M E D I Z I N Jost Schönberger1, 2, 3 Michael Zimmer1 Georg Ertl2 Zusammenfassung Die dilatative Kardiomyopathie stellt die häufigste Indikation zur Herztransplantation bei jüngeren Erwachsenen dar. Neben der infektiösen und autoimmunen Genese ist die idiopathische dilatative Kardiomyopathie mindestens in einem Viertel aller Fälle genetisch bedingt. Dem familiären Auftreten wird in der klinischen Praxis noch immer wenig Beachtung geschenkt, obwohl es erlaubt, andere Betroffene in einem frühen Erkankungsstadium zu identifizieren und den Verlauf der Erkrankung günstig zu beeinflussen. Eine Untersuchung aller erstgradig Verwandten von Patienten mit dilatativer Kardiomyopathie ist daher zu empfehlen. Darüber hinaus ermöglicht die familiäre Form der Erkrankung eine Identifikation kausaler Gendefekte. 16 Krankheitsgene wurden bisher identifiziert, die in unterschiedlichen subzellulären Systemen exprimiert sind. Die Charakte- D ie Herzinsuffizienz ist ein Krankheitsbild mit zunehmender klinischer und ökonomischer Bedeutung, dessen Pathogenese bisher nur unzureichend verstanden wird. Während sich die Herzinsuffizienz im höheren Alter meist aufgrund einer koronaren oder hypertensiven Herzerkrankung entwickelt, ist die idiopathische dilatative Kardiomyopathie (DCM) die häufigste Indikation zur Herztransplantation bei jüngeren Erwachsenen (23). Definition und Häufigkeit Nach der Definition der WHO von 1995 ist die dilatative Kardiomyopathie durch eine „Dilatation und eingeschränkte Kontraktion des linken Ventrikels oder beider Ventrikel charakterisiert. Sie kann idiopathisch, familiär/genetisch, viral und/oder immunologisch, alkoholisch/toxisch verursacht oder mit einer bekannten kardiovaskulären Erkrankung assoziiert sein, bei der der Grad der myokardialen Dysfunktion nicht durch die abnormale Vor- oder Nachlast oder das Ausmaß des ischämischen Schadens erklärt ist. Die Histologie ist unspezifisch. Die Erkrankung manifestiert sich Genetik der dilatativen Kardiomyopathie risierung der durch sie ausgelösten Veränderungen verspricht ein besseres Verständnis der Pathophysiologie und längerfristig neue therapeutische Möglichkeiten. Ein genetisches Screening wird zurzeit innerhalb des Kompetenznetzes „Herzinsuffizienz“ aufgebaut. Schlüsselwörter: Herzinsuffizienz, Kardiomyopathie, Genetik, molekulare Medizin, Prävention Summary Genetics in Dilated Cardiomyopathy Dilated cardiomyopathy represents the most common indication for cardiac transplantation in young adults. Besides infectious and autoimmune mechanisms of disease, idiopathic dilated cardiomyopathy has genetic causes in at least a quarter of cases. The familial appear- meist durch eine Herzinsuffizienz, die häufig progressiv verläuft. Arrhythmien, Thromboembolien und plötzlicher Herztod sind häufig und können zu jedem Zeitpunkt auftreten“ (40). In der Praxis ist die Echokardiographie mit Darstellung der Dilatation und Funktionseinschränkung des linken Ventrikels sowie durch den Ausschluss relevanter Vitien der zentrale Baustein der Diagnostik. Die Diagnose einer primären dilatativen Kardiomyopathie kann allerdings erst nach Ausschluss eines relevanten arteriellen Hypertonus, einer koronaren Herzkrankheit, eines Alkoholabusus und anderer in Tabelle 1 genannter Ursachen sekundärer Kardiomyopathien gestellt werden. Eine Studie am Johns Hopkins Hospital, in der 1 230 Patienten mit bis dahin ungeklärter Kardiomyopathie und Herzinsuffizienz charakterisiert wurden, konnte bei 50 Prozent der Patienten eine Ursache für eine sekundäre Kardiomyopathie eru1 Arbeitsgruppe für Kardiovaskuläre Genetik, Institut für Klinische Biochemie und Pathobiochemie (Direktor: Prof. Dr. med. Ulrich Walter), 2 Medizinische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med. Georg Ertl), 3 Medizinische Poliklinik (Direktor: Prof. Dr. med. Klaus Wilms), Bayerische Julius Maximilians Universität, Würzburg Jg. 101 Heft 16 16. April 2004 Deutsches Ärzteblatt ance has not been adequately appreciated in clinical practice, despite the fact that it allows to identify other affected individuals at an early stage and to influence the course of the disease in a positive way. An examination of all first degree relatives of patients with dilated cardiomyopathy is therefore recommended. In addition, the familial form allows the identification of causative genetic defects. 