1. Die Philosophie hinter dem Experiment

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Das Einstein-Podolsky-Rosen Experiment
Philipp Wehrli, 2. Januar 2002
1. Die Philosophie hinter dem Experiment
Einstein, Podolsky und Rosen (EPR) wollten mit einem Gedankenexperiment
zeigen, dass die Quantentheorie unvollständig sei. Sie behaupteten (in meinen
Worten): Die Wahrscheinlichkeiten, die in der Quantentheorie auftreten, beruhten
nur auf unserem Unwissen. Wenn wir eine vollständige Theorie hätten und alle
Informationen über die Realität besitzen würden, würden die Wahrscheinlichkeiten
verschwinden, denn “Gott würfelt nicht”. EPR empfanden die Annahme einer
zufälligen Wirkung als unwissenschaftlich, als eine Kapitulation. Sollen wir
glauben, dass jedes Mal, wenn ein Quantenereignis stattfindet, eine übernatürliche
Kraft, vielleicht sogar ein Gott, eingreift? Wer oder was entscheidet, welche
Möglichkeit verwirklicht wird? Woher kommt die Information darüber, wie die
Welt im nächsten Augenblick aussehen wird?
EPR glaubten, dass die Welt mit einer vollständigen, lokal-realistischen Theorie
beschrieben werden könne. Das heisst, sie setzten die folgenden drei Annahmen
voraus:
A1. Einsteinsches Realitätskriterium
Kann man den Wert einer physikalischen Größe mit Sicherheit (das heißt mit der
Wahrscheinlichkeit 1) vorhersagen, ohne ein System dabei in irgendeiner Weise zu
stören, dann gibt es ein Element der physikalischen Realität, das dieser
physikalischen Größe entspricht.
A2. Vollständigkeit
In einer vollständigen Theorie muss jedes Element der physikalischen Realität eine
Entsprechung haben.
A3. Lokalität
Keine Information und keine Wirkung kann sich schneller ausbreiten als mit
Lichtgeschwindigkeit.
Das EPR-Gedankenexperiement sollte zeigen, dass die Quantentheorie keine
vollständige, lokal-realistische Theorie ist. Die Autoren erwarteten, dass die
Quantentheorie ergänzt werde, damit sie vollständig sei. Es kam aber anders. Das
Experiment wurde unterdessen mehrmals durchgeführt, und die meisten Physiker
sind heute der Ansicht, dass es überhaupt keine lokal-realistische Theorie geben
kann, welche die EPR-Experimente richtig erklärt.
2. Das Experiment
Es gibt verschiedene Varianten des EPR-Experimentes. Die folgenden Elemente
sind in allen Varianten gleich:
- Zwei Teilchen werden miteinander verschränkt oder so erzeugt, dass sie
miteinander verschränkt sind (was das genau bedeutet, wird unten erklärt).
- Die Teilchen werden an zwei verschiedene Orte gebracht.
- An den Teilchen werden komplementäre Grössen gemessen.
- Dieser Vorgang wird mit mehreren Teilchenpaaren wiederholt. Die statistische
Auswertung aller Messresultate zeigt ein Ergebnis, das mit keiner lokalrealistischen Theorie erklärt werden kann.
2.1. Verschränkte Photonen herstellen
Im folgenden Experiment, das auch tatsächlich durchgeführt wurde, betrachten wir
Paare von speziell präparierten Photonen. Die Präparation erfolgt ganz grob gesagt
so: Wir nehmen ein Quecksilber- oder ein Calcium-Atom, das drei verschiedene
Niveaus, also drei mögliche Elektronenbahnen hat. Dabei sind in der mittleren
Elektronenbahn für das Elektron drei verschiedene Zustände 2a, 2b und 2c
möglich, die alle dieselbe Energie haben, die sich aber in der sogenannten
‘magnetischen Quantenzahl’ unterscheiden. Physiker sagen, das mittlere Niveau ist
‘dreifach entartet’.
