Auf den Spuren Ernst Kreneks

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Clemens Zoidl
Auf den Spuren Ernst Kreneks
Über Quellen zu Kreneks Leben außerhalb
des Ernst Krenek Instituts
Das Leben eines jeden Menschen hinterlässt Spuren, die sich
auch über zeitliche Distanz hinweg verfolgen lassen, um
Kenntnisse und Erkenntnisse über die Menschen der
Vergangenheit zu erhalten. Nur wenige Menschen haben, mit
ausgeprägtem Bewusstsein für historische Bedeutung über die
zeitlichen Grenzen des eigenen Lebens hinaus, schon von
Jugendtagen an die Spuren ihres Lebens festgehalten, wie dies
Ernst Krenek tat. Das Ergebnis davon ist ein ungewöhnlich
reichhaltiges persönliches Archiv, das heute im Ernst Krenek
Institut und teilweise in der Wienbibliothek im Rathaus aufbewahrt
wird. Zu diesen Spuren gehören neben den Produkten seines
kompositorischen wie literarischen Schaffens auch all jene
Dokumente, die aus dem Agieren und Reagieren in und auf seine
soziale Umwelt entstanden: behördliche Schriftstücke, private wie
berufliche Korrespondenzen, Rechnungen, Ehrungen, etc. Wenn
auch Krenek mit ungewöhnlicher Akribie viele der von ihm
produzierten und an ihn adressierten Schriftstücke aufbewahrte,
so ist doch klar, dass dies nur einen Teil jener Spuren umfassen
konnte, die sein Leben hinterlassen hat. Um wissenschaftlichen
wie künstlerischen Interessen und Ambitionen eine möglichst
umfassende Dokumentation von Kreneks Schaffen und Leben
bieten zu können, ist es eine wichtige Aufgabe des Ernst Krenek
Instituts, auch jene Quellen zu kennen und idealerweise
zugänglich zu machen, die sich an anderen, institutionalisierten
wie privaten Orten erhalten haben. Diese aufzuspüren ist eine
1 spannende Tätigkeit, die allerdings nicht immer mit Erfolgen
belohnt wird. Von einigen erfolgreichen Funden soll nun im
Weiteren die Rede sein.
Aus Kreneks früher Schaffensperiode stammen Stimmen zu
seinem Vierten Streichquartett op. 24, die heute in der
Musikabteilung der Zentralbibliothek Zürich aufbewahrt werden.
Die Komposition dieses Werks schien Krenek wohl
Schwierigkeiten bereitet zu haben. Jedenfalls meinte er ein halbes
Jahrhundert nach der Komposition selbstkritisch, dass er damals
beim Komponieren offenbar keinen Plan der Gesamtgestalt des
Werks hatte. Den siebenten und letzten Satz gestaltete Krenek
nach der Uraufführung neu und integrierte nur wenige Teile der
ursprünglichen Fassung. Das Quartett wurde in Folge kaum
gespielt, blieb ungedruckt und das Manuskript blieb bis in die
1950er Jahre verschollen. Als Krenek im amerikanischen Exil
seine Memoiren verfasste, konnte er sich selbst nur sehr vage
daran erinnern. Die besagten Stimmen könnten nun zur Klärung
der Rätsel um die Umgestaltung des letzten Satzes beitragen. Sie
stammen aus dem Bestand des Tonhalle-Quartetts, das damals
unter der Leitung von Willem de Boer viele zeitgenössische
Kompositionen für Streichquartett aufführte; so auch Kreneks
Viertes Quartett u.a. am 5. Februar 1925, ungefähr ein halbes
Jahr nach dessen Uraufführung. Das Quartett hat seine eigenen
Spuren in den Noten hinterlassen, was sich an diversen
Einzeichnungen wie Fingersätzen und Strichbezeichnungen
erkennen lässt. An eben diesen Einzeichnungen sieht man, dass
sie das Stück mit dem ursprünglichen letzten Satz probten. Erst
nach den ersten Proben dürfte der neue letzte Satz in eingelegten
Blättern beigefügt worden sein. Diese eingelegten Blätter tragen
die Handschrift Kreneks und legen von den bislang bekannten
Hinweisen das deutlichste Zeugnis für den Zeitpunkt des
Umarbeitungsprozesses ab.
2 Aus Kreneks Zeit am Staatstheater Kassel stammen diverse
Theaterzettel, die dem Ernst Krenek Institut freundlicherweise als
Scans zur Verfügung gestellt wurden. Was an diesen
Theaterzettel tatsächlich überraschend ist, sind die Werke, die
darauf mit Musik von Ernst Krenek angekündigt werden. Darunter
befinden sich nämlich manche, die bislang nicht ins Werkregister
aufgenommen wurden, von denen auch sonst nichts bekannt ist.
