Teil I

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13 Höfe am Schlossberg
Marburgs vergessene Geschichte
ein historischer Report
Impressum:
13 Höfe am Schlossberg
Marburgs vergessene Geschichte
published by epubl g.m.b.H Berlin
Copyrigth © 2012 Reinhold Drusel
www.drusel-ockershausen.de
ISBN 975-3-8442-2168-
1
Inhalt
Inhaltsverzeichnis
2
Lageplan
4
Einleitung
5 - 16
Teil I
13 Höfe Schlossberg
17 - 85
Teil II
Marburg im
dreißigjährigen Krieg
86 - 130
Marburg im
siebenjährigen Krieg
131 - 158
Der Marburger Aufstand
vom 24. Juni 1809
159 - 199
Teil III
Teil IV
Kirchliches Leben
am Schlossberg zu Marburg
200 - 210
Marburger Stadttore und
Pforten im Mittelalter
211 - 213
Quellen
214 - 221
Kurzbeschreibung
Umschlag Außenseite
2
3
Lageplan der 13 Höfe am Schlossberg
zu Marburg (o.G.)
1 Der Forsthof
8 Der Weitershäuser
Hof
2 Der Milchlingshof
9 Der Berlep’sche Hof
3 Der Rabenauer Hof
10 Die Wolffsburg
4 Der Hühnerhof
5 Der Scheurnschloss’sche Hof
11 Der Feigenhof
6 Die Kaplanei
12 Der Dörnberger
Hof
7 Der Glaser’sche Hof
13 Der Renthof
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Einleitung
Die exakte Zeitbestimmung der Entstehung des Ortes
Marburg gehört offenbar zu den großen Geheimnissen
unserer Heimatgeschichte, die sich partout noch immer verweigert, exakte urkundlich belegbare Beweise
dazu preiszugeben. Halten wir uns also weiterhin,
mangels präziserer Hinweise, an die Aufsätze und historischen Beschreibungen, die uns kluge Heimatforscher und Historiker dazu hinterlassen haben.
Einen aufschlussreichen Bericht vermittelte der Pfarrer
an der lutherischen Pfarrkirche und „Eclesiast“ zu St.
Elisabeth in Marburg, Wilhelm Kolbe, der am 16. September des Jahres 1878 einen ausführlichen Vortrag
im Marburger Rathaus gehalten hat. Wilhelm Kolbe
verweist auf den urkundlich nachweisbaren Zeitraum,
der die Existenz Marburgs ab 1122 nennt. Angaben die
zu einer noch früheren Entstehung von Marburg führen, werden auch bei Wilhelm Kolbe in den Bereich der
Sagen verwiesen und auf die Aufzeichnungen des bekannten hessischen Chronisten Wigand Gerstenberger
(1457-1522) aus Frankenberg. Danach soll Graf Otto
(Otto von Nordheim und Boyneburg) der Gründer Marburgs gewesen sein, etwa in der Mitte des 11. Jh. In
diesen Zeitraum führen uns auch andere Beschreibungen. Sie betreffen allein den Ort Marburg.
Hinsichtlich der Entstehung der Burg dürfen wir jedoch
von einem erheblich früheren Zeitpunkt ausgehen. So
haben nicht zuletzt die vor einigen Jahren unter der
Leitung des Stadtbaudirektors Elmar Brohl rund um
das Marburger Schloss durchgeführten Ausgrabungen
und Bodenuntersuchungen ergeben, dass es dort ein
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Bauwerk gegeben hat, dessen Ursprung weit vor die
Zeit der Stadtgründung im 12. Jh. zurückgeht.
Ein Modell zeigt, wie die Burganlage vor der Stadtgründung, an
der Schwelle des 11. und 12. Jh. ausgesehen haben könnte.
