Warum man sich mit GASTROENTEROLOGIE beschäftigen soll verfasst von Prim. Univ.-Prof. Dr. Rainer Schöfl KH Elisabethinen, Linz Einleitung Zugegeben, es gibt gefährlichere Krankheiten wie Herzinfarkt oder Hirnhautentzündung, aber wenige nehmen es hinsichtlich Häufigkeit und Lästigkeit mit Reflux, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung und Bauchschmerzen auf. Sodbrennen kennt praktisch jeder, ca. 20 % leiden regelmäßig darunter. Reizdarmsymptome werden von jedem fünften regelmäßig erlebt, ohne dass man deswegen unbedingt den Arzt aufsucht, dies tun nur ca. 5 % der Erwachsenen. Der Rest lebt damit oder hilft sich mit Hausmitteln. Einige Symptome sind durchaus häufig, werden aber gerne verschwiegen, vor allem anale Probleme wie Hämorrhoiden oder Inkontinenz sind noch immer tabuisiert. Krebserkrankungen des MagenDarm-Trakts, auch wenn sie zu den häufigsten Arten von Krebs gehören, sind im Vergleich zu gastrointestinalen Funktionsstörungen relativ selten, aber es ist nicht ganz leicht, sie anhand von Symptomen aus der großen Menge der harmlosen Störungen zu fischen. Von gar nicht so wenigen gastrointestinalen Erkrankungen, etwa den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, kennen wir die wahre Ursache noch nicht. Auch liegen physiologische und pathophysiologische Grundlagen noch teilweise im Dunkeln, wenn wir an das „Darmhirn“ und seine Zwiesprache mit dem Gehirn, die Regelung von Blutzucker und Sättigungsgefühl aus dem MagenDarm-Trakt oder die Darmflora denken. Jede Fortbildung konfrontiert uns mit neuen Tests, der Forderung nach umfassender Durchuntersuchung und komplizierten Abklärungsalgorithmen, die oft eher der Klinik und dem Spezialfall, aber nicht der Allgemeinpraxis gerecht werden. Dort sollen wir aber den vielen mit ihren Problemen helfen, indem wir die wenigen mit gefährlichen Erkrankungen identifizieren und für die anderen belastungsarm und kostenbewusst eine korrekte Diagnose stellen. Dabei kann man mit einfachen Fragen, den eigenen Sinnen und ganz wenigen Tests differentialdiagnostisch sehr weit kommen. Wie, das versucht der folgende Artikel darzustellen. Sodbrennen Ca. 20 % der Erwachsenen verspüren zumindest einmal im Monat Sodbrennen oder saures Aufstoßen. Ob alle unter dem Begriff Sodbrennen das selbe verstehen, ist fraglich, deshalb ist eine präzise Beschreibung sinnvoll: Es handelt sich um brennende Schmerzen hinter der unteren Hälfte des Brustbeins und in dessen Umgebung bis ins Epigastrium, die gerne durch reiche Nahrung und manche Getränke ausgelöst werden und nach wenigen Schluck Wasser verschwinden. Begleitendes saures Aufstoßen mit saurem Geschmack im Rachen und Zungengrundbereich erleichtert die Diagnose. Eine koronare Ischämie muss, wenn die Patienten Sodbrennen nicht klar identifizieren können, zuerst ausgeschlossen werden (belastungsabhängiger Schmerzcharakter; EKG, Troponin-T, Ergometrie). Eine Endoskopie hilft differentialdiagnostisch nicht weiter, weil zwei Drittel der Menschen mit gastroösophagealer Refluxkrankheit (gastroesophageal reflux disease – GERD) einen unauffälligen endoskopischen Befund aufweisen (non-erosive reflux disease NERD) und nur ein Drittel erosive entzündliche Veränderungen zeigt (erosive reflux disease – ERD). Aber auch die Diagnose ERD in der Endoskopie hilft differentialdiagnostisch nicht weiter, weil manchmal zwei Krankheiten nebeneinander (GERD und z. B. KHK) vorliegen können. Der sinnvolle diagnostische Test ist eine zweiwöchige Probetherapie mit täglicher, morgendlicher Gabe einer Standarddosis eines Protonenpumpen- hemmers (PPI). Die deutliche Besserung oder das Verschwinden der Symptome beweist die Diagnose. Eine pH-Metrie ist selten indiziert, beispielsweise bei