16 disease genes have been identified so far. They are expressed in different subcellular systems. The characterization of the effects that are caused by these genetic defects will allow a better comprehension of the pathophysiology and the development of novel therapeutic strategies. A genetic screening approach is currently being implemented by the network of excellence “heart failure“. Key words: heart failure, cardiomyopathy, genetics, molecular medicine, prevention ieren; bei den übrigen 50 Prozent wurde die Diagnose einer idiopathischen (oder primären) dilatativen Kardiomyopathie gestellt (16). Die Punktprävalenz der idiopathischen dilatativen Kardiomyopathie wurde in Olmsted County, Minnesota, (Mayo Clinic) mit 36,5/100 000 bestimmt, die Inzidenz mit 6/100 000 Personenjahre (9). Vergleichbar präzise epidemiologische Erhebungen liegen in Deutschland nicht vor, jedoch kann von einer ähnlichen Größenordnung ausgegangen werden. Obwohl die Einführung von ACE-Hemmern, Betablockern und Aldosteronantagonisten in die Therapie der Herzinsuffizienz die Prognose verbessert haben, führt die dilatative Kardiomyopathie immer noch häufig in eine terminale Herzinsuffizienz. Damit ergibt sich die Notwendigkeit zu einer Herztransplantation, oder es kommt zu den genannten, häufig tödlichen Komplikationen. Die Angaben über die Prognose der primären DCM differieren sehr. Dies hängt einerseits mit Veränderungen der Therapie zusammen, andererseits aber auch mit unterschiedlich starker Selektion der untersuchten Populationen. Eine Untersuchung in Olmsted County zeigte wesentliche Unter- A 1099 M E D I Z I N schiede hinsichtlich der Prognose der Gesamtheit der lokalen DCM-Patienten (80 Prozent weisen 5-Jahres-Überlebensrate auf) im Vergleich zu den zugewiesenen DCM-Patienten (5-Jahres-Überlebensrate: 36 Prozent). Es ist auch bekannt, dass die Prognose mit der funktionellen Klasse gemäß der New York Heart Association (NYHA), der linksventrikulären Ejektionsfraktion und dem Alter korreliert (48). Familiäre Erkrankung 1948 beschrieb William Evans (14) erstmals eine „familiäre Kardiomegalie“. In den 50er- und 60er-Jahren folgten weitere Berichte. Dennoch dauerte es bis in die 90er-Jahre, bis das Auftreten der idiopathischen DCM bei Familienangehörigen in größeren Patientenkollektiven systematisch untersucht wurde. Die Erkrankung tritt in etwa 25 Prozent der Fälle familiär auf, meist mit einem autosomal dominanten Erbgang (20, 21, 27, 31). Daher tragen durchschnittlich die Hälfte der Kinder eines Betroffenen ebenfalls die ursächliche Mutation. Wenn man sich als betreuender Arzt nur auf die Familienanamnese verlässt, unterschätzt man den Anteil der familiären Fälle. Nach den genannten Studien sollte allen erstgradig Verwandten (Eltern, Geschwister und Kinder) eine Untersuchung mittels Anamnese, körperlicher Untersuchung, EKG und Echokardiographie angeboten werden. Sobald dabei ein weiterer Fall einer unerklärten linksventrikulären Dilatation oder Pumpfunktionseinschränkung identifiziert wird, oder in der Familienanamnese über frühe unklare Todesfälle berichtet wird, sollten sich alle Blutsverwandten in einer Spezialambulanz für Herz-Kreislauf-Genetik vorstellen. Solche Spezialambulanzen werden mittlerweile in Zusammenarbeit mit Humangenetikern, Kinderärzten und Neurologen an mehreren deutschen Kliniken angeboten. Auf diese Weise kann bei fünf bis zehn Prozent der Verwandten von Patienten mit dilatativer Kardiomyopathie ebenfalls eine solche Erkrankung im asymptomatischen Stadium identifiziert werden. Bei weiteren 25 Prozent A 1100 kann echokardiographisch entweder eine linksventrikuläre Dilatation oder eine Einschränkung der Pumpfunktion festgestellt werden (3). Ist die Diagnose einer familiären Erkrankung gestellt, sollten alle erstgradigen Verwandten von Betroffenen (auch von asymptomatischen Personen) regelmäßig körperlich und mittels EKG, Echokardiographie und Langzeit-EKG untersucht werden, um auch spätere Manifestationen nicht zu übersehen. Auf diese Weise können Komplikationen vermindert werden. Bei Vorhofflimmern sollten Angehörige solcher Familien beispielsweise streng antikoaguliert werden. Auch ist die Implantation eines automatischen Kardioverter Defibrillators zu erwägen, wenn anderweitig nicht erklärte plötzliche Herztode in der Familiengeschichte vorkommen oder beim Patienten selbst Synkopen aufgetreten sind. Gemäß der SOLVD-P- (49) und der SAVE-Studie (39) ist zu erwarten, dass die frühzeitige Initiierung einer Herzinsuffizienztherapie auch bei dieser speziellen Patientengruppe die weitere Prognose verbessert. Die Penetranz der Erkrankung ist altersabhängig und dabei sehr variabel. In einigen Familien sind bereits Kinder oder Jugendliche betroffen, wohingegen andere Mitglieder einer Familie, die die gleiche Mutation tragen, erst später erkranken. Wie bei vielen Mendelschen Erkrankungen (Erkrankungen, bedingt durch einen singulären Gendefekt, der gemäß den Mendelschen