Ein Elektron, das im obersten (3.) Niveau ist, kann nicht direkt in das unterste (1.)
fallen, weil dabei der Drehimpuls nicht erhalten wäre. Es kann aber auf drei
verschiedenen Wegen über den mittleren Zustand zum tiefsten gelangen, nämlich
über 2a, 2b oder 2c. Beim Übergang vom 3. zum 2. Niveau wird ein Photon
ausgesendet und beim Übergang vom 2. zum 1. Niveau ebenso. Die beiden
Photonen fliegen in entgegengesetzter Richtung auseinander. Das Spannende ist
nun, dass die zwei ausgestrahlten Photonen immer in dieselbe Richtung polarisiert
sein müssen. Wenn das Quecksilber-Atom geeignet ausgerichtet ist, sind die
Photonen bei den Wegen über 2a oder 2c in y-Richtung polarisiert, beim Weg über
2b beide in z-Richtung. Diese Art, zwei Photonen zu emittieren, nennt man zwei
Photonen Kaskadenübergang. Die emittierten Photonen nennt man verschränkt
oder korreliert.
Abbildung 1.
Zwei Photonen Kaskadenübergang. Das Quecksilberatom hat 3 Niveaus, wovon
das 2. dreifach entartet ist. Beim Übergang vom 3. über das 2. ins erste Niveau
werden zwei Photonen emittiert (Wellenlinien), die gleich polarisiert sein müssen,
weil sonst der Gesamtdrehimpuls nicht erhalten bliebe. Wie sie polarisiert sind,
wird aber erst durch die Messung bestimmt, denn es hängt davon welchen der
Wege (über 2a, 2b oder 2c) das Elektron wählt.
Wie im Doppelspaltexperiment wäre es falsch zu glauben, das herunterfallende
Elektron wähle einen der Wege 2a, 2b oder 2c. Vielmehr geht es alle Wege. Die
ausgesendeten Photonen sind daher in y- und in z-Richtung polarisiert. Welches
davon verwirklicht wird, kann nur durch Messung festgestellt werden. Niels Bohr
hätte etwa gesagt: „Es wird erst durch die Messung entschieden. Vorher sind die
Photonen in einem Überlagerungszustand beider Polarisationen.“
Jeder mag selber entscheiden, ob er Bohrs Ausdrucksweise folgen will.
Unabhängig davon, ob diese Photonen ihre Polarisation tatsächlich haben oder sich
erst bei der Messung für eine Richtung entscheiden, sicher ist, dass die Photonen
eines solchen Paares sehr eng miteinander verbunden sind, weil sie sozusagen ‘von
Geburt auf’ im selben Zustand sind. Wir nennen die Photonen deshalb
‘verschränkt’ oder ‘korreliert’.
2.2. Was bedeutet ‘verschränkt’?
Albert Einstein, Boris Podolsky und Nathan Rosen widersprachen Bohrs
Ausdrucksweise aufs heftigste. Sie sagten: Jedes Teilchen hat immer einen
Zustand. Wie sich ein Teilchen verhält, ist unabhängig davon, was am anderen,
weit entfernten Teilchen geschieht. Sie schlugen dazu das folgende Experiment vor.
Man schiesst zwei korrelierte Photonen in entgegengesetzte Richtungen. Dann
schickt man die Photonen getrennt durch zwei verschiedene Polarisatoren, an denen
je ein Physiker steht, der frei wählen darf, in welche Richtung er seinen Polarisator
ausrichtet. Schliesslich misst man an zwei Detektoren, wie häufig und bei welchen
Winkeln beide Photonen durch ihren Polarisator hindurch gehen. Das Experiment
sieht also etwa so aus:
Abbildung 2.
Das Einstein-Podolsky-Rosen Experiment. Ein Quecksilberatom sendet zwei korrelierte
Photonen in entgegengesetzter Richtung aus. Mit drehbaren Polarisatoren wird untersucht,
wie häufig und bei welchen Winkeln beide Photonen durch ihren Filter hindurch gehen
Wir haben zwei Polarisatoren, die wir gegeneinander verdrehen können. Den
Zwischenwinkel nennen wir wieder . Statt dass nun aber wie im Experiment zur
Polarisation ein Photon durch beide Filter fliegt, schicken wir das eine Photon des
Paares durch den einen Filter und das andere durch den anderen.
Dabei stellen wir folgendes fest: Wenn der Zwischenwinkel zwischen den
Polarisatoren 0° misst, dann fliegen immer entweder beide Photonen durch ihren
Polarisator oder es werden beide absorbiert. Bei 0° kommt es nie vor, dass das eine
Photon absorbiert wird, das andere aber durchkommt. Die Polarisatoren können
dabei beliebig weit voneinander entfernt stehen, so dass es unmöglich scheint,
dass die zwei Photonen noch miteinander ‘sprechen’ können.