Um die Burg herum siedeln sich in dieser Zeit mehr
und mehr Bewohner an. Die Einwohnerschaften einiger untergegangener Ortschaften rund um Marburg,
(Walpershausen, Zahlbach, Lammersbach, Allershausen u. a.) zieht es an den Ort der ihnen eine größere
Sicherheit verspricht. Am Fuße der Burg wächst der
Marktflecken Marburg. Er legt bald den Charakter eines Dorfes ab. Die Ansiedlung mausert sich zur Stadt
am Burgberge, noch ehe sie die offiziellen Siegel und
Stadtrechte im Jahr 1311 erwerben wird. Entscheidend
für Marburg werden jedoch die Ereignisse, die im Zuge
des Wirkens der thüringischen Landgräfin Elisabeth,
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Witwe des Landgrafen Ludwig II., nach ihrem frühen
Tode im Jahr 1231 eintreten. Der nur sehr kurze
Zeitabschnitt ihres Lebens am Fuße der Burg in
Marburg von 1228 bis 1231 führt im Folgenden zu
einer Initialzündung der beginnenden hessischen und
der frühen Marburger Geschichte. Sie ist heute auf das
Engste mit Elisabeth, der Patronin von Hessen und
Marburg eng verbunden. Dabei lag es gewiss nicht in
Elisabeths Absicht, prägend in die politische Landesgeschichte einzugreifen. Es war vielmehr Ihre Tochter,
Herzogin Sophie von Brabant, die einen günstigen
Zeitpunkt dazu nutzt, die Grafschaft Hessen aus dem
thüringischen Besitz zu lösen. Sie setzt durch, dass ihr
Sohn Heinrich als erster Landgraf des neu entstandenen Landes Hessen eingesetzt wird. Zunächst übernimmt Sophie von Brabant die Regentschaft über das
Land, bis zur Mündigkeit des Sohnes, der als Landgraf
Heinrich I. (1244-1308) auf dem Schloss in der Residenzstadt Marburg residieren wird.
Sophie von Brabant veranlasst den Ausbau der Burg
zu einem Residenzschloss. Sie versammelt um sich
eine Anzahl von Gefolgsleuten aus den Adelsfamilien
der nahen Grafschaften, die als Burgmänner nun dem
unmittelbaren Schutz der Landgrafschaft dienen. Rund
um den Schlossberg errichten diese Burgmänner ihre
Höfe. Sie bilden den Kern der Vertrauten der Landgrafen. Dafür werden sie mit Titeln versehen und mit
Grundbesitz rund um den Schlossberg. Zu ihrem
Unterhalt werden sie mit landwirtschaftlichen Gütern
in den nahen Ortschaften belehnt.
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Das Residenzschloss in Marburg im 17. Jh. nach einem Modell
Nach ihrer Herkunft erhalten sich die Familiennamen
bei einigen der frühen Anwesen am Schlossberg noch
lange Zeit im Volksmund fort. Ihre besondere Stellung
als Burgmannen stellt sie frei von Zins- und sonstigen
Abgaben an den Landesherrn.
Bei einigen Höfen gehen die ursprünglichen Namen
ihrer Erbauer unter. Sie nehmen nun den jeweiligen
Namen eines der späteren Besitzer an und bleiben im
Volksmund unter diesen neuen Bezeichnungen bestehen, so der Berlep’sche Hof und der Glaser’sche Hof in
der Ritterstrasse. Andere Hofbezeichnungen leben
noch heute fort, obwohl die ursprünglichen Besitzungen untergegangen sind wie der Renthof, der Dörnberger Hof und die Wolffsburg.
Die Dreizehn Höfe am Burgberg bilden ursprünglich
einen Ring um die Schlossmauern. Sie gehören nicht
zu den in dieser Zeit entstehenden Stadthäusern in
Marburg. Bis auf wenige Ausnahmen gingen diese ursprünglichen Höfe unter, oder sie veränderten ihr Aussehen.
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Die Skizze des Schlossberges mit den Positionen der Höfe
am Schlossberg in Marburg
Was nun aus ihnen wurde, dies will dieser Bericht ein
wenig näher beleuchten.
Bei den Spaziergängen durch unsere schöne Marbuger Altstadt, vom Marktplatz hinauf zur Ritterstrasse
und Landgraf-Philipp Strasse und weiter zum Schloss
erkennt man mehrere ältere Toreinfahrten und Portale.
Dahinter sucht man vergeblich die offenbar dazu gehörenden prächtigen historischen Bauten aus der Zeit
ihrer Entstehung im 14. und 15. Jh. Etliche davon sind
in den turbulenten Ereignissen in der Geschichte des
Marburger Schlossberges untergegangen.
In alten Skizzen von Carl Justi und Otto Ubbelohde,
die man in älteren Druckschriften noch ausfindig machen kann, erkennt man noch die alten Bauwerke, die
im 19. Jh. zum Teil noch als Ruinen bestanden haben.
Man ist geneigt, etwas mehr davon zu erfahren, was
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sich hinter diesen Pforten des bergseitigen Hanges an
der alten Burgstrasse, der heutigen Landgraf-Philipp
Strasse, verborgen haben könnte. Die alten Häuser,
die man hinter den Pforten antreffen möchte, gibt es
nicht mehr.