Regeln vererbt wird) beeinflussen offenbar auch hier zusätzliche genetische Faktoren (Varianten in anderen Genen) und auch nichtgenetische Faktoren (zum Beispiel Nachlast, Perfusion, virale Infektion, Autoantikörper) die phänotypische Ausprägung. In den meisten Familien wird die Penetranz in der vierten bis fünften Dekade aber nahezu komplett, sodass um das 50. Lebensjahr die große Mehrzahl der Mutationsträger erkrankt sind. Seltener wurde über X-chromosomale und autosomal rezessive Erbgänge berichtet. Ersteres impliziert, dass hauptsächlich männliche Familienmitglieder erkranken, wobei auch weibliche Genträger eine allerdings mildere Form der Erkrankung zeigen können. Bei autosomal rezessiven Erbgängen müssen beide Elternteile Mutationsträger sein. Schließlich wurden auch Mutationen im mitochondrialen Genom beschrieben, die matrilineal, also ausschließlich über die Mutter, auf das Kind vererbt werden. Zusätzliche Phänotypen Die dilatative Kardiomyopathie kann von verschiedenen zusätzlichen Funktionsstörungen begleitet werden. Dabei handelt es sich einerseits um kardiale Manifestationen, wie zum Beispiel Störungen des Reizbildungssystems (Sinusknotendysfunktion, Vorhofflimmern, Vorhoftachykardien) und des Erregungsleitungssystems (atrioventrikuläre [AV-]Blockierungen, Schenkelblöcke) (15, 25, 30, 36), Mitralprolaps (7), oder isolierte Nichtkompaktierung des linken Ventrikels (spongiöses linksventrikuläres [LV-]Myokard) (4, 24), andererseits aber auch um extrakardiale Störungen wie Skelettmuskelmyopathien (6, 30) und Innenohrschwerhörigkeit (44) (Tabelle 2). Darüber hinaus kann die kardiale Dilatation auch als zusätzlicher Phänotyp komplexer genetischer Erkrankungen oder bei primären Skelettmuskelerkrankungen auftreten (17). Patienten mit Skelettmuskelerkrankungen, bei denen eine kardiale Mitbeteiligung beschrieben ist, sollten daher auch kardiologisch betreut werden. Hierzu zählen vor allem die myotonen Dystrophien, die Muskeldystrophie Typ Duchenne und Becker, die EmeryDreifuss-Dystrophie und die Gliedergürteldystrophien. Krankheitsgene und Mechanismen Wenn die Erkrankung bei zahlreichen Mitgliedern einer Familie auftritt, besteht prinzipiell die Möglichkeit, durch Kopplungsanalysen die verantwortlichen chromosomalen Loci zu kartieren und in einem nächsten Schritt die mutierten Gene zu identifizieren (Tabelle 2) (Kopplung bedeutet: gemeinsame Vererbung der Erkrankung mit benachbarten DNA-Marker-Allelen). Die Geschwindigkeit, mit der diese Methodik Jg. 101 Heft 16 16. April 2004 Deutsches Ärzteblatt M E D I Z I N ´ Tabelle 1 ´ Relevante Ursachen einer sekundären dilatativen Kardiomyopathie und diagnostische Möglichkeiten Ursache Diagnostik Myokarditis Biopsie, Serologie Ischämische Herzerkrankung Kardiomyopathie aufgrund infiltrativer Prozesse Amyloidose Sarkoidose Hämochromatose Peripartum Kardiomyopathie Hypertensive Herzkrankheit HIV-assoziierte Kardiomyopathie Kardiomyopathie bei Bindegewebserkrankungen Sklerodermie Systemischer Lupus erythematodes Marfan-Syndrom Polyarteriitis nodosa Dermatomyositis oder Polymyositis Unspezifische Bindegewebserkrankung M. Bechterew Rheumatoide Arthritis Rezidivierende Polychondritis M. Wegener Mischkollagenosen Kardiomyopathie durch Rauschmittel Chronischer Alkoholabusus Kokainabusus Kardiomyopathie durch Doxorubicintherapie Kardiomyopathie durch andere Ursachen Restriktive Kardiomyopathie Klappenerkrankungen Stoffwechselerkrankungen Schilddrüsenerkrankung Karzinoid Phäochromozytom Akromegalie Neuromuskuläre Erkrankung Maligne Herzerkrankung Angeborene Herzerkrankung Komplikation nach ACVB Bestrahlung Schwere systemische Erkrankung Endomyokardiale Fibroelastose Thrombotisch thrombozytopenische Purpura Rheumatische Karditis Pharmakotherapie (außer Doxorubicin) Leukotriene Lithium Koronarangiographie Biopsie, eventuell Rektum Thoraxröntgen Ferritin, Transferrin EKG, Echo, 24 h-RR HIV-Serologie Immunserologie Immunserologie Echo Immunserologie Immunserologie Immunserologie, HLA B27 Immunserologie Immunserologie Immunserologie MCV, GGT, GOT, GPT, GDT Drogenscreen Echo Echo TSH, fT3, fT4 5-Hydroxyindolessigsäure im 24-h-Urin Katecholamine im 24-h-Urin STH nach Glucosebelastung CK, Neurologische Diagnostik TU-Screening Echo, TEE Biopsie Aufgeführt sind diagnostische Möglichkeiten, die neben einer sorgfältigen Anamneseerhebung zur Differenzierung zwischen primärer und sekundärer dilatativer Kardiomyopathie genutzt werden können. Je nach klinischer Situation muss nicht die gesamte Diagnostik angewendet werden. Dies gilt insbesondere, wenn eine positive Familienanamnese für eine idiopathische dilatative Kardiomyopathie festgestellt werden kann. Untersuchungen, die immer angewendet werden sollten, sind in kursiv dargestellt. 