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Jahrbuch 2015/2016 | Jais, Alexander; Brüning, Jens C. | Regulationsmechanismen der neuronalen
Glukoseaufnahme
Regulationsmechanismen der neuronalen Glukoseaufnahme
Regulatory mechanisms of neuronal glucose uptake
Jais, Alexander; Brüning, Jens C.
Max-Planck-Institut für Stoffw echselforschung, Köln
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Fettreiche Ernährung führt akut zur Umprogrammierung des gesamten Stoffw echsels und zu einer Reduktion
der neuronalen Glukoseaufnahme. Studien im Mausmodell zeigen die komplexen Regulationsmechanismen, die
den
physiologischen
Glukosetransport
aufrechterhalten,
und
identifizieren
das
Signalmolekül Vascular
Endothelial Growth Factor (VEGF) als kritischen Regulator des Glukosetransports über die Blut-Hirn-Schranke.
Summary
This study demonstrates the complex regulatory mechanisms for the maintenance of physiological glucose
transport and identifies vascular endothelial grow th factor (VEGF) as critical regulator of glucose transport
across the blood-brain barrier. These experiments reveal that transient, high-fat diet-elicited reduction of brain
glucose uptake initiates a compensatory increase of VEGF-production and assign obesity-associated
macrophage activation a homeostatic role to restore cerebral glucose metabolism, preserve cognitive function
and limit neurodegeneration in obesity.
Einleitung
Übergew icht und die damit verbundenen Folgeerkrankungen (z. B. Herzkreislauferkrankungen und Diabetes
mellitus) haben mittlerw eile epidemische Ausmaße erreicht. Weltw eit gibt es mehr als eine Milliarde
übergew ichtiger Erw achsener, mindestens 300 Millionen von ihnen sind fettleibig [1]. Betrug die w eltw eite
Häufigkeit von Adipositas (auch Fettsucht genannt) 1980 noch 4,8 Prozent bei Männern und 7,9 Prozent bei
Frauen, hat sie sich in den letzten drei Jahrzehnten nahezu verdoppelt (9,8 Prozent bei Männern und 13,8
Prozent bei Frauen, 2008) [2]. Somit stellt Adipositas eine der größten sozialen, medizinischen und
w irtschaftlichen Herausforderungen für unsere Gesellschaft dar (Abb. 1).
© 2016 Max-Planck-Gesellschaft
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A bb. 1: P rä va le nze n für Adiposita s (BMI ≥ 30 k g/m 2) für
Mä nne r und Fra ue n in de n Ja hre n 1980 und 2008. * O be re
Eink om m e nsschicht. BMI ode r Body Ma ss Inde x se tzt da s
Körpe rge wicht in R e la tion zur Körpe rgröße .
© Mit Ge ne hm igung von Else vie r na ch [2]
Seit einigen Jahren richtet sich der Fokus der Adipositas-Forschung mehr und mehr auf das Gehirn. Die
Untersuchung von Genen, die mit Body-Mass-Index (BMI) des Menschen in Verbindung stehen, zeigt, dass ein
Großteil dieser Gene für Stoffw echselvorgänge des Gehirns zuständig ist [3]. Außerdem zeigt eine Reihe von
erblichen Stoffw echselerkrankungen, die auf der Veränderung einzelner Gene beruhen und zu Übergew icht
und Fettleibigkeit führen, dass die betroffenen Gene fast ausschließlich in den Nervenzellen des Gehirns aktiv
sind und z. B. die Nahrungsaufnahme regulieren [4].
Nervenzellen (Neuronen) sind für die Aufrechterhaltung ihrer Funktion auf Glukose angew iesen und der
Stoffw echsel des Gehirns ist abhängig von adäquatem Glukosetransport aus dem Blut. Hierzu versorgen
spezielle Transportproteine das Gehirn mit Glukose, seinem w ichtigsten Energieträger. Auf den Gefäßzellen der
Blut-Hirn-Schranke befindet sich das Transportprotein GLUT1, w elches den Transport von Glukose durch die
Barriere der Blut-Hirn-Schranke gew ährleistet. Veränderungen an diesem Glukosetransporter können zu
beträchtlichen Einschränkungen der neuronalen Funktion führen. Ist die Funktion von GLUT1 eingeschränkt,
w ie
beim
GLUT1-Defizit-Syndrom,
äußert
sich
das
in
zerebralen
Anfällen,
psychomotorischer
Entw icklungsverzögerung und komplexen Bew egungsstörungen [5].