2.3. Ein verborgener Plan?
Vielleicht denken Sie jetzt, die Teilchen haben sich vorher abgesprochen und sich
gesagt: „Wenn die Polarisatoren senkrecht gerichtet sind oder höchstens zwischen 45° und +45° von der Senkrechten weggedreht sind, gehen wir durch, sonst nicht.“
Die Photonen hätten also sozusagen einen inneren Plan, wie sie sich bei
Polarisatoren verhalten (vgl. Abbildung 3).
Abbildung 3.
Möglicher Plan für ein Photonenpaar. Jedes Photon weiss für jeden möglichen Polarisator, ob
es durchgehen wird oder nicht. Liegt die Achse des Polarisators im grauen Bereich, so geht
das Photon hindurch, ist sie im weissen Bereich, so wird es absorbiert.
Im eingezeichneten Beispiel ist der Polarisator 1 um 35°, der Polarisator 2 um -20° gedreht
(gestrichelte Linien). Beide Photonen kommen durch den Polarisator hindurch, weil die
Achsen der Filter im grauen Bereich liegen
Die Experimente zeigen: Wenn wir beide Polarisatoren gleich richten, gehen immer
beide Photonen in den Detektor oder keines von beiden. Wenn wir die Filter
senkrecht zueinander einstellen, wird das eine Photon absorbiert, während das
andere durch den Filter hindurch geht. Diese beiden Experimente stimmen mit den
obigen inneren Plänen völlig überein.
Es sind auch andere ‘Pläne’ denkbar, welche die bisher geschilderten Experimente
erklären würden. Damit die Absprache funktionieren kann, müssen sicher drei
Bedingungen erfüllt sein:
1.) Beide Photonen wissen zu jedem Winkel genau, was sie tun werden. Nur
wenn sie sich mit Sicherheit darauf verlassen können, dass das andere
Photon sich an einen ausgemachten, fixen Plan hält, können sie bei
gleichgerichteten Polarisatoren immer gleich reagieren.
2.) Die Pläne für die beiden Photonen sind für alle Winkel genau gleich.
3.) Der Plan gebietet beiden Photonen, genau in der Hälfte der möglichen
Winkel durch ihren Polarisator hindurch zu gehen und in der anderen Hälfte
nicht. Denn zu jeder Einstellung des Filters, bei der das Photon hindurch
geht, liegt genau senkrecht dazu eine Einstellung, bei der es absorbiert wird.
2.4. Experimente
Welche Resultate bringt das Experiment, wenn wir die Polarisatoren nicht gleich
richten oder um genau 90° gegeneinander drehen, sondern um einen beliebigen
Winkel ? Theorie und Experimente führen hier zum gleichen Resultat. Es gilt
nämlich die gleiche Formel wie für ein einzelnes Photon, das hintereinander zwei
Filter durchläuft. In |cos |2 der Fälle verhalten sich die Photonen genau gleich, d.
h. sie gehen beide durch den Filter oder sie werden beide absorbiert.
Wie müssen sich die Photonen absprechen, damit sie das immer schaffen, auch
wenn sie nicht im voraus wissen können, wie gewählt wird?
Die Antwort ist: Es gibt überhaupt keine Möglichkeit, dieses Verhalten im voraus
abzusprechen. Die Teilchen müssten den Zwischenwinkel zwischen den
Polarisatoren kennen, und dazu müssten sie noch während der Messung
miteinander kommunizieren.
Betrachten wir einige verschiedene Zwischenwinkel. P sei der Anteil der Paare, bei
denen beide Photonen dasselbe tun, also beide in ihren Detektor gelangen oder
beide absorbiert werden. Die Photonenpaare zeigen in den Experimenten das
folgende Verhalten:
Winkel 
P = |cos |2
0°
100 %
±30°
75 %
±60°
25 %
±90°
0%
Diese Verteilungen werden gemessen, daran gibt’s nichts zu rütteln. Nun nehme ich
an, die zwei Photonen hätten einen fixen Plan, der ihnen für jede mögliche
Richtung des Polarisators vorschreibt, wie sie sich verhalten sollen. Ich nehme an,
die Photonen hätten diesen Plan ausgemacht, als sie gemeinsam produziert wurden.
Ich werde zeigen, dass diese Annahme zu einem Widerspruch führt, dass sie also
falsch ist.