ungenügendem Ansprechen der Behandlung sowie vor und nach laparoskopischer Fundoplicatio zur Qualitätskontrolle. Eine Manometrie und Videocinematographie wird zur Abklärung von Schluckstörungen, nicht-kardialen Thoraxschmerzen und vor Fundoplicatio, aber nicht zur Standardabklärung der Refluxkrankheit benötigt. Die Diagnose der gastroösophagealen Refluxerkrankung erfolgt durch Beurteilung des Ansprechens auf eine zweiwöchige Probetherapie mit einem Protonenpumpenhemmer in Standarddosis. Der Wert der Ösophago-Gastro-Duodenoskopie (ÖGD) liegt im Erkennen schwerer Formen der Refluxerkrankung mit Erosionen (ERD), die eine notorische Neigung zum Rezidiv haben, und des Barrettösophagus (BE) wegen seines kleinen, aber relevanten malignen Potentials (0,1-0,5 % pro Jahr). Daher soll jeder Patient mit anhaltenden oder wiederkehrenden, nennenswerten Refluxsymptomen zumindest einmal im Leben zur ÖGD zugewiesen werden. Patienten mit Barrett-Ösophagus sollen heute in ein endoskopisches Überwachungsprogramm mit ÖGD alle 3-5 Jahre aufgenommen werden. Wenn der Verdacht besteht, dass Heiserkeit oder Bronchitis durch Reflux hervorgerufen werden (was ohne gleichzeitiges Vorliegen von Sodbrennen oder saurem Aufstoßen selten ist), dann muss die Probetherapie mit dem PPI in doppelter Standarddosis auf acht Wochen ausgedehnt werden. Nicht-refluxtypische Brustschmerzen werden nach Ausschluss einer KHK unter dem Begriff „nicht-kardialer Thoraxschmerz“ zusammengefasst. Häufig liegen Motilitätsprobleme des Ösophagus zugrunde (Ösophagospasmen, Achalasie ...), daneben auch spondylogene und psychosomatische Ursachen. Die Abklärung benötigt neben einer ÖGD u.a. eine Videocinematographie und Manometrie und gehört in eine spezialisierte Institution. Dasselbe gilt für die Schluckstörung oder Dysphagie. Hier sollte eine zügige ÖGD angestrebt werden, um ein eventuelles Malignom rasch zu erkennen. Ein ganz spezielles Problem stellt das „Knödelgefühl“ im Hals oder Globusgefühl dar. Dahinter kann Reflux stecken, aber auch Larynx- oder Schilddrüsenprobleme und nicht zuletzt Ängste und Überlastung. Daher ist hier eine interdisziplinäre Abklärung bei Spezialisten notwendig, wenn eine Probetherapie mit PPI und SSRI nichts bringen. Bauchschmerzen Jeder kennt sie, kann meist ganz gut zwischen harmlos und bedenklich unterscheiden, aber ein systematischer Zugang ist schwierig, weil er selten den Unterschieden in Zeit, Charakter und Intensität des Auftretens und den verschiedenen begleitenden Symptomen gerecht wird. Mir erscheint als erster Schritt eine Unterteilung nach der Zeit in perakut (Stunden bis Tage), akut (bis 2 Wochen) und chronisch (länger als 2 Wochen) hilfreich. Die Intensität zwischen unangenehm und vernichtend wird am besten zusam- men mit der Palpation des Bauches gewertet. Erhöhte Bauchdeckenspannung und Loslassschmerz als Ausdruck der peritonealen Reizung bis Entzündung sind ein Warnhinweis, bei bretthartem Bauch ein Grund zur sofortigen stationären Abklärung. Fehlende oder metallische Darmgeräusche weisen auf einen mechanischen Ileus hin. Eine besondere Form des Schmerzes ist die Kolik, der Charakter ist krampfartig, unbehandelt hält sie stundenlang an und löst sich am besten auf Parasympatholytika wie Buscopan®. Koliken sind Ausdruck eines überdehnten Hohlorgans wie Darm, Nierenbecken, Ureter oder Gallenblase durch Verlegung des Abflusses. Dann ist es noch sinnvoll, den Begriff der Alarmsymptome einzuführen: Gewichtsverlust, Blut im Harn oder Stuhl oder Bluterbrechen, Schluckstörungen oder anhaltendes Erbrechen und Fieber sollen eine invasive Abklärung rasch indizieren, im Fall einer sichtbaren Blutung am selben Tag, sonst innerhalb weniger Tage. Da kann es sinnvoll sein, sich