durch die jeweiligen Organe der EU erlassen. So verabschiedete der Rat, gestützt auf Art. 15 und Art. 34 EUV,594 am 27. Dezember 2001 den Gemeinsamen Standpunkt über die Bekämpfung des Terrorismus595 sowie den Gemeinsamen Standpunkt über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus596. In beiden Dokumenten verwiesen die Minister auf die außerordentliche Tagung des Europäischen Rates vom 21. September 2001 und stellen fest, „dass der Terrorismus eine wirkliche Herausforderung für die Welt und für Europa darstellt und dass die Bekämpfung des Terrorismus eines der vorrangigen Ziele der Europäischen Union sein wird.“597 Beide Standpunkte berufen sich ausdrücklich auf Resolution 1373 (2001) des Sicherheitsrates der VN. Darin verpflichtet dieser die internationale Staatengemeinschaft u.a. zum Einfrieren von Geldern und Vermögenswerten von Personen und Vereinigungen, welche an terroristischen Akten beteiligt waren, zu diesen aufrufen oder diese unterstützen.598 In Art. 1 des Gemeinsamen Standpunktes über die Bekämpfung des Terrorismus „[wird] die vorsätzliche Bereitstellung oder Sammlung von Geldern, gleichviel auf welchem Wege und ob mittelbar oder unmittelbar, durch Staatsangehörige oder im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit der Absicht, diese Gelder zur Ausführung terroristischer Handlungen zu verwenden, oder in Kenntnis dieser Absicht, unter Strafe gestellt.“599 Darüber hinaus werden laut Art. 2 „Gelder und sonstige Vermögenswerte oder wirtschaftliche Ressourcen von - Personen, die terroristische Handlungen begehen, zu begehen versuchen oder sich an deren Begehung beteiligen oder diese erleichtern; Bei der Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus greift die EU auf Rechtsgrundlagen aller drei Säulen zurück. Daher lassen sich die entsprechenden Maßnahmen, allen voran die gemeinsamen Standpunkte vom 27. Dezember 2001, nicht klar dem RFSR oder der GASP zuordnen. Vielmehr verdeutlicht dieses Vorgehen, dass der internationale Terrorismus eine säulenübergreifende Herausforderung darstellt, welche sowohl außenpolitisches als auch innenpolitisches Handeln der Union erfordert. 595 Rat der Europäischen Union (2001d). 596 Rat der Europäischen Union (2001e): Gemeinsamer Standpunkt vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, in: OJ 2001 L 344/93. 597 Rat der Europäischen Union (2001d). 598 Vgl. Vennemann (2004), S. 250-251. 599 Rat der Europäischen Union (2001d). 594 164 - Körperschaften, die unmittelbar oder mittelbar Eigentum dieser Personen sind oder unter deren Kontrolle stehen; und - Personen und Körperschaften, die im Namen oder auf Weisung dieser Personen und Körperschaften handeln, einschließlich der Gelder, die aus Vermögen stammen oder hervorgehen, das unmittelbar oder mittelbar Eigentum dieser Personen und mit ihnen assoziierten Personen und Körperschaften ist oder unter deren Kontrolle steht, […] eingefroren.“600 Diesen Personen und Körperschaften dürfen zudem keine Gelder, Vermögenswerte, wirtschaftliche Ressourcen oder Finanzdienstleistungen zur Verfügung gestellt werden.601 Im Anhang zum ebenfalls am 27. Dezember 2001 verabschiedeten Gemeinsamen Standpunkt über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus veröffentlichte die EU eine Liste von Personen, Vereinigungen und Körperschaften, welche nach ihren Erkenntnissen dem Terrorismus zugerechnet werden können.602 Auf dieser europäischen „Terrorliste“ werden in der Mehrzahl Aktivisten der ETA, darüber hinaus aber auch die Hamas-Izz alDin al-Qassem, als terroristischer Flügel der Hamas, oder etwa die Real IRA aufgeführt.603 Anders als im Gemeinsamen Standpunkt über die Bekämpfung des Terrorismus erfolgt in Art. 1 Abs. 3 eine nähere Bestimmung des Begriffes „terroristische Handlung“. Diese ist nahezu identisch mit den Regelungen der oben bereits dokumentierten Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 des Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämpfung. Mit dem Gemeinsamen Standpunkt über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus „[ordnet] die Europäische Gemeinschaft im Rahmen der ihr durch den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft übertragen Zuständigkeiten das Einfrieren der Gelder und sonsti- Rat der Europäischen Union (2001d). Vgl. Rat der Europäischen Union (2001d). 602 Vgl. Rat der Europäischen Union (2001e). 603 Vgl. Vennemann (2004), S. 251-252. 600 601 165 gen Vermögenswerte oder wirtschaftlichen Ressourcen der im Anhang aufgeführten Personen, Gruppen und Körperschaften an.“604 Die Aufnahme in die diesem Gemeinsamen Standpunkt beigefügte „Terrorliste“ bedarf nicht zwangsläufig einer rechtmäßigen Verurteilung aufgrund der Beteiligung, der Planung oder der Unterstützung eines terroristischen Aktes. Auch die Aufnahme von Ermittlungen oder die Strafverfolgung durch eine Justizbehörde eines Mitgliedstaates bezüglich der oben aufgeführten Vergehen, welche sich auf entsprechende Beweise und Indizien berufen, können zu einer Aufführung in der Liste führen. Diese wird laut Art. 1 Abs. 6 mindestens einmal im Halbjahr einer Überprüfung unterzogen.605 Gleichzeitig erließ der Rat die Verordnung Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus606, welche ebenfalls das Einfrieren von Vermögenswerten und Einkünften von Personen und Vereinigungen, die dem Terrorismus zugeordnet werden, zum Inhalt hat. Dabei stützten sich die EUMinister zum einen auf Rechtsgrundlagen des EGV zum anderen aber auch auf den Gemeinsamen Standpunkt über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus. Dieses Vorgehen war erforderlich, da das europäische Primärrecht keine Grundlagen für wirtschaftliche Sanktionen gegen den Terrorismus kennt. Somit stellen die Restriktionen, welche auf dieser Verordnung basieren, formal eine außen- und sicherheitspolitische Wirtschaftssanktion der EU dar.607 Laut Art. 4 Abs. 1 der Verordnung 2580/2001 sind Banken, Finanzinstitute, Versicherungsgesellschaften, sonstige Einrichtungen und Personen dazu verpflichtet „Angaben, die die Anwendung dieser Verordnung erleichtern, z.B. über die nach Art. 2 eingefrorenen Konten und Beträge und die nach Art. 5 und 6 Rat der Europäischen Union (2001d). Vgl. Rat der Europäischen Union (2001d); vgl. auch Holzberger, Mark/Busch, Heiner (2002): Terrorismusbekämpfung in der EU. Ein Jahr nach dem 11. September, in: Bürgerrecht und Polizei/CILIP, 3/2002, S. 36-46, hier S. 38. 606 Rat der Europäischen Union (2001f): Verordnung Nr. 2580/2001 vom 27. Dezember 2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, in: OJ 2001 L 344/70 (3. Juli 2006). 607 Vgl. Monar (2002a), S. 174-175. 604 605 166 getätigten Geschäfte“608 an die jeweils zuständigen Behörden der EU-Staaten bzw. an die EU-Kommission zu übermitteln. Die aufgrund dieser Bestimmung übermittelten Daten dürfen nur zum Zwecke der Erfüllung der Ziele dieses Rechtsaktes verwendet werden.609 In der Folge verabschiedete der Rat eine Reihe weiterer Rechtsakte, die das Einfrieren von Geldern und Vermögenswerten von Personen und Körperschaften, die dem Terrorismus zugeordnet werden, zum Inhalt hatten. So wurden am 27. Mai 2002 der Gemeinsame Standpunkt 2002/402/GASP610 sowie die Verordnung Nr. 881/2002611 angenommen bzw. erlassen. Darin erklärte die EU unter Berufung auf Resolution 1390 (2002)612, welche am 16. Januar 2002 vom VN-SR verabschiedet wurde, die „VN-Terrorliste“ zur Erfassung von Personen und Gruppen, die in Verbindung mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban stehen, und die damit verbundenen Restriktionen – allen voran das Einfrieren sämtlicher Vermögenswerte – als für die EU und deren Mitgliedstaaten verbindlich.613 Zudem erfolgte regelmäßig eine Aktualisierung der „EU-Terrorliste“ durch die Verabschiedung entsprechender Standpunkte und Verordnungen. Neben den expliziten Rechtsakten zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung sollten hierzu auch verschiedene andere Instrumente auf EU- oder globaler Ebene beitragen. Beispielhaft seien hier nur die so genannten „Geldwäsche-Richtlinien“ der Union genannt.614 Es wird deutlich, dass der Bereich der Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung bereits aus Sicht der Rechtsetzung ein überaus komplexer Prozess ist. Aufgrund der primärrechtlichen Gegebenheiten machte es sich für die Union erforderlich, eine Vielzahl verschiedeRat der Europäischen Union (2001f). Vgl. Rat der Europäischen Union (2001f). 610 Rat der Europäischen Union (2002b): Gemeinsamer Standpunkt vom 27. Mai 2002 betreffend restriktive Maßnahmen gegen Osama bin Laden, Mitglieder der Al-Qaida-Organisation und die Taliban sowie andere mit ihnen verbündete Personen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen und zur Aufhebung der Gemeinsamen Standpunkte 96/746/GASP, 1999/727/GASP, 2001/154/GASP und 2001/711/GASP, in: OJ 2002 L 139/4. 611 Rat der Europäischen Union (2002c): Verordnung Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 467/2001 über das Verbot der Ausfuhr bestimmter Waren und Dienstleistungen nach Afghanistan, über die Ausweitung des Flugverbots und des Einfrierens von Geldern und anderen Finanzmitteln betreffend die Taliban von Afghanistan, in: OJ 2002 L 139/9. 612 United Nations Security Council (2002): Resolution 1390 (2002), in: www.un.org/depts/ german/sr/sr_01-02/sr1390.pdf (20. November 2011). 613 Vgl. Heinz u.a. (2003), S. 14-15. 614 Vgl. Kaunert (2010), S. 10. 608 609 167 ner Rechtsakte zu erlassen, um die durch die VN geforderten und durch Brüssel selbst gesteckten Ziele erreichen zu können. Natürlich erschwert dieses umständliche und für die Bürger undurchsichtige Vorgehen die Kohärenz der Terrorismusbekämpfung. Etwas klarer wird die Sicht, wenn man nicht unmittelbar auf die einzelnen Verordnungen und Standpunkte schaut, sondern auf deren konkrete Umsetzung in der politischen Praxis. So greift die EU zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung auf zwei „Terrorlisten“ zurück, auf denen Personen und Vereinigungen aufgeführt sind, die terroristischer Aktivitäten oder deren mittelbarer oder unmittelbarer Unterstützung beschuldigt oder verdächtigt werden. Zum einen die durch den Rat der EU selbst erstellte und durch den Gemeinsamen Standpunkt über besondere Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus rechtskräftig etablierte Liste, zum anderen die durch das CTC des VN-Sicherheitsrates verfasste Zusammenstellung über Personen, die im Zusammenhang mit Osama bin Laden, der Al-Qaida und den Taliban stehen. Die Aufführung auf einer der beiden Listen zieht für die betroffenen Personen und Körperschaften verschiedene Restriktionen nach sich, welche sich aus den jeweiligen Rechtsgrundlagen ergeben und deren Umsetzung für die EU bzw. deren Mitgliedstaaten völkerrechtlich verbindlich ist.615 Im Folgenden wird zu überprüfen sein, inwiefern die Umsetzung der entsprechenden Rechtsakte, welche mit diesen „Terrorlisten” in Verbindung stehen, menschenrechtliche und rechtsstaatliche Probleme aufwirft. Dies wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, dass „[t]he financial surveillance that has been implemented to identify and isolate any money destined to support terrorism includes the monitoring, tracking, recording and analysis of individual banking business and any other significant financial activity undertaken.“616 3.2 Menschenrechtliche und rechtsstaatliche Bedenken Wie oben zu sehen war, ist der rechtliche Rahmen für die Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus sehr unübersichtlich. Neben den drei zentralen Vgl. Archick, Kristin (2004): Europe and Counterterrorism: Strengthening Police and Judicial Cooperation, in: http://digital.library.unt.edu/govdocs/crs//data/2004/upl-meta-crs-73 70/RL31509_2004Oct15.pdf (13. Juli 2006), S. 5-6. 616 Vlcek, William (2009): Action and Consequences: The Predicament of EU Measures Against the Financing of Terrorism, in: Eder, Franz/Senn, Martin (Hrsg.): Europe and Transnational Terrorism. Assessing Threats and Countermeasures, Baden-Baden, S. 145-171, hier S. 147. 615 168 Rechtsakten der EU, die auf verschiedenen primärrechtlichen Grundlagen fußen, existieren weitere völkerrechtliche Bestimmungen im Rahmen der VN. Bereits dieser Umstand birgt rechtsstaatliche Problemstellungen etwa hinsichtlich der Rechtssicherheit in sich. Mit Blick auf den Gemeinsamen Standpunkt über die Bekämpfung des Terrorismus ist festzustellen, dass sich in den entsprechenden Artikeln, welche die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung zum Inhalt haben, keine Regelungen zum Schutz von Grundrechten finden. Lediglich der Austausch von Informationen, der zur Erfüllung der aus diesem Rechtsakt hervorgehenden Verpflichtungen notwendig erscheint, muss Art. 12 folgend im Einklang mit völkerrechtlichen und entsprechenden innerstaatlichen Bestimmungen stehen.617 So stellt sich beispielsweise die Frage nach dem Rechtsschutz, nach Möglichkeiten gegen das Einfrieren von privaten oder körperschaftlichen Geldern und Vermögenswerten vorzugehen. Auch scheinen die Kriterien für die Verhängung der entsprechenden Sanktionen unklar, da der Gemeinsame Standpunkt zwar klar festlegt, gegen wen – Personen und Gruppen, die Terrorakte begehen, planen oder unterstützen – diese Strafmaßnahmen eingeleitet werden, doch gibt es keine Bestimmungen bezüglich des Begriffes der „terroristischen Handlung“. Bedenken anderer Art werden bei der Betrachtung des Gemeinsamen Standpunktes über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus deutlich. Die diesem Rechtsakt beigefügte Liste basiert auf den Vorschlägen einzelner Mitgliedstaaten und beruht allein auf der Entscheidung des Rates. Aufgrund des Rückgriffes auf den Gemeinsamen Standpunkt als Rechtsinstrument war eine Überprüfung durch das EP nicht möglich. Ihr Bedauern darüber brachten die EU-Parlamentarier in einer Entschließung zu dem Beschluss des Rates vom 27. Dezember 2001 zu Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 7. Februar 2002 zum Ausdruck. Sie bemängelten, dass sie bei der Aufstellung der „Terrorliste“ nicht konsultiert wurden und forderten den Rat daher auf, trotz einer fehlenden vertraglichen Verpflichtung, das Parlament, als „Garant demokratischer Legitimität“ zukünftig bei der Verabschiedung von 617 Vgl. Rat der Europäischen Union (2001d). 169 Antiterrorismusmaßnahmen einzubeziehen.618 Dieser Aufforderung wurde bei den regelmäßigen Aktualisierungen der Liste nicht entsprochen. Neben einer fehlenden demokratischen Legitimierung der europäischen Aufstellung werden bei näherer Analyse weitere Grundrechtsprobleme offenkundig. So stellen etwa Holzberger und Busch fest, dass „die Zusammenstellung der terroristischen Vereinigungen kein nachvollziehbares Schema erkennen [lässt]. Sie folgt offenkundig primär politischen Opportunitäten und Partikularinteressen der Mitgliedstaaten.“619 Bei der Erstellung der Liste drängte beispielsweise die spanische Regierung immer wieder auf die Aufnahme der Batasuna, dem politischen Arm der ETA. Letztlich wurde dieser Forderung aber nicht nachgekommen.620 Ein solcher Fall, in dem einen Vorschlag eine EU-Mitgliedstaates nicht entsprochen wurde, war/ist in der politischen Praxis sehr selten. Somit beruht die Listung schließlich allein auf Erkenntnissen nationalstaatlicher exekutiver Einrichtungen und auf den jeweiligen Rechtssystemen und -traditionen.621 Gleichzeitig ist der Prozess der Listenerstellung nicht öffentlich und nicht transparent. Rein formell beruht die Aufnahme in die Terrorliste auf einer Entscheidung des Rates. Allerdings wurde in Brüssel ein so genanntes „clearing house“ eingerichtet, welches die Vorschläge der Mitgliedstaaten überprüft. Das Mandat, die Zusammensetzung und die Handlungsweise dieser Gruppe wurde bisher nicht öffentlich gemacht, verläuft also im Dunkeln.622 Der Spiegel stellte das Verfahren einmal wie folgt dar: „Der Termin, die Tagesordnung, der Versammlungsraum – alles bleibt streng geheim. Die Teilnehmer, einer aus jedem Mitgliedstaat und einer aus dem Sekretariat des Europäischen Rates, werden zweimal im Jahr per strikt vertraulicher E-Mail gebeten, sich hinter der schwarzgetönten Glasfassade des JustusLipsius-Gebäudes, im Zentrum des Brüsseler Europaviertels, zusammenzufinden. Die Gruppe hat nicht einmal einen Namen, so geheim ist sie. Was die Teil- Vgl. Europäisches Parlament (2002): Entschließung zu dem Beschluss des Rates vom 27. Dezember 2001 zu Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, in: http://europa.eu/bull etin/de/200201/p104012.htm (18. August 2006). 619 Holzberger/Busch (2003), S. 39. 620 Vgl. Monar (2002a), S. 175. 621 Vgl. Bures (2011), S. 185. 622 Vgl. Hayes, Ben (2007): „Terrorist lists“ still above the law, in: http://www.statewatch.org/ news/2007/ang/proscription.pdf (12. Februar 2008). 618 170 nehmer in Absprache mit ihren Regierungen einstimmig beschließen, wird auf den höheren politischen Ebenen automatisch abgesegnet.“623 Veranschaulicht werden können die rechtsstaatlichen Bedenken auch anhand einer genauen Betrachtung der Umsetzung des Gemeinsamen Standpunktes über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung und der Verordnung Nr. 2580/2001. Beide Rechtsakte greifen auf die dem Gemeinsamen Standpunkt angehängte „Terrorliste“ zurück. Dennoch divergiert der Kreis der Personen und Organisationen, auf welchen die entsprechenden Restriktionen angewandt werden. Ein großer Teil der in der Liste aufgeführten Terrorismusverdächtigen und terroristischen Gruppen fällt ausschließlich unter die in Art. 4 des Gemeinsamen Standpunktes aufgeführten Sanktionen und ist somit nicht von einer Einfrierung von Geldern und Vermögenswerten betroffen, obwohl auch diese nach Auffassung der EU an terroristischen Handlungen unmittelbar oder mittelbar beteiligt waren bzw. sind. Gründe für diese Unterscheidung sind aus den Dokumenten nicht ersichtlich.624 Des Weiteren ist festzustellen, dass Kriterien anhand derer Personen und Organisationen in die EU-Liste aufgenommen bzw. von dieser wieder gestrichen werden können, nicht näher bestimmt wurden. Hieraus folgend ergibt sich ein eingeschränkter Rechtsschutz für die Betroffenen, da eine Anfechtung der Ratsentscheidung nur unzureichend gewährleistet ist.625 Mit Blick auf Art. 6 EUV und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen für die EU ist aber festzustellen: „Human rights as contained in the ECHR and as resulting from general principles of Community law require that a possibility of judicial review of the adoption of sanctions based on the inclusion on the list is made available.“626 Rein formal ist die Anfechtung der Aufführung in der „EU-Terrorliste“ durch die betroffenen Personen und Körperschaften vor dem EuGH bzw. dem Gericht erster Instanz (EuG) möglich. Doch der Fall des in den Niederlanden lebenden Jose Maria Sison verdeutlicht ein anderes, damit eng im Zusammenhang stehendes Problem. Unter Berufung auf Verordnung Nr. 2580/2001 wurde er im OkSchlamp, Hans-Jürgen (2007): Geheimtreffen im Glaspalast, in: Der Spiegel, 23/2007, S. 124-125, hier S. 124. 624 Vgl. Vennemann (2004), S. 252-253. 625 Vgl. Heinz u.a. (2003), S. 14-15. 626 Vennemann (2004), S. 246. 623 171 tober 2002 durch einen Beschluss des Rates in die europäische „Terrorliste“ aufgenommen. Als Folge wurden soziale Leistungen, welche Sison in den Niederlanden bezog, eingestellt und private Bankkonten eingefroren. Sison bestritt jegliche Verbindung zum Terrorismus und stellte einen Antrag auf Zugang zu den Dokumenten, die zur Entscheidung des Rates über seine Aufführung in der EU-Liste führten. Entsprechende Anfragen seines Anwalts an das Generalsekretariat des Ministerrates wurden durch verschiedene Beschlüsse abgelehnt. Daraufhin strengte Sison vor dem EuG ein Verfahren gegen den Rat der EU an, um dessen Entscheidung für nichtig erklären zu lassen und schließlich Dokumenteneinsicht zu erhalten.627 Die Klage (Fall T-110/03) wurde zunächst als unbegründet abgewiesen,628 wobei die Richter ihre Entscheidung u.a. damit begründeten, „dass die Wirksamkeit der Bekämpfung des Terrorismus voraussetzt, dass die Informationen der öffentlichen Stellen betreffend terrorismusverdächtige Personen oder Einheiten geheim gehalten werden, damit diese Informationen ihre Relevanz behalten und ein wirksames Vorgehen erlauben. Daher wäre das öffentliche Interesse im Hinblick auf die öffentliche Sicherheit notwendig beeinträchtig worden, wenn das angeforderte Dokument der Öffentlichkeit bekannt gemacht worden wäre.“629 Trotz dieses Urteils stellt sich die Frage, ob das Vorgehen des Rates im Einklang mit Bestimmungen der Grundrechtecharta sowie der EMRK, allen voran Art. 6, steht. So heißt es etwa in Art. 41 der Charta: „(1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheiten von den Organen und Einrichtungen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden. (2) Dieses Recht umfasst insbesondere Vgl. Gericht erster Instanz (2003): Klage des Jose Maria Sison gegen den Rat der Europäischen Union (Rechtssache T-110/03), in: OJ 2003 C 146/39; vgl. auch Amnesty International (2005b), S. 13. 628 Vgl. Gericht Erster Instanz (2005): Urteil in den verbundenen Rechtssachen T-110/03, T150/03 und T-405/03, Jose Maria Sison gegen Rat der Europäischen Union, in: OJ 2005 C 171/15. 629 Zitiert nach Europäischer Gerichtshof (2006): Pressemitteilung Nr. 46/06, in: http://curia.europa.eu/de/actu/communiques/cp06/aff/cp060046de.pdf (15. August 2006). 627 172 - das Recht einer jeden Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige, individuelle Maßnahme getroffen wird, - das Recht einer jeden Person auf Zugang zu den sie betreffenden Akten unter Wahrung des legitimen Interesses der Vertraulichkeit […], - die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen.“630 Tatsächlich bedeutet die Verhinderung des Zugangs zu Dokumenten und Informationen, welche zur Aufführung in der „Terrorliste“ geführt haben, dass die betroffene Person oder Körperschaft gegen diese Entscheidung und die damit verbunden Restriktionen und Einschränkung von Grundrechten nicht vorgehen kann.631 In früheren Entscheidungen erklärte der EuGH aber, „dass rechtliches Gehör vor allen belastenden Verwaltungsentscheidungen auch ohne ausdrückliche sekundärrechtliche Regelung gewährleistet sein muss.“ 632 Gleichzeitig wurde der Zugang zu den belastenden Unterlagen und Informationen als ein notwendiges Element dieses Gehörs in der Rechtsprechung anerkannt.633 Daneben wird zudem deutlich, dass die Verhängung von Sanktionen durch die Organe der Union eine Anhörung der betroffenen Person voraussetzt. Auch diese Bedingung wurde bei der Erstellung der EU-Liste nicht erfüllt. Im Juli 2007 erklärte das EuG die Aufnahme von Jose Maria Sison in die Terrorliste der EU schließlich doch für nichtig. Die Richter kamen zu der Überzeugung, dass grundlegende Verteidigungsrechte, etwa das Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, durch den Rat missachtet wurden. Das Urteil geht dabei nicht über die Beantwortung von Verfahrensfragen hinaus, enthält somit keine grundlegende Bewertung der Rechtmäßigkeit des Ratsbeschlusses zur Führung der Terrorliste.634 Zitiert nach Löffler (2002), S. 79-80. Vgl. Gericht Erster Instanz (2003). 632 Gundel, Jörg (2005): Justiz- und Verfahrensgrundrechte, in: Ehlers, Dirk (Hrsg.): Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Auflage, Berlin, S. 502-530, hier S. 507, Hervorhebung im Original. 633 Vgl. Gundel (2007), S. 507. 634 Vgl. Krüger, Paul-Anton (2007): Europäisches Gericht rügt Terroristenliste der EU, in: Süddeutsche Zeitung vom 12. Juli 2007, S. 7; vgl. auch Gössner (2007), S. 186-190; vgl. auch 630 631 173 „[T]he Court ruled that fundamental rights and procedural guarantees had been infringed. Specifically, affected parties did not receive any reasons for the imposition of the sanctions against them and were consequently unable to exercise their defence and fair trial rights in accordance with the European Convention on Human Rights. The Court was also unable to effectively review the lawfulness of the decision that led to their inclusion on the EU terrorist list.“635 Späterhin wurde Jose Maria Sison bei der folgenden Aktualisierung der Liste wieder aufgenommen.636 Für ihn persönlich brachten die Verfahren vor den europäischen Gerichten somit nicht den gewünschten Erfolg. Doch wurde grundsätzlich deutlich, dass die EU im Kampf gegen die Finanzierung terroristischer Aktivitäten durchaus dazu bereit war, selbst definierte Verpflichtungen des Menschenrechtsschutzes in den Hintergrund zu stellen. Fast als logische Folge erklärte der EuG in einem anderen Verfahren die gesamte Praxis der Erstellung der europäischen Terrorliste für nichtig. Die Organisation der iranischen Volksmudschahidin hatte ihre Aufführung auf der Liste angefochten. Die Luxemburger Richter entschieden nicht darüber, ob diese Gruppe einen terroristischen Hintergrund hat oder nicht, vielmehr stand das Vorgehen der EU-Behörden auf dem Prüfstand. Das Gericht kam zu dem Urteil, dass das Listungsverfahren gegen Grundrechte verstößt, da die Betroffenen zu keiner Zeit über die Gründe für die Aufnahme informiert noch selbst gehört wurden. Zudem sei die Aufnahme in die Liste nicht hinreichend begründet. Folgerichtig wurde die Listung der Organisation für nichtig erklärt. Dennoch verblieb die Organisation auch weiterhin auf der Terrorliste; erst im Januar 2009 folgte der Rat dem Urteil des EuGH und nahm die Streichung vor. Neben der Missachtung rechtsstaatlicher Prämissen wird in diesem Fall aber eine weitere bedenkliche Praxis deutlich. So bekannte der ehemalige britische Außenminister Straw in einem Interview gegenüber der BBC, dass die Volksmudschahidin auf Wunsch der iranischen Regierung in die europäische Terrorliste aufgenommen wurde. Es war der Versuch, mit Teheran einen Kompromiss im Streit um dessen Atomwaffenprogramm zu finden und um das Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen dem Iran und der Union wieder aufzunehmen. Offensichtlich Mahony, Honor (2007): EU court annulas assets freeze fort wo terror list members, in: http://euobserver.com/9/24463/?rk=1 (12. Juli 2007). 635 Hayes (2007). 636 Vgl. Hayes (2007). 174 waren somit rein politische und wirtschaftliche Motive ausschlaggebend für die Aufnahme der Organisation in die Terrorliste.637 Auch die Listung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verweist auf diese besonders fragwürdige Praxis. Im Falle der PKK war es das Drängen der türkischen Regierung, die zur Aufnahme der Organisation in die Terrorliste führte.638 Ohne Wertung im Hinblick auf die politischen Ziele dieser beiden Organisationen, welche diese eventuell tatsächlich als zu ächtende Vereinigungen entlarven, ist es doch als überaus bedenklich zu betrachten, dass die Union solch schwerwiegende Sanktionen wie das Einfrieren von Geldern verhängt, ohne eindeutige Beweise vorliegen zu haben oder diese in einem offenen, transparenten Prozess offenzulegen. Die völkerrechtlich verbrieften Rechte von Personen und Körperschaften als „Kollateralschäden“ politischer Opportunität? In Reaktion auf die Gerichtsurteile wurde das Verfahren der Listung durch Brüssel überarbeitet. So ist nun eine Arbeitsgruppe mit der Umsetzung des Rahmenbeschlusses beauftragt. Allerdings wird ein deutlicher Unterschied zum bisherigen „clearing house“ nicht ersichtlich. Neu ist nun, dass das Generalsekretariat des Rates nach einer Listung die betroffene Organisation bzw. Person schriftlich über die Gründe der Aufnahme in die Terrorliste sowie über Einspruchsmöglichkeiten informiert.639 Trotz dieser Veränderungen bleiben aus menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Sicht zahlreiche Fragezeichen: So besteht aufgrund der weitreichenden Terrorismusdefinition der EU die Gefahr, dass auch Organisationen oder Personen in die Liste aufgenommen werden, die nichts mit terroristischen Aktivitäten zu tun haben. Nach wie vor ist das Prozedere der Listung durch die EU intransparent und es besteht keine parlamentarische oder juristische Kontrolle über die Arbeit der Arbeitsgruppe zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses. Diese überwacht sich schlicht selbst, da sie sowohl für die Listung als auch für die Streichung zuständig ist.640 Mit Blick auf die Verpflichtung die Auszahlung sozialer Leistungen einzustellen, wenn die davon profitierende Person auf der „EU-Terrorliste“ aufgeführt wird, Vgl. Guild (2008), S. 183-188; vgl. auch Gössner (2007), S. 195; vgl. auch Bures (2011), S. 207-208; vgl. auch Schlamp (2007), S. 124-125. 638 Vgl. Gössner (2007), S. 191-192. 639 Vgl. Hayes (2007). 640 Vgl. Hayes (2007). 637 175 ist auf Art. 34 Abs. 1 und 2 der Grundrechtecharta hinzuweisen. Diesen Bestimmungen folgend hat ein jeder Mensch das Recht auf den Zugang zu sozialen Sicherheits- und Unterstützungsdienstleistungen. Von besonderer Bedeutung erscheinen aus menschenrechtlicher Sicht daher die Ausnahmebestimmungen nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2580/2001. Darin wird festgeschrieben, dass die zuständigen Behörden Genehmigungen für die Verwendung eingefrorener Gelder gewähren können, wenn diese der Deckung der Grundbedürfnisse von terrorismusverdächtigen Personen oder deren Familienangehörigen dienen. Hervorgehoben werden dabei etwa Zahlungen für Lebensmittel, Medikamente, Miete oder Dienstleistungen wie die Strom- und die Wasserversorgung.641 Diese Regelung ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings formuliert die Union lediglich eine „kann-Bestimmung”, was mit Blick auf die herausragende Bedeutung etwa der Nahrungsmittelversorgung oder angemessener Wohnverhältnisse für die Wahrung und den Schutz der Menschenwürde bedenklich erscheint. Eine vergleichbare Regelung für die „Terrorliste“ der Vereinten Nationen wurde – u.a. auf Betreiben der EU – durch den Sicherheitsrat in Resolution 1452 (2002) beschlossen.642 Auch die prüfungslose Übernahme der „Terrorliste“ der Vereinten Nationen wirft mit Blick auf menschenrechtliche Verpflichtungen Probleme auf. Die Erstellung dieser durch das CTC ist ebenso wenig transparent wie das Verfahren auf der Ebene der EU. Die entsprechenden Resolutionen des VN-SR enthalten keine Kriterien auf deren Grundlage das Komitee seine Entscheidungen über die Aufnahme einer Person bzw. einer Organisation in die Liste stützen kann. Darüber hinaus berät das Gremium unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Eine Anhörung der verdächtigen Personen bzw. Vereinigungen ist nicht vorgesehen. Rechtliche Möglichkeiten zur Anfechtung der Entscheidung des CTC sind nur sehr eingeschränkt gegeben. Erst im November 2002 wurde nach internationaler Kritik, auch der EU, die Möglichkeit eingeräumt, dass in der Liste aufgeführte Personen bei der Regierung ihres Aufenthalts- und ihres Herkunftsstaates eine Petition einreichen können, in der sie die Anfechtung ihrer Listung fordern können. Diese so genannten „focal points“ haben allerdings nicht die Kompetenz, Entscheidungen des Sanktionsausschusses zu ändern, und stellen somit 641 642 Vgl. Rat der Europäischen Union (2001f). Vgl. Heinz u.a. (2003), S. 14. 176 keine echte Überprüfungsinstanz dar.643 Grundsätzlich ist festzustellen, dass es gegen Eingriffe der VN, basierend auf Sanktionen des Sicherheitsrates, keinen Individualrechtsschutz gibt. Auch Beschwerden vor nationalen Gerichten erscheinen wenig erfolgversprechend, da Staaten auf ihre Verpflichtung zur Umsetzung der entsprechenden Resolutionen verweisen könnten.644 Dies wird beispielhaft am Fall von Yassin Abdullah Kadi deutlich. Er wurde im Oktober 2001, nachdem er durch das CTC in die Terrorliste der VN aufgenommen wurde, in die EU-Terrorliste „übernommen“. Gegen diese Entscheidung legte er beim EuG Klage ein. Anfang 2008 wurde seine Beschwerde durch die Richter abgewiesen, da sie der Auffassung waren, dass sie nur ein sehr eingeschränktes Überprüfungsrecht bezüglich einer Resolution des VN-Sicherheitsrates hätten. Vielmehr seien die EU-Mitgliedstaaten der VN-Charta folgend verpflichtet, die Sicherheitsratsresolutionen umzusetzen. Poiares Maduro, Generalanwalt am EuGH, widersprach dieser Auffassung und schlug dem EuGH in zweiter Instanz vor, die EU-Verordnung Kadi betreffend für nichtig zu erklären. Ihm zufolge könne das Völkerrecht nur in jenem Rahmen Wirkung entfalten, welcher durch die Verfassungsgrundsätze der Gemeinschaft vorgegeben sei. Und hierzu zähle zuallererst die Achtung der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit. Er vertritt die Auffassung, dass eine Maßnahme zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit nicht dazu führen könne, den Grundrechtsschutz zu vernachlässigen. Die durch die EU-Verordnung geregelte unbefristete Einfrierung von Geldern sei, da es auch keine ausreichenden Rechtsgarantien gebe, ein weitreichender Eingriff in das Recht auf Eigentum.645 Indem Luxemburg am 3. September 2008 im Berufungsverfahren der Argumentation von Maduro folgte, fällte der Gerichtshof „ein Grundsatzurteil mit weitreichenden Folgen für Menschenrechtsschutz, Terrorismusbekämpfung und die Legitimität von Sicherheitsrats-Entscheidungen der Vereinten Natio- Vgl. Vennemann (2004), S. 243-244; vgl. auch Heinz u.a. (2003), S. 15; vgl. auch Pfeiffer, Kathrin/Schneider, Patricia (2008): Menschenrechte gelten doch auch für Terrorverdächtige. Das Urteil des EuGH zur Umsetzung von UN-Sicherheitsrats-Resolutionen und die Auswirkungen auf die Terrorismusbekämpfung durch gezielte Sanktionen mit Hilfe von Terrorlisten, in: www.isfh.de/pdf/publikationen/hifs/HI44.pdf (16. Dezember 2008), S. 4. 644 Vgl. Heinz u.a. (2003), S. 15. 645 Vgl. Europäischer Gerichtshof (2008): Pressemitteilung Nr. 2/08 vom 16. Januar 2008, in: http://curia.europa.eu/en/actu/communiques/cp08/aff/cp080083en.pdf (4. Dezember 2008). 643 177 nen.“646 Die entsprechende Verordnung wurde in Bezug auf den Kläger für nichtig erklärt, da die Richter dessen Grundrechte, im Speziellen das Recht auf Eigentum sowie auf gerichtliches Gehör, verletzt sahen. Zwar sei die Sicherheitsratsresolution durch Luxemburg nicht überprüfbar, sehr wohl aber der darauf beruhende Rechtsakt der Union. Wie bereits der EuG in früheren Entscheidungen festgestellt hatte, teilte auch der EuGH die Überzeugung, dass die verdächtige Person bzw. Organisation nicht vor einer Listung über diese informiert werden müsse. Doch in der Folge seien den Betroffenen unverzüglich die Gründe für die Sanktionierung mitzuteilen.647 „Mit diesem Urteil wird der Menschenrechtsschutz gestärkt, gleichzeitig aber auch ein Grundprinzip der VNCharta in Frage gestellt,“648 da das Völkerrecht nach Art. 25 der Charta für Beschlüsse des Sicherheitsrates keine Überprüfungsinstanz, weder auf internationaler noch auf nationaler Ebene, vorsieht. Von entscheidender Bedeutung für die Luxemburger Richter war dabei die Tatsache, dass zur Überprüfung der VNTerrorlisten keine Überwachungsinstrumente geschaffen wurden.649 In der Folge der Verabschiedung der entsprechenden VN-SR-Resolutionen gab es im Hinblick auf Kritik aus menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Sicht verschiedene Verbesserungen. Grundsätzlich blieben aber zentrale Mängel bestehen: das Verfahren der Listenerstellung ist politisch motiviert und beruht zum Großteil auf Informationen von Geheimdiensten, ist somit intransparent. Schließlich, und dies wurde oben deutlich, fehlt ein gerichtsförmiger Rechtsschutz für betroffene Personen.650 Dick Marty, Sonderermittler des Europarates, beschrieb die Aufnahme von Personen bzw. von Organisationen in die Terrorlisten vor diesem Hintergrund als „zivile Todesstrafe“.651 In seinem Bericht für den Europarat schreibt er: „The present system of blacklists flouts the fundamental principles which are the basis of human rights.“652 Hauptkritikpunkte sind die fehlenden Rechte auf WiPfeiffer/Schneider (2008), S. 3. Vgl. Pfeiffer/Schneider (2008), S. 6-7. 648 Pfeiffer/Schneider (2008), S. 3. 649 Vgl. Pfeiffer/Schneider (2008), S. 3. 650 Vgl. Lorz (2012), S. 65. 651 Vgl. Prantl (2008), S. 12. 652 Europarat (2007): United Nations Security Council and European Union blacklists, in: http://assembly.coe.int/Main.asp?link=/Documents/WorkingDocs/Doc07/EDOC11454.htm (15. Juli 2010). 646 647 178 derspruch durch betroffene Personen sowie die unzureichenden Regelungen zur Streichung von Personen. Sowohl die EU als auch die VN seien aber verpflichtet, diese minimalen grundrechtlichen Normen einzuhalten. Aus rechtsstaatlicher Sicht ist schließlich auch nach der Erforderlichkeit und der Angemessenheit des Mittels der Terrorlisten zu fragen. Zweifellos ist die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung ein wichtiges Instrument im Kampf gegen terroristische Gewalt. So verdeutlicht Europol in seinem jährlichen Terrorismusbericht: „No terrorist activities can take place without the availability of funds. All terrorist organisations need to raise funds, regardless how small the proceeds. […] Illegal sources for the funding of terrorism appear to cover a wide range of criminal activities, spanning from fraud and counterfeit to burglary, kidnapping and extortion. […] Alongside criminal activities for funding, funds are also derived from legitimate sources. Some charitable organisations have proven to be vulnerable to being misused by individuals who misappropriate voluntary contributions destined for genuine purposes for terrorist purposes.“653 Gleichzeitig ist aber darauf zu verweisen, dass für Anschläge mitunter nur geringe Geldmittel benötigt werden. Die Kosten der Anschläge von Madrid werden auf etwa 10.000 US-Dollar beziffert. Der finanzielle Aufwand der Attacken auf die Londoner U-Bahn beläuft sich Schätzungen zufolge auf 8.000 Pfund. Diese Gelder wurden nicht über verschiedene Konten durch die halbe Welt transferiert, sondern von den Attentätern selbst erwirtschaftet – in ihrem bürgerlichen Beruf.654 Aus diesem Grund ist zu befürchten, dass „collecting and retaining data on cross-border money transfers and monitoring domestic financial transactions may do little to prevent or reveal future terrorist attacks in Europe.