Allein und im Schatten? – Bedingungen und

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Allein und im Schatten? – Bedingungen und
Entwicklungsmöglichkeiten in der Versorgung von
Menschen mit Migrationshintergrund, speziell von
Kindern und Jugendlichen
Fachtagung Psychosoziale Versorgung von
Menschen mit Migrationshintergrund
Frankfurt M. 07.11.2015
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. R. G. Siefen
Universitätskinderklinik
Katholisches Klinikum Bochum
Migration
• Migration nimmt zu und damit auch die Zahl der Kulturen und Sprachen in
Deutschland und NRW.
*
Migration und „Migrationshintergrund“
• Definition Migrationshintergrund vs. Migrationserfahrungen:
- 20,5 Mio oder 20% in Deutschland haben einen Migrationshintergrund (Mikrozensus 2013, aus Treibel 2015, S.76)
- 34% der Kinder und Jugendlichen haben einen Migrationshintergrund (Statistisches Bundesamt 2013, 2014)
• Zentrale Indikatoren:
Geburtsland / Sprache
Großeltern - Eltern - Kindergeneration ?
• Universalität der Definition für alle Gruppen mit
Migrationsstatus?
Personen mit türkischem/polnischem/italienischem
Migrationshintergrund
 Festlegung maßgeblich für Analysen und Interpretationen!
Definition von Migrantenkindern
(Kinder = Personen unter 18 Jahren) nach Guerreiro et al. 2006 aus Jaeger et al. 2012)
-
Kinder die mit oder ohne ihre Eltern eingewandert sind
Kinder ohne Papiere oder ungeklärtem Aufenthaltsstatus
Migrantenkinder der 2. Generation (Siefen: und 3. Generation) von Einwanderern
Flüchtlings- und asylsuchende Kinder
*
Flüchtlingszahlen (Löchel et al. 2015, S. 10ff, Bild aus Adam 2015)
 Ende 2014 gab es weltweit mehr als 59,5 Mio. Flüchtlinge, Asylsuchende
und Binnenvertriebene
- Flüchtlinge (2014: 19,5 Mio) Alle Personen die
- Schutz in einem anderen Land erhalten haben
- höchstwahrscheinlich keinen Flüchtlingsstatus erhalten werden, sich
aber in eine Flüchtlings-ähnliche Situation befinden
 Von den 19,5 Mio. Flüchtlingen waren 14,4 Mio. beim UNHCR registriert und
5,1 Mio. beim UNRWA
- 51% waren < 18 Jahre alt
*
Flüchtlinge nach Deutschland aus besonderen Ländern (Löchel et
al. 2015, S. 206, 268, 442)
 Syrien: von 23,3 Mio. Syrern waren Ende 2014 11,6 Mio. auf der Flucht (7,6 Mio.
Binnenflüchtlinge, 4,0 Mio. in andere Länder, 50% der Flüchtlinge in Ägypten, Irak,
Jordanien und Libanon < 18 Jahre alt
 Irak: von 34,3 Mio. waren 3,1 Mio. innerhalb des Irak auf der Flucht
- Minderheiten Christen, Jesuiten, Mandäer
- keine genauen Angaben zu Emigranten
 Afghanistan: Gesamtbevölkerung 31,3 Mio. (2,6 Mio. leben in den Nachbarstaaten
als Flüchtlinge)
- Seit 2002 sind 6 Mio. Afghanen zurückgekehrt
- Binnenflüchtlinge bis Ende 2015 ca. 900.000
- afghanische Migranten am schnellsten wachsende Flüchtlingsgruppe in
Deutschland
 Kosovo: 1,8 Mio Einwohner
- keine näheren Daten zu Binnen- und Außenmigration
*
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (Meier-Braun 2015, S. 91)
 Junge minderjährige Flüchtlinge, die ohne Eltern oder andere Erwachsene
Schutz suchen
 Fluchtursachen: Krieg, Vertreibung, Kinderarbeit, Zwangsrekrutierung als
Kindersoldaten
 In Europa: ca. 50.000 umF
 Inobhutnahme durch Jugendämter in Deutschland
212
4300
213
6600
214
7500
 60-80% traumatisiert (nach „Bundesfachverband unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge“ Müller, Fuhrmann und Püschel, 2011 zitiert nach Belhadj
Kouider und Petermann 2015, S. 199)
*
Transnationale Wanderung (Transmigration)
(Pries 2008 aus Yildirim-Krannig 2014):
• Unterscheidet sich von anderen Formen der internationalen Migration wie
- Auswanderung,
- Einwanderung,
- Rückkehr-Migration,
• findet in einem transnationalen Sozialraum
statt,
• beschreibt mehrfache multidirektionale
grenzüberschreitende Wanderungen.