als Praktischer Arzt aktiv gegen die Trägheit so mancher intra- und extramuraler Systeme durchzusetzen und auf die zeitgerechte endoskopische Diagnostik zu drängen. Akute Bauchschmerzen ohne alarmierende Begleitsymptome können unter den genannten Vorsichtsmaßnahmen probeweise symptomatisch behandelt werden. Wenn sie sich nicht bessern, ist es Zeit zur weiteren Abklärung. Verschiedene Modalitäten des Auftretens wie die Kombination mit Durchfall, Blähungen oder Verstopfung, das rasche oder verzögerte postprandiale Auftreten oder die Veränderung mit dem Stuhlgang sowie die Lokalisation lassen uns differentialdiagnostisch eingrenzen. Bei Schmerzen im Epigastrium denken wir zuallererst an den Magen. Aber auch die Galle und das Pankreas können verantwortlich sein. Während Magenschmerzen rasch nach dem Essen verstärkt werden, treten biliopankreatische oder dünndarmbedingte Schmerzen mit meist 1-2 Stunden Verzögerung auf. Der rechte Oberbauch lässt an Galle, Pankreas und Duodenum denken, der Mittelbauch an Pankreas und Dünndarm, der Colonrahmen an den Dickdarm. Im lin- ken Oberbauch schmerzen Magen, Pankreasschwanz und Milz, letztere typisch atemabhängig und bei Infarzierung mit peritonealem Reiben. Im linken Unterbauch ist die sigmoidale Divertikelerkrankung der erste Gedanke, die Adnexe der Frau soll man aber nicht vergessen (Tubaria, Adnexitis, stielgedrehte Zyste), ebenso wie den Ureter und die Blase, letztere mehr in der Medianen. Das gilt natürlich auch für den rechten Unterbauch, nur nimmt dort die Appendizitis die Rolle der Divertikel ein (Tab. 1). Auf Ausstrahlungen aus benachbarten Teilen des Körpers (Koronarien, Aorta, Die Abklärung von perakuten oder sich auf symptomatische Therapie nicht bessernden akuten und chronischen Bauchschmerzen beginnt typischerweise mit einer Blutabnahme und Harnanalyse. CRP oder BSG, Leukozyten und Hämoglobin geben uns einen ersten Eindruck vom Entzündungsgeschehen und Blutverlust, bei Verdacht auf biliopankreatische Ursachen benötigen wir zusätzlich Schmerzen im rechten Oberbauch • Gallensteine, Cholezystitis oder Cholangitis • Dyskinesie des Sphinkter Oddi • Pankreatitis oder Pankreaskarzinom • Duodenitis oder Duodenalulkus • Colitis, Colontumor Schmerzen im rechten Unterbauch • Appendizitis • Adnexitis, Ovarialzyste, Tubaria • rechtsseitige Colitis, Colontumor • Ureterstein • Coxarthritis Schmerzen im Epigastrium • Reizmagen, Gastritis oder Magenulkus • Duodenitis oder Duodenalulkus • Magentumor • Pankreatitis oder Pankreaskarzinom • Gallensteine, Cholezystitis oder Cholangitis Schmerzen im mittleren Unterbauch • Zystitis • Uterus • Divertikulitis • Appendizitis Schmerzen im linken Oberbauch • Reizmagen, Gastritis oder Magenulkus, Magentumor • Pankreatitis oder Pankreaskarzinom • Milzinfarkt • Colitis, Colontumor • Pyelonephritis oder Stein im Nierenbecken oder Ureter Schmerzen im Mittelbauch • Pankreatitis oder Pankreaskarzinom • Dyskinesie des Sphinkter Oddi (pankreatischer Teil) • Enteritis • Colitis, Colontumor (entlang des Colonrahmens) • mesenteriale Durchblutungsstörungen (arteriell und venös) • Aortendissektion Tab. 1 Perikard, Pleura, Niere, Wirbelsäule) muss man aufpassen, kardiale und pleuritische Schmerzen strahlen manchmal in den Oberbauch, Niere und Ureter in die Flanken, die Wirbelsäule überallhin. Schmerzen im linken Unterbauch • Divertikulitis • Proktosigmoiditis, colorektaler Tumor • Adnexitis, Ovarialzyste, Tubaria • Ureterstein • Coxarthritis Lipase, Amylase, GOT, GPT und alkalische Phosphatase. Bei Verdacht auf ischämische Ursache sind auch die LDH und der Säure-BasenStatus als Nekrosehinweise hilfreich. Eine Sonographie kann den Verdacht deutlich fokussieren: ausgeweitete Gallenwege, eine