24h-RR, Langzeitblutdruckmessung; HLA B27, Humanes Leukozytenantigen B27; MCV, mittleres korpuskuläres Volumen; GGT, Gammaglutamyltransferase; GOT, Glutamatoxalacetattransaminase; GPT, Glutamatpyruvattransaminase; CDT, Carbohydrat-defizientes Transferrin; TSH, Thyroidea-stimulierendes Hormon; fT3, freies Trijodthyronin; fT4, freies Thyroxin; STH, somatotropes Hormon; CK, Creatinkinase; TU-Screening, Tumorsuche; TEE, transösophageale Echokardiographie; ACVB, aortokoronarer Venenbypass Jg. 101 Heft 16 16. April 2004 Deutsches Ärzteblatt zum Ziel führt, hat sich in den letzten Jahren deutlich gesteigert. Dies liegt vor allem an dem großen Zuwachs an Daten aus dem humanen Genomprojekt. In kleinen Familien, in denen Kopplungsstudien nicht sinnvoll sind, haben auch direkte Analysen von funktionellen Kandidatengenen zur Identifikation der ursächlichen genetischen Veränderung geführt (Kandidatengene sind funktionell relevant erscheinende Gene). Seit 1986 sind Mutationen im Dystrophingen als Ursache der Muskeldystrophie Typ Duchenne und Becker bekannt. Diese Skelettmuskelerkrankungen zeigen in der Mehrzahl der Fälle auch eine kardiale Beeinträchtigung, was für die Betreuung dieser Patienten wichtig ist. Wenn der kardiale Phänotyp dominiert, die Skelettmuskulatur also nicht oder nur in geringer Ausprägung betroffen ist, spricht man von X-chromosomaler dilatativer Kardiomyopathie. Bei den Mutationen in den wenigen bekannten Familien mit X-chromosomaler rein dilatativer Kardiomyopathie handelt es sich im Wesentlichen um Stopcodons, die die Produktion eines verkürzten Dystrophinproteins zur Folge haben (Deletionen, Insertionen, Duplikationen, Splice-Site-Mutationen) (1). MissenseMutationen (Änderung eines Aminosäurekodons) können aber ebenfalls zu einem kardialen Phänotyp führen (38). Daneben wurden auch Mutationen des kardialen Dystrophinpromotors beschrieben (1). Bisher ist es noch nicht gelungen diejenigen Mutationen, die zu dem Auftreten einer reinen Kardiomyopathie führen, klar von denen zu differenzieren, die zu dem Vollbild einer Muskeldystrophie Typ Duchenne und Becker führen. Eine interessante Verbindung der genetischen und infektiösen Ursachen der dilatativen Kardiomyopathie besteht darin, dass die enterovirale Protease2A aus Coxsackievirus-B3 die Fähigkeit besitzt Dystrophin zu spalten (2). Es wurde auch gezeigt, dass Dystrophin-defiziente Mäuse, die mit dem Enterovirus infiziert wurden, eine stärker ausgeprägte Kardiomyopathie entwickeln als Wildtyp-Mäuse. Es ist also denkbar, dass auch Menschen mit einem Mangel an funktionell vollwertigem Dystrophin leichter von Cox- A 1101 M E D I Z I N sackieviren geschädigt werden. Dies wäre eine mögliche Erklärung für die wechselnde Penetranz der dilatativen Kardiomyopathie bei Dystrophinmutationen (53). Im Jahr 1998 wurde mithilfe einer Kandidatengenuntersuchung der erste Defekt bei einer autosomal dominanten Form von dilatativer Kardiomyopathie identifiziert. In zwei sehr kleinen Familien konnten Mutationen im kardialen Aktin-Gen (ACTC) nachgewiesen werden. Trotz der geringen statistischen Aussagekraft der Kosegregation des Gendefektes mit dem Erkrankungsstatus in solch kleinen Familien kann in diesem Fall davon ausgegangen werden, dass es sich tatsächlich um kausal relevante Mutationen handelt. Bei´ Tabelle 2 de Missense-Mutationen wurden in Regionen des kardialen Aktins gefunden, die in der Evolution hochgradig konserviert erscheinen. Dies ist ein Hinweis dafür, dass eine Veränderung in diesen Regionen einen funktionellen Nachteil mit sich bringt. Außerdem liegen die Mutationen in Bereichen, die für die Verankerung von Aktin in der Z-Bande und den interkalierten Scheiben notwendig sind (37). Im darauf folgenden Jahr wurde ebenfalls mittels Kandidatengenanalyse unter 44 Patienten mit familiärer dilatativer Kardiomyopathie eine Familie mit einer Missense-Mutation im Desmin-Gen identifiziert (29). Kosegregation konnte in einem vier Generationen umfassenden Stammbaum belegt wer- den. Bei Desmin handelt es sich um ein muskelspezifisches Intermediärfilament, also ein extrasarkomerisches Zytoskelettprotein, das die Myofilamente im Bereich der Z-Scheiben verbindet und auch Verbindungen zum Zellkern und den Mitochondrien herstellt. Mutationen in diesem Protein wurden zuvor bereits bei der Desmin-Myopathie der Skelettmuskulatur beschrieben, die häufig von einer Kardiomyopathie mit Reizleitungsstörungen begleitet wird. In der genannten Familie trat die Kardiomyopathie allerdings isoliert auf. Die Histologie der Desminopathien ist durch das Auftreten von Desmin enthaltenden Einschlusskörperchen in den Myozyten gekennzeichnet. In einem Mausmodell, in dem das mutierte Des- ´ Übersicht der chromosomalen Loci und Krankheitsgene bei dilatativer Kardiomyopathie als dominierenden Phänotyp Locus Vererbungsmuster Zusätzlicher Phänotyp Krankheitsgen/ -protein Allelische Erkrankungen 1q32 AD Nicht vorhanden Kardiales Troponin T HCM 1q32 AD Nicht vorhanden ? 