Beide Photonen verhalten sich immer exakt nach ihrem gemeinsamen Plan. Wenn
ich beobachte, wie sich ein Photon an einem Polarisator verhält, dann kenne ich
einen Teil des Plans, der auch für das andere Photon gilt. Denn beide Photonen
müssen sich ja an denselben Plan halten.
Nun wähle ich für den Polarisator 1 eine feste Achse, die ich 0° nenne, und schaue
bei einer Reihe von Photonen, ob sie durch diesen Filter hindurch gehen. Ich drehe
den Polarisator 2 um 30° und sehe, dass die Photonen bei 2 in 75 % der Fälle
dasselbe tun wie die Photon bei 1. Ich kann also sagen:
Aussage 1: Der Plan bei 30° ist bei 75 % der Photonen gleich wie der Plan bei 0°.
Aussage 2: Der Plan bei -30° ist bei 75 % der Photonen gleich wie der Plan bei 0°.
Aussage 3: Ich stelle den Polarisator 1 auf 30° und den Polarisator 2 auf -30°.
Dann liegen 60° zwischen den Richtungen der Polarisatoren. Gemäss Tabelle sind
die Pläne für diese Richtungen in 25 % der Fälle gleich.
Es gibt keinen fixen Plan, der die Aussagen 1 bis 3 erfüllt! Denn wenn 75 % der
Pläne bei 30° gleich wären wie bei 0° und 75 % der Pläne bei -30° gleich wie bei
0°, dann müssten mindestens 50 % der Pläne bei -30° und bei 30° übereinstimmen.
Mit
anderen
Worten: Es
gibt keinen Plan, der bei Zwischenwinkeln von 30° bei 75 % der Photonen
übereinstimmt, bei Zwischenwinkeln von 60° aber nur bei 25 % der Photonen.
Damit die Photonen sich so verhalten könnten, müssten sie den Zwischenwinkel
zwischen den Polarisatoren kennen. Aber dieser ist zum Zeitpunkt der Messung
nicht einmal den Experimentatoren bekannt. Denn jeder Physiker weiss ja nur, wie
er seinen Polarisator eingerichtet hat, und nicht, was der andere macht. Jeder nur
denkbare fixe Plan zwischen den Photonen führt zu eindeutig anderen Resultaten,
als die Experimente sie zeigen. Damit sich die Photonenpaare in den Experimenten
so verhalten können, müssen die Photonen noch während der Messung
Informationen austauschen können, obwohl sie sich bereits an völlig verschiedenen
Orten befinden. So scheint es zumindest.
Der Physiker John Bell, der damals am CERN in Genf tätig war, zeigte mit seiner
berühmten ‘Bellschen Ungleichung’ mathematisch, dass eine lokale Erklärung des
Einstein-Podolsky-Rosen-Experiments nicht möglich ist. Das Experiment wurde
seither mit verschiedenen Teilchenarten durchgeführt und die Vorhersagen der
Quantentheoretiker wurden bestätigt (Bre 1).
Das Experiment funktioniert übrigens nicht nur mit der Polarisation von Licht,
sondern auch für andere komplementäre Grössen, z. B. für Impuls und Ort oder
Energie und Ankunftszeit. Ausserdem können ähnliche Experimente auch mit
Materieteilchen durchgeführt werden.
as No-Cloning-Theorem
Übrigens sieht man mit den Überlegungen zu Abbildung 4 auch, dass der
Quantenzustand eines Teilchens nicht kopiert werden kann. Andernfalls könnte
man 360 Kopien eines Teilchens herstellen und zu jeder Richtung auf ein Grad
genau messen, ob das Teilchen durch den Filter hindurch geht. So könnte ich den
Plan -den es ja nicht geben kann- zeichnen. Teilchenzustände können also nicht
vervielfältigt werden. Dies nennt man das No-Cloning-Theorem.
2.5. Was ist daran seltsam?
Vielleicht denken Sie jetzt: „Na gut, was soll’s? Dann sendet eben das eine Photon
dem anderen eine Nachricht, wie der Polarisator bei ihm gedreht ist.“
So einfach geht das nicht. Wir könnten ja das eine Photon nach New York und das
andere nach China schicken. Oder wir könnten sie sogar in verschiedene Galaxien
schiessen. Statt die Polarisatoren fest zu montieren, könnten wir sie erst dann
drehen, wenn die Photonen schon sehr weit auseinander sind. Solche Experimente
mit verzögerter Wahl wurden bereits durchgeführt. Die Photonen oder die
Polarisationsfilter müssten mit Überlichtgeschwindigkeit miteinander
kommunizieren und scheinen dies auch zu tun. Die Relativitätstheorie sagt aber:
Wenn es möglich ist, Informationen mit Überlichtgeschwindigkeit zu verschicken,
gibt es auch eine Möglichkeit, Information in die Vergangenheit zu schicken und
Botschaften aus der Zukunft zu erhalten.
