Hodentumoren - Deutsches Ärzteblatt

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DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
Zur Fortbildung
Aktuelle Medizin
Hodentumoren
ÜBERSICHTSAUFSÄTZE:
Hermann Pennekamp und Jürgen Sökeland
Hodentumoren
Das Bild der leichten
frühkindlichen
Hirnschäden
in der täglichen Praxis
Das Auge bei
metabolischen Störungen
DIAGNOSTIK IN KÜRZE:
Pseudosarkomatöse
Fasziitis
Fibro-Myo-Adenome
Aus der Urologischen Klinik der Städtischen Kliniken Dortmund
(Direktor Professor Dr. Jürgen Sökeland)
Die Problematik der Behandlung der verschiedenen Hodentumoren
wird aus klinischer Sicht dargestellt. Die einzelnen Formen der
Hodentumoren haben einen charakteristischen Metastasierungsweg, der Behandlung liegt die Einteilung der Hodentumoren nach
dem TNM-System zugrunde. Seminome, Teratokarzinome, Embryonalkarzinome und Chorionepitheliome unterliegen einem unterschiedlichen chirurgischen, strahlentherapeutischen und chemotherapeutischen Behandlungsplan. Die Prognose kann bei Früherkennung der Hodentumoren mit gezielter Aufklärung der Bevölkerung verbessert werden.
FÜR SIE GELESEN:
Angiographie
und Pankreatographie
in der Diagnose
von Pankreaskarzinomen
Akrosklerose
bei Sarkoidose
Der Hodentumor gehört zu den bösartigsten und prognostisch ungünstigsten Tumoren des Mannes. Die
Ursachen für diese ungünstige
Prognose sind:
O völlig schmerzloser Beginn,
O die hochgradige Bösartigkeit
des embryonalen Gewebes,
Von 100 000 Männern erkranken
etwa zwei bis vier an Hodengeschwülsten. In der Bundesrepublik
Deutschland werden etwa 2000 bis
3000 Männer im Jahr von diesem
Leiden befallen. Fast alle testikulären Tumoren sind bösartig.
• die sehr frühe Metastasierung
und der ungünstige Metastasierungsweg über Samenstrang, paraaortale Lymphdrüsen bis hinauf
zum Nierenhilus.
Bei einer Querschnittanalyse des
Jahres 1973 an 31 urologischen Kliniken zeigten bei insgesamt 324
Fällen bereits 60 Prozent eine Metastasierung vor Beginn der klinischen Behandlung. Die Anamnesedauer lag im Durchschnitt bei
sechs Monaten.
Aus den genannten Gründen ist
das Krankheitsgeschehen für die
Betroffenen oft von schicksalhaftem Verlauf. Es sind vorwiegend
die Altersgruppen 20 bis 40, also
Männer in der Zeit der stärksten
biologischen Aktivität, befallen.
Alle therapeutischen Möglichkeiten
wie Semikastration, Lymphadenektomie — Ausräumung aller parailiakalen und paraaortalen Lymphdrüsen — und beim Seminom die
Bestrahlung, hängen von der Frühdiagnose ab.
DEUTSCHES .ÄRZTEBLATT Heft 2 vom 8. Januar 1976
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Zur Fortbildung
Aktuelle Medizin
Hodentumoren
Die Gründe für die späte Erfassung
der Hodentumoren sind:
• das Fehlen jeglicher Schmerzsymptomati k,
O die nur langsam fortschreitende
Größenzunahme,
O erziehungsbedingte Tabus der
Gesellschaft gegenüber der Genitalsphäre,
O mögliche Fehldiagnostik infolge
differentialdiagnostischer Schwierigkeiten.
1970 wurden die Vorsorgeuntersuchungen auf Prostatakarzinom auf
dem Deutschen Ärztetag in Stuttgart programmiert und 1972 gesetzlich verankert. Aus den hierbei
gewonnenen Ergebnissen sowie
aus den langjährigen Erfahrungen
in der ärztlichen Fortbildung sind
für die Frühdiagnose der Hodentumoren folgende Maßnahmen ratsam und zweckmäßig:
• Gezielte Aufklärung der betreffenden Bevölkerungskreise durch
Massenmedien.
• Breitgestreute Fortbildung der
erstbehandelnden Ärzte.
Das Ziel dieser Aufklärungskampagne ist erreicht, wenn jeder
Mann bei einer Hodenschwellung
oder Verhärtung sofort den Hausarzt aufsucht und dieser so lange
die Bösartigkeit des Befundes annimmt, bis das Gegenteil durch
Freilegung und histologische Untersuchung bewiesen ist.
