Global denken, in Brandenburg handeln

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thema – energie und klimaand
Global denken, in
Brandenburg handeln
WIE DAS LAND ZUR MODELLREGION IM KLIMASCHUTZ WERDEN KANN
VON HANS JOACHIM SCHELLNHUBER
er Hitzesommer 2003 dürfte vielen von uns noch lebhaft in Erinnerung sein. Selten reihten sich so viele
Sommertage mit Höchsttemperaturen
über 25 Grad Celsius aneinander. Die
Nächte waren drückend warm und über
Wochen fiel kein Tropfen Regen. Was
mancher zunächst noch als „richtigen
Sommer“ empfand, wurde mehr und
mehr zum klimatischen Ernstfall: In
Europa starben nach Schätzungen bis
zu 35.000 Menschen an Folgen der
Hitzebelastung. Landwirte verzeichneten erhebliche Ernteausfälle und die
Zahl von Waldbränden in Brandenburg
stieg deutlich an. Diese Schadensbilanz
wird kein Einzelfall bleiben: Projektionen der künftigen Klimaentwicklung
zeigen uns, dass der Ausnahmesommer
zur Regel werden könnte.
Der Klimawandel ist ein globales
Phänomen. Die Entwicklungen im
21. Jahrhundert werden die gesamte
Menschheit betreffen und nur durch
eine weltweite Kraftanstrengung zu bewältigen sein. Die Klimafolgen hingegen werden von Region zu Region sehr
unterschiedlich sein. Im vergangenen
D
Jahrhundert ist die Durchschnittstemperatur auf der Erde um fast 0,8
Grad Celsius gestiegen. Dabei ist es in
Äquatornähe nur wenig wärmer geworden, während der Temperaturanstieg in den gemäßigten Breiten und in
der Arktis besonders deutlich ausgefallen ist.
Weniger Frost, mehr Hitze
Das Klima von Brandenburg ist ein
gutes Beispiel für den globalen Trend
und seine regional so unterschiedlichen Ausprägungen: Zwischen 1951
und 2000 lagen die Jahres-Durchschnittstemperaturen in Brandenburg
zwischen 7,8 und 9,5 Grad Celsius.
Dabei sind der Berliner Raum, der
Südwesten und der Südosten wärmer
als der zentrale südliche und der nördliche Teil des Landes. Die Durchschnittstemperatur in Brandenburg ist
in diesem Beobachtungszeitraum um
1,2 Grad Celsius und damit stärker als
der globale Mittelwert gestiegen. Die
Sommer in Brandenburg sind heute
mehr als früher durch ausgedehnte,
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sehr warme Perioden gekennzeichnet.
Dagegen hat die Zahl der Frosttage im
Jahr abgenommen und die Winter
sind insgesamt milder geworden. Betrachtet man den einzelnen Tag, so
zeigt sich folgendes Bild: Die Tageshöchsttemperaturen sind weniger gestiegen als die nächtlichen Minima:
Nachts kühlt es sich nicht mehr so
stark ab wie früher. Eine Nacht, in der
die Temperatur nicht unter 20 Grad
sinkt, wird in der Meteorologie als
„tropische Nacht“ bezeichnet. Solche
Ausnahmeerscheinungen sind in den
gemäßigten Breiten und auch in
Brandenburg häufiger geworden.
Weniger, dafür heftiger Regen
Die Temperaturentwicklung hat signifikante Auswirkungen auf die Natur:
Viele Pflanzenarten blühen heute mehr
als eine Woche früher als noch vor 50
Jahren. Auch der Zeitpunkt, zu dem
Bäume ihre Blätter abwerfen und
Pflanzen ihr Wachstum einstellen, hat
sich verschoben: Die so genannte Vegetationsperiode wurde um knapp eine
Woche in den Herbst hinein verlängert.
Für Wetterbeobachter und Klimaforscher sind neben der Temperatur
vor allem die Niederschlagsverhältnisse interessant. Allerdings sind die
Muster der Veränderungen im Vergleich zur Temperatur komplexer und
entsprechend schwieriger zu deuten.
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Wann, wo und wie viel Regen fällt,
hängt von zahlreichen Faktoren ab.
Die Jahressummen des Niederschlages
liegen in Brandenburg je nach Region
zwischen 500 und 600 Millimetern.
Damit gehört das Land zu den trockensten Regionen Deutschlands.