“ 655 Zudem ist es in den vergangenen Jahren zu einer Diversifizierung der Finanzquellen terroristischer Gruppen gekommen, wodurch deren Austrocknung erheblich erschwert wird.656 Zusammenfassend bleibt folgendes Urteil festzuhalten: Europol (2009), S. 13. Vgl. Schneckener (2006), S. 146; vgl. auch Vlcek (2009), S. 155. 655 Vlcek (2009), S 165. 656 Vgl. Schneckener (2006), S. 196. 653 654 179 „There was practically no democratic scrutiny related to the establishment of these lists and there is no judicial supervision regarding inclusion on them, which further undermines their legitimacy, and indeed their stated aim of combating terrorism.“657 Vor allem mit Blick auf die Mängel im Bereich des Rechtsschutzes, etwa der Tatsache, dass verdächtige Personen nicht gehört werden, verstoßen die Bestimmungen der hier erörterten Gemeinsamen Standpunkte und Verordnungen gegen menschenrechtliche Normen. Ein Verweis auf die in der Grundrechtecharta enthaltene grundsätzliche Möglichkeit das Recht auf Anhörung aufgrund eines Gesetzes zum Wohle der Gemeinschaft einzuschränken,658 erscheint nicht verhältnismäßig. Darüber hinaus ist hinzuzufügen, dass Art. 6 Abs. 3 EMRK, welcher grundlegende Rechte einer angeklagten Person – u.a. ein Anhörungs- und ein Verteidigungsrecht – festschreibt, keine Schrankenregelung kennt und diese somit in keiner Situation unterschritten werden dürfen.659 Schließlich beruht die Terrorliste der EU allein auf Entscheidungen der Exekutive und ist daher stark geleitet von einzelstaatlichen Interessen und somit willküranfällig. So wird eine Listung meist auf „Zuruf“ eines Staates und basierend auf geheimen Geheimdienstinformationen vorgenommen. Eine demokratische Kontrolle ist somit nur sehr eingeschränkt möglich.660 „Here terrorism succeeds in creating new victims through the Council´s voluntary exclusion of the rule of law in aspects of its counter-terrorism policy.“661 4 Europäischer Haftbefehl Neben dem Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung stellt der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, welcher ebenfalls am 13. Juni 2002 vom Rat verabschiedet wurde, ein zentrales Element der Reaktionen der EU auf den 11. September 2001 dar. Dies verdeutlichte bereits der am 21. September 2001 durch den Europäischen Rat verabschiedete Aktionsplan zur Terrorismusbekämpfung, in dem die Einführung eines EuHb als prioritäres Ziel aufgeführt wurAmnesty International (2005b), S. 12. Vgl. Jarass (2005), S. 406. 659 Vgl. Schilling, Theodor (2004): Internationaler Menschenrechtsschutz. Universelles und europäisches Recht, Tübingen, S. 201-203. 660 Vgl. Gössner (2007), S. 194. 661 Guild (2008), S. 191. 657 658 180 de.662 Gleichwohl war der Wunsch nach einer Vereinfachung der Auslieferungsverfahren zwischen den EU-Staaten, welche dieser Beschluss anstrebt, keine direkte Folge der Anschläge auf die USA. Vielmehr beauftragte schon der Gipfel von Tampere 1999 die Kommission mit der Ausarbeitung eines Vorschlages zur Einführung eines EU-Haftbefehls.663 Nach 9/11 wurde dieser schnell zum „flagship instrument.“664 Ausgangspunkt für die Überlegungen zur Vereinfachung der Auslieferung zwischen den EU-Staaten ist die Überzeugung, dass das Auslieferungssystem im Rahmen des Europarates, wie es im Europäischen Auslieferungsübereinkommen von 1957, dessen Zusatzprotokollen von 1975 und 1978 sowie im Europäischen Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus von 1977 geregelt war, „den Anforderungen eines Raumes ohne Grenzen, wie der europäische Raum es ist, der sich durch ein hohes Maß an Vertrauen und eine enge Zusammenarbeit zwischen den Staaten auszeichnet, die sich alle dem anspruchsvollen Prinzip der Rechtsstaatlichkeit verschrieben haben, nicht mehr gerecht“665 wurde. Auch das Übereinkommen über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (1995) sowie das Übereinkommen über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (1996) erwiesen sich als „stumpfe“ Instrumente. Beide waren auch Jahre nach ihrer Verabschiedung nicht in Kraft getreten.666 Die Kommission verfolgte mit dem von ihr vorgeschlagenen Auslieferungsverfahren zwei Ziele: zum einen eine effektive Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität in der EU und zum anderen die Wahrung der Grundrechte des Einzelnen. Bezüglich des Grundrechtsschutzes führt sie daher aus, dass nationale Gerichte sowohl beim Erlass, als auch bei der Vollstreckung eines EuHb an die Regelungen der EMRK und der Grundrechtecharta gebunden sein werden.667 Vgl. Abetz (2005), S. 307-308; vgl. auch Kleine (2004), S. 79. Vgl. Europäischer Rat (1999a). 664 Kaunert (2010), S. 9. 665 Europäische Kommission (2001c): Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, in: http://europa.eu.int/eur-lex/LexUriServ/site/de/com/2001/com2001_0522de01.pdf (16. Februar 2006). 666 Vgl. Vennemann(2004), S. 226. 667 Vgl. Europäische Kommission (2001c). 662 663 181 Bei den Verhandlungen über den EuHb kam es trotz der Vorarbeiten der Kommission zu erheblichen Verzögerungen. Die Justiz- und Innenminister der EUStaaten konnten zunächst in der Frage nach dem Umfang der Straftaten, auf die der Haftbefehl Anwendung finden sollte, sowie in der Frage nach der Abschaffung des Grundsatzes der doppelten Strafbarkeit668 keine Einigung finden. Insbesondere Einwände seitens der damaligen italienischen Regierung unter Silvio Berlusconi waren hierfür ausschlaggebend. Erst auf Druck der belgischen Präsidentschaft konnte eine Lösung erzielt werden. Mit Blick auf die geringen Fortschritte sah sich der Europäische Rat auf seiner Sitzung am 19. Oktober 2001 in Gent veranlasst, den Rat in scharfer Form auf die Wichtigkeit einer Einigung hinzuweisen.669 In seinen Erwägungsgründen zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten stellt der Rat fest, dass „die bislang von klassischer Kooperation geprägten Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten durch ein System des freien Verkehrs strafrechtlicher justizieller Entscheidungen – und zwar sowohl in der Phase vor der Urteilsverkündung als auch in der Phase danach – innerhalb des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu ersetzen [sind].“670 Wesentliche Elemente des EuHb-Beschlusses sind demnach die Abschaffung der bisherigen Auslieferungspraxis und die Ersetzung dieser durch eine vereinfachte Übergabe verdächtiger und verurteilter Personen zwischen den Justizbehörden der EU-Staaten.671 Bereits in der Präambel zum Rahmenbeschluss spiegelt sich dessen Grundrechtsrelevanz wider. Zweifelsohne stellt die Auslieferung an ausländische Der Grundsatz der doppelten, oder auch der beiderseitigen Strafbarkeit besagt, dass eine Straftat, auf deren Grundlage ein Auslieferungsgesuch gestellt wird, in beiden Staaten, also sowohl im ersuchenden als auch im ersuchten Staat, als Straftat laut Strafgesetzbuch definiert sein muss. Vgl. Abetz (2005), S. 324-325. 669 Vgl. Monar (2004), S. 150-151. 670 Rat der Europäischen Union (2002d): Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, in: OJ 2002 L 190/1. 671 Vgl. Neisser (2005), S. 229; vgl. auch Wilkinson, Paul (2005): International terrorism: the changing threat and the EU’s response, in: http://www.iss-eu.org/chaillot/chai84.pdf (27. Februar 2006), S. 31. 668 182 Strafverfolgungsbehörden einen Eingriff in die Grundrechte dar. So wird in Punkt 12 ausgeführt, dass „der vorliegende Rahmenbeschluss die Grundrechte [achtet] und die in Artikel 6 des Vertrages über die Europäische Union anerkannten Grundsätze [wahrt], die auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere in deren Kapitel VI, zum Ausdruck kommen. Keine Bestimmung des vorliegenden Rahmenbeschlusses darf in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie es untersagt, die Übergabe einer Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl besteht, abzulehnen, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der genannte Haftbefehl zum Zwecke der Verfolgung oder Bestrafung einer Person aus Gründen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Religion, ethnischen Herkunft, Staatsangehörigkeit, Sprache oder politischen Überzeugung, oder sexuellen Ausrichtung erlassen wurde oder dass die Stellung dieser Person aus einem dieser Gründe beeinträchtigt werden kann.“672 Hier wird also ein sehr deutliches Statement gegen die diskriminierende und politisch motivierte Anwendung des EuHb formuliert. Im Rechtstext selbst finden sich solche klaren Worte allerdings nicht. Laut Art. 1 Abs. 2 beruht der EuHb auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung. Basierend auf diesem Prinzip entfällt weitgehend die bisher verpflichtend vorgeschriebene Überprüfung der Strafbarkeit einer Tat in beiden Staaten sowie der Rechtmäßigkeit eines Auslieferungsgesuches.673 Nationale Justizbehörden sind dazu aufgerufen Auslieferungsgesuche eines anderen Mitgliedstaates „mit einem Minimum an Kontrollen anzuerkennen.“674 Mit anderen Worten heißt das: ersucht die Justiz eines Mitgliedstaates um die Überstellung einer Person aufgrund einer rechtskräftigen Verurteilung oder aufgrund der strafrechtlichen Verfolgung, so muss die Entscheidung anerkannt und im gesamten Hoheitsgebiet der Union vollstreckt werden. Mit Blick auf die zwischenstaatliche Kooperation innerhalb der Union ist festzustellen, dass „the common arrest warrant is a giant leap for the EU, for it will require the member states to trust each other’s judicial systems.“675 Rat der Europäischen Union (2002d). Vgl. Abetz (2005), S. 314; vgl. auch Heinz/Arendt (2004), S. 21. 674 Abetz (2005), S. 314. 675 Grabbe (2001), S. 65. 672 673 183 Die Ausstellung eines EuHb ist laut Art. 2 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses zulässig, wenn im Ausstellungsstaat für eine Tat eine rechtskräftige Verurteilung zu einer mindestens vier Monate währenden Haftstrafe ausgesprochen wurde. Darüber hinaus kann der Haftbefehl auch ausgestellt werden, wenn im ersuchenden Staat für ein Vergehen eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr droht.676 Im zweiten Absatz dieses Artikels führt der Rat 32 so genannte Katalogstrafen auf, bei denen, „wenn sie im Ausstellungsstaat nach der Ausgestaltung in dessen Recht mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind, eine Übergabe aufgrund eines Europäischen Haftbefehls nach Maßgabe dieses Rahmenbeschlusses und ohne Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit [erfolgt].“677 Zu diesen Straftaten zählen etwa Vergewaltigung, Menschenhandel, Korruption, vorsätzliche Tötung, Erpressung, Sabotage und Terrorismus. Hier wird noch einmal deutlich, dass der EuHb von Beginn an nicht lediglich ein Instrument zur Bekämpfung von terroristischer Gewalt, sondern zur grundsätzlichen Verfolgung schwerwiegender krimineller Handlungen sein sollte. Im Vergleich zur bisherigen Auslieferungspraxis weist der EuHb folgende grundlegende Unterschiede auf: Wegfall des Prinzips der doppelten Strafbarkeit, an dessen Stelle der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung tritt; generelle Entscheidungskompetenz der Justizbehörden unter Ausschluss der politischen Ebene; Überstellungspflicht auch gegenüber eigenen Staatsbürgern; optionaler Wegfall des Prinzips der Spezialität678; Festlegung strikter Fristen für die Durchführung von Auslieferungen.679 Letzterer Aspekt dient klar dem Rechtsschutz betroffener Personen und ist aus menschenrechtlicher Sicht positiv zu bewerten. Dennoch wurden gegenüber dem EuHb zahlreiche kritische Stimmen laut, die auf eventuelle Grundrechtsverletzungen hinwiesen und rechtsstaatliche Mängel aufzeigten. Mary RobinVgl. Abetz (2005), S. 314-316. Rat der Europäischen Union (2002d). 678 Dem Grundsatz der Spezialität folgend, darf im ersuchenden Staat eine Person nur wegen der Straftat zur Verantwortung gezogen werden, auf deren Grundlage das Auslieferungsgesuch begründet wurde. Vgl. Abetz (2005), S. 327. 679 Vgl. Vennemann (20049, S. 261; vgl. auch Amnesty International (2005b), S. 17. 676 677 184 son, damalige VN-Menschenrechtskommissarin, erklärte bereits am 25. September 2001, dass die Umsetzung eines EuHb, welcher die Auslieferung verdächtiger Personen in vorgesehener Art und Weise durch die Reduzierung juristischer Überprüfung erleichtere, das Signal für eine Aufweichung von Menschenrechtsstandards sein könnte.680 Auch Amnesty International sieht eine potenzielle Gefährdung von Grundrechten, stellte in einem Bericht aber deutlich fest, dass der EuHb „is not of itself a threat to the protection of human rights.“681 Gleichzeitig wurde aber auch betont, dass „in an Area of Freedom, Security and Justice bound by the principles of the rule of law and respect for human rights, the EAW system should allow judges to guarantee international human rights obligations and refuse to surrender a person where there is a danger that the requesting Member State not be able to guarantee the requested person’s human rights.“682 Als problematisch wird allen voran die Tatsache erachtet, dass bei Vollstreckung eines EuHb nach Art. 2 Abs. 2, den so genannten Katalogstrafen, nicht mehr geprüft wird, ob eine Straftat nach beiden Rechtssystemen strafbar ist. Dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung folgend sind gerichtliche Entscheidungen nach dem nationalen Recht des ausstellenden Staates ohne weitreichende Überprüfungen durch die Justizbehörden des ersuchten Mitgliedstaates vollstreckbar. Diese müssen von der Rechtmäßigkeit des dem EuHb zugrunde liegenden Urteils ausgehen.683 „Bei Einhaltung der Form muss dem Haftbefehl regelmäßig entsprochen werden, auch wenn im konkreten Fall rechtsstaatliche Bedenken bestehen.“684 Die weitgehende Aufgabe der Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Auslieferungsgesuches sowie die faktische Abschaffung des Grundsatzes der Spezialität führen zum Wegfall von Schutzmechanismen für verdächtigte oder verurteilte Personen. Willkürliche oder rechtsstaatlich bedenkliche Haftbefehle, welche trotz einer Bindung aller EU-Staaten an die EMRK auch heute noch ergehen, können faktisch nicht abgelehnt werden.685 Vgl. Amnesty International (2001): The backlash – human rights at risk throughout the world, in: http://web.amnesty.org/library/pdf/ACT300272001ENGLISH/$File/ACT300 2701.pdf (19. Oktober 2005), S. 2. 681 Amnesty International (2005b), S. 17. 682 Amnesty International (2005b), S. 17. 683 Vgl. Abetz (2005), S. 320; vgl. auch Heinz/Arendt (2004), S. 21. 684 Abetz (2005), S. 320, Hervorhebung im Original. 685 Vgl. Abetz (2005), S. 333. 680 185 Abetz stellt daher fest, dass „[sich] das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im Rahmen des Europäischen Haftbefehls nach verbreiteter Ansicht negativ auf die Beschuldigtenrechte [auswirkt], sofern es nicht mit der Schaffung europäischer Verfahrensstandards kompensiert wird.“686 Denn der dem EuHb-Rahmenbeschluss in Art. 1 Abs. 2 zugrunde gelegte Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung beruht auf der Prämisse, dass die Straf- und Strafprozessordnungen der EU-Staaten hinreichend harmonisiert sind. Dies ist aber für den gesamten Untersuchungszeitraum zu verneinen.687 So gibt es große Unterschiede im Strafrecht; während etwa Deutschland sehr liberale Haftregelungen kennt, besitzt Spanien ein sehr viel strikteres Justizvollzugsrecht. Dieses Phänomen ließe sich in vielen EU-Staaten finden. Auch die Auffassungen über Grundrechte, die Macht des Staates oder die Bedeutung des Rechts variieren in den Mitgliedstaaten. Staatliche Behörden wie beispielsweise die Polizei oder das Justizsystem arbeiten nach unterschiedlichen Methoden. So unterscheidet sich in den Staaten Europas beispielsweise die Rechenschaftspflicht von Polizeibeamten.688 Dies lässt sich exemplarisch am Fall des in den Niederlanden in Auslieferungshaft sitzenden Juan Ramon Rodriguez Fernandez, einem mutmaßlichen ETA-Aktivisten, verdeutlichen. Dem EuHbBestimmungen folgend, hätte er umgehend an Spanien ausgeliefert werden müssen, da er dort wegen der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten strafrechtlich verfolgt wird. Doch die niederländischen Behörden lehnten das Gesuch, den Regelungen des EuHb-Beschlusses widersprechend, ab. Hintergrund war die Tatsache, dass Fernandez in Spanien als Terrorismusverdächtigem Isolationshaft ohne Beistand eines Anwaltes gedroht hätte.689 Eine Praxis, die in vielen EU-Staaten nicht im Strafvollzugsrecht vorgesehen – und daneben auch mit Blick auf die EMRK kritisch zu betrachten ist. Und auch die Kommission stellte in ihrem Grünbuch über Verfahrensgarantien in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union vom Februar 2003 fest: „Unterschiede in der Art und Weise, wie die Menschenrechte in der Praxis im nationalen Prozessrecht umgesetzt werden, deuten nicht unbedingt auf einen Abetz (2005), S. 321. Vgl. Abetz (2005), S. 335. 688 Vgl. Keohane (2005a), S. 29; vgl. auch Grabbe (2001), S. 67. 689 Vgl. Abetz (2005), S. 322. 686 687 186 Verstoß gegen die EMRK hin. Unterschiedliche Praktiken können jedoch das Vertrauen gefährden, das eine grundlegende Voraussetzung für die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung darstellt.“690 Diesem Problem versuchten die Kommissare durch die Vorlage eines Vorschlages für einen Rahmenbeschluss des Rates über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union im April 2004 zu begegnen.691 So wird u.a. vorgeschlagen, dass Verdächtige „so schnell wie möglich Rechtsbeistand durch einen qualifizierten Rechtsanwalt erhalten“692 oder festgenommene Personen „das Recht haben, dass Familienangehörige, diesen gleichgestellte Personen und die Arbeitsstelle von der Haft informiert wird.“693 Die Erarbeitung und die Festschreibung von Mindeststandards in Strafverfahren, wie dies von der Kommission angestoßen wurde, sind zu begrüßen. Allerdings folgte der Rat im Untersuchungszeitraum nicht dem Vorschlag der Kommissare und verabschiedete keinen entsprechenden Rahmenbeschluss.694 Darüber hinaus ist die Liste der Katalogstrafen laut Art. 2 Abs. 2 EuHbRahmenbeschluss vage. Sechs der hier aufgeführten Straftatbestände sind bis heute nur unzureichend definiert, etwa der „Terrorismus“ oder der „Betrug“. Gleiches gilt für den Tatbestand der Sabotage, welcher beispielsweise dem deutschen Strafrecht fremd ist. Somit könnte ein deutscher Staatsbürger in einem anderen EU-Staat, etwa in Spanien, wegen eines Verbrechens angeklagt und verurteilt werden, welches in Deutschland nicht strafrechtlich verfolgt wird.695 Die Problematik des EuHb lässt sich beispielhaft am Fall Mamoun Darkazanli, einem in Syrien geborenen Deutschen, festmachen. Er wurde verdächtigt, dem Europäische Kommission (2003): Grünbuch. Verfahrensgarantien in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union, in: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/com/2003/ com2003_0075de01.pdf (18. August 2006), S. 10-11). 691 Vgl. Amnesty International (2005b), S. 19. 692 Europäische Kommission (2004b): Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union, in: http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/pdf/2004/com2004_0328de01.pdf (21. August 2006), S. 9. 693 Europäische Kommission (2004b), S. 11. 694 Vgl. Sievers, Julia (2008): Too Different to Trust? First Experiences with the Application of the European Arrest Warrant, in: Guild, Elspeth/Geyer, Florian (Hrsg.): Security versus Justice? Police and Judical Cooperation in the European Union, Aldershot, S. 109-128, S. 113-114. 695 Vgl. Keohane (2005a), S. 29; vgl. auch Tomuschat, Christian (2005): Ungereimtes/Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 über den Europäischen Haftbefehl, in: Europäische Grundrechte Zeitschrift, 32. Jg., 17-18/2005, S. 453-460, hier S. 456; vgl. auch Bures (2011), S. 159-160. 690 187 Terrornetzwerk Al Qaida anzugehören und eng in die Anschläge von New York und Washington sowie Madrid verstrickt gewesen zu sein. Aus diesem Grund stellte die spanische Justiz einen Haftbefehl gegen ihn aus. Basierend auf dem EuHb sollte er von Deutschland an Spanien ausgeliefert und dort vor Gericht gestellt werden – und dies, obwohl ein Ermittlungsverfahren deutscher Behörden aufgrund mangelnder Beweise eingestellt werden musste. Anhand dieses Falles hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu entscheiden, ob der EuHb mit dem deutschen Recht zu vereinen ist. Die Anwälte des Herrn Darkazanli beriefen sich im Verfahren u.a. darauf, dass der EuHb den Grundrechtsschutz des deutschen Grundgesetzes (GG) verletze.696 Gleichzeitig zeigt dieser Fall aber noch einmal deutlich die unzureichende Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden der EU-Staaten, welche im Besonderen Maße durch fehlendes Vertrauen bestimmt wird. Durch die rechtzeitige Weitergabe von Beweismitteln, welche der spanischen Behörden offenbar vorliegen, wäre eventuell das in Deutschland angestrengte Verfahren nicht gescheitert. Grundsätzlich kam das Bundesverfassungsgerichtes in seinem Urteil zu der Überzeugung, dass das Europäische Haftbefehlsgesetz (EuHbG), welches den EuHb-Rahmenbeschluss in das deutsche Recht überführte, gegen Art. 16 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 4 GG und somit gegen verbriefte Grundrechte verstößt. So verbietet etwa Art. 16 Abs. 2 GG die Auslieferung eines Staatsbürgers, wenn der ersuchende Staat rechtsstaatliche Grundsätze nicht garantieren kann. In seiner Urteilsbegründung unterstellte Karlsruhe damit nicht, dass andere EU-Staaten keine Rechtsstaaten seien, sondern verwies darauf, dass dem ausliefernden Staat eine Kontrollpflicht im Falle der nachträglichen Vertrauensverletzung zustehen müsse.697 Denn, so stellt der deutsche Rechtsprofessor Tomuschat fest, „blindes Vertrauen auf die Gewährleistung von Rechtsstaatlichkeit in den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union [kann] nicht die richtige Lösung sein.“698 Das BVerfG kritisierte somit in erster Linie nicht den Rechtsakt des Rates, sondern die deutsche Bundesregierung, die aufgrund der mangelhaften Anpassung der Bestimmungen des EuHb-Beschlusses an deutsche Verfassungs- Vgl. Keohane (2005a), S. 29; vgl. auch Gössner (2007), S. 42-43. Vgl. Keohane (2005a), S. 29; vgl. auch Gössner (2007), S. 42-43. 698 Tomuschat (2005), S. 455. 696 697 188 vorgaben den Grundrechtsschutz vernachlässigte.699 Ein Problem, das sich bei verschiedenen Antiterrormaßnahmen der EU wiederfinden lässt. In den Beschlusstexten aus Brüssel wird – den primärrechtlichen Vorgaben entsprechend – ein verbindliches Ziel vorgegeben, welches schließlich aber einer nationalstaatlichen Umsetzung bedarf. Dabei sind die Staaten frei in der Wahl der Mittel, so dass von Staat zu Staat recht unterschiedliche Ergebnisse die Folge sein können. Da nun insbesondere Regelungen zum Grundrechtsschutz und zur Wahrung rechtsstaatlicher Prämissen in den EU-Texten häufig sehr vage formuliert wurden, häufig mithilfe von „kann-Bestimmungen“ eingeflochten, ergeben sich in diesem Bereich schließlich verschiedene Schwachstellen. Dies lässt sich exemplarisch am EuHb verdeutlichen: So stellt sich die Frage, warum der Grundrechtsrelevanz des Rahmenbeschlusses, welche in der Präambel noch so deutlich wurde, im Rechtsakt selbst kaum Bedeutung beigemessen wurde. Lediglich in Art. 1 Abs. 3 findet sich der Verweis auf die Pflicht die Grundrechte laut Art. 6 EUV zu achten. Weitere, in den Erwägungsgründen aufgeführte Grundrechtsverweise finden im Text keine Beachtung. So beinhalten etwa die Verweigerungsgründe laut Art. 3 und 4 keine Ausnahmeregelungen aufgrund rechtsstaatlicher oder menschenrechtlicher Bedenken. Hier darauf zu vertrauen, dass die nationalen Regierungen bei der Formulierung der Umsetzungsgesetze entsprechende Einschübe vornehmen, erscheint vor dem Hintergrund der selbst formulierten Verpflichtung zum Schutz der Menschenrechte unzureichend. Die Umsetzung des EuHb wird durch die EU-Institutionen inzwischen als Erfolg betrachtet. Etwa 14.000 EuHb werden jährlich in der EU ausgestellt. In vielen Fällen betreffen diese allerdings nur leichtere Verbrechen. Im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung wurden seit der Einführung relativ wenige Anträge gestellt bzw. Überstellungen umgesetzt. Gleichzeitig ist aber auch zu beobachten, dass im Rahmen der Auslieferungen unter der Maßgabe des EuHb immer wieder unschuldige Menschen in Gefängnissen von EU-Staaten landen. Im Jahr 2009 wurden bei Eurojust 256 Fälle vorgebracht, in denen nationale Justizbehörden um die Klärung von Streitigkeiten zwischen zwei Staaten diesGusy, Christoph/Schewe, Christoph S. (2006): Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, in: Weidenfeld, Werner/Wessels, Wolfgang (Hrsg.): Jahrbuch der Europäischen Integration 2005, Berlin, S. 185-192, hier S. 189-191. 699 189 bezüglich baten. Nach wie vor stellen die Reichweite und die Angemessenheit von EuHb offenbar zentrale Streitpunkte zwischen den Staaten dar. Probleme ergeben sich vor allem, wenn ein Staat eigene Staatsangehörige ausliefern soll, ersuchende Staaten nur unzureichende Beweise vorlegen oder wenn Strafen dem ersuchten Staat unverhältnismäßig erscheinen. Eurojust kann in solchen Fällen lediglich Empfehlungen aussprechen, hat allerdings keine Befugnis einen unrechtmäßigen EuHb aufzuheben oder ein Auslieferungsverfahren zu stoppen. Die Kommission kommt zur gleichen Zeit nur schleppend mit der Vereinheitlichung von justiziellen Grundrechten voran.700 Schließlich ergeben sich aufgrund der Tatsache, dass der EuHb im Untersuchungszeitraum ein Instrument der intergouvernementalen Zusammenarbeit war, „die demokratisch schwach legitimiert und gerichtlicher Kontrolle weithin entzogen“701 war, verschiedene Probleme. So waren die Europaparlamentarier lediglich im Zuge einer Anhörung in den Prozess der Ausfertigung des Rahmenbeschlusses involviert. Und auch auf nationalstaatlicher Ebene ist davon auszugehen, dass insbesondere die jeweiligen Regierungen – eben jene, die den EuHb in Brüssel ausgehandelt hatten – die Wortführer in den parlamentarischen Debatten waren. Diesen Umstand verdeutlicht beispielhaft eine Episode aus den Verhandlungen im Fall Darkazanli vor dem BVerfG: Der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele, zum damaligen Zeitpunkt Mitglied der Regierungsfraktion, gab zu Protokoll, dass er sich bei der Verabschiedung des EuHbG „normativ unfrei“ gefühlt habe. Das federführende Justizministerium habe den Parlamentariern zu verstehen gegeben, dass eine Zustimmung verpflichtend sei.702 Gleichzeitig führte die Verabschiedung per Rahmenbeschluss zu z.T. sehr unterschiedlichen Umsetzungspraxen in den Mitgliedstaaten.703 Hierdurch wurden die oben beschriebenen Schwierigkeiten bezüglich der mitunter sehr verschiedenen Strafrechtssysteme weiter verschärft. Wie oben bereits festgestellt wurde, verstößt der EuHb nicht grundsätzlich gegen die Grundrechte. Doch schenkte der Rat der Verpflichtung zur Achtung der Vgl. Pop, Valentina (2010a): European arrest warrant still delivering injustice, in: http://euobserver.com/9/30527/?rk=1 (25. Juli 2010). 701 Abetz (2005), S. 332-333. 702 Vgl. Darnstädt (2010), S. 192. 703 Vgl. Bures (2011), S. 156. 700 190 Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit bei der Verabschiedung des Rahmenbeschlusses keine ausreichende Beachtung. Wie auch bei der Terrorismusdefinition ergeben sich daher mittelbare Grundrechtsgefährdungen. Schlussfolgernd ist hier anzuführen, dass die EU das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung nicht allein auf der Basis von Vertrauen stützen sollte, wenn zentrale justizielle Schutzmechanismen wie die doppelte Strafbarkeit wegfallen und die Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards nicht vollumfänglich gewährleistet werden kann. 704 Die Verbesserung und Erleichterung der justiziellen Zusammenarbeit durch die Verwirklichung des Grundsatzes der gegenseitige Anerkennung ist sicherlich zu begrüßen, doch bedarf es dafür eines klaren Rechtsrahmens, in dem der Grundrechtsschutz eine herausragende Rolle einnimmt. 5 Verarbeitung personenbezogener Daten 5.1 Datenschutz als europäisches Grundrecht Der Austausch von Informationen und Ermittlungserkenntnissen ist eine der Schlüsselvoraussetzungen für die erfolgreiche Bekämpfung des Terrorismus. Die EU verfügt – und verfügte bereits vor dem 11. September 2001 – über verschiedene Datenbanken (z.B. SIS, Eurodac, VIS) und Institutionen (z.B. Europol, Eurojust), welche dabei hilfreich sein können.705 Nach den Terroranschlägen auf die Vereinigten Staaten wurde durch die Kommission oder auch durch den Rat immer wieder auf die zentrale Bedeutung des Informationsaustausches zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und den entsprechenden europäischen Institutionen, allen voran Europol und Eurojust, hingewiesen und auf dessen Ausweitung gedrängt.706 Gleichzeitig stellt sich bei der Nutzung dieser Systeme und dem damit verbundenen Umgang mit personenbezogenen Daten707 immer auch die Frage nach dem Schutz von Persönlichkeitsrechten. Bevor im folgenden Abschnitt zentrale Maßnahmen der Union in diesem Be- Vgl. Amnesty International (2005b), S. 10. Vgl. Keohane (2005a), S. 30. 706 Vgl. Europäische Kommission (2004a). 707 Unter personenbezogenen Daten sind alle Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare Person zu verstehen, darunter fallen etwa der Gesundheitszustand oder das Gehalt einer Person. Vgl. Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Union (2000): Verordnung Nr. 45/2001 vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr, in: OJ 2001 L 8/1. 704 705 191 reich hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit den Grundrechten analysiert werden, wird hier kursorisch der Stand des Datenschutzes in der EU erörtert. Das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten wurde durch den EuGH in verschiedenen Entscheidungen bestätigt. Dabei griffen die Luxemburger Richter im Besonderen auf die EMRK, welche in Art. 8 ein Recht auf die Achtung des Privat- und Familienlebens sowie der Korrespondenz festschreibt, sowie die entsprechende Rechtsprechung des EGMR zurück.708 Daneben nahm in den vergangenen Jahren auch das vom Europarat am 28. Januar 1981 verabschiedete Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten eine zentrale Rolle bei der Ausgestaltung dieses Rechtes ein. Es gilt als „primäre Quelle“ und als „allgemein anerkannter Mindeststandard für den europäischen Datenschutz.“709 Die so genannte Datenschutzkonvention fordert u.a., dass die Datenerhebung einem fairen und gesetzlichen Verfahren unterliegt und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird. Zudem ist die Erhebung von Daten bezüglich der ethnischen Herkunft, der politischen oder religiösen Überzeugung oder dem Gesundheitszustand untersagt, es sei denn nationale Bestimmungen schaffen einen ausreichenden Grundrechtsschutz. Diese Regelungen können zur Gewährleistung der inneren Sicherheit, zum Schutz wirtschaftlicher Interessen sowie zum Schutz der Grundrechte dritter Personen eingeschränkt werden.710 In der Literatur wird das Schutzniveau der Datenschutzkonvention allerdings als vergleichsweise niedrig eingeschätzt.711 Zudem ist der Schutz personenbezogener Daten in der Vergangenheit durch verschiedene Rechtsakte der Gemeinschaft als europäisches Grundrecht etabliert worden. So verpflichtete etwa die Richtlinie 95/46/EG712 vom 24. Oktober 1995 die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung des Schutzes der Grundrechte, insbesondere des Rechtes auf Privatsphäre, bei der Verarbeitung personenspeziVgl. Schilling (2004), S. 87-90. Hijmans, Hielke/Langfeldt, Owe (2012): Datenschutz in der Europäischen Union, in Schmidt, Jan-Hinrik/Weichert, Thilo (Hrsg.): Datenschutz. Grundlagen, Entwicklungen und Kontroversen, Bonn, S. 403-411, hier S. 403. 710 Vgl. Europarat (1981): Convention for the Protection of Individuals with Regard to Automatic Processing of Personal Data, in: http://www.conventions.coe.int (13. September 2006). 711 Vgl. Abetz (2005), S. 172; vgl. auch Griebenow (2004), S. 79-80. 712 Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Union (1995): Richtlinie 95/46/EG vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, in: http://eur-lex.europa.eu (24. August 2006). 708 709 192 fischer Informationen. Ziel war die Angleichung nationalstaatlicher Rechtsvorschriften, um so den freien Verkehr personenbezogener Daten zwischen den EU-Mitgliedstaaten zu ermöglichen. Das Schutzniveau der EG-Datenschutzrichtlinie ist insgesamt als hoch einzuschätzen. Anders als etwa die Datenschutzkonvention des Europarates, auf die die Richtlinie aufbaut, gewährt diese jedem Einzelnen das Recht auf Auskunft über die gespeicherten personenbezogenen Daten und regelt darüber hinaus eine unabhängige Überprüfung der Datenspeicherung und -verarbeitung. Allerdings war die Richtlinie ausschließlich auf die Harmonisierung nationalstaatlicher Vorschriften ausgelegt und hatte somit keine unmittelbare Geltung für das Handeln der Organe und Institutionen der Union. Zudem gilt sie nicht für die PJZS und die GASP.713 Artikel 286 des EGV in der Fassung von Amsterdam sah daher vor, dass die Bestimmungen des Datenschutzes auch auf die europäische Ebene zu übertragen seien. Ebenso wurde hier die Schaffung einer unabhängigen Aufsichtsbehörde festgeschrieben. Dieser vertraglichen Verpflichtung kamen Rat und EP am 18. Dezember 2000 mit der Verabschiedung der Verordnung Nr. 45/2001714 nach. Diese sieht den Schutz der Grundrechte natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und die Institutionen der EU vor, wobei sie inhaltlich weitgehend der Richtlinie 95/46/EG folgt.715 Eine rechtmäßige Verarbeitung personenbezogener Daten ist der Verordnung folgend nur möglich, wenn diese der Wahrnehmung einer Aufgabe entsprechend des Gemeinschaftsrechtes im Interesse der Öffentlichkeit oder zur Ausübung legitimer öffentlicher Gewalt dient, für die Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen oder eines Vertrages erforderlich ist, die betroffene Person ihr Einverständnis gegeben hat oder lebenswichtige Interessen der betroffenen Person gewahrt werden sollen. Nicht verarbeitet werden dürfen Daten, aus denen die rassische oder ethnische Herkunft, die politische Meinung oder die religiöse Überzeugung, die Gewerkschaftszugehörigkeit, der Gesundheitszustand sowie die sexuelle Identität hervorgehen. Die Beschränkung des Schutzbereiches ist zur Verhütung und Verfolgung von Straftaten, aus wichtigen wirtschaftlichen oder fiVgl. Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Union (1995); vgl. auch Schaar (2007), S. 233-234; vgl. auch Hijmans/Langfeldt (2012), S. 405. 714 Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Union (2000). 715 Vgl. Hustinx, Peter (2005): Datenschutz und Sicherheit in der EU, in: http://www.datenschutz.hessen.de/Forum/Forum2005.pdf (24. August 2006), S. 40. 713 193 nanziellen Interessen eines Mitgliedstaates, zum Schutz der betroffenen Person oder der Rechte und Freiheiten anderer sowie zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt. Die Bestimmungen der Verordnung finden allerdings nur im Rahmen des Gemeinschaftsrechtes Anwendung und erlangten daher im Bereich der Dritten Säule keine Gültigkeit.716 Richtlinie 2002/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation717, die am 12. Juli 2002 verabschiedet wurde, überträgt die Grundsätze der Richtlinie 95/46/EG in spezifische Vorschriften für den Bereich der elektronischen Kommunikation. Von besonderem Interesse für die Terrorismusbekämpfung sind dabei die Art. 5, 6 und 9 dieses Rechtsaktes, die bestimmen, dass Verkehrs- und Standortdaten, die bei der Nutzung elektronischer Kommunikationsdienste durch den jeweiligen Netzanbieter erhoben wurden, gelöscht bzw. anonymisiert werden müssen, sobald die Übermittlung der Nachricht erfolgt ist. Lediglich Daten die zur Abrechnung erforderlich sind, dürfen länger gespeichert werden. Art. 15 räumt den EU-Staaten allerdings das Recht ein in bestimmten Situationen auf die angefallenen Standortdaten zuzugreifen, diese zu speichern und zu verarbeiten. Diese Beschränkung des individuellen Datenschutzes muss der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dienen und zudem notwendig, angemessen und verhältnismäßig sein.718 Um den Austausch von strafverfolgungsrelevanten Daten zwischen den Mitgliedstaaten zu erleichtern, spricht das Haager Programm von der Notwendigkeit der Erfüllung des Grundsatzes der Verfügbarkeit719. Die Kommission wurde Vgl. Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Union (2000); vgl. auch Schorkopf, Frank (2005): Würde des Menschen, Persönlichkeits- und Kommunikationsgrundrechte, in: Ehlers, Dirk (Hrsg.): Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Auflage, Berlin, S. 410443, hier S. 425-426. 717 Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Union (2002): Richtlinie 2002/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation), in: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2002:201:0037:0037:DE:PDF (8. März 2013). 718 Vgl. Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Union (2002). 719 Der Grundsatz der Verfügbarkeit besagt, dass den Strafverfolgungsbehörden eines EUStaates zur Erfüllung ihrer Aufgaben Zugang zu Informationen der eigenen Strafverfolgungsbehörden gewährt wird; diese sind durch letztere bereitzustellen. Vgl. Schaar, Peter (2006): Informationsverbund der europäischen Sicherheitsbehörden – wo bleibt der Datenschutz?, in: Deutsches Institut für Menschenrechte: Menschenrechte – Innere Sicherheit – Rechtsstaat. 