Vorschriften für Diabetiker-Lebensmittel aufgehoben

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Vorschriften für Diabetiker-Lebensmittel aufgehoben
Diätetische Lebensmittel haben eine spezielle Zusammensetzung, damit sie den besonderen Ernährungserfordernissen
von zum Beispiel Kranken, Schwangeren, Kleinkindern oder Säuglingen gerecht werden. Die Verordnung über diätetische
Lebensmittel (Diätverordnung) enthielt bislang auch spezifische Anforderungen an diätetische Lebensmittel für
Diabetiker. So legte § 12 der Diätverordnung beispielsweise Vorgaben für die Verwendung bestimmter
Zuckeraustauschstoffe und Süßungsmittel in Diabetiker-Lebensmitteln, ihren Gehalt an Fett oder Alkohol, den Brennwert
von Diabetiker-Brot, den Kohlenhydratanteil in Diabetiker-Bier sowie die Zusammensetzung von Mahlzeiten für
Diabetiker fest. Die §§ 20 und 20a regelten besondere Kennzeichnungsvorschriften wie die Angabe von Broteinheiten (BE).
Änderung der Diätverordnung
Am 9. Oktober 2010 ist die Änderungsverordnung der Diät-Verordnung in Kraft getreten. Mit der ersatzlosen Streichung
der Kategorie Diabetiker-Lebensmittel müssen Hersteller nicht nur ihre Hinweise auf den Verpackungen ändern, sondern
bei bestimmten Produkten auch Rezepturen anpassen. Denn Produkte wie etwa Schokoladen mit Süßstoffen oder
Konfitüren mit Fructose müssen in Zukunft anderen lebensmittelrechtlichen Vorschriften entsprechen.
Die in § 28 vorgesehene Übergangsfrist von zwei Jahren soll den betroffenen Herstellern die notwendigen Umstellungen
im Bereich der Kennzeichnung und Zusammensetzung der Produkte ermöglichen. Der Umsatz mit Diabetikerprodukten
beläuft sich in Deutschland auf rund 138 Millionen Euro, hinzukommen diätetische Erfrischungsgetränke, mit denen
weitere 380 Millionen Euro umgesetzt werden.
Hintergrund
Möglich geworden war die Kennzeichnung spezieller Lebensmittel als Diabetiker-Lebensmittel durch die alte
Diätverordnung aus dem Jahr 1963. Damals wurde Diabetikern eine streng einzuhaltende Diät mit dem Verbot von Zucker
(„glukozentrisches Weltbild“) und einem genauen Abzählen von Broteinheiten (BE) „verordnet“. Die Industrie entwickelte
dementsprechend u. a. spezielle Diabetiker-Lebensmittel mit Zuckeraustauschstoffen wie Fructose.
Keine Notwendigkeit für Diabetiker-Lebensmittel
Heute werden solche Diätvorschriften und Spezialprodukte von den Fachgesellschaften aus ernährungsmedizinischer und
diabetologischer Sicht als nicht notwendig eingestuft. Auch für Diabetiker wird eine vollwertige Ernährung empfohlen, wie
sie von der DGE für gesunde Erwachsene generell empfohlen wird. Nach aktuellem wissenschaftlichen Kenntnisstand
benötigen Diabetiker keine speziellen diätetischen Lebensmittel.
Diabetiker-Lebensmittel haben gegenüber den regulären Lebensmitteln keine Vorteile. Hinzu kommt, dass viele der
angebotenen Produkte einen höheren Fettanteil als die „normalen“ Varianten enthalten. Daraus kann eine höhere
Energieaufnahme resultieren, was besonders beim Diabetes mellitus Typ 2, der häufig mit Übergewicht einhergeht,
nachteilig ist.
Auch die Verwendung von Zuckeraustauschstoffen wie Fructose hat gegenüber dem üblichen Zucker (Saccharose) keine
nennenswerten Vorteile in Bezug auf die Blutglucosereaktion und ist deshalb nicht zu empfehlen. Nach einer aktuellen
Bewertung des BfR kann eine erhöhte Zufuhrmenge von Fructose ungünstige Auswirkungen auf den Stoffwechsel haben.