*
Bekannte transnationale Räume sind nach Treibel (2015, S. 29)
 Mexiko/USA
 Türkei/Deutschland
 Polen/Deutschland
 Polen/England
 Moldawien/Italien
*
Familien und Kinder mit und ohne Migrationshintergrund
- Ergebnisse des Mikrozensus - in 1 000 –
(http://www.it.nrw.de 14.07.15)
Nordrhein-Westfalen,
Kinder unter 18
in Familien
Jahr
insgesamt
mit Migrationshintergrund
%-ualer Anteil
ohne Migrationshintergrund
%-ualer Anteil
2005
3 315
1 138
34%
2 177
66%
2006
3 260
979
30%
2 281
70%
2007
3 186
1 123
35%
2 063
65%
2008
3 133
1 136
36%
1 997
64%
2009
3 068
1 150
37%
1 918
63%
2010
3 003
1 111
37%
1 892
63%
2011
2 981
1 012
34%
1 970
66%
2012
2 935
1 029
35%
1 906
65%
2013
2 917
1 081
37%
1 836
63%
Familien und Kinder mit und ohne Migrationshintergrund
- Ergebnisse des Mikrozensus - in 1 000 (http://www.it.nrw.de 14.07.15)
Nordrhein-Westfalen,
Familien mit Kindern
unter 18 Jahren
Jahr
mit
Migrationshintergrund
insgesamt
%-ualer
Anteil
ohne
Migrationshintergrund
%-ualer
Anteil
2005
2 004
586
29%
1 418
71%
2006
1 974
569
29%
1 405
71%
2007
1 946
570
29%
1 376
71%
2008
1 910
566
30%
1 343
70%
2009
1 867
584
31%
1 283
69%
2010
1 832
550
30%
1 282
70%
2011
1 816
520
29%
1 296
71%
2012
1 795
532
30%
1 264
70%
2013
1 777
582
33%
1 195
67%
Migration und Migrationshintergrund bei Kindern und Jugendlichen in NRW
• Als Person mit Migrationshintergrund gilt, wer eine ausländische Staatsangehörigkeit
besitzt oder wer im Ausland geboren wurde und nach 1949 zugewandert ist oder wer ein
Elternteil hat, das zugewandert ist (Landesamt für Statistik NRW).
Migrationshintergrund von Kindern und Jugendlichen in NRW
unter 18
(2013)
Ausländer
216.000 ( 7%)
Deutsche mit Migrationshintergrund
866.000 (30%)
mit Migrationshintergrund zusammen
1.082.000 (37%)
Deutsche ohne Migrationshintergrund
1.842.000 (63%)
Insgesamt
2.924.000 (100%)
*
Die größten Gruppen von Kindern und Jugendlichen mit
Migrationshintergrund in NRW
• Als Person mit Migrationshintergrund gilt, wer eine ausländische Staatsangehörigkeit
besitzt oder wer im Ausland geboren wurde und nach 1949 zugewandert ist oder wer ein
Elternteil hat, das zugewandert ist (Landesamt für Statistik NRW).
Herkunftsländer ausgewählter Gruppenvon Kindern und
Jugendlichen mit Migrationshintergrund in NRW
unter 18
(2013)
Türkei
264.000 (24,4%)
Polen
119.000 (11,0%)
Russische Föderation, Kasachstan, Kirgistan, Sowjetunion
158.000 (14,6%)
Italien
30.000 ( 2,7%)
Insgesamt mit Migrationshintergrund
*
1.082.000 (100%)
Risiko- und Belastungsfaktoren für Migrantenkinder (Dogra et al. 2011):
 Die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen kann
durch sprachliche Barrieren erschwert sein
 Wenn Kinder zu Dolmetscher für die Eltern werden, kann sie
das emotional belasten (Rollenumkehr, Tabuthemen)
*
Risiko- und Belastungsfaktoren für Migrantenkinder:
ungesicherter Aufenthaltstatus (Dogra et al. 2011)
 kann zum Aufrechterhalten von gesundheitlichen Problemen
führen, die eine Aufenthaltserlaubnis absichern
 kann die Familienzusammenführung verzögern – verbunden
mit Stress für zurückgelassene Kinder
*
Universitätskinderklinik Bochum
Spektrum der Herkunftsländer
(Staatsbürgerschaft)
Herkunftsland
Türkei
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
Summe
153
138
123
112
130
116
79
50
53
51
1005
Serbien
14
11
13
6
8
8
5
10
18
31
124
Albanien
8
7
6
6
6
5
11
3
4
17
73
11
2
6
5
6
5
15
5
6
7
68
Irak
6
2
2
2
4
5
9
4
9
11
54
Russland, Weißrussland,
Kasachstan
8
3
3
5
3
5
6
2
9
3
47
Libanon
2
5
7
4
8
3
4
1
2
1
37
Syrien
1
2
2
2
2
3
4
14
30
Marokko
5
5
7
5
4
1
1
2
2
34
1
3
2
2
1
8
11
28
Italien
Bosnien / Herzegowina
2
Gesundheit von Kindern und Jugendlichen Migrationshintergrund
Ergebnisse der KIGGS-Untersuchung (2003-2006)
• Geringe gesundheitsbezogener Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen
mit MH im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen ohne MH
– Geringere körperliche Aktivität
– Schlechteres Mundgesundheitsverhalten
– Generell ungünstigeres Ernährungsverhalten (Softdrinks, Fastfood,
Süßigkeiten)
– Geringere Teilnahme an medizinischen Früherkennungsuntersuchungen
– Schlechterer Impfstatus
– ...aber weniger Tabak-/Alkoholkonsum
• Der Migrationsstatus stellt laut KIGGS-Studie einen „sozialen Risikofaktor“
dar (Robert Koch Institut, KiGGS, 2008: 23)
– Höhere Prävalenz psychischer Störungen, insb. Mädchen mit türkischem
MH
– Defizite in sozialer Unterstützung, nicht aber bei individuellen/familiären
Ressourcen
(Robert Koch Institut, KiGGS, 2008)
Risikoindikator Migrationshintergrund:
Wer bekommt Tuberkulose?
(übernommen von OÄ Dr. F. Brinkmann Universitätskinderklinik Bochum )
 Oft sehr enger Kontakt
 Infektionsrisiko 60-80% bei
Haushaltskontakten
 Migrationshintergrund Risiko x7
RKI, 2012
Marais BJ Int J TB Lung Dis 2004 Apr;8(4):392-402.
