Hautkrankheiten Wechselwirkung zwischen Haut und Psyche

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Hautkrankheiten
Wechselwirkung zwischen
Haut und Psyche
Stress, Depressionen, Ängste oder soziale Defizite beeinflussen
psychosomatische Psychosen. Daher kann auch Psychotherapie
dazu beitragen, die Hautsymptomatik zu verbessern.
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ie Haut wird im Volksmund oft als
„Spiegel der Seele“ bezeichnet.
Auch Redewendungen, wie „das
geht einem unter die Haut“, „das juckt
mich nicht“ oder „das ist zum aus der
Haut fahren“, weisen auf die enge Verbindung von Haut und Psyche hin. Die
Haut, das größte Organ des Menschen,
kann Gefühle darstellen. Dazu bedient
sie sich einer eigenen Sprache. So löst
beispielsweise Furcht eine Gänsehaut
aus, Scham lässt erröten, Angst treibt
uns den Schweiß auf die Stirn. Diese
Reaktionen der Haut auf heftige
Gemütsbewegungen erklärt Prof. Dr.
med. Uwe Gieler von der Klinik für
Psychosomatik und Psychotherapie an
der Universität Gießen so: „Die Haut
und das zentrale Nervensystem haben
den gleichen entwicklungsgeschichtlichen Ursprung – beide bilden sich beim
Menschen aus den gleichen Anlagen.“
Doch die Sprache des Organs Haut
wird häufig nicht verstanden. Dabei wäre genau dies dringend nötig. Denn
Hautkrankheiten sind sehr verbreitet
und nehmen immer mehr zu. In den vergangenen Jahrzehnten sind einige
Hautkrankheiten wie Psoriasis und
Neurodermitis (atopische Dermatitis)
bereits zu Volkskrankheiten geworden.
Etwa acht Prozent der Bevölkerung leiden darunter. Besonders bei Kindern
treten Hautkrankheiten und Allergien
immer häufiger auf. Bereits jedes vierte
Kind ist von Neurodermitis betroffen.
Hautkrankheiten wie Neurodermitis,
Psoriasis, Akne, Herpes, Kontaktekzem
und Nesselsucht werden als „psychosomatische Dermatosen“ bezeichnet, weil
sie somatisch gegeben,aber psychisch beeinflussbar sind. Sie sind meist genetisch
veranlagt. Doch darüber, ob und wann
die Krankheit ausbricht, wie sie sich ma-
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nifestiert und wie lange sie andauert, entscheiden viele andere Faktoren mit, unter anderem Chemikalien, mechanische
Hautreizungen und die Psyche.
Ob psychische Probleme die Ursache oder die Folge von Hautkrankheiten sind, ist immer noch nicht wissenschaftlich geklärt. Doch das ist auch gar
nicht so wichtig. „Viel bedeutsamer ist
es, die Wechselwirkung zwischen Psyche und Haut zu erkennen“, sagt der
Münchener Diplom-Psychologe Lothar
Niepoth: „Für den Therapeuten ist es
entscheidend festzustellen, welche Gefühle, Verhaltensweisen und Ereignisse
auf die Erkrankung zurückwirken und
sie verschlechtern oder verbessern.“
Keine hohen Erwartungen
Die Therapie von Hauterkrankungen
wie Neurodermitis oder Schuppenflechte ist sehr eingeschränkt. Sie beruht vorwiegend darauf, Beschwerden zu lindern
und eine Verschlechterung des Krankheitszustands zu vermeiden. Bei den meisten Therapien stehen somit nicht die
körperlichen oder psychischen Ursachen, sondern die körperlichen Symptome im Vordergrund. Da die psychosomatischen Dermatosen einen psychischen
Anteil haben, stellt sich die Frage, ob
nicht auch durch psychotherapeutische
Verfahren etwas erreicht werden kann.
Diese Frage ist interessant und berechtigt, doch die Erwartungen dürfen
nicht zu hoch gesteckt werden. Die meisten psychosomatischen Dermatosen
sind nicht heilbar. Es wurde bis heute weder ein schulmedizinisches noch ein psychotherapeutisches Verfahren entdeckt,
das zu vollständigen Remissionen geführt hat. Dennoch ist es sinnvoll, auch
die psychische Seite von Hauterkrankungen zu berücksichtigen und zu behandeln. Das zeigt zum Beispiel eine Studie
der Medizinischen Hochschule Hannover. Dort wurden die Auswirkungen von
Stress auf Neurodermitis und Psoriasis
untersucht. „Psychischer Stress erzeugt
starke immunologische Reaktionen“, sagen die Studienleiter Dr. Gerhard
Schmid-Ott von der Abteilung Psychosomatik und Psychotherapie und Prof. Dr.