Das fast ausschließliche Auftreten
in der aktivsten Lebensphase mit
erhöhter hormoneller Aktivität und
die Neigung zur Tumorbildung im
noch nicht vollständig deszendierten Hoden deuten gewisse ätiologische Zusammenhänge an. Dabei
ist es wahrscheinlich nicht die abnormale Lage des Testis, die die
Tumorentstehung begünstigt, sondern vielmehr die Fehlanlage des
Keimdrüsengewebes. Die Beobachtung, daß Hoden auch nach der
Orchidopexie zu Geschwulstbildungen neigen, spricht für diese Annahme. Die Tumorhäufigkeit dystoper Hoden beträgt etwa ein Prozent, beim Bauchhoden ist sie sogar mehr als doppelt so groß.
In einem gewissen Prozentsatz wird
aus einem Kausalitätsbedürfnis
heraus ein Trauma der Hoden in
der Anamnese angegeben. Dieses
Ereignis ist aber lediglich als Anlaß
zu werten, der den Patienten oder
Tabelle 1: Einteilung der
Hodentumoren nach Dixon
und Moore
O Seminome, rein
O Embryonale Karzinome
Teratome, rein*)
a) mit unreifem, fötalem Gewebe
b) mit nur reifem Gewebe
O Teratome, kombiniert*)
a) mit embryonalem Karzinom
b) mit Chorionkarzinom
c) mit embryonalem Karzinom und Chorionkarzinom
•
Chorionkarzinom*)
a) rein
b) kombiniert mit embryonalem Karzinom
—
Abbildung 1:
Metastasierungsweg der
Hodentumoren
[
50 Heft 2 vom 8. Januar 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
*) Sämtliche Tumoren der Gruppen
9-0 können einen Seminomanteil enthalten.
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Hodentumoren
Ti:
T2:
T3:
Ta:
Hoden normal
groß. Tumor
weniger als
V, des Organs
Organ normal
groß. Tumor
größer als
'/2 des Hodens
Organ vergrößert,
Tumor noch auf
Hoden beschränkt
Tumor wächst
über Grenzen
hinaus
Abbildung 2: TNM-System bei Hodentumoren (siehe auch Tabelle 2)
Tabelle 2: Einteilung der Hodentumoren nach dem TNM-Systeml
To
T2
T3
T4
= Kein Primärtumor nachweisbar
= Hoden normal groß, Tumor weniger als 1 /2 des Organs
= Organ normal groß, Tumor größer als 1 /2 des Hodens
= Organ vergrößert, Tumor noch auf Hoden beschränkt
= Tumor wächst über Grenzen hinaus
Der Vorschlag der UICC sieht für einen Lymphknotenbefall folgende Einteilung vor:
No
= keine Lymphknoten
Ni
= paraaortale Lymphknoten
N2
= inguinale Lymphknoten
N3
= sonstiger Befall, nicht lokalisiert
Die Metastasen wurden unterteilt in:
Mo
= keine Metastasen
Mi
= Fernmetastasen
*) Siehe auch Abbildung 2.
den Arzt erstmalig auf das Bestehen einer Vergrößerung des Hodens aufmerksam macht. Beweise
für einen kausalen Zusammenhang
zwischen Trauma und Hodentumor
gibt es nicht.
Fast alle Hodentumoren entwickeln
sich aus der Keimzelle. Der häufigste Tumor ist mit 35 bis 40 Prozent
das Seminom. Er weist rnakroskopisch eine einheitliche Struktur,
Kapselbildung und fibrinöse Septierung auf.
30 Prozent aller Hodengeschwülste
werden vom Embryonalzellkarzinom gebildet. Das Teratokarzinom
stellt 25 Prozent aller Hodengeschwülste dar und enthält Anteile
aller drei Keimblätter verschiedener Reifungsgrade. Eindeutige gut-
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 2 vom 8.,Januar 1976
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Hodentumoren
artige Teratome sind sehr selten.