wandverdickte Gallenblase, ein Tumor, die sichtbare Appendix, verdickte Darmwandabschnitte, vergrößerter Aortendurchmesser oder Aszites bringen uns ein gutes Stück weiter. Nun kommt bei akuten Beschwerden meist das KM-CT (bei KI das MRI) zum Einsatz, bei chronischen Beschwerden zuerst die Endoskopie von oral (ÖGD) und/oder von anal (Coloskopie), je nach Schmerzlokalisation und -modalität. Damit sollte man in aller Regel alle organischen gefährlichen Krankheiten erfassen. Häufig stellt sich in der Allgemeinpraxis bei chronischen Beschwerden das Problem, Reizdarmsymptom und harmlose Nahrungsmittelunverträglichkeiten gegen relevante organische Krankheiten abzugrenzen. Diese sind in der Regel durch Entzündung und damit Leukozyten im Stuhl charakterisiert. Ein neuer einfacher Test dafür ist die Bestimmung von Calprotectin im Stuhl. Ein Wert über 50 µg/g weist auf vermehrte Stuhl-Leukozyten und damit eine nennenswerte Entzündung im Magen-Darm-Trakt hin. Allerdings werden damit Entzündungen von Leber, Galle und Pankreas und natürlich auch Milz und Niere nicht erfasst. Funktionelle Störungen wie Reizmagen oder Reizdarm haben typischerweise normale Calprotectinwerte und können erstmal beruhigt symptomatisch behandelt werden. Dieser Test, der bereits pra- xistauglich ähnlich einer Blutzuckerbestimmung angeboten wird, sollte Einzug in die Allgemeinpraxis halten, um gezielte Zuweisungen zur invasiven Abklärung zu ermöglichen und überflüssige teure Tests zu vermeiden. Die definitive Diagnose eines Reizmagens kann gestellt werden, wenn die Beschwerden seit mindestens sechs Monaten vorhanden sind, davon mindestens über drei Monate auftraten, eine deutliche Abhängigkeit von der Nahrungsaufnahme besteht und keine Alarmsymptome nachweisbar sind. Eine ÖGD zum Ausschluss eines Malignoms ist aber ab dem 40. Lebensjahr verpflichtend. Die definitive Diagnose eines Reizdarms kann gestellt werden, wenn die Beschwerden seit mindestens sechs Monaten vorhanden sind, davon mindestens über drei Monate auftraten, eine deutlicher Zusammenhang mit Stuhlveränderungen (Durchfall oder Verstopfung) besteht und keine Alarmsymptome nachweisbar sind. Eine Coloskopie zum Ausschluss eines Malignoms ist aber zumindest ab dem 40. Lebensjahr notwendig. (Details siehe Rom III Kriterien). Hier ist als Ergänzung die Calprotectin-Messung im Suhl zum rechtzeitigen Erkennen einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung (CED: Mb. Crohn, Colitis ulcerosa u.a.) besonders wertvoll. Durch die Calprotectinbestimmung im Stuhl können organische Darmerkrankungen von funktionellen Störungen differenziert werden. Bei jüngeren Patienten kann damit eine invasive Durchuntersuchung eingespart werden. Die Einführung des Tests in der Allgemeinpraxis sollte gefördert werden. Nahrungsmittelunverträglichkeiten und -allergien werden im Kapitel Durchfall abgehandelt, da die Symptome Schmerz und Durchfall dabei häufig kombiniert auftreten. Übelkeit Übelkeit und seine Steigerungsform, das Erbrechen, sind vieldeutige Zeichen. Als Symptom wenig spezifisch, lässt sich damit selten eine Diagnose machen. Zum Glück für den Diagnostiker begleiten sie häufig Erkrankungen, z.B. solche des Magens, Darms, der Leber, Gallenblase und des Pankreas, aber auch der Niere. Ihre Ursache können Medikamente, Drogen und Toxine, zerebrale Krankheiten, koronare Ischämie aber auch Depressionen sein. Wenn Übelkeit alleine auftritt, wird es schwierig. Akute Symptome behandelt man über Tage symptomatisch, halten sie an und findet man keine spezifischen Begleitsymptome wie Durchfall, Ikterus, auf Organe hinweisende Schmerzen, neurologische Ausfälle oder Medikamente als Erklärung, so bewährt sich folgendes Vorgehen (Tab. 2): Ursachen und