2q31 AD Nicht vorhanden Titin TMD, HCM? 5q33–34 AD Nicht vorhanden δ-Sarcoglycan LGMD2F 6q12–16 AD Nicht vorhanden ? 6q22.1 AD Nicht vorhanden Phospholamban 9q13–22 AD Nicht vorhanden ? 11p15.1 AD Nicht vorhanden Kardiales Muskel-LIM-Protein 14q11 AD Nicht vorhanden Kardiale schwere β-Myosin-Kette HCM 15q14 AD Nicht vorhanden Kardiales Aktin HCM 15q22.1 AD Nicht vorhanden α-Tropomyosin HCM 10q21–23 AD Mitralprolaps ? 10q21–23 AD Nicht vorhanden Metavinculin 1p1–q21 AD Reizleitungsstörung Lamin A/C 2q14–q22 AD Reizleitungsstörung ? 3q22–25 AD Reizleitungsstörung ? 6q23 AD Reizleitungsstörung und Skelettmyopathie ? HCM EDMD, FLPD, CMT2B1, MAD, HGPS 2q35 AD Skelettmyopathie Desmin Desminmyopathie 6q23–24 AD Sensoneuraler Hörverlust Eyes absent 4 Sensoneuraler Hörverlust 18q12 AD LVNC und VSD α-Dystrobrevin 17q21 AR RV Dyspl. und wollige Haare und Keratodermie Desmoplakin Xp21 X Skelettmyopathie Dystrophin Xq28 X LVNC Tafazzin ARVD, KPPS, SFWHS EFE, Kleinwuchs und Neutropenie AD, autosomal dominant; AR autosomal rezessiv; LVNC, linksventrikuläre Non-Compaction; HCM, hypertrophische Kardiomyopathie; TMD, tibiale muskuläre Dystrophie; LGMD2F, limb-girdle muscular dystrophy Typ 2F; EDMD, Emery-Dreifuss-Muskeldystrophie; FLPD, familiäre Lipodystrophie Typ Dunnigan; CMT2B1, Charcot-Marie-Tooth-Krankheit Typ 2B1; MAD, mandibuloakrale Dysplasie; HGPS, Hutchinson-Gilford-Progerie-Syndrom; ARVD, arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie; KPPS, Keratosis palmoplantaris striata; SFWHS, skin-fragillity wooly hair syndrome; RV Dyspl., rechtsventrikuläre Dysplasie; EFE, endokardiale Fibroelastose A 1102 Jg. 101 Heft 16 16. April 2004 Deutsches Ärzteblatt M E D I Z I N min überexprimiert wurde, kam es ebenfalls zu der Bildung von Aggregaten. Da diese initial identifizierten Krankheitsgene für dilatative Kardiomyopathien durchweg zytoskelettäre Proteine kodieren, wurde von Bowles und Towbin die „final common pathway“-Hypothese postuliert. In Analogie zu genetisch bedingten Rhythmusstörungen, die vorwiegend durch Defekte in Ionenkanalproteinen bedingt sind („channelopathies“), und den hypertrophischen Kardiomyopathien, die meist durch Defekte in sarkomerischen Proteinen verursacht werden („sarcomeropathies“), geht diese Hypothese davon aus, dass die dilatativen Kardiomyopathien gemeinschaftlich eine Erkrankung des kraftübertragenden Zytoskeletts darstellen (8). Diese Sichtweise vereinfacht die bisherigen Erkenntnisse allerdings wohl etwas zu stark, denn es ist unklar, inwieweit Desmin überhaupt an der Kraftübertragung teilnimmt, und es wurden mittlerweile weitere Krankheitsgene für dilatative Kardiomyopathien identifiziert, die vermutlich nicht dem Kraft übertragenden Zytoskelett zuzuordnen sind. So können Defekte im Lamin-A/CGen (LMNA) ebenfalls zu einer dilatativen Kardiomyopathie führen, die typischerweise von Reizbildungs- und Erregungsleitungsstörungen begleitet ist. Dies hat zur Folge, dass es bei verzögerter Diagnosestellung in den betroffenen Familien zu untherapiertem Vorhofflimmern oder AV-Blockierungen mit häufig folgenschweren Synkopen oder Apoplexen kommt. Eine Familienuntersuchung ist bei diesem relativ häufig auftretendem Gendefekt daher besonders wichtig. Lamin A und C sind zwei Proteine, die aus Splicevarianten desselben Gens gebildet werden. Sie stellen als Intermediärfilamente neben Emerin und anderen Proteinen wichtige Bausteine der nukleären Lamina dar. Mutationen in diesem Gen können zu sehr verschiedenen Phänotypen führen. Initial wurde LMNA als Krankheitsgen bei der autosomal dominanten Form der EmeryDreifuss-Muskeldystrophie beschrieben (6), die wie die genannten Muskeldystrophien häufig mit einer kardia- Grafik Infektion Desmin α-Aktin Dystrophin Plakoglobin Desmoplakin Muskel-LIM-Protein β-MHC Troponin T α-Tropomyosin Phospholamban Defekte Kraftübertragung Defekte Krafterzeugung Dilatative Kardiomyopathie ? Energiedefizit Mitochondriale tRNA Carnitin-palmitylTransferase II Trifunktionales Protein Apoptose? Nekrose EYA4 Tafazzin Lamin A/C δ-Sarcoglycan Ischämie Hypertrophie Toxine Hämochromatose Verschiedene Pathomechanismen führen zur Entwicklung einer Kardiomyopathie. Im äußeren Kreis sind Ursachen sekundärer, im inneren Kreis Ursachen primärer dilatativer