Sie haben nur einen Anteil von wenigen Prozent an der Gesamtzahl
der Hodentumoren. Mit dem Vorliegen eines Karzinoms ist immer zu
rechnen, da sich Zellgruppen mit
malignem Wachstum leicht dem
Nachweis entziehen. Das Chorionkarzinom läßt sich in reiner Form
nur in ein bis zwei Prozent aller
Hodengeschwülste nachweisen. Es
produziert Choriongonadotropin
und läßt sich durch die sogenannten Schwangerschaftsteste im Serum oder Urin nachweisen. In
Kombination mit anderen Geschwulsttypen, in sogenannten
Mischformen, tritt es in etwa 20
Prozent aller Tumoren auf. In reiner Form tritt in der Regel nur das
Seminom auf. Der Häufigkeitsgipfel
der Erkankungen liegt beim Seminom im vierten, bei den anderen
Tumoren im dritten Lebensjahrzehnt. Unter den malignen Hodentumoren hat das Seminom die
geringste Bösartigkeit. Es folgen
das Embryonalzellkarzinom, das
Teratokarzinom und das äußerst
maligne Chorionkarzinom. Verlauf
und Prognose hängen stets vom
bösartigsten Bestandteil ab (Tabelle 1).
Metastasierung
Die Metastasierung der bösartigen
Hodentumoren erfolgt lymphogen.
Eine Ausnahme bildet das Chorionkarzinom, das hämatogen metastasiert. Bei mehr als der Hälfte der
malignen Hodentumoren ist die Absiedlung bereits eingetreten, wenn
die Diagnose erfolgt. Die Tumorzellen gelangen über die Lymphbahnen entlang den Vasa spermatica zur ersten Lymphknotenstation
des Retroperitonealraumes, die
rechts im Bereich der Einmündung
der Vena spermatica in die Vena
cava, links im Gebiet der Vena renalis liegt.
Von dort aus werden sekundär die
aortalen und iliakalen Lymphknoten befallen. Nach kranial können
sich die Metastasen durch das Mediastinum bis zur Einmündung des
Ductus thoracicus in die linke
52
Vena subclavia ausbreiten. Durch
Querverbindung zwischen den
Lymphknoten kann auch die kon-
Wichtigste diagnostische Maßnahme allerdings ist auch heute noch
die Inspektion und vergleichende
tralaterale Lymphknotenkette befallen sein.
Palpation der Hoden (Abbildung 3).
Ein Befall der inguinalen Lymphknoten tritt nur im Spätstadium auf,
wenn der Hodentumor auf Nebenhoden oder Skrotum übergegangen ist oder vorangegangene Eingriffe an Hoden oder Leiste zu einem Anschluß der Lymphbahnen
des Hodens an das inguinale System geführt haben (Abbildung 1).
Um Therapie und Prognose international vergleichen zu können,
wurde von der UICC (Union Internationale Contre le Cancer) zur
Klassifikation der Tumoren das
TNM-System vorgeschlagen, dem
auch die Einteilung der Hodentumoren nach Tumorgröße (T),
Lymphknotenbefall (N= Nodule)
und Fernmetastasen (M) unterliegt
(Tabelle 2 und Abbildung 2).
Symptomatik
Die Symptomatik der Hodentumoren wird durch eine derbe, meist
schmerzlose Schwellung und ein
Gefühl der Schwere des Organs
gekennzeichnet. Der karzinomatöse Hoden ist hart. Mit der retroperitonealen Metastasierung kommt es
zu Kreuzschmerzen. Das Auftreten
vergrößerter Lymphknoten in der
linken Supraklavikulargrube führt
den Kranken zuweilen erstmals
zum Arzt. Zwischen Beginn der
Symptomatik und Einsetzen der
Therapie verstreichen im Durchschnitt je nach Tumorart sechs bis
neun Monate. Die Ergebnisse der
Therapie zeigen, daß die Prognose
der bösartigen Hodengeschwülste
zur Zeit nur durch die Frühdiagnose entscheidend verbessert werden
kann.
Diagnose und Differentialdiagnose
Die Diagnose der malignen Hodentumoren hat besonders in der
Erkennung der Metastasen entscheidende Neuerungen erfahren.
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Die einseitige, glatte und derbe
Vergrößerung kann bei einiger
Übung von entzündlichen Erkrankungen des Nebenhodens abgegrenzt werden. Läßt sich palpatorisch eine Nebenhodenentzündung
nicht eindeutig von einer Schwellung des Hodens abgrenzen, so
kann die Reaktion des Patienten
auf die Palpation Hinweise geben.
Wird die Betastung als unangenehm, sogar als schmerzhaft angegeben, so deutet das mehr auf eine
entzündliche Affektion des Nebenhodens hin. Eine Hodentorsion tritt
im allgemeinen nur in der Pubertät
auf.
