EPR-Paradoxon und Bellsche Ungleichung

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EPR-Paradoxon und Bellsche Ungleichung
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Fakultät für Physik und Astronomie
Seminar Quantenmechanik
Prof. Dr. Wolschin
Wintersemester 2016/17
Jannik Fehre
09.12.2016
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2
2 Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon
2
3 Erwartungswerte
3
4 Experimentelle Lage
7
5 Konklusion
8
2.1 Realität, Lokalität und Vollständigkeit . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 EPR-Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1 Bellsche Ungleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Quantenmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1 Schwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2 Einige Experimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
3
3
5
7
7
5.1 Interpretation der Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
5.2 Interpretation der Lokalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
5.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
6 Quellen
10
1
1
Einleitung
Die Quantenmechanik bricht radikal mit den Prinzipien der klassischen Physik.
Dies wird unter anderem bei der Betrachtung verschränkter Zustände deutlich,
welche überlichtschnelle Eekte implizieren. Diesen Umstand formulierten Einstein et al. in Form eines Widerspruchs, welcher sie zur Folgerung brachte, die
Quantenmechanik liefere keine vollständige Beschreibung der Natur. J.S. Bell
konnte für die allgemeine Klasse hypothetischer Vervollständigungen der Quantenmechanik mithilfe sogenannter lokaler verborgender Variablen eine Ungleichung herleiten, welche von der Quantenmechanik verletzt wird. Im Experiment
konnten so die Vorhersagen der Quantemechanik zahlreich bestätigt werden. Als
Konsequenz sind wir gezwungen, eine der Annahmen der EPR-Arguments aufzugeben und unser Verständnis der Welt anzupassen.
2
Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon
1935 veröentlichten A. Einstein, B. Podolsky und N. Rosen einen Artikel1 , in
welchem sie begründeten, warum sie die Quantenmechanik für eine unvollständige Beschreibung der Natur halten. Dazu denierten sie zunächst die verwendeten Begrie und wendeten diese auf ein Gedankenexperiment an.
Obwohl, wie die Autoren selbst betonen, diese Denition sorgfältig formuliert
sind, werden wir später sehen, dass sie infrage gestellt werden müssen.
2.1
Realität, Lokalität und Vollständigkeit
Der Begri der Realität wird wie folgt deniert:
Wenn, ohne in irgendeiner Weise das System zu stören, wir mit Sicherheit den Wert einer physikalischen Quantität vorhersagen können, dann existiert ein Element der physischen Realität, welches dieser phyikalischen Quantität entspricht.
Die Vollständigkeit einer Theorie knüpft daran an:
In einer vollständigen physikalischen Theorie muss jedes Element der
physischen Realität ein Gegenstück haben.
Was genau unter Lokalität zu verstehen ist, wird nicht deniert, sondern implizit vorausgesetzt. Die gefordete Möglichkeit, zwei Systeme untersuchen zu
können, sodass es keine Beeinussung der Messergebnisse aufeinander gibt, legt
allerdings folgende an die Spezielle Relativitätstheorie angelehnte Denition nahe:
Eine Messung am Ort A kann eine Messung am Ort B nicht beeinussen, sofern die entsprechenden Ereignisse einen raumartigen
Abstand voneinander haben.
1 A. Einstein, B. Podolsky, and N. Rosen. Can Quantum-Mechanical Description of Physical
Reality Be Considered Complete? Phys. Rev. Vol. 47 (1935)
2
2.2
EPR-Argument
Ursprünglich werden zwei verschränkte Teilchen und allgemeine nicht kommutierende Observablen betrachtet, wir beschränken uns hier auf eine von D. Bohm
überarbeitete Variante.