Leider -oder zum Glück- ist es unmöglich, mit verschränkten Teilchen Botschaften
zu senden. Die Teilchen scheinen zwar Informationen auszutauschen, aber wir
können dies nur sichtbar machen, wenn wir die Resultate beider Messungen
vergleichen. Jeder Experimentator sieht nur ein Teilchen, dass mit einer
Wahrscheinlichkeit von 50% durch den Filter hindurch geht.
Es sieht also so aus, als wäre entweder Einsteins Realitätskriterium oder die
Lokalität verletzt. Ich habe vorausgesetzt, dass die Winkelverteilung für die
Photonen auch dann gilt, wenn ich sie nicht messe. Damit habe ich Einsteins
Realitätskriterium vorausgesetzt. Wenn dieses Kriterium gilt, müssen die Photonen
sich eine Botschaft zusenden, was der Lokalitätsbedingung widersprechen würde.
Deshalb sind die meisten Physiker der Ansicht, entweder sei das Realitätskriterium
oder die Lokalitätsbedingung nicht erfüllt. Unter 3.3. werde ich aber zeigen, dass
die Viele-Welten-Interpretation lokal-realistisch ist und das EPR-Experiment
richtig beschreibt.
3. Interpretation
3.1. Das ist ja nur Statistik!
Man könnte denken, der Einstein-Podolsky-Rosen Effekt sei nur ein statistisches
Phänomen. Die Teilchen eines verschränkten Paares seien nicht wirklich
miteinander verbunden, sondern nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit
korreliert. Diese Auffassung ist aber falsch. Tatsächlich konnten Greenberger,
Horne und Zeilinger zeigen, dass drei verschränkte Teilchen nicht nur statistisch,
sondern immer im Widerspruch zum lokalen Realismus steht. Es reicht damit
bereits ein einzelnes Experiment, um zu zeigen, dass die drei Teilchen nicht einzeln
beschrieben werden können (Zei 1).
3.2. Theorien mit verborgenen Variablen
Einstein, Podolsky und Rosen hofften mit ihrem Gedankenexperiment zu zeigen,
dass die Quantentheorie nicht vollständig sei. Sie hofften, dass die Theorie
erweitert werden könnte. Vielversprechende Ansätze dazu sind z. B. David Bohms
Theorie der Führungswelle oder Arbeiten von Louis de Broglie. Wie ich aber oben
gezeigt habe, ist eine Erweiterung zu einer vollständigen, lokal-realistischen
Theorie nicht möglich. Die Führungswellen sind nichtlokal oder nicht realistisch.
3.3. Die Viele-Welten-Interpretation
Entgegen der Behauptung vieler Autoren gibt es durchaus eine lokal-realistische
Erklärung für das EPR-Experiment, nämlich die Viele-Welten-Interpretation.
Offensichtlich erfüllt die Viele-Welten-Interpretation die Lokalitätsbedingung,
denn die Schrödingerwelle pflanzt sich immer lokal fort und den nichtlokalen
Kollaps der Wellenfunktion gibt es nach dieser Interpretation nicht. Sie erfüllt aber
auch das Einsteinsche Realitätskriterium. Denn wenn ich den Wert einer
physikalischen Größe mit Sicherheit vorhersagen kann, dann gibt es ein Element
der physikalischen Realität, das dieser physikalischen Größe entspricht. Nach der
Viele-Welten-Interpretation gibt es ja nicht nur die messbaren und vorhergesagten
Elemente, sondern überhaupt alles, was von der Schrödingerfunktion beschrieben
wird.
Was ist im EPR Argument schief gelaufen? - Erstens gehen EPR stillschweigend
davon aus, ein Teilchen könne sich nur in einem Zustand befinden.