Ernährungsverhalten von Kindern und Jugendlichen mit
Migrationshintergrund
Anteile der 7 quantitativ bedeutsamsten Nationalitäten an
ausländischen Schülern (Allgemeinbildende Schulen in
Deutschland, 2006/2007) (Diefenbach 2009, S. 67)
Herkunftsland
Anteil (Prozent)
Türkei
42,5%
Italien
6,5%
Serbien
5,1%
Griechenland
3,5%
Russische Föderation
2,6%
Polen
2,5%
Bosnien-Herzegowina
2,4%
Alle Anderen
34,9%
(außerhalb Europas)
19,7%
*
Anteil ausländischer Schüler an den Allgemeinbildenden Schulen
im Schuljahr 2006/2007 (Diefenbach 2010)
Bundesland
Anteil ausländischer Schüler
(Prozent)
Berlin
16,1%
Hamburg
16,0%
Bremen
14,8%
Hessen
13,5%
NRW
12,7%
Baden-Württemberg
11,9%
Deutschland
9,6%
*
Repräsentation ausländischer Schüler an Gymnasien in einzelnen
Bundesländern in 2002 relativer Risiko-Index (RRI) (Diefenbach 2009)
Land
RRI
Deutschland
0,49
Unter dem Bundesdurchschnitt:
Saarland
0,37
Baden-Württemberg
0,38
NRW
0,44
Rheinland-Pfalz
0,48
Baden-Württemberg
0,49
*
Repräsentation ausländischer Schüler an Gymnasien in einzelnen
Bundesländern in 2002 relativer Risiko-Index (RRI) (Diefenbach 2009)
Land
RRI
Deutschland
0,49
Über dem Bundesdurchschnitt:
Thüringen
0,50
Bayern
0,52
Niedersachsen
0,56
Hessen
0,57
Hamburg
0,60
Berlin
0,61
Sachsen-Anhalt
0,61
Schleswig-Holstein
0,62
Bremen
0,83
Brandenburg
0,85
Mecklenburg-Vorpommern
0,88
Sachsen
0,88
Eigene Berechnungen anhand von Daten der Kultusminister-Konferenz (2003), des Statistischen
Bundesamtes 2002
*
Repräsentation ausländischer Schüler an Sonderschulen,
Förderschwerpunkt Lernen (2002) (Diefenbach 2009, S. 69)
Land
Relativer Risiko-Index
Deutschland
2,03
Unter dem
Bundesdurchschnitt:
Thüringen
0,37
Brandenburg
0,42
Sachsen-Anhalt
0,51
Sachsen
0,60
Mecklenburg-Vorpommern
0,67
Bremen
1,02
Berlin
1,00
Schleswig-Holstein
1,71
*
Repräsentation ausländischer Schüler an Sonderschulen,
Förderschwerpunkt Lernen (2002) (Diefenbach 2009, S. 69)
Land
Relativer Risiko-Index
Deutschland
2,03
Unter dem
Bundesdurchschnitt:
Bayer
2,13
Rheinland-Pfalz
2,13
Hamburg
2,26
NRW
2,37
Hessen
2,51
Saarland
3,04
Niedersachsen
3,05
Baden-Württemberg
3,41
*
Migrationsstatus stellt besondere Anforderung an Gestaltung von
Schule
• IGLU 2011: Viertklässler aus Familien mit MH geringere
Lesekompetenz (Schwippert, Wendt & Tarelli, 2011)
• TIMSS: Viertklässler aus Familien mit MH geringe Kompetenz in
Mathematik und Naturwissenschaften (Tarelli, Schwippert & Stubbe,
2011)
• Zentraler Indikator für Bildungserfolg: familiärer Sprachgebrauch
(Stanat, Rauch & Segeritz, 2010)
IGLU Grafik
Schwippert, Wendt & Tarelli (2011): 200.
TIMSS Grafik 1
Tarelli, Schwippert & Stubbe, 2012: 258
TIMSS Grafik 2
Tarelli, Schwippert & Stubbe, 2012: 259
Nachteile von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien im
Vergleich zu Deutschen Schülern
(Diefenbach 2009,S. 79f)
Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien im Vergleich zu
einheimischen Deutschen Schülern
1. Haben weniger vorschulische Betreuung
2. Werden deutlich häufiger von der Einschulung zurückgestellt
3. Wechseln häufiger in eine Hauptschule und seltener in eine Realschule
oder einem Gymnasium
4. Sind über-repräsentiert an Hauptschulen und geringer an Gesamtschulen
und unter-repräsentiert an Realschulen und Gymnasien
5. Haben deutlich geringere Lese- und Naturwissenschaftliche Kompetenz,
auch wenn sie ihre gesamte Schullaufbahn in Deutschland durchlaufen
haben
*
Nachteile von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien im
Vergleich zu Deutschen Schülern (Diefenbach 2009,S. 79f)
Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien im Vergleich zu
einheimischen Deutschen Schülern
6. Besuchen doppelt so häufig Sonderschulen mit dem Förderschwerpunkt
Lernen
7. Bleiben deutlich häufiger als deutsche Jugendliche ohne einen
Hauptschulabschluss
8. Erwerben deutlich häufiger einen Hauptschulabschluss und seltener einen
Realschulabschluss oder eine Fach- /Hochschulreife
9. Im Zeitverlauf nahm der Anteil mit Hauptschulabschluss leicht ab und der
Anteil an höherwertigen Abschlüssen leicht zu
10. Haben dauerhaft keinen Hauptschulabschluss: 20% (bei deutschen
Jugendlichen 7-8%)
*
Empfehlungen für Forschung und Praxis (Belhadj Kouider und
Petermann 2015)
 Förderung interkultureller Kompetenzen aller Kinder in Kindergärten und
Schulen
 Abbau von Benachteiligungen von Lehrkräfte, Arbeitgeber, Behörden,
Ausbildungsbetrieben
 Interkulturelle Weiterbildung auch für Lehrkräfte
*
Migrationsstatus und Armutsgefährdung
(Stubbe, Tarelli & Wendt, 2011: 242)
Lebensbedingungen von Migranten in Deutschland
(Literaturzusammenfassung von Belhadj Kouider und Petermann
2015, S. 201)
 45% der Familien mit Armutsgefährdung in Deutschland hatten
Migrationshintergrund
 Kinder mit Migrationshintergrund haben geringere Kompetenzen in der
Deutschen Sprache
 Viele Kinder mit Migrationshintergrund leben in benachteiligten
Wohngegenden
 Jugendliche mit Migrationshintergrund sind in den höheren
Schulabschlüssen unterrepräsentiert
 An Förderschulen sind Kinder mit Migrationshintergrund über-repräsentiert
(Powell und Wagner 2014)
 In Ballungsstadtteilen haben bis zu 95% der Kinder und Jugendlichen einen
Migrationshintergrund – und wenig Kontakt zu Gleichaltrigen ohne
Migrationshintergrund (Brinkmann und Maschek 2011)
*
Risiko- und Belastungsfaktoren für Migrantenkinder: soziale
Einbußen durch Migration (Dogra et al. 2011)
 Migrantenkinder die aus früher wohlhabenden Familien
kommen, haben möglicherweise erhebliche
Anpassungsprobleme
 Eltern sind gezwungen Tätigkeiten unter ihrer früheren
Qualifikation anzunehmen, wenn diese im Aufnahmeland
nicht anerkannt wird
 Eltern müssen möglicherweise lange arbeiten mit weniger
sozialer Unterstützung und haben weniger Zeit für ihre Kinder
 Konflikte in der Familie drohen, wenn Kinder die beruflichen
und sozialen Opfer der Eltern nicht anerkennen
*
Fallbeispiel H. B.: Behandlungsverlauf bei einem Jugendlichen mit ADHS aus
einem asiatischen Land
•
•
•
•
•
Zunächst ging es um die drohende Nichtversetzung des 14-Järigen.