Das grundlegende biographisch-bibliographische Werk von Garret
H. Bowles verzeichnet jedenfalls „Das Wintermärchen“, „Coriolan“
und „Die Jungfrau von Orleans“ nicht. Auch Krenek selbst
berichtet in seinen Memoiren nichts über diese Werke. Die beiden
Schauspiele Shakespeares und jenes von Schiller wurden auf
diesen Theaterzettel jeweils mit „zur Handlung gehörenden Musik
von Ernst Krenek“ angekündigt. Was sich dahinter verbirgt, in
welchem Umfang Krenek Musik zu diesen Stücken verfasste, oder
wie diese vom Publikum aufgenommen wurde, lässt sich im
Moment nicht feststellen. Wie in vielen anderen Fällen werfen
diese Quellen zunächst mehr Fragen auf, als sie beantworten
können.
Quellen ganz anderer Art ließen sich im Archiv der AKM (Staatlich
genehmigte Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musik–
verleger, Österreich) finden, zu dem freundlicherweise Zugang
gewährt wurde. Krenek war aufgrund seines Wohnsitzes und
Wirkens in Deutschland Mitglied der GEMA (Gesellschaft für
musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungs–
rechte, Deutschland). Als diese am 30. September 1933 von den
Nationalsozialisten aufgelöst bzw. von der STAGMA (Staatlich
genehmigte Gesellschaft zur Verwertung musikalischer
Aufführungsrechte) ersetzt wurde, musste Krenek sich umgehend
von einer neuen Aufführungsrechteverwertungsgesellschaft
vertreten lassen. Da ein Wechsel zur STAGMA für ihn nicht in
Frage kam, wandte er sich aufgrund seines damaligen Wohnsitzes
in Österreich naheliegend an die AKM. Natürlich entkam er der
3 monopolisierten NS-Verwertungsgesellschaft nur für wenige
Jahre, da nach dem Anschluss Österreichs die AKM ihrerseits
aufgelöst wurde und die STAGMA nun auch hier an deren Stelle
trat. Die an der AKM im Personalakt „Ernst Krenek“ aufbewahrte
Korrespondenz erzählt über diese Zeit eine Geschichte von
finanziellen Schwierigkeiten und persönlichen Enttäuschungen.
Aus einer noch offenen Forderung der GEMA an Krenek in der
Höhe von 1600 Reichsmark entwickelte sich ein Schriftverkehr der
sich über ein knappes Jahr erstreckte. Aus diesem wird deutlich,
wie Krenek auf seine in Deutschland angelegten Vermögenswerte
nur mit Schwierigkeiten zugreifen konnte, seine Einkünfte aus
Aufführungen stark zurückgegangen und „auf einen weit unter
dem Existenzminimum liegenden Betrag gesunken“ sind.
Interessant sind außerdem Fragebögen der NS-Verwaltung, in
denen zum einen nach Herkunft und Religion von Eltern und
Großeltern gefragt wird, nach Kriegsteilnahme und
Parteimitgliedschaft während der „Systemzeit“ (Ständestaat); zum
anderen wurde in einem eigenen Fragebogen an Mitglieder und
Tantiemenbezugsberechtigten nach deren Einkünften und
Mitgliedschaft in der AKM gefragt. Dass Krenek diese
Fragebögen, die ihn auf Reisen zwischen England und
Amsterdam erreicht haben dürften, tatsächlich ausfüllte, obwohl er
die Übernahme seiner Rechte durch die STAGMA dezidiert
ausschloss, lässt sich wohl nur dadurch erklären, dass er dringend
auf Klärung seiner Tantiemenbezüge im Ausland hoffte, wie dies
auch aus anderen Schreiben hervorgeht. Dass er die Frage nach
Benachteiligung „in den bisherigen Tantiemenausschüttungen“
(absichtlich?) missverstand und als Gelegenheit benutzte, sich
über die „Abneigung mehrerer Kommissionsmitglieder gegen
meine Musik“ zu beklagen, ist ein weiteres pikantes Detail dieser
Quellen.
Klären lässt sich anhand der Unterlagen in der AKM jedenfalls
eindeutig, dass Krenek nicht, wie in manchen biographischen
Darstellungen (z.B. bei John L. Stewart) behauptet wird, Vorstand
4 oder gar Präsident der AKM war. Er war allerdings Präsident einer
anderen Urheberrechtsgesellschaft, der Genossenschaft drama–
tischer Schriftsteller und Komponisten, in welcher Eigenschaft er
in manchen Schreiben als „Sehr geehrter Herr Präsident“
angesprochen wurde. Mit seiner Mitgliedschaft in der AKM hatte
das allerdings nichts zu tun.