Dies führte nun den interessierten Spaziergänger zu
der Idee, die fast vergessene Geschichte der alten Höfe rund um den Schlossberg und das Schicksal ihrer
Bewohner zu erkunden und neu aufzuschreiben.
Dabei sind es insbesondere die Häuser der Ritterstrasse und der Landgraf-Phlipp Strasse, die samt und
sonders mit bemerkenswerten historischen Ereignissen aufwarten können. Die Einflüsse der Reformation
in Hessen spiegeln sich in ihren Geschichten ebenso,
wie der im 30jährigen Krieg ausgefochtene Bruderkrieg der Hessen-Darmstädter und der Hessen-Kasseler um das „Marburger Erbe“.
Der Start in dieses Vorhaben wurde dadurch erleichtert, als man auf eine Vielzahl von historischen Berichten zurück greifen kann, die von honorigen Marburger
und hessischen Historikern vor vielen Jahrzehnten zu
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diesem Thema zusammen getragen wurden. Die von
den diesen namhaften Heimatkundlern vorgenommenen Nachforschungen in den Archiven, maßgeblich
nach der Auswertung der alten „Marburger Ratsprotokolle“ erleichterte die Aufgabe, eine Kurzfassung von
interessanten Details der Marburger Geschichte neu
zusammen zu stellen.
Der Verfasser dieser Schrift bezieht sich daher im Wesentlichen auf die historischen Schriftsätze der hervorragenden Kenner unserer Stadt wie: Wilhelm Bücking, Wilhelm Kolbe, Walter Kürschner, Ferdinand
Justi, Carl Justi, Ludwig Bickel und andere.
Es erscheint kaum denkbar, die Geschichte der Ritterstrasse und ihre Bewohner ausführlicher und inhaltsreicher zu schildern, als dies von Carl Knetsch in
seinem Werk „Der Forsthof und die Ritterstrasse zu
Marburg“ aus dem Jahre 1921 dargestellt wird.
Die hier vorgenommene Auswertung der erwähnten historischen Texte zur Marburger Geschichte kann nur
als eine verkürzte Zusammenfassung der z. T. vor
über 100 Jahren erstellten Aufsätze gelten. Die historischen Fotografien und Skizzen sowie die neueren
Fotos sollen helfen die Örtlichkeit zu den hier vorgenommenen Schilderungen zu vermitteln.
Die Quellen sind am Ende dieses Berichtes aufgelistet.
Hinzu kommt, dass durch die neuen Medienangebote
über „Wikipedia“ ergänzende Erkenntnisse zu den Ereignissen aus der Zeit des Geschehens in den Report
eingebettet werden konnten.
Erfasst wurde die Geschichte der dreizehn Höfe, die
einst innerhalb der alten Stadtmauern, rund um den
Schlossberg angesiedelt waren. Sie entstanden, wie
erwähnt, nach und nach, ab dem 13. Jh. als Burglehen
für die hier angesiedelten, adligen Burgmannfamilien.
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Alle Höfe waren ursprünglich von den in Marburg residierenden Landgrafen „abgabenfrei“ an diese Schutzritterschaft zu Lehen übergeben worden.
Eine geordnete und zielgerichtete Bauplanung aus
dieser Zeit kann am Schlossberg in Marburg nicht
ausgemacht werden. Strassen und Wege gab es nicht.
Alle Grundstücke wurden über Saumpfade erreicht,
bis es ab dem 16. Jh. zu den ersten Wegeanlegungen
kommt. Eine Orientierung der Höfe nach heutigen
Maßstäben gab es ebenfalls nicht. Strassenbezeichnungen und Hausnummern waren noch für lange Zeit
unbekannt.
Bei allen der 13 hier beschriebenen Höfen bezieht sich
die Endbezeichnung „Hof“ nicht auf einen hier ggf.
vermuteten früheren Gasthof, sondern sie weist allein
auf den Namen der Erbauer, oder der später hier wohnenden Eigentümer hin. Die steile Hanglage ermöglichte den Bewohnern zu keiner Zeit die Annehmlichkeiten einer Stadtwohnung in der Ebene. Die wunderbare Fernsicht in das Lahntal dürfte indessen die Bewohner am Burgberg schon damals beglückt haben.
Der Vorteil der Behausungen am Burgberg lag vor
allem in der Abgabenfreiheit ihrer Besitzer.