Dann standen die wirtschaftlichen Probleme des Vaters im Vordergrund.
Der Behandlungsfokus lag auf Selbstmanagement.
Nach 6 Monaten stand der Junge in allen Fächern zwischen 2 und 3.
Er hatte sich - wie vom Therapeuten vorgeschlagen - einen Bibliotheksausweis
besorgt und regelmäßig Bücher auch zu schulischen Themen gelesen.
• Sein Berufswunsch war inzwischen: „Deutscher Beamter“.
*
Siefen et al. 2015 : Anteil der Kinder- und Jugendpsychiater (N= 150) (Chefärzte vs.
Niedergelassene), die Diagnostik und Therapie von Kindern undJugendlichen mit
Migrationshintergrund durch wichtige kulturell beeinflusste Aspekte erschwert sahen.
Unklarer Aufenthaltsstatus
Chefärzte
18,20
11,10
23,60
Probleme der Therapiestrukturierung
Diagnoseunsicherheit (kultur.
Unterschiede)
Einigung auf Behandlungsplan
Niedergelassene
29,00
13,00
13,10
27,30
27,20
62,30
Krankheitsverständnis der Eltern
Krankheitsverständnis des Kindes
Sprachverständnis
56,00
40,00
34,00
32,70
36,00
*
Siefen et al. 2015 : Anteil starker Zustimmung („oft“ oder „ziemlich oft“) der Kinder- und
Jugendpsychiater (N= 150) (Chefärzte vs. Niedergelassene) zu Auswirkungen der
Behandlung von Patienten mit Migrationshintergrund und den Rahmenbedingungen dafür.
Niedergelassene
Chefärzte
62,60
Freude an Behandlung von
Migranten
53,70
54,00
Neue Perspektiven durch
Migrantenbehandlung
41,80
21,60
Offenheit der Migranten für
Behandlungsangebote
Künftig mehr Informationen
zu Angeboten
57,40
13,30
20,40
Migrantenbehandlung
wichtiger in den letzten 5
Jahren
Migrantenbehandlung
weniger wichtig in den
letzten 5 Jahren
Bedeutung der
Migrantenbehandlung für
Klinik/Praxis
36,70
36,40
3,00
1,80
53,10
61,80
*
Siefen et al. 2015 : Anteil starker Zustimmung („oft“ oder „ziemlich oft“) der Kinder- und
Jugendpsychiater (N= 150) (Chefärzte vs. Niedergelassene) zu Bedeutung von Trainingsprogrammen und anderen Maßnahmen zur kulturellen Öffnung für die zukünftige klinische
Arbeit mit Migranten und deren Familien.
Ni edergel assene
Chefärzte
58,5
Trai ni ng i n Interkul turel l er
Kompetenz
52,6
73,6
Hausei gene
Wei terbi l dungsprogramme
55,7
Ei nstel l ung bi l i ngual er
Mi tarbei ter
44,3
Entwi ckl ung
kul tursensi ti ver
Behandl ungskonzepte
45,3
45,3
45,4
86,8
Verfügbarkei t qual i fi zi erter
Übersetzer
Ethnokul turel l
spezi al i si erte
Behandl ungszentren
72,5
31,5
37,4
*
Migrantenkinder und –jugendliche im Vergleich zu Gleichaltrigen
ohne Migrationshintergrund (aus Dogra et al. 2011)
 Hatten in den ersten Jahren nach der Einwanderung in
Australien zunächst geringere Verhaltensauffälligkeiten als
Gleichaltrige nicht Einwandererkinder (Alati et al. 2003). Das ist
ein Beispiel für den Healthy Migrant Effect.