Abklärung anhaltender Übelkeit • Schwangerschaft 웁-HCG • Kardiovaskuläre Ursache Schellongtest, KHK-Abklärung • Obstipation, probeweise Stuhlregulierung • Medikation überprüfen probeweise absetzen • Suchtmittel inkl. Alkohol Karenz Labor, abdominelle Sonographie, ÖGD • Neurologie inkl. CCT/MRI • Psychosomatik Tab. 2 Nach Ausschluss akuter Herz-Kreislaufprobleme (RR, EKG, TroponinT, bei speziellem klinischen (anamnestischen) Verdacht auch Ergometrie, Schellongtest, 24-h-EKG und 24-h-RR) denken wir vor allem beim älteren Patienten an die Obstipation als Ursache und beginnen eine Stuhlregulierung, dann überprüfen wir die Medikation (Opiate, NSAR, Psychopharmaka, Suchtmittel inkl. Alkohol etc.). Wurden wir bis hierher nicht fündig, wird eine Laboruntersuchung (Leber, Pankreas, Nierenfunktion, Elektrolyte), abdominelle Sonographie und ÖGD durchgeführt. Findet sich auch da keine Erklärung, folgt eine neurologische Begutachtung mit einem MRI des Gehirns. Schließlich folgt eine psychologische Exploration und eventuelle Probetherapie mit Psychotherapie oder SSRI. Durchfall Wie schon die anderen Symptome, so ist auch akuter Durchfall sehr häufig und meist harmlos und wir beschränken uns nach der Anamnese (Reise, Umgebungserkrankungen, Haustiere, Nahrung, Medikamente, Allergien) auf eine Stuhlkultur (mehr aus seuchenhygienischen Gründen, die Sensitivität ist gering), eventuell eine Virus-PCR (Noro, Rota) und ausreichende Flüssigkeitsgabe oral oder intravenös. Bei Antibiotika-Anamnese, im Alter und Unterbringung in Heimen oder im Spital ist auch ein Nachweis auf CD-Toxin A+B sinnvoll, da es eine spezifische Therapie gäbe. Bei blutigem Durchfall oder hohem Fieber ist eine ungezielte antibiotische Therapie zu erwägen. Von chronischem Durchfall sprechen wir ab einer Dauer von vier Wochen und mehr als drei Stuhlgängen verminderter Konsistenz pro Tag (der Goldstandard wäre die Stuhlgewichtsbestimmung, die wegen mangelnder Praktikabilität und Akzeptanz aber wissenschaftlichen Fragen vorbehalten ist). Dann setzen eingehende Abklärungsalgorithmen ein. Zu diesem Zeitpunkt ist eine infektiöse Ursache bereits recht unwahrscheinlich, da Infekte meist selbstlimitierend verlaufen. Ausnahmen sind Protozoen und Helminthen als Auslöser (Lamblien, Amöben, Würmer) und Erkrankungen von immungeschwächten Personen (Chemotherapie, Immunsuppression, kongenitale Immunmangelsyndrome, AIDS ...). Osmotische Diarrhoe – Ursachen und Abklärung KH-Malabsorption (Laktose, Fruktose, Sorbit) H2-Atemtests Bakterielle Überwucherung (SIBO = small intestinal bacterial overgrowth), tropische Sprue Glukose-H2-Atemtest, Nachweis von Divertikel, blind loops, Fehlen der Bauhin-Klappe Zöliakie (einheimische Sprue, Glutenunverträglichkeit; Allergie vom Spättyp) EMA (endomysiale Antikörper), TTG (Gewebstransglutaminase) im Serum, evtl. Duodenalbiopsie Exokrine Pankreasinsuffizienz Elastase im Stuhl Kurzdarmsyndrom Anamnese, MR/CT-Enteroklysma, Citrullin i.S. Lambliasis Duodenal-Saftaspirat, -biopsie Innere Fistel (häufig bei Mb.Crohn, dann Mischform mit sekretorischer D.) Enteroklysma Mb. Whipple, Immundefizienz (angeboren oder erworben), Dünndarmlymphom Duodenalbiopsie inkl. PCR und T-Zell-Re-Arrangement Osmotische Laxantien bewusst („Faktitia“) und unbewusst Anamnese, Stuhlelektrolyte Tab. 3 Der sinnvolle erste Schritt in der ätiologischen Abklärung einer chronischen Durchfallserkrankung ist ein zwölfstündiger Fastentest. Sistiert der Durchfall vollständig, so handelt es sich um eine osmotische Diarrhoe, deren Ursachen in der Tab. 3 angeführt sind. Geht der Durchfall trotz Fasten weiter, wobei er sich in der Menge reduzieren kann, so handelt es sich um eine sekretorische Diarrhoe, deren Ursachen in Tab. 