Grundlegende Definitionen

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Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden der empirischen Sozialforschung I
Wissenschaftstheorie:
Quelle:
- SoSe 2000
1
Begriffe und Definitionen:
Giesen,B. & Schmid, M.:
Basale Soziologie: Wissenschaftstheorie.
München: Goldmann, 1976
Begriffe
Begriff:
Die regelhafte gleiche "Bedeutung" sprachlicher
Zeichen. Die Bedeutung selbst wird durch eine
oder mehrere Definitionen festgelegt. (s. S. 18)
Intensionale Bedeutung
umfaßt alle Merkmale von Gegenständen, aufgrund derer sie unter einen bestimmten Begriff
fallen. (S. 20)
Extensionale Bedeutung
umfaßt die Menge der Gegenstände, die unter
einen Begriff fallen. (S. 20)
Deskriptive Begriffe
bezeichnen einen Sachverhalt, dessen Existenz in
irgendeiner Weise prüfbar ist. (S.21)
Allgemeine Begriffe
("Prädikate") sind auf mehrere Fälle anwendbar im Unterschied zu Eigennamen (Individualien). In
der Soziologie benutzt man sowohl streng-allgemeine Begriffe (wie "Macht", "Interaktion",
"Struktur", "System") als auch Prädikate von begrenzter Allgemeinheit, deren Extension eine
grundsätzlich begrenzte Anzahl von Fällen aufweist. (S.21)
Theoretischer Begriff:
Er dient zur Bezeichnung einer allgemeinen Eigenschaft oder eines Sachverhalts, die nicht der
unmittelbaren Beobachtung zugänglich sind.
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Problem:
Sind die "Überbrückungsregeln"
(Korrespondenzregeln), die den theoretischen
Begriff mit empirischen Prädikaten verbinden, als
Definitionen, d.h. als Zuordnung von Bedeutungsgleichheit, oder als theoretische Verbindungen
zweier logisch voneinander unabhängiger Begriffe
einzuschätzen? (S.27)
Empirischer Begriff:
Begriff zur Bezeichnung einer unmittelbar beobachtbaren Eigenschaft. (S.28)
Grundpositionen zum Verhältnis von theoretischen und empirischen
Begriffen
Operationalismus:
Lehre, wonach die eigenständige Bedeutung theoretischer Begriffe geleugnet wird. Die Bedeutung
theoretischer Begriffe wird auf eine endliche Anzahl empirischer Operationen zurückgeführt.
(S. 28)
Theoretischer Realismus:
Lehre, wonach theoretische Prädikate nicht bloße
"Konstrukte" ohne eigenen realen Gegenstand
darstellen, sondern Begriffe für reale Phänomene
sind, die eine reale intensionale und extensionale
Bedeutung haben. Eine Zurückführung auf empirische Begriffe ist zur Kontrolle allgemeiner Aussagen notwendig, erschöpft aber nicht die Bedeutung theoretischer Begriffe.
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Definitionsarten
(Nominal-) Definition:
Festlegung der Bedeutung eines Begriffs (des Definiendums) durch einen bereits bekannten anderen Begriff (Definiens). Definitionen sind konventionelle Festlegungen der Bedeutungen sprachlicher Zeichen. (S.33)
Realdefinition:
In einer Realdefinition wird ein Begriff durch
Aussagen über die Beschaffenheit der von ihm
bezeichneten Gegenstände oder über die Art seines Gebrauchs definiert. (LzS 1978, S.623f.)
Aussageformen
Allgemeine Aussagen:
Aussagen mit einem Allquantor ("für alle x gilt:
..."). Man unterscheidet streng-allgemeine Aussagen und numerisch allgemeine Aussagen. Die
ersten beziehen sich auf eine offene Sachverhaltsklasse, die zweiten auf eine numerisch oder zeitlich begrenzte Menge von Sachverhalten. (S.39)
Existenzaussagen:
Sie ("Es gibt mindestens ein x, für das gilt: ...")
behaupten die Existenz eines einzelnen individuellen Sachverhalts an einer bestimmten RaumZeit-Stelle. (Singuläre Existenzsätze) (S.40)
Analytische Aussage
, die aufgrund ihrer logischen Struktur entweder
immer falsch (Kontradiktion) - schwangere Männer - oder immer wahr (Tautologie) - der Schimmel ist weiß - ist. Sie kann durch Erfahrung nicht
berührt werden. (S.43)
Empirisch-synthetische A.
Aussage, die aufgrund der Erfahrung als wahr
oder falsch ausgewiesen werden kann. (S. 44)
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Empirischer Gehalt
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Den größten Informationsgehalt aller empirischen
Aussagen besitzen streng-allgemeine Allaussagen,
deren Begriffe eine unendlich große Extensionsmenge bezeichnen. Ihnen entspricht eine unendlich große Menge von möglichen Sachverhalten,
die durch sie ausgeschlossen werden und deren
Eintreffen jeweils die streng-allgemeine Aussage
widerlegen würde. Daher bestimmt sich der empirische Gehalt einer Aussage über die Menge der
Sachverhalte, die durch ihre "Wenn- , dann- Komponenten" ausgeschlossen wird. (S. 45)
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Das Erklären in den Sozialwissenschaften:
a) Die deterministische Erklärung
Deduktiv-nomologisches Erklären: (DN-Modell nach HEMPEL)
Logische Ableitung eines Satzes (Explanandum)
aus singulären Rand- (Antezedenz-)-bedingungen
und allgemeinen Aussagen, im besten Fall
(Kausal-) Gesetzen (Explanans). (S.56), bei denen es sich zumeist im Sinne des kritischen Rationalismus um "nicht widerlegte Gesetze", sogenannte "gesetzesähnliche Aussagen" handelt.