Über die letzten 50 Jahre hat die
Niederschlagsmenge weiter abgenommen. Zwar fällt in den Wintermonaten mehr Regen als noch vor 50
Jahren, die Sommer sind aber umso
trockener geworden. Verändert hat
sich auch der Charakter des Niederschlags im Sommer: Lang anhaltender
und gleichmäßiger „Landregen“ ist
seltener, kurze, heftige Schauer sind
dagegen häufiger geworden. Da der
Boden ausgetrocknet ist, versickert
weniger Wasser, mehr fließt oberflächlich ab. Dies trägt schon heute in einigen Landesteilen zum Absinken des
Grundwasserspiegels bei.
Doppelt soviele Sommertage
Die beschriebenen Entwicklungen des
Klimas werden sich voraussichtlich bis
zur Mitte des 21. Jahrhunderts fortsetzen, bei ungebremstem Klimawandel
sogar verstärken. In Brandenburg ist
allein in diesem Zeitraum mit einem
weiteren Anstieg der jährlichen Durchschnittstemperatur um zwei Grad
Celsius zu rechnen. Wiederum wird
die Erwärmung im Süden kräftiger
ausfallen als im klimatisch eher mari-
hans joachim schellnhuber – global denken, in brandenburg handeln
tim beeinflussten Norden. Während
sich die Anzahl „echter Sommertage“
bis 2050 etwa verdoppeln dürfte, wird
sich die Zahl der Frosttage im Winter
wahrscheinlich halbieren.
Wir können uns anpassen
Die Niederschlagsmenge wird voraussichtlich weiterhin abnehmen.
Nach den Projektionen des PotsdamInstituts für Klimafolgenforschung
(PIK) dürfte die Zahl der niederschlagsfreien Tage um etwa zehn Prozent zunehmen – wiederum stärker im
Sommer als im Winter. Die klimatische Wasserbilanz – das heißt Niederschlagsmenge abzüglich Verdunstung und Abfluss – war im Zeitraum
von 1951 bis 2003 bereits negativ. Mit
den trockenen und heißen Sommern
der kommenden Jahrzehnte dürfte
sich diese Entwicklung verstärken.
Der bisweilen schon heute auftretende
Wassermangel in den Sommermonaten wird sich verschärfen.
Bei alledem sollte man eines wissen:
Das beschriebene Zukunftsszenario
wurde am PIK mithilfe eines regionalen
Klimamodells berechnet. Dieses wiederum wurde durch ein Szenario für
den globalen Treibhausgasausstoß angetrieben – und zwar dem Emissionsszenario A1B des Intergovernmental
Panel on Climate Change (IPCC). Mit
einer erwarteten globalen Erwärmung
von etwa 2,8 Grad Celsius gehört A1B
noch zu den moderateren „Zukunftsgeschichten“. Ginge man davon aus,
dass die Welt business as usual betriebe
und der globale Treibhausgasausstoß
weiter rasant zunimmt, müsste man für
Brandenburg einen noch viel stärkeren
Erwärmungstrend projizieren.
Der Klimawandel trifft also nicht
nur die Arktis oder ferne Archipele,
sondern findet auch vor unserer Haustür statt. Er wird Brandenburg vor große Herausforderungen stellen – und
zwar noch größere Herausforderungen
als andere Bundesländer. Das bedeutet
indes nicht, dass die klimatischen Veränderungen das Land auch härter treffen müssen. Es bestehen Möglichkeiten zur Anpassung. Man muss sie nur
rechtzeitig nutzen. Der Weg führt über
eine genaue Untersuchung der Vulnerabilität: Welche Systeme werden
durch den Klimawandel besonders in
Mitleidenschaft gezogen und wie lässt
sich dies verhindern? Dazu einige Beispiele:
■ In der Waldwirtschaft muss damit
gerechnet werden, dass das Risiko
von Bränden bis zum Jahr 2050 um
bis zu 30 Prozent zunimmt – in einer Region, die bereits heute stärker
gefährdet ist als andere in Deutschland. Entscheidend für das künftige
Risiko ist neben den klimatischen
Bedingungen die Waldstruktur.
Unsere Untersuchungen des Waldbrandrisikos gehen zunächst davon
aus, das Brandenburg ein Land der
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Kiefer-Monokulturen bleibt. Baut
man die Kiefernforste jedoch zu naturnahen Mischwäldern um, sinkt
nicht nur das Waldbrandrisiko,
sondern es steigt gleichzeitig der
Wert der Wälder als Lebensraum
für Pflanzen und Tiere und nicht
zuletzt als Erholungsraum für den
Menschen.