Von den üblichen Belastungen, denen alle Bürgerhäuser in der Stadt Marburg durch die ständigen Einquartierungen des Militärpersonals über viele Jahrhunderte ausgesetzt waren, blieben die privilegierten Behausungen am Schlossberg - zumindest formal – verschont.
Allein an diese Befreiung hielten sich indessen die verschiedensten Belagerer und Eroberer der Stadt Marburg und der Burg in ihrer Geschichte nicht immer.
Rund um das Schloss entstehen Zug um Zug neue
Wohngebäude, Viehställe, Scheunen und Remisen. Der
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Renthof unterhalb der nordseitigen Schlossmauer wird
zur zentralen fiskalischen Anlauf- und Sammelstelle in
der Landgrafschaft Hessen-Marburg.
Der Schlossberg wird zum zentralen Bereich des städtischen Lebens. Von Anbeginn steht im Mittelpunkt der
wachsenden Stadt am Burgberg das kirchliche Leben.
An Stelle der zu Beginn des 13. Jh. errichteten Heiligkreuzkapelle entsteht bis zum Ende des 13. Jahrhunderts die St. Marienkirche, heute lutherische Pfarrkirche. Sie bildet - neben dem imposanten Schloss - ein
prägendes Element des mittelalterlichen Stadtbildes.
An ihrer Erbauung und Ausgestaltung hatten sich die
adligen Familien zu allen Zeiten beteiligt.
Der Kerner in der Ritterstrasse, in unmittelbarer Nähe
der St. Marienkirche, diente in verschiedenen Funktionen für die Stadt Marburg, so auch als Rathaus der
Stadt, bis zum Jahre 1527.
Nachdem auch für die landesherrliche Ordnungsmacht
die Entwicklung zu größeren Behörden und Ämtern,
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nebst dem dazu gehörenden Personal führte, erfolgt
für einige der vormaligen Höfe am Schlossberg eine
einschneidende Veränderung. Etliche von ihnen fallen
zurück in dass Eigentum der Landgrafen, die nun hier
neue Gebäude errichten lassen. Im 16. Jh. entstehen
neue Kanzleien und neue prächtige Häuser auf den
alten Fundamenten.
Nach dem Tode des letzten in Marburg residierenden
Landgrafen Ludwig IV. von Hessen-Marburg im Jahr
1604 setzte sich die bereits eingeleitete Veränderung
der Besitzverhältnisse bei fast allen Höfen fort. Anstelle der alten Burgmannfamilien bewohnen nun mehr
und mehr die hohen landgräflichen Beamten und die
Professoren der Marburger Universität die alten Höfe.
Im Laufe der Jahrhunderte wechselten nun allerdings
die Namen der einzelnen Höfe oftmals mit deren neuen Besitzern. Gleichwohl ist es erstaunlich, dass einige Höfe ihre ursprüngliche Bezeichnung nicht verloren
haben und für eine lange Zeit den Marburgern als
Orientierung dienten. Andere Höfe gingen durch die
Kriegseinwirkungen des 30jährigen Krieges völlig unter
und wurden nicht wieder aufgebaut. Auch Ihre Namen
bestehen noch lange Zeit im Volksmund fort, ehe sie
nach und nach gänzlich in Vergessenheit geraten sind.
Die Standorte der alten Höfe sind längst vergessen
und werden wohl nur noch wenigen Marburgern „dem
Namen nach“ bekannt sein.
Der untergegangene alte „Feigenhof“ an der unteren
Landgraf-Philipp Strasse wurde ebenso wenig wieder
neu aufgebaut, wie die „Wolffsburg“ auf dem Gelände
des ehemaligen „Hosenhofes“, der bereits im 15. Jh.
unterging.
Dieses Schicksal erlitten auch der „Weitershäuser Hof“,
der zwischen dem „Berlep’schen und dem „Glaser14
schen Hof“ in der Ritterstrasse lag. Auch der „Rabenauer Hof“, der dem Forsthof in der Ritterstrasse gegenüber liegt, wurde nach seinem Abbruch im 30jährigen Krieg nicht wieder aufgebaut.
Für alle Häuser die ihre Herkunft von den alten Höfen
am Schlossberg ableiten, ergeben sich über die Jahrhunderte hinweg außergewöhnliche Geschichten und
ständig wechselnde Eigentümer und Bewohner. Die
lange Liste der honorigen Bewohner der Ritterstrasse
erscheint noch heute als ein einziges „Stelldichein“ des
hohen- und niederen deutschen und alt-hessischen
Adels, der sich an der Stätte der Gründung des Landes
Hessen versammelt hat, um den Ruhm Marburgs, allein schon durch ihre Anwesenheit, weiter zu tragen.