716 194 daher aufgefordert, entsprechende Vorarbeiten zu leisten, um dieses Ziel bis zum 1. Januar 2008 erreichen zu können.720 Diesem Auftrag folgend legte Brüssel am 4. Oktober 2005 einen Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden721 vor. Darin verweist die Kommission ausdrücklich darauf, dass die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten, allen voran im Bereich der Terrorismusbekämpfung, nur unter Beachtung datenschutzrechtlicher Bestimmungen ausgeweitet werden kann. Das Recht auf den Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten muss in der EU gewahrt bleiben. Allerdings sollte der Rahmenbeschluss laut Entwurf keine Gültigkeit in Bezug auf die Arbeit von Europol und Eurojust erlangen.722 Bei der Ausarbeitung dieses Vorschlages berief sich Brüssel ausdrücklich auf die Grundrechtecharta, die in Art. 7 und 8 umfassende Grundrechtsgarantien im Bereich des Datenschutzes beschreibt. Jede Person verfügt über ein Recht auf die Achtung ihrer Kommunikation, welches sich aus Art. 8 der EMRK ableitet. Dieses Grundrecht dient dem „Schutz von Mitteilungen, die einem Dritten zur Vermittlung an den Adressaten übergeben werden [und] enthält ein Abwehrrecht gegen Eingriffe der Grundrechtsadressaten.“723 Die Speicherung der Kommunikationsdaten, etwa des Zeitpunktes oder des Absenders, stellt somit einen Eingriff in das Grundrecht auf Achtung der Kommunikation dar. Die Einschränkungsgründe ergeben sich hier allen voran aus Art. 8 Abs. 2 EMRK, wonach „eine Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen [darf], soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straf- Konferenz des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Berlin, 27. Mai 2005, Berlin, S. 36-39, hier S. 36. 720Vgl. Rat der Europäischen Union, 2005a. 721 Europäische Kommission (2005b): Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden, in: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/com/2005/ com2005_0475de01.pdf (11. August 2006) 722 Vgl. Europäische Kommission (2005b). 723 Jarass (2005), S. 166. 195 taten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“ Neben dem Schutz der Kommunikation schreibt Art. 8 der Grundrechtecharta ausdrücklich den Schutz der Person bei der Verarbeitung personenbezogener Daten fest: „(1) Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten. (2) Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden. Jede Person hat das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken. (3) Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von einer unabhängigen Stelle überwacht.“724 Die Verarbeitung oder Weitergabe personenbezogener Daten ohne die Einwilligung der betroffenen Person stellt danach einen Eingriff in dieses Grundrecht dar. Eine Einschränkung dieser Bestimmungen ist nach Art. 8 Abs. 2 Satz 1 sowie Art. 52 der Charta möglich, wonach jeder Grundrechtseingriff für die jeweiligen Zwecke geeignet und darüber hinaus erforderlich muss sein.725 Am 27. November 2008 verabschiedete der Rat schließlich den Rahmenbeschluss über den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden, welcher das erste umfassende Datenschutzinstrument im Bereich der Dritten Säule der Union darstellt. Bereits während der Verhandlungen hatte der Europäische Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx erklärt, dass die Verabschiedung des Rahmenbeschlusses einen wichtigen und notwendigen Baustein zur Begleitung des weiter voranschreitenden Datenaustauschs im Bereich der PJZS ist. Gleichzeitig rief er dazu auf hohe Standards festzulegen und nicht zu einer Aufweichung des Datenschutzes beizutragen. Nach der Verabschiedung merkte Hustinx kritisch an, dass der Rahmenbeschluss nicht bereits für die innerstaat724 725 Zitiert nach Löffler (2002), S. 38. Vgl. Jarass (2005), S. 170-172. 196 liche Erhebung von Daten für polizeiliche und justizielle Angelegenheiten Geltung erlangt und auch keine Regelungen bezüglich des Austauschs von Daten mit Drittstaaten oder der Verarbeitung durch Europol und Eurojust enthält. Zudem sieht er eine unzureichende Unterscheidung zwischen verschiedenen Personengruppen, deren Daten im Rahmen der PJZS erhoben werden, z.B. Verdächtige, Zeugen oder Opfer. Schließlich bemängelt er die fehlende Kohärenz zwischen den verschiedenen Datenschutzinstrumenten in Erster und Dritter Säule.726 Der Datenschutz ähnelte im Untersuchungszeitraum einem Flickenteppich. Die Bestimmungen unterschieden sich zum einen zwischen den Säulen der EU und zum anderen zwischen den Mitgliedstaaten z.T. stark.727 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das Datenschutzrecht verschiedene elementare Verarbeitungsgrundsätze kennt: - Zweckgebundenheit - Verhältnismäßigkeit - Rechtmäßigkeit - zeitliche Begrenzung der Speicherdauer - Vertraulichkeit und Sicherheit der Daten - Überwachung durch eine unabhängige Stelle.728 Diese finden sich an verschiedenen entsprechenden Stellen des Völkerrechts und der Gesetzgebung auf Ebene der EU wieder und sind somit verpflichtende Maßstäbe für die europäische Politik im Bereich der Terrorismusbekämpfung. 5.2 Datenverarbeitung zur Bekämpfung des Terrorismus Wie oben bereits angeführt nehmen der Austausch und die Verarbeitung von Daten im Bereich der inneren Sicherheit eine besondere Stellung ein. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die eben referierten völker- und europarechtlichen Verpflichtungen werden im Folgenden das Wirken von Europol und Vgl. Europäischer Datenschutzbeauftragter (2008): Data Protection Framework only a first step, in: http://www.edps.europa.eu/EDPSWEB/webdav/site/mySite/shared/Documents/ EDPS/PressNews/Press/2008/EDPS-2008-11_DPFD_EN.pdf (4. Dezember 2008). 727 Vgl. Hijmans/Hielke (2012), S. 406. 728 Vgl. Tretter (2011), S. 38-39. 726 197 Eurojust, die Vorratsdatenspeicherung sowie die Nutzung biometrischer Daten untersucht. In der öffentlichen aber auch in der politischen Debatte wird der Datenschutz immer wieder als „Täterschutz“ dargestellt. So äußerte etwa Otto Schily, damaliger bundesdeutscher Innenminister, nach den Anschlägen von New York und Washington, dass ein überzogener Datenschutz zu den Anschlägen beigetragen habe. Neben einer suggerierten „Schutzfunktion“ gegenüber Kriminellen oder Terroristen wird oftmals auch der Ausspruch „Wer nichts verbrochen habe, habe auch nicht zu befürchten!“ ins Feld geführt, um weitere Verschärfungen zur Kontrolle von Daten herunterzuspielen.729 Gesprochen wird mitunter auch von einer „Ungleichzeitigkeit von Technik und Recht.“730 So müsse die Politik jenen technologischen Vorsprung einholen, der Terroristen durch die immer weiter voranschreitende Entwicklung insbesondere moderner Informationsmittel zur Verfügung steht.731 Weltweit war nach 9/11 zu beobachten, dass Staaten – auch demokratische Rechtsstaaten – die Privatsphäre ihrer Bürger durch neue Gesetze weiter eingeschränkt haben. Dabei beriefen sich die politischen Entscheidungsträger immer wieder auf die Begründung, dass Kriminelle oder Terroristen unbeobachtete Nischen nutzen, um dem Gemeinwohl bzw. dem Einzelnen zu schaden. Hieraus begründe sich die Notwendigkeit immer weiter greifende Maßnahmen zu erlassen, um Daten zu erfassen und auszuwerten, um so eben jene Gefährdungen aufzuspüren. Konsequent weitergedacht folgt hieraus eine uneingeschränkte Pflicht der immer umfassenderen Überwachung der Bürger durch den Staat. Gleichzeitig ist aber auch ein Großteil der Bevölkerung, etwa vor dem Hintergrund einer terroristischen Bedrohung, bereit, im Namen der Sicherheit auf individuelle Freiheitsrechte zu verzichten.732 Vgl. Schaar (2007), S. 23. Ziercke, Jörg (2012): Kriminalität im 21. Jahrhundert, in: Schmidt, Jan-Hinrik/Weichert, Thilo (Hrsg.): Datenschutz. Grundlagen, Entwicklungen und Kontroversen, Bonn, S. 129-136, hier S. 131. 731 Vgl. Ziercke (2012), S. 131. 732 Vgl. Schaar (2007), S. 94-96. 729 730 198 Europol und Eurojust Beim Austausch von Daten zwischen Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden nehmen auf europäischer Ebene das Europäische Polizeiamt und Eurojust eine zentrale Rolle ein. Und „niemand wird ernsthaft die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit der Polizeien und Strafverfolgungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten, insbesondere vor dem Hintergrund der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus in Europa in Frage stellen. Doch es stellt sich gerade in dieser Situation die Frage, inwieweit den Freiheitsrechten der EU-Bürgerinnen und Bürger in gleicher Weise Rechnung getragen wurde.“733 Denn beide Institutionen sind zur Speicherung und Verarbeitung so genannter sensibler Daten, wie etwa den ökonomischen Verhältnissen, dem Alltagsverhalten, der Religion, der geschlechtlichen Neigung oder der gewerkschaftlichen Tätigkeit, berechtigt.734 So „[erhalten] durch diese zwischenstaatliche Zusammenarbeit 25 Länder Zugriff auf teilweise hochsensible Informationen aus dem polizeilichen, nachrichtendienstlichen, ausländer- und asylrechtlichen Bereich. Dieser Datentransfer ist gemeinschaftsrechtlich […] problematisch, weil er keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegt und nicht eindeutig zweckgebunden ist.“735 Die fehlende Zweckbindung des Datenaustausches zwischen Mitgliedstaaten und europäischen Institutionen steht klar im Widerspruch zu den Bestimmungen der Grundrechtecharta. Die Erhebung sensibler Daten bedarf der „unbedingten Notwendigkeit“. Allerdings ist dieser Begriff sehr weit gefasst und bietet somit staatlichen Sicherheitsbehörden Interpretationsspielräume, die restriktiv ausgelegt zur Umgehung von Schutzmechanismen im Bereich des Datenschutzes führen können.736 Den jeweiligen Rechtsgrundlagen folgend unterlagen Europol und Eurojust vor dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags beim Umgang mit personenbezogenen Daten den Bestimmungen der Datenschutzkonvention des Europarates, deren Schutzniveau, wie oben bereits ausgeführt, als gering eingeschätzt wird. Schaar(2006), S. 36. Vgl. Abetz (2005), S. 161. 735 Heinz/Arendt (2004), S. 17. 736 Vgl. Abetz (2005), S. 161. 733 734 199 Abetz sieht daher die Gefahr, dass der umfangreiche Datenaustausch zwischen den EU-Staaten und den Institutionen der Union zu einer unkontrollierten Verbreitung von Daten und letztendlich zu einem unüberschaubaren Datenbestand auf europäischer Ebene führe, womit eine effektive Kontrolle unmöglich gemacht wird.737 Gleichzeitig leiden die jeweiligen Kontrollsysteme an einem Defizit bezüglich der Rechtsstaatlichkeit. So besaß das EP von Beginn an nur sehr eingeschränkte Kontrollmöglichkeiten gegenüber den Tätigkeiten von Europol und Eurojust.738 Erst die Verabschiedung des Lissabonner Vertrags hat hieran weitreichende Veränderungen vorgenommen. Die wichtigsten Überprüfungsinstrumente beider Institutionen stellten die Gemeinsamen Kontrollinstanzen (GKI) dar. Personen, welche von einer Datenspeicherung betroffen sind, können sich direkt an die GKI wenden, um die Richtigkeit bzw. Zulässigkeit der Erhebung, der Speicherung und der Nutzung personenbezogener Daten überprüfen zu lassen. Allerdings bestehen in der Literatur vielfältige Zweifel bezüglich der Unabhängigkeit dieser beiden Gremien. Letztendlich können die GKI, vor allem mit Blick auf die Regelungen des Art. 6 EMRK, welche die Überprüfung von Grundrechtseingriffen durch unabhängige Instanzen bzw. Gerichte vorsieht, keinen effektiven Grundrechtsschutz bieten.739 Europol wurde 1995 gegründet und soll der Verbesserung der Leistungsfähigkeit der nationalen Ermittlungsbehörden im Hinblick auf die Verhütung und die Bekämpfung des Terrorismus, des illegalen Drogenhandels und anderen Formen der internationalen Kriminalität dienen. Die Aufgaben des Europäischen Polizeiamtes erstrecken sich im Besonderen auf die Erleichterung des Austausches von Informationen zwischen den Mitgliedstaaten sowie der Sammlung, Zusammenstellung und Analyse von Daten, die durch die nationalen Polizeibehörden übermittelt werden.740 Die Terrorismusbekämpfung wurde 1999 erst nachträglich in den Aufgabenkatalog des Europäischen Polizeiamtes aufgenommen. Die Ausstattung mit entsprechenden Kompetenzen sollte sich aber als langwieriger Prozess gestalten, in Vgl. Abetz (2005), S. 176-177. Vgl. Knelangen (2001), S. 234-235. 739 Vgl. Milke (2003), S. 133-136 sowie S. 297-300; vgl. auch Abetz (2005), S. 199-201. 740 Vgl. Rat der Europäischen Union (1995): Rechtsakt vom 26. Juli 1995 über die Fertigstellung des Übereinkommens aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Einrichtung eines Europäischen Polizeiamts (Europol-Übereinkommen), in: OJ C 316/1. 737 738 200 dem die EU-Staaten reaktiv in der Folge von Terroranschlägen oder der Aufdeckung terroristischer Aktivitäten nach entsprechenden Maßnahmen riefen. So wurde bspw. erst nach 9/11 bei Europol ein Team von Terrorismusexperten zusammengestellt, in welches jeder Mitgliedstaat zwei Beamte – einen Polizisten und einen Geheimdienstmitarbeiter – entsandte.741 Mit Blick auf die bisher geringe Bereitschaft einiger Mitgliedstaaten mit Europol zu kooperieren, betonten die Staats- und Regierungschefs auf ihrem außerordentlichen Gipfeltreffen vom 21. September 2001 noch einmal die besondere Bedeutung der Europäischen Polizeibehörde bei der Terrorismusbekämpfung. Ziel war es, Europol zu einem effektiven Instrument des Informationsaustauschs auszubauen.742 Doch auch nach dem 11. September 2001 ähnelt Europol mehr einem Koordinierungsbüro als einem operativen Hauptquartier der europäischen Terrorismusbekämpfung. Dies begründet sich im starken Maße auch darin, dass einige Mitgliedstaaten nach wie vor nicht dazu bereit sind, Europol eine wirklich effektive Rolle zuzugestehen.743 Bisher ist mit Blick auf die Möglichkeiten bzw. Kompetenzen von Europol noch nicht von einem Mehrwert zu sprechen. Derzeit scheinen die Potenziale von EU-Staaten aber noch nicht gesehen zu werden.744 Mit Blick auf den Untersuchungszeitraum ist festzustellen, dass die Hauptrichtung der Arbeit von Europol durch den Rat vorgegeben wurde, welcher sowohl das Budget festlegte als auch die Führungsriege bestimmte. Die ordnungsgemäße Arbeit wurde vom so genannten Artikel 36-Komitee745 überprüft. Die parlamentarische Kontrolle begrenzte sich auf eine gewisse Informationspflicht der Regierungen gegenüber den nationalen Parlamenten. Das EP hatte kein Mitspracherecht, wenn es um die grundsätzliche Ausrichtung der Arbeit des Polizeiamtes ging. Straßburg verfügte lediglich über passive Informationsrechte. Und auch die demokratische Kontrolle durch nationalstaatliche Parlamente ist nur schwach ausgeprägt. Und auch Justizbehörden ist es kaum möglich, den von Europol etablierten Datenaustausch zu kontrollieren.746 Vgl. Boer u.a. (2008), S. 110. Vgl. Bures (2011), S. 87. 743 Vgl. Bures (2006), S. 63-64. 744 Vgl. Bures (2011), S. 102-103. 745 Das Artikel 36-Komitee, seit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages Ausschuss nach Artikel 71, ist eine Arbeitsgruppe des Rates, welche die Aufgabe hat, die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich der Justiz- und Innenpolitik zu koordinieren. 746 Vgl. Boer u.a. (2008), S. 112. 741 742 201 Um die justizielle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten weiter zu verbessern, etablierte der Rat im Februar 2002 Eurojust. Diese Einrichtung soll die Koordinierung von Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen sowie die Zusammenarbeit der Justizbehörden der EU-Staaten fördern und verbessern.747 Ziel der Errichtung von Eurojust ist es, die justizielle Zusammenarbeit der nationalen Strafbehörden zu effektiveren und zu vereinfachen. Dies soll erreicht werden indem einerseits grenzüberschreitende Strafverfolgungsmaßnahmen koordiniert werden und andererseits Expertenwissen zu den unterschiedlichen Rechtssystemen nationalen Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt wird. Eurojust stellt somit keine europäische Staatsanwaltschaft dar und hat nicht die Befugnis, Europol zu kontrollieren.748 Die Etablierung von Eurojust basiert auf einem Beschluss des Rates. Die rechtliche Basis ist somit schwächer ausgeprägt als etwa bei Europol. Mit Blick auf die demokratische Legitimität ist ein direkter Vergleich zum Polizeiamt zu ziehen. Somit gab es vor dem 1. Dezember 2009 auch bei Eurojust verschiedene Fragezeichen bezüglich eines Demokratiedefizits.749 Schaut man auf das Politikfeld Terrorismusbekämpfung, und hier auch auf die Arbeit der beiden zentralen europäischen Agenturen in diesem Bereich – Europol und Eurojust –, so ist festzustellen, dass sich die rechtliche Legitimität auf einem sehr niedrigen Level bewegte, etwa mit Blick auf die fehlenden direkten Einflussmöglichkeiten des EuGH auf die Arbeit des Polizeiamtes. Legitimität kann sich aber auch aus sozialen Aspekten ableiten. Hierzu zählt etwa die Unterstützung der Arbeit von Institutionen durch die Bevölkerung respektive die öffentliche Meinung. Hierzu bedarf es allerdings der Transparenz der Arbeit. Im Feld der inneren Sicherheit ist dieses Erfordernis allerdings systemimmanent eingeschränkt. Gleichzeitig können den Bürgern umfassende Informationen zur Arbeit der Behörden vorgelegt werden, wie es Europol mit seinen jährlichen TESAT-Berichten zum Thema Terrorismus tut. Weitere Aspekte sozialer Legitimi- Rat der Europäischen Union (2002a): Beschluss vom 28. Februar 2002 zur Einrichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität, in: OJ 2002 L 63/1. 748 Vgl. Knelangen (2005), S. 406. 749 Vgl. Boer u.a. (2008), S. 112-113. 747 202 tät wären die Existenz unabhängiger Beobachter (etwa Ombudsmänner) sowie die Einbeziehung gesellschaftlicher Gruppen (z.B. NGOs).750 Der Datenaustausch im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit auf europäischer Ebene, in dessen Zentrum das Europäische Polizeiamt sowie Eurojust stehen, birgt somit vielerlei rechtsstaatliche Mängel in sich. Es ist festzustellen, dass Grauzonen politisch akzeptiert werden. Der nahezu vollständige Entzug dieser Kooperation vor rechtsstaatlichen Kontrollinstrumenten kann auch mit Blick auf die Notwendigkeit des Schutzes der Bevölkerung vor Terroranschlägen und der hierfür gerechtfertigten Eingriffe in Grundrechte nicht für gut geheißen werden. Der faktischen Wirkungslosigkeit der bürgerlichen Rechte auf Datenschutz und Rechtsschutz muss entgegengewirkt werden.751 Dies kann nur erreicht werden, wenn die Tätigkeit von Europol und Eurojust der Gerichtsbarkeit des EuGH unterworfen und die Datenschutzbestimmungen des Sekundärrechtes entsprechend angepasst werden. Vorratsdatenspeicherung Neben dem Austausch von Informationen sind bei der Gefahrenabwehr gegenüber dem Terrorismus Überwachungsmaßnahmen, insbesondere im Bereich der Telekommunikation, von zentraler Bedeutung.752 „Modern communication techniques are a facilitating factor for all types of terrorist and extremist organisations. High-speed Internet access, new and lowcost communication tools, anonymity and a low level of regulation make it easy for these organisations to communicate and spread propaganda and, thus, are instrumental for attracting sympathisers and recruiting new members.“753 In seiner Erklärung zum Kampf gegen den Terrorismus vom 25. März 2004 fordert der Europäische Rat daher den Rat auf, „Vorschläge für Rechtsvorschriften über die Aufbewahrung von Verkehrsdaten durch Dienstanbieter“754 auszuarbeiten. Der Überprüfung der elektronischen Kommunikation wurde eine hohe Bedeutung für die Bekämpfung der schweren Kriminalität, insbesondere des Vgl. Boer (2008), S. 106-108. Vgl. Milke (2003), S. 334-335. 752 Vgl. Frowein (2005), S. 27. 753 Europol (2009), S. 13-14. 754 Europäischer Rat (2004). 750 751 203 Terrorismus, beigemessen. Zwei Jahre später, am 15. März 2006, erließen das EP und der Rat unter Berufung auf diesen Auftrag die Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder der öffentlichen Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden. Bereits vor der Verabschiedung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung hatten einzelne Mitgliedstaaten entsprechende Rechtsvorschriften erlassen, welche allerdings z.T. stark voneinander abwichen. Hierauf gründeten Brüssel und Straßburg die Überzeugung, dass der Binnenmarkt für elektronische Kommunikation beeinträchtigt sei, da die Dienstanbieter mit unterschiedlichen Anforderungen hinsichtlich der Datenspeicherung konfrontiert seien. Ziel der Richtlinie ist somit die Harmonisierung der Pflichten von Anbietern öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsnetze, um so die gespeicherten Standortdaten schließlich auch für nationale Behörden zur Strafvereitelung bzw. -verfolgung nutzbar zu machen. Unter dem Hinweis auf wissenschaftliche Ergebnisse und praktische Erfahrungen in einzelnen Mitgliedstaaten forderten Straßburg und der Ministerrat die Nutzung von Verkehrs- und Standortdaten bei der Prävention und Verfolgung schwerwiegender Straftaten, wie etwa dem Terrorismus, auf europäischer Ebene. Dieser Richtlinie folgend mussten die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, welche Anbieter öffentlicher Kommunikationsdienste dazu verpflichten, Daten von Telefon- oder Internetnutzern auf Vorrat für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten und höchstens zwei Jahren zu speichern. Entsprechende Festlegungen bezüglich der Speicherdauer trafen die EU-Staaten nach eigenem Ermessen. Nicht gespeichert und verarbeitet werden dürfen Daten, die sich auf den Inhalt der übermittelten Information beziehen.755 Obwohl die Einführung eines entsprechenden Instrumentes denn Erwägungsgründen folgend in Übereinstimmung mit den Regelungen von Art. 8 EMRK, den Art. 7 und 8 der Europäischen Grundrechtecharta sowie der Datenschutzkonvention des Europarates erfolgen sollte, entbrannte bereits im Prozess der Vgl. Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Union (2006): Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder der öffentlichen Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG, in: OJ 2006 L 105/54. 755 204 Rechtsetzung ein heftiger Streit über die Vorratsdatenspeicherung. Denn die so gesammelten Daten ermöglichen es den Strafverfolgungsbehörden Kommunikationsprofile eines jeden Telefon- und Internetnutzers zu erstellen. Es lässt sich erschließen, wer wann wen angerufen und welche Internetseiten eine Person aufgerufen hat. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar warnte daher, dass die Umsetzung dieser Richtlinie einen tief greifenden Einschnitt in das Grundrecht auf vertrauliche Kommunikation zur Folge hätte.756 Vor diesem Hintergrund wirkt es besonders erstaunlich, dass es hinsichtlich des Schutzes der Persönlichkeitsrechte der in der EU lebenden Personen im Richtlinientext keine Regelungen gibt. Artikel 7 bestimmt lediglich verschiedene Grundsätze zur Sicherheit der Daten im Rahmen der Speicherung durch die Kommunikationsanbieter. Wie bereits in vielen anderen Rechtsakten zur Terrorismusbekämpfung finden sich Verweise auf menschenrechtliche Verpflichtungen lediglich in der Präambel der Richtlinie.757 Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein, stellt mit Blick auf die Richtlinie fest, dass „fortan jedermann als potentieller Terrorist eingestuft [wird]. Das ist das Prinzip des Generalverdachts.“758 Und auch Hustinx sieht keinen ausreichenden Beweis für die Notwendigkeit dieser Maßnahme, woraus sich Zweifel bezüglicher der Verhältnismäßigkeit ergeben.759 Das Forum Menschenrechte, ein Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Menschenrechtsorganisationen in der Bundesrepublik, veröffentlichte im Juni 2006 ein Positionspapier unter dem Titel Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen Grundrechte und untergräbt die freie Gesellschaft. Neben verschiedenen Verweisen auf Bestimmungen des Grundgesetzes wird deutlich gemacht, dass die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gegen Art. 8 EMRK verstößt. Aufgrund der lückenlosen Erfassung von Kommunikations- sowie Bewegungsprofilen europäischer Bürger sei die verdachtslose Speicherung von Kommunikationsdaten nicht hinnehmbar. Der mit der Richtlinie verbundene Eingriff in die Grundrechte sei völlig unverhältnismäßig. Aus diesem Grund werden die politischen Vgl. Krempl, Stefan (2005): Jeder unter Verdacht, in: Die Zeit, 49/2005, S. 32. Vgl. Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Union (2006). 758 Zitiert nach Sattler, Karl-Otto (2005): Bürger unter Generalverdacht. Interview mit Thilo Weichert, in: Das Parlament, 51-52/2005, S. 5. 759 Vgl. Hustinx (2005), S. 40. 756 757 205 Entscheidungsträger u.a. aufgefordert, Alternativen zur Vorratsdatenspeicherung, etwa das Quick-Freeze-Verfahren760, in Betracht zu ziehen.761 Die Vorratsdatenspeicherung verletzt zwei grundlegende Grundrechte in massiver Weise. Zum einen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. So werden die Kommunikationsdaten eines jeden Bürgers gespeichert, völlig unabhängig von der Frage, ob sich dieser in irgendeiner Weise strafbar oder verdächtig gemacht hat. Hier halten Befürworter zwar dagegen, dass die Daten erst dann genutzt werden, wenn es aus Sicht der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden erforderlich ist. Doch verlangt man hier den Bürgern jenes Vertrauen in den Staat ab, welches dieser gegenüber den einzelnen Menschen nicht gewährt und somit jeden unter Generalverdacht stellt. Zum anderen sehen Kritiker aber auch die Presse- und Meinungsfreiheit gefährdet. Es bestehe die Gefahr, dass kritische Berichterstattung verhindert wird, da potentielle Informanten ihr Wissen aus Angst vor Repressionen zurückhalten.762 Im Wissen, dass theoretisch jeder der persönlichen „digitalen Schritte“ nachvollzogen werden kann, wird stärker auf das Kommunikationsverhalten geachtet und z.B. Kontakte zu Pressevertretern oder zu regierungskritischen Organisationen vermieden. Das Recht auf freie Meinungsäußerung kann so über kurz oder lang massiv eingeschränkt werden. Diese Befürchtungen verstärken sich dadurch, dass durch die Vorratsdatenspeicherung letztlich auch eine umfassende Sozialkontrolle möglich wird, u.a. dadurch, dass bereits die Verbindungsdaten Rückschlüsse auf den Inhalt der Kommunikation zulassen.763 Telefoniert eine Person beispielsweise überdurchschnittlich häufig mit einem Onkologen, liegt es nahe, dass sie selbst oder ein Familienmitglied an Krebs erkrankt ist. Sicherlich erscheinen diese Kritikpunkte z.T. sehr abstrakt. Und in einem demokratischen System ist es erforderlich, den Behörden gegenüber ein Vertrauensverhältnis zu etablieren – gibt es doch Dem Quick-Freeze-Verfahren folgend werden Daten nur dann über den üblichen betrieblich bedingten Zeitraum gespeichert, wenn dies ein Gericht aufgrund konkreter Verdachtsmomente angeordnet hat. Vgl. Tschohl, Christof (2011): Der Europäische Vorrat an Daten über Kommunikationsverhalten, in: Bielefeldt, Heiner u.a. (Hrsg.): Nothing to hide – nothing to fear? Datenschutz – Transparenz – Solidarität. Jahrbuch Menschenrechte 2011, Wien, S. 74-86, hier S. 80. 761 Vgl. Sierck, Gabriela M. u.a. (Hrsg.) (2008): Handbuch der Menschenrechtsarbeit. Edition 2007/2008, S. 91-92. 762 Vgl. Hebestreit, Steffen (2009b): Schlicht verfassungswidrig, in: Frankfurter Rundschau vom 16. Dezember 2009, S. 11. 763 Vgl. Tschohl (2011), S. 81-82. 760 206 auch immer entsprechende Schutzmechanismen. Auf europäischer Ebene sind letztere allerdings, wie oben bereits ausgeführt wurde, aufgrund unzureichender Kompetenzen z.T. geschwächt. Und gerade das Zustandekommen der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung macht deutlich, dass blindes Vertrauen in demokratische Strukturen nicht ausreichend ist. So bezeichnete der Journalist und Publizist Heribert Prantl die Verabschiedung dieses Rechtaktes als „Pathologie der Schrumpfung des Grundrechtsbewusstseins.“764 Die Vorratsdatenspeicherung wurde und wird als Instrument der Bekämpfung schwerster Kriminalität, insbesondere des Terrorismus, diskutiert. Nach den damals geltenden europäischen Rechtsgrundlagen wäre die Verabschiedung eines entsprechenden Rechtsaktes unter Rückgriff auf die Mechanismen der PJZS logisch erschienen. Da es für einen Rahmenbeschluss, dem Rechtssetzungsinstrument im Bereich der Dritten Säule, allerdings keine Mehrheit gab, stützte Brüssel den Rechtsakt auf Normen der Ersten Säule und erklärte die Maßnahme somit kurzerhand als binnenmarktrelevant. Hier bedurfte es nicht einer Einstimmigkeit. Aufgrund dieser fragwürdigen Praxis legten Irland und die Slowakei Beschwerde beim EuGH ein und forderten, den Rechtsakt als nichtig zu erklären. Im Februar 2009 wies der EuGH diese Klage allerdings zurück und bestätigte so die wettbewerbsrechtliche Natur der Richtlinie. Der EuGH verwies in seinem Urteil auf die bereits bestehenden sehr unterschiedlichen Rechtsvorschriften zur Vorratsdatenspeicherung in einzelnen EU-Staaten sowie die erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen für die Dienstanbieter. Hieraus ließen sich (negative) Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts ableiten, welche durch eine Harmonisierung abzumildern sind. Darüber hinaus vertrat Luxemburg die Auffassung, dass die Bestimmungen der Richtlinie im Wesentlichen auf die Tätigkeiten der Anbieter elektronischer Kommunikation beschränkt sind und nicht den Datenzugang durch die Polizei- und Justizbehörden regeln. Die Richter befassten sich dabei allerdings nicht mit inhaltlichen Fragen. Eine Prüfung hinsichtlich der Vereinbarkeit mit grundrechtlichen Standards war daher nicht Teil des Gerichtsurteils.765 Prantl (2008), S. 102. Vgl. Prantl (2008), S. 104-105; vgl. auch Tschohl (2011), S. 78; vgl. auch Europäischer Gerichtshof (2009): Pressemitteilung Nr. 11/09 (10. Februar 2009). Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-301/06. Die Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Daten ist auf eine geeig764 765 207 Ein weiterer zentraler Aspekt des Vertrauens in demokratische Strukturen und Sicherheitsbehörden ist die Rechtssicherheit. So sollten einmal gefasste Beschlüsse in der Folge nicht sukzessive und willkürlich ausgeweitet werden. In seiner Kritik verweist Weichert aber eindringlich auf entsprechende Erfahrungen. Immer wieder wurden – auch in demokratischen Staaten – festgelegte Beschränkungen von Sicherheitsmaßnahmen mit der Zeit aufgeweicht. Inzwischen hat sich der Anwendungsbereich auch bei der Vorratsdatenspeicherung umfassend ausgeweitet. Die Daten werden nicht mehr allein – wie ursprünglich vorgesehen – zur Aufklärung bzw. Vorbeugung schwerster Verbrechen entsprechend der Katalogstrafen im EuHb-Rahmenbeschluss genutzt, sondern letztlich für jegliche sicherheitspolitische Aspekte.766 Wie oben bereits zu sehen war, wurde die Ausgestaltung sowie Verabschiedung der Vorratsdatenspeicherung von massiver Kritik begleitet. Diese verstummte in Brüssel letztlich aber ungehört. Mit der Umsetzung der Richtlinie in den einzelnen EU-Staaten ergaben sich aber weitere entsprechende Möglichkeiten des Protestes. So strengten in der Bundesrepublik fünf Einzelpersonen, darunter ehemalige Bundesminister, ein Verfahren vor dem BVerfG an, um das deutsche Umsetzungsgesetz zu kippen. In seinem Urteil vom 2. März 2010 erklärte Karlsruhe die Vorratsdatenspeicherung in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Version dann tatsächlich für verfassungswidrig. Entsprechend der Überzeugung der Antragsteller stelle diese einen besonders schweren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen dar. Die längerfristige Speicherung und die Verarbeitung der Kommunikationsdaten erlaube detaillierte Auskünfte über jeden einzelnen Bürger und ermöglichen so die Erstellung von Persönlichkeits- und Bewegungsprofilen. Darüber hinaus wird auf die Gefahr verwiesen, dass Personen, ohne selbst Anlass dafür gegeben zu haben, von weiterführenden Ermittlungen betroffen sein können. Schließlich wird, neben den Missbrauchsrisiken, auch auf eine grundsätzlich freiheitseinschränkende Wirkung der Vorratsdatenspeicherung aufmerksam gemacht. So könne sich ein diffuses Gefühl der permanenten Beobachtung in der Bevölkerung breit machen, welches letztlich dazu führt, dass Menschen ihre grundlegenden Rechte nicht mehr vollumfänglich wahrnete Rechtsgrundlage gestützt, in: http://curia.europa.eu/de/actu/communiques/cp09/aff/cp 090011de.pdf (1. November 2012). 766 Vgl. Prantl (2008), S. 106. 208 nehmen. Gleichzeitig erklärten die Richter eine verdachtslose Speicherung aller Daten durch Telekommunikationsanbieter nicht schlichtweg für verfassungswidrig. Vielmehr stellten sie fest, dass die entsprechende EU-Richtlinie der Bundespolitik sowie den deutschen Bundesländern genügend Spielraum lasse, um diese grundgesetzkonform umzusetzen. Hierfür formulierten die Karlsruher Richter verschiedene Mindestanforderungen, etwa die stärkere Einbeziehung von Richtern oder eine grundsätzliche Prüfung der geheimdienstlichen Datennutzung durch die jeweiligen parlamentarischen Kontrollinstanzen. 767 Seit dem Gerichtsurteil wird in der Bundesrepublik um die Umsetzung der Richtlinie gerungen. Zusätzliche Brisanz erhält dies durch den Umstand, dass mit dem Regierungswechsel 2008 mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine der Klägerinnen in das Amt der Justizministerin berufen wurde. In der Folge wurde eine Episode geschrieben, die die Geringschätzung der Freiheitsrechte im europäischen Kampf gegen den Terrorismus deutlich werden lässt: Nachdem das BVerfG das deutsche Umsetzungsgesetz zur Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung für unvereinbar mit den Grundrechten des Grundgesetzes erklärt hatte, wurde die Bundesrepublik von der Kommission unter Androhung von Zwangsmaßnahmen dazu aufgefordert, die Richtlinie umgehend umzusetzen. Und das obwohl ein Brüssel nahezu zeitgleich, im April 2011, vorgelegter Prüfbericht deutlich zum Ausdruck brachte, dass auch der europäische Rechtsakt gegen Grundrechte verstoße, nämlich gegen jene aus der EUGrundrechtecharta.768 Hieraus folgend hätte sich bereits zum damaligen Zeitpunkt die Überzeugung durchsetzen können, dass auf europäischer Ebene eine Überarbeitung der Richtlinie erforderlich ist. Dennoch blieb die Kommission bei ihrem Standpunkt und reichte schließlich im Frühjahr 2012 Klage gegen die Bundesrepublik ein. Schlussfolgernd kann hier zusammengefasst werden: „Der Zugewinn an Sicherheit durch Vorratsdatenspeicherung ist fraglich, aber unvermeidlich ist der Vgl. Sokol, Bettina (2012): Grundrechte sichern!, in: Schmidt, Jan-Hinrik/Weichert, Thilo (Hrsg.): Datenschutz. Grundlagen, Entwicklungen und Kontroversen, Bonn, S. 137-144, hier S. 142-143; vgl. auch Knapp, Ursula (2010): Karlsruhe kippt Speicherung, in: Frankfurter Rundschau vom 3. März 2010, S. 2. 768 Vgl. Bommarius, Christian (2011): Alberne Drohgebärden, in: Frankfurter Rundschau vom 19. April 2011, S. 10. 767 209 dadurch forcierte Verlust der Privatsphäre.“769 Und letzterer führt schließlich zur Untergrabung des sozialen Zusammenhalts ganzer Gesellschaften und deren Subsystemen,770 denn „Überwachung schafft Angst, und Angst macht stumm.“771 Biometrische Ausweisdokumente Heftige Kritik erfuhr auch der Ende 2004 durch den Rat der Europäischen Union getroffene Beschluss, dass Ausweisdokumente zukünftig biometrische Daten, die „spätestens seit den Terroranschlägen vom 11.9.2001, verstärkt noch nach den Anschlägen von London und Madrid, als Wunderwaffe im Kampf um mehr Sicherheit gehandelt [werden]“772, beinhalten sollen. Neben einem digitalisierten Foto werden daher seither, in manchen Ländern auf freiwilliger Basis, Fingerabdrücke gespeichert. Besonders kritisch hieran erscheint aus datenschutzrechtlicher Sicht, dass biometrische Daten nicht nur eine Identifizierung einer bestimmten Person ermöglichen, sondern auch Auskunft über höchst persönliche Informationen und gar Verhaltens- bzw. Lebensweisen (Gesundheitszustand, Gemütslage etc.) enthalten können, welche Rückschlüsse auf die individuelle Identität zulassen. Dies erscheint vor dem Hintergrund des eigentlichen Zieles – der reinen Erkennung einer Person – als unverhältnismäßig. Dies wird noch bestärkt vor dem Hintergrund der Speicherung dieser Daten, deren Verwendung rund um den Globus nicht steuerbar ist. So ist zu befürchten, dass als „Nebenprodukt“ generierte Daten in Datenbanken entsprechender Behörden aufgenommen und für weitere, nicht vorgesehene Zwecke verwendet werden.773 Besonders deutlich wird auch an diesem Beispiel aber das oben bereits diskutierte Demokratiedefizit europäischer Politik. Durch den Rückgriff auf das Rechtsetzungsinstrument der Verordnung wurde eine Beteiligung des EP weitgehend ausgeschlossen, eine Mehrheitsentscheidung – und somit die Verhinderung einer „Vetomacht“ – ermöglicht und die unmittelbare Rechtswirkung in den Mitgliedstaaten erzwungen, woraus eine „Nichtbeteiligung“ nationaler Parlamente folgte. Auch der Umstand, dass der dem anzuhörenden EU-Parlament Bommarius (2011), S. 10. Vgl. Wolf (2008), S. 137. 771 Wolf (2008), S. 148. 772 Gössner (2007), S. 65. 773 Vgl. Schaar (2007), S. 81-83. 769 770 210 vorgelegte Entwurf lediglich von der Aufnahme digitalisierter Fotos sprach, späterhin in den durch den Rat verabschiedeten Verordnungstext aber zudem noch Fingerabdrücke aufgenommen wurden, wirft einen Schatten auf das Rechtsetzungsverfahren. Denn so nahmen die Abgeordneten Stellung zu einem Dokument, welches in dieser Form faktisch schon gar keine Gültigkeit mehr hatte, da es wesentlich erweitert wurde.774 „Unter souveräner Missachtung von Parlamenten und Datenschützern“775 gelang es so auf europäischer Ebene einen Gesetzesakt zu verabschieden, dessen Inhalt auf nationalstaatlicher Ebene nur wenig Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. In gewisser Weise eine nachträgliche parlamentarische Legitimierung erfuhr die Speicherung biometrischer Daten in Ausweisdokumenten am 14. Januar 2009, als das EP mit überwältigender Mehrheit neuen entsprechenden Regelungen zustimmte. Die Parlamentarier unterstrichen die besondere Bedeutung der Dokumentensicherheit und erachteten daher die Aufnahme entsprechender biometrischer Merkmale, auch der Fingerabdrücke, für notwendig.776 Bedenken bleiben dennoch, zeigten wissenschaftliche Untersuchungen zum damaligen Zeitpunkt doch, dass die Technik nicht tauglich ist, Anschläge wie in New York, Madrid oder London zu verhindern. In Verbindung mit dem Wissen über die Gefahren einer unzureichenden Regulierung und eines möglichen Missbrauchs des Datenaustauschs, stellt die umfassende Erfassung der Bevölkerung durch biometrische Ausweisdokumente einen unverhältnismäßigen Eingriff in die grundlegenden Rechte eines jeden dar. Die ergriffenen Maßnahmen stellen eine fundamentale Misstrauenserklärung der Politik gegenüber den Bürgern dar und stempelt jeden zu einem potentiellen Gefährder ab.777 Es wird deutlich, dass die Datenverarbeitung auf europäischer Ebene erhebliche rechtsstaatliche und menschenrechtliche Probleme aufwirft. Mit dem Verweis auf die Bedrohung durch den Terrorismus werden Normen des Völker- und des Gemeinschaftsrechts ausgehebelt und der Schutz der persönlichen Freiheit in den Hintergrund gedrängt. Rechtsstaatliche Grundsätze, wie die Verhältnismä- Vgl. Schaar (2007), S. 135-136. Gössner (2007), S. 66. 