Wie die bisherigen Entwicklungen
zeigen, sind auch die landwirtschaftlichen Erträge betroffen. Ernteausfällen können Landwirte vorbeugen,
indem sie Sorten anbauen, die Hitze
und Trockenheit besser vertragen
als herkömmliche. Vergleichsweise
schwierig wird es sein, mit sich häufenden Extremniederschlägen umzugehen. Aber auch hier lassen sich
kreative Lösungen ersinnen – wie
etwa der gezielte Bewuchs zur Vermeidung von Erosion.
Wenn die Niederschlagsmengen
abnehmen und der Grundwasserspiegel sinkt, dürfte Wasser bald
zum begrenzenden Faktor für das
Wachstum landwirtschaftlicher
Nutzpflanzen, bewirtschafteter
Wälder und natürlicher Vegetation
werden – auch deshalb, weil der
Wasserverbrauch von Industrie,
Haushalten, Tourismus und Landwirtschaft kaum sinken wird. Dies
heißt: Wir müssen uns in Brandenburg auf Nutzungskonflikte einstellen, zum Beispiel zwischen Wasserwirtschaft und Naturschutz.
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Anpassung an die Folgen des Klimawandels wird in den kommenden Jahrzehnten nicht nur für Brandenburg
unvermeidbar sein. Dabei können die
Erfolge unserer Anpassung aber immer
nur einen Teil der Schäden ausgleichen.
Wandelt sich das Klima zu stark und zu
schnell, werden unsere Anpassungsmaßnahmen nichts als Tropfen auf dem
heißen Stein sein. An dieser Stelle rückt
der erste Teil eines etwas überbeanspruchten, aber immer noch berechtigten Slogans ins Blickfeld: „Global denken, lokal handeln“. Es geht heute
darum, die letzte Chance zu wahren,
eine Destabilisierung des Weltklimas
mit ungeahnten Folgen zu verhindern.
Der Klimawandel nimmt keine Rücksicht auf Grenzen, Klimaschutz in
Brandenburg muss daher auch im
nationalen und globalen Kontext betrachtet werden.
Brandenburg ist in der Pflicht
Deutschland hat sich verpflichtet, den
Ausstoß von Treibhausgasen deutlich
zu verringern – gemäß dem Ziel der
Europäischen Union, die globale Erwärmung auf maximal zwei Grad
Celsius zu begrenzen. EU-Kommission
und Bundesregierung bemühen sich
um ein substantielles und weltweit
bindendes Post-Kyoto-Regime für den
Klimaschutz. Der Erfolg der künftigen
Verhandlungen, vor allem der entscheidenden UN-Klimakonferenz 2009 in
hans joachim schellnhuber – global denken, in brandenburg handeln
Kopenhagen, wird unter anderem davon abhängen, wie unsere internationalen Verhandlungspartner die deutsche Klimapolitik bewerten. Unsere
Glaubwürdigkeit und unser Gewicht
in den Verhandlungen stehen und
fallen mit der Bereitschaft, uns den
Herausforderungen vor der eigenen
Haustür zu stellen. Für die Verringerung des Ausstoßes von Kohlendioxid
(CO2) liegen diese vor allem im Energiesektor. Hier stehen die Bundesländer als wesentliche Akteure besonders
in der Pflicht.
Über eigene Ziele hinausgehen
Es ist zu begrüßen, dass sich Brandenburg mit dem Entwurf der Energiestrategie 2020 zu den Klimaschutzzielen der Bundesregierung und der
Europäischen Union bekennt und die
Innovationspotentiale des Landes zunehmend erschließen will. Der energiebedingte CO2-Ausstoß soll bis zum
Jahr 2020 auf 60 Prozent des Ausstoßes von 1990 und bis zum Jahr
2030 um weitere 35 Prozent gedrosselt werden – ein Weg, der nicht nur
aus klimapolitischer Sicht alternativlos
ist. Wenn sich Brandenburg, wie es im
Entwurf heißt, „zu einem international führenden Standort für die Erforschung, Produktion, Anwendung
sowie den Export zukunftsfähiger Energietechnologien“ entwickeln soll, müssen die selbst gesteckten Ziele über
ohnehin bestehende politische Verpflichtungen hinausgehen. Diesen
Weg will die Landesregierung gehen
und das ist uneingeschränkt begrüßenswert.