4 aufgelistet sind. Man sieht, dass eine endoskopische Abklärung des Dickdarms nur bei sekretorischer Diarrhoe notwendig ist, andererseits Funktionstests nur bei osmotischer Diarrhoe, vor allem aber halbieren sich die Differentialdiagnosen durch diese einfache Maßnahme des Fastentests sofort. Osmotischer Durchfall ist meist fieberfrei und schmerzarm, dafür mit Blähungen und voluminösem, flockigen Stuhl verbunden. Eine gestörte Fettverdauung wie bei exokriner Pankreasinsuffizienz produziert fetten Stuhl. Wenn die Dünndarmwand krank ist, kommt es zu Malabsorption, damit Gewichtsverlust und Mangelerscheinungen, während die sekretorische Diarrhoe vor allem Elektrolyt- und Volumsprobleme mit sich bringt. Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED, Mb. Crohn und Colitis ulcerosa, im weiteren Sinn auch Zöliakie und mikroskopische Colitis inkl. Kollagencolitis), äußern sich typischerweise in einer sekretorischen Diarrhoe, können aber auch osmotische Diarrhoeformen zeigen, etwa bei Laktoseintoleranz (bei Mb. Crohn sehr häufig), Kurzdarm (meist durch mehrfache Resektionen bei Mb. Crohn) oder Malabsorption (wie bei Zöliakie). Calprotectin ist bei den erosiventzündlichen Formen erhöht. Die Abklärung erfordert eine Coloskopie mit Biopsie multipler Darmabschnitte und eine Dünndarmmorphologie durch Kapselendoskopie oder MR- bzw. CT-Enteroklysma (Verfügbarkeit vs. Strahlenbelastung), bei Oberbauchbeschwerden oder Malabsorption auch eine Gastroskopie mit Dünndarmbiopsie. Typisch für den aktiven Mb. Crohn sind erhöhtes CRP, Thrombozytose und eine gemischte Anämie (Blutung + Eisenmangel + chronische Entzündung + Vitamin-B12-Mangel), Anti-Sacharomycescerevisiae-Antikörper (ASCA) helfen selten weiter. Da auch makroskopisch un- Sekretorische Diarrhoe – Ursachen und Abklärung Infektion Stuhlkultur (Campylobacter, Salmonellen Shigellen, Yersinien), Toxinnachweis (Clostridien), Serologie (Amöben, Salmonellen), Coloskopie mit Biopsie, Verlaufsbeobachtung Mb. Crohn, Colitis ulcerosa, NSAR-C., ischämische C., mikroskopische C. (Kollagencolitis, lymphozytäre C., eosinophile C.) Coloskopie mit Biopsien, Verlaufsbeobachtung Medikamente (Antibiotika, Metformin, Psychopharmaka u.v.a.) und Toxine (z. B. Alkohol, Strahlen) Anamnese und Auslassversuch Hormonelle Ursachen (Histaminunverträglichkeit, Hyperthyreose, Karzinoid, Gastrinom, VIPom ...) Anamnese, TSH, 5-Hydroxy-Indolessigsäure, VIP, Gastrin, Chromogranin A Allergien vom Soforttyp IgE, Eosinophilie, Haut-Pricktest, RAST, doppelblinde Provokation Reizdarm Anamnese (Rom III - Kriterien) Gallensäureverlustsyndrom Probetherapie mit Quantalan® Abführmittel vom Anthrachinontyp („Faktitia“) NaOH-Stuhltest Tab. 4 auffällige Darmabschnitte befallen sein können, sind die routinemäßigen Biopsien aus allen Darmabschnitten (terminales Ileum, rechtsseitiges und linksseitiges Colon und Rektum) diagnostisch unverzichtbar, besonders auch für die mikroskopischen Formen der Colitis wie der Kollagencolitis. Die Colitis ulcerosa hat seltener systemische Entzündungszeichen, dafür häufiger blutige Durchfälle und Fälle toxischen Megacolons. Auch hier helfen die Anti-Neutrophilen-Centromer-Antikörper (ANCA) nur wenig weiter. Auf die notwendige Überwachung chronischer Colitiden wegen des Malignomrisikos wird hier nicht eingegangen. Auch bei Durchfall hilft die Bestimmung von Calprotectin im Stuhl weiter, weil erosive Formen pathologisch testen, während Stuhlproben von Patienten mit Reizdarm und Nahrungsmittelunverträglichkeit typischerweise im Normbereich liegen. Nahrungsmittelunverträglichkeiten sind extrem häufig (ca. 50 % der Bevölkerung), sie können mit Durchfall, Blähungen oder Bauchschmerzen einhergehen. Die häufigste Form ist die