So kann Fructose die Plasmakonzentration von Triglyceriden und das LDL-Cholesterol erhöhen. Beide Parameter
begünstigen die Entstehung von Arteriosklerose und erhöhen so das kardiovaskuläre Risiko.
In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Bezeichnung „Für Diabetiker geeignet“ häufig als Empfehlung zum Bevorzugen
fehlinterpretiert wird. Die Kennzeichnung suggeriert dem Betroffenen, dass das Produkt ohne Konsequenz für die
Therapie verzehrt werden kann. Dennoch muss auch hier auf die Kohlenhydratmenge und den Energiegehalt geachtet
werden. Darüber hinaus sind laut Aussage der Deutschen Diabetes-Gesellschaft Diabetiker-Produkte in der Regel teurer
als übliche Lebensmittel.
Diabetiker benötigen individuelle Ernährungspläne, welche die Medikation berücksichtigen. Von Bedeutung sind eine
ausreichende Diabetiker-Schulung und eine angemessene Information der Diabetiker über die Zusammensetzung der
Lebensmittel.
Mit der Aufhebung der Vorschriften für Diabetiker-Lebensmittel ist auch der Wegfall der BE-Kennzeichnung verbunden.
Das BE-System, mit dem ausschließlich in Deutschland, der Schweiz und Österreich gearbeitet wurde, ist als
Orientierungshilfe für einen Diabetiker nicht erforderlich.
Nationale und internationale Diabetes-Gesellschaften sowie das BfR empfehlen hier eine einheitliche und erweiterte
Nährwertkennzeichnung auf verpackten Lebensmitteln, wie sie derzeit auf europäischer Ebene diskutiert wird. Die
erweiterte Nährwertkennzeichnung mit den Angaben zu Brennwert, Eiweiß, Kohlenhydraten und Fett sowie zu
Gesamtzucker, gesättigten Fettsäuren, Ballaststoffen und Natrium auf verpackten Lebensmitteln soll die Auswahl
geeigneter Lebensmittel erleichtern.
Literatur
1.
Bundesinstitut für Risikobewertung: BfR befürwortet ersatzlose Streichung von Diabetikerlebensmitteln in der Diätverordnung. Stellungnahme Nr.
043/2009 vom 14.10.2009
2.
Bundesinstitut für Risikobewertung: Diabetiker brauchen keinen speziellen Wein oder Schaumwein. Stellungnahme Nr. 018/2008 vom 15.01.2008
3.
Bundesinstitut für Risikobewertung: Erhöhte Aufnahme von Fruktose ist für Diabetiker nicht empfehlenswert. Stellungnahme Nr. 041/2009 vom
06.03.2009
4.
Bundesinstitut für Risikobewertung: Spezielle Lebensmittel für Diabetiker sind nicht nötig. Stellungnahme Nr. 017/2008 vom 23.08.2007
5.
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Vorschriften für Diabetiker-Lebensmittel aufgehoben. Artikel vom
11.10.2010, www. bmelv.de
6.
Deutsche Diabetes-Gesellschaft, Ausschuss Ernährung: Kennzeichnung von Diabetiker-Lebensmitteln muss sich ändern. Stellungnahme vom
November 2007
7.
Deutsche Gesellschaft für Ernährung (Hrsg.): DGE-Beratungs-Standards. 1. Auflage, Bonn (2009)
8.
Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Ernährungstherapie bei Diabetes mellitus. DGEinfo 7/2008 104-107
9.
Sechzehnte Verordnung zur Änderung der Diätverordnung vom 1. Oktober 2010, BGBl. I (2010) 1306-1307
10. Toeller M: Evidenzbasierte Ernährungsempfehlungen zur Behandlung und Prävention des Diabetes mellitus. Diabetes und Stoffwechsel 14 (2005) 75-94
Quelle: DGEinfo 12/2010 – Essen und Trinken
Quelle: VFEDaktuell 121
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