Zwei Spin-1/2-Teilchen A und B wechselwirken derart, dass ihr Gesamtspin null
ergibt, und werden anschlieÿend räumlich separiert. Die Messungen der jeweiligen Spins erfolgen hinreichend zeitnah, sodass sie im raumartigen Abstand
voneinander stattnden. Messen wir nun den Spin von Teilchen A in eine gegebene Richtung, so folgt daraus der Wert des Spins von Teilchen B in dieselbe
Richtung. Gemäÿ dem Lokalitätspostulat haben wir mit der Messung an A das
System, welches aus Teilchen B besteht, nicht stören können, weshalb für dieses
nach dem Realitätspostulat bereits vor der entsprechenden Messung ein Element der physischen Realität existiert, welches dem vorhergesagten Spin von
Teilchen B entspricht.
Dieses Argument wird für jede beliebige Richtung widerholt. Insbesondere bedeutet das, dass der Spin von Teilchen B sowohl in x- als auch in y-Richtung
gleichzeitig scharf denierte Werte annimmt. Die Quantenmechanik verneint
grundsätzlich die Existenz eines solchen Zustandes, was in der Heisenbergschen
Unschärferelation seinen Ausdruck ndet, und ist somit nicht in der Lage, die
oenbar simultan vorliegenden Elemente der physischen Realität zu beschreiben, ist also nach dem Vollständigkeitspostulat unvollständig.
Die Autoren drücken infolgedessen ihren Glauben an die Möglichkeit, die Quantenmechanik durch weitere bestimmende Elemente, etwa verborgene Variablen,
vervollständigen zu können, aus.
3
Erwartungswerte
Erst 29 Jahre nach der Veröentlichung des vorgestellten Paradoxons wurden
die Implikationen einer allgemeinen Theorie mit lokalen verborgenen Variablen
von J. S. Bell untersucht2 . Diese stehen im Widerspruch zu den Vorhersagen
der Quantenmechanik und haben den Vorzug, experimentell zugänglich zu sein.
Die Ungleichung kann auf verschränkte Systeme anderer Art, mit mehr als zwei
Teilchen und nicht vollständiger Korrelation der entsprechenden Messgröÿen
sowie Experimente mit nicht perfekten Nachweismöglichkeiten verallgemeinert
werden. Das Prinzip bleibt dabei jedoch dasselbe.
3.1
Bellsche Ungleichung
Wir gehen davon aus, dass der Spin von Teilchen A und B durch den gemeinsamen Satz verborgender Variablen λ vollständig determiniert ist. Unsere Unkenntnis über die genaue Konguration dieser Variablen beschreiben wir durch
eine klassische normierte Wahrscheinlichkeitsdichte ρ(λ). Den Erwartungswert
des Spins in Richtung ~n von Teilchen A bzw. B im Zustand λ bezeichnen wir
2 J. S. BELL. On The Einstein Podolsky Rosen Paradox. 1964
3
in Anlehnung an die Pauli-Matrizen mit < σ A (~n) >λ bzw. < σ B (~n) >λ . Wir
messen den Spin in Einheiten von h̄/2.
Die Eigenschaft der vollständigen Determiniertheit des Spins bedeutet konkret
für einen gegebenen Zustand λ:
< σ A,B (~n) >λ ∈ {−1, +1}
(1)
∀~n
Unsere Annahme der Lokalität impliziert, dass jeder Erwartungswert bezüglich der beiden Teilchen faktorisieren muss, da die Ereignisse der Messungen
stochastisch unabhängig sind:
< σ A (m)σ
~ B (~n) >λ =< σ A (m)
~ >λ < σ B (~n) >λ
∀m,
~ ~n
(2)
Weiterhin ist der Gesamtspin null, weshalb:
< σ A (~n) >λ = − < σ B (~n) >λ
∀~n
(3)
Wir betrachten nun den Erwartungswert des Produkts der Spins von Teilchen
A und B in zwei beliebige Richtungen, welchen wir mit (2) und (3) wie folgt
umschreiben können:
Z
dλρ(λ) < σ A (m)σ
~ B (~n) >λ
Z
= − dλρ(λ) < σ A (m)
~ >λ < σ A (~n) >λ
E(m,
~ ~n) =
(4)
Es folgt mit mehrfacher Anwendung von (4) und (1) folgender Zusammenhang:
|E(~
p, m)
~ − E(~
p, ~n)|
Z
p) >λ < σ A (~n) >λ − < σ A (~
p) >λ < σ A (m)
~ >λ ]
= dλρ(λ)[< σ A (~
Z
p) >λ < σ A (m)
~ >λ [< σ A (m)
~ >λ < σ A (~n) >λ −1]
= dλρ(λ) < σ A (~
Z
≤ dλρ(λ)| . . . |
Z
= dλρ(λ)| < σ A (m)
~ >λ < σ A (~n) >λ −1|
Z
= dλρ(λ)[1− < σ A (m)
~ >λ < σ A (~n) >λ ]
= 1 + E(m,
~ ~n)
Dies ist die Bellsche Ungleichung:
1 + E(m,
~ ~n) − |E(~
p, m)
~ − E(~
p, ~n)| ≥ 0
4
(5)
3.2
Quantenmechanik
Die den Spinkomponenten zugehörigen Operatoren in der Eigenbasis des Spins
in z-Richtung sind bis auf den Faktor h̄/2, den wir auch hier nicht beachten,
durch die Pauli-Matrizen gegeben:
0
σ̂x =
1
1
,
0
0
σ̂y =
i
−i
,
0
σ̂z =
1
0
0
−1
(6)
Der Spinoperator in eine beliebige Richtung ~n ergibt sich durch die Linearkombination:
σ̂(~n) = nx σ̂x + ny σ̂y + nz σ̂z
(7)
Wir beschreiben den Zustand im Tensorproduktraum der Spinzustände der Einzelteilchen, d.h.:
σ̂ A (~n) = σ̂(~n) ⊗ 1,
σ̂ B (~n) = 1 ⊗ σ̂(~n)
(8)
Wir sehen, dass die Spinoperatoren der zwei Teilchen kommutieren; wir können
also die Spins gleichzeitig exakt messen.
Die Eigenvektoren zu den Pauli-Matrizen können wir einfach hinschreiben:
1 −1
1 1
, | ↓x i = √
| ↑x i = √
2 1
2 1
1 1
1
i
| ↑y i = √
, | ↓y i = √
i
1
2
2
1
0
| ↑z i =
,
| ↓z i =
0
1
(9)
Nun können wir den verschränkten Zustand angeben, in welchem sich die Teilchen benden:
1
(10)
|ψi = √ (| ↑z i ⊗ | ↓z i − | ↓z i ⊗ | ↑z i)
2
Hierbei steht der erste Faktor jeweils für Teilchen A und der zweite für Teilchen
B.
Als erstes wollen wir einsehen, dass dieser Zustand unabhängig von unserem willkürlich gewählten Koordinatensystem ist. Dies ist konzeptionell wichtig, wird
aber auch folgende Rechnungen erheblich verkürzen. Für die x-Richtung gilt
beispielsweise:
5
1
√ (| ↑x i ⊗ | ↓x i − | ↓x i ⊗ | ↑x i)
2
1
1
−1
−1
1
= √
⊗
−
⊗
1
1
1
1
2 2
1
1
−1
1
0
0
−1
0
0
⊗
+
⊗
+
⊗
+
⊗
= √
0
0
0
1
1
0
1
1
2 2
−1
1
−1
0
0
1
0
0
−
⊗
−
⊗
−
⊗
−
⊗
0
0
0
1
1
0
1
1
1
1
0
0
1
⊗
−2
⊗
= √ 2
0
1
1
0
2 2
1
= √ (| ↑z i ⊗ | ↓z i − | ↓z i ⊗ | ↑z i)
2
= |ψi
(11)
Die y-Richtung kann man analog zeigen.