Eine Hydrozele läßt sich meist
leicht von einem Hodentumor unterscheiden, zum Beispiel mit der
Diaphainoskopie. Es muß jedoch
daran gedacht werden, daß nicht
selten relativ große Zysten in einem Hodentumor auftreten können
oder der Tumor eine Begleithydrozele ausgelöst hat. Es kann aber
auch eine Begleithydrozele vorliegen, die diaphainoskopisch nicht
durchscheint, weil ihr Inhalt hämorrhagisch ist. Eine Varikozele
läßt sich durch die Palpation des
teigig-weichen Konvoluts bleistiftdicker Venen des Plexus pampiniformis abgrenzen. Die Venen entleeren sich im Liegen. Spermatozelen lassen sich als zystische flüssigkeitsgefüllte Gebilde durch Betasten deutlich vom Hoden unterscheiden. Ihre Punktion bringt den
Nachweis von Samenzellen.
Allein die Verdachtsdiagnose eines
Hodentumors muß Anlaß zur Klinikeinweisung sein. Nur in der Klinik
sind die Möglichkeiten gegeben,
durch verschiedene diagnostische
Methoden den Verdacht zu bestätigen und die Frage einer Metastasierung zu klären sowie deren Ausmaß zu erkennen. Auf keinen Fall
sollte der Hausarzt in Zweifelsfällen eine akute oder chronische
Epididymitis annehmen und durch
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Hodentumoren
den Versuch einer antibiotischen
Therapie wertvolle Zeit verlieren.
Folgende Untersuchungsmethoden
ermöglichen eine erschöpfende
Diagnostik (Tabelle 3).
Hodentumor
Hydrozele
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Heft 2 vom 8. Januar 1976
• Das Urogramm gibt Auskunft
über die Ausscheidungsfunktion
der Nieren und über die Abflußverhältnisse der Harnwege. Behinderungen des Harnflusses weisen auf
eine prognostisch ungünstige
Epididymitis
Varikozele
Kompression des Harnleiters durch
retroperitoneale Lymphknotenmetastasen hin, wenn eine andere
Verlegung der Harnwege mit
Sicherheit ausgeschlossen werden
kann.
Hodentorsion
Spermatozele
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Abbildung 3:
Differentialdiagnostik bei
Hodentumoren
Zur Fortbildung
Aktuelle Medizin
Eine Lungenaufnahme wird zum
Ausschluß von Metastasen angefertigt.
~ Die Lymphographie vermittelt
einen Eindruck von den Lymphabflußbahnen und den Lymphknoten
im Retroperitonealraum (Tabelle 4).
~ Verschlüsse der unteren Hohlvene lassen sich durch eine Kavographie aufzeigen.
~ Tumoren mit Choriongewebsanteilen führen durch die Produktion
von Choriongonadotropinan zu einer positiven Schwangerschaftsreaktion. Diese Eig.enschaft haben
auch ihre Metastasen. Ein pos itiver
Schwangerschaftstest gibt daher
postoperativ Hinweise darauf, ob
die Geschwulst radikal beseitigt
wurde, ein Rezidiv zeigt sich durch
positive Reaktion nach vorheriger
Normalisierung.
~ Kann auf Grund der Inspektion,
der Palpation und der weiteren Untersuchungen die Diagnose eines
Hodentumors nicht endgültig gesichert oder der Verdacht nicht entkräftet werden, sollte die Probefreilegung mit histologischer Sehnelischnittuntersuchung des entnommenen Gewebes erfolgen.
Tabelle 3: Untersuchungsmethoden zur Diagnose von
Hodentumoren
Tabelle
4:
Diagnostische
Möglichkelten der Lymphographie
0 Uregramm und
Die Lymphegraphie zeigt, ob
-
Lungen-
aufnahme
0 Lymphknotenmetastasen
vorhanden sind,
f) Lymphangiographie
f) die
Metastasierung auf
das erste Lymphknotengebiet
beschränkt ist,
8 Kavographie
8
8 eine retroperitoneale Metastasierung in die iliakalen
oder inguinalen Lymphknoten erfolgt ist und
Hormondiagnostik
8
0
Lymphknotenmetastasen
auf der Gegenseite vorliegen.
Probefreilegung und
Schnellschnitt
Tabelle 5:
~
Symptomatik: Harte Hodengeschwülste, nicht schmerzhaft. Bei
Metastasenbildung eventuell Kreuzschmerzen und vergrößerter
supraklavikulärer Lymphknoten links.
~
Diagnostik: Palpation, Diaphainoskopie, Urogramm, Thoraxaufnahme, Lymphogramm, eventuell Kavographie, Freilegung mit
eventueller Schnellschnittuntersuchung.
~ Therapie : Semikastration mit nachfolgender histologischer Un-
tersuchung.
Folg_etherapie
I
Seminome
I
Bestrahlung
Teratokarzinom und
Embryonalkarzinome
Lymphadlnektomie
---
Chorionkarzinome
ZytoLI;ka
I
Bei Lymphknotenbefall
Bestrahlung und Zytostatika
Therapie
Die Therapie der Seminome ist
heute einheitlich. Es erfolgt nach
der Semicastratio die inguinale, retroperitoneale und links supraklavikuläre Hochvoltbestrahlung. Eine
Ausräumung der retroperitonealen
Lymphknoten ist beim Seminom
nicht erforderlich, da die Absiedlungen strahlensensibel sind. Auch
isolierte Lungenmetastasen sind
der Radiotherapie gut zugänglich.
Erst bei diffuser Metastasierung in
parenchymatöse Organe kommt
die Chemotherapie zum Einsatz.
Beim embryonalen Karzinom und
Teratom sowie Mischtumoren ohne
Chorionkarzinomanteile folgt auf
die Semikastration die transperitoneale Lymphadenektomie der paraaortalen
und
parail iakalen
Lymphknoten nach vorausgegangener Lymphangiographie. Kann
bei der histologischen Untersuchung der Lymphknoten ein metastatischer Befall ausgeschlossen
werden, wird der Patient regelmäßig kontrolliert und erst bei Anzeichen von Metastasen die Zytostatikatherapie begonnen. Eine retroperitoneale Bestrahlung zusätzlich
zur Lymphadenektomie ergibt in
diesen Fällen keine besseren Ergebnisse als die alleinige Lymphadenektomie.
Bei Nachweis von retroperitonealen Metastasen kann eine zytostatische Therapie eingeleitet werden.
Zusätzlich ist eine kleinfeldrige Bestrahlung der histologisch positiven Lymphknotenregion indiziert.
Eine ausgedehnte retroperitoneale
Bestrahlung sollte vermieden werden, da sich etwa 40 Prozent des
Knochenmarks im Strahlenfeld befindet und die radiogene Suppression eine Dosisreduktion der notwendigen Zytostatikatherapie erforderlich machen kann.
Eine Ausräumung der retroperitonealen Lymphknoten erübrigt sich
beim Chorionzellkarzinom wegen
seiner hämatogenen Metastasierung .
Bei
Chorionkarzinomen
und
Mischtumoren mit eherealen Anteilen, die wegen der frühzeitigen hämatogenen Metastasierung eine
schlechte Prognose haben, sollte
nach der Semikastration primär die
I>
Chemotherapie einsetzen.
DEUTSCHES ARZTEBLA'IT Heft 2 vom 8.Januar 1976 55
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Hodentumoren
Chemotherapie
In der Chemotherapie der Hodentumoren wird heute eine Kombination von chemotherapeutisch
wirksamen Substanzen verwendet,
die auf Grund ihrer unterschiedlichen Struktur einen differenten Angriffspunkt im Zellstoffwechsel haben und somit die verschiedenen
Phasen des Zellzyklus unterschiedlich beeinflussen, wodurch der therapeutische Index durch Steigerung der Absterberate von Tumorzellen erhöht und die Resistenzentwicklung verzögert werden. Durch
die unterschiedliche Toxizität der
einzelnen Verbindungen kann ihre
volle Dosis teilweise addiert werden. Zur Behandlung von Teratomen werden heute in der Reihenfolge ihrer Wirksamkeit zytostatische Antibiotika, Vinca-Alkaloide
und Antimetaboliten verwandt.
eine endgültige Heilung, die bei
disseminierten metastasierenden
Hodentumoren der Teratomklasse
nach zusammenfassenden Statistiken höchstens fünf bis zehn Prozent beträgt. Für die Erreichung eines Therapieerfolges ist die Durchführung der Lymphadenektomie
und ein möglichst frühes Stadium
zum Zeitpunkt der Operation ebenso wichtig wie ein möglichst frühzeitiger Beginn der Chemotherapie, da jenseits einer sogenannten kritischen Tumormasse eine erfolgreiche Behandlung nicht mehr
durchführbar ist.
Die Heilungserfolge (Rezidivfreiheit
über zwei Jahre) sind nach zusammenfassenden Statistiken für metastasierende Seminome mit 45 Prozent wesentlich günstiger.
Prognose
Alkylierende Zytostatika sind gegen Teratome weniger wirksam,
nehmen aber in der Behandlung
der Seminome eine führende Stellung ein.
Folgende Kombinationen haben
sich bewährt:
• Bei Teratomen: Actinomycin D,
Vinblastin (oder Vincristin), Arnethopterin, weniger Cyclophosphamid.
• In der Behandlung metastasierender Seminome wird wegen der
geringen Wirksamkeit auf Actinomycin D verzichtet.
Die Chemotherapie setzt nach heutigen Erkenntnissen nach vorausgegangener Semikastration und retroperitonealer Lymphknotenausräumung erst bei Vorliegen von
Metastasen ein. Die Wirksamkeit
beschränkt sich, abgesehen von
primär resistenten Fällen (27 Prozent), zumeist auf temporäre Tumorremissionen oder eine Verzögerung der Metastasenbildung. Die
lebensverlängernde Wirkung dieser
Substanzen steht daher im Vordergrund. Die Entwicklung einer sekundären Chemotherapieresistenz
verhindert in den meisten Fällen
56
Bei Anwendung aller therapeutischen Möglichkeiten ergibt sich für
das Seminom die günstigste Prognose. Die Fünfjahresheilung von
90 Prozent ist vor allem ein Erfolg
der Strahlentherapie.
Beim Embryonalzellkarzinom wird
eine Fünfjahresheilung in 40 Prozent erreicht, beim Teratokarzinom
ist die Prognose ähnlich.
Die radikale Lymphknotenausräumung verbessert die Prognose
auch bei Nachweis von Absiedlungen um 10 bis 20 Prozent. Männer
mit ausgedehnter Metastasierung
überleben zwei Jahre häufig nicht.
Patienten mit Chorionzellkarzinomen mit positivem Choriongonadotropinnachweis erreichen nur ausnahmsweise die Zweijahresgrenze.
Die meisten sterben innerhalb von
Jahresfrist.
Literatur beim Verfasser
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Jürgen Sökeland
Städtische Krankenanstalten
46 Dortmund 1
Westfalendamm 403-407
Heft 2 vom 8. Januar 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Diagnostik
Pseudosarkomatöse Fasziitis kann
ein angiographisches Gefäßmuster
aufweisen, das von dem eines Malignoms kaum zu unterscheiden ist.
Auch bestimmte gutartige Tumoren, besonders solche des Skeletts wie Riesenzelltumoren, aneurysmatische Knochenzysten, Osteoplastome, Osteoidosteome und
Morbus Paget können eine abnorme Vaskularisation aufweisen, die
einer Gefäßneubildung bei malignen
Tumoren täuschend ähnelt. Als malignitätsspezifisch einzig entscheidendes arteriographisches Kriterium gelten tumoreigene, neugebildete Gefäße, die letzten Endes
auch für die Tumoranfärbung sowie für arteriovenöse Kurzschlüsse
verantwortlich sind. Es sind Gefäße
mit mehr oder weniger winkligem,
jedenfalls unregelmäßigem, unberechenbarem Verlauf und starken
Kaliberschwankungen oder verknäuelte und gewundene, manchmal korkenzieherartig geformte
Gefäße in völlig regelloser Anordnung und Morphologie. he
(Schmoller,
Hj.:
Münch.
Wschr. 117 [1975] 985-990)
med.
Fibro-Myo-Adenome der paraurethralen Drüsen entwickeln 80 Prozent aller Männer zwischen 60 und
70 Jahren. Die Gewebsneubildungen mit überwiegend adenomatösem Anteil verdrängen das eigentliche Prostatagewebe, bis es kapselförmig das Adenom umgibt. Bei 30
bis 40 Prozent der Patienten führt
das Adenom zu Miktionsbeschwerden. Die Größe des Adenoms ist
dabei nicht immer ausschlaggebend; ohne besonderen Befund
kann totale Harnverhaltung eintreten. Konservative Therapie ändert
nichts an der pathologischen
Gewebsneubildung; Frühoperation
befreit hingegen den Patienten
noch vor einer möglichen Nierenschädigung von seinem Leiden.
Bei kleinem bis mittelgroßem Prostataadenom zeigt sich die transurethrale Elektroresektion anderen
Operationsverfahren überlegen. he
(Hertel, E.: Münch. med. Wschr.
117 [1975] 813-816)
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