Kardiomyopathie (DCM) dargestellt. Verschiedene Signalwege sind bereits untersucht, andere wie beispielsweise die Folgen von Lamin-A/C-Defekten sind noch unklar. len Beteiligung einhergeht. Im Jahr 1999 wurde dann auch in mehreren Familien mit isolierter dilatativer Kardiomyopathie eine Mutation im LMNAGen als kausale Mutation identifiziert (15). Es wird vermutet, dass die nukleäre Lamina neben den mechanischen Funktionen der Zellkernstabilisierung auch Gen-regulative Aufgaben durch Interaktion mit Chromatin übernimmt. Des Weiteren ist Lamin A/C über Syne-1 mit dem Aktinzytoskelett des Zytoplasmas verbunden. Lamin A und C werden allerdings in den Zellkernen aller Gewebe exprimiert, und es ist bislang noch unklar, welchen besonderen Funktionsverlust die Mutationen in den Zellkernen von Myozyten verursachen. Möglicherweise werden Signale der mechanischen Beanspruchung des Myozyten über Syne-1 und Lamin A/C an den Zellkern gemeldet. Es ist denkbar, dass Informationen über die mechanische Belastung der Zelle nicht mehr in den Nukleus gelangen, wenn Jg. 101 Heft 16 16. April 2004 Deutsches Ärzteblatt Lamin bestimmte Defekte aufweist und deshalb keine adäquate Antwort im Sinne der Homöostase erfolgen kann. Im Rahmen der direkten zytoskelettären Kraftübertragung scheint Lamin A/C aber zumindest keine Rolle zu spielen. Erwähnenswert ist auch, dass LMNA-Mutationen neben den genannten Phänotypen auch GliedergürtelMuskeldystrophie (33), familiäre partielle Lipodystrophie vom Dunnigan-Typ (47), mandibuloakrale Dysplasie (35), Charcot-Marie-Tooth-Typ-2B1-Erkrankung (12) und Hutchinson-Gilford-Progerie-Syndrom (13) auslösen können. Diese Erscheinungsformen könnten also durchaus auch im Zusammenhang mit der DCM zu finden sein, wobei das gleichzeitige Auftreten eines kardialmuskulären Phänotyps mit einem nichtmuskulären Phänotyp in derselben Familie bisher lediglich für die Lipodystrophie beschrieben ist (52). δ-Sarcoglycan ist ein Bestandteil des Dystrophin-assoziierten Komple- A 1103 M E D I Z I N xes und dient ebenfalls der Verankerung filamentärer Elemente in der Zellmembran. Eine Mutation im δ-Sarcoglycan-Gen (SGCD) konnte bei der rezessiv erblichen Kardiomyopathie des syrischen Hamsters demonstriert werden (34). Diese Tiere leiden ebenso wie ein später angefertigtes δ-Sarcoglycandefizientes Mausmodell sowohl an einer Skelettmyopathie als auch unter einer Kardiomyopathie, die durch Myokardnekrosen gekennzeichnet ist. Für Letzteres ist offenbar eine Fehlkonfiguration der Koronarien ursächlich. Diese Gefäße zeigen multiple Stenosen mit dazwischen liegenden Dilatationen. Eine frühe Behandlung mit dem Vasodilatator Diltiazem konnte die Veränderungen im Tiermodell verhindern (10). Mutationen im δ-Sarcoglycan-Gen wurden auch bei einem familiären und zwei sporadischen DCM-Fällen identifiziert, bei denen keine begleitende Skelettmyopathie nachzuweisen war (50). Titin ist das größte bekannte Protein des Körpers. Es verbindet die M- und ZZone des Sarkomers und dient neben der Funktion als Leitstruktur für Sarkomerproteine offenbar auch als elastische Feder, die die Kräfte der diastolischen Dehnung des Sarkomers abfängt und wieder freigeben kann. Mutationen im Titin-Gen (TTN) konnten in zwei Familien mit dilatativer Kardiomyopathie und bei einer Zebrafisch-Mutante nachgewiesen werden, die ebenfalls unter einer systolischen Dysfunktion leidet (19, 55). Daneben konnten kürzlich Mutationen bei einer großen Anzahl von Patienten mit einer tibialen Muskeldystrophie demonstriert werden (22). EYA4 ist ein bisher noch sehr wenig charakterisiertes Gen. Es ist eines der vier Vertebraten-Orthologe des „eyes absent“-Gens, das bei mutierten Fruchtfliegen ohne Augen kloniert wurde und in die Regulation der Apoptose von Organvorläuferzellen involviert ist (5, 54). EYA-Proteine sind Kotranskriptionsfaktoren, die im Zusammenspiel mit DNA-bindenden Transkriptionsfaktoren die Expression nachgeschalteter Gene regeln. Die Autoren konnten vor kurzem eine Deletion in EYA4 bei einer Form der dilatativen Kardiomyopathie mit begleitendem sensoneuralen Hörverlust nachweisen A 1104 (45). Damit ist ein weiteres zelluläres Element als relevant für die Entstehung der DCM identifiziert worden, das bislang keiner zytoskelettären Funktion zuzuordnen ist. Phospholamban ist ein Regulatorprotein, das die Wiederaufnahme von Calciumionen aus dem Zytoplasma in das sarkoplasmatische Retikulum negativ beeinflusst. Eine Missense-Mutation im Phospolamban-Gen (PLN) wurde in einer größeren Familie durch Kosegregation eindeutig als krankheitsverursachende Mutation identifiziert. Die transgene Überexpression des mutierten Proteins in