*
Adam und Klasen (2011) untersuchten 215 Flüchtlingskinder im
Alter zwischen 9-20 Jahren (Mädchen 41,4%) aus Afghanistan,
Bosnien und dem Kosovo
 33% litten unter Depressiven Störungen
 14 % unter PTBS
 11 % unter Generalisierten Angststörungen
*
Migrantenkinder oder –jugendliche im Vergleich zu Gleichaltrigen
ohne Migrationshintergrund (aus Dogra et al. 2011)
 Zeigen selbst nicht mehr psychische Probleme in der
holländischen Untersuchung von Vollebergh et al. 2005:
- aber die Migranteneltern machten sich mehr Sorgen um
ihre Töchter
- Lehrer sahen mehr internalisierende Probleme bei den
Migrantenmädchen
 Externalisierendes Problemverhalten war bei Migrantenkindern
in Deutschland ausgeprägter (Holling et al. 2008)
 Internalisierende Symptome (z.B. Angst oder depressive
Symptome) waren nach Van Oort et al. 2007 ein starker
Prädiktor für Leistungsprobleme in der Schule
*
Migrantenkinder oder –jugendliche im Vergleich zu Gleichaltrigen
ohne Migrationshintergrund (aus Dogra et al. 2011)
 Türkisch-stämmige jugendliche Mädchen hatten mehr
Probleme als niederländische Mädchen ohne
Migrationshintergrund (Van Oort et al. 2007)
 Unbegleitete Minderjährige Migranten
- haben eine höhere Rate an posttraumatischer
Stressbelastung im Vergleich zu Non-Migranten und
begleiteten Minderjährigen
- Jungen waren seltener als Mädchen sexuellen
Übergriffen ausgesetzt aber häufiger als der allgemeinen
Prävalenz entsprechend (Huemer et al. 2009)
*
Empfehlungen für Forschung und Praxis (Belhadj Kouider und
Petermann 2015)
 Interkulturelle Aspekte psychischer Erkrankungen stärker berücksichtigen
(DSM V, APA 2013). Cultural Formulation Interview (CFI) auch in Kinderund Jugendpsychiatrie einführen
 Eltern in Diagnostik stärker einbeziehen
 Sprachfreie Intelligenzdiagnostik weiterentwickeln und einsetzen
 Abbau von Inanspruchnahme-Barrieren
 Kultursensitive Behandlungssettings schaffen
*
Bikulturelle Identitätsentwicklung wird beeinflusst von
(Belhadj Kouider und Petermann 2015)
 Diskriminierungserfahrungen
- insbesondere von türkischen und arabischen Jugendlichen
- bei andersartiger äußerer Erscheinung (z.B. farbige Haut)
- bei starkem Dialekt / starker Sprachfärbung
*
Akkulturationsanforderungen als Stressfaktor für Kinder und
Jugendliche mit Migrationshintergrund (Belhadj Kouider und
Petermann 2015)
 Kognitive Assoziationen sowie Coping-Strategien und Ressourcen im
Umgang mit der Einwanderungsgesellschaft beeinflussen die Bewertung
eigenen Erlebens
 Geringe gesellschaftliche Unterstützungsstrukturen und geringes Interesse /
Ablehnung seitens der Mehrheitsbevölkerung können (nach Berry 2006) den
Akkulturationsstress verstärken
 Risikofaktoren für Migrantenkinder sind auch über den Akkulturationsstress
der Eltern vermittelt:
- Zugehörigkeit und Akzeptanz der Mutter
- Sprachkompetenz in der Mehrheitssprache der Mütter
*
Begriffsbestimmungen Migrationshintergrund (Belhadj Kouider
und Petermann 2015, S. 200)
 Migration: Wanderung in Gruppen oder einzeln
 Außenmigration: Überschreitung staatlicher- und oft auch kultureller
Grenzen
 Innenmigration (Binnenmigration): Regionale Wanderung innerhalb eines
Landes
 Statistisches Bundesamt: 1. Migrationsgeneration- 2. und höhere
Migrantengeneration (Kriterien: persönliche Merkmale, Merkmale der Eltern,
Zeitpunkt der Einwanderung und der Einbürgerung, Staatsangehörigkeit)
 Kritik an Definition des Statistischen Bundesamts: „Migrationshintergrund in
3. oder 4. Generation“ ersetzen durch „Zugehörigkeit zu ethnisch-kultureller
Gruppe“
 Alternative zu „Migrationshintergrund“: z.B. Türkisch-Deutsche oder
Russisch-Deutsche Kinder
*
Migration und demografischer Wandel in Deutschland:
• In Deutschland leben rund 13 Millionen Kinder und Jugendliche. Das sind 16
Prozent der Bevölkerung. Jedes Jahr werden knapp 680.000 Kinder geboren.
(RKI 14. 08. 2015).
• In 2013 lebten in Nordrhein-Westfalen 1.081.000 Kinder unter 18 Jahren (37%) in
Familien mit Migrationshintergrund.
(Ergebnisse des Mikrozensus http://www.it.nrw.de 14.07.15)
• Ende 2014 gab es fast 8,2 Mio. Ausländer in Deutschland
(Statistisches Bundesamt Wiesbaden, dpa, RZ, 17.03.2015).
• „ 2030 werden - gegenüber heute - 600.000 weniger Kinder und Jugendliche in
Deutschland leben“ (Spiegel, 14.03.15.,(12), S.23)
(Quellenhinweis: Prof. Dr. Eckart Bornstorf, Universität zu Köln).