Fruktosemalabsorption, gefolgt von der Laktoseintoleranz und der Histaminintoleranz. Daneben gibt es eine Reihe weniger gut definierter individueller Unverträglichkeiten (Zwiebel, Hülsenfrüchte, Kohl, Brot ...). Dagegen sind Nahrungsmittelallergien mit einer IgE-vermittelten Entzündungsreaktion Minuten nach Exposition mit ca. 1-2 % der erwachsenen Bevölkerung relativ selten; die häufigsten verantwortlichen Allergene sind Meeresfrüchte und Fische, Nüsse, Sellerie, verschiedene Gewürze, Kuhmilch und Hühnereier. Meist gehen die gastrointestinalen Symptome mit Rhinitis, Konjunktivi- tis, Urticaria oder Asthma einher. Ohne diese Begleitsymptome ist die Diagnose nicht leicht. Gesamt-IgE und Eosinophilie im Differentialblutbild geben erste Hinweise, Pricktests auf die häufigsten Allergene dienen dem Screening und RASTs gegen verdächtige Nahrungsmittelgruppen erbringen dann den Beweis. Im Zweifelsfall braucht es eine aufwändige, doppelblinde Provokation stationär und über mehrere Tage. Ein Sonderfall einer genetisch determinierten Allergie ist die Zöliakie oder einheimische Sprue als Reaktion vom Spättyp, die zur Entstehung und Regeneration Wochen bis Monate benötigt und von T-Zellen vermittelt wird. Neue serologische Marker (EMA, TTG) gemeinsam mit der Duodenalbiopsie, klassifiziert nach Marsh, erlauben eine recht genaue Diagnose. Namensgleich, aber pathogenetisch ganz anders entstanden ist die tropische Sprue, eine chronisch destruierende Dünndarmentzündung durch Überwucherung von Keimen in den Tropen, die man nur durch monatelangen Aufenthalt und landesübliches Ernährungsverhalten erwirbt. Manchmal braucht es auch Zeit für Beobachtung. Die Diagnose Reizdarm wird mit zunehmender Beobachtungszeit immer wahrscheinlicher. Chronisch entzündliche Darmerkrankungen lassen oft erst nach Jahren zwischen Mb. Crohn und Colitis ulcerosa unterscheiden. Manchmal bezeichnen Patienten aus Unwissen oder Scham als Durchfall, was in Wirklichkeit eine Schwäche des Analsphinkters ist. Typisch wären ein normales Stuhlgewicht, häufige Defäkationen, ein schlaffer Sphinkter bei der rektaldigitalen Untersuchung und reduzierter Spontan- und Kneifdruck in der Analmanometrie. Blähung Blähungen entstehen durch übermäßige Gasproduktion der bakteriellen Flora im Dünn- oder Dickdarm. Oft begleiten sie osmotische Diarrhoen wegen des vermehrten Substratangebots an die Darmbakterien, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Überwuchern der Darmbakterien, verlangsamten Transit und Obstipation. Eine Objektivierung oder Quantifizierung durch Tests ist kaum möglich. Meist wird die Diagnose im Nachhinein durch erfolgreiche Probetherapie zugrundeliegender Störungen geliefert oder ein Ernährungs- und Beschwerdetagebuch lässt den diätetischen Auslöser finden. In Zukunft wird ein besseres Verständnis der normalen und pathologischen Darmflora eine differenziertere Diagnose und in der Folge Therapie erlauben. Davon abzugrenzen sind Aufstoßen und Rülpsen durch Magenentleerungsstörungen, kohlensäurehältige Getränke oder Luftschlucken. Verstopfung Definiert als Stuhlgang seltener als einmal in drei Tagen, mit vermehrter Konsistenz und Schmerzen, sowohl durch die Retention als auch beim Absetzen des Stuhls, handelt es sich um eine sehr häufige Störung, die eher im Alter, bei Frauen und bei pedantischen oder zwänglichen Persönlichkeiten auftritt. Ursachen können ein Reizdarmsyndrom, konstitutionelle Faktoren (Persönlichkeitstyp, Depression), reduzierte Peristaltik (Alter, Bettlägrigkeit, Medikamente, Elektrolytstörung, Wassermangel ...) oder Hindernisse der Passage (Tumor, Deszensus ...) sein. Zur Diagnose genügt die Anamnese. Die Objektivierung geschieht nur ausnahms- weise durch