der Maus erzeugt einen ähnlichen Phänotyp (43). Mutationen in mitochondrialen Proteinen werden vorwiegend bei kindlichen Kardiomyopathien beobachtet. Neben Genen aus dem mitochondrialen Genom sind vor allem die nukleären Gene für die Carnitin-palmityltransferase und das trifunktionale Protein zu nennen, bei denen Mutationen zu einem Energiedefizit in der Muskelzelle führen (41). Überschneidung zwischen verschiedenen Kardiomyopathien Pathophysiologisch sehr interessant sind auch die Überschneidungsbereiche zwischen dilatativen Kardiomyopathien und anderen Formen der Kardiomyopathien. So ist bei einer Vielzahl von Patienten mit rechtsventrikulärer Dysplasie auch der linke Ventrikel dilatiert beziehungsweise funktionell eingeschränkt. Eine Sonderform der rechtsventrikulären Dysplasie mit den zusätzlichen Phänotypen wolliger Haare und palmoplantarer Keratosen wird als Naxos-Syndrom bezeichnet. Andererseits wurden drei Familien aus Ecuador beschrieben, bei denen die gleichen ektodermalen Veränderungen festgestellt wurden, die aber offenbar nicht unter einer rechtsventrikulären Dysplasie, sondern unter einer dilatativen Kardiomyopathie leiden. Die betreffenden Krankheitsgene Plakoglobin (β-Catenin) und Desmoplakin spielen eine wichtige Rolle bei der Verbindung benachbarter Myozyten über Desmosomen. Plakoglobin-defiziente Mäuse zei- gen eine reduzierte myokardiale Dehnbarkeit. Wenn die Herzen dieser Mutanten mechanischem Stress ausgesetzt werden, sterben die Tiere an Ventrikelrupturen (42). Auch zwischen hypertrophischen und dilatativen Kardiomyopathien (HCM) gibt es Gemeinsamkeiten. Einerseits können hypertrophische Herzen dekompensieren und in dilatative Formen übergehen („burnt-out“), was allerdings nur bei einem kleinen Teil (circa zehn Prozent) der Patienten der Fall ist (46).Andererseits können Mutationen an unterschiedlichen Positionen des gleichen Gens eine hypertrophische oder eine dilatative Kardiomyopathie auslösen. Defekte in der schweren Kette des Myosins, in Troponin T und in αTropomyosin waren bis vor kurzer Zeit nur bei hypertrophischen Kardiomyopathien beschrieben. In 2000 und 2001 wurden auch erstmals Defekte in diesen Genen bei dilatativer Kardiomyopathie identifiziert (26). Im Gegensatz dazu wurden Mutationen im kardialen Aktin und im Muskel-LIM-Protein (28, 37) zuerst bei dilatativen Kardiomyopathien, dann aber auch bei hypertrophischen Formen der Kardiomyopathie, beschrieben (18, 32). Ob dabei eine klare Genotyp-Phänotyp-Beziehung besteht, ob also gewisse Mutationen in bestimmten Positionen des Moleküls zu einer hypertrophischen Kardioyopathie führen, hingegen andere Mutation regelhaft im Auftreten einer dilatativen Kardiomyopathie resultieren, ist bislang noch unklar. Die Klärung dieser Frage erfordert die Untersuchung weiterer Familien mit Mutationen in diesen Genen, sowie die Konstruktion von Knock-in-Mausmodellen, die die jeweiligen Mutationen in sich tragen. Auch die Frage, ob hypertrophische und primär dilatative Phänotypen auch innerhalb einer Familie, das heißt bei Vorliegen derselben Mutation auftreten können, ist bislang nicht geklärt. Schließlich gibt es auch Überschneidungsbereiche zwischen dilatativer Kardiomyopathie, linksventrikulärer Noncompaction („spongiöses Herz“), endokardialer Fibroelastose und Barth-Syndrom. Alle vier Erkrankungen können durch Defekte im G4.5-Gen ausgelöst werden (11). Das G4.5-Gen kodiert multiple Proteinsplicevarianten, die als Jg. 101 Heft 16 16. April 2004 Deutsches Ärzteblatt M E D I Z I N Tafazzine bezeichnet werden. Ihre Funktion ist nicht genau erläutert, jedoch besteht eine strukturelle Ähnlichkeit zu Acyltransferasen, die etwa im Lipidstoffwechsel der Mitochondrienmembran eine Rolle spielen (51). Eine Mutation in α-Dystrobrevin wurde in einer kleineren Familie mit linksventrikulärer Non-compaction und begleitendem Ventrikelseptumdefekt beschrieben. Bei diesem Gen handelt es sich wie bei Sarcoglycan um ein Mitglied des Dystrophin-assoziierten Proteinkomplexes (24). Es bleibt abzuwarten, ob sich auch in anderen Familien Defekte in diesem Gen finden lassen. Die große Zahl der bisher ermittelten Gendefekte zeigt deutlich, wie vielfältig die Mechanismen sind, die zu dem Bild einer dilatativen Kardiomyopathie führen können (Grafik). Es ist im Einzelfall auch sehr aufwendig, alle bislang bekannten Krankheitsgene bei dilatativer Kardiomyopathie zu untersuchen. Innerhalb des Kompetenznetzes „Herzinsuffizienz“ ist derzeit ein Teilprojekt „Ätiologie“ im Aufbau, das eine systematische Mutationsanalyse plant (http:// www.rrk-berlin.de/start/). Wo und wie die verschiedenen pathophysiologischen Signalwege miteinander in Verbindung stehen, ist noch unklar. Die Charakterisierung der Signalwege wird Erkenntnisse bringen, die der Entwicklung neuer Therapiestrategien dienen können. Möglicherweise kann man den spezifischen Ätiologien der Erkrankung durch eine Individualisierung der Therapie gerechter werden. Manuskript eingereicht: 3. 