Schon in den Jahren bis 1937 stand Krenek in regen Kontakt zum
europäischen Musikleben, was natürlich eine entsprechende
Streuung hinterlassener Spuren zur Folge hat, wie beispielsweise
die erwähnten Stimmen zum Vierten Streichquartett belegen. Mit
seiner Emigration in die USA dehnte sich sein geographischer
Aktionsradius noch weiter aus, was die Spurensuche natürlich
nicht gerade vereinfacht. Es gibt aber auch Fälle glücklicher
Zusammenarbeit über den Atlantik hinweg. Der mexikanische
Chordirigent Felipe Ledesma (geb. 1925) begann in den 1950er
Jahren in Monterey, Mexiko, einen Knabenchor nach dem Vorbild
der Wiener Sängerknaben aufzubauen. Als Bewunderer von
Kreneks Musik studierte er mit seinem Chor die „Missa Duodecim
Tonorum“ op. 165 ein und leitete viele Aufführungen. Seine
briefliche Korrespondenz mit Krenek begann 1961, als Ledesma
von seinen Erfolgen mit Kreneks Musik berichtete. Die Aufnahme
einer dieser Aufführungen sandte er an Krenek, der sie in einem
Brief als „magnificent“ lobte und sich für Ledesmas Einsatz für
seine Musik bedankte. 1972 kam es dann zu einer persönlichen
Begegnung, die Krenek als „great pleasure“ empfand.
Sei 2011 bemüht sich Ledesmas Enkelin, Diana Cuellar Ledesma,
gefördert von der mexikanischen Organisation ADABI, um den
Vorlass ihres Großvaters. Wir freuen uns, dass wir dieses Projekt
mit Scans der Briefe von Ledesma an Krenek unterstützen
konnten und im Gegenzug Scans der Briefe von Krenek an
Ledesma sowie eine Kopie der erwähnten Aufnahme der „Missa“
erhalten haben.
5 Spuren haben auch die Verleihung diverser Preise an Ernst
Krenek hinterlassen, die Geschichten über deren
Zustandekommen erzählen. Eine offizielle Darstellung der Preise
und Überreichungszeremonien findet man in den Rathaus–
protokollen, die in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek
aufbewahrt werden. Hinter dieser Oberfläche verborgen bleiben
Auseinandersetzungen und Entscheidungen. In den Akten der
Magistratsabteilung 7, die heute im Wiener Stadt- und
Landesarchiv aufbewahrt werden, sind Teile der Diskussionen der
Jurymitglieder erhalten. Daraus geht hervor, dass Krenek schon
mehrfach für den Preis vorgeschlagen wurde, gegen eine
Würdigung aber bisher eingewendet wurde, dass er im Ausland
lebe. Ein Jurymitglied musste daran erinnern, dass er „sein
Vaterland nicht freiwillig verlassen“ habe. Nachdem Krenek von
der Entscheidung benachrichtigt wurde, bedankte er sich per
Telegramm, kündigte aber auch an, dass eine Anwesenheit bei
der Feierlichkeit unmöglich sei. Dies dürfte den Veranstaltern der
Zeremonie eine durchaus willkommene Gelegenheit gegeben
haben, die übliche Aufführung von Werken des geehrten
Komponisten während der feierlichen Überreichung der Preise zu
umgehen, da, wie in einem internen Schreiben formuliert, die
Aufführung eines Satzes aus einem Streichquartett Kreneks „aus
klanglichen Gründen nicht in Frage“ kam. Auch die alternativ
vorgeschlagenen Lieder aus dem „Reisebuch“, die „klanglich sehr
schön und als österreichisches Bekenntnis anzusehen seien“,
kamen letztlich nicht zur Aufführung. Dass Wolfgang
Schneiderhahn, der „Primus des Symphonia-Quartettes“, für den
sicheren Anklang der stattdessen gespielten Sätze aus
Streichquartetten Brahms’ und Beethovens „garantierte“, war für
die Veranstalter sicher beruhigend.
Weitere Dokumente, von denen spannende und vielleicht
überraschende Details aus Kreneks Lebens zu erfahren sind,
liegen beispielsweise in Thomas Manns Ausgabe von Kreneks
6 „Music here and now“ vor, die – wenn auch nur selten –
Randkommentare, doch zumindest zahlreiche Anstreichung
enthält, und so Manns Rezeption dieses für ihn so wichtigen
Werks dokumentieren; oder in einem kurzen Briefwechsel
zwischen Krenek und Alexander Kortschak, dem Vermieter einer
Villa in Trahütten, wo Alban Berg bekanntlich im Haus der
Schwiegereltern seine Sommermonate verbrachte und
komponierte. Möglicherweise wandte sich Krenek ja auf Bergs
Empfehlung an jenen Herrn.
Die Reihe der hier zusammengestellten, von der bisherigen
Forschung bislang kaum beachteten Quellen, ließe sich noch
weiter verlängern. Als Hinweise auf das immer noch lohnende
Forschungsfeld „Ernst Krenek“ soll diese kleine Zusammen–
stellung genügen – zumal die hier vorgestellten Quellen
keineswegs erschöpfend untersucht wurden, und die daraus
gewonnenen Geschichten lediglich Ergebnis eines ersten
Einblicks sind und nur einen vorläufigen Befund darstellen.
Clemens Zoidl, geboren 1977 in Wien, studiert Geschichte und Musik–
wissenschaft an der Universität Wien und beendete 2004 sein Violinstudium mit
Auszeichnung. Er arbeitet derzeit als verantwortlicher Archivar und
Wissenschaftler am Ernst Krenek Institut. Seine Hauptinteressen liegen im
Bereich Musik- und Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Neben
seiner wissenschaftlichen Arbeit ist er freiberuflich als Musiker tätig.
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