Colontransitzeitbestimmung (röntgendichte Marker zum Schlucken über Tage, dann Abdomenleer-Röntgen), endoskopischen Ausschluss eines Tumors, Defäkographie zum Nachweis einer rektosigmoidalen funktionellen Störung, bei Verdacht auf generelle Motilitätsstörungen evtl. auch durch nuklearmedizinische Magenentleerungszeitmessung und orocoecale Transitzeitbestimmung im Laktulose-H2Atemtest. Diese Tests sind mit Ausnahme der Coloskopie aber selten von Nöten. Anale Beschwerden Inkontinenz, Nässen, Bluten, Schmerzen, Prolaps – die Symptome sind zahlreich und häufig in dieser noch immer tabuisierten Gegend unseres Körpers. Ebenso ist es mit den Ursachen: Ernährung, Hämorrhoiden durch erhöhten intraabdominellen Druck, Fisteln bei Mb. Crohn, Fissuren durch Obstipation, Deszensus, Prolaps, übertriebene oder vernachlässigte Hygiene, sexuelle Präferenzen und vieles mehr können verantwortlich sein. Die Erkrankungen überlappen mit dermatologischen und venerologischen Problemen. Eine eingehende und sensible, auch intime Anamnese, Inspektion, rektal-digtale Untersuchung und starre Proktoskopie sind die Grundlagen der Abklärung. Bedarfsweise erweitert man dann schon fokussiert mit Manometrie, Fistulogra- phie, Endosonographie, Kernspintomographie, Coloskopie und Enteroskopie oder Ernährungsanamnese. Den gemischten chirurgischen, dermatologischen und gastroenterologischen Aspekten der Krankheiten ist oft nur schwer gerecht zu werden. Zusammenfassung Eine Diagnose im Bauchraum zu stellen gleicht einem mehrdimensionalen Puzzle. Einerseits Schmerz mit seinen verschiedenen Modalitäten, seiner verschiedenen Intensität und Lokalisation, andererseits verändertes Stuhlverhalten zwischen Durchfall und Obstipation, ebenfalls mit verschiedenen Modalitäten wie osmotisch oder sekretorisch, mit oder ohne Malabsorption oder systemische Entzündungszeichen und viele anamnestische und physikalische Details mehr sind die Steine, das Kombinationsvermögen des Arztes aber braucht es um daraus ein sinnvolles Bild zu bauen. So wie man sich beim Puzzle nach Form oder Farbe orientiert, besonders merkwürdige Farben oder Formen herausnimmt oder einfach nur durchprobiert, so kann man sich in der Diagnostik der abdominellen Erkrankungen am Schmerz oder am Stuhlverhalten orientieren, seltene Symptome besonders werten (z. B. Ikterus) oder einfach einmal eine oder mehrere Probebehandlungen durchprobieren. Systematisches Abarbeiten von Differentialdiagnosen oder intuitive Probethera- pie sind zwei verschiedene, durch die Symptomlage aber auch die Arztpersönlichkeit bestimmte Zugänge zur Diagnose. Wenn immer möglich, sollte – zumindest für mich als analytischen Typ – der systematische Zugang gewählt werden, nur wenn keine Beweisführung durch einfache Tests möglich ist, geht’s ans Ausprobieren einer Behandlung der wahrscheinlichsten Hypothese. Das ist aber nur akzeptabel, wenn man die Differentialdiagnosen kennt und die Richtlinien befolgt. Spannend ist das Thema für den Allgemeinmediziner aber allzumal, weil wir häufigen Erkrankungen mit den einfachen Mitteln der Anamnese und der physikalischen Untersuchung und recht wenigen einfachen Tests zu Leibe rücken und in vielen Fällen mit wenig Aufwand eine Diagnose stellen können. Wenn Ihnen der Artikel hilft, so freut es mich, wenn Sie darin Fehler entdecken oder etwas anders sehen, schreiben Sie mir einfach ([email protected]), ich bin Ihnen dankbar, denn so können wir erfahrungsbasiertes Wissen weiterentwickeln und uns vom Druck der evidenzbasierten Medizin etwas befreien. Letztere soll nicht missachtet werden, ihre Kenntnis ist Goldes wert, aber auch Hausverstand und Vernunft, persönliche Erfahrung und Bauchgefühl haben ihren, in letzter Zeit etwas unterschätzten Wert.