*
Forschungsbedarf in der interkulturellen Pädiatrie
„The health of migrant children remains under-researched even within the pediatric
literature“
(Jaeger et al. 2012, S.660)
*
Beziehungserschwernisse der transkulturellen Pflege in der pädiatrischen
Onkologie (Focus Group Interviews)
Pergert et al. 2007
1. Sprachbezogene Hindernisse
- Mangel an Kommunikation bezogen auf Krankenpflegeaspekte
- Mangelnder Austausch in fachlichen und allgemeinen Gesprächen
- Abhängigkeit von Übersetzungen
- Triadische Beziehungen (Dreieck Arzt-Eltern/Patient-Dolmetscher)
- Mangelhafte Kontrolle über Informationsinhalte
- Informationsverdichtung (begrenzte Verfügbarkeit von Dolmetschern)
*
Beziehungserschwernisse der interkulturellen Pflege (Pergert et al. 2007)
2. Kulturelle und religiöse Hindernisse
- Unterschiedliche Formen des Gefühlsausdrucks
- Unterschiedlicher Umgang mit Fakten und Aufklärung
3. Soziale Hindernisse
- Rassismus und Vorurteile
4. Organisatorische Hindernisse
- Zeitmangel
*
Gesundheit von Migrantenkindern in der Schweiz
(Jaeger et al. 2012)
In den 30 in dieser Literaturübersicht eingegangenen Veröffentlichungen ging es um die
Themen:
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
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Obesitas (5)
Psychische Gesundheit (5)
Infektionskrankheiten (3)
Zahngesundheit (5)
Abtreibungen bei Jugendlichen (1)
Neonatologische Themen (3)
Neuralrohrdefekte (1)
Intensivbehandlungen (1)
Krankenhausbehandlungsraten (1)
Unfälle (2)
Misshandlungen (1)
Gesundheit asylsuchender Kinder (1)
Migranten ohne Papiere (1)
*
Gesundheit von Migrantenkindern im Vergleich zu einheimischen Schweizer Kindern
(Jaeger et al. 2012)
- Adipositas: Migrantenkinder waren doppelt so häufig übergewichtig/adipös wie
einheimische Kinder
- Psychische Störungen: Hinweise auf erhöhte Rate von Angststörungen und
Depression
- Abtreibungswunsch: mehr als zweimal so häufiges Verlangen von Abtreibung seitens
Mirgantenjugendlicher
- Unfälle durch Sturz: Stürze von Balkon oder aus dem Fenster waren bei
Migrantenkindern häufiger.
*
Gesundheit von Migrantenkindern in der Schweiz
(Jaeger et al. 2012)
- Infektionskrankheiten: Tuberkulose, Darmparasiten, H. pylori, Hepatitis A sind
häufiger bei Migrantenkindern
- Krankenhausbehandlungsraten: Bei <5-jährigen Migrantenkindern erhöht
(86,0/1000) im Vergleich zu einheimischen Kindern <5Jahren (61,2/1000)
- Neonatologie: Bis zu 50% häufigere Aufnahmeraten für Migrantenkinder
(Asien/Afrika) Kein Unterschied bei den Behandlungsergebnissen
*
Der Gesundheitszustand von Migrantenkindern wird beeinflusst von (Jaeger et al 2012)
- Herkunftsland
- Migrationsprozess
- Aufnahmeland
- Krankheitsprävalenz
- Sozialer Status
- Gesundheitssystem
- Aufenthaltsdauer
*
Gesundheits- und Versorgungsprobleme bei Kindern mit Elternteilen ohne
sicheren Aufenthaltstatus
(Ziol-Guest und Kalil 2012)
- Mangelndes Wissen über Versorgungsmöglichkeiten (Health literacy)
- Angst vor negativen Auswirkungen auf Aufenthaltserlaubnis (Kind oder Eltern)
- Mangel an sprach- und kulturkompetenten Behandlern
- Enttäuschende Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem
im Aufnahmeland
- Einseitige Ausrichtung von Gesundheitsförderprogrammen
an den Bedürfnissen der Mehrheitsbevölkerung
*
Asylsuchende Kinder und Jugendliche in Genf
(Manzano und Suta 2002, aus Jaeger et al. 2012)
- waren zweimal so häufig wie einheimische Kinder in Krankenhausbehandlungen
- waren dreimal so häufig wie einheimische Kinder in ambulanter Behandlung
*
„Immigrant advantage“
(Jackson et al. 2012)
- Bildungsgrad der Mutter von Migrantenkindern ist ein wichtiger Prädiktor für sozioökonomische Benachteiligung
- Bildungsgrad der Mutter hat bei Asthma bronchiale keine Bedeutung:
Migrantenmütter rauchen weniger als einheimische Mütter
- Immigrant advantage ist unabhängig vom Bildungsgrad
*
Herausforderungen der Transkulturellen (Siefen: Interkulturellen) Pädiatrie
(Ipsioglu und Bode 2005)
- Sprachbarrieren
- Doppelte Halbsprachigkeit der Kinder
- Funktioneller Analphabetismus der Eltern
- Mangelnde Förderung der Kinder in der Mehrheitssprache (Deutsch)
- Informationsbarrieren
- Unzureichende Aufklärung über Krankheit
- Unzureichende Aufklärung über Eingriffe
- Kulturelle Barrieren
- Mangelnde Compliance/Adhärenz
*
Transkulturelle/ Interkulturelle Pädiatrie: Empfehlungen die jeder Arzt umsetzen kann
(Ipsioglu und Bode 2005)
- Offenheit für den Patienten und seine Familie
- Eigene Kommunikationsfähigkeit verbessern (verständliche Sprache)
- Muttersprachliches Informationsmaterial bereithalten
- Professionelle Dolmetscher hinzuziehen
- Interkulturelle Kompetenz des Behandlungsteams fördern (Fortbildung)
- Eigene Zielvorstellungen klar formulieren, wenn es das Wohl des Kindes erfordert
*
Pädiatrische Diagnostik muss kultursensitiv sein:
• Die Belastung durch körperliche und psychische Störungen zwischen den
unterschiedlichen Migrantengruppen kann variieren.
• Das Ausmaß der Vulnerabilität wird möglicherweise auch von
der Art der Herkunftsgesellschaft bestimmt.
• Migranten könnten infolge Kommunikationsproblemen einem höheren Risiko von
Fehldiagnosen ausgesetzt sein.
• Migranten unterscheiden sich in ihrem Verständnis von
Gesundheit und Krankheit von der einheimischen Bevölkerung.