776 Vgl. Vucheva, Elitsa (2009): EU to launch biometric passports by summer, in: http://euobserver.com/9/27407/?rk=1 (15. Januar 2009). 777 Vgl. Gössner (2007), S. 66-69 sowie S. 72-73. 774 775 211 ßigkeit oder die Erforderlichkeit finden keine Beachtung. Auch der Umstand, dass das EP maßgeblich an der Verabschiedung der Richtlinie 2006/24/EG beteiligt und somit eine parlamentarische Kontrolle gegeben war, kann in diesem Fall nicht zufrieden stellen. Schließlich standen bereits damals erhebliche datenschutzrechtliche Bedenken diesem Vorhaben entgegen. Daher erscheint dieses Beispiel als ein deutliches Zeichen für das Ungleichgewicht der öffentlichen Güter Freiheit und Sicherheit. Zusammenfassend ist festzustellen: „Big Brother is now technologically feasible […]. But in a democracy constrained by constitutional limitations we cannot opt to do everything we are technically capable of doing.“778 Die immer weiter greifenden Bemühungen (europäischer) Staaten im Kampf gegen den Terrorismus präventiv zu wirken, führen dazu, dass heute Sicherheitsbehörden ihre Aufmerksamkeit immer stärker auf „typologisch abgefasste Täterprofile und gruppenbezogene Gefahrenprognosen“779 richten und nicht, wie in Rechtsstaaten üblich, auf das strafrechtlich relevante Verhalten Einzelner. Hiermit weist Bielefeldt auf die Problematik des „pauschalen Spezialverdachts“780 hin. In Verbindung mit der Losung „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten!“ führt die präventive Rasterung der Gesellschaft in Gefährder und Nicht-Gefährder zu einer „gesellschaftliche[n] Entsolidarisierung.“ 781 6 Änderungen im Bereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik Eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik wird seit der Verabschiedung des Amsterdamer Vertrags als ein zentraler Baustein für die Verwirklichung des RFSR angesehen. Hierbei war u.a. die Überlegung maßgebend, dass in einem gemeinsamen Raum ohne Binnengrenzen kompensatorische Maßnahmen in Bezug auf die Sicherung der EU-Außengrenzen erforderlich sind.782 Das Programm von Tampere verdeutlichte zudem aber auch, dass der Europäische Rat großen Wert auf die Achtung des Rechts auf Asyl legte. So soll sich ein gemeinDershowitz (2002), S. 110. Bielefeldt, Heiner (2011): Datenschutz als Solidaritätsgebot, in: Bielefeldt, Heiner u.a. (Hrsg.): Nothing to hide – nothing to fear? Datenschutz – Transparenz – Solidarität. Jahrbuch Menschenrechte 2011, Wien, S. 25-33, hier S. 29. 780 Bielefeldt (2011), S. 30. 781 Bielefeldt (2011), S. 32. 782 Vgl. Jahn, Daniela u.a. (2006): Asyl- und Migrationspolitik der EU. Ein Kräftespiel zwischen Freiheit, Recht und Sicherheit, Berlin, S. 6. 778 779 212 sames europäisches Asylsystem uneingeschränkt auf die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) beziehen.783 Grundsätzlich soll hier vorangestellt werden, dass es aus völkerrechtlicher Sicht keinen individuellen Anspruch auf die Gewährung von Asyl gibt. Vielmehr stellt das Asylrecht ein staatliches Souveränitätsrecht dar. Staaten sind nicht dazu verpflichtet, Flüchtlinge aufzunehmen. Staatliche Behörden allein entscheiden im Rahmen ihrer „Qualifikationskompetenz/-befugnis“ über die Asylgewährung für bestimmte Gruppen bzw. einzelne Personen. Allerdings wird dieses Prinzip in immer stärkerem Maße durch die Stärkung des internationalen Menschenrechtsschutzes infrage gestellt. Insbesondere das Gebot des non-refoulement, der Nichtzurückweisung bei Gefahr für Leib und Leben, hat in den vergangenen Jahren einen wachsenden Einfluss auf den völkerrechtlichen Flüchtlingsschutz.784 Dies wird insbesondere in den Jahren nach 9/11 deutlich. Zahlreiche Wissenschaftler beobachteten in der Phase nach den Anschlägen von New York und Washington, dass vor dem Hintergrund von Sicherheitsbedenken die Grenzkontrolle verstärkt und Asylbestimmungen verschärft wurden, sowohl auf nationalstaatlicher als auch auf EU-Ebene.785 Von anderer Seite wiederum wurde (und wird) argumentiert, die liberalen Asylgesetze in einigen EU-Staaten sowie andere weitreichende Freiheitsgewährungen in Europa spielten eine zentrale Rolle bei der Etablierung der aktuellen terroristischen Bedrohung – und stellten somit tatsächlich ein Sicherheitsrisiko dar.786 Wiederum andere Autoren sehen zwar Veränderungen in der europäischen Migrationspolitik, allerdings wiesen diese keinen unmittelbaren Zusammenhang zu den Anschlägen auf. Vielmehr sei die zunehmende Fokussierung auf Sicherheitsaspekte ein Prozess der bereits vor 9/11 begonnen hat.787 Im Folgenden wird exemplarisch untersucht, welche der drei Positionen am ehesten zu stützen ist. Hierbei werden Vgl. Jahn u.a. (2006), S. 8; vgl. auch Bendel, Petra (2004): Flüchtlingsrechte und Menschenrechte in der Europäischen Union, in: http://regionenforschung.uni-erlangen.de/publikationen /6/08.pdf (22. Januar 2013), S. 218. 784 Vgl. Fröhlich, Daniel (2011): Das Asylrecht im Rahmen des Unionsrechts. Entstehung eines föderalen Asylregimes in der Europäischen Union, Tübingen, S. 10-12; vgl. auch Bendel (2004), S. 210. 785 Vgl. Leonard, Sarah (2010): The Use and Effectivness of Migration Controls as a CunterTerrorism Instrument in the European Union, in: Central European Journal of International & Security Studies, 1/2010, S. 32-50, hier S. 32. 786 Vgl. Cottey (2007), S. 172; siehe hierzu auch Dershowitz (2002), S. 36-103. 787 Vgl. Huysmans, Jef (2006): The Politics of Insecurity. Fear, migration and asylum in the EU, Abingdon, S. 63. 783 213 insbesondere der Politikprozess in der unmittelbaren Folge des 11. September 2001 sowie ein zentrales Gesetzesvorhaben auf EU-Ebene betrachtet. „Die Anschläge des 11. September ereigneten sich in einer Phase tiefgreifender Wandlungen in der europäischen Flüchtlingspolitik. […] Es scheint, dass die terroristischen Anschläge und die seitdem gewachsene Besorgnis über die innere Sicherheit die Einstellungen gegenüber Einwanderung negativ beeinflusst haben.“788 So kam es im Bereich der Asyl-, Flüchtlings- und Migrationspolitik zur Aufschiebung der Verabschiedung einer Reihe von Vorschlägen der Kommission zu Themen wie Familienzusammenführung, gemeinsame Asylbestimmungen, Definition des Begriffes Flüchtling oder dem Zugang Drittstaatsangehöriger zum EU-Arbeitsmarkt.789 Der Rat ersuchte Brüssel am 20. September 2001 stattdessen, „dringend das Verhältnis zwischen der Gewährleistung der inneren Sicherheit und der Erfüllung der Anforderungen aus internationalen Schutzverpflichtungen und den diesbezüglichen völkerrechtlichen Instrumenten zu prüfen.“790 Dabei waren nicht die Besorgnis hinsichtlich des Schutzes von Menschenrechten ausschlaggebende Triebfedern, sondern allein sicherheitspolitische Erwägungen. Hintergrund hierfür ist die Annahme, dass (potentielle) Terroristen das Asylrecht nutzen, um in die EU einzureisen – ein Hinweis darauf, dass die Union die terroristische Bedrohung als eine äußere wahrnahm und so Migration als besonderes Risikopotenzial betrachtet.791 In Antwort auf das Ersuchen des Rates veröffentlichte die Kommission am 5. Dezember 2001 ein entsprechendes Arbeitsdokument. „Die zwei wichtigsten Prämissen, auf denen dieses Papier aufbaut, sind zum einen, dass bona-fide-Flüchtlinge und Asylsuchende nicht Opfer der jüngsten Ereignisse werden dürfen, und zum zweiten, dass es für Personen, die terroristi- Boswell, Christina (2002): Innere Sicherheit durch Einwanderungskontrolle?, in: Schoch, Bruno u.a. (Hrsg.): Friedensgutachten 2002, Münster, S. 135-141, hier S. 135. 789 Vgl. Vennemann (2004), S. 264. 790 Rat der Europäischen Union (2001b). 791 Vgl. Oosting (2002), S. 25; vgl. auch Neal, Andrew (2009): Securitization and Risk at the EU Border: The Origins of Frontex, in: Journal of Commom Market Studies, 2/2009, S. 333-356, hier S. 338-339. 788 214 sche Handlungen unterstützen oder begehen, keinen sicheren Zugang zum Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union geben darf.“792 Wie auch der Hohe Kommissar für Flüchtlinge der VN empfiehlt die Kommission eine strikte Anwendung der Ausnahmeklauseln nach Art. 1 F der GFK. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass keine Änderungen am bestehenden Schutzinstrumentarium vorgenommen werden sollten. Im Weiteren führt Brüssel im Arbeitspapier internationale Regelungen zum Umgang mit Flüchtlingen und Asylsuchenden auf. Dabei wird ausdrücklich auf das sich aus Art. 3 der EMRK ableitende Auslieferungsverbot in Staaten, in denen der betroffenen Person Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (nonrefoulement-Gebot), hingewiesen.793 Als weiterer Ausgangspunkt der Betrachtung wären zudem die Art. 18 und 19 der GRC heranzuziehen. Diesen folgend gewährleistet die EU nach Maßgabe der GFK das Recht auf Asyl und untersagt so genannte Kettenabschiebungen sowie Abschiebungen bei drohender Folter oder Todesstrafe. Das refoulement-Verbot nach Art. 33 Flüchtlingskonvention und Art. 3 EMRK gehört heute zum Kernbestand des völkerrechtlichen Flüchtlingsschutzes. Die staatliche Entscheidungsfreiheit über die Einreise sowie den Verbleib Schutzsuchender wird hierdurch erheblich eingeschränkt. Zwar kann, entsprechend der Qualifikationskompetenz, die Gewährung von Asyl versagt werden, doch ist ein Aufenthalt solange zu gewähren, bis ein anderer Staat, in dem keine Verfolgung oder eine weitere Abschiebung („Kettenabschiebung“) droht, zur Aufnahme bereit ist. Nach inzwischen vorherrschender Meinung ist hierdurch auch eine direkte Zurückweisung von Flüchtlingen an Grenzen verboten.794 Sowohl aus der Flüchtlingskonvention als auch aus der GRC lässt sich kein individuell einklagbares Recht auf Asylgewährung ableiten. Verpflichtet sind die Staaten allerdings zur Überprüfung eines möglichen Flüchtlingsstatus. Der völkerrechtliche Flüchtlingsschutz kennt dabei neben der fehlenden Schutzbedürf- Europäische Kommission (2001b): Das Verhältnis zwischen der Gewährleistung der inneren Sicherheit und der Erfüllung der Anforderungen aus internationalen Schutzverpflichtungen und den diesbezüglichen völkerrechtlichen Instrumenten, in: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/ site/de/com/2001/com2001_0743de01.pdf (19. Juli 2006). 793 Vgl. Europäische Kommission (2001b). 794 Vgl. Fröhlich (2011), S. 14-17; vgl. auch Bendel (2004), S. 211. 792 215 tigkeit nur einen weiteren Ausschlussgrund: die Schutzunwürdigkeit. Nach Art. 1 F GFK darf der Flüchtlingsstatus Personen nicht gewährt werden, wenn sie beispielsweise Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen oder Handlungen vollzogen haben, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen.795 Zudem gewährt die GFK eine Ausnahme vom non-refoulement-Prinzip. Diese findet sich in Art. 33 Abs. 2. Nur wenn ein Flüchtling im Sinne der Konvention eine Gefahr für die Sicherheit des Staates in dem er sich befindet darstellt, oder wegen eines ernsthaften Verbrechens letztinstanzlich verurteilt wurde, kann das Nichtauslieferungsprinzip ausgesetzt werden. Dieser Artikel ist im Sinne des Flüchtlings sehr restriktiv auszulegen.796 Die Einschränkungsklausel des refoulement-Verbots darf dabei nicht mit den Ausschlussklauseln gleichgesetzt werden. Letztere beziehen sich ausschließlich auf das Handeln einer Person in der Vergangenheit bis zum Schutzgesuch, besitzen einen zwingenden Charakter und dienen nicht dem Interesse des Aufnahmestaates. Demgegenüber sind die Bezugspunkte für eine Einschränkung des non-refoulement, als letztes Mittel der Staatspraxis bei außerordentlichen Bedrohungen, zukünftig zu erwartende Risiken durch bereits anerkannte Flüchtlinge. Hierbei haben die jeweiligen staatlichen Behörden einen Ermessensspielraum.797 Einen solchen Vorbehalt kennt die EMRK bzw. die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 allerdings nicht. Auch vom Flüchtlingsschutz ausgenommene Personen fallen daher unter diese Regelung. Entsprechenden Versuchen der britischen Regierung Art. 3 EMRK mit Sicherheitsinteressen des Staates abzuwägen bzw. die Prüfung der Risiken für den Schutzsuchenden bei einer Abschiebung weniger streng durchzuführen hat der EGMR klar widersprochen. Die Gefahr, die der Einzelne für die Allgemeinheit darstellt, könne nicht mit der individuellen Bedrohung im Herkunftsland verrechnet werden.798 In der Folge von 9/11 verabschiedete die Kommission eine Reihe von Vorschlägen, die sich allen voran mit der Eindämmung der illegalen Einwanderung und Vgl. Marx, Reinhard (2012): Handbuch zum Flüchtlingsschutz. Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Auflage, Köln, S. 350. 796 Vgl. Fröhlich (2011), S. 17; vgl. auch Amnesty International (2005b). 797 Vgl. Marx (2012), S. 371. 798 Vgl. Fröhlich (2011), S. 19-20; vgl. auch Marx (2012), S. 425. 795 216 der Sicherstellung der Rückführung illegaler Einwanderer befassten.799 Vor dem Hintergrund der bis zum 11. September 2001 als prioritär erachteten Punkte auf der Agenda der Asyl- und Migrationspolitik stellt Vennemann daher fest: „This change in the subject of the Commission’s proposals after 11 September 2001 clearly demonstrates the political will of the European Union to adopt a more restrictive approach on the issues of immigration and asylum.“800 Wurde Migration in Tampere noch als positiver Antrieb zukünftiger sozialer Entwicklung in Europa gesehen, änderte sich spätestens mit dem Haager Programm die Wahrnehmung. Hier manifestierten sich insbesondere Sicherheitsaspekte. Die Kontrolle der Außengrenzen und die Bekämpfung illegaler Migration rückten in den Vordergrund.801 Gleichzeitig ist festzustellen, dass das Thema Grenz- und Migrationskontrolle in der unmittelbaren Folge der Anschläge vom 11. September 2001 keinen zentralen Baustein in der europäischen Terrorismusbekämpfung darstellte. Zwar fanden sich in Aktions- und Fahrplan Bezüge hierzu, allerdings wurde diesem Politikfeld keine Priorität beigemessen.802 Und so finden sich Bestimmungen zur Asyl- und Migrationspolitik in verschiedenen Rechtsakten zur Terrorismusbekämpfung, so etwa auch im Gemeinsamen Standpunkt über die Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001. In Art. 16 beschließt die EU den Erlass von Maßnahmen zur Sicherstellung, dass der Flüchtlingsstatus nicht an Personen verliehen wird, die terroristische Handlungen begehen, planen oder unterstützen. Nach Art. 17 sollen Vorkehrungen getroffen werden, um den Missbrauch des Flüchtlingsstatus durch diese Personengruppe zu verhindern. Beide Forderungen, mit denen Resolutionen der VN umgesetzt wurden, sollen unter Beachtung völkerrechtlicher Regelungen zum Flüchtlingsschutz umgesetzt werden.803 Die Erklärung zum Kampf gegen Terrorismus vom März 2004 stellte dann eine Art Wendepunkt im Bereich der Asylpolitik dar. Vor dem Hintergrund des Vgl. Vennemann (2004), S. 264. Vennemann (2004), S. 265. 801 Vgl. Bendel, Petra (2009): Europäische Migrationspolitik. Bestandsaufnahme und Trends, in: http://library.fes.de/pdf-files/wiso/06306.pdf (20. November 2012), S. 6. 802 Vgl. Leonard (2010), S. 34. 803 Vgl. Rat der Europäischen Union (2001d): Gemeinsamer Standpunkt vom 27. Dezember 2001 über die Bekämpfung des Terrorismus, in: OJ 2001 L 344/90 (28.12.2001). 799 800 217 ersten Anschlags auf EU-Territorium durch Migranten wurden erstmals Maßnahmen der Migrationskontrolle als zentrale Instrumente der Terrorismusbekämpfung aufgeführt. So werden eine Stärkung der Außengrenzkontrollen durch die Etablierung einer entsprechenden EU-Agentur (Frontex) sowie der Ausbau des Datenaustauschs in der Asyl- und Migrationspolitik gefordert. Diese Veränderung zeigt sich auch im aktualisierten Aktionsplan, in dem die spezifischen Maßnahmen nun detaillierter dargestellt und mit zeitlichen Vorgaben zur Umsetzung versehen wurden.804 Von besonderer Bedeutung ist die am 29. April 2004 verabschiedete Richtlinie 2004/83/EG über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes805, auch Qualifikationsrichtlinie genannt. Mit dieser wird das Ziel verfolgt, die einzelstaatliche Asylgewährung auf Grundlage der GFK anzugleichen. Zu diesem Zwecke regelt die Richtlinie Vorgaben zur Zuund Aberkennung des Flüchtlings- bzw. eines subsidiären Schutzstatus sowie Inhalte dieses Schutzes („Rechte im Asyl“) und stellt eine „verbindliche Anweisung für die Interpretation des völkerrechtlichen Flüchtlingsbegriffs“806 dar.807 Und tatsächlich beinhaltet die Richtlinie verschiedene positive Entwicklungen für das europäische Asylregime, etwa die Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgungsgründe oder die Festschreibung einer Flüchtlingsdefinition entsprechend der GFK.808 Wie die GFK beschreibt die Richtlinie spezifische Ausschlussgründe. Diese sind in Art. 12 festgeschrieben und im Wesentlichen wortgleich zur Regelung im Völkerrecht. Entsprechend sind die Bestimmungen im Sinne des Schutzsuchenden Vgl. Leonard (2010), S. 34-35. Rat der Europäischen Union (2004b): Richtlinie über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, in: OJ 2004 L 304/12. 806 Marx (2012), S. 3. 807 Vgl. Fröhlich (2011), S. 226. 808 Vgl. Garlick, Madeline (2006): Asylum Legislation in the European Community and the 1951 Convention: Key Concerns regarding Asylum Instruments adopted in the First Phase of Harmonization, in: Balzacq, Thierry/Carrera, Sergio (Hrsg.): Security versus Freedom? A Challenge for Europe´s Future, Aldershot, S. 45-59, hier S. 54. 804 805 218 restriktiv auszulegen und abschließend. Gleichzeitig leitet sich ein Anspruch auf eine sorgfältige Prüfung des Schutzbegehrens ab.809 Allerdings befürchten Kritiker wie beispielsweise Amnesty International, dass die Umsetzung der Richtlinie zu einer Verstärkung des Spannungsverhältnisses zwischen der Zurückweisung bzw. Auslieferung von Flüchtlingen und der Festlegung des Flüchtlingsstatus führen wird.810 Dies begründet sich insbesondere in jenen Artikeln, die sich mit den Ausnahmen vom non-refoulement-Gebot befassen. Laut Art. 14 Abs. 4 der Richtlinie „[können] die Mitgliedstaaten einem Flüchtling die ihm von einer Regierungsoder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannte Rechtsstellung aberkennen, diese beenden oder ihre Verlängerung ablehnen, wenn a) es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass er eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält; b) er eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats darstellt, weil er wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt wurde.“811 Diese Formulierung geht konform mit völkerrechtlichen Vorgaben. Der folgende Absatz kann diesem Erfordernis allerdings nicht mehr genügen. Hier wird den Staaten die Möglichkeit eröffnet, schutzsuchenden Personen die Flüchtlingseigenschaft auch aufgrund einer zukünftigen Gefährdung abzusprechen. Zwar lehnt sich der Rat bei der Formulierung der entsprechenden Textpassage eng an die Genfer Flüchtlingskonvention an. Allerdings besteht dennoch die Gefahr der Aufweichung des völkerrechtlichen Flüchtlingsschutzes.812 Die Richtlinie ermöglicht den Mitgliedstaaten den Ausschluss von Personen vom Flüchtlingsstatus nach Gründen, die inhaltlich Art. 33 Abs. 2 GFK entsprechen. Vgl. Marx (2012), S. 370. Vgl. Amnesty International (2005b). 811 Rat der Europäischen Union (2004b): Richtlinie über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, in: OJ 2004 L 304/12 (30.09.2004). 812 Vgl. Amnesty International (2005b); vgl. auch Löhr, Tillmann (2008): Die Qualifikationsrichtlinie: Rückschritt hinter internationale Standards?, in: Hofmann, Rainer/Löhr, Tillmann (Hrsg.): Europäisches Flüchtlings- und Einwanderungsrecht. Eine kritische Zwischenbilanz, Baden-Baden, S. 47-97, hier S. 85. 809 810 219 Hierdurch werden die Unterschiede zwischen Ausschlussklauseln und Ausnahmeregelungen des refoulement-Verbots vermischt. Entsprechend sieht auch die VN-Flüchtlingsagentur (UNHCR) die Gefahr, dass durch eine entsprechende Staatenpraxis der völkerrechtliche Flüchtlingsschutz zum Nachteil Schutzsuchender verändert wird.813 Auch in Art. 17 Abs. 1, der den Ausschluss einer Person vom subsidiären Schutz, also der zeitweisen Aufnahme aufgrund von akuten Krisenfällen, regelt, sind ähnliche Befunde festzustellen. In den Buchstaben a) bis c) folgt die Richtlinie wörtlich der Flüchtlingskonvention Art. 1 F. Allerdings wurde diesem Artikel der Buchstabe d) angehängt, welcher verfügt dass ein Ausschluss auch möglich ist, wenn die betroffene Person eine Gefahr für die Allgemeinheit bzw. für die Sicherheit des jeweiligen EU-Staates darstellt. Auch hier wird also eine zukünftige potentielle Bedrohung durch einzelne Personen als Ausschlussgrund herangezogen. Ein Bruch des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes ist somit nicht zwangsläufig, doch schafft die EU theoretisch die Gefahr das refoulementVerbot zu brechen und Menschen vom Asylsystem fernzuhalten, der nach der GFK zumindest eine Prüfung ihres Falls zustehen würde.814 Von besonderer Bedeutung für die Bekämpfung des Terrorismus ist nach Auffassung der EU auch der effektive Schutz der Außengrenzen und somit die Eindämmung irregulärer Migration. Hierfür wurde am 26. Oktober 2004 die Grenzschutzagentur Frontex durch Ratsbeschluss ins Leben gerufen. Das Budget dieser Einrichtung ist heute der mit Abstand größte Haushaltsposten im Bereich des RFSR.815 Die Notwendigkeit der Einrichtung dieser EU-Agentur wurde dabei häufig mit der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus begründet. So wird die EU-Grenzschutzbehörde auch entsprechend in den spezifischen Dokumenten aufgeführt. Mit Blick auf die primären Aufgaben und insbesondere das operationelle Handeln ist allerdings nur ein geringer Bezug zur Terrorismusbekämpfung festzustellen. Wie bei vielen Maßnahmen zur Migrationskontrolle ist häufig nur ein mittelbarer Zusammenhang herzustellen. Vielmehr liegt die Priorität eindeutig auf der Verhinderung bzw. Zurückdrän- Vgl. Marx (2012), S. 372. Garlick (2006), S. 55. 815 Vgl. Bendel (2009), S. 8. 813 814 220 gung illegaler Migration.816 Vor diesem Hintergrund, der rhetorischen Betonung der Bedeutung der Grenzsicherung für die und den eher marginalen Bezügen des operativen Handelns in diesem Bereich zur Terrorismusbekämpfung, sehen einige Wissenschaftler einen Beleg für die zunehmende „Versicherheitlichung“ europäischer Politik. Es wird befürchtet, dass immer weitere Politikbereiche insbesondere im Hinblick auf mögliche Sicherheitsgefährdungen debattiert und reglementiert werden. Hierdurch könne sich auf EU-Ebene eine immer stärkere repressive Gesetzgebung etablieren. Die EU sieht in der Etablierung von Frontex allerdings keine Folge eines solchen securitisation-Prozesses, sondern eine logische Folge des voranschreitenden Integrationsprozesses.817 Auf das operative Wirken von Frontex soll hier nicht weiter eingegangen werden. Nicht zu verbergen ist allerdings, dass es in diesem Bereich eine sehr kontroverse Diskussion hinsichtlich der Verletzung von Menschenrechten durch FrontexOperationen gibt. Dies zeigen auch einschlägige Urteile vor dem EGMR.818 Anhand der Qualifikationsrichtlinie und der allgemeinen Debatten zur Asylund Flüchtlingspolitik nach 9/11, die hier nur sehr kursorisch behandelt wurden, lässt sich verdeutlichen, dass der 11. September 2001 eine „Zeitenwende“ in der Asylpolitik der EU bedeutete. Bis zu diesem Tag waren die Themen Migration und Sicherheit weitgehend getrennte Politikbereiche. Nach den Anschlägen wurde in den Debatten deutlich, dass fortan ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der inneren Sicherheit und Flüchtlings- und Einwanderungsprozessen postuliert werden soll. Hieraus folgten zwei Entwicklungen: Einerseits kann eine „securitisation der Asyl- und Migrationspolitik“819 beobachtet werden.820 Die Themen Asyl und Migration wurden zunehmend unter einen SicherheitsVgl. Leonard (2010), S. 36-37. Vgl. Neal (2009), S. 343-345. 818 Siehe hierzu beispielsweise Cremer, Hendrik (2012): Den europäischen Flüchtlingsschutz neu regeln, Berlin oder Human Rights Watch (2011): The EU´s Dirty Hands. Frontex Involvement in Ill-Treatment of Migrant Detainees in Greece, in: http://www.hrw.org/sites/default/ files/reports/greece0911webwcover_0.pdf (20. Januar 2013). 819 Jahn u.a. (2006), S. 4; vgl. auch Amnesty International (2005b). 820 Diese Beobachtung wird von Boswell nicht geteilt. Ihrer Auffassung nach kann weder mit Blick auf die Debatten zur Terrorismusbekämpfung noch in Bezug auf das Handeln von Sicherheitsbehörden von einem securitisation-Prozess gesprochen werden. Allerdings richtet sich der Blick ihrer Analyse sehr stark auf nationalstaatliche Diskussionen und Rechtssetzungsprozesse innerhalb der Union. Siehe hierzu Boswell, Christina (2007): Migration Control in Europe After 9/11: Explaining the Absence of Securitization, in: Journal of Commom Market Studies, 3/2007, S. 589-610 sowie Boswell, Christina (2009): Migration, Security, and Legitimacy. Some Reflections, in: Givens, Terri E. u.a. (Hrsg.): Immigration Policy and Security. U.S., European and Commonwealth Perspectives, New York, S. 93-108. 816 817 221 vorbehalt gestellt. Hiermit verbunden etablierte sich eine Tendenz zur Vernachlässigung von Grundwerten und der Verantwortung zum Schutz von Flüchtlingen. Andererseits führte die Veränderung des Politik- und Kommunikationsstils in diesem Politikfeld zu einer pauschalen Vorverurteilung bestimmter Migrantengruppen. In Medien und in politischen Statements wurde immer wieder ein direkter Zusammenhang zwischen dem Terrorismus und der Einwanderung hergestellt. So wurden insbesondere Flüchtlinge aus muslimischen Ländern mit einem Generalverdacht belegt. Hierdurch besteht die Gefahr der gesellschaftlichen Vorverurteilung von Migranten als Sicherheitsrisiko.821 Aus menschenrechtlicher Sicht „[sind] Flüchtlinge, die in einem Holzboot den gefährlichen Weg von Afrika in die Europäische Union wagen, zuvörderst als politische und/oder wirtschaftliche Flüchtlinge und nicht als Gefahr für die innere Sicherheit zu behandeln.“822 Einschränkend kann hier angeführt werden, dass dieser Prozess nicht ganz neu, also keine ausschließliche Folge von 9/11 ist. Vielmehr wurde bereits in den 1990er Jahren in den Debatten um die Terrorismusbekämpfung sowie die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität immer wieder ein enger Zusammenhang zwischen terroristischer Gewalt und der illegalen Migration hergestellt.823 Schließlich ist es vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Wandlungsprozesse terroristischer Gruppierungen fraglich, ob die gewählten Instrumente tatsächlich den Bedrohungen durch den Terrorismus Rechnung tragen. So gibt es bisher keine systematische Überprüfung der Effektivität von Maßnahmen der Migrationskontrolle im Kampf gegen den Terrorismus. Vielmehr erscheinen einzelne Maßnahmen gar konträr. So wurde etwa die Visapflicht zur Einreise in die EU ausgebaut. Einerseits ist durch keine Zahlen belegbar, dass hierdurch der Grenzübertritt potentieller Terroristen minimiert wird, andererseits verstärkt dieser Schritt die Potenziale irregulärer Migration.824 Zudem nutzen Terrornetzwerke wie al-Qaida nachweislich andere Wege, um gewaltbereite Anhänger „über Grenzen zu bringen.“825 Vielmehr erscheint die neue Ausrichtung der Politik einseitig zu Lasten von Asylsuchenden und Flüchtlingen zu gehen. Sie, Vgl. Jahn u.a. (2006), S. 4; vgl. auch Leonard (2010), S. 46. Jahn u.a. (2006), S. 4. 823 Vgl. Bures (2011), S. 60. 824 Vgl. Leonard (2010), S. 40. 825 Vgl. Jahn (2006), S. 4. 821 822 222 die nicht hochqualifiziert sind oder wirtschaftlich nützlich erscheinen, sind die Verlierer der europäischen Migrationspolitik nach dem 11. September 2001.826 Denn die Verfahren und Instrumente der Asyl- und Flüchtlingspolitik wurden verstärkt mit Restriktionen versehen und „auf Abschottung ausgelegt.“827 Hieraus ergibt sich ein deutliches Spannungsverhältnis zu den völker- bzw. menschenrechtlichen Verpflichtungen sowie der ethischen Verantwortung der EU und deren Mitgliedstaaten zum Schutz von Flüchtlingen. Humanitäre Aspekte wurden zunehmend in den Hintergrund gerückt. Die Anschläge vom 11. September und später von Madrid und London haben „die einwanderungsfeindliche Praxis auf verschiedene Weise weiter verstärkt [haben]. Die Anschläge dienten der Rechtfertigung restriktiver Einreise- und Aufenthaltskontrollen.“828 7 Stärkung der Kooperation zwischen der EU und den USA im Bereich der inneren Sicherheit 7.1 Datenübermittlung und Kooperation der Sicherheitsdienste Zwischen den USA und der EU sowie deren Mitgliedstaaten bestehen in den meisten Politikfeldern ausgeprägte Kooperationsbeziehungen. Die Terrorismusbekämpfung stand dabei allerdings lange nicht im Fokus der transatlantischen Zusammenarbeit. Dies begründet sich insbesondere in den sehr unterschiedlichen historischen Erfahrungen mit dem Phänomen des Terrorismus. Während dieses für einige EU-Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg sehr präsent war, nahmen die USA dieses lange Zeit eher als ein außenpolitisches Thema war, da auf ihrem Hoheitsgebiet nur wenige Anschläge verübt wurden.829 Dies änderte sich in den 1990er Jahren. Schon vor den Anschlägen vom 11. September 2001 bemühte sich die USA um einen stärkeren Einfluss auf die Entwicklungen im Bereich der europäischen Justiz- und Innenpolitik. Doch erst nach den Anschlägen von New York und Washington waren auch die EUStaaten bereit, die Verbindungen zwischen europäischen und US- amerikanischen (Sicherheits-)Behörden zu verstärken und zu institutionalisie- Vgl. Boswell (2002), S. 139-140. Jahn u.a. (2006), S. 4. 828 Boswell (2002), S. 138. 829 Vgl. Rees, Wyn (2009): US-European Union Homeland Security Cooperation, in: Eder, Franz/Senn, Martin (Hrsg.): Europe and Transnational Terrorism. Assessing Threats and Countermeasures, Baden-Baden, S. 129-143, hier S. 132-133. 826 827 223 ren.830 Dies wurde etwa daran deutlich, dass die Zusammenarbeit mit den USA im Bereich der inneren Sicherheit im Aktionsplan vom September 2001 eine besondere Stellung einnimmt.831 Die Intensivierung der EU-USA-Kooperation in diesem Politikbereich schlug sich in der Folge vor allem in folgenden Punkten nieder: Einführung einer regulären Zusammenarbeit zwischen Europol und entsprechenden US-Behörden; Verabschiedung eines Auslieferungs- und eines Rechtshilfeabkommens, das Knüpfen von Kontakten zwischen Eurojust und der amerikanischen Staatsanwaltschaft sowie einer Verstärkung der Zusammenarbeit in Grenzkontrollfragen.832 Einige dieser Maßnahmen werden im Weiteren näher betrachtet und hinsichtlich ihrer „Menschenrechtsverträglichkeit“ analysiert. Die amerikanische Regierung trat bereits wenige Wochen nach den Anschlägen von New York und Washington an die EU heran, um gemeinsame Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung einzuleiten. Der Fokus war dabei auf die polizeiliche Zusammenarbeit gerichtet. In einem Schreiben vom 16. Oktober 2001 ersuchte der amerikanische Präsident George W. Bush die EU um eine engere Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit. Dabei unterbreitete er dem Ratsvorsitz und der Kommission eine Liste mit 40 Vorschlägen, in der die amerikanische Seite beispielsweise die Revision europäischer Datenschutzbestimmungen forderte. Das EP machte aber deutlich, dass eine verstärkte Zusammenarbeit in diesem Bereich aufgrund der unterschiedlichen Rechtslagen zu Komplikationen führen könnte; als Beispiele wären hier die Verhängung der Todesstrafe oder die Ankündigung von George W. Bush zur Einrichtung von Militärtribunalen zur Aburteilung Terrorismusverdächtiger zu nennen. Die Abgeordneten wiesen darauf hin, dass bei allen internationalen Abkommen der EU im Bereich der Polizeizusammenarbeit die EMRK zu beachten ist.833 Ein zentrales Problem bei der Übermittlung von Daten an amerikanische Behörden ist der zu beobachtende Unterschied mit Blick auf die Bedeutung des Datenschutzes. In der EU wurden zahlreiche Verordnungen und Vorschriften Vgl. Boer (2003), S. 194. Vgl. Knelangen (2005), S. 407; vgl. auch Archick (2004), S. 8. 832 Vgl. Monar (2004), S. 158-160. 833 Vgl. Heinz u.a. (2003), S. 16; vgl. auch Europäisches Parlament (2001b): Entschließung zu der justiziellen Zusammenarbeit der Europäischen Union mit den Vereinigten Staaten bei der Terrorismusbekämpfung, in: OJ 2002 CE 177/288. 830 831 224 hierzu erlassen, welche die Speicherung, Verarbeitung und Weitergabe persönlicher Daten der Bürger reglementiert, um so Persönlichkeitsrechte zu schützen. In den USA wird dieses Thema „pragmatischer“ betrachtet. Es gibt keine festgeschriebenen Gesetze oder Richtlinien, vielmehr orientiert man sich hier an der Rechtsprechung der Gerichte bzw. an Präzedenzfällen. Die Verarbeitung datenbezogener Daten ist in den USA erlaubt, staatlichen Behörden und privaten Unternehmen. Hinzu kommt eine starke Intransparenz hinsichtlich der Datenverarbeitung. Hieraus ergibt sich ein deutlich geringeres Schutzniveau.834 Die NGO Privacy International ordnet die USA gar als „endemische Überwachungsgesellschaft“ in ihrer Rangliste ein. Insbesondere nach 9/11 gab es einen „starken Schub hin zu staatlicher Überwachung“835 in den USA. Durch den Patriot Act wurden die Befugnisse der Sicherheitsbehörden zum anlasslosen und heimlichen Ausspionieren der Bevölkerung ausgeweitet.836 Hintergrund der Auseinandersetzungen um die Übermittlung von Daten ist somit „das Aufeinanderprallen zweier grundverschiedener Ansätze zum Schutz von Privatsphäre und personenbezogenen Daten.“837 Vor dem Hintergrund der Anschläge vom 11. September 2001 bemühte sich aber auch Europol umgehend um eine engere Zusammenarbeit mit den USA. Bereits im Dezember 2001 konnte ein erstes Abkommen verabschiedet werden. Gegenstand war der Austausch strategischer und technischer Informationen, um so, über den „Mittelsmann“ Europol, die Kooperation zwischen den EUStaaten und den amerikanischen Behörden zu stärken. Dieses erste Abkommen schloss die Übermittlung persönlicher Daten aus. Daher wurde ein Jahr später ein ergänzendes Übereinkommen unterzeichnet, welches auch ausdrücklich den Austausch von personenbezogenen Informationen einschloss. Die Verhandlungen waren dabei gekennzeichnet durch einen intransparenten Diskussionsprozess, in dem auch kritische Stimmen aus einzelnen Mitgliedstaaten schlicht nicht berücksichtigt wurden. Auch der Widerspruch der GKI des Europäischen Vgl. Rees (2009), S. 137-138; vgl. auch Papakonstantinou, Vagelis/Hert, Paul de (2009): The PNR Agreement and Transatlatic Anti-Terrorism Co-operation: No firm Human Rights Framework on either side of the Atlantic, in: Common Market Law Review, Jg. 46, S. 885-919, hier S. 898; vgl. auch Weichert, Thilo (2012): Datenschutz und Überwachung in ausgewählten Staaten, in: Schmidt, Jan-Hinrik/Weichert, Thilo (Hrsg.): Datenschutz. Grundlagen, Entwicklungen und Kontroversen, Bonn, S. 419-425, hier S. 420-421. 835 Weichert (2012), S. 420. 836 Vgl. Weichert (2012), S. 419-420. 837 Volz, Markus (2007): Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, Berlin, S. 174. 834 225 Polizeiamtes, welche sich nur unzureichend konsultiert sah, verhinderte nicht den Abschluss des Abkommens.838 Dies ist aus rechtsstaatlicher Sicht sehr kritisch zu sehen, da das Abkommen vom Dezember 2002 „will allow for an unprecedented dimension of data exchange both in terms of quantity as well as in terms of sensitivity of the data.“839 Des Weiteren ist zu kritisieren, dass die Definition des Begriffes „persönliche Daten“ sehr weit gefasst wird. Zwar werden im weiteren Text des Abkommens Einschränkungen für den Austausch so genannter „sensibler Daten“ vorgenommen, allerdings umfassen diese z.B. nicht DNA-Profile. Diese ermöglichen Ermittlungsbehörden aber durchaus, Rückschlüsse auf unzählige sensitive Daten einer Person, u.a. Rasse, Geschlecht, Gesundheitszustand, zu ziehen.840 Die nationalen Parlamente, gleiches gilt für das EP, wurden nicht nur im Prozess der Verhandlungen und der Verabschiedung des Abkommens unzureichend einbezogen, auch der Prozess des Datentransfers ist für die Abgeordneten kaum überprüfbar. So gibt es nur unzureichende Möglichkeiten, die Übermittlung von Daten zu unterbinden. Zudem ist – auch für Europol – kaum nachzuvollziehen, in welcher Form und durch welche amerikanischen Behörden die übermittelten Daten verarbeitet werden. Im Abkommen wird von „competent authorities“ gesprochen. Wer diese sind bleibt allerdings unausgesprochen. Schließlich finden sich im Abkommen keinerlei Festschreibungen über einzuhaltende Standards zum Schutz persönlicher Daten.841 „Considering the extension of the mandate of Europol and the practically unlimited exchange of data with the USA, the current data protection level must be increased substantially in order to meet minimum fundamental rights standards.“842 Wie oben bereits kurz ausgeführt wurde, agierte Europol über den gesamten Untersuchungszeitraum mit Blick auf die Speicherung und den Transfer von Daten in einem rechtsstaatlichen Graubereich, dies gilt im Besonderen auch für die hier erörterten Abkommen mit den USA. Vgl. Hayes (2002), S. 53-56; vgl. auch Grabbe (2001), S. 68-69; vgl. auch Monar (2004), S. 158. 839 Lavranos, Nikolaos (2003): Europol and the Fight Against Terrorism, in: European Foreign Affairs Review, 8/2003, S. 259-275, hier S. 265. 840 Vgl. Lavranos (2003), S. 267-268. 841 Vgl. Lavranos (2003), S. 268-269. 842 Lavranos (2003), S. 270. 