Werfel von der Dermatologischen Klinik
und Poliklinik. Die beiden Forscher zeigten in ihren experimentellen Untersuchungen, dass sich bei Neurodermitikern
unter akutem Stress sowohl die Zahl der
weißen Blutkörperchen (Lymphozyten)
als auch die der Immunbotenstoffe (Zytokine), die für die Entzündungen bei
dieser Hauterkrankung wesentlich verantwortlich sind, stark erhöhte.
Doch Stress ist nicht der einzige psychologische Faktor, der einen Einfluss
auf Hauterkrankungen hat. Auch soziale Defizite, Depressionen und Ängste
spielen eine bedeutende Rolle. So erleben Patienten, die Probleme damit haben, sich gegenüber anderen Menschen
durchzusetzen oder unbeliebte Aufgaben abzulehnen, immer dann Krankheitsschübe, wenn eine solche Abgrenzung misslingt. Die auffälligen Entstellungen, die mit manchen Krankheiten
einhergehen, sind für die Betroffenen
eine große Belastung. Viele trauen sich
nicht mehr, ihre Haut zu zeigen. Wenn
die Betroffenen verletzende Bemerkungen hören oder mit Blicken taxiert werden, ist es mit ihrem Selbstbewusstsein
vorbei. Sie ziehen sich zurück. Nach und
nach wird ihre soziale Isolation immer
größer, und ihre Angst vor Ablehnung
und Stigmatisierung kann sich bis zur
sozialen Phobie steigern. Hinzu kommt,
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dass sich die Betroffenen gedanklich
nur noch mit ihrem Hautproblem zu beschäftigen und sich dafür schämen.
Hautkranke leiden besonders darunter,
dass der Krankheitsverlauf unberechenbar und unkontrollierbar ist. Sie fühlen
sich hilflos und entwickeln eine ängstliche Erwartungshaltung. Diese psychischen Reaktionen führen zu inneren
Spannungen, die die Erkrankung länger
aufrechterhalten können.
Jede Hautkrankheit hat außerdem ihre Besonderheiten. Zum Beispiel geht
mit Neurodermitis oftmals ein quälender, unerträglicher Juckreiz einher. Die
Betroffenen reagieren darauf, indem sie
kratzen – meist so lange, bis die Haut blutet. Wiederholtes Kratzen kann zu Entzündungen, Entstellungen und zur Vergröberung der Haut (Lichenifikation)
führen. Außerdem verschafft Kratzen
nur kurzfristig Erleichterung und löst
dann selbst wieder Juckreiz aus. Juckreizattacken treten meist kurz vor dem
Einschlafen auf, bei Langeweile oder Ärger, bei mentaler Anspannung und in
Wartesituationen. Häufig wird der Juckreiz beim Übergang von Anspannung zur
Ruhe wahrgenommen. Kratzen ohne
Juckreiz ist ein Ausdruck emotionaler
Zustände und wird als „Spannungskratzen“ bezeichnet. Das „nächtliche Kratzen“ tritt auf, wenn der Betroffene sich
im Schlaf nicht mehr bewusst unter Kontrolle hat.
Medizinische Kenntnisse nötig
In einer Psychotherapie werden in erster
Linie die psychischen Probleme, die mit
der Hauterkrankung einhergehen, angegangen. Dadurch soll indirekt der Hautzustand verbessert werden. Mithilfe von
Entspannungsverfahren und kognitiven
Strategien lernen die Betroffenen, Spannungszustände abzubauen, ihr Selbstwertgefühl zu verbessern und ihren Körper zu akzeptieren. Durch Kompetenztraining und Rollenspiele kann den Betroffenen dabei geholfen werden, ihre
sozialen Defizite abzubauen. Kognitive
Umstrukturierung hilft den Betroffenen,
sich gedanklich nicht mehr so stark auf
den Hautzustand zu fixieren und ihn
nicht mehr zu dramatisieren.Weitere Bestandteile der Therapie sind Stressmanagement, Selbstsuggestion, Selbstsicher-
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heitstraining, Aufbau von Copingstrategien und Suche nach alternativen
Verhaltensweisen zum Kratzen. Darüber
hinaus müssen die Patienten ausführlich
über ihre Erkrankung informiert werden. Therapeuten, die Hautkranke behandeln, müssen also nicht nur über psychotherapeutische, sondern auch medizinische Kenntnisse verfügen. Sie sollten
außerdem auf die Compliance achten,
um eine vertrauensvolle Beziehung herzustellen. Diese Therapiemaßnahmen
sollen den Umgang mit der Hautkrankheit erleichtern und den Leidensdruck
der Betroffenen vermindern.