Einfluss von fettreicher Ernährung auf die neuronale Glukoseaufnahme
Fettreiche Ernährung kann bereits nach kurzer Zeit zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung des Energie- und
Glukosegleichgew ichts im Körper führen [6]. In Tierversuchen konnten die W issenschaftler zeigen, dass
bereits
eine
kurzzeitige
fettreiche
Ernährung
zu
einer
drastischen
Verminderung
des
GLUT1-
Glukosetransporters an der Blut-Hirn-Schranke führt. Bereits drei Tage nach Beginn einer fettreichen Diät w ar
die Menge an GLUT1 um bis zu 50 Prozent reduziert. Mittels Emissionscomputertomographie, einem
bildgebenden Verfahren, w urden daraufhin die quantitativen Werte des Gehirnstoffw echsels bestimmt. Die
Messungen zeigten eine signifikante Reduktion der Glukoseaufnahme vor allem in Bereichen, w elche für die
Regulation der Energiehomöostase zuständig sind (Abb. 2).
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A bb. 2: R e prä se nta tive Abbildung von R e gione n re duzie rte r
Gluk ose a ufna hm e na ch dre i Ta ge n fe ttre iche r Ernä hrung.
Bla u-we iße Flä che n ze ige n spe zifische R e gione n m it de utlich
ve rringe rte r Gluk ose a ufna hm e .
© Ma x -P la nck -Institut für Stoffwe chse lforschung/Brüning
W eitere Untersuchungen zeigten, dass erhöhte W erte an gesättigten Fettsäuren, w ie z. B. Palmitinsäure, akut
den Glukosetransport der Gefäßzellen beeinträchtigten. Interessanterw eise kehrte die Menge an GLUT1 an
der Blut-Hirn-Schranke nach einem Monat w ieder auf den Normalw ert zurück.
VEGF als Regulator des neuronalen Glukosegleichgewichts
Bei
näherer
Untersuchung
der
Regulationsmechanismen
fanden
die
W issenschaftler
am
MPI
für
Stoffw echselforschung erhöhte VEGF-Konzentrationen im Blut. VEGF (Vascular Endothelial Grow th Factor) ist
ein
w ichtiges
Signalmolekül
für
die
Bildung
und
Aufrechterhaltung
der
Funktion
von
Gefäßzellen.
Bemerkensw ert ist, dass sich die höchste Dichte von VEGF-Rezeptoren im Gehirn findet – vor allem an den
Gefäßzellen der Blut-Hirn-Schranke [7]. Zusätzlich zur Rolle im Gefäßsystem spielt VEGF auch eine Rolle in
entzündlichen Prozessen. So stimuliert es die Migration von Entzündungszellen, w ie z. B. Monozyten und
Makrophagen [8]. Mittels immunhistochemischer Verfahren w urden VEGF-produzierende
Zellen in der
unmittelbaren Nähe der Blut-Hirn-Schranke entdeckt. Diese perivaskulären Makrophagen setzen VEGF direkt
an den Gefäßzellen frei und verbessern die Integrität und die Glukoseaufnahme der Blut-Hirn-Schranke. Um
der Rolle des Makrophagen-spezifischen VEGF nachzuspüren, benutzten die W issenschaftler sog. KnockoutMäuse, bei denen VEGF in Makrophagen genetisch inaktiviert w urde. W ährend in den Kontrolltieren die Werte
des Glukosetransporters nach einem Monat fettreicher Diät w ieder auf den Normalw ert zurückkehrten, zeigten
die Makrophagen-spezifischen-VEGF-Knockout-Mäuse auch nach mehreren Monaten noch eine reduzierte
Glukoseaufnahme ins Gehirn.