838 226 Auch die Übermittlung der so genannten PNR-Daten („Passenger Name Record”) durch europäische Fluggesellschaften an amerikanische Behörden löste heftige Kritik aus. Bereits vor den Terroranschlägen von 2001 wurden Daten von Flugpassagieren an US-Behörden übermittelt, etwa um im Falle von Unglücksfällen Angehörige zu verständigen oder um Grenzkontrollen effizienter zu gestalten. Nach dem 11. September 2001 erließen die USA verschiedene Gesetze, um den Abruf von Daten bezüglich der Personeneinreise bzw. der Wareneinführung zeitlich nach vorn zu rücken und gleichzeitig den Umfang der abgefragten Daten zu erhöhen. Hintergrund dabei war die Überzeugung, dass durch den Abgleich von Daten die Terrorismusgefahr gesenkt werden könne.843 „PNR data should be useful for law enforcement purposes in five ways: - running PNR data against alert systems in order to identify known terrorist and criminals; - identification of (unsuspected) passengers connected to a known terrorist or criminal (for example when they use the same address, credit card number, contact details); - identifying 'high risk passengers' by running PNR data against a combination of 'characteristics and behavioural patterns'; - identifying 'high-risk passengers' by running PNR data against risk intelligence relevant at a certain time; - providing intelligence on travel patterns associations after a terrorist offence has been committed.“844 PNR-Daten werden durch automatisierte Reservierungs- und Abfertigungssysteme erhoben und gespeichert. Diese Daten umfassen etwa die Kreditkartennummer, die Telefonnummer, eventuelle Hotelreservierungen oder Mietwagenanforderungen, können aber auch sensible Informationen über die ethnische oder rassische Herkunft beinhalten, denen nach europäischen Datenschutzrecht besonderer Schutz eingeräumt wird.845 Mit der Auswertung der PNR-Daten zieVgl. Volz (2007), S. 129 sowie S. 132-133; vgl. auch Papakonstantinou/Hert (2009), S. 898899. 844 Brouwer, Evelien (2009): The EU Passenger Name Record (PNR) System and Human Rights: Transferring Passenger Data or Passenger Freedom?, in:http://www.ceps.eu/book/eupassenger-name-record-pnr-system-and-human-rights-transferring-passenger-data-orpassenger-f (15. Januar 2013), S. 4. 845 Vgl. Europäische Gemeinschaften/Vereinigte Staaten von Amerika (2004): Agreement on the processing and transfer of PNR data by air carriers to the United States Department of Home843 227 len amerikanische Behörden darauf ab, „to profile passengers in order to determine who might present a security risk.“846 Es geht also nicht um die Identifikation von Personen, sondern um das präventive Erkennen von „Risikopassagieren.“847 Noch bevor die Übermittlung der PNR-Daten Gegenstand politischer Debatten wurde, stellte die USA eine entsprechende Forderung an europäische Fluggesellschaften; anderenfalls würden die Landerechte entzogen. Für die Firmen entstand so ein Dilemma. Welches Recht sollten sie brechen, europäisches oder amerikanisches? Erst nach über einem halben Jahr, im Juni 2002, schritt die Kommission ein. Sie kommunizierte gegenüber den amerikanischen Behörden, dass die Übermittlung der PNR-Daten datenschutzrechtliche Fragen aufwerfe. Daraufhin setzten die USA ihre Forderung zunächst aus, erklärten aber gleichzeitig, dass sie die Regelungen zum 5. März 2003 wieder in Kraft setzen würden. So zwang Washington die Union dazu, die Regelungslücke zu schließen.848 Am 18. Februar 2003 unterzeichneten die Kommission – nachdem die Frage der Datenübermittlung durch Fluggesellschaften als Handlungsfeld im Bereich der Ersten Säule interpretiert wurde – und die US-Zoll- und Grenzschutzbehörde eine Gemeinsame Erklärung, auf deren Basis US-Behörden ab dem 5. März 2003 auf im Gemeinschaftsgebiet erhobene PNR-Daten zugreifen konnten. Die darin gefundene Zwischenlösung ist allen voran auf die Zurückhaltung der Union, welche letztlich einer Nichtdurchsetzung bestehender Regelungen gleichkam, zurückzuführen. In der Folge ermächtigte der Rat die Kommission, ein Abkommen mit den USA auszuhandeln.849 Nach langwierigen Verhandlungen zwischen der Kommission und den amerikanischen Behörden erließ Brüssel am 14. Mai 2004 die Entscheidung über die Angemessenheit des Schutzes der personenbezogenen Daten, die in den Passenger Name Records enthalten sind, welche dem United States Bureau of Customs and Border Protection übermittelt werden, worin sie feststellte, dass land Security, Bureau of Customs and Border Protection, in: OJ 2004 L 183/84; vgl. auch Schaar (2007), S. 141; vgl. auch Vannahme, Joachim (2006): Wer kein Schweinefleisch isst, macht sich verdächtig, in: Das Parlament, 34-35/2006, S. 8. 846 Rees (2009), S. 138. 847 Vgl. Brouwer (2009), S. 4. 848 Vgl. Papakonstantinou/Hert (2009), S. 901. 849 Vgl. Volz (2007), S. 185. 228 auf amerikanischer Seite ein ausreichender Datenschutz gewährleistet sei. Dies geschah, obwohl das Europäische Parlament, welches im Verhandlungsprozess um eine Stellungnahme gebeten wurde, den Kommissionsentwurf abgelehnt und seinerseits eine Entschließung mit Rahmendaten für ein Abkommen zwischen Union und USA vorgeschlagen hatte.850 Brüssel stützte seine Entscheidung auf eine Erklärung der amerikanischen Regierung, in der sie sich verpflichtete, sensible Daten nicht zu verwenden und durch ein automatisiertes System zu löschen. Daneben wird den EU-Staaten und der Kommission die Möglichkeit gegeben, die Datenübermittlung aufgrund der Verletzung oder drohenden Verletzung von Persönlichkeitsrechten auszusetzen. Diese Entscheidung war die Voraussetzung für die Unterzeichnung eines Abkommens, das den bereits begonnenen Datentransfer institutionalisierte.851 Am 17. Mai 2004 autorisierte der Rat mit seinem Beschluss 2004/496/EG schließlich den Ratspräsidenten zur Unterzeichnung des Agreement between the European Community and the United States of America on the processing and transfer of PNR data by air carriers to the United States Department of Homeland Security, Bureau of Customs and Border Protection852, welches schließlich am 28. Mai 2004 in Washington unterzeichnet wurde und noch am selben Tag in Kraft trat. Dieses Abkommen ist eine direkte Folge der von den USA nach dem 11. September 2001 erlassenen Rechtsvorschriften. Mit dem Abschluss des PNR-Abkommens stellt sich nun aber die Frage nach dem Schutz persönlicher Daten, denn „the PNR data transfers system leads to the creation of a database with comprehensive information on all basic individual data, such as residence and workplace, payment preferences, age, etc. Moreover, by collecting and correlating information like special meal requirements or seating particularities or even by ef- Vgl. Volz (2007), S. 189-193. Vgl. Europäische Kommission (2004c): Entscheidung über die Angemessenheit des Schutzes der personenbezogenen Daten, die in den Passenger Name Records enthalten sind, welche dem United States Bureau of Customs and Border Protection übermittelt werden, in: http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2004:235: 0011:0022:DE:PDF (1. November 2012). 852 Europäische Union/Vereinigte Staaten von Amerika (2004): Agreement on the processing and transfer of passenger name record (PNR) data by air carriers to the United States Department of Homeland Security http://www.dhs.gov/xlibrary/assets/privacy/privacy-pnragreement.pdf (1. November 2012). 850 851 229 ficient use (profiling) of the same individual’s name, inferences may be made about such sensitive issues as the religion or health condition of the passengers. In this sense, privacy concerns when it comes to PNR processing appear far from being unjustified.“853 Das Abkommen zwischen der EU und den USA hat somit tiefgreifende Auswirkungen auf die persönliche Freiheit der Bürger. Bedenkt man nun, dass die kritische bzw. gar ablehnende Haltung der Abgeordneten des EP ignoriert und durch die Beschleunigung des Verhandlungsprozesses ein durch Straßburg beim EuGH ersuchtes Gutachten verhindert wurde, erscheint es nur folgerichtig, dass das Parlament, unterstützt durch den Europäischen Datenschutzbeauftragten, unter Hinweis auf die falschen Rechtsgrundlagen sowie auf den Verstoß gegen Grundrechte sowohl durch die Entscheidung der Kommission als auch durch den Beschluss des Rates vom 17. Mai 2004 beim EuGH die Nichtigerklärung beider Rechtsakte beantragte. Die Kritiker verwiesen auf europäische Datenschutzstandards und prangerten den Umfang der Informationen, die Willkür bei der Datenübertragung und den aus europäischer Sicht mangelhaften amerikanischen Datenschutz an.854 In ihrem Urteil vom 30. Mai 2006 stimmten die Luxemburger Richter dem Gesuch des Parlamentes zu, ohne allerdings auf die Grundrechtswidrigkeit der beklagten Rechtsakte einzugehen, da in beiden Fällen eine Nichtigerklärung bereits aufgrund mangelhafter Rechtsgrundlagen notwendig erschien. So sei die Übermittlung der PNR-Daten nicht dem Regelungsbereich der Gemeinschaft, sondern der PJZS zuzurechnen.855 Nach der Entscheidung des EuGH wurde im Oktober 2006 ein Interimsabkommen geschlossen. Darin reagierte Brüssel auf das Urteil aus Luxemburg durch die Änderung der Rechtsgrundlage allerdings nicht auf die inhaltliche Kritik des EP und der Zivilgesellschaft. Daher finden sich in dieser Übereinkunft nur unwesentliche Änderungen. Vielmehr war zu beobachten, dass diese Übereinkunft sogar noch hinter den datenschutzrechtlichen Regelungen des ersten Abkommens zurückblieb, z.B. durch den Wegfall einer zeitlichen Befristung der Papakonstantinou/Hert (2009), S. 887. Vgl. Reckmann, Jörg (2005): Weitergabe von Fluggast-Daten an USA gerügt, in: Frankfurter Rundschau am 23. November 2005, S. 6; vgl. auch Gössner (2007), S. 123; vgl. auch Volz (2007), S. 194-195. 855 Vgl. Europäischer Gerichtshof (2006); vgl. auch Gössner (2007), S. 124; vgl. auch Schaar (2007), S. 142. 853 854 230 Speicherung oder die Ausdehnung der Kompetenzen für amerikanischen Behörden bei der Weitergabe der Daten.856 Unter massiven Druck der amerikanischen Behörden – bereits vor der Unterzeichnung des ersten Abkommens drohten die USA mit schwerwiegenden Folgen für europäische Fluglinien – kam es im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 zur Unterzeichnung des neu ausgehandelten PNR-Abkommens.857 Dieses besteht neben der eigentlichen Vereinbarung aus zwei weiteren Bestandteilen: zum einen einem Brief des amerikanischen Heimatschutzministeriums, in dem erläutert wird, in welcher Form der Datenschutz bei der Speicherung und Verarbeitung der PNR-Daten gewahrt werden soll und zum anderen einem Antwortschreiben der EU, in dem Brüssel erklärt, dass man sich mit den Garantieren der amerikanischen Seite einverstanden zeigt. Tatsächlich ist es den Kritikern des Vertrages gelungen, die Anzahl der zu speichernden Daten auf 19 zu reduzieren. So wurde etwa die Zuordnung eines Passagiers zu einer Ethnie gestrichen. Dennoch ist festzustellen, dass das USHeimatschutzministerium „einen umfassenden Zugriff auf personenbezogene Daten sämtlicher Flugreisender in die USA, die aus den Mitgliedsländern der EU kommen“858 erhält. Darüber hinaus wird im Text des Abkommens deutlich, dass die erhobenen Daten nicht ausschließlich zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung genutzt werden können. Auch die Pflicht zur Löschung sensibler Daten entfällt in Ausnahmefällen. Die entsprechende Formulierung gewährt den amerikanischen Behörden dabei viele Spielräume.859 In einer Stellungnahme zum zweiten PNR-Abkommen zwischen der EU und den USA aus dem Jahr 2007 kommt die so genannte Art. 29-Datenschutzgruppe, welche im Verhandlungsprozess weder von Kommission noch vom Rat angehört wurde, dementsprechend zu einem vernichtenden Urteil: So seien die bisher vorgesehenen Datenschutzgarantien gar noch gelockert wurden. Zudem wird bemängelt, dass bereits früher dargelegte Schwachstellen nicht ausgeräumt wurden. Als Kritikpunkte werden u.a. angeführt die de facto Ausweitung Vgl. Schaar (2007), S. 142-143; vgl. auch Gössner (2007), S. 125. Vgl. Nitschke, Peter (2008): Das PNR-Abkommen zwischen der EU und den USA: Eine transatlantische (innere) Sicherheitsarchitektur, in: Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (Hrsg.): Jahrbuch Terrorismus 2007/2008, Opladen, S. 209-216, hier S. 209-210. 858 Nitschke (2008), S. 212. 859 Vgl. Nitschke (2008), S. 211-212. 856 857 231 des übermittelten Datenbestands, die auch weiterhin vollzogene Übermittlung sensibler Daten, das Fehlen datenschutzrechtlicher Bestimmungen für eine Weitergabe der Daten zwischen amerikanischen Behörden, die Ausdehnung der Speicherfrist, die nach wie vor unzureichenden Garantien der amerikanischen Behörden bezüglich der Erfüllung datenschutzrechtlicher Bestimmungen oder auch die fehlende Zweckbestimmung der erhobenen Daten.860 Folgerichtig kommen die Mitglieder der Gruppe zu der Ansicht, dass „das neue Abkommen im Hinblick auf die Wahrung der Grundrechte im Bereich des Datenschutzes nicht ausgewogen [ist].“861 Und auch Schaar bezeichnete die Regelungen als unzureichend und wirft den Verhandlungsführern auf Seiten der EU „Etikettenschwindel“ vor. Die als Erfolg verkaufte Reduzierung der Datensätze beruht z.T. auf der Zusammenfassung vormals einzelner Daten. Zudem werden auch weiterhin sensible Daten übermittelt. Mit Blick auf die Speicherdauer sind sogar Verschlechterungen zu vorherigen Regelungen zu erkennen. So wurde die Speicherung der Daten in „aktiven“ Datenbanken auf sieben Jahre verdoppelt; anschließend verbleiben diese für weitere acht Jahre in „passiven“ Datenbanken.862 „If examined from a data protection perspective, […] the Second PNR Agreement obviously does not stand a chance; it clearly and consistently steers away from all European basic data protection principles.“863 Aus datenschutzrechtlicher Sicht ein vernichtendes Urteil. Doch Kommission und Rat ließen sich hierdurch nicht schrecken. Die Gründe für die bewusste Negierung menschenrechtlicher Einwände und Umgehung rechtsstaatlicher Instrumente bleiben zunächst verborgen. War es der Glaube daran, die Speicherung und Verarbeitung von PNR-Daten sei ein effektives Instrument im Kampf gegen den Terrorismus? War es dir Furcht vor wirtschaftspolitischen Sanktionen des wichtigsten (Handels-)Partners? Vgl. Artikel 29-Datenschutzgruppe (2007): Stellungnahme 5/2007 zum Folgeabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika vom Juli 2007 über die Verarbeitung von Fluggastdatensätzen (Passenger Name Records — PNR) und deren Übermittlung durch die Fluggesellschaften an das United States Department of Homeland Security, in: http://ec.europa.eu/justice_home/fsj/privacy/docs/wpdocs/2007/wp138_de.pdf (24. April 2008), S. 2-3. 861 Artikel-29-Datenschutzgruppe (2007), S. 3. 862 Vgl. Schaar (2007), S. 143-144; vgl. auch Weingärtner, Daniela (2007): Datenpaket mit Sprengstoff, in: Das Parlament, Nr. 28, 9. Juli 2007, S. 11. 863 Papakonstantinou/Hert (2009), S. 913. 860 232 Ein Argument gegen die Bedenken der Datenschützer wurde auch darin gesehen, dass die EU zukünftig ein eigenes entsprechendes System zur Speicherung und Verarbeitung von PNR-Daten etabliert und somit keine vollumfängliche Übermittlung an die USA mehr nötig wäre. Im Jahr 2007 legte Brüssel einen Vorschlag für einen Rahmenbeschluss vor. Der Fokus der Maßnahme lag hier eindeutig auf der Bekämpfung des Terrorismus und der Organisierten Kriminalität. In den Verhandlungen im Rat wurde allerdings schnell offenbar, dass dieses Instrument letztendlich auch auf weitere Kriminalitätsformen, insbesondere der irregulären Migration, ausgeweitet werden soll.864 An den Überlegungen aus Brüssel gab es bald deutliche Zweifel. So bemängelte das EP in einer Stellungnahme im Jahr 2008 einerseits die rechtliche Basis und andererseits die Nützlichkeit des Instruments. So berief sich die Kommission in ihrem Vorschlag beispielsweise auf die Notwendigkeit, nationale Regelungen zu harmonisieren. Allerdings besaßen 2007 nur drei EU-Staaten entsprechende Vorschriften. In allen anderen Ländern hätte erst ein solches System etabliert werden müssen. Und auch der Europäische Datenschutzbeauftragte bemängelte eine unzureichende Darlegung der Notwendigkeit und der Angemessenheit eines europäischen PNR-Systems.865 Die französische EU-Ratspräsidentschaft holte schließlich ein Gutachten der Grundrechteagentur ein. Und auch die Wiener Behörde sah deutliche Mängel an dem Vorhaben. So wird festgestellt, dass im Kommissionsvorschlag datenschutz- und grundrechtliche Garantien fehlten. Neben dem Recht auf Privatsphäre und dem Recht auf den Schutz personenbezogener Daten verweist die Grundrechteagentur insbesondere auf die Gefahr, dass durch Profiling-Maßnahmen, die zudem bisher nur wenig Erfolg im Kampf gegen den Terrorismus zeigten, das Diskriminierungsverbot verletzt werden könne.866 Ebenso umstritten wie die Übermittlung von PNR-Daten war auch das so genannte Swift-Abkommen. Am 30. November 2009, einen Tag vor Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages, verabschiedete der Ministerrat ein Interimsabkommen mit den USA, welches es amerikanischen Sicherheitsbehörden ermöglicht, auf die Rechner des belgischen Finanzdienstleisters Swift 867, über den pro Tag über 15 Millionen Banktransaktionen getätigt werden, zuzugreifen. HierVgl. Brouwer (2009), S. 1-2. Vgl. Brouwer (2009), S. 9-10. 866 Vgl. Brouwer (2009), S. 12-13. 867 Swift steht für Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication. 864 865 233 durch soll amerikanischen Sicherheitsbehörden die Möglichkeit gegeben werden, Finanzierungsquellen terroristischer Organisationen aufdecken zu können. Auch hier wurden die zahlreichen Bedenken des EP als auch die Kritik von Datenschutzbeauftragten und Menschenrechtsorganisationen durch den Ministerrat ignoriert. So sieht etwa Schaar, anders als europäische und amerikanische Sicherheitsbehörden und -politiker, bei der Erhebung, Speicherung und Verarbeitung aller Finanztransaktionen nur einen marginalen oder gar nur mutmaßlichen Bezug zum Terrorismus.868 Die Vorgeschichte zu dieser neuerlichen Auseinandersetzung um die Verletzung von Grundrechten im Kampf gegen den Terrorismus in der EU nahm ihren Anfang bereits unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001, wurde aber erst acht Jahre später zum Diskussionsgegenstand auf europäischer Ebene. Im Rahmen des Terrorist Finance Tracking Programme (TFTP) zielte die USAdministration auf die weltweite Verfolgung und Unterbindung von Finanztransaktionen für terroristische Zwecke ab. Hierfür griffen die amerikanischen Behörden u.a. auch auf eine so genannte „Spiegeldatenbank“ von Swift zurück – ohne das Wissen der EU und der europäischen Öffentlichkeit und ohne rechtliche Legitimation von europäischer Seite. Aus diesen Gründen entfernte der belgische Finanzdienstleister Ende 2009 seine „Spiegeldatenbank“ aus den USA.869 Daraufhin forderte Washington von der EU die Verabschiedung von Regelungen, die auch weiterhin die Übermittlung dieser Daten ermöglichten. Während der Ministerrat auf mögliche Sicherheitslücken hinwies und hiermit die Notwendigkeit eines solchen Abkommens mit den USA rechtfertigte, wies das EP schon früh auf grundrechtliche Bedenken hin. Hauptkritikpunkte waren dabei die verdachtslose und somit völlig willkürliche Weitergage von Daten sowie die unzureichenden Datenschutzbestimmungen auf amerikanischer Seite. 870 Die Diskussionen um das Swift-Abkommen wurden im Untersuchungszeitraum nicht abgeschlossen, sondern blieben auch nach der Verabschiedung des Ver- Vgl. Hebestreit, Steffen (2009a): FDP schilt Datentransfer, in: Frankfurter Rundschau vom 1. Dezember 2009, S. 7. 869 Vgl. Steinkamp, Jochen (2011): Das Swift-Abkommen zwischen EU und USA, in: Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (Hrsg.): Jahrbuch Terrorismus 2010, Opladen, S. 303314, hier S. 304. 870 Vgl. Geyer, Steven (2010): EU-Parlament will Swift-Abkommen kippen, in: Frankfurter Rundschau vom 29. Januar 2010, S. 7. 868 234 trages von Lissabon evident und sollten schließlich – so viel sei hier kurz erwähnt – zu einer ersten Machtdemonstration des gestärkten EP führen. 7.2 Auslieferungsabkommen Neben dem Austausch von Daten stellt die Erleichterung der Auslieferung zwischen den EU-Staaten und den USA eine zentrale Maßnahme des gemeinsamen Vorgehens gegen den Terrorismus dar. Zwischen Mai 2002 und Februar 2003 verhandelten die Union und die Vereinigten Staaten daher über ein Auslieferungs- sowie über ein Rechtshilfeabkommen, welches hier aber nicht genauer untersucht werden soll. Die Verhandlungen wurden, wider dem Protest nationaler Parlamente und des EP, unter strikter Geheimhaltung durchgeführt. Aufgrund der mangelnden Transparenz und dem Fehlen einer demokratischen Überprüfung wurde starke Kritik gegenüber dem Vorgehen der Kommission laut. Der Umstand, dass die EU ohne volle Konsultation und ohne demokratische Verantwortlichkeit ihre Mitgliedstaaten in dieser Form letztendlich an ein Abkommen gebunden hat, welches einen starken Bezug zu menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Grundsätzen aufweist, sorgte für Verunsicherung.871 Das EU-Parlament machte bereits in seiner Entschließung zur justiziellen Zusammenarbeit mit den USA vom 13. Dezember 2001 deutlich, dass nach Auffassung der Abgeordneten Teile des amerikanischen Rechtes nicht mit der Rechtslage in der EU vereinbar seien. So führten sie insbesondere die Verhängung und die Anwendung der Todesstrafe sowie die Einrichtung von Militärtribunalen zur Aburteilung terrorismusverdächtiger Ausländer auf. Unter Verweis auf die demokratischen Werte der Union und deren Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte wies das EP darauf hin, dass internationale Abkommen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit zwischen der EU und Drittstaaten die EMRK achten müssen. Darüber hinaus fordert es den Rat und die Kommission zur vollständigen Information und Konsultation des Parlamentes auf.872 871 872 Vgl. Amnesty International (2005b), S. 25-26. Vgl. Europäisches Parlament (2001b); vgl. auch Heinz u.a. (2003), S. 16. 235 Das Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung, welches am 25. Juni 2003 in Washington unterzeichnet wurde, ist das erste seiner Art für eine justizielle Kooperation mit einem Drittstaat.873 Es wurde von den Vertragsparteien „IN DEM WUNSCH, zum Schutz ihrer demokratischen Gesellschaften und ihrer gemeinsamen Werte Verbrechen effizienter zu bekämpfen“ und „UNTER GEBÜHRENDER BEACHTUNG der Rechte des Einzelnen und des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit“874 verabschiedet. Laut Art. 1 verpflichtet sich die EU zu einer Verstärkung der Zusammenarbeit im Bereich der Auslieferungsverfahren zwischen den USA und den EU-Mitgliedstaaten. Personen sollen dem Abkommen folgend ausgeliefert werden, wenn eine Straftat sowohl im Strafrecht des ersuchenden als auch im Strafrecht des ersuchten Staates mit einer Höchststrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist. Gleichzeitig erfolgt eine Auslieferung auch beim Versuch der Begehung einer solchen Tat.875 Neben Bedenken bezüglich des Vorgehens der Kommission im Verhandlungsprozess regte sich vor allem Kritik bezüglich der Verhängung der Todesstrafe in den USA. Art. 13 des Abkommens behandelt dieses Problem: „Ist die Straftat, wegen der um Auslieferung ersucht wird, nach den Gesetzen des ersuchenden Staates mit der Todesstrafe bedroht, nach den Gesetzen des ersuchten Staaten jedoch nicht, so kann der ersuchte Staat die Auslieferung unter der Bedingung gewähren, dass die Todesstrafe gegen die gesuchte Person nicht verhängt wird, oder – wenn eine derartige Bedingung vom ersuchenden Staat aus Verfahrensgründen nicht erfüllt werden kann – unter der Voraussetzung, dass die Todesstrafe, falls sie verhängt wird, nicht vollstreckt wird. Akzeptiert der ersuchende Staat die Auslieferung unter den in diesem Artikel genannten Bedingungen, so hat er diese Bedingungen zu erfüllen. Akzeptiert der ersuchende Staat die Bedingungen nicht, so darf das Auslieferungsersuchen abgelehnt werden.“876 Die EU-Staaten, die alle die Todesstrafe abgeschafft und sich entsprechenden völkerrechtlichen Regimen gegenüber zu deren weltweiter Abschaffung verVgl. Amnesty International (2005b), S. 25. Europäische Union/Vereinigte Staaten von Amerika (2003): Abkommen über Auslieferung, in: OJ 2003 L 181/27, Hervorhebungen im Original. 875 Vgl. Europäische Union/Vereinigte Staaten von Amerika (2003). 876 Europäische Union/Vereinigte Staaten von Amerika (2003). 873 874 236 pflichtet haben, erhalten somit die Möglichkeit, die Nichtverhängung bzw. Nichtvollstreckung der Todesstrafe zu fordern, bevor einer Auslieferung zugestimmt wird. Allerdings ist dies lediglich eine „kann-Bestimmung“. Darüber hinaus gibt es kein Instrument, welches sicherstellen könnte, dass die USA eine eventuelle Zustimmung zur Nichtanwendung der Todesstrafe auch umsetzt. Somit ist dieser Artikel des Abkommens nicht vereinbar mit dem 6. sowie dem 13. Zusatzprotokoll zur EMRK sowie der Grundrechtecharta der EU.877 Letztere sieht in Art. 19 Abs. 2 vor, dass „niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden [darf], in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder der unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.“878 Die Unterzeichnung des Auslieferungsabkommens durch die Union ist ein Beispiel für die unzureichende Berücksichtigung menschenrechtlicher Verpflichtungen aus internationalen Verträgen. So scheint der Verweis auf die gebührende Beachtung der Rechte des Einzelnen in der Präambel mit Blick auf die EUStaaten zynisch, denn ihnen allen ist die Auslieferung einer Person an einen Staat, in dem ihr die Todesstrafe droht, völkerrechtlich untersagt. Allein die theoretische Einräumung der Möglichkeit eines Verstoßes gegen dieses Verbot ist unverständlich und aus menschenrechtlicher Sicht zu verurteilen. 7.3 Auswirkungen der CIA-Affäre um „extraordinary renditions“ und „black sites“ Auslieferungen von Verdächtigen oder verurteilten Straftätern sind keine Einzelfälle. Tatsächlich werden täglich im Rahmen von Rechtshilfeersuchen Personen von einem Staat in einen anderen überführt. Hierbei gelten rechtsstaatliche Prinzipien, die Folter oder die Verhängung der Todesstrafe im aufnehmenden Staat untersagen. Das Instrument der Auslieferung dient der juristischen Verfolgung und Aufarbeitung von Verbrechen, ist aus dieser Sicht zentraler Bestandteil der staatlichen Verpflichtung zur Achtung, zum Schutz und zur Gewährleistung von Menschenrechten. 877 878 Vgl. Amnesty International (2005b), S. 26. Zitiert nach Löffler (2002), S. 56. 237 Bei den außergerichtlichen Überstellungen (extraordinary renditions) der USA geht es hingegen nicht um Strafverfolgung oder -vollstreckung, sondern um die Erlangung von Informationen bezüglich terroristischer Aktivitäten. Der Blick auf die Liste jener Staaten, an die die USA Terrorverdächtige „überstellte“, weckt nicht nur Zweifel an einer menschenrechtlichen Rechtfertigung, sondern weist auf eine schwerwiegende Verletzung des Völkerrechtes hin. Sowohl Ägypten als auch Syrien, Saudi-Arabien oder Pakistan werden seit vielen Jahren von internationalen Organisationen wie Amnesty International aber auch von den USA selbst wegen ihrer Verstöße etwa gegen das absolute Folterverbot angeprangert.879 Und so stellte das EP in einer Entschließung aus dem Jahr 2007 unmissverständlich klar: „Außerordentliche Überstellungen und geheime Inhaftierungen [implizieren] zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, insbesondere Verstöße gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Verbot der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und in Extremfällen das Recht auf Leben.“880 Amnesty International schätzt, dass seit 2001 mehrere hundert Menschen Opfer von „extraordinary renditions“ geworden sind. Diese außergesetzlichen Überstellungen sind Teil der amerikanischen Strategie im Krieg gegen den Terrorismus, welche auch die Anwendung von Folter umfasst. Der Begriff „rendition“ beschreibt jeden Transport eines Gefangenen über Landesgrenzen hinweg ohne rechtsstaatliches Verfahren. Aus völkerrechtlicher Sicht sind extraordinary renditions somit als klare Verstöße zu bewerten. Doch auch Staaten der EU haben dabei eine zentrale Rolle gespielt.881 Europäische Staaten bestritten lange Zeit, dass sie in das rendition-Programm der USA involviert seien. Schnell wurde aber deutlich, dass europäische Regierungen in vielen Fällen eine „Strategie des Nicht-Sehens und des Nicht-Hörens“ 879Vgl. Kant, Martina (2008): „Extraordinary Renditions“, Verschleppungen, Geheimgefängnisse, in: Hutter, Franz-Josef/Kimmle, Carsten (Hrsg.): Das uneingelöste Versprechen. 60 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Karlsruhe, S. 251-259, hier S. 252-253; vgl. auch Heinz (2007), S. 19-20. 880 Europäisches Parlament (2007): Entschließung des Europäischen Parlaments zu der behaupteten Nutzung europäischer Staaten durch die CIA für die Beförderung und das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen, in: http://europarl.europa.eu/comparl/tempcom/tdip/final_ ep_resolution_de.pdf (8. Januar 2008), S. 2. 881 Vgl. Bartelt/Muggenthaler (2006), S. 31-33; vgl. auch Heinz (2007), S. 19-20. 238 verfolgten, z.T. die USA aber auch direkt unterstützten. So wurden Flughäfen und Airbases in der EU von Flugzeugen genutzt, die im Auftrag der CIA am rendition-Programm beteiligt waren. In anderen Fällen waren Agenten europäischer Geheim- oder Sicherheitsdienste direkt an Verschleppungen oder Verhören von verschleppten Personen beteiligt. Schließlich gab es auch Berichte über so genannte „black sites“, US-amerikanische Geheimgefängnisse, in osteuropäischen Staaten. Deutlich wurde unzweifelhaft, dass ausländische Geheimdienste auf europäischem Territorium operierten und dabei rechtsstaatliche Grundsätze missachteten bzw. außer Kraft setzten.882 Doch selbst nachdem US-Präsident George W. Bush am 6. September 2006 in einer Erklärung öffentlich bekannte, dass im Rahmen eines CIA-Programmes einzelne verdächtige Personen, die im Verlaufe des Krieges gegen den Terror gefangen genommen wurden, außerhalb der USA festgehalten und befragt und – in vielen Fällen – anschließend nach Guantánamo verbracht wurden, zeigte sich der Rat unfähig oder unwillig, entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen und einen entschiedenen Standpunkt zu fassen.883 Beispielhaft lässt sich die Praxis der extraordinary renditions am Fall der beiden in Schweden lebenden Asylbewerber Ahmed Agiza und Mohammed Alzery festmachen. Am 18. Dezember 2001 wurden sie durch die schwedische Geheimpolizei einer amerikanischen Spezialeinheit übergeben.884 „Was die Schweden dann in einem abgeschirmten Raum am Stockholmer Flughafen Bromma beobachteten, erstaunte und beeindruckte sie. […] Die maskierten US-Agenten verständigten sich nur mit Handzeichen. Mit Scheren schnitten sie den Asylbewerbern aus Ägypten die Kleider vom Leib, untersuchten peinlich genau alle Körperöffnungen, steckten sie in Trainingsanzüge und stülpten ihnen einen Sack über den Kopf. In Hand- und Fußschellen führten sie die Gefangenen schließlich zu einem privaten Flugzeug, das sie nach Ägypten brachte.“885 Erst nach einem Bericht der Washington Post im November 2005 reagierte Brüssel, nachdem im Vorfeld Berichte von Menschenrechtsorganisationen keine Berücksichtigung fanden, auf die erhobenen Vorwürfe. Das EP richtete am 16. Vgl. Amnesty International (2006), S. 1. Vgl. Europäisches Parlament (2007), S. 5. 884 Vgl. Bartelt/Muggenthaler (2006), S. 35. 885 Bartelt/Muggenthaler (2006), S. 35. 882 883 239 Januar 2006 einen Untersuchungsausschuss ein und der Rat forderte von der amerikanischen Regierung eine offizielle Stellungnahme.886 Auf der Basis von Delegationsreisen nach Mazedonien, in die USA, die Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien, Rumänien, Polen und Portugal, 130 Anhörungen und der Untersuchung verschiedener Schriftstücke, etwa Luftfahrtunterlagen, kam der Sonderausschuss des EP zu der Überzeugung, dass im Zeitraum zwischen Ende 2001 und Ende 2005 in mindestens 1.245 Fällen Flugzeuge im Auftrag der CIA den europäischen Luftraum nutzten bzw. auf europäischen Flughäfen landeten. Zusätzlich wird von einer unbekannten Zahl von Militärflügen gesprochen, die ebenfalls der Überstellung von Terrorverdächtigen dienten.887 Thomas Hammarberg, Vorsitzender des Untersuchungsausschusses, stellt fest: „Es gibt mindestens 15 Länder in Europa, die nachweislich an Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren, die durch das von den USA angeführte System geheimer Haft und Überstellungen verursacht wurden.“888 Der Bericht, welcher lediglich einen informativen bis auffordernden Charakter hat, wurde in der Folge durch die EU-Staaten zum Teil gar nicht, zum Teil mit heftigen Reaktionen gewürdigt. Die polnische Regierung wertete diesen gar als Eingriff in die nationale Souveränität. Auch Rumänien und Bulgarien zeigten sich erbost. Die Forderung der EU-Parlamentarier nach einer verstärkten Kontrolle der Geheimdienste wurde von den Regierungen abgelehnt.889 Neben den Feststellungen zur völkerrechtwidrigen Praxis der außergerichtlichen Überstellungen, erhob der Untersuchungsausschuss des EP gleichzeitig schwere Vorwürfe gegen die EU-Staaten bzw. deren Regierungen im Hinblick auf deren Bereitschaft, diese Menschenrechtsverletzungen aufzuklären. So wird etwa beklagt, dass Gesprächspartner, z.T. hohe Beamte nationaler Sicherheitsbehörden und Ministerien, wissentlich Falschaussagen tätigten und den Abge- Vgl. Bartelt/Muggenthaler (2006), S. 35-36; vgl. auch Heinz (2007), S. 23-24. Vgl. Europäisches Parlament (2007), S. 10. 888 Zitiert nach Alfsen, Marianne (2011): Europas kleines schmutziges Geheimnis, in: Amnesty Journal 1/2012, S. 44-46, hier S. 44-45. 889 Vgl. Landgraf, Anton (2007): „Die Sache ist zu heiß“ – Ein Gespräch mit Wolfgang KreisslDörfler, Mitglied im CIA-Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments, in: Amnesty Journal 4/2007, S. 16-17. 886 887 240 ordneten nur unvollständige Unterlagen übermittelt und somit bewusst Informationen vorenthalten wurden.890 Auch der Europarat befasste sich intensiv mit dem Thema und berief Dick Marty zum Sonderberichterstatter. Dieser schrieb in seinem Abschluss-bericht: „It is now clear – although we are still far from having established the whole truth – that authorities in several European countries actively participated with the CIA in these unlawful activities. Other countries ignored them knowingly, or did not want to know.“891 Die verschiedenen Untersuchungen in Europa haben ergeben, dass mindestens vier EU-Staaten (Italien, Schweden, Polen und Rumänien) direkt an extraordinary renditions mitgewirkt haben, indem sie selbst Verdächtige festnahmen und amerikanischen Behörden übergaben oder auf ihrem Staatsterritorium so genannte black sites, amerikanische Geheimgefängnisse, beherbergten. Deutschland und Großbritannien trugen indirekt zu Verschleppungen bei, indem sie entsprechende Daten an amerikanische Behörden weitergaben. Verschiedene Staaten haben direkt von Informationen profitiert, die auf diesem rechtsstaatswidrigen Weg erlangt wurden. Schließlich wurde der Luftraum zahlreicher europäischer Staaten für die Verschleppungen genutzt.892 Die litauische Regierung bestätigte späterhin die Existenz eines amerikanischen Geheimgefängnisses auf dem eigenen Staatsterritorium.893 In einem Report aus dem Jahr 2006 kommt Amnesty International zu einem klaren wie vernichtendem „Urteil“: „The uncomfortable truth is that without Europe’s help, some men would not now be nursing torture wounds in prison cells in various parts of the world. Without information provided by European intelligence agencies, some of the victims of rendition may not have been abducted in the first place. Without access to Europe’s airport facilities and airspace, CIA planes would have found it Vgl. Europäisches Parlament (2007), S. 4. Zitiert nach Amnesty International (2006), S. 4. 892 Vgl. Kant (2008), S. 256; vgl. auch Europäisches Parlament (2007), S. 9. 893 Vgl. Alfsen (2011), S. 45. 890 891 241 more difficult to transport their human cargo. In short, Europe has been the USA’s partner in crime.“894 Neben den Sonderausschüssen des Europarates und des EP wurden auch in verschiedenen EU-Staaten Untersuchungsgremien eingesetzt. Jedoch wurde sehr schnell deutlich, dass den Regierungen nicht daran gelegen war, eine vollständige Aufklärung zu erreichen. Die Arbeit der Ausschüsse wurde bewusst erschwert, wie beispielsweise das BVerfG in einem Urteil feststellte. In den meisten Fällen wurde dabei als Argument die Wahrung der nationalen Sicherheit als Grund angeführt.895 Für die EU und deren Mitgliedstaaten ergibt sich aber die Verpflichtung, die begangenen Menschenrechtsverletzungen vollständig aufzuklären und strafrechtlich zu verfolgen. Nur so kann einer Aufweichung international verbindlicher Völkerrechtsstandards begegnet werden.896 Rechtsstaatliche Regeln wie beispielsweise das Habeas-Corpus-Prinzip bilden die Basis einer freiheitlichen Demokratie. Die Schaffung von Geheimgefängnissen und die damit verbundene Aussetzung zentraler menschenrechtlicher Prinzipien bedeutet schlicht und ergreifend die Aushöhlung rechtsstaatlicher Grundsätze.897 Die unzureichende Aufarbeitung der inzwischen nachweislichen Beteiligung europäischer Staaten am US-amerikanischen rendition-Programm durch die EU kommt einer Bankrotterklärung gleich. Unzweifelhaft hatten die Erfahrungen der CIA-Affäre auch Auswirkungen auf die weitere Zusammenarbeit. So kam es ab Juni 2009, in Kooperation mit der neuen Obama-Administration, zur Verabschiedung von vier entsprechenden Erklärungen: der Gemeinsamen Erklärung zur Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo und zu zukünftigen Kooperation auf der Basis des Völkerrechts und unter Beachtung der Menschenrechte (Juni 2009), der Erklärung zur weiteren Ausdehnung der transatlantischen Kooperation in den Bereichen Justiz, Freiheit und Sicherheit (Oktober 2009), der Toledo-Erklärung zur Flugsicherung (Januar 2010) sowie der Erklärung zur Terrorismusbekämpfung unter dem Titel Forging a durable framework to combat terrorism within the Amnesty International (2006), S. 1. Vgl. Alfsen (2011), S. 45-46. 