Psychodermatologen und Psychoimmunologen wissen noch nicht viel über
die Zusammenhänge und Wechselbeziehungen zwischen Psyche und Haut.
Doch es wurde inzwischen nachgewiesen, dass verhaltenstherapeutische Programme zur Verbesserung der Hauptsymptomatik beitragen. Zurzeit gibt es
einige Forschungsprogramme, die psychotherapeutische Interventionen integrieren, zum Beispiel das Schulungsund Therapieprogramm (ISBP) für junge Neurodermitiker, das von Prof. Pieter-Jan Coenraads, Universitätshospital
Groningen, entwickelt wurde, oder die
Arbeitsgemeinschaft Neurodermitisschulung (AGNES). An dem interdisziplinären Modellprojekt sind Pädiater,
Dermatologen, psychotherapeutisch tätige Ärzte, Psychologen, Ökotrophologen, Pädagogen, Ökonomen, Sozialarbeiter und Pflegepersonal beteiligt. Medizinische Kenntnisse, Ernährung und
psychologische Inhalte stehen gleichermaßen im Mittelpunkt des BeratungsMarion Sonnenmoser
programms.
Literatur
Niepoth L: Chronische Hauterkrankungen. Weinheim:
Psychologie Verlags Union 1998.
Gieler U, Bosse KA: Seelische Faktoren bei Hautkrankheiten. Bern: Hans Huber 1996.
Dargatz T: Stress – Geißel für die Haut. Die Welt
(2. 12. 2001).
Detig-Kohler C: Hautnah. Im psychoanalytischen Dialog
mit Hautkrankheiten. Gießen: Psychosozial-Verlag 2002.
Stangier U: Hautkrankheiten und Körperdysmorphe
Störung. Göttingen: Hogrefe 2002.
Informationen im Internet:
www.hautstadt.de
www.dnb-ev.de (Deutscher Neurodermitiker-Bund e.V.)
www.psoriasis-bund.de (Deutscher Psoriasis-Bund e.V.)
www.daab.de (Deutscher Allergie- und Asthmabund e.V.)
www.allergieinfo.de
www.uniklinikum-giessen.de/neuroderm/
Referiert
Therapievergleich bei Bulimie
Verhaltenstherapie
wirkt schnell
D
ie kognitiv-behaviorale Therapie wird
standardmäßig zur Behandlung von
Bulimia nervosa (BN) eingesetzt. Etwa
die Hälfte der so Behandelten schafft es,
mit dem Überessen und Erbrechen aufzuhören. Den restlichen Patienten hilft
diese Therapie nicht. Sie gilt dennoch als
effektiv. Kontrollierte Studien belegen,
dass die kognitiv-behaviorale Therapie
bei BN wirksamer ist als Antidepressiva
oder andere Psychotherapieformen. Am
bemerkenswertesten ist jedoch, wie
schnell sie wirkt. Schon nach zwei bis
vier Wochen sind deutliche Fortschritte
zu beobachten. Das zeigte sich bei einem
Vergleich zweier Patientengruppen. Die
Autoren teilten 220 Betroffene in zwei
Gruppen ein, von denen die eine Gruppe mehr als 20 Wochen mit Verhaltenstherapie und die andere Gruppe mit
Interpersonaler Psychotherapie behandelt wurde. Die erste Gruppe wurde
über Nahrungsmittel und Ernährungsverhalten aufgeklärt. Sie übten unter anderem, dysfunktionale Gedanken und
Vermeidungsverhalten zu erkennen. In
der Interpersonalen Therapie standen
hingegen die Beziehungen der Patienten
zu anderen im Vordergrund. Es wurde
der Kontext analysiert, in dem das gestörte Essverhalten auftrat. Außerdem
wurden die Patienten angewiesen, über
ihre Rollen sowie über Defizite und
schmerzliche Erfahrungen in ihren Beziehungen nachzudenken. Beide Therapien führten langfristig zu einer signifikanten Verbesserung. Die positive Wirkung der Verhaltenstherapie setzte jedoch deutlich früher ein. Auch bei kognitiv-behavioralen Behandlungen von
Depressionen und Alkohol wurde dieser
ms
Effekt beobachtet.
Wilson GT, Agras WS, Fairburn CC, Walsh BT, Kraemer H:
Cognitive-behavioral therapy for Bulimia Nervosa: Time
course and mechanisms of change. Journal of Consulting
and Clinical Psychology 2002; 70: 267–274.
G. Terence Wilson, Graduate School of Professional and
Applied Psychology, Rutgers,The State University of New
Jersey, 152 Frelingshuysen Road, Piscataway, New Jersey
08854, E-Mail: [email protected]
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