*
Kulturabhängig variieren können außerdem:
•
•
•
•
•
Gesundheitsbezogene Werte,
Erwartungen an Diagnostik und Therapie,
Prioritäten von Behandlungszielen,
Befürchtungen bezüglich Risiken gesundheitlicher Eingriffe und Maßnahmen,
Formen der Mitteilung gesundheitlicher Einschränkungen.
*
Grundlegende Diagnostiksituationen:
•
•
•
•
•
Personale Diagnostik,
Körperliche Untersuchung,
Labordiagnostik,
Apparative Diagnostik,
Psychologische Testdiagnostik.
*
Rückkehr ohne Heimkehr (Yousefi 2014)
• Eine mehrfache Kulturzugehörigkeit kann zu einem Identitätsproblem werden
• Ein in Deutschland aufgewachsener Jugendlicher mit Migrationshintergrund wird
in Deutschland aufgrund seines Namens und seines Aussehens als Ausländer
angesehen der gut Deutsch spricht und sich gut angepasst hat. Allerdings nimmt
er sich selbst kaum als Ausländer wahr.
• Derselbe türkisch-stämmige Jugendliche wird möglicherweise während des
Urlaubs in der Türkei auch als Deutsch-Türke angesehen.
*
Definition subjektiver Krankheitstheorien
(nach Wiehe, 2006, Flick, 1991, Leventhal et al., 1980, Furnham, Kirkcaldy und
Siefen, 2013)
• Subjektive Krankheitstheorien sind kognitive Konstrukte.
• Ihre Struktur ist vergleichbar mit wissenschaftlichen Theorien.
• Subjektive Krankheitstheorien können Bewältigungsfunktionen haben.
• Subjektive Krankheitstheorien oder Laientheorien lassen sich beschreiben
anhand zweier Modelle:
- des Medizinischen Modells
- des Psychosozialen Modells.
*
3 Klinische kulturbezogene Konzepte
(nachDSM-5 2013)
• Cultural syndrome („ataque de nervios“)
• Cultural idiom of distress („brennende Leber“)
• Cultural explanation or perceived cause („malocchio“)
*
Krankheitsüberzeugungen von Eltern (verwandte Begriffe)
• Mental Health Literacy (Wissen über psychische Gesundheit)
• Elterliche Wahrnehmung von Krankheiten (Parent Perspectives)
• Subjektive Gesundheitskompetenz (Health Competence Belief)
• Elterliches Gesundheitsverhalten
• Erfahrungen von Eltern mit bestimmten Erkrankungen
*
Ziele der Erfassung subjektiver Krankheitstheorien
• Erweiterung der Diagnostik,
• Förderung von Compliance,
• Verdeutlichung kultureller Unterschiede,
• Suche nach Erklärungen für variierendes Inanspruchnahmeverhalten.
*
Subjektive Krankheitstheorien und Inanspruchnahmeverhalten
(Bussing et al. 2003, Pham et al. 2010, Yeh et al. 2004)
• Subjektive Krankheitskonzepte von Eltern bestimmen deren Wahrnehmung und
Erklärung von auffälligem Verhalten ihrer Kinder.
• Subjektive Krankheitskonzepte sind auch entscheidend dafür, ob überhaupt eine
Behandlung für das Kind gesucht wird.
• Subjektive Krankheitskonzepte wirken sich auf die Häufigkeit der Arztkontakte
und die Compliance aus.
• Kulturell bedingt ist auch die Höhe der „Wahrnehmungs- und Bewertungsschwellen“, die das auffällige Verhalten eines Kindes und die Notwendigkeit
professioneller Hilfe betreffen.
• Die Bedeutung der Schule und des Verhaltens
der Kinder dort wird ebenfalls kulturabhängig
unterschiedlich gesehen.
*
Literatur-Review zu UMF von Witt, A., Rassenhofer, M., Fegert,
J.M. und Plener, P.L. (2015)
 Publikationen aus peer-reviewed journals zwischen 01.01.2004 bis
30.04.2015
 < 18 Jahre beim Eintreffen im Aufnahmeland
 Originalarbeiten, qualitativ oder quantitativ mit mindestens 10
Studienteilnehmern in Deutsch oder Englisch
 Insgesamt 43 Artikel erfüllten alle Kriterien
*
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland (Witt et al.
2015)
 Deutliche Zunahme von UMF in den letzten Jahren
 Eine hoch vulnerabel – aber auch sehr heterogene – Gruppe, die
angemessen diagnostiziert (Screening) und versorgt werden muss
 Psychische Auffälligkeiten und deren Verlauf bei UMF werden in
Deutschland zu wenig untersucht
 Neben posttraumatischen Stresssymptomen und posttraumatischen
Belastungsstörungen sind auch depressive, Angst- und weitere Störungen
zu berücksichtigen (20%-80%: psychische Auffälligkeiten insgesamt)
 Daneben gibt es einen erheblichen Anteil resilienter UMF (um die 50%)
*
UMF in D (Witt et al. 2015, S. 209)
 „unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF): < 18-jährige, die ohne
Begleitung eines für sie verantwortlichen Erwachsenen in ein fremdes Land
einreisen“
 6.584 unbegleitete Minderjährige wurden in Deutschland in 2013 in Obhut
genommen (Statistisches Bundesamt 2014)
 90% der Inobhut genommenen UMF waren männlich
 2.486 Asylanträge wurden von UMF in 2013 gestellt (Müller, 2014)
 Die Altersangaben sind nicht immer zuverlässig
 Geburtsregister im Herkunftsland können unzureichend sein
*
Review zu UMF (Witt et al. 2015): Prävalenzen
 Posttraumatische Stresssymptome in Fragebogenstudien zwischen 17%
und 61,5% für männliche / 71,3% für weibliche UMF
 Posttraumatische Belastungsstörungen in klinischen Interviews zwischen
19,5% und 30,4%
 Depressive Symptomatik im Selbstbericht zwischen 11,5% für männliche /
23,1% für weibliche UMF und 44,1%
 Depression im klinischen Interview 9,4%
 Dysthymie im klinischen Interview 14,6%
*
Review zu UMF (Witt et al. 2015): Prävalenzen
 Angstsymptome im Selbstbericht zwischen 17,9% und 38,3%
 Generalisierte Angststörungen in klinischen Interviews 3,8%
 Agoraphobie in klinischen Interviews 4,4%
 Störung des Sozialverhaltens in klinischen Interviews 2,4%
 Störung mit oppositionel aufsässigem Verhalten im klinischen Interview
4,9%
*
UMF: Inanspruchnahme von und Wünsche an Hilfen (Witt et al.