Nun beginnen wir damit, explizite Terme auszurechnen. Zunächst betrachten
wir folgenden Ausdruck:
hψ|σ̂x ⊗ σ̂z |ψi
1
1 0 ⊗ 0
=
2
1 − 0
1 ⊗ 1
0
0
0
1
1
⊗
−
⊗
1
−1
0
0
=0
(12)
Aufgrund der Eigenschaft (11) können wir die Indizes der Pauli-Matrizen permutieren und erhalten das gleiche Ergebnis. Ferner ist der Zustand (10) antisymmetrisch unter Vertauschung der Teilchen A und B, sodass für Erwartungswerte
der Art (12) die Indizes vertauscht werden können. Insgesamt ergeben so alle
Terme mit unterschiedlichen Pauli-Matrizen null.
Es verbleibt noch:
hψ|σ̂z ⊗ σ̂z |ψi
1
1 0 ⊗ 0
=
2
1 − 0
1 ⊗ 1
0
1
0
0
1
⊗
−
⊗
0
−1
−1
0
= −1
(13)
Gleichung (13) gilt ebenfalls wegen (11) für die x- und y-Richtung. Die Ergebnisse (12) und (13) zusammengenommen mit ihren Verallgemeinerungen führen
auf:
E(m,
~ ~n) = hψ|σ̂(m)
~ ⊗ σ̂(~n)|ψi
= −m
~ · ~n
6
(14)
Für spezielle Werte von p~, m
~ und ~n, etwa
p~ = êx
m
~ = cos(φ1 )êx + sin(φ1 )êy
~n = cos(φ2 )êx + sin(φ2 )êy
2π
π
mit φ1 = , φ2 = ,
3
3
ergibt sich für die linke Seite der Bellschen Ungleichung (5) der Wert − 12 , was
die Ungleichung deutlich verletzt.
4
Experimentelle Lage
Bellsche und verwandte Ungleichungen wurden im Laufe der Zeit zahlreich experimentell überprüft. Es konnte in jedem Fall eine Verletzung der Ungleichung
gezeigt werden. Allerdings können deterministische Theorien konstruiert werden, welche im Experiment quantenmechanisches Verhalten simulieren, indem
sie eines der möglichen sogenannten Schlupöcher nutzen. Der Ausschluss derselben ist das Hauptanliegen beim Verbessern solcher Experimente.
4.1
Schwierigkeiten
Zunächst soll das Lokalitätsschlupoch genannt sein. Es besteht in der Möglichkeit, dass die Natur auf unterlichtschnellem Wege den Ausgang der Experimente an den zwei Teilchen absprechen könnte, entweder wenn die Messungen
nicht im raumartigen Abstand voneinander erfolgen, oder aber auch im Vorneherein, wenn die Messeinstellungen bereits bekannt sind. Die wichtigste Methode,
dieses Schlupoch zu umgehen, ist daher, die Messrichtung des Spins (bzw. bei
verschränkten Photonen die Messrichtung der Polarisation) erst unmittelbar vor
der Messung zufällig festzulegen.
Das Nachweisschlupoch ist dann ein Problem, wenn die Detektorezienz
nicht ausreicht, um genug Teilchen nachzuweisen, sodass die Verletzung der
Ungleichung gezeigt werden kann, ohne annehmen zu müssen, dass die Konguration der Teilchen von ihrer Detektion unabhängig ist. Umgangen werden kann
dies nur durch leistungsfähigere Detektoren. Ansonsten muss obige Annahme
getroen werden.
Unter der Annahme des Superdeterminismus versteht man, dass sämtliches
Geschehen schon zu jeder Zeit vollständig bestimmt gewesen ist, sodass wir
überhaupt nicht in der Lage sind, z.B. Messrichtungen frei wählen zu können.
Dies kann zwar nie ausgeschlossen werden, erscheint aber angesichts der Vielfalt
der Experimente doch recht unplausibel.