Dabei kommt natürlich allen „Neuankömmlingen“ in
Marburg seit je her eine ganz besondere Mentalität der
Alt-Marburger entgegen. Eine in Jahrhunderten gewachsene Gastfreundschaft, die bis heute dazu führt,
dass die Marburger Bürgerschaft die Gestaltung ihrer
Stadt, ihrer Entwicklung und die gesamte Zukunftsplanung, seit der Stadtgründung im 13. Jh. bis heute,
überwiegend bis in unsere heutige Zeit, ihren honrigen Neubürgern überlassen wird. Kaum ein Marburger, der vormals nicht dem Adel, später dem höheren
Beamtenstand angehört hätte, oder aus dem Kreise
der Honoratioren aus Lehre und Forschung hervorgegangen ist, hat es geschafft, in die lange Liste der
Berühmtheiten unserer Stadt aufgenommen zu werden.
Die Namen zahlreicher Eigentümer oder späterer der
Bewohner der Ritterstrasse finden sich indessen noch
heute unter den Stadtbewohnern. Einige von Ihnen
gehören längst auch zu den Urgesteinen der heutigen
Marburger Bürgerschaft. An ihre interessanten Fami15
liengeschichten wollen wir erinnern. Sie haben die Geschichte des Marburger Schlossberges geprägt.
Die Aufzählungen der Erbauer und späteren Bewohner
der Höfe am Schlossberg in Marburg gehen in diesem
Bericht bis zur Zeitenwende des 19./20. Jh. Eine
Fortschreibung der interessanten Familiengeschichten
sollte deren Nachkommen vorbehalten bleiben.
In den Teilen II, III, und IV dieses Reportes
werden die bemerkenswerten überregionalen
politischen Ereignisse und ihre Auswirkungen
in Marburg beleuchtet.
• Der 30jährige Krieg 1618 bis 1648.
• Der siebenjährige Krieg 1756 bis 1763.
• Der „Marburger Aufstand“ 1809.
Im Zuge dieser Ereignisse bestand höchste
Gefahr für die Existenz der Stadt und ihrer Bewohner.
Diese Begebenheiten sind eng verbunden mit
dem Schicksal der Menschen am Burgberg zu
Marburg.
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Teil I
13 Höfe am Schlossberg
Der Forsthof
Vom Rodenhof zum Forsthof
Ritterstrasse 15 und 16
Der Forsthof (Rodenhof) Aufnahme von Ludwig Bickel 1878
17
Die bei Weitem vielseitigsten Hinweise die wir aus alter
Marburger Zeit mit einem der 13 Höfe rund um den
Schlossberg verbinden, betreffen den Forsthof der aus
dem historischen „Rodenhof.“ hervorgegangen ist. Bemerkenswerte Stationen der Marburger und der Hessischen Geschichte begleiten diesen interessanten Hof
bis heute. Die historische Fotografie aus dem Jahre
1878 zeigt den Forsthof noch frei von der Begrünung, die heute den gesamten Marburger Schlossberg
umrankt. Die Mauern und ruinenartigen Mauerreste
auf dem Grundstück spiegeln die zahlreichen baulichen
Veränderungen wieder, die dieser imposante Gebäudekomplex in den Jahrhunderten seit seiner Entstehung erfahren hat. Das Gebäude am rechten Bildrand
gehört ebenso wie die zahlreichen Nebengebäude, den
Ställen und Remisen zum historischen Rodenhof, der
ursprünglich als burgfreies Anwesen der begüterten
Familie der „Rode“, die in früher Zeit auch als „Rufus
zu Marburg“ genannt wird, mit dem Hinweis auf die
roten Haarfarbe ihres Stammvaters. Auch der Ketzerrichter „Konrad von Marburg“ (frühes 13. Jh.) soll
aus dieser Familie hervorgegangen sein.
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Kellergewölbe des Rodenhofes, gezeichnet von Otto Ubbelohde
Der Rodenhof wurde auf direkt in den Fels gehauenen
gewaltigen Unterbauten errichtet. Über zwei Kellergeschossen erhebt sich das auffällige Haupthaus, das
im Jahre 1597 völlig abbrannte und 1599 wieder neu
erstellt wurde.
Seit etwa 1300 liegen Urkunden vor, die auf einen
ausgedehnten Besitz- und Güterstand der Burgmannfamilie „Rode“ am Burgberg hinweisen. So wird auch
von einem zweiten Hofe der „Roden“ am Burgberg
ausgegangen, der offenbar völlig untergegangen ist.