Auf eines muss die Wissenschaft
allerdings hinweisen: Bei der Energiestrategie 2020 handelt es sich um ein
Bündel von Absichtserklärungen –
und die guten Absichten sind nicht
neu: Im Jahr 2002 wurde die Energiestrategie 2010 präsentiert. Damalige Zielsetzung war es, den energiebedingten CO2-Ausstoß bis 2010 auf
55 Millionen Tonnen zu senken, bezogen auf den Stand des Jahres 1990
also um fast 60 Prozent. Die Zielsetzung für 2020 liegt nun bei einer
Senkung des Gesamtausstoßes auf 53
Millionen Tonnen. Diese Reduktion
sollte nach den bisherigen Plänen bereits im Jahr 2010 annähernd erreicht
sein. Davon sind wir bislang jedoch
weit entfernt.
Neue Technologie als Schlüssel
Die Landesregierung spricht sich dafür aus, den Anteil der Braunkohleverstromung am gesamtdeutschen
Energiemix beizubehalten. Angesichts
der Entwicklungen des europäischen
Emissionshandels ist jedoch nicht sicher, ob dieser fossile Brennstoff in
Deutschland künftig überhaupt noch
wirtschaftlich genutzt werden kann.
Die einzige Möglichkeit, Braunkohle
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klimafreundlich zu verstromen, besteht darin, das bei der Verbrennung
anfallende CO2 abzuscheiden und zu
speichern. In der Wissenschaft werden
große Hoffnungen in das so genannte
„Carbon Capture and Sequestration“
(CCS) gesetzt – nicht nur mit Blick
auf unsere regionalen Klimaschutzbemühungen. Diese Technik könnte ein
wichtiger Baustein des globalen Klimaschutzes werden.
An der Spitze der Bewegung
Man wird Braunkohle auch in
Schwellenländern wie China und
Indien weiterhin in großem Maßstab
verstromen und wir müssen alles
dafür tun, dass dies so klimaschonend
wie möglich geschieht. An die Spitze
dieser Bewegung sollten wir uns nicht
nur aus ökologischen, sondern auch
aus ökonomischen Gründen setzen.
CCS kann zum Exportschlager werden. Es ist wichtig, die CCS-Forschung intensiv voranzutreiben. In
Brandenburg ist zu klären, ob genügend geeignete und kraftwerksnahe
geologische Lagerstätten vorhanden
sind. Sollte das nicht der Fall sein,
müssten die brandenburgischen Kraftwerksstandorte über ein Pipelinenetz
mit den Lagerstätten verbunden werden.
Eine vorausschauende Energiepolitik kann aber nicht allein auf CCS setzen: Die Nutzung erneuerbarer Res30
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sourcen, vor allem der Solarenergie,
muss langfristig zur tragenden Säule
der Energieversorgung werden.
Gerade im relativ sonnigen Flächenland Brandenburg dürfen wir diese
Perspektive nicht vernachlässigen.
Neues „zu Hause“ testen
Den Willen, das Land als Standort
zukunftsfähiger Energietechnologien
auszubauen, unterstütze ich ausdrücklich. Die Potentiale sind erkennbar:
Das Land verfügt einerseits über qualitativ exzellente, international beachtete und weiterhin ausbaufähige
Forschungskapazitäten in den Nachhaltigkeitswissenschaften. Andererseits
sollten Klimaschutzmaßnahmen aufgrund der besonderen regionalen
Vulnerabilität leichter durchsetzbar
sein als in weniger gefährdeten Regionen. So sollte die Chance bestehen,
Brandenburger Innovationen „zu
Hause“ zu testen. Das Land könnte
zur Modellregion im Klimaschutz
werden und sich damit einen Wettbewerbsvorsprung auf einem der wichtigsten Zukunftsmärkte verschaffen.
Den Klimawandel nur als Risiko und
den Klimaschutz nur als Last zu betrachten, wäre ein folgenschwerer
Fehler. Denn dabei übersähe man
diese Chancen, die sich jetzt bieten.
Meines Erachtens gibt es zur Neuerfindung unserer Industriegesellschaft und zum nachhaltigen Wirt-
hans joachim schellnhuber – global denken, in brandenburg handeln
schaften keine Alternative. Brandenburg kann sich heute positionieren,
um morgen zu den Gewinnern des
globalen Wandels zu gehören. Die Gelegenheit wird nie wieder so günstig
sein, wie jetzt. ■
PROF. DR. HANS JOACHIM SCHELLNHUBER
ist Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).
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