4.2
Einige Experimente
Es sollen einige ausgewählte Experimente erwähnt werden. Meist wurden verschränkte Photonen verwendet:
7
• 1972 Freedman und Clauser (erste Experimente, aber noch kein Schlupf-
loch gefüllt)
• 1981-2 Aspect et al. (Messrichtungen rotieren, aber prinzipiell noch deter-
ministisch)
• 1998 Tittel et al. (Verschränkung über Entfernung von mehreren km mit-
tels Glasfaserkabel nachgewiesen)
• 1998 Weihs et al. (verbesserter Versuchsaufbau von Aspect, Messrichtung
einstellbar im Nanosekundenbereich mit zufälligen Quantenprozessen ->
Verletzung der Bellschen Ungleichung mit über 30 Standardabweichungen,
allerdings Nachweisschlupoch noch oen)
• 2000 Pan et al. (erstes Experiment mit drei verschränkten Teilchen; bei
mehr als zwei verschränkten Teilchen wird die Abweichung der Quantenmechanik zur zugehörigen Bellschen Ungleichung gröÿer)
• 2001 Rowe et al. (Messung von Ionen in einer Falle -> über 90 Prozent
der Teilchen detektiert, Lokalitätsschlupoch noch oen)
• 2009 Ansmann et al. (Qubits in Supraleitungen -> vollständiger Nach-
weis, allerdings waren die Detektoren nur wenige Millimeter voneinander
entfernt)
• 2015 verschiedene Gruppen (hocheziente Photonendetektoren, zum ers-
ten mal alle Schlupöcher gefüllt)
• Zukunft: Messeinstellungen von Lichtsignalen von Quasaren abhängig ma-
chen
5
Konklusion
Die Experimente haben einstimmig ergeben, dass die Natur Bellsche Ungleichungen verletzt und den Vorhersagen der Quantenmechanik genügt. Daraus
müssen wir den Schluss ziehen, dass mindestens eine der von EPR gemachten
Annahmen unzutreend formuliert oder ausgelegt wurde. Daher widmen wir
uns der Realität und der Lokalität separat noch einmal im Detail.
5.1
Interpretation der Realität
Zwei Sichtweisen, welche das durch EPR aufgeworfene Paradoxon auösen können, seien hier vorgestellt. Beide begründen auf unterschiedliche Weise, dass der
durch λ beschriebene Zustand, welcher der Ausgangspunkt zur Bellschen Ungleichung ist, physikalisch korrekt nicht deniert werden kann.
In der Viele-Welten-Interpretation kommt der Wellenfunktion mehr Bedeutung zu als in der verbreiteten Kopenhager Deutung. Anstatt bei einer Messung
8
auf eine Realität zu kollabieren, verzweigen sich die Möglichkeiten zu orthogonalen, gleichwertigen Realitäten und existieren sodann parallel zueinander. In
ihrem Realitätspostulat sprechen EPR davon, dass der vorhergesagte Wert einem Element der physischen Realität entspricht, und implizieren damit, dass
alle anderen möglichen Werte, welche nicht eintreen werden, kein Teil der Realität sind. Im Rahmen obiger Interpretation ist dieser Schluss nicht zulässig und
die nachfolgende Argumentation daher schlicht nicht durchführbar.
Niels Bohr antwortete im selben Jahr auf den Artikel von EPR mit einem eigenen, gleichnamigen Artikel3 , in welchem er sein Komplementaritätsprinzip erläutert und auf die Situation anwendet. Im Wesentlichen besagt es, dass
die physikalischen Gröÿen, über die wir mit klassischen Begrien reden, in der
Quantenmechanik nur unter der Voraussetzung einer zugehörigen Messung überhaupt unwidersprüchlich deniert werden können. Zwei Gröÿen, deren Operatoren nicht kommutieren, können nicht gleichzeitig scharf gemessen werden, und
sind demzufolge nicht simultan denierbar; ihre jeweilige Denition ist Teil einer komplementären Realität. Im Experiment müssen wir uns für eine Realität
entscheiden. Das von EPR gemachte Argument, dass wir den Spin in jede Richtung messen könnten, es aber unwichtig ist, ob wir es tatsächlich tun, wird so
entkräftet.