Charakteristisch für die Quantentheorie ist aber gerade, dass sich ein Teilchen nie
nur in einem bestimmten Zustand befindet. Wenn zwei Zustände a und b möglich
sind, dann befindet sich ein Teilchen fast nie ausschliesslich im einen oder im
anderen Zustand. Im Gegenteil: Das Teilchen kann dann nicht nur im Zustand a
oder b gefunden werden, sondern auch in einer beliebigen Überlagerung dieser
Zustände.
Zweitens haben EPR implizit angenommen, dass sich der Beobachter nicht
verändere. Dies ist aber schon in der klassischen Physik eine fragwürdige
Annahme.
Nach der Viele-Welten-Interpretation sieht der Ablauf des Experimentes etwa so
aus (Abbildung 5). Vor dem Experiment sind aus Sicht des Beobachters A alle
experimentellen Resultate möglich. Das Photon bei A kann in jede Richtung
polarisiert sein. Alle diese Möglichkeiten sind real, denn sie alle sind nötig für eine
vollständige Beschreibung des Experimentes. (Hier verwende ich nicht Einsteins
Begriff real, sondern den, den ich im Artikel Viele-Welten-Interpretation eingeführt
habe: Wenn wir ein mathematisches Element zur Berechnung eines Experimentes
zwingend brauchen, so existiert in der Natur ein Äquivalent zu diesem Element. Ein
solches Element nenne ich real. Diese Definition ist aber durchaus in EPRs Sinn,
denn diese zielten ja gerade auf verborgene Variablen, die zwar nicht messbar, aber
dennoch real sein sollten.)
Zu jeder möglichen Welt des Beobachters A gehört ein Beobachter B. Die
Beobachter B sind nicht alle gleich. Denn jeder von ihnen hat ein Photon, das mit
demjenigen Photon bei A verschränkt ist, das zu seiner Welt gehört.
Noch einmal für alle, die diese Beschreibung für aufwändig und exotisch halten:
Das ist die Beschreibung der Quantentheorie, die die Physiker täglich verwenden.
Die Theorie ist extrem präzise und erfolgreich und kaum ein Physiker erwartet,
dass sie noch wesentlich vereinfacht werden könnte.
Abbildung 5. Vor der Messung existieren für A verschiedene Welten (sechs davon
sind gezeichnet). Alle diese Welten sind gleichermassen real. A muss sich nun
entscheiden, wie er die Polarisationsfilter stellt. Mit diesem Entscheid entscheidet
er sich auch für eine Welt (gelb markiert).
Nachdem A seinen
Polarisationsfilter
eingestellt hat,
hat er sich für eine
Welt entschieden.
Durch diesen
Entscheid sendet
er nicht eine mysteriöse Nachricht zu B, sondern er blickt einfach von nun an nur
noch in diese Welt, in welcher der Polarisationsfilter bei A auf 270° ist. Es gibt also
keine nichtlokale Veränderung der Welt, sondern A dreht sich ganz lokal und blickt
(im Hilbertraum) in eine andere Richtung. Auch dies ist keine Ad-hoc Annahme,
sondern ganz einfach das, was die Quantentheorie beschreibt. Wer mit dieser
Beschreibung nicht glücklich ist, muss die Quantentheorie ändern.
Abbildung 6. Bei seiner Messung spaltet sich A in die verschiedenen Welten auf.
Er erlebt nur seine Möglichkeit, in der er ein Beobachter ist, der die Polarisation bei
270° gemessen hat.
Wenn nun A seine Messung durchführt, spaltet sich seine Welt noch einmal in zwei
Teilwelten, nämlich in eine, in der das Photon den Filter passiert, und eine, in der
es aufgehalten wird. Wieder werden einige mögliche Beobachter B aussortiert: A
kann sie nicht mehr sehen, weil er (im Hilbertraum) in eine andere Richtung blickt.
All diese Vorgänge laufen lokal ab. Egal, welche Einstellung B für seinen
Polarisator wählt, sein Resultat wird zu dem von A bei 270° passen, denn wir
betrachten ja nur noch die Beobachter B in der “270°-Welt”.
Erst kommt Einsteins Realitätskriterium ins Spiel. Wenn bei A bei 270° das Photon
durch den Polarisationsfilter geht, dann kann A mit Sicherheit den Wert bei B
voraussagen, wenn B seinen Filter auch auf 270° stellt oder senkrecht dazu. Das
Einsteinsche Realitätskriterium fordert nun:
“Kann man den Wert einer physikalischen Größe mit Sicherheit vorhersagen, dann
gibt es ein Element der physikalischen Realität, das dieser physikalischen Größe
entspricht.”