Um zu testen, ob eine Reduktion von GLUT1 an der Blut-Hirn-Schranke unabhängig von einer fettreichen Diät
zu einer erhöhten Ausschüttung von VEGF führt, benutzten die Forscher ein Mausmodell, in w elchem sie
gezielt GLUT1 der Gefäßzellen der Blut-Hirn-Schranke verringern konnten. Es zeigte sich, dass bereits w enige
Tage nach dem Ausschalten bzw . der Reduktion der Menge des Glukosetransporters GLUT1 die VEGF-Spiegel
im Serum anstiegen.
In einem Zellkultursystem mit Gefäßzellen konnten die Forscher anschließend zeigen, dass VEGF die Reduktion
des Glukosetransports durch Palmitinsäure w ieder rückgängig machen konnte. Außerdem w urden mittels
bildgebender Verfahren Mäuse auf einer fettreichen Diät untersucht, denen rekombinantes VEGF verabreicht
w urde. Durch diese Intervention konnte in vivo, das heißt im lebenden Tier, eine Normalisierung der
Glukoseaufnahme in das Gehirn erreicht w erden. Damit w urde der VEGF-Signalw eg als bedeutender
Regulationsmechanismus in der Glukoseaufnahme des Gehirns identifiziert.
In den letzten Jahren w urde gezeigt, dass die Alzheimer-Erkrankung eng mit dem Glukosestoffw echsel des
Gehirns assoziiert ist [9]. Um den Effekt von VEGF auf diese Erkrankung zu untersuchen, w urden
Makrophagen-spezifische-VEGF-Knockoutmäuse mit Mäusen gekreuzt, die eine genetische Prädisposition für
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Alzheimer tragen. Diese Alzheimer-Mäuse tragen humane Varianten von Alzheimer-assoziierten Genen,
konkret
handelt
es
sich
dabei
um
Präsenilin-1
und
das
Amyloid-Vorläufer-Protein
(APP).
In
Verhaltensexperimenten zeigte sich, dass die Nachkommen der gekreuzten Mäuse bereits vor Eintreten der
ersten
Alzheimer-Symptome
Untersuchung
der
Gehirne
bereits
dieser
schw erw iegende
Mäuse,
fanden
kognitive
die
Defizite
W issenschaftler
aufw iesen.
deutlich
Bei
erhöhte
genauerer
Marker
für
Neuroinflammation, einer Entzündung des Gehirngew ebes. Das von Makrophagen produzierte VEGF ist also
ein entscheidender Faktor in der Regulation von Alzheimer-assoziierten kognitiven Störungen.
Das egoistische Gehirn?
Eine Dysregulation des neuronalen Glukosestoffw echsels hat w eitreichende Folgen für den gesamten Körper.
Durch Aktivierung des sympathischen Nervensystems hemmt das Gehirn die Insulinsekretion in den Betazellen
der Bauchspeicheldrüse und verhindert damit die (insulinabhängige) Glukoseaufnahme in Muskel- und
Fettgew ebe [10]. Durch diesen Schritt stellt das Gehirn sicher, dass Glukose vor allem für den eigenen
neuronalen Stoffw echsel herangezogen w ird. Fettreiche Ernährung und gesättigte Fettsäuren verringern akut
die
Glukoseaufnahme
Ausschüttung
durch
über die
Blut-Hirn-Schranke, w oraufhin das
Entzündungszellen, den
perivaskulären
Gehirn mit einer erhöhten VEGF-
Makrophagen, versucht
gegenzusteuern.
Langfristig könnte dies zu den chronischen, sub-akuten Entzündungsreaktionen führen, w elche die AdipositasFolgeerkrankungen auszeichnen.
Zusammenfassend zeigt sich, dass bereits kurzzeitige fettreiche Ernährung zu einer raschen und nachhaltigen
Veränderung des Stoffw echsels führt. Die dargestellten Ergebnisse führen zu einem besseren Verständnis der
akuten Stoffw echselregulation durch das Gehirn und zeigen mögliche Ansatzpunkte für die Entw icklung
neuartiger Therapien für die Folgeerkrankungen von Adipositas.
Literaturhinweise
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