Noch heute bezeugen die Namen: „Rotenberg, Roter
Graben oder der „Rote Hof in Ockershausen“ auf umfangreiche Besitzungen der „Roden“ hin. Als eine der
Burgmannfamilien gründen sie, gemeinsam neben anderen Adelsfamilien, im frühen 13. Jh. ihre Behausungen am Schlossberg. Dies geschieht zum unmittelbaren Schutze für die Landgrafen, die ihre engsten
wehrhaften Getreuen in ihrer Nähe um sich versammeln. Die exponierte Lage des Anwesens der „Roden“
direkt unterhalb der Schlossmauer unterstreicht die
hohe Stellung ihrer Besitzer. Die zahlreichen hoch stehenden Persönlichkeiten die den Hof in den Jahrhunderten bewohnt haben, bestätigen die herausragende
Bedeutung dieser Familie in der frühen Marburger
Geschichte.
Nachweisliche Erwähnungen findet ein
„Kraft Rode“ aus Marburg, der auch als Kirchhainer
Amtmann im Jahre 1348 tätig ist. Als Grünberger
Amtmann wirkt „Kraft Rode“ in den Jahren 1364 und
1371. Dessen Sohn Dietrich Rode ist landgräflicher
Schultheiß von Marburg und wird als Landvogt an der
Lahn genannt. Verheiratet war er mit Else, geb. von
Schenck zu Schweinsberg. Eine Tochter der Familie
19
Rode ist als Nonne im Kloster von Caldern nachgewiesen. Aus den Nachkommen der Familie Rode
entstammt auch Elisabeth Rode, die als Äbtissin von
1479 bis 1500 an der Spitze des Stifts zu Wetter
wirkte. Ein weiterer Nachkömmling, Eberhard Rode,
dient seit 1446 als Ritter des deutschen Ordens zu
Marburg. Eberhard Rode wird in einer Urkunde aus
1504 als Inhaber des Rodenhofes genannt. Sein Wappen, gemalt von Johann von der Leyte im Jahre 1511,
befand sich im Katharinenaltar in der Elisabethkirche.
„Leonhart in der Roden Hofe“ wird 1558 zumindest als
ein Teilbesitzer des Hofes in Marburg genannt.
Die Familie Rode hat gegen Ende des 16. Jh. ihren Sitz
nach Weilburg verlegt. Der letzte der „Rode“ in Marburg, Georg Rode, starb im Jahre 1599. Ein auf den
Kopf gestelltes Wappenrelief soll bezeugen, dass mit
ihm der letzte seines Stammes ausgestorben ist.
Nach dem Jahre 1570 gelangt der Rodenhof wieder in
den Besitz des Marburger Landgrafen Ludwig IV.
(1537-1604), der ihn als freien Burgsitz dem Kammersekretarius Alexander Dietrich schenkt. Von den
Erben Dietrichs wird der Rodenhof im Jahre 1596 wieder an den Landgrafen Ludwig IV. verkauft, der nun
den gesamten Hof und Garten 1597 seiner Gemahlin,
Maria geb. Gräfin von Mansfeld, schenkt. Seit dieser
Zeit wird das große Wohnhaus von Philipp von Baumbach, Kammerjunker der Landgräfin Maria, bewohnt.
Am 29. März 1598 brennt das gesamte Gebäude „nach
Unvorsichtigkeit des Gesindes“ ab. Auf Veranlassung
der Landgräfin Maria wird das Haus wieder aufgebaut
und dient nun weiterhin ais Wohnung für den landgräflichen Kammermeister Philipp von Baumbach. Die
Jahre von 1593 bis zum Tode von Landgraf Ludwig IV.
1604 sind nicht ohne Pikanterie. Philipp Ludwig
20
Wappen der adligen Familie von Baumbach
Kammermeister von Baumbach hatte den in 1593 verstorbenen landgräflichen Hofmeister Hans Scheuernschloss zu Hachborn am Hofe von Ludwig IV. abgelöst.
Baumbach, ein fescher junger Mann von Adel, stand in
hoher Gunst des Landgrafen. Vom Hofjunker avancierte er bald zum Kammerjunker, Frauenzimmerhofmeister und zum Haushofmeister, mithin zum höchsten Beamten bei Hofe. Er machte bald Eindruck auf
die Landgräfin Maria (1567 – 1635), die 3o Jahre
jünger war