Das Realitätskriterium fordert also, dass es bei B ein Photon gibt, das ebenfalls bei
270° durch den Filter gehen würde. Selbstverständlich ist dies in der Viele-WeltenInterpretation erfüllt. Denn nach dieser Interpretation existieren ja alle Photonen,
die überhaupt nur möglich sind.
4. Zusammenfassung
Einstein, Podolsky und Rosen (EPR) wollten mit einem Gedankenexperiment
zeigen, dass die Quantentheorie unvollständig sei. Nach dem oben Gesagten
erscheint ihre Argumentation als Schildbürgerei: Von der Beschreibung der
Quantentheorie wird mehr oder weniger willkürlich ein Teil für nicht existent
erklärt, weil er nicht mehr beobachtet werden könne. Danach weist man mit einer
raffinierten Überlegung nach, dass das verbleibende Fragment der Quantentheorie
nicht mehr vollständig ist.
Nach der Viele-Welten-Interpretation ist die Quantentheorie erstens vollständig.
Zweitens aber beweist das EPR-Experiment, dass aus der Theorie auch nicht ohne
weiteres Dinge weggelassen werden können. Die Wellenfunktionen müssen als real
angesehen werden, sonst fehlt der Beschreibung etwas.
Die Viele-Welten-Interpretation ist eine lokal-realistische Theorie, die das EPRExperiment korrekt erklärt. Obwohl dies gemäss vielen Lehrbüchern unmöglich ist.
Viele Physiker finden, die Viele-Welten Interpretation erkläre überhaupt nichts.
Aber mit der Viele-Welten Interpretation verschwindet jede Problematik aus dem
EPR Experiment. Das EPR Experiment, über das die philosophisch interessierten
Physiker seit Jahrzehnten verzweifelt grübeln, wird degradiert zu einem einfachen
klassischen Experiment. Man stelle sich das folgende Experiment vor: Ein Physiker
steht vor sechs Türen verschiedener Farbe, von denen er eine wählen soll. Sobald
er aber eine Türe öffnet, werden die anderen fünf unwiederruflich verriegelt. Hinter
der geöffneten Türe findet der Physiker einen langen Gang und an dessen Ende
eine Türe der gleichen Farbe, wie die der geöffneten Türe (Abbildung 7). Der
Physiker kann das Experiment in mehreren ähnlich gebauten Gebäuden
wiederholen und immer stimmt die Farbe der zweiten Türe mit derjenigen der
ersten überein.
Abbildung 7. Ein Physiker soll eine von sechs verschieden gefärbten Türen
wählen. Nach seiner Wahl werden die anderen fünf Türen für immer blockiert.
Hinter der geöffneten Türe findet der Physiker einen Gang und schliesslich eine
weitere Türe der eben gewählten Farbe.
So würde man das Experiment nach der Viele-Welten-Interpretation beschreiben.
Obwohl dies ein rein klassisches Experiment ist, erlebt der Physiker genau das, was
die Physiker beim EPR-Experiment erleben. Wie lautet die offizielle Beschreibung
beim EPR-Experiment nochmal?
“Die Welt hinter den Türen ist lediglich als Möglichkeit vorhanden. Bevor der
Physiker eine Türe geöffnet hat, darf er nicht sagen, dahinter liege ein realer
Gang. Wenn der Physiker eine Türe wählt, kollabieren die anderen fünf
Möglichkeiten. Das grosse Rätsel der Quantentheorie ist: Wie kann die zweite, weit
entfernte Türe wissen, welche Farbe sie haben muss? Der Physiker hat diese Türe
überhaupt nicht berührt! Das Experiment zeigt eine nichtlokale Kausalität: Der
bewusste Entscheid des Physikers verändert die Farbe der Türe an einem völlig
anderen Ort!”
Nach der Viele-Welten-Interpretation sind da einfach sechs verschiedene Gänge,
und die Türe am Eingang hat immer die gleiche Farbe wie die am Ausgang. Zwar
kann jeweils nur ein Gang beobachtet werden, aber die anderen existieren trotzdem.
Die anderen Gänge sind auch in der Beschreibung der Quantentheorie enthalten,
nämlich in der Wellenfunktion. Die ganze Verwirrung entsteht erst, wenn wir
annehmen, dass die Wellenfunktion nicht die Realität beschreibt, sondern nur ein
mathematischer Trick ist.
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