896 Vgl. Bartelt/Muggenthaler (2006), S. 31. 897 Vgl. Wolf (2008), S. 83. 894 895 242 rule of law (Juni 2010). In welcher Form diese Erklärungen zukünftig zu einer gemeinsamen Strategie der Terrorismusbekämpfung im Einklang mit völkerrechtlichen Verpflichtungen beitragen, wird sich in den kommenden Jahren noch zeigen müssen. 243 E Schlussbetrachtung 1 Zusammenfassung der Ergebnisse Ziel der vorliegenden Arbeit war die Untersuchung des Auf- bzw. Ausbaus des europäischen RFSR anhand des Beispiels der Terrorismusbekämpfung nach dem 11. September 2001. Vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen, politischen und medialen Diskussion um das Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit einerseits und der Wahrung der Grundrechte und rechtsstaatlicher Prinzipien andererseits, stellte sich die Frage, ob die Zielstellung des Raumes – der Schutz der bürgerlichen Freiheit bei gleichzeitiger Gewährleistung von Sicherheit – erreicht werden konnte. Denn tatsächlich beinhaltet dieser Raum „eine Dialektik von scheinbar gegensätzlichen Begriffen: Freiheit und Sicherheit.“ 898 Außer Frage steht, dass „der Schutz vor Kriminalität und terroristischen Anschlägen Teil staatlicher Verantwortung [ist]. […] Der Wunsch nach Sicherheit rechtfertigt – nach der regulativen Idee vom Gesellschaftsvertrag – die Notwendigkeit des Staates.“899 Gleichzeitig besteht für die Staatsgewalt aber auch die Verpflichtung, die Menschenrechte zu achten, zu schützen und zu gewährleisten. Hierzu gehört die Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien. Diese drei Aspekte – Sicherheit, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit – stehen in einem engen Zusammenhang, welchen die EU durch die rechtliche Etablierung des RFSR deutlich zum Ausdruck brachte. Keines dieser drei Ziele ist ohne die anderen beiden erreichbar. So können Bürger nicht in Freiheit leben, wenn sie von Unsicherheit bedroht sind. Gleichzeitig kann Sicherheit nicht durch willkürliche und unverhältnismäßige Eingriffe in Grundrechte hergestellt werden. Zur Untersuchung der europäischen Terrorismusbekämpfung wurden in dieser Arbeit drei Bewertungsmaßstäbe herangezogen: die Vermeidung einer Überreaktion im Sinne der unverhältnismäßigen Einschränkung von Grundrechten, die strikte Orientierung an rechtsstaatlichen Prinzipien bei der Verabschiedung Kraus-Vonjahr (2002), S. 39, Hervorhebung im Original. Limbach, Jutta (2004): Terror – eine Bewährungsprobe für die Demokratie, in: http://www.bpb.de (28. Februar 2006). 898 899 244 von Rechtsakten sowie die Evaluation und Kontrolle umgesetzter Maßnahmen auf parlamentarischer und ggf. gerichtlicher Ebene. Bevor in Kapitel D zentrale Instrumente der EU-Antiterrorismuspolitik vor diesem Hintergrund analysiert wurden, erfolgte in Abschnitt C eine grundlegende Auseinandersetzung mit den vertraglichen und politischen Grundlagen des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Hierbei galt es auch der Frage nachzugehen, ob zu beobachtende Fehlentwicklungen nicht bereits im Primär- oder Sekundärrecht ihre Ursachen finden und somit keine unmittelbare Folge der Terrorismusbekämpfung sind. Dabei wurde deutlich, dass, unabhängig von den einzelnen Antiterrorismusmaßnahmen, während des Untersuchungszeitraums im Bereich der europäischen Justiz- und Innenpolitik – einem Politikfeld, das unmittelbar in die Grundrechte des Menschen eingreift – ein Mangel an parlamentarischer und gerichtlicher Kontrolle zu verzeichnen war. Dieses rechtsstaatliche Problem hat sich im Zeitraum von 9/11 bis zur Verabschiedung des Vertrages von Lissabon noch verstärkt, da die bloße Zahl der im Rahmen der Dritten Säule der EU verabschiedeten Rechtsakte enorm angestiegen ist. Zwar bedurften diese einer nationalen Umsetzung und somit der Einbeziehung der nationalen Parlamente, doch wurde die Annahme dieser Texte auf europäischer Ebene fast unter Ausschluss der Parlamentarier vorgenommen. Daran hat auch die Einführung der Anhörungspflicht des EP durch den Vertrag von Amsterdam nichts geändert.900 Somit standen lange Zeit bereits die rechtlichen Grundlagen des RFSR dessen umfassender Verwirklichung im Wege. Es wurde den nationalstaatlichen Exekutiven ermöglicht, im Rahmen der intergouvernementalen Zusammenarbeit Sicherheitsmaßnahmen umzusetzen, die auf staatlicher Ebene umstritten waren bzw. keine Aussicht auf Umsetzung hatten. Aufgrund der weitgehenden Marginalisierung parlamentarischer und juristischer Kontrollinstrumente im Gesetzgebungsprozess ist mit Blick auf die in Kapitel B.3 formulierten Ansprüche an eine rechtsstaatliche und menschenrechtskonforme Antiterrorpolitik von weitreichenden Schwächen zu sprechen. Der rechtliche Rahmen des RFSR selbst bot nur wenige Vorkehrungen und Instrumente, um die Gefahr einer Überreaktion im Kampf gegen den Terrorismus 900 Vgl. Monar (2002b), S. 170. 245 zu vermeiden. Gleichzeitig ist diese allerdings auch nicht als systemimmanent zu betrachten. Auch die Tatsache dass der Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene in den vergangenen Jahren weiter ausgebaut wurde, kann die strukturellen Defizite im Rahmen der Justiz- und Innenpolitik nicht aufwiegen. Schon 1999 rief eine Expertengruppe der Kommission die verantwortlichen Politiker dazu auf zu handeln. Doch scheiterte mit der Europäischen Verfassung zunächst auch die Grundrechtecharta, da diese somit weiterhin einen rechtlich unverbindlichen und somit lediglich empfehlenden Charakter besaß. Die generelle Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte und zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit wie sie Art. 6 EUV festschreibt, wurde durch Ausnahmebestimmungen bezüglich der Zuständigkeiten des EuGH und durch die Beschränkung der Teilhabe des EP am Prozess der Rechtssetzung torpediert. Durch das Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags im Dezember 2009 wurde auf viele dieser Kritikpunkte positiv eingewirkt. Wie sich dies zukünftig im politischen Tagesgeschäft auswirken wird, ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung gewesen. Es besteht jedoch die Hoffnung und die Chance, dass die zu beobachtenden „Fehler im System“ in den kommenden Jahren behoben werden können. Hierfür ist es erforderlich, dass die formell erklärten Schritte zu einer weiteren Demokratisierung und zu einem umfassenden, kohärenten Menschenrechtsschutz in der politischen Praxis entsprechend eine Umsetzung erfahren.901 Die Union hat seit dem 11. September 2001 neue Institutionen im Bereich der Sicherheitspolitik geschaffen und bereits bestehende gestärkt, zahlreiche strafrechtliche Maßnahmen verabschiedet und einen umfangreichen Aktionsplan zur Terrorismusbekämpfung erstellt. Letztlich ist aber mit Blick auf die weiterhin bestehende Dominanz der Mitgliedstaaten im Bereich der Justiz- und Innenpolitik festzustellen, dass die EU nur im geringen Umfang eigene Handlungskompetenzen aufbauen konnte. Nichtsdestotrotz bedeuten einige der bereits umgesetzten sowie der vorgesehenen EU-Maßnahmen eine gravierende Bedrohung für die Freiheitsrechte. Verschiedene Beschlüsse wirken tief in die Einen kursorischen Überblick über die zentralen Änderungen des Primärrechts im Bereich des RFSR durch den Vertrag von Lissabon gibt Kapitel E.3. 901 246 Selbstbestimmungsrechte und die Privatsphäre des Menschen hinein.902 Es setzt sich der Eindruck durch, dass „freedom is seen through the eyes of police, intelligence services, customs and immigration agencies and all the other professional bodies of management of fear and unease.“903 Kritisiert wird hier aber nicht die Europäisierung der Terrorismusbekämpfung an sich, sondern die einseitige Betonung der Sicherheitsdimension im Rahmen des RFSR. Die Analyse der europäischen Antiterrorismusmaßnahmen zeigte deutliche menschenrechtliche und/oder rechtsstaatliche Probleme auf, sei es bei der Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus oder beim Umgang mit personenbezogenen Daten, sei es bei der Definition des Terrorismus oder der Einführung des EuHb. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass sicherheitspolitische Interessen in den vergangenen Jahren im Vordergrund standen und der Grundrechtsschutz in den Hintergrund gedrängt wurde. Eine Tendenz die Monar bereits anhand der rechtlichen Grundlagen des RFSR anprangerte. Ein englisches Sprichwort sagt: „Liberty dies by inches.“ Und tatsächlich kann in kritischer Auseinandersetzung mit den zentralen Antiterrorismusmaßnahmen der Union der Eindruck gewonnen werden, dass „the fight against terrorism is used as an excuse to justify the introduction of closer control and scrutiny of EU citizens.“904 Sicherheitspolitische Machtbefugnisse wurden unter weitgehender Umgehung parlamentarischer und gerichtlicher Kontrolle ausgeweitet.905 „Das Datum selbst ist Mittel zum Zweck.“906 Die Terrorismusbekämpfungsmaßnahmen der Union fügen sich dem allgemeinen Trend, Grundrechte und rechtsstaatliche Prinzipien zum Zwecke der Strafverfolgung aufzuweichen. „Die Kombination aus politisch Gewolltem und technologisch Machbarem hat aus freien Bürgern gläserne Untertanen gemacht. In der Güterabwägung verliert Vgl. Kahl (2006), S. 237 sowie S. 243. Bigo (2006), S. 41. 904 Boer (2006), S. 98. 905 Vgl. Abetz (2005), S. 335. 906 Albrecht, Peter-Alexis (2003): Die vergessene Freiheit – Strafrechtsprinzipien in der europäischen Sicherheitsdebatte, in: Friedrich-Ebert-Stiftung, Forum Berlin (Hrsg.): Sicherheit vor Freiheit? Terrorismusbekämpfung und die Sorge um den freiheitlichen Rechtsstaat, Berlin, S. 11. 902 903 247 das Individuum in seinem Freiheitsstreben gegen das kollektive Recht auf Sicherheit.“907 So lässt sich mit Blick auf die Terrorismusbekämpfung durch die EU aufzeigen, dass etwa die flächendeckende Speicherung von Verbindungsdaten aller im Hoheitsgebiet der EU lebenden Personen weder angemessen noch erforderlich erscheint. Auch die grenzüberschreitende Bekämpfung terroristischer Aktivitäten unterliegt menschenrechtlichen Normen und bedarf eines einheitlichen und verpflichtenden Datenschutzes für alle Organe und Einrichtungen der Union.908 Hustinx stellt fest: „Der Schutz der Privatsphäre und Sicherheitsinteressen [stehen] sich nicht unbedingt im Wege. Sie bedingen sich vielmehr […] gegenseitig, da echte Sicherheit nicht ohne einen adäquaten Schutz der Privatsphäre, ohne geeigneten Datenschutz und die Gewährleistung anderer Grundrechte vorstellbar ist.“909 Auch am Beispiel der Rahmenbeschlüsse zur Terrorismusbekämpfung und zur Einführung des EuHb wurde „ein trübes Bild von der Art und Weise, wie sich Kommission und Rat die Schaffung des viel beschworenen europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts vorstellen“910 deutlich. Beide Beschlüsse wurden nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit verabschiedet. Zudem zeigen sich in den Entscheidungsprozessen verschiedene schwerwiegende Verstöße gegen das Demokratieprinzip: Weder gewährte der Rat dem Parlament die vertraglich festgeschriebene Dreimonatsfrist zur Abgabe einer Stellungnahme, noch wurden Sachverständige herangezogen. Bei der Beratung im zuständigen EP-Ausschuss waren die vom Rat vorgelegten Entwürfe bereits veraltet. Eine parlamentarische Kontrolle fand somit faktisch nicht statt. Allerdings scheint dieses Vorgehen nicht wiederholbar, ist es doch vor allem mit Blick auf den medialen und öffentlichen Druck nach dem 11. September 2001 zu betrachten.911 Festzuhalten bleibt aber, dass die europäische Politik ihren selbst gesetzten Zielen bezüglich des Aufbaus des RFSR und ihrer Grundrechtsstandards, wie sie Sandschneider, Eberhard (2011): Der erfolgreiche Abstieg Europas. Heute Macht abgeben, um morgen zu gewinnen, Bonn, S. 123. 908 Vgl. Schaar (2006), S. 38. 909 Hustinx (2005), S. 38. 910 Wehr, Andreas (2002): Terrorismusbekämpfung in Europa, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 7/2002, S. 863-870, hier S. 869. 911 Vgl. Wehr (2002), 866-869. 907 248 etwa in der Grundrechtecharta niedergeschrieben sind, nicht gerecht wird.912 Die Forderung des Gipfels von Tampere 1999, dass der Grundsatz der Transparenz und die demokratische Kontrolle tragende Elemente des Raumes sein sollen, konnte in den vergangenen Jahren nicht erfüllt werden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass viele der Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung, da sie im Rahmen der intergouvernementalen Zusammenarbeit verabschiedet wurden, einer Umsetzung durch die nationalen Parlamente bedurften. Auf menschenrechtliche Bedenken die während der Verhandlungen zu den einzelnen Rechtsakten geäußert wurden, wurde nicht im ausreichenden Maße reagiert. Die Erwähnung des Grundrechtsschutzes in der Präambel eines Rechtsdokumentes erscheint aufgrund der herausragenden Bedeutung der Grundrechte für die europäische Integration nicht befriedigend. Mit Blick auf den Kampf gegen den Terrorismus im Rahmen der EU muss festgestellt werden, dass im RFSR ein Zielkonflikt entstanden ist. Für den gesamten Untersuchungszeitraum ist aus Sicht des Menschenrechtsschutzes ein problematisches Verhältnis zwischen den beiden Rechtsgütern Freiheit und Sicherheit festzustellen. Der Schutz der Grundrechte und die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit wurden in vielen Fällen „Opfer der Sicherheitspolitik“; nur rhetorisch spielten die Dimensionen Freiheit und Recht eine Rolle. Bezugnehmend auf die These von Monar, dass der RFSR seine Legitimität aus der gleichgewichtigen Verwirklichung aller drei Dimensionen des Raumes bezieht, ist für den untersuchten Entwicklungsstand und daraus folgend für die weitere Entwicklung dieses Integrationsprojektes ein düsteres Bild zu zeichnen. Die EU hat es nicht vermocht, ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen, die sie sich selbst auferlegt hat, zu erfüllen und untergräbt daher – der ersten dieser Untersuchung zugrundeliegende These und der Auffassung des Autors folgend – ihre eigene Legitimität. Doch der Schutz der Menschenrechte scheint lediglich deklaratorisch eine zentrale Legitimationsgrundlage der Union zu sein. In der praktischen Abwägung mit sicherheitspolitischen Interessen mussten Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit in den Hintergrund rücken. Dem Prozess der europäischen Integration hat dieser Umstand allerdings nicht nachhaltig geschadet. Dessen Legitimation scheint sich daher aus anderen Aspekten abzuleiten. 912 Vgl. Abetz (2005), S. 335-337. 249 Schließlich muss konstatiert werden – dies trifft auf zahlreiche Antiterrorismusmaßnahmen weltweit zu –, dass die Eile der politischen Entscheidungen dazu führte, dass Rechtsakte nur unzureichend auf ihre Grundrechtsrelevanz hin beleuchtet wurden und somit „handwerkliche Fehler“ zu konstatieren sind. Der zu beobachtende Aktionismus führte vielfach zur Verabschiedung unverhältnismäßiger und schließlich auch ungeeigneter Maßnahmen. So zeigen Untersuchungen, dass es Möglichkeiten gegeben hat, um die Anschläge vom 11. September zu verhindern. Allerdings waren die Behörden nicht in der Lage, die zur Verfügung stehenden Informationen entsprechend auszuwerten. Wohl vor diesem Hintergrund weigern sich auch heute Politiker und Sicherheitsbehörden, die tatsächliche Wirksamkeit der geforderten bzw. umgesetzten Maßnahmen zu beweisen.913 Dem deutschen Gewaltforscher Bernd Greiner folgend beruht das politische Handeln und das Agieren der Sicherheitsbehörden dabei allerdings weniger auf rationalen Entscheidungen als vielmehr auf eigener Angst sowie Selbsttäuschung.914 Man könne „von einer durch Angst und Panik diktierten Regression sprechen oder der Neigung, Unübersichtliches mittels einfacher Antworten kenntlich und Diffuses durch die Fokussierung auf ein Objekt greifbar zu machen.“915 Nimmt man nun noch einmal die oben auf der Basis des Ansatzes von Wilkinson und des Analyserasters von Boer und Kollegen herausgearbeiteten Standards als Maßstab zur Bewertung der europäischen Antiterrorismusstrategie so muss geschlussfolgert werden, dass es der Union nicht gelungen ist, eine Überreaktion zu vermeiden. Zwar waren auf europäischer Ebene keine Menschenrechtsskandale wie etwa Guantanamo oder Abu Ghraib zu beobachten. Doch wurden durchaus Maßnahmen ergriffen, die unverhältnismäßig in die Grundrechte der Menschen eingreifen. Die Union selbst war nicht bereit oder nicht in der Lage, ihren eigenen Anspruch als „Verteidigerin der Menschenrechte“ unter Beweis zu stellen. So war beispielsweise im Bereich der Speicherung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten eine unzureichende Bindung an selbst postulierte Grundrechtsversprechen zu beobachten. In der Asyl- und Flüchtlingspolitik kam es zum bewussten Bruch des Humanitären Völkerrechts. Und Vgl. Schaar (2007), S. 136-138. Vgl. Greiner (2011), S. 125. 915 Greiner (2011), S. 125. 913 914 250 im Skandal um unrechtmäßige Überstellungen von Terrorverdächtigen erwiesen sich die unionseigenen Instrumente des Menschenrechtsschutzes, insbesondere Art. 7 EUV, als stumpfe Waffen. Zum Teil orientierten sich auch die entsprechenden Verfahren zur Verabschiedung von Rechtsakten zur Terrorismusbekämpfung nicht an den Rechtsstaatsprinzipien. Die Transparenz des Gesetzgebungsprozess sowie die parlamentarische und juristische Kontrolle wurden bewusst negiert und umgangen. Hieraus folgend war in vielen Fällen eine strikte Kontrolle der zur Terrorismusbekämpfung eingesetzten Instrumente und Institutionen nicht möglich. Dies bedingte auch der Umstand, dass ergriffene Maßnahmen, die die Menschenrechte einschränken oder gar außer Kraft setzen, nicht zeitlich begrenzt und keiner regelmäßigen (parlamentarischen) Überprüfung unterworfen wurden. Hinsichtlich der zu beobachtenden Ausweitung sowie der fehlenden zeitlichen Beschränkung vieler Antiterrorismusmaßnahmen wird von Seiten der Politik und der Verwaltung argumentiert, dass dies gerechtfertigt sei da die betreffenden Maßnahmen nicht allein effektiv zur Bekämpfung terroristischer Gewalt, als spezifische Ausformung der Organisierten Kriminalität, sondern auch zum Kampf gegen „normale“ Kriminalität zum Einsatz kommen (können).916 Doch selbst vor diesem Hintergrund ist eine regelmäßige Evaluation von Sicherheitsmaßnahmen unerlässlich. Hierfür gab es in Brüssel im Untersuchungszeitraum allerdings kein geregeltes Verfahren. Neben der weithin fehlenden (politischen) Überwachung der Antiterrormaßnahmen ist auch die mangelnde Transparenz zu bemängeln. Die Europäische Kommission selbst formulierte bereits 2004: „Wenn es den Terroristen verwehrt werden soll, die Freiheit zur Aushebelung der Freiheit zu nutzen, muss die ganze Gesellschaft an der Definition und Entwicklung neuer Instrumente und neuer Kontrollen mitwirken.“917 Im Kampf gegen den Terrorismus macht sich allerdings viel stärker der Eindruck breit, dass die Regierungen mit Ängsten und Befürchtungen (eines Teils) 916 917 Vgl. Bures (2011), S. 65. Europäische Kommission (2004a), S. 3. 251 der Bevölkerung „spielen“, um die Menschenrechte (eines anderen Teils) zu beschneiden. Hierzu haben sie keinerlei Recht.918 Die zentrale These war, dass die EU durch die Verletzung von Menschenrechten sowie die Relativierung rechtsstaatlicher Prinzipien den RFSR in seinen Grundfesten erschüttert. Dies zieht aufgrund der zentralen Bedeutung dieses Politikfeldes auf europäischer Ebene einen Legitimitätsverlust für die Unionspolitik als Ganzes nach sich. Oder doch nicht? In der vorliegenden Arbeit wurde aufgezeigt, dass es bei der Entwicklung der Antiterrorismuspolitik nach 9/11 – einem zentralen Baustein der Etablierung des RFSR – zur Verletzung von menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Prinzipien gekommen ist. Grundrechte wurden unverhältnismäßig eingeschränkt. Entscheidungen des EuGH und des EuG haben gezeigt, dass zentrale Rechtsstaatsprinzipien wie die Normenklarheit und die Rechtswegegarantie auf Grundlage europäischer Rechtsakte verletzt wurden. Zudem wurde die marginale Rolle parlamentarischer Kontrollinstrumente immer wieder deutlich. Und dennoch muss bzw. kann hier mit Blick auf den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts nicht von einem realen Scheitern gesprochen werden. Vielmehr wurde die Bedeutung dieses Integrationsprojektes während des Untersuchungszeitraums immer weiter gestärkt – zuletzt mit dem Vertrag von Lissabon. Wie ist dies zu erklären? Die Hintergründe für dieses Paradox sind mit Sicherheit vielschichtig. Hier sollen und können nur einzelne mögliche Erklärungsansätze kurz aufgeführt werden: Zunächst ist der RFSR – obwohl er sich in seiner grundlegenden Ausrichtung voll und ganz auf jeden einzelnen Menschen in der Europäischen Union richtet – ein ausgewiesenes Elitenprojekt. Dies gilt insbesondere auch für die Terrorismusbekämpfung, die durch (sicherheits-)politische Eliten gesteuert wird und dem Bürger weitgehend verborgen bleibt.919 Aufgrund seiner Abstraktheit ist der RFSR für die Bürger kaum fassbar, anders als etwa die Währungsunion mit dem Euro. Vor diesem Hintergrund haben sich viele Debatten zur Weiterentwicklung des Raumes auch nur in Expertenkreisen abgespielt. Und dabei konnten sich die Politiker auf einen gesellschaftlichen Konsens stützen: die EU gilt unter den Unionsbürgern als ein Garant für Sicherheit. Zudem 918 919 Vgl. Bigo (2006), S. 43. Vgl. Bossong (2012), S. 71. 252 erlangten viele der Maßnahmen kaum öffentliche Aufmerksamkeit. Maßnahmen wie die Definition des Terrorismusbegriffs oder die Einführung des Europäischen Haftbefehls haben tatsächlich keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Großteil der Bevölkerung. Erst im Einzelfall wurden die menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Schwachstellen offenbar. Und auch dann verblieben die Diskussionen darüber meist in Expertenkreisen. Weiterhin sorgten Antiterrorismusinstrumente der EU kaum für medienrelevante Skandale. Allein die immer weiter reichende Speicherung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten, etwa in Form der Vorratsdatenspeicherung, sorgte in Teilen der Bevölkerung für Empörung. Hierzu hat mit Sicherheit auch die Rhetorik der Politik einen entscheidenden Beitrag geleistet. Indem Maßnahmen mit tiefgreifenden Auswirkungen auf Grundrechte als unverzichtbar für die Sicherheit jedes Einzelnen diskutiert und als „ungefährlich“ für „normale“ Bürger deklariert wurden, entwickelte sich eine gewissen soziale Legitimität. Fehlender Protest konnte als stumme Zustimmung gewertet werden. Schließlich lassen sich aber auch noch weitere Punkte anführen: So stellt etwa Bures fest, dass die Freiheitsrechte in den Debatten auf europäischer Ebene wieder an Bedeutung gewinnen: „The metaphorical liberty-security pendulum has already began shifting back toward liberty due to lack of new terrorist attacks since the attacks in Madrid and London.“920 Und tatsächlich sind viele der in dieser Arbeit diskutierten Maßnahmen in den Jahren 2001/02 bis 2006 zu verorten. In den folgenden Jahren war durchaus zu beobachten, dass erweiterte Einflussmöglichkeiten des EP oder gerichtliche Entscheidungen dazu führten, dass den Menschenrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien wieder mehr Gewicht zugerechnet wurde. Als Beispiele wären hier das Kippen des ersten SwiftAbkommens durch die EU-Parlamentarier oder die verschiedenen Entscheidungen des EuGH bzw. EuG zu den „Terrorlisten“ zu nennen. Auch hat sich der Fokus europäischer Antiterrorismuspolitik nach Madrid und London gewandelt. Seither richteten sich viele Maßnahmen auf eher technische Fragen bzw. Politikfelder, in denen Brüssel allein durch finanzielle und technische Unterstützung und Beratung aktiv wird. Beispiele hierfür sind die Finanzierung von Forschungsprojekten, die der Frage der Radikalisierung von Extremisten nach920 Bures (2011), S. 227. 253 gehen, oder gezielten Kampagnen, um die Hinwendung zu extremistischen Bewegungen zu verhindern. Daneben spielen technische Aspekte wie die Sicherheit von Infrastruktur eine immer stärkere Rolle; einem Bereich in dem der Einfluss auf Grundrechte eher als gering einzuschätzen ist. Entgegenhalten ließe sich auch, dass die Antiterrorpolitik auf Unionsebene nach wie vor rudimentär ausgebaut ist, Kompetenzen also nicht im befürchteten Maße ausgeweitet wurden.921 Schlussendlich bleibt festzustellen, dass der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Angesicht des internationalen Terrorismus nicht gescheitert ist. Deutlich wurden allerdings vielfältige Schwachstellen, die sich einerseits bereits in den rechtlichen Grundlagen fanden, andererseits aber auch am Handeln der jeweiligen politischen Eliten und Sicherheitsbehörden festmachen lassen. In bildlicher Sprache gesprochen lässt sich hier der internationale Terrorismus bzw. die Terrorismusbekämpfung als ein „Stolperstein“ ansehen. Die EU ist in diesem Politikbereich unzweifelhaft ins Straucheln geraten; hier und da holte sie sich gar blaue Flecke. Doch letztlich hat sich das Projekt RFSR und die hiermit verbundene Idee durchgesetzt und kann nun – unter den neuen primärrechtlichen Bedingungen des Vertrages von Lissabon – weitergeführt und qualifiziert werden. Vor diesem Hintergrund wird es aber auch in den kommenden Jahren von besonderer Bedeutung sein, dass der demokratietheoretische Diskurs weitergeführt wird und die europäische Politik der inneren Sicherheit im Allgemeinen und die Terrorismusbekämpfung im Speziellen aufmerksam verfolgt. 2 Schlussfolgerungen Was ist vor diesem Hintergrund zu tun? Ohne Zweifel besteht zwischen der Freiheit und der Sicherheit ein komplexes Spannungsverhältnis. Doch muss sich die Einsicht durchsetzen, dass sie sich nicht zwangsläufig gegenseitig ausschließen. Mit anderen Worten; die Gewährleistung von Sicherheit muss nicht auf Kosten der Freiheit gehen. Und umgekehrt bedeutet die Gewährung von Freiheitsrechten nicht eine unausweichliche Gefährdung für die Sicherheit. 922 921 922 Vgl. Bossong (2012), S. 69-70. Vgl. Bielefeldt (2004b), S. 21. 254 „Liberty and Security do not express a simple balance but a much more complex relation between values that have been carefully constructed in ways that prevent the reduction of public to private, popular sovereignty to state sovereignty and norm to exception.“923 Vielmehr wurde die Metapher der Balance geschaffen, um entsprechende Argumentationsmuster zu entwickeln. Dabei wurde das Gut der Freiheit häufig in seine Einzelteile, sprich in einzelne Menschenrechte, „zerlegt“, währenddessen im Gut Sicherheit verschiedenste Aspekte zusammengefasst wurden. Zudem war häufig die „Bedrohung“ die zentrale Analyseeinheit und nicht die eigentlich zu schützende Demokratie. Vor diesem Hintergrund geraten Grundrechte fast zwangsläufig ins Hintertreffen.924 Aus rechtsphilosophischer Sicht ist festzustellen, dass „die elementaren Freiheitsrechte […] einen herausgehobenen rechtsnormativen Status [haben], der sie der Verrechnung mit sonstigen Interessen – auch mit politischen Sicherheitsinteressen – weitgehend entzieht bzw. etwaige Abwägungen mit konkurrierenden Rechtsgütern zumindest unter strenge Bedingungen stellt.“925 Sicherheitspolitische Einschränkungen der Grundrechte sind somit in allen Fällen begründungsbedürftig und unterliegen darüber hinaus den Grenzen der Eignung, der Erforderlichkeit sowie der Angemessenheit.926 Auch die Tatsache dass gegen irrational handelnde, den Tod in Kauf nehmende Terroristen tradierte rechtsstaatliche Grundsätze versagen, kann keine Rechtfertigung für eine umfassende Grundrechtsbeschränkung oder Negierung von Rechtsstaatsprinzipien sein, denn „die Menschenrechte gelten für alle Menschen, auch für Personen, die Terrorakte verübt haben oder in einem entsprechenden Verdacht stehen.“927 In einem Urteil zur Frage der Zulässigkeit von Folter und unmenschlicher Behandlung terrorismusverdächtiger Personen zur Verhinderung zukünftiger Terrorakte stellte das oberste israelische Gericht fest: „Although a democracy must often fight with one hand tied behind the back, it nevertheless has the upper hand.“928 Der Union stehen aufgrund ihrer demokratischen und rechtsstaatli- Bigo u.a. (2010), S. 20. Vgl. Bigo u.a. (2010), S. 10-12. 925 Bielefeldt (2004b), S. 6. 926 Vgl. Bielefeldt (2004b), S. 9. 927 Rat der Europäischen Union (2004a): EU Jahresbericht zur Menschenrechtslage 2004, Luxemburg. 928 Zitiert nach Dershowitz (2002), S. 3. 923 924 255 chen Werte nicht alle verfügbaren Mittel offen, um den Terrorismus zu bekämpfen. Doch darf dies nicht als Schwäche ausgelegt werden. Vielmehr bedarf es im Kampf gegen terroristische Aktivitäten der Stärkung dieser Prinzipien. So argumentiert etwa Dershowitz: „We have to fight terrorism in the open and with full realization that terrorists will be able to provoke the publicity they seek for their acts. We must figure out ways of turning this publicity against them – of using the openness of our society as both a shield and a sword in the war against terrorism.“929 Und auch mit Blick auf die Hintergründe des Terrorismus ist schließlich festzustellen, dass das Gedankengebäude eines unausweichlichen Konfliktes zwischen der Wahrung von Menschenrechten und der Gewährleistung von Sicherheit, welches in Zeiten terroristischer Bedrohung durch Wissenschaftlicher, (Sicherheits-)Politiker und Journalisten immer wieder errichtet wird, auf keinem festen Fundament fußt. Es muss eben auch wahrgenommen werden, dass sich der Terrorismus neben dem religiösen Eifer allen voran aus einer Gerechtigkeitslücke nährt, welche u.a. als weltweite Wohlstandsschere zwischen arm und reich offenbar wird.930 Mit anderen Worten; „the origins of terrorism are related to the infringement of human rights.“931 Sicherheit ist demnach nicht ohne die Wahrung menschenrechtlicher Normen erreichbar. Hiermit bestätigt sich die zweite These der vorliegenden Untersuchung: der Schutz der Menschenrechte ist ein unverzichtbares Mittel im Kampf gegen den Terrorismus. Eine Missachtung persönlicher Freiheitsrechte verschärft hingegen die Sicherheitslage und birgt die Gefahr der Ausweitung terroristischer Gewalt in sich. Dies begründet sich auch in der Überzeugung, dass das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat und dessen Institutionen ein zentraler Aspekt einer erfolgreichen Terrorismusbekämpfung ist. So plädiert Benjamin R. Barber in kritischer Auseinandersetzung mit der US-amerikanischen Reaktion auf 9/11 für eine strategische Doktrin, die er selbst als „präventive Demokratie“ – oder auch Lex Humana – bezeichnet. Er ist davon überzeugt, dass allein die Demokratie selbst Dershowitz (2002), S. 109. Vgl. Hoffmann-Riem (2002), S. 500. 931 Schorlemer (2003), S. 266. 929 930 256 dazu in der Lage ist, die Staaten vor terroristischer Gewalt zu schützen. 932 In ähnlicher Art und Weise argumentiert Riescher. Sie verwendet hierfür den Begriff der „demokratischen Sicherheit“ und fordert eine Sicherheitsgesetzgebung die auf Transparenz beruht, im Wege eines demokratischen Entscheidungsprozesses verabschiedet und gewaltenteilig überprüft wird und dabei die Freiheitsrechte der Bevölkerung nicht einengt, sondern sichert.933 Dies müssen die Maximen europäischer Antiterrorismuspolitik sein. Die Kooperation im Bereich der Terrorismusbekämpfung, die zum Teil stark in die Grundrechte der europäischen Bürger und Menschen aus Drittländern eingreift, muss einer umfassenden parlamentarischen und gerichtlichen Kontrolle unterworfen werden. Zudem muss in dem Maße, in dem Befugnisse im Bereich der Justiz- und Innenpolitik auf die Unionsebene verlagert werden, auch der Grundrechtsschutz auf ein entsprechendes Niveau angehoben werden.934 Schließlich sollte bei der Verabschiedung und Vollstreckung von Antiterrorismusmaßnahmen durch die Union oder deren Mitgliedstaaten deutlich zum Ausdruck kommen, dass sich diese lediglich gegen Terroristen und deren Unterstützer richten und dem Schutz der Bevölkerung dienen.935 Die Union hat sich selbst zur Achtung der Grundrechte verpflichtet. Die einseitige Betonung sicherheitspolitischer Notwendigkeiten bei der Bekämpfung des Terrorismus, wie sie in der europäischen Politik der inneren Sicherheit in den letzten Jahren zu verzeichnen ist, führt aber schließlich zum Verlust der Freiheit.936 Dies ist zum einen nicht mit den Zielen der EU – allen voran mit Blick auf den RFSR – zu vereinen, zum anderen ist zudem festzustellen, dass „the only long-term guarantor of security is respect for human rights and humanitarian law, it is necessary to strike a balance between legitimate national security concerns and fundamental freedoms.“937 Die Menschenrechte bzw. der Menschenrechtsschutz sind keine Hindernisse bei der Bekämpfung des Terrorismus, vielmehr sind sie integraler Bestandteil erfolgversprechender Strategien zur Vgl. Barber, Benjamin R. (2003): Imperium der Angst. Die USA und die Neuordnung der Welt, München, S. 160. 933 Vgl. Riescher (2010), S. 21-22; vgl. auch Riescher (2014), S. 21. 934 Vgl. Ludwig (2002), S. 258; vgl. auch Wilkinson (2005), S. 39; vgl. auch Grabbe (2001), S. 74. 935 Vgl. Wilkinson (2005), S. 38. 936 Vgl. Limbach (2004). 937 Schorlemer (2003), S. 81. 932 257 Überwindung terroristischer Gewalt.938 Daher sollte in Rechtsakten zur Terrorismusbekämpfung nicht nur auf die herausragende Bedeutung der Grundrechte hingewiesen, sondern deren übergeordneter Rolle entsprechend Rechnung getragen werden. Die Union sollte sich auf ihre Werte besinnen und im Kampf gegen den Terrorismus den Schutz der Menschenrechte und die Gewährleistung der Rechtsstaatlichkeit zu einem prioritären Ziel in diesem Kampf erklären. Nur so kann es gelingen einen RFSR aufzubauen, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht und Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit genießen kann. Die Union und ihre Mitgliedstaaten befinden sich in keinem Dilemma, welches sie vor die Entscheidung zwischen Freiheit oder Sicherheit stellt, vielmehr geraden sie in Erklärungsnöte, wenn sie Sicherheit ohne die Achtung der Freiheit gewähren wollen. Auch zukünftig werden Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung in diesem Kontext umstritten sein. Aus diesem Grund muss ein gesellschaftlicher Diskurs darüber geführt werden, in welchem Maße Sicherheitsmaßnahmen in die Grundrechtsbereiche der Bürger eingreifen dürfen. Nur so ist Legitimität und Akzeptanz zu erreichen.939 Neben der Steigerung von Transparenz ist die zentrale Forderung an die EUPolitik in diesem Bereich die effektive menschenrechts- und rechtsstaatsorientierte Evaluation von Sicherheitsmaßnahmen. Mit der Grundrechteagentur hat die Union ein geeignetes Instrument, um diese Erfordernis zu erfüllen. Hier liegt es allein am politischen Willen. Hiermit einhergehend wird für die grundsätzliche zeitliche Befristung entsprechender Rechtsinstrumente plädiert. Somit wird den parlamentarischen Kontrollinstrumenten die Möglichkeit eingeräumt, die rechtsstaatlichen Voraussetzungen für die Sicherheitsgesetzgebung regelmäßig zu überprüften und ggf. erforderliche Änderungen zu veranlassen. 3 Lissabon als Lösung? Am 13. Dezember 2007 unterzeichneten die Staats- und Regierungschef den Vertrag von Lissabon zur Änderung des EUV und des EGV. Die VerabschieVgl. Deile, Volkmar (2004): Kein Antiterrorrabatt bei Menschenrechtsverletzungen?, in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Jahrbuch Menschenrechte 2005, Frankfurt/M., S. 93-123, hier S. 123; vgl. auch Dunne (2002), S. 98. 939 Vgl. Kahl (2006), S. 244. 938 258 dung dieses Vertragswerkes, welches auch unter dem Begriff „Reformvertrag“ bekannt ist, bildet eine Art „Endpunkt“ auf der Suche nach einem Ausweg aus der institutionell-politischen Krise der EU, die durch das Scheitern des Verfassungsvertrages in Frankreich und in den Niederlanden zwei Jahre zuvor ausgelöst wurde. Nachdem in Irland im zweiten Anlauf eine Ratifizierung „erkämpft“ werden konnte, trat der Lissabonner Vertrag am 1. Dezember 2009 in Kraft.940 Da der Untersuchungszeitraum dieser Arbeit mit diesem Tag endet, sollen hier eine kurze Zusammenfassung zentraler Veränderungen im Primärrecht gegeben und erste mögliche Entwicklungstendenzen aufgezeigt werden. Das Ziel der Etablierung des RFSR wurde im Vertrag von Lissabon noch einmal – selbst im Vergleich zum Verfassungsvertrag – aufgewertet. So wird dieser nun gar vor dem Binnenmarkt und vor der Wirtschafts- und Währungsunion als zentraler Meilenstein für die weitere politische Entwicklung der Union aufgeführt. Ein Schritt der vor dem Hintergrund der dynamischen Entwicklung dieses Politikfeldes in der Folge der Unterzeichnung des Amsterdamer Vertrages und der Verabschiedung des Aktionsprogramms von Tampere aus dem Jahr 1999 folgerichtig erscheint. Auch wenn somit der Politikbereich der Inneren Sicherheit zu einem zentralen Aufgabenfeld der EU wird, so muss dennoch deutlich zum Ausdruck gebracht werden, dass Angelegenheiten der nationalen Sicherheit auch weiterhin zu einem Großteil allein in der Verantwortung der einzelnen Staaten liegen. So ändern sich mit dem Vertrag von Lissabon zwar der Stellenwert des RFSR und die Prozesse zu dessen Umsetzung. Dennoch wird Brüssel auch zukünftig in Politikfeldern wie der Terrorismusbekämpfung eher eine marginale Rolle spielen.941 Neben der weiteren Aufwertung des RFSR gehen mit dem Vertrag von Lissabon weitreichende Reformen in der europäischen Justiz- und Innenpolitik einher. So wurde ein einheitlicher Rechtsrahmen geschaffen, wodurch die oben beschriebene Zersplitterung im Säulenmodell der Union aufgehoben wird. SoVgl. Schober, Konrad (2008): Vom Verfassungsvertrag zum Reformvertrag. Das Gesetzgebungsverfahren der Europäischen Union zur Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: http://www.zerp.uni-bremen.de/deutsch/pdf/dp3_2008.pdf (8. August 2008), S. 5. 941 Vgl. Renard, Thomas (2012): EU Counterterrorism Policies and Institutions After the Lisbon Treaty, in: http://hawk.ethz.ch/serviceengine/Files/ISN/153959/ipublicationdocument_single document/7d80a5b6-cfb0-4338-968e-dd638604be48/en/Renard_policybrief_1216.pdf (3. November 2012), S. 2. 