2015)
 Bildung und Sprachunterricht werden gewünscht
 Mangelnde Sprachkenntnisse und Überforderung von Dolmetschern werden
als Inanspruchnahme-Barrieren gesehen
 Wunsch mit anderen zusammen zu wohnen (statt Einzelzimmern)
 Über die Hälfte der UMF wohnt selbstständig oder teil-selbstständig
 Wunsch nach Familiennachzug
*
Review zu UMF (Witt et al. 2015): Risiko und Schutzfaktoren
 Anzahl von Stressfull Live Events (SLE) und direkte körperliche Verletzung:
Prädiktoren für höheres PTBS-Risiko
 Weibliches Geschlecht: Prädiktor für PTBS und Depression
 Alltagsbelastungen: Erhöhtes Risiko für depressive Symptome
 Aber: Kontakt zur Familie im Heimatland trägt zu mehr sozialer
Unterstützung im Aufnahmeland und weniger depressiven Symptomen bei
*
Review zu UMF (Witt et al. 2015): Resilienz
 Keine oder kaum psychische Auffälligkeiten zeigten 18,5% bis 80% der UMF
(über alle Studien hinweg)
 Kriterien einer psychischen Störung wurden in klinischen Interviews nicht
erfüllt von 44%-58,1%
 UMF hatten eine ebenso große Lebenszufriedenheit wie die
Vergleichsgruppen
*
Weiterentwicklung der Versorgung von Migrantenkindern und
Jugendlichen und ihren Familien

Das Angebot von Psychotherapeuten mit interkulturellen Kompetenzen ausbauen

Kultursensitive personalisierte Behandlung statt scheinbar „gerechter“
Gleichbehandlung

Der Einsatz von Dolmetschern muss umfassend finanziert werden

Der Einsatz von bikulturell und bilingual kompetenten Psychotherapeuten und
Personal sollte gefördert und unterstützt werden

Berücksichtigen, dass Dolmetschen und bilinguale Kompetenzen an Grenzen
stoßen müssen: im Großraum Frankfurt dürfte es über 150 verschiedene
gesprochene Sprachen geben

Kultursensitive Supervision für Therapeutinnen und Therapeuten entwickeln:
Einer induzierten Traumatisierung von Helfenden bei Behandlung traumatisierter
Migranten muß gezielt vorgebeugt werden.
*
Literatur
Adam, H. und Klasen,F. (2011) Trauma und Versöhnung. Versöhnungsbereitschaft bei traumatisierten Flüchtlingskindern.
Trauma und Gewalt 5 (4), 2011, 356-369
Adam, H. (2015) Vom Umgang mit Traumata. Wie reagieren Kinder und Jugendliche , wenn sie mit Gewalt in
Berührung kommen? Krieg, Flucht und Exil aus Sicht der Entwicklungspsychologie. JuLit, 3, 2015, 3-9
Belhadj Kouider, E., Petermann, F. (2015) Migrantenkinder. Kindheit und Entwicklung, 24 (4), 199-208
Boos-Nünning, O. (2011) Migrationsfamilien als Partner von Erziehung und Bildung. Expertise im Auftrag der Abt.
Wirtschafts- und Sozialpädagogik der Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.) bob Bonner Universitäts-Buchdruckerei:
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Diefenbach, H. (2010) Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien im Deutschen Bildungssystem. Erklärungen
und empirische Befunde. VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden, 3. Aufl.
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Pustka, F., Zepf, F. D. (2013) Migration background and juvenile mental health: a descriptive retrospective
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Ghaderi, C., Nguyen-Meyer, N., Zito, D. (2012): Diversity in der Flüchtlings- und Migrationssozialarbeit – Das
Düsseldorfer Konzept. In: Effinger, H. et al. (Hrsg.): Diversität und Soziale Ungleichheit. Analytische Zugänge und
professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit. Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich, S. 228-243
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*
Literatur
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Meier-Braun, K.-H. (2015) Einwanderung und Asyl. Die 100 wichtigsten Fragen. C.H. Beck: München
Perget, P., Ekblad, S., Enskär, K., Björk, O. (2007) Obstacles to Transcultural Caring Relationships: Experiences
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Siefen, G. , Kirkadly, B., Adam, H. , Schepker, R. (2015) Anforderungen an die Behandlung von Migrantenkindern
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Witt, A., Rassenhofer, M., Fegert, J.M. und Pleener, P. (2015) Hilfebedarf und Hilfeangebote in der Versorgung
von unbegleiteten Minderjährigen Flüchtlingen. Kindheit und Entwicklung, 24 (4), 209-224
Zimmermann, D. (2015) Migration und Trauma. Pädagogisches Verstehen und Handeln in der Arbeit mit jungen
Flüchtlingen. Psychosozial-Verlag: Gießen, 2. Aufl.
Ziol- Guest, K.M., Kalil, A. (2012) Health and Medical Care among the Children of Immigrants. Child Development,
Volume 83, Number 5, p 1484-1500
*
Herzlichen Dank fürs Zuhören
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