6. 2003; revidierte Fassung angenommen: 12. 1. 2004 ❚ Zitierweise dieses Beitrags: Dtsch Arztebl 2004; 101: A 1099–1105 [Heft 16] Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit1604 abrufbar ist. Anschrift für die Verfasser: Dr. med. Jost Schönberger Arbeitsgruppe für Kardiovaskuläre Genetik Institut für Klinische Biochemie und Pathobiochemie, Medizinische Klinik und Medizinische Poliklinik Bayerische Julius Maximilians Universität Versbacherstraße 5 97078 Würzburg E-Mail: [email protected] DISKUSSION zu dem Beitrag Bedeutung der Herzinsuffizienzmarker BNP und NT-proBNP für die Klinik von Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Luchner Prof. Dr. med. Stephan Holmer Prof. Dr. med. Heribert Schunkert Prof. Dr. med. Günter A. Riegger in Heft 50/2003 Herzinsuffizienzmarker beim (hypertrophierten) Sportherz Herr Priv.-Doz. Luchner weist in seinem Beitrag auf mögliche Fehlerquellen der BNP- beziehungsweise NT-pro-BNPPlasmakonzentrationen hin,welche „sich bei Probanden mit linksventrikulärer Hypertrophie in etwa verdoppeln“ und verweist dabei auf eine von ihm durchgeführte Studie (2). Ergänzend ist hierbei zu erwähnen, dass sich die Aussage auf Personen mittleren Alters (zwischen 50 und 67 Jahren) bezieht und nur für die pathologische Hypertrophie gültig ist. Sie muss von der physiologischen Hypertrophie des Sportherzens unterschieden werden, bei der keine Unterschiede in den BNP- beziehungsweise NT-proBNPKonzentrationen zwischen Ausdauerathleten mit Sportherz und gesunden Kontrollpersonen bestehen (1, 3). Schlusswort Herr Dr. Scharhag und Herr Prof. Kindermann machen auf eine sehr interessante Beobachtung hinsichtlich der BNP- und NT-proBNP-Plasmakonzentrationen bei physiologischer linksventrikulärer Hypertrophie („Sportlerherz“) aufmerksam. Bei der pathologischen linksventrikulären Hypertrophie ergibt sich die besondere Bedeutung erhöhter Plasmakonzentrationen aus der enormen breitenmedizinischen Bedeutung. In Deutschland beträgt die Prävalenz der arteriellen Hypertonie, einer der wichtigsten Ursachen der linksventrikulären Hypertrophie, je nach Lebensalter bis mehr als 50 Prozent und nimmt damit im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz ein (2). Ein pathologisch erhöhter linksventrikulärer Massenindex kann in bevölkerungsbasierten Untersuchungen bei etwa fünf Prozent der Probanden gefunden werden. Das heißt, dass in Deutschland mehrere Millionen Menschen eine pathologische linksventrikuläre Hypertrophie aufweisen. Dementsprechend fand sich in einer großen europäischen Bevölkerungsstudie bei Probanden mit Belastungsdyspnoe und erhöhten NT-proBNP-Konzentrationen eine linksventrikuläre Hypertrophie als zweithäufigster struktureller Befund, gleich nach der Pumpschwäche (1). Insofern war es unser Anliegen, auf die linksventrikuläre Hypertrophie als eine wesentliche Ursache und wichtige Differenzialdiagnose zur Herzinsuffizienz bei Patienten mit „Hyper-BNPÄmie“ aufmerksam zu machen. Literatur 1. Almeida S, Azevedo A, Castro A et al.: B-type natriuretic peptide is related to left ventricular mass in hypertensive patients but not in athletes. Cardiology 2002; 98: 113–115. 2. Luchner A, Burnett J, Jougasaki M et al.: Evaluation of brain natriuretic peptide as marker of left ventricular dysfunction and hypertrophy in the population. J Hypertens 2000; 18: 1121–1128. 3. Scharhag J, Urhausen A, Herrmann M et al.: Ist beim Sportherz das NT-proBNP erhöht? Z Kardiol 2003; 92 (Suppl 2): II/49. Literatur Dr. med. Jürgen Scharhag Prof. Dr. med. Wilfried Kindermann Institut für Sport- und Präventivmedizin, Bereich Klinische Medizin, Universität des Saarlandes 66123 Saarbrücken Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Luchner Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II Klinikum der Universität 93042 Regensburg E-Mail: [email protected] Jg. 101 Heft 16 16. April 2004 Deutsches Ärzteblatt 1. McDonagh TA, Holmer S, Raymond IE, Dargie H, Hildebrandt P, Luchner A: NT-proBNP and the diagnosis of heart failure: A pooled analysis of 3 European epidemiological studies. J Am Coll Cardiol 2003; 41 (5, Suppl A): 1013–1080 (Abstract), Manuskript eingereicht. 2. Wolf-Meier K, Cooper RS, Banegas JR, et al.: Hypertension prevalence and blood pressure levels in 6 European countries, Canada and the United States. JAMA 2003; 289: 2363–2369. A 1105