940 259 mit gelten zukünftig für alle Politikfelder des Raumes einheitliche Rechtsetzungsinstrumente. Ebenso erfuhr das Entscheidungsverfahren eine grundlegende Veränderung: Auch für jene Bereiche, die bisher der Dritten Säule zugeordnet waren, gilt nun das Prinzip der Mehrheitsentscheidung. Gleichzeitig erhält das EP das uneingeschränkte Mitentscheidungsrecht. De facto wird so ein System geschaffen, das den Anforderungen des 1. Zusatzprotokolls der EMRK entspricht. Aber nicht nur das Parlament, sondern auch der EuGH, die nationalen Parlamente und die Kommission wurden in ihren Kompetenzen gestärkt; ein wichtiger Schritt zur (weiteren) Demokratisierung der Justiz- und Innenpolitik auf Unionsebene.942 Der deutsche EU-Abgeordnete Jo Leinen schlussfolgert, dass der Vertrag von Lissabon das Demokratiedefizit in der EU „in erheblichem Umfang“943 schließt. Trotz der fortschreitenden Supranationalisierung der europäischen Justiz- und Innenpolitik bleiben verschiedene intergouvernementale Merkmale bestehen bzw. werden gar gestärkt. So gelten für einzelne Bereiche „besondere“ Gesetzgebungsverfahren. Auch weiterhin entscheidet der Rat in Teilen nach dem Prinzip der Einstimmigkeit, z.T. mit Zustimmung z.T. nach Anhörung des Parlaments. An einzelnen Punkten bleibt das geteilte Initiativrecht zwischen Kommission und Mitgliedstaaten erhalten, wobei die Hürde für eine mitgliedstaatliche Initiative angehoben wurde. Die Rolle Brüssels wird zudem in gewisser Weise durch die Anerkennung der „Leitlinienkompetenz“ des Europäischen Rates im Rahmen des RFSR unterminiert. Wie bisher auch obliegt es den Staats- und Regierungschefs, durch Arbeitsprogramme die Agenda im Bereich der PJZS maßgeblich zu bestimmen. Hinzu tritt die so genannte „Notbremse“, einem durch den Europäischen Rat gelenktem Schlichtungsverfahren für bestimmte Fragen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit. Hiernach haben Staaten nach einer Mehrheitsentscheidung im Rat die Möglichkeit, die Staatsund Regierungschefs anzurufen und mit der Thematik zu betrauen. Verbunden ist diese Regelung mit einer Erleichterung der Einleitung eines Verfahrens der Verstärkten Zusammenarbeit944. Vgl. Kietz/Parkes (2008), S. 2; vgl. auch Schober (2008), S. 51. Leinen, Jo (2009): Mehr Demokratie, in: Frankfurter Rundschau vom 26. Juni 2009, S. 6. 944 Das Konzept bzw. der Mechanismus der Verstärkten Zusammenarbeit wurde erstmals im Vertrag von Amsterdam in das europäische Recht eingebracht. Hierdurch wird es einzelnen EU942 943 260 Aus menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Sicht gibt es dennoch viele positive Aspekte. Die Rolle der Kommission als „Hüterin der Verträge“ wurde durch den Ausbau ihrer Überprüfungskompetenz, ihrer Sanktionsmöglichkeiten sowie ihrer Evaluationsinstrumente bei der Umsetzung von europäischen Rechtsakten gegenüber den Mitgliedstaaten gestärkt.945 Somit steigen auch die Möglichkeiten zur Durchsetzung von Instrumenten des Grundrechtsschutzes. Ein hilfreiches Instrument könnte hierbei die, einer Forderung des EP folgend, am 19. Oktober 2010 durch die Kommission verabschiedete Strategie zur wirksamen Umsetzung der Charta der Grundrechte durch die Europäische Union946 darstellen. Mithilfe dieser soll gewährleistet werden, dass alle Rechtsakte der Union mit der GRC vereinbar sind. Ziel ist es, im Rechtsetzungsprozess auf europäischer Ebene die Wahrung der Grundrechte sicherzustellen und hierdurch eine „Grundrechtskultur“ zu fördern.947 Zwar hat das Dokument keine unmittelbare Wirkung auf die Beratungen von Gesetzesinitiativen in Rat und EP, allerdings stellt Brüssel deutlich heraus, dass die Kommission zukünftig eine effektive „Wächterfunktion“ einnehmen will. Als zentrales Instrument wird eine so genannte Checkliste etabliert, anhand derer eine menschenrechtsorientierte Folgenabschätzung für sämtliche Legislativvorschläge vorgenommen werden soll.948 Von zentraler Bedeutung für die Fragestellung der Arbeit ist daneben die Stärkung des EP. Durch die Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens können die Straßburger Abgeordneten zukünftig beispielsweise stärkeren Einfluss auf das Agieren der EU-Agenturen Europol und Eurojust nehmen. Hierdurch ist zum einen ein verstärkter institutioneller Konflikt zwischen Rat und Parlament, zum anderen aber vor allem auch ein inhaltlicher Konflikt zu erwarten. 949 So ist davon auszugehen, dass zukünftig der Prozess der Ausgestaltung der jeweiligen rechtlichen Arbeitsrahmen, etwa in Bezug auf die Erweiterung operativer InStaaten ermöglicht, in bestimmten Politikfeldern gemeinsam Schritte zur vertiefenden Integration einzuleiten und dabei auf die Unterstützung der EU-Institutionen zurückzugreifen. Exemplarische Anwendung fand das Konzept im Bereich der PJZS bei der Verabschiedung des Prümer Vertrages, welcher inzwischen in das Primärrecht inkorporiert wurde. 945 Vgl. Kietz/Parkes (2008), S. 3-6; vgl. auch Fischer (2011), S. 204. 946 Europäische Kommission (2010b): Strategie zur wirksamen Umsetzung der Charta der Grundrechte durch die Europäische Union, in: http://ec.europa.eu/justice/news/intro/doc/ com_2010_573_de.pdf (28. Dezember 2012). 947 Vgl. Europäische Kommission (2010b), S. 5-12; vgl. auch Tretter (2011), S. 49. 948 Vgl. Europäische Kommission (2010b), S. 5-6. 949 Vgl. Kietz/Parkes (2008), S. 6. 261 strumente, viel stärker als bisher von der Frage nach dem Grundrechtsschutz und der Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien geprägt sein wird. Dies begründet sich im Besonderen in den verschiedenen politischen Kulturen von Parlament und Rat: „Neben der Gewährleistung der Sicherheit der EU-Bürger und Drittstaatsangehöriger in der EU, sehen Parlamentarier einen wichtigen Teil ihrer Aufgabe im Schutz der Menschen- und Bürgerrechte. Die Ratsakteure aus den nationalen Innenministerien bringen in der Regel eine stärker sicherheits- und kontrollorientierte Grundhaltung im Spannungsfeld zwischen der Gewährleistung bürgerlicher Freiheiten und innerer Sicherheit mit.“950 Die Ausweitung der Kompetenzen des EP wird im Besonderen auch bei der außenpolitischen Dimension des RFSR deutlich: zukünftig müssen alle internationalen Übereinkommen der EU in diesem Bereich durch die Parlamentarier mitgetragen werden. Dies hat u.a. weitreichende Auswirkungen auf die Zusammenarbeit im Politikfeld innere Sicherheit mit den USA oder anderen Drittstaaten. Neben Straßburg werden auch die nationalen Parlamente im Bereich der Justizund Innenpolitik gestärkt. Dies geschieht durch die Ausweitung von Einspruchs-, Kontroll- und Informationsrechten. Auch die Beschränkungen der Gerichtsbarkeit des EuGH im Bereich des RFSR werden fast ausnahmslos abgeschafft. Allein die Nichtzuständigkeit in Fragen nach der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen nationaler Strafverfolgungsbehörden bleibt bestehen. Allerdings gelten die erweiterten Kontrollrechte in einer Übergangsphase von fünf Jahren nicht für Rechtsakte, die vor dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages verabschiedet wurden.951 Von besonderer Bedeutung ist zudem, dass der Vertrag von Lissabon einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zu einem umfassenden europäischen Grundrechtsschutz darstellt.952 Ähnlich den bisherigen Vertragsregelungen erklärt Art. Kietz/Parkes (2008), S. 6. Vgl. Kietz/Parkes (2008), S. 7-8. 952 Der Vertrag über eine Verfassung für Europa, welcher am 29. Oktober 2004 in Rom durch die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten unterzeichnet wurde, sah die Einfügung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vor, und hätte eine entscheidende Änderung des Primärrechtes im Bereich des Menschenrechtsschutzes bedeutet. 950 951 262 2 die Achtung der Menschenwürde und die Wahrung der Menschenrechte zu jenen Werten, auf denen die EU beruht. In Art. 6 Abs. 1 EUV wird erklärt: „Die Union erkennt die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union […] niedergelegt sind; die Charta der Grundrechte und die Verträge sind rechtlich gleichrangig.“ Obwohl es hiermit, anders als im Verfassungsvertrag vorgesehen, in Lissabon nicht gelang, die Grundrechtecharta in das Primärrecht zu inkorporieren, erlangt sie durch die oben zitierte Formulierung vollständige Gültigkeit – acht Jahre nach ihrer feierlichen Proklamation in Nizza.953 In Art. 6 Abs. 2 wird zudem geregelt, dass die EU der EMRK beitreten wird. Europäische Politik wird sich somit zukünftig vor dem Hintergrund zweier Menschenrechtsabkommen bewähren müssen. Während die Grundrechtecharta dabei ein internes Instrument des Menschenrechtsschutzes darstellt, wird sich die Union als Mitglied der EMRK auch gegenüber nicht EU-Staaten für eventuelle Mängel in diesen Bereichen rechtfertigen und ggf. gar vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verantworten müssen. Mit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages erweiterte sich automatisch auch der Zuständigkeitsbereich der Grundrechteagentur. Durch die Aufhebung der Säulenkonstruktion wurde die Beschränkung der Tätigkeit der Wiener Behörde auf das Gemeinschaftsrecht hinfällig. Das Stockholmer Programm, das wenige Tage nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon verabschiedet wurde, sah bereits vor, ein mehrjähriges Arbeitsprogramm für die PJZS aufzulegen.954 Grundsätzlich erhöht sich hierdurch die Chance, dass sich die Grundrechteagentur vor dem Hintergrund ihrer erweiterten Kompetenzen zu jener Monitoring-Stelle entwickelt, die Alston und Weiler bereits 1999 forderten. Schlussfolgernd wird die These vertreten, dass es der Union basierend auf den Debatten über die Europäische Verfassung mit der Verabschiedung des Lissabonner Vertrags gelungen ist, die gemeinsame Justiz- und Innenpolitik, allen voran die PJZS, „inhaltlich zukunftsfähig zu machen und ihr den Anschein des demokratisch mangelbehafteten Sonderlings im Konzert der Europäischen PoliDiese Regelung machte sich aufgrund der opt-outs Großbritanniens und Polens erforderlich. Vgl. Toggenburg, Gabriel Nikolaij (2011): EU-Grundrechteagentur: Tätigkeiten an der „Zeitenwende“, in: Bielefeldt, Heiner u.a. (Hrsg.): Nothing to hide – nothing to fear? Datenschutz – Transparenz – Solidarität. Jahrbuch Menschenrechte 2011, Wien, S. 393-404, hier S. 396. 953 954 263 tiken zu nehmen.“955 Die EU wird hierdurch „handlungsfähiger, effizienter, effektiver, vor allem aber verfahrenstransparenter und rechtstaatlicher.“956 Vor dem Hintergrund der Weiterentwicklung des europäischen Vertragsrechtes ist, nach der Verabschiedung des Vertrages von Lissabon, davon auszugehen, dass die Terrorismusbekämpfung zukünftig proaktiver und kohärenter gestaltet werden kann.957 Mit dem Vertrag von Lissabon, der Erweiterung der parlamentarischen und juristischen Kontrolle im europäischen Rechtssetzungsverfahren, der Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta, einem möglichen Beitritt zur EMRK, der Ausweitung des Mandats der Europäischen Grundrechteagentur aber auch sekundärrechtlichen Dokumenten wie der Kommissionsstrategie zur Umsetzung der Grundrechtecharta oder dem Stockholmer Programm sind Meilensteine gesetzt, um zukünftig die Ansprüche des RFSR vollumfänglich zu erfüllen. Die Phase nach 9/11 sowie den Anschlägen von Madrid und London war für die europäische Justiz- und Innenpolitik, die noch „in den Kinderschuhen steckte“, unzweifelhaft eine extreme Herausforderung. Nun, da die Verantwortlichkeiten und Kompetenzen gewachsen sind, gilt es aus Fehlern zu lernen, diese ggf. zu beheben und zu beweisen, dass dieses zentrale europäische Integrationsprojekt sein zentrales Ziel erreichen kann: die Gewährleistung der Sicherheit in der Europäischen Union und die Achtung, die Gewährleistung und den Schutz der Menschenrechte und rechtsstaatlicher Prinzipien. An entsprechenden vollmundigen Aussagen mangelte und mangelt es nicht. Sowohl die Antiterrorismusstrategie der Vereinten Nationen als auch die EU-eigene verpflichten die Union und ihre Mitgliedstaaten hierzu. Es ist an der Zeit, den entsprechenden Willen zur Umsetzung dieser Forderungen zu zeigen. Schober (2008), S. 54. Schober (2008), S. 54. 957 Vgl. Fischer (2011), S. 207. 955 956 264 F Literaturverzeichnis 1 Primärquellen Artikel 29-Datenschutzgruppe (2007): Stellungnahme 5/2007 zum Folgeabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika vom Juli 2007 über die Verarbeitung von Fluggastdatensätzen (Passenger Name Records — PNR) und deren Übermittlung durch die Fluggesellschaften an das United States Department of Homeland Security, in: http://ec.europa.eu/justice_home/fsj/privacy/ docs/wpdocs/2007/wp138_de.pdf (24. April 2008). Bundesverfassungsgericht (2006): 1 BvR 357/05 vom 15.2.2006, in: https://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20060215_1bvr035705. html (29. März 2014). Europäische Gemeinschaften/Vereinigte Staaten von Amerika (2004): Agreement on the processing and transfer of PNR data by air carriers to the United States Department of Homeland Security, Bureau of Customs and Border Protection, in: OJ 2004 L 183/84. Europäische Kommission (1999): Die Grundrechte in der Europäischen Union verbürgen – es ist Zeit zu handeln. Bericht der Expertengruppe „Grundrechte“, in: http://europa.eu.int/comm/dgs/employment_social/publicat/fundamri/simitis_de.pd f (2. Mai 2006). Europäische Kommission (2001a): Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Terrorismusbekämpfung, in: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/com/2001/ com2001_0521de01.pdf (16. Februar 2006). Europäische Kommission (2001b): Das Verhältnis zwischen der Gewährleistung der inneren Sicherheit und der Erfüllung der Anforderungen aus internationalen Schutzverpflichtungen und den diesbezüglichen völkerrechtlichen Instrumenten, in: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/com/2001/com2001_0743de01.pdf (19. Juli 2006). Europäische Kommission (2001c): Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, in: http://europa.eu.int/eur-lex/LexUriServ/site/de/com/2001/com2001_0522de01.pdf (16. Februar 2006). 265 Europäische Kommission (2003): Grünbuch. Verfahrensgarantien in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union, in: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/ com/2003/com2003_0075de01.pdf (18. August 2006). Europäische Kommission (2004a): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament. Terroranschläge – Prävention, Vorsorge und Reaktion, in: http://eur.lex.europa.eu/LexUriServ.do?uri=COM:2004:0698:FIN:DE:PDF (29. März 2012). Europäische Kommission (2004b): Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union, in: http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/pdf/2004/com2004_0328de01.pdf (21. August 2006). Europäische Kommission (2004c): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament. Terroranschläge – Prävention, Vorsorge und Reaktion, in: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:52004DC0698:DE: HTML (28. Dezember 2012). Europäische Kommission (2005a): Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für Grundrechte. Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Ermächtigung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, ihre Tätigkeiten in den Bereichen nach Titel VI des Vertrags über die Europäische Union auszuüben, in: http://europa.eu.int/comm/justice_home/doc_centre/ rights/com_2005_280_de.pdf (27. August 2007). Europäische Kommission (2005b): Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden, in: http://eur-lex.europa.eu/Lex UriServ/site/de/com/2005/com2005_0475de01.pdf (11. August 2006). Europäische Kommission (2010a): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat. Politik der EU zur Terrorismusbekämpfung: wichtigste Errungenschaften und künftige Herausforderungen, in: http://eur-lex.europa.eu/LexUri Serv/LexUriServ.do?uri=COM:2010:0386:FIN:DE:PDF (29. August 2010). 266 Europäische Kommission (2010b): Strategie zur wirksamen Umsetzung der Charta der Grundrechte durch die Europäische Union, in: http://ec.europa.eu/justice/news/intro/ doc/com_2010_573_de.pdf (28. Dezember 2012). Europäische Kommission (2010c): EU-Strategie zur inneren Sicherheit: Fünf Handlungsschwerpunkte für mehr Sicherheit in Europa, in: http://eur-lex.europa.eu/ LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2010:0673:FIN:DE:PDF (14. Februar 2013). Europäischer Datenschutzbeauftragter (2008): Data Protection Framework only a first step, in: http://www.edps.europa.eu/EDPSWEB/web dav/site/mySite/shared/Docu ments/EDPS/PressNews/Press/2008/EDPS-2008-11_DPFD_EN.pdf (4. Dezember 2008). Europäischer Gerichtshof (2006): Pressemitteilung Nr. 46/06 vom 30. Mai 2006. Urteil des Gerichtshofes in den verbundenen Rechtssachen C-317/04 und C-318/04. Der Gerichtshof erklärt den Beschluss des Rates über den Abschluss eines Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerikaüber die Verarbeitung und die Übermittlung personenbezogener Daten sowie die Entscheidung der Kommission über die Angemessenheit des Schutzes dieser Daten für nichtig, in: http://curia.europa.eu/de/actu/communiques/cp06/aff/cp060046de.pdf (15. August 2006). Europäischer Gerichtshof (2008): Pressemitteilung Nr. 2/08 vom 16. Januar 2008. Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-402/05. Generalanwalt Poiares Maduro schlägt dem Gerichtshof vor, die Verordnung des Rates, mit der die Gelder von Herrn Kadi eingefroren wurden, für nichtig zu erklären, in: http://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2009-03/cp080002de.pdf (23. Juni 2013). Europäischer Gerichtshof (2009): Pressemitteilung Nr. 11/09 vom 10. Februar 2009. Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-301/06. Die Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Daten ist auf eine geeignete Rechtsgrundlage gestützt, in: http://curia.europa.eu/de/actu/communiques/cp09/aff/cp090011de.pdf (1. November 2012). Europäischer Rat (1995): Schlussfolgerungen des Vorsitzes (Madrid am 15./16. Dezember 1995), in: http://www.europarl.europa.eu/summits/mad2_de.htm (21. Juni 2006). 267 Europäischer Rat (1999a): Schlussfolgerungen des Vorsitzes (Köln am 3./4. Juni 1999), in: http://europa.eu.int/abc/doc/off/bull/de/9906/i1064.htm (2. Mai 2006). Europäischer Rat (1999b): Schlussfolgerungen des Vorsitzes (Tampere am 15./16. Oktober 1999), in: http://europa.eu.int/council/off/conclu/oct99/oct99.htm (16. Februar 2006). Europäischer Rat (2001a): Gemeinsame Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, der Präsidentin des Europäischen Parlaments, des Präsidenten der Europäischen Kommission und des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik, in: http://europa.eu.int/abc/doc/off/bull/de/200109/p106 004.htm (16. Februar 2006). Europäischer Rat (2001b): Außerordentliche Tagung am 21. September 2001. Schlussfolgerungen und Aktionsplan, in: http://ue.eu.int/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/ de/ec/85097.pdf (16. Februar 2006). Europäischer Rat (2003): A Secure Europe in a Better World. European Security Strategy, in: http://ue.eu.int/uedocs/cmsUpload/78367.pdf (8. Februar 2006). Europäischer Rat (2004): Declaration on Combating Terrorism, in: http://europa.eu.int/uedocs/cmsUpload/79635.pdf (8. Februar 2006) [deutsche Version unter: http://ue.eu.int/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/79640.pdf (31. August 2005)]. Europäischer Rat (2009): Das Stockholmer Programm – ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger, in: OJ 2010/C 115/01. Europäisches Parlament (1997): Entschließung zum Kampf gegen den Terrorismus in der Europäischen Union, in: OJ 1997 C 055. Europäisches Parlament (2000): Entschließung zur Lage der Grundrechte in der Europäischen Union (2000), in: http://europa.eu/bulletin/de/200107/p102002.htm (13. Juli 2006). Europäisches Parlament (2001a): Empfehlung des Europäischen Parlaments zu der Rolle der Union beim Kampf gegen den Terrorismus, in: http://europa.eu/bulletin/de /200109/p104001.htm (23. Juni 2006). 268 Europäisches Parlament (2001b): Entschließung zu der justiziellen Zusammenarbeit der Europäischen Union mit den Vereinigten Staaten bei der Terrorismusbekämpfung, in: OJ 2002 CE 177/288. Europäisches Parlament (2002): Entschließung zu dem Beschluss des Rates vom 27. Dezember 2001 zu Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, in: http://europa.eu/bulletin/de/200201/p104012.htm (18. August 2006). Europäisches Parlament (2007): Entschließung des Europäischen Parlaments zu der behaupteten Nutzung europäischer Staaten durch die CIA für die Beförderung und das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen, in: http://europarl.europa.eu/comparl/ tempcom/tdip/final_ep_resolution_de.pdf (8. Januar 2008). Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Gemeinschaften/Europäische Kommission (1977): Gemeinsame Erklärung vom 5. April 1977 über die Grundrechte, in: http://europa.eu.int/eur-lex/de/accesible/treaties/de/livre602.htm (24. Mai 2006). Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Union (1995): Richtlinie 95/46/EG vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, in: http://eur-lex.europa.eu (24. August 2006). Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Union (2000): Verordnung Nr. 45/2001 vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr, in: OJ 2001 L 8/1. Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Union (2002): Richtlinie 2002/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation), in: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2002: 201:0037:0037:DE:PDF (8. März 2013). Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Union (2006): Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder der öffentlichen Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG, in: OJ 2006 L 105/54. 269 Europäische Union/Vereinigte Staaten von Amerika (2003): Abkommen über Auslieferung, in: OJ 2003 L 181/27. Europarat (1977): Europäisches Übereinkommen über die Bekämpfung des Terrorismus, in: http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/090.htm (21. September 2012). Europarat (1981): Convention for the Protection of Individuals with Regard to Automatic Processing of Personal Data, in: http://www.conventions.coe.int (13. September 2006). Europarat (2007): United Nations Security Council and European Union blacklists, in: http://assembly.coe.int/Main.asp?link=/Documents/WorkingDocs/Doc07/EDOC1145 4.htm (15. Juli 2010). Europol (2007): EU Terrorism Situation and Trend Report 2007, in: http://www.europol.europa.eu/publications/EU_Terrorism_Situation_and_Trend_ Report_TE-SAT/TESAT2007.pdf (8. Januar 2008). Europol (2009): EU Terrorism Situation and Trend Report 2009, in: http://www.europol.europa.eu/publications/EU_Terrorism_Situation_and_Trend_ Report_TE-SAT/TESAT2009.pdf (20. April 2009). Gericht erster Instanz (2003): Klage des Jose Maria Sison gegen den Rat der Europäischen Union (Rechtssache T-110/03), in: OJ 2003 C 146/39. Gericht Erster Instanz (2005): Urteil in den verbundenen Rechtssachen T-110/03, T150/03 und T-405/03, Jose Maria Sison gegen Rat der Europäischen Union, in: OJ 2005 C 171/15. Königreich Belgien u.a. (2005): Vertrag zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande und der Republik Österreich über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration, in: http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/The men/Sicherheit/Polizei/Pruemer_Vertrag.pdf;jsessionid=58FB13B7EDFE8C5512A864 CA41AAC2C8.2_cid231?__blob=publicationFile (7. Oktober 2012). 270 Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (2008): Human Rights, Terrorism, and Counter-Terrorism, Genf. Rat der Europäischen Union (1995): Rechtsakt vom 26. Juli 1995 über die Fertigstellung des Übereinkommens aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Einrichtung eines Europäischen Polizeiamts (Europol- Übereinkommen), in: OJ1995 C 316/1. Rat der Europäischen Union (1996): Übereinkommen über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in: OJ 1996 C 313. Rat der Europäischen Union (2001a): Sondertagung des Rates Allgemeine Angelegenheiten am 12. September 2001 in Brüssel, in: http://ue.eu.int/ueDocs/cms_Data/ docs/pressData/de/gena/11795.d1.html (16. Februar 2006). Rat der Europäischen Union (2001b): Außerordentliche Tagung des Rates Justiz, Inneres und Katastrophenschutz am 20. September 2001. Bekämpfung des Terrorismus – Schlussfolgerungen, in: http://ue.eu.int/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/jha/ 12019.d1.html (16. Februar 2006). Rat der Europäischen Union (2001c): Koordinierung und Umsetzung des Aktionsplanes zur Terrorismusbekämpfung, in: http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/ 01/st12/12800d1.pdf (21. Dezember 2005). Rat der Europäischen Union (2001d): Gemeinsamer Standpunkt vom 27. Dezember 2001 über die Bekämpfung des Terrorismus, in: OJ 2001 L 344/90. Rat der Europäischen Union (2001e): Gemeinsamer Standpunkt vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, in: OJ 2001 L 344/93. Rat der Europäischen Union (2001f): Verordnung Nr. 2580/2001 vom 27. Dezember 2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, in: OJ 2001 L 344/70. Rat der Europäischen Union (2002a): Beschluss vom 28. Februar 2002 zur Einrichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität, in: OJ 2002 L 63/1. 271 Rat der Europäischen Union (2002b): Gemeinsamer Standpunkt vom 27. Mai 2002 betreffend restriktive Maßnahmen gegen Osama bin Laden, Mitglieder der Al-QaidaOrganisation und die Taliban sowie andere mit ihnen verbündete Personen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen und zur Aufhebung der Gemeinsamen Standpunkte 96/746/GASP, 1999/727/GASP, 2001/ 154/GASP und 2001/711/GASP, in: OJ 2002 L 139/4. Rat der Europäischen Union (2002c): Verordnung Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 467/2001 über das Verbot der Ausfuhr bestimmter Waren und Dienstleistungen nach Afghanistan, über die Ausweitung des Flugverbots und des Einfrierens von Geldern und anderen Finanzmitteln betreffend die Taliban von Afghanistan, in: OJ 2002 L 139/9. Rat der Europäischen Union (2002d): Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, in: OJ 2002 L 190/1. Rat der Europäischen Union (2002e): Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung, in: OJ 2002 L 164/3. Rat der Europäischen Union (2003): Leitlinien für ein gemeinsames Konzept zur Bekämpfung des Terrorismus, in: http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/03/st09/ st09864-ex01.de03.pdf (27.09.2008). Rat der Europäischen Union (2004a): EU Jahresbericht zur Menschenrechtslage 2004, Luxemburg. Rat der Europäischen Union (2004b): Richtlinie über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, in: OJ 2004 L 304/12. Rat der Europäischen Union (2005a): Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union, in: OJ 2005 C 53/1. 272 Rat der Europäischen Union (2005b): Strategie der Europäischen Union zur Bekämpfung von Radikalisierung und Anwerbung für den Terrorismus, in: http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/350328/publicationFile/ 3518/EUStrategieggRadikalisierung.pdf;jsessionid=BDAC18B524FF274A2FE1A91C30 6B3604 (24.Juni 2010). Rat der Europäischen Union (2005c): Strategie der Europäischen Union zur Terrorismusbekämpfung, in: http://register.consilium.eu.int/pdf/de/05/st14/st14469-re04. de05.pdf (24. Juni 2010). Rat der Europäischen Union (2007): Verordnung 168/2007 zur Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, in: OJ 2007 L 53. Rat der Europäischen Union (2008): Rahmenbeschluss 2008/919/JI zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung, in: OJ 2008 L330/21. Rat der Europäischen Union (2010a): Entwurf einer Strategie der inneren Sicherheit der Europäischen Union: Hin zu einem europäischen Sicherheitsmodell, in: http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/10/st07/st07120.de10.pdf (14. Februar 2013). Rat der Europäischen Union (2010b): EU Counter Terrorism Strategy – Discussion Paper, in: http://consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/st15894-re01en10.pdf (16. Februar 2013). Rat der Europäischen Union/Europäische Kommission (1998): Action Plan on how best to implement the Provisions of the Treaty of Amsterdam an Area of Freedom, Security and Justice, in: OJ 1999 C 19/1. United Nations General Assembly (1994): Declaration on Measures to Eliminate International Terrorism, in http://www.un.org/documents/ga/res/49/a49r060.htm (10. September 2012). United Nations General Assembly (1997): International Convention for the Suppression of Terrorist Bombings, in: http://treaties.un.org/doc/db/Terrorism/english-189.pdf (10. September 2012). 273 United Nations General Assembly (1999): International Convention for the Suppression of the Financing of Terrorism, in: http://treaties.un.org/doc/db/Terrorism/eng lish-18-11.pdf (10. September 2012). United Nations General Assembly (2006): The United Nations Global CounterTerrorism Strategy, in: http://daccess-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N05/504/ 88/PDF/N0550488.pdf (22. Februar 2011). United Nations Security Council (1999): Resolution 1267 (1999), in: http://www.un.org/Depts/german/sr/sr_99/sr1267.pdf (10. September 2012). United Nations Security Council (2000): Resolution 1333 (2000), in: http://www.un.org/Depts/german/sr/sr_00/sr1333.pdf (1. November 2012). United Nations Security Council (2001a): Resolution 1368 (2001), in: http://daccessdds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N01/533/82/PDF/N0153382.pdf (29. März 2012). United Nations Security Council (2001b): Resolution 1373 (2001), in: http://daccessdds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N01/557/43/PDF/N0155743.pdf (29. März 2012). United Nations Security Council (2002): Resolution 1390 (2002), in: www.un.org/depts/german/sr/sr_01-02/sr1390.pdf (20. November 2011). United Nations Security Council (2003): Resolution 1456 (2003), in: http://www.unhchr.ch/Huridocda/Huridoca.nsf/%28Symbol%29/S.RES.1456+%2820 03%29.En?Opendocument (10. März 2013). 2 Sekundärquellen Aalto, Pekka (2002): Outcome of the Tampere European Council: Birth of a New Project for Europe?, in: Cullen, Peter/Jund, Sarah (Hrsg.): Criminal Justice Co-operation in the European Union after Tampere, Köln, S. 9-16. Abetz, Marie-Claire (2005): Justizgrundrechte in der Europäischen Union, Frankfurt/M. Albers, Marion (2012): Das Präventionsdilemma, in: Schmidt, Jan-Hinrik/Weichert, Thilo (Hrsg.): Datenschutz. Grundlagen, Entwicklungen und Kontroversen, Bonn, S. 102-114. 274 Albrecht, Peter-Alexis (2003): Die vergessene Freiheit – Strafrechtsprinzipien in der europäischen Sicherheitsdebatte, in: Friedrich-Ebert-Stiftung, Forum Berlin (Hrsg.): Sicherheit vor Freiheit? Terrorismusbekämpfung und die Sorge um den freiheitlichen Rechtsstaat, Berlin. Albrecht, Peter-Alexis (2006): Die vergessene Freiheit. Strafrechtsprinzipien in der europäischen Sicherheitsdebatte, 2. Auflage, Berlin. Alfsen, Marianne (2011): Europas kleines schmutziges Geheimnis, in: Amnesty Journal 1/2012, S. 44-46. Alston, Philip/Weiler, Joseph (1999): An Ever Closer Union in Need for an Human Rights Policy: The European Union and Human Rights, in: http://www.jeanmonnet program.org/papers/99/990101.html (4. Mai 2006). Ambos, Kai (2006): Terrorismusbekämpfung seit dem 11. September 2001, in: Becker, Michael/Zimmerling, Ruth (Hrsg.): Politik und Recht, PVS Sonderheft 36/2006, S. 416-448. Amnesty International (2001): The backlash – human rights at risk throughout the world, in: http://web.amnesty.org/library/pdf/ACT300272001ENGLISH/$File/ACT 3002701.pdf (19. Oktober 2005). Amnesty International (2005a): Grausam. Unmenschlich. Entwürdigt uns alle. Stoppt Folter und Misshandlung im „Krieg gegen den Terror“!, Bonn. Amnesty International (2005b): Human Rights Dissolving at the Borders? Counterterrorism and the EU Criminal Law, in: http://web.amnesty.org/library/pdf/IR 610132005ENGLISH/$FILE/IOR6101305.pdf (10. Juli 2006). Amnesty International (2006): Partners in crime: Europe’s role in US renditions, London. Amnesty International (2007): Grundrechteagentur ohne Rechte, in: Amnesty Journal, 4/2007. Amnesty International (2008): Security and Human rights. Counter-terrorism and the United Nations, London. 275 Annan, Kofi (2005): In larger freedom. Towards development, security and human rights for all, New York. Archick, Kristin (2004): Europe and Counterterrorism: Strengthening Police and Judicial Cooperation, in: http://digital.library.unt.edu/govdocs/crs//data/2004/upl-metacrs-7370/RL31509_2004Oct15.pdf (13. Juli 2006). Argomaniz, Javier (2011): The EU and Counter-Terrorism. Politics, polity and policies after 9/11, Abingdon. Bakker, Edwin (2006): Differences in the Terrorist Threat Perceptions in Europe, in: Mahncke, Dieter/Monar, Jörg (Hrsg.): International Terrorism. A European Response to a Global Threat?, Brüssel, S. 47-62. Balsen, Werner (2010): Die Rebellen beugen sich, in: Frankfurter Rundschau vom 29. Juni 2010, S. 11. Balzacq, Thierry u.a. (2006): Security and the Two-Level Game: The Treaty of Prüm, the EU and the Management of Threats, in: http://www.ceps.eu/book/security-andthe-two-level-game-treaty-prüm-eu-and-management-threats (17. November 2009). Balzacq, Thierry/Carrera, Sergio (2006): The Hague Programme: The Long Road to Freedom, Security and Justice, in: Balzacq, Thierry/Carrera, Sergio (Hrsg.): Security versus Freedom? A Challenge for Europe´s Future, Aldershot, S. 1-32. Barber, Benjamin R. (2003): Imperium der Angst. Die USA und die Neuordnung der Welt, München. Bartelt, Dawid Danilo/Muggenthaler, Ferdinand (2006): Das Rendition-Programm der USA und die Rolle Europas, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 36/2006, S. 31-38. Beck, Ulrich (2007): Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit, Bonn. Bendel, Petra (2004): Flüchtlingsrechte und Menschenrechte in der Europäischen Union, in: http://regionenforschung.uni-erlangen.de/publikationen/6/08.pdf (22. Januar 2013). 276 Bendel, Petra (2009): Europäische Migrationspolitik. Bestandsaufnahme und Trends, in: http://library.fes.de/pdf-files/wiso/06306.pdf (20. November 2012). Bendiek, Annegret (2006): Die Terrorismusbekämpfung der EU. Schritte zu einer kohärenten Netzwerkpolitik, Berlin. Bergius, Michael/Knuf, Thorsten (2010): EU-Staaten haben es bei Swift eilig, in: Frankfurter Rundschau vom 23. Juni 2010, S. 7. Bibisidis, Thomas (2007): Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, in: http://www.europa-digital.de/dschungelbuch/nochorg/agenturen/fra.shtml (2. Juli 2007). Bielefeldt, Heiner (2004a): Das Folterverbot im Rechtsstaat, Berlin. Bielefeldt, Heiner (2004b): Freiheit und Sicherheit im demokratischen Rechtsstaat, Berlin. Bielefeldt, Heiner (2008): Gefahrenabwehr im demokratischen Rechtsstaat. Zur Debatte um ein „Feindrecht“, Berlin. Bielefeldt, Heiner (2010): Rechtsstaatliche Transparenz und Menschenwürde. Rechtsethische Überlegungen zur Evaluierung von Sicherheitsgesetzen, in: Albers, Marion/Weinzierl, Ruth (Hrsg.): Menschenrechtliche Standards in der Sicherheitspolitik. Beiträge zur rechtsstaatsorientierten Evaluierung von Sicherheitsgesetzen, BadenBaden, S. 13-23. Bielefeldt, Heiner (2011): Datenschutz als Solidaritätsgebot, in: Bielefeldt, Heiner u.a. (Hrsg.): Nothing to hide – nothing to fear? Datenschutz – Transparenz – Solidarität. Jahrbuch Menschenrechte 2011, Wien, S. 25-33. Bigo, Didier (2006): Liberty, Whose Liberty? The Hague Programme and the Conception of Freedom, in: Balzacq, Thierry/Carrera, Sergio (Hrsg.): Security versus Freedom? A Challenge for Europe´s Future, Aldershot, S. 35-44. Bigo, Didier u.a. (2010a): Europe´s 21st Century Challenge. Delivering Liberty, Farnham. 277 Bigo, Didier u.a. (2010b): The Changing Landscape of European Liberty and Security, in: Bigo, Didier u.a. (Hrsg.): Europe´s 21st Century Challenge. Delivering Liberty, Farnham, S. 1-27. Bock, Andreas M. (2011): 9/11, Terrorismus und die Legalisierung der Folter, in: Jäger, Thomas (Hrsg.): Die Welt nach 9/11. Auswirkungen des Terrorismus auf Staatenwelt und Gesellschaft, Wiesbaden, S. 882-901. Boer, Monica (2003): The EU Counter-Terrorism Wave: Window of Opportunity or Profound Policy Transformation?, in: Leeuwen, Marianne (Hrsg.): Confronting Terrorism. European Experiences, Threat Perceptions and Policies, Den Haag, S. 185-206. Boer, Monica (2006): Fusing the Fragments. Challenges for EU Internal Security Governance on Terrorism, in: Mahncke, Dieter/Monar, Jörg (Hrsg.): International Terrorism. A European Response to a Global Threat?, Brüssel, S. 83-111. Boer, Monica u.a. (2008): Legitimacy under Pressure: The European Web of CounterTerrorism Networks, in: Journal of Common Market Studies, 1/2008, S. 101-124. Bogdandy, Armin (2000): The European Union as a Human Rights Organization? Human Rights and the Core of the European Union, in: Common Market Law Review, 37. Jg., S. 1307-1338. Bommarius, Christian (2011): Alberne Drohgebärden, in: Frankfurter Rundschau vom 19. April 2011, S. 10. Bossong, Raphael (2008): The Action Plan on Combating Terrorism: A Flawed Instrument of EU Security Governance, in: Journal of Common Market Studies, 1/2008, S. 27-48. Bossong, Raphael (2012): The fight against international terrorism. Driver and yardstick for European homeland security, in: Kaunert, Christian (Hrsg.): European Homeland Security. A European strategy in making?, Abingdon, S. 57-71. Boswell, Christina (2002): Innere Sicherheit durch Einwanderungskontrolle?, in: Schoch, Bruno u.a. (Hrsg.): Friedensgutachten 2002, Münster, S. 135-141. Boswell, Christina (2007): Migration Control in Europe After 9/11: Explaining the Absence of Securitization, in: Journal of Common Market Studies, 3/2007, S. 589-610. 