5.2
Interpretation der Lokalität
Die Spezielle Relativitätstheorie lehrt, dass zwei raumartig getrennte Ereignisse
objektiv nicht zeitlich angeordnet werden können. Daraus folgert man die Unmöglichkeit einer kausalen Beziehung der beiden Ereignisse, da unser Verständnis von Kausalität diese Anordnung voraussetzt. Allerdings zeigt sich, dass dies
nicht bedeuten muss, sämtliche Arten von Interaktion zwischen den Ereignissen
auszuschlieÿen.
Der, wie wir nun annehmen, perfekte Zufall der Quantenmechanik bietet einen
Ausweg aus dem Kausalitätsproblem, indem er Raum für widerspruchsfreie
überlichtschnelle Kommunikation schat. Da nur solche Teile der Realität sich
instantan beeinussen, welche rein zufällig entstehen, liegt keine Kausalität in
dem Sinne vor, dass ein Ereignis eindeutig das andere bedingt, was die zeitliche
Reihenfolge voraussetzen würde. In der Tat ist es für die logische Widerspruchsfreiheit irrevelant, ob die Messung an Teilchen A die an Teilchen B beeinusst
hat oder andersherum, da die Unkontrollierbarkeit des Ausgangs einer Messung
eine Symmetrie der Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen den Ereignissen ermöglicht. 4
In einem anderen Vortrag dieses Seminars5 wurde gezeigt, dass Experimentatoren bei Teilchen B unveränderte Erwartungswerte für ihren Spin erhalten, wenn
3 N. Bohr. Can Quantum-Mechanical Description of Physical Reality Be Considered Complete? Phys. Rev. Vol. 48 (1935)
4 Unsere, zumindest momentan meine eigene, Unfähigkeit, uns bildhaft vorzustellen, wie
genau die nötige Korrelation der Spins in der Natur realisiert ist, sodass trotz Zufall und
uneindeutiger zeitlicher Reihenfolge entgegengesetzte Werte gemessen werden, spielt für diese
Argumentation keine Rolle.
5 http://www.thphys.uni-heidelberg.de/~wolschin/qms16_3s.pdf
9
sie berücksichtigen, dass der Spin von Teilchen A gemessen, und somit der quantenmechanische Zustand des verschränkten Systems gestört wurde, den Ausgang
dieser Messung aber nicht kennen. EPR haben hier einen groben Fehler begangen, indem sie sorglos davon sprechen, das Ergebnis einer Messung vorherzusagen. Die Information, welche eine Vorhersage erlaubt, ist durch ihre physischen
Träger an die Gesetze der SRT gebunden wie alles andere auch. Wir müssen den
Begri der Vorhersagekraft lokal deuten, was insbesondere heiÿt, dass wir den
Ausgang der Messung des Spins von Teilchen B eben nicht vorhersagen können,
sofern die Messung im raumartigen Abstand zu der an Teilchen A geschehen soll.
5.3
Fazit
Alle vorangegangenen Argumente zusammengenommen zeigen deutlich, dass
uns die Inkompatibilität der Quantenmechanik mit den Grundprinzipien der
klassischen Physik dazu zwingt, das aus dem Alltag vertraute Bild der Realität in jedem Punkt anzuzweifeln und gegebenenfalls zu ergänzen oder ganz zu
ersetzen.
6
Quellen
• http://www.scholarpedia.org/article/Bell%27s_theorem
• https://de.wikipedia.org/wiki/Bellsche_Ungleichung
• https://de.wikipedia.org/wiki/Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon
• https://en.wikipedia.org/wiki/Bell_test_experiments
• A. Einstein, B. Podolsky, and N. Rosen. Can Quantum-Mechanical Des-
cription of Physical Reality Be Considered Complete? Phys. Rev. Vol. 47
(1935)
• N. Bohr. Can Quantum-Mechanical Description of Physical Reality Be
Considered Complete? Phys. Rev. Vol. 48 (1935)
• J. S. BELL. On The Einstein Podolsky Rosen Paradox. 1964
• M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, Springer-Verlag Berlin Heidel-
berg 2015
10
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