(S. 56)
Prognose
Ableitung (Deduktion) eines zukünftigen Ereignisses (Explanandums) aus bereits zuvor bekannten Anfangsbedingungen und nomologischen Gesetzen (Explanans).
Retrodiktion:
Aus bestimmten gegenwärtigen oder vergangenen
Ereignissen (Explanandums) soll mit Hilfe nomologischer Gesetze auf vorangehende Ereignisse
geschlossen werden. (S. 57) Sie setzt sogenannte
"deterministische Sukzessionsgesetze" voraus, die
eine Trennung der Ereignisse (Anfangsbedingung
und Explanandums) auf der Zeitachse zulassen.(S.67)
Unvollständiges Wissen
Tatsache, daß wir die Antezedensbedingungen
eines Ereignisses nie genau (oder nur mit Wahrscheinlichkeit) kennen und / oder Tatsache, daß
Theorien in den Sozialwissenschaften meist weder geschlossen noch vollständig sind. (Fehlen
von Zeitangaben oder Anfangsbedingungen).
(S. 72)
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b)
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Der Wahrscheinlichkeitsbegriff und die probabilistische Erklärung
Induktive Wahrscheinlichkeit Erwartungssicherheit, mit der das Eintreten eines
Ereignisses erwartet werden kann. (S.69)
Irrtumswahrscheinlichkeit
Konventionell festgelegte Fehlerquote, die zur
Falsifikation statistischer Hypothesen (probabilistischer Gesetze) herangezogen wird. Sie ist als
Eins minus der Erwartungssicherheit definiert.
Beträgt die Erwartungssicherheit für den Eintritt
eines Ereignisses 95 %, so beläuft sich die komplementäre Irrtumswahrscheinlichkeit auf 5 %.
Statistische Wahrscheinlichkeit:
Relative Häufigkeit des Auftretens eines Ereignisses in bezug auf eine Gesamtklasse von Ereignissen.
Induktiv-statistische Erklärung:
Ableitung eines Explanandums aus gegebenen
Rand-(Antezedens-)bedingungen und statistischen
Gesetzen, wobei das zu erklärende Ereignis mit
hoher Wahrscheinlichkeit eintreten soll.
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Beispiele für induktiv-statistisches Erklären:
Axiom I:
Die Bürger der Bundesrepublik Deutschland sind Bürger einer hochindustrialisierten Gesellschaft.
Axiom II:
Weniger als fünf Prozent aller zwanzigjährigen und älteren Bürger in
hochindustrialisierten Gesellschaften sind Analphabeten.
Ableitung aus Axiom I und II:
Theorem:
Weniger als fünf Prozent der mehr als zwanzigjährigen Bürger der
Bundesrepublik sind Analphabeten.
Deduktiver Schluß auf Gruppenebene möglich, da Axiom II einen deterministischen Zusammenhang zwischen einer "hochindustrialisierten Gesellschaft" und
dem Gruppenmerkmal "weniger als fünf Prozent Analphabeten" behauptet.
Bezieht sich die Aussage nicht auf eine Gruppe sondern auf Individuen, so ist ein
deterministischer Schluß nicht mehr möglich. Vielmehr können wir nur die induktive Wahrscheinlichkeit angeben, daß aus den Anfangsbedingungen und unserem
statistischen Gesetz das Explanandum folgt.
Problem der Mehrdeutigkeit des statistischen Syllogismus
(1a) Kaspar H. ist ein dreiundzwanzigjähriger Bürger einer hochindustrialisierten Gesellschaft
(1b) Kaspar H. ist als Kind an einer
grauen Gehirnhautentzündung erkrankt.
(2a) 95 Prozent aller über zwanzigjäh- (2b) 95 Prozent aller Menschen, die
rigen Bürger hochindustrialisierten
als Kinder an grauer GehirnhautentGesellschaften sind alphabetisiert.
zündung erkrankten, sind Analphabeten.
daraus folgt mit 95% Wahrscheinlich- daraus folgt mit 95 % Wahrscheinlichkeit:
keit
(3a) Kaspar H. ist alphabetisiert.
(Giesen&Schmid 1976, S. 77)
(3b) Kaspar H. ist Analphabet.
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Lösungsvorschläge für die Aufhebung der Widersprüchlichkeit beider statistisch
induktiver Erklärungen:
1.
CARNAPS Forderung nach der maximalen Auschöpfung aller verfügbaren
Evidenz.
(Nicht Einlösbar, da die Relevanzkriterien für die Auswahl der Evidenz in
natürlichen Sprachen fehlen)
2.
HEMPELS Prinzip maximaler Bestimmtheit der Explanansaussagen.
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