278 Boswell, Christina (2009): Migration, Security, and Legitimacy. Some Reflections, in: Givens, Terri E. u.a. (Hrsg.): Immigration Policy and Security. U.S., European and Commonwealth Perspectives, New York, S. 93-108. Brady, Hugo/Keohane, Daniel (2005): Fighting Terrorism: The EU needs a Strategy not a Shopping List, in: http://www.cer.org.uk/pdf/briefing_terrorism_11oct05.pdf (21. Juni 2006). Brouwer, Evelien (2009): The EU Passenger Name Record (PNR) System and Human Rights: Transferring Passenger Data or Passenger Freedom?, in: http://www.ceps.eu/book/eu-passenger-name-record-pnr-system-and-human-rightstransferring-passenger-data-or-passenger-f (15. Januar 2013). Brown, David (2007): The EU and Counter-Terrorism: A Reliable Ally in the „War on Terror“?, in: Eder, Franz/Mangott, Gerhard/Senn, Martin (Hrsg.): Transatlantic Discord. Combating Terrorism and Proliferation, Preventing Crisis, Baden-Baden, S. 121143. Brugger, Winfried (1996): Darf der Staat ausnahmsweise foltern?, in: Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre, öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte, 1/1996, S. 67-97. Bruha, Thomas (2002a): Menschenrechtliche Erfordernisse bei der Bekämpfung des Terrorismus, in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Menschenrechtliche Erfordernisse bei der Bekämpfung des Terrorismus. Bericht und Beiträge zu einem Arbeitsgespräch am 19. April 2002 im Französischen Dom/Berlin-Mitte, Berlin, S. 1215. Bruha, Thomas (2002b): Neuer Internationaler Terrorismus: Völkerrecht im Wandel?, in: Koch, Hans-Joachim (Hrsg.): Terrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit. Symposium für Hans Peter Bull und Helmut Rittstieg am 31. Mai 2002, Baden-Baden, S. 51-82. Bures, Oldrich (2006): EU Counterterrorism Policy: A Paper Tiger?, in: Terrorism and Political Violence, 18/2006, S. 57-78. Bures, Oldrich (2010): Perceptions of the Terrorist Threat among EU Member States, in: Central European Journal of International & Security Studies, 1/2010, S. 51-80. 279 Bures, Oldrich (2011): EU Counterterrorism Policy. A Paper Tiger?, Fanham. Busch, Andreas (2011): Freiheits- und Bürgerrechte nach 9/11, in: Jäger, Thomas (Hrsg.): Die Welt nach 9/11. Auswirkungen des Terrorismus auf Staatenwelt und Gesellschaft, Wiesbaden, S. 861-881. Busch, Andrej Victor Mykola Wasyl (2003): Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention für den Grundrechtsschutz in der Europäischen Union. Grundrechtskontrolle des EGMR über das Recht der EU, Baden-Baden. Calliess, Christian (2002): Sicherheit im freiheitlichen Rechtsstaat. Eine verfassungsrechtliche Gratwanderung mit staatstheoretischem Kompass, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, 35. Jg., 1/2002, S. 1-7. Coolsaet, Rik (2011): Counterterrorism and Counter-radicalisation in Europe: How Much Unity in Diversity?, in: Coolsaet, Rik (Hrsg.): Jihadi Terrorism and the Radicalisation Challenge. European and American Experiences, Farnham, S. 227-246. Cottey, Andrew (2007): Security in the New Europe, Basingstoke. Crotty, William (2005): Democratization and Political Terrorism, in: Crotty, William (Hrsg.): Democratic Development and Political Terrorism. The Global Perspective, Boston, S. 3-16. Darnstädt, Thomas (2010): Der globale Polizeistaat. Terrorangst, Sicherheitswahn und das Ende unserer Freiheiten, München. Deile, Volkmar (2004):Kein Antiterrorrabatt bei Menschenrechtsverletzungen?, in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Jahrbuch Menschenrechte 2005, Frankfurt/M., S. 93-123. Depenheuer, Otto (2007): Selbstbehauptung des Rechtsstaates, Paderborn. Dershowitz, Alan (2002): Why Terrorism Works. Understanding the threat, responding to the challenge, New Haven. Dunne, Tim (2002): After 9/11: What Next for Human Rights?, in: The International Journal of Human Rights, 6. Jg., 2/2002, S. 93-102. 280 Edwards, Geoffrey/Meyer, Christoph O. (2008): Introduction: Charting a Contested Transformation, in: Journal of Common Market Studies, 1/2008, S. 1-25. Ehrlich, Avishai/Johannsen, Margret (2002): Folter im Dienste der Sicherheit? Terrorismus und Menschenrechte am Beispiel der Vernehmungspraxis des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet gegenüber palästinensischen Häftlingen, in: Hasse, Jana u.a. (Hrsg.): Menschenrechte. Bilanz und Perspektiven, Baden-Baden, S. 332-359. Eichhorst, Kristina (2007): Terrorismus – eine schwierige Begriffsbestimmung, in: Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (Hrsg.): Jahrbuch Terrorismus 2006, Opladen, S. 23-36. Elsen, Charles (2005): Die Politik im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der sich erweiternden Europäischen Union, in: Müller-Graff, Peter-Christian (Hrsg.): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, Baden-Baden, S. 43-51. Erbel, Günter (2002): Die öffentliche Sicherheit im Schatten des Terrorismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 10-11/2002, S. 14-21. Fischer, Klemens H. (2011): Die Europäische Union nach dem 9/11 – Vom strikten Intergouvernementalismus hin zu einem supranationalen Ansatz – Eine Frage von Subsidiarität oder staatlicher Souveränität oder lediglich von Effizienz?, in: Jäger, Thomas (Hrsg.): Die Welt nach 9/11. Auswirkungen des Terrorismus auf Staatenwelt und Gesellschaft, Wiesbaden, S. 191-211. Fröhlich, Daniel (2011): Das Asylrecht im Rahmen des Unionsrechts. Entstehung eines föderalen Asylregimes in der Europäischen Union, Tübingen. Frowein, Jochen Abr. (2005): Sicherheitsstaat und Menschenrechte, in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Jahrbuch Menschenrechte 2006, Frankfurt/M., S. 17-37. Garlick, Madeline (2006): Asylum Legislation in the European Community and the 1951 Convention: Key Concerns regarding Asylum Instruments adopted in the First Phase of Harmonization, in: Balzacq, Thierry/Carrera, Sergio (Hrsg.): Security versus Freedom? A Challenge for Europe´s Future, Aldershot, S. 45-59. 281 Geyer, Steven (2010): EU-Parlament will Swift-Abkommen kippen, in: Frankfurter Rundschau vom 29. Januar 2010, S. 7. Glaeßner, Gert-Joachim (2002): Sicherheit und Freiheit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 10-11/2002, S. 3-13. Glaeßner, Gert-Joachim (2006): Sicherheit durch Integration? Nationale und europäische Politik im Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit, in: Müller, Erwin/Schneider, Patricia (Hrsg.): Die Europäische Union im Kampf gegen den Terrorismus: Sicherheit vs. Freiheit?, Baden-Baden, S. 110-129. Glaeßner, Gert-Joachim/Lorenz, Astrid (2005a): Europa und die Politik der inneren Sicherheit, in: Glaeßner, Gert-Joachim/Lorenz, Astrid (Hrsg.): Europäisierung der inneren Sicherheit. Eine vergleichende Untersuchung am Beispiel von organisierter Kriminalität und Terrorismus, Wiesbaden, S. 21-41. Glaeßner, Gert-Joachim/Lorenz, Astrid (2005b): Innere Sicherheit in einem Europa ohne Grenzen, in: Möllers, Martin H. W./Ooyen, Robert Chr. (Hrsg.): Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2004/2005, Frankfurt/M., S. 365-381. Gössner, Rolf (2007): Menschenrechte in Zeiten des Terrors. Kollateralschäden an der „Heimatfront“, Hamburg. Grabbe, Heather (2001): Breaking new ground in internal security, in: Bannerman, Edward u.a.: Europe after September 11th, London, S. 63-75. Grammatikas, Vassilios (2006): EU Counter-terrorist Policies: Security vs. Human Rights?, in: http://www.humsec.eu/cms/fileadmin/user_upload/humsec/Working_ Paper_Series/Working_Paper_Grammatikas.pdf (5. Juli 2007). Greiner, Bernd (2011): 11. September. Der Tag, die Angst, die Folgen, Bonn. Griebenow, Olaf (2004): Demokratie- und Rechtsstaatsdefizite in Europa. Die europäische Zusammenarbeit im Bereich Inneres und Justiz, Hamburg. Guild, Elspeth (2008): The Uses and Abuses of Counter-Terrorism Policies in Europe: The Case ofthe Terrorist Lists, in: Journal of Common Market Studies, 1/2008, S. 173193. 282 Gundel, Jörg (2005): Justiz- und Verfahrensgrundrechte, in: Ehlers, Dirk (Hrsg.): Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Auflage, Berlin, S. 502-530. Gusy, Christoph/Schewe, Christoph S. (2003): Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, in: Weidenfeld, Werner/Wessels, Wolfgang (Hrsg.): Jahrbuch der Europäischen Integration 2002/2003, Berlin, S. 185-192. Gusy, Christoph/Schewe, Christoph S. (2004): Die Rechts- und Asylpolitik der Europäischen Union, in: Weidenfeld, Werner (Hrsg.): Die Europäische Union. Politisches System und Politikbereiche, Bonn, S. 342-358. Gusy, Christoph/Schewe, Christoph S. (2006): Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, in: Weidenfeld, Werner/Wessels, Wolfgang (Hrsg.): Jahrbuch der Europäischen Integration 2005, Berlin, S. 185-192. Harings, Lothar (1998): Die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, in: EUROPARECHT, Beiheft 2/1998, S. 81-97. Hauser, Gunther (2007): Die EU und der Kampf gegen den Terrorismus, in: Siedschlag, Alexander (Hrsg.): Jahrbuch für europäische Sicherheitspolitik 2006/2007, Baden-Baden, S. 25-36. Hayes, Ben (2007): „Terrorist lists“ still above the law, in: http://www.statewatch.org/ news/2007/ang/proscription.pdf (12. Februar 2008). Hebestreit, Steffen (2009a): FDP schilt Datentransfer, in: Frankfurter Rundschau vom 1. Dezember 2009, S. 7. Hebestreit, Steffen (2009b): Schlicht verfassungswidrig, in: Frankfurter Rundschau vom 16. Dezember 2009, S. 11. Hector, Pascal (2002): Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, in: Bröhmer, Jürgen (Hrsg.): Der Grundrechtsschutz in Europa, Baden-Baden, S. 180-204. Heinz, Wolfgang S. (2007): Terrorismusbekämpfung und Menschenrechtsschutz in Europa. Exemplarische Fragestellungen 2005/2006, Berlin. Heinz, Wolfgang S. u.a. (2003): Internationale Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte (Oktober 2001-April 2003), Berlin. 283 Heinz, Wolfgang S./Arend, Jan-Michael (2004): Internationale Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte. Entwicklungen 2003/2004, Berlin. Herdegen, Matthias (20052013): Europarecht, 715. Auflage, München. Hijmans, Hielke/Langfeldt, Owe (2012): Datenschutz in der Europäischen Union, in: Schmidt, Jan-Hinrik/Weichert, Thilo (Hrsg.): Datenschutz. Grundlagen, Entwicklungen und Kontroversen, Bonn, S. 403-411. Hoffman, Bruce (2008): Terrorismus – der unerklärte Krieg. Neue Gefahren politischer Gewalt, Frankfurt/M. Hoffmann-Riem, Wolfgang (2002): Freiheit und Sicherheit im Angesicht terroristischer Anschläge, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, 35. Jg., 12/2002, S. 497-501. Holzberger, Mark/Busch, Heiner (2002): Terrorismusbekämpfung in der EU. Ein Jahr nach dem 11. September, in: Bürgerrecht und Polizei/CILIP, 3/2002, S. 36-46. Human Rights Watch (2011): The EU´s Dirty Hands. Frontex Involvement in IllTreatment of Migrant Detainees in Greece, in: http://www.hrw.org/sites/default/ files/reports/greece0911webwcover_0.pdf (20. Januar 2013). Hummer, Waldemar (2002): Der Status der „EU-Grundrechtecharta“: Politische Erklärung oder Kern einer europäischen Verfassung?, Berlin. Hummer, Waldemar/Vedder, Christoph (2005): Europarecht in Fällen. Die Rechtsprechung des EuGH, des EuG und deutscher und österreichischer Gerichte, 4. Auflage, Baden-Baden. Hustinx, Peter (2005): Datenschutz und Sicherheit in der EU, in: http://www.datenschutz.hessen.de/Forum/Forum2005.pdf (24. August 2006). Huysmans, Jef (2006): The Politics of Insecurity. Fear, migration and asylum in the EU, Abingdon. Ignatieff, Michael (2005): Das kleinere Übel. Politische Moral in einem Zeitalter des Terrors, Berlin. 284 Jahn, Daniela u.a. (2006): Asyl- und Migrationspolitik der EU. Ein Kräftespiel zwischen Freiheit, Recht und Sicherheit, Berlin. Jakobi, Stephen/Mas, Sarah (2002): Achieving Balance among Liberty, Security and Justice: An Agenda for Europe, in: Cullen, Peter/Jund, Sarah (Hrsg.): Criminal Justice Co-operation in the European Union after Tampere, Köln, S. 87-92. Jakobs, Günther (2004): Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht, in: http://www.hrrstrafrecht.de/hrr/archiv/04-03/index.php3?sz=6 (30. Oktober 2012). Jarass, Hans D. (2005): EU-Grundrechte. Ein Studien- und Handbuch, München. Jaschke, Hans-Gerd (2006): Politischer Extremismus, Wiesbaden. Kahl, Martin (2006): Nach Madrid und London: Die EU im Kampf gegen den Terrorismus, in: Mutz, Reinhard (Hrsg.): Friedensgutachten 2006, Berlin, S. 237-245. Kant, Martina (2008): „Extraordinary Renditions“, Verschleppungen, Geheimgefängnisse, in: Hutter, Franz-Josef/Kimmle, Carsten (Hrsg.): Das uneingelöste Versprechen. 60 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Karlsruhe, S. 251-259. Kaunert, Christian (2010): Towards Supranational Governance in EU CounterTerrorism? The Role of the Commission and the Council Secretariat, in: Central European Journal of International & Security Studies, 1/2010, S. 8-31. Keohane, Daniel (2005a): The EU and counter-terrorism, London. Keohane, Daniel (2005b): One step forward, two steps back, in: http://www.cer.org.uk/pdf/article_keohane_esharp_nov05.pdf (21. Juni 2006). Keohane, Daniel (2006): Implementing the EU´s Counter-Terrorism Strategy. Intelligence, Emergencies, and Foreign Policy, in: Mahncke, Dieter/Monar, Jörg (Hrsg.): International Terrorism. A European Response to an Global Threat?, Brüssel, S. 63-72. Kietz, Daniela/Parkes, Roderick (2008): Justiz- und Innenpolitik nach dem Lissabonner Vertrag, Berlin. 285 Klein, Eckart (2004): Die Herausforderung durch den internationalen Terrorismus – Hört hier das Völkerrecht auf?, in: Isensee, Josef (Hrsg.): Der Terror, der Staat und das Recht, Berlin, S. 9-39. Kleine, Mareike (2004): Die Reaktion der EU auf den 11. September 2001. Zu Kooperation und Nicht-Kooperation in der inneren und äußeren Sicherheit, Münster. Kleine-Brockhoff, Thomas (2005): Wenn die Bombe tickt. Der amerikanische Jurist Alan Dershowitz will Folter in Ausnahmefällen erlauben, in: Die Zeit vom 15. Dezember 2005, S. 58. Knapp, Ursula (2010): Karlsruhe kippt Speicherung, in: Frankfurter Rundschau vom 3. März 2010, S. 2. Knelangen, Wilhelm (2001): Das Politikfeld innere Sicherheit im Integrationsprozess. Die Entstehung einer europäischen Politik der inneren Sicherheit, Opladen. Knelangen, Wilhelm (2004): Die Ambitionen Europas und die Erfahrung des Scheiterns – Die Europäische Union und der „Krieg gegen den Terrorismus“, in: Pradetto, August (Hrsg.): Sicherheit und Verteidigung nach dem 11. September 2001. Akteure – Strategien – Handlungsmuster, Frankfurt/M., S. 175-200. Knelangen, Wilhelm (2005): Die Europäische Union und die Bekämpfung des Terrorismus, in: Möllers, Martin H. W./Ooyen, Robert Chr. (Hrsg.): Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2004/2005, Frankfurt/M., S. 403-413. Knelangen, Wilhelm (2011): Die Europäische Union und der 11. September 2001, in: Jäger, Thomas (Hrsg.): Die Welt nach 9/11. Auswirkungen des Terrorismus auf Staatenwelt und Gesellschaft, Wiesbaden, S. 508-528. Knuf, Thorsten (2010): Volksvertreter kippen Swift-Abkommen, in: Frankfurter Rundschau vom 12. Februar 2010, S. 9. Kraus-Vonjahr, Martin (2002): Der Aufbau eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Europa. Die Innen- und Justizpolitik der Europäischen Union nach Amsterdam und Nizza, Frankfurt/M. Krempl, Stefan (2005): Jeder unter Verdacht, in: Die Zeit, 49/2005, S. 32. 286 Krüger, Paul-Anton (2007): Europäisches Gericht rügt Terroristenliste der EU, in: Süddeutsche Zeitung vom 12. Juli 2007, S. 7. Kübler, Johanna (2002): Die Säulen der Europäischen Union: einheitliche Grundrechte? Zur Grundrechtsdivergenz zwischen der ersten und der dritten Säule am Beispiel des Datenschutzes, Baden-Baden. Landgraf, Anton (2007): „Die Sache ist zu heiß“ – Ein Gespräch mit Wolfgang KreisslDörfler, Mitglied im CIA-Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments, in: Amnesty Journal 4/2007, S. 16-17. Lavranos, Nikolaos (2003): Europol and the Fight Against Terrorism, in: European Foreign Affairs Review, 8/2003, S. 259–275. Leinen, Jo (2009): Mehr Demokratie, in: Frankfurter Rundschau vom 26. Juni 2009, S. 6. Leonard, Sarah (2010): The Use and Effectiveness of Migration Controls as a CounterTerrorism Instrument in the European Union, in: Central European Journal of International & Security Studies, 1/2010, S. 32-50. Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine (2002): Die Entwicklung des Schutzes der Grundrechte in der EU, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, 8/2002, 35. Jg., S. 329-332. Limbach, Jutta (2004): Terror – eine Bewährungsprobe für die Demokratie, in: http://www.bpb.de (28. Februar 2006). Löffler, Klaus (Hrsg.) (2002): Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage, Baden-Baden. Löhr, Tillmann (2008): Die Qualifikationsrichtlinie: Rückschritt hinter internationale Standards?, in: Hofmann, Rainer/Löhr, Tillmann (Hrsg.): Europäisches Flüchtlingsund Einwanderungsrecht. Eine kritische Zwischenbilanz, Baden-Baden, S. 47-97. Lorz, Ralph Alexander (2012): Der Terrorismus und das Völkerrecht, in: Schwarz, Kyrill-Alexander (Hrsg.): 10 Jahre 11. September – Die Rechtsordnung im Zeitalter des Ungewissen, Baden-Baden, S. 53-69. 287 Ludwig, Christian H. (2002): Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Bereich Justiz und Inneres nach dem Vertrag von Amsterdam, Baden-Baden. Mahony, Honor (2007): EU court annulas assets freeze fort wo terror list members, in: http://euobserver.com/9/24463/?rk=1 (12. Juli 2007). Marx, Reinhard (2012): Handbuch zum Flüchtlingsschutz. Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Auflage, Köln. Mattes, Hanspeter (2010): Terrorismusbekämpfung durch die UN: vielfältige Maßnahmen – wenig Erfolg, in: GIGA Focus, 7/2010. Meng, Werner (1997): Die Dritte Säule und Maastricht II – Perspektiven der Gemeinsamen Innen- und Rechtspolitik in der Regierungskonferenz 1996, in: Theobald, Volkmar (Hrsg.): Von der Europäischen Union zur „Europäischen Sicherheitsunion“? Die Gemeinsame Politik der Inneren Sicherheit in der EU, Berlin, S. 175-204. Milke, Tile (2003): Europol und Eurojust. Zwei Institutionen zur internationalen Kriminalitätsbekämpfung und ihre justitielle Kontrolle, Göttingen. Monar, Jörg (2000): Die Entwicklung des „Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“: Perspektiven nach dem Vertrag von Amsterdam und dem Europäischen Rat von Tampere, in: INTEGRATION, 23. Jg., 1/2000, S. 18-33. Monar, Jörg (2002a): Die EU als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und die Herausforderung des internationalen Terrorismus, in: INTEGRATION, 25. Jg., 3/2002, S. 171-186. Monar, Jörg (2002b): The Problems of Balance in EU Justice and Home Affairs and the Impact of 11 September, in: Anderson, Malcolm/Apap, Joanna (Hrsg.): Police and Justice Co-operation and the new European Borders, Den Haag, S. 165-182. Monar, Jörg (2003): Auf dem Weg zu einem Verfassungsvertrag: Der Reformbedarf der Innen- und Justizpolitik der Union, in: INTEGRATION, 26. Jg., 1/2003, S. 31-47. Monar, Jörg (2004): Die EU und die Herausforderung des internationalen Terrorismus. Handlungsgrundlagen, Fortschritte und Defizite, in: Weidenfeld, Werner (Hrsg.): Herausforderung Terrorismus. Die Zukunft der Sicherheit, Wiesbaden, S. 136-172. 288 Monar, Jörg (2005): Die politische Konzeption des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Vom Amsterdamer Vertrag zum Verfassungsentwurf des Konvents, in: Müller-Graff, Peter-Christian (Hrsg.): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, Baden-Baden, S. 29-41. Monar, Jörg (2007): Common Threat and Common Response? The European Union´s Counter-Terrorism Strategy and its Problems, in: Government and Opposition, 3/2007, 42. Jahrgang, S. 292-313. Muguruza, Christina Churruca (2001): The European Union´s reaction to the terrorist attacks on the United States, in: Humanitäres Völkerrecht, 4/2001, S. 234-243. Müller, Erwin/Schneider, Patricia (Hrsg.) (2006): Die Europäischen Union im Kampf gegen den Terrorismus: Sicherheit vs. Freiheit?, Baden-Baden. Müller, Thorsten (2003): Die Innen- und Justizpolitik der Europäischen Union. Eine Analyse der Integrationsentwicklung, Opladen. Müller-Graff, Peter-Christian (2005): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Der primärrechtliche Rahmen, in: Müller-Graff, Peter-Christian (Hrsg.): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, Baden-Baden, S. 11-27. Münkler, Herfried (2007): Terrorabwehr ohne Hysterie, in: Frankfurter Rundschau vom 5. Juli 2007, S. 13. Murswiek, Dietrich (2009): Die Lücke wächst, in: Frankfurter Rundschau vom 26. Juni 2009, S. 6. Murthy, C.S.R. (2008): The U.N. Counter-Terrorism-Committee: An Institutional Analysis, in: Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (Hrsg.): Jahrbuch Terrorismus 2007/2008, Opladen, S. 217-237. Musharbash, Yassin (2008): Die neue al-Qaida. Innenansicht eines lernenden Terrornetzwerks, Bonn. Neal, Andrew W. (2009): Securitization and Risk at the EU Border: The Origins of Frontex, in: Journal of Common Market Studies, 2/2009, S. 333-356. 289 Neisser, Heinrich (2005): Maßnahmen der Europäischen Union zur TerrorismusAbwehr, in: Knop, Katharina u.a. (Hrsg.): Countering Modern Terrorism. History, Current Issues and Future Threats. Proceedings of the Second International Security Conference Berlin 15-17 December 2004, Bielefeld, S. 227-237. Nicolaysen, Gert (2003): Die gemeinschaftsrechtliche Begründung von Grundrechten, in: EUROPARECHT, 5/2003, 38. Jg., S. 719-743. Nicolaysen, Gert (2004): Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, in: Weidenfeld, Werner (Hrsg.): Die Europäische Union. Politisches System und Politikbereiche, Bonn, S. 109-124. Niemeier, Michael/Zerbst, Petra (2007): Der Vertrag von Prüm – vertiefte grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur Kriminalitätsbekämpfung in der EU. Die Überführung des Vertrages von Prüm in den Rechtsrahmen der EU, in: ERA Forum, 8/2007, S. 535-547. Nitschke, Peter (2008): Das PNR-Abkommen zwischen der EU und den USA: Eine transatlantische (innere) Sicherheitsarchitektur, in: Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (Hrsg.): Jahrbuch Terrorismus 2007/2008, Opladen, S. 209-216. O´Neill, Maria (2012): The Evolving EU Counter-Terrorism Legal Framework, Abingdon. Oeter, Stefan (2002): Terrorismus – ein völkerrechtliches Verbrechen?, in: Koch, Hans-Joachim (Hrsg.): Terrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit. Symposium für Hans Peter Bull und Helmut Rittstieg am 31. Mai 2002, BadenBaden, S. 29-50. Oosting, Dick (2002): Die Erfahrungen internationaler Menschenrechtsorganisationen (NGOs), in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Menschenrechtliche Erfordernisse bei der Bekämpfung des Terrorismus. Bericht und Beiträge zu einem Arbeitsgespräch am 19. April 2002 im Französischen Dom/Berlin-Mitte, Berlin, S. 24-27. Oppel, Diana (2010): Terrorismusforschung heute: Abwägungen zwischen Freiheit und Sicherheit angesichts terroristischer Bedrohung, in: Riescher, Gisela (Hrsg.): Sicherheit und Freiheit statt Terror und Angst. Perspektiven einer demokratischen Sicherheit, Baden-Baden, S. 25-45. 290 Pache, Eckhard (2005): Die EU – ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, in: Pache, Eckhard (Hrsg.): Die Europäische Union – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, Baden-Baden, S. 9-13. Papakonstantinou, Vagelis/Hert, Paul de (2009): The PNR Agreement and Transatlatic Anti-Terrorism Co-operation: No firm Human Rights Framework on either side of the Atlantic, in: Common Market Law Review, Jg. 46, S. 885–919. Parizkova, Lada (2005): European Counterterrorism. Lessons for the U.S. Policy, in: Crotty, William (Hrsg.): Democratic Development and Political Terrorism. The Global Perspective, Boston, S. 353-372. Parkes, Roderick/Maurer, Andreas (2007): Britische Anti-Terror-Politik und die Internationalisierung der Inneren Sicherheit. Zur Balance zwischen Freiheit, Sicherheit und Demokratie, Berlin. Pastore, Ferruccio (2001): Reconciling the Prince’s two 'Arms'. Internal-external security policy coordination in the European Union, in: http://www.iss-eu.org/occasion/ occ30.pdf (27. Februar 2006). Pechstein, Matthias/Koenig, Christian (Hrsg.) (2003): Entscheidungen des EuGH. Studienauswahl, 2. Auflage, Tübingen. Pernice, Ingolf (2005): Europäische Justizpolitik in der Perspektive der Verfassung für Europa. Zur horizontalen Dimension des europäischen Verfassungsverbundes, WHIPaper 03/05, Berlin. Pfeiffer, Kathrin/Schneider, Patricia (2008): Menschenrechte gelten doch auch für Terrorverdächtige. Das Urteil des EuGH zur Umsetzung von UN-SicherheitsratsResolutionen und die Auswirkungen auf die Terrorismusbekämpfung durch gezielte Sanktionen mit Hilfe von Terrorlisten, in: www.isfh.de/pdf/publikationen/hifs/ HI44.pdf (16. Dezember 2008). Polakiewicz, Jörg (2003): Europäischer Menschenrechtsschutz zwischen Europarat und Europäischer Union. Zum Verhältnis von EMRK und EU-Grundrechtecharta, in: Marauhn, Thilo (Hrsg.): Die Rechtsstellung des Menschen im Völkerrecht, Tübingen, S. 37-54. 291 Pop, Valentina (2010a): European arrest warrant still delivering injustice, in: http://euobserver.com/9/30527/?rk=1 (25. Juli 2010). Pop, Valentina (2010b): US links EU security partnership to bank data deal, in: http://euobserver.com/9/29427/?rk=1 (8. Februar 2010). Pop, Valentina (2010c): Biden sweet-talks MEPs on anti-terrorism deal, in: http://euobserver.com/22/30025 (10. Mai 2010). Pop, Valentina (2010d): EU moves on data protection deal with US, in: http://euobserver.com/9/30144/?rk=1 (31. Mai 2010). Pop, Valentina (2010e): Breakthrough in EU-US data sharing deal, in: http://euobserver.com/9/30363/?rk=1 (26. Juni 2010). Pop, Valentina (2011): Commission to propose new Anti-terrorism tool, in: http://euobserver.com/9/32617?print=1 (19. Juli 2011). Prantl, Heribert (2008): Der Terrorist als Gesetzgeber. Wie man mit Angst Politik macht, München. Reckmann, Jan (2004): Außenpolitische Reaktionen der Europäischen Union auf die Terroranschläge vom 11. September 2001, Münster. Reckmann, Jörg (2005): Weitergabe von Fluggast-Daten an USA gerügt, in: Frankfurter Rundschau am 23. November 2005, S. 6. Rees, Wyn (2009): US-European Union Homeland Security Cooperation, in: Eder, Franz/Senn, Martin (Hrsg.): Europe and Transnational Terrorism. Assessing Threats and Countermeasures, Baden-Baden, S. 129-143. Reid, John (2006): Security, freedom and the protection of our values, Rede am 9. August 2006, in: http://www.demos.co.uk/files/johnreidsecurityandfreedom.pdf (22. November 2012). Renard, Thomas (2012): EU Counterterrorism Policies and Institutions After the Lisbon Treaty, in: http://hawk.ethz.ch/serviceengine/Files/ISN/153959/ipublicationdoc ument_singledocument/7d80a5b6-cfb0-4338-968e-dd638604be48/en/Renard_ policybrief_1216.pdf (3. November 2012). 292 Richardson, Louise (2007): Was Terroristen wollen. Die Ursachen der Gewalt und wie wir sie bekämpfen können, Bonn. Riescher, Gisela (2010): Demokratische Freiheit und die Sicherheit des Leviathan, in: Riescher, Gisela (Hrsg.): Sicherheit und Freiheit statt Terror und Angst. Perspektiven einer demokratischen Sicherheit, Baden-Baden, S. 11-24. Riescher, Gisela (2014): Freiheit und Sicherheit, in: Riescher, Gisela: Spannungsfelder der politischen Theorie, Bonn, S. 20-29. Sageman, Marc (2008): The Next Generation of Terror, in: Foreign Policy, March/April 2008, S. 37-42. Sandschneider, Eberhard (2011): Der erfolgreiche Abstieg Europas. Heute Macht abgeben, um morgen zu gewinnen, Bonn. Sattler, Karl-Otto (2005): Bürger unter Generalverdacht. Interview mit Thilo Weichert, in: Das Parlament, 51-52/2005, S. 5. Schaar, Peter (2006): Informationsverbund der europäischen Sicherheitsbehörden – wo bleibt der Datenschutz?, in: Deutsches Institut für Menschenrechte: Menschenrechte – Innere Sicherheit – Rechtsstaat. Konferenz des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Berlin, 27. Mai 2005, Berlin, S. 36-39. Schaar, Peter (2007): Das Ende der Privatsphäre. Der Weg in die Überwachungsgesellschaft, 2. Auflage, München. Schaller, Christian (2007): Völkerrechtliche Rahmenbedingungen und die Rolle der Vereinten Nationen bei der Terrorismusbekämpfung, in: Schneckener, Ulrich (Hrsg.): Chancen und Grenzen multilateraler Terrorismusbekämpfung, Berlin, S. 13-28. Scheinin, Martin (2007): Terrorism and Human Rights, in: Zeitschrift für Menschenrechte, 1/2007, S. 11-18. Schelter, Kurt (1997): Kooperation und Integration in der Europäischen Union im Bereich der Inneren Sicherheit, in: Theobald, Volkmar (Hrsg.): Von der Europäischen Union zur „Europäischen Sicherheitsunion“? Die Gemeinsame Politik der Inneren Sicherheit in der EU, Berlin, S. 15-31. 293 Schilling, Theodor (2004): Internationaler Menschenrechtsschutz. Universelles und europäisches Recht, Tübingen. Schlamp, Hans-Jürgen (2007): Geheimtreffen im Glaspalast, in: Der Spiegel, 23/2007, S. 124-125. Schlichting, Jan Muck (2005): Haager Programm für Justiz und Inneres, in: http://www.bundestag.de/bic/analysen/2005/2005_09_30.pdf (9. Juni 2006). Schneckener, Ulrich (2006): Transnationaler Terrorismus. Charakter und Hintergründe des „neuen“ Terrorismus, Frankfurt/M. Schober, Konrad (2008): Vom Verfassungsvertrag zum Reformvertrag. Das Gesetzgebungsverfahren der Europäischen Union zur Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, in: http://www.zerp.uni-bremen.de/deutsch/pdf/dp3_2008.pdf (8. August 2008). Schorkopf, Frank (2005): Würde des Menschen, Persönlichkeits- und Kommunikationsgrundrechte, in: Ehlers, Dirk (Hrsg.): Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Auflage, Berlin, S. 410-443. Schorlemer, Sabine (2003): Human Rights: Substantive and Institutional Implications ofthe War against Terrorism, in: European Journal of International Law, 14/2003, S. 265-282. Schroeder, Ursula C. (2012): Strategic patchwork or comprehensive framework? Upside down security strategy development in the European Union, in: Kaunert, Christian (Hrsg.): European Homeland Security. A European strategy in making?, Abingdon, S. 35-56. Schweisfurt, Theodor (2006): Völkerrecht, Tübingen. Sierck, Gabriela M. u.a. (Hrsg.) (2008): Handbuch der Menschenrechtsarbeit. Edition 2007/2008. Sievers, Julia (2008): Too Different to Trust? First Experiences with the Application of the European Arrest Warrant, in: Guild, Elspeth/Geyer, Florian (Hrsg.): Security versus Justice? Police and Judical Cooperation in the European Union, Aldershot, S. 109128. 294 Sokol, Bettina (2012): Grundrechte sichern!, in: Schmidt, Jan-Hinrik/Weichert, Thilo (Hrsg.): Datenschutz. Grundlagen, Entwicklungen und Kontroversen, Bonn, S. 137-144. Solana, Javier (2004): Die Europäische Demokratie gegen den Terrorismus, in: http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressdata/DE/articles/796 36.pdf (23. März 2007). Stein, Torsten (1980): Die Bekämpfung des Terrorismus im Rahmen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften, in: ZaöRV, 1980, S. 312-318. Stein, Torsten/Meiser, Christian (2001): Die Europäische Union und der Terrorismus, in: Die Friedens-Warte, Jg. 76, 1/2001, S. 33-54. Steinkamp, Jochen (2011): Das Swift-Abkommen zwischen EU und USA, in: Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (Hrsg.): Jahrbuch Terrorismus 2010, Opladen, S. 303-314. Theobald, Volkmar (1997): Von der Europäischen Union zur „Europäischen Sicherheitsunion“? – Die Gemeinsame Politik der Inneren Sicherheit in der EU, in: Theobald, Volkmar (Hrsg.): Von der Europäischen Union zur „Europäischen Sicherheitsunion“? Die Gemeinsame Politik der Inneren Sicherheit in der EU, Berlin, S. 7-12. Thiel, Elke (2001): Das Engagement der EU nach dem 11. September, in: http://www.swp-berlin.org (28. Februar 2006). Toggenburg, Gabriel Nikolaij (2007): Die EU-Grundrechteagentur: Satellit oder Leitstern?, Berlin. Toggenburg, Gabriel Nikolaij (2011): EU-Grundrechteagentur: Tätigkeiten an der „Zeitenwende“, in: Bielefeldt, Heiner u.a. (Hrsg.): Nothing to hide – nothing to fear? Datenschutz – Transparenz – Solidarität. Jahrbuch Menschenrecht 2011, Wien, S. 393404. Tomuschat, Christian (2005): Ungereimtes / Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 über den Europäischen Haftbefehl, in: Europäische Grundrechte Zeitschrift, 32. Jg., 17-18/2005, S. 453-460. Townsend, Adam (2003): Can the EU achieve an area of freedom, security and justice?, in: http://www.cer.org.uk/opinion_at_jhaoct.pdf (21. Juni 2006). 295 Tretter, Hannes (2007): Die Grundrechteagentur der Europäischen Union: Feigenblatt oder Aufbruchsignal?, in: Deutsches Institut für Menschenrechte u.a. (Hrsg.): Jahrbuch Menschenrechte 2008, Frankfurt/M., S. 257-264. Tretter, Hannes (2011): Die EU aus datenschutzrechtlicher Sicht – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, in: Bielefeldt, Heiner u.a. (Hrsg.): Nothing to hide – nothing to fear? Datenschutz – Transparenz – Solidarität. Jahrbuch Menschenrechte 2011, Wien, S. 34-50. Trojanow, Ilija/Zeh, Juli (2009): Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte, München. Tschohl, Christof (2011): Der Europäische Vorrat an Daten über Kommunikationsverhalten, in: Bielefeldt, Heiner u.a. (Hrsg.): Nothing to hide – nothing to fear? Datenschutz – Transparenz – Solidarität. Jahrbuch Menschenrechte 2011, Wien, S. 74-86. Uhrlau, Ernst (2007): Terror ohne Ende?, in: Internationale Politik, 5/2007, S. 52-57. Van de Voorde, Teun (2011): Terrorism Studies: A Critical Appraisal, in: Coolsaet, Rik (Hrsg.): Jihadi Terrorism and the Radicalisation Challenge. European and American Experiences, Farnham, S. 45-54. Vannahme, Joachim (2006): Wer kein Schweinefleisch isst, macht sich verdächtig, in: Das Parlament, 34-35/2006, S. 8. Vennemann, Nicola (2004): Country Report on European Union, in: Walter, Christian u.a. (Hrsg.): Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security vs. Liberty?, Berlin, S. 217-266. Vidino, Lorenzo (2009): Origins and Characteristics of Homegrown Jihadist Networks in Europe, in: Eder, Franz/Senn, Martin (Hrsg.): Europe and Transnational Terrorism. Assessing Threats and Countermeasures, Baden-Baden, S. 35-58. Vlcek, William (2009): Action and Consequences: The Predicament of EU Measures Against the Financing of Terrorism, in: Eder, Franz/Senn, Martin (Hrsg.): Europe and Transnational Terrorism. Assessing Threats and Countermeasures, Baden-Baden, S. 145-171. Volz, Markus (2007): Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, Berlin. 296 Vucheva, Elitsa (2009): EU to launch biometric passports by summer, in: http://euobserver.com/9/27407/?rk=1 (15. Januar 2009). Wagner, Richard (2008): „Der Westen mit seinen Werten ist ein Auslaufmodell.“ Der Staatsrechtler Otto Depenheuer über Terrorgefahr, Rechtsstaat, Doppelmoral – und warum Feinde nicht als solche behandelt werden, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 4. Mai 2008. Waldmann, Peter (2005): Terrorismus. Provokation der Macht, 2. Auflage, Hamburg. Walker, Neil (Hrsg.) (2005): Europe´s Area of Freedom, Security and Justice, New York. Wallrab, Annette (2004): Die Verpflichteten der Gemeinschaftsgrundrechte. Umfang und Grenzen der Bindung der Europäischen Gemeinschaft und der Mitgliedsstaaten an die Grundrechte des Europäischen Gemeinschaftsrechts, Baden-Baden. Wandscher, Christiane (2002): Terrorismus und die Vereinten Nationen, in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Menschenrechtliche Erfordernisse bei der Bekämpfung des Terrorismus. Bericht und Beiträge zu einem Arbeitsgespräch am 19. April 2002 im Französischen Dom/Berlin-Mitte, Berlin, S. 9-11. Warnken, Petra (2002): Das Verhältnis der Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Hamburg. Wassermann, Rudolf (1976): Sicherung oder Aushöhlung des Rechtsstaates?, in: Wassermann, Rudolf (Hrsg.): Terrorismus contra Rechtsstaat, Darmstadt, S. 125-162. Wehr, Andreas (2002): Terrorismusbekämpfung in Europa, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 7/2002, S. 863-870. Weichert, Thilo (2012): Datenschutz und Überwachung in ausgewählten Staaten, in: Schmidt, Jan-Hinrik/Weichert, Thilo (Hrsg.): Datenschutz. Grundlagen, Entwicklungen und Kontroversen, Bonn, S. 419-425. Weingärtner, Daniela (2007): Datenpaket mit Sprengstoff, in: Das Parlament, Nr. 28, 9. Juli 2007, S. 11. 297 Weinzierl, Ruth (2010): Europäische Parallelentwicklungen als Gegenstand menschenrechtsorientierter Evaluierung, in: Albers, Marion/Weinzierl, Ruth (Hrsg.): Menschenrechtliche Standards in der Sicherheitspolitik. Beiträge zur rechtsstaatsorientierten Evaluierung von Sicherheitsgesetzen, Baden-Baden, S. 147-167. Weinzierl, Ruth/Albers, Marion (2010): Wandel der Sicherheitspolitik - Menschenrechtsorientierte Evaluation als Kontrollinstrument, in: Albers, Marion/Weinzierl, Ruth (Hrsg.): Menschenrechtliche Standards in der Sicherheitspolitik. Beiträge zur rechtsstaatsorientierten Evaluierung von Sicherheitsgesetzen, Baden-Baden, S. 9-12. Wilkinson, Paul (2003): Implications of the attack of 9/11 for the future of terrorism, in: Buckley, Mary/Fawn, Rick (Hrsg.): Global Responses to Terrorism. 9/11, Afghanistan and beyond, London, S. 25-36. Wilkinson, Paul (2005): International terrorism: the changing threat and the EU’s response, in: http://www.iss-eu.org/chaillot/chai84.pdf (27. Februar 2006). Wilkinson, Paul (2006): Terrorism versus Democracy. The Liberal State Response, 2. Auflage, London. Wilkinson, Paul (2009): The Transnational Terrorism Threat to Europe: An Interim Assessment, in: Eder, Franz/Senn, Martin (Hrsg.): Europe and Transnational Terrorism. Assessing Threats and Countermeasures, Baden-Baden, S. 21-34. Williams, Andrew (2004): EU Human Rights Policies. A Study in Irony, Oxford. Wolf, Joachim (2002): Vom Grundrechtsschutz „in Europa“ zu allgemeinverbindlich geltenden europäischen Grundrechten – Wege der Grundrechtssicherung unterhalb der Ebene europäischer Verfassungsgebung, in: Bröhmer, Jürgen (Hrsg.): Der Grundrechtsschutz in Europa, Baden-Baden, S. 9-65. Wolf, Naomi (2008): Wie zerstört man eine Demokratie? Das 10-Punkte-Programm, München. Wolf, Sebastian (2003): Das Demokratiedefizit der Europäischen Union aus Sicht der Europäischen Menschenrechtskonvention, in: ZEuS, 3/2003, S. 379-397. 298 Ziercke, Jörg (2012): Kriminalität im 21. Jahrhundert, in: Schmidt, JanHinrik/Weichert, Thilo (Hrsg.): Datenschutz. Grundlagen, Entwicklungen und Kontroversen, Bonn, S. 129-136. 299