Francesco Di Palma, Wolfgang Mueller (Hg.), Kommunismus und

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Francia­Recensio 2016/3
19.‒21. Jahrhundert ‒ Époque contemporaine
Francesco Di Palma, Wolfgang Mueller (Hg.), Kommunismus und Europa. Europapolitik und ­vorstellungen europäischer kommunistischer Parteien im Kalten Krieg, Paderborn (Ferdinand Schöningh) 2016, 276 S., ISBN 978­3­506­
77710­2, EUR 39,90.
rezensiert von/compte rendu rédigé par
Guido Thiemeyer, Düsseldorf
Die geschichtswissenschaftliche Forschung zu den politischen Parteien und ihrer Rolle im Kontext der europäischen Integration hat in den letzten Jahren eine Wendung genommen. Während einer ersten Phase der Forschung ging es vor allem darum, die Einstellung von einzelnen Parteien zur europäischen Integration zu untersuchen. Es entstand in diesem Kontext eine ganze Anzahl von Einzeluntersuchungen, die eine unabdingbare Voraussetzung für die zweite Phase der Forschung war. In dieser standen seit ca. fünf Jahren die grenzüberscheitenden Kontakte politischer Parteien im Rahmen der EWG/EG bis zur Gründung von europäischen Parteiföderationen in den 1970er Jahren im Zentrum des Interesses. Nun ging es nicht mehr primär um die europapolitischen Vorstellungen der Parteien, vielmehr rückten diese nun als eigenständige Akteure politischer Integration in das Blickfeld der Geschichtswissenschaft. Doch gibt es hier Ungleichgewichte: Während die Forschung über die sozialdemokratisch/sozialistischen und christdemokratisch/konservativen Parteien recht gut vorangeschritten ist, sind Arbeiten über die liberalen Parteien vergleichsweise rar. Das galt lange auch für die kommunistischen Parteien und die europäische Integration. In eben diese Lücke stößt der vorliegende Band, der Europapolitik und ­vorstellungen europäischer kommunistischer Parteien genauer untersucht. Der Band ist in zwei Teile gegliedert. Der erste beschäftigt sich mit den kommunistischen Parteien in Osteuropa zwischen den 1950er und 1980er Jahren, der zweite nimmt die westeuropäischen kommunistischen Parteien im gleichen Zeitraum in den Blick. Das ist prinzipiell sinnvoll, weil die strukturellen Voraussetzungen für die Parteien in beiden Teilen Europas im fraglichen Zeitraum grundsätzlich verschieden waren. In Osteuropa waren die kommunistischen Parteien in allen Staaten gleichzeitig auch die alleinigen Regierungsparteien, Staats­ und Parteispitze waren in der Regel identisch. Die Parteipolitik bestimmte daher auch die Außenpolitik des jeweiligen Staates, zumindest waren beide sehr eng miteinander verbunden. Welche Faktoren bestimmten die Europapolitik der osteuropäischen kommunistischen Parteien? Übereinstimmend betonen alle Beiträge die schwierige Rolle der Sowjetunion in diesem Kontext, die trotz vielfältiger Versuche der ostmitteleuropäischen kommunistischen Parteien, größere Handlungsspielräume zu erschließen, letztlich entscheidend blieb. Dabei nahm der Handlungsspielraum in Zeiten innenpolitischer Umbrüche in der Sowjetunion wie in der Mitte der Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative­Commons­Lizenz Namensnennung­Keine kommerzielle Nutzung­Keine Bearbeitung (CC­BY­NC­ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by­nc­nd/4.0/
1950er Jahre oder auch in der Zeit nach dem Tod Leonid Breschnews zu. Grundsätzlich aber war Moskau bestrebt, die Politik der ostmitteleuropäischen kommunistischen Parteien gegenüber der europäischen Integration zu lenken. Kontakte zur EWG/EG dienten den Satellitenstaaten auch dazu, sich von der Dominanz der Sowjetunion in wirtschaftlicher Hinsicht zu lösen. Wichtig war aber auch die Politik der EWG/EG selbst. Insbesondere die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) war von entscheidender Bedeutung für die ostmitteleuropäischen Staaten, die vor allem landwirtschaftliche Güter in die EWG exportierten. Der hohe gemeinsame Außenzoll ab den 1960er Jahren wirkte daher in Osteuropa als Exporthindernis. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Rolle der Bundesrepublik Deutschland. Vor allem in Polen, aber auch in Rumänien und Jugoslawien rückte der westdeutsche Staat in den 1970er Jahren in den Mittelpunkt der Außen­ und Handelspolitik, weil er als führend in der EG wahrgenommen wurde. Ganz anders war die Situation in Westeuropa. Hier waren die kommunistischen Parteien in der Opposition gegenüber der Regierung. Aus diesem Grund wurde ihre Position gegenüber der Europäischen Integration sehr viel stärker als in Osteuropa von ideologischen Prämissen geprägt, die jedoch nicht einheitlich waren. Während die Kommunistische Partei Frankreichs (PCF) sich streng an der von der KPdSU vorgegebenen Linie orientierte und die EWG/EG als vom US­amerikanischen Monopolkapital gesteuerte Organisation bekämpfte, entwickelte die italienische PCI ein pragmatisches Verhältnis zum Gemeinsamen Markt. Auch die spanischen Kommunisten, die die Zeit der Franco­
Diktatur im Exil in der DDR verbrachten, waren Anhänger des Beitritts ihres Landes zur EG. Insgesamt wird deutlich, dass die kommunistischen Parteien in Westeuropa sehr viel heterogener waren als im Osten. Der Eurokommunismus der 1970er Jahre wurde möglich, weil die Macht der KPdSU hier nur auf dem ideologischen Sektor präsent war, in politischer und vor allem militärischer Hinsicht war Moskau aus italienischer und spanischer Sicht weit weg.
Bemerkenswert ist in Ost­ und Westeuropa, dass die kommunistischen Parteien in der Regel die Autonomie des Nationalstaats gegenüber der supranationalen Integration im Rahmen der EWG/EG betonten. Der Nationalstaat blieb – entgegen der Theorie des Internationalismus – der wichtigste politische Bezugsrahmen. Konsequenterweise blieb daher auch die transnationale Kooperation von kommunistischen Parteien im Westen vollkommen aus, im Osten war sie stark erzwungen. Abgesehen von der ostdeutschen SED, die versuchte, über westeuropäische kommunistische Parteien Einfluss zu erlangen, blieben auch Kontakte über die Blockgrenzen hinweg die Ausnahme. Insgesamt liegt ein Band vor, der das Forschungsfeld sinnvoll erweitert und Aufsätze versammelt, die auf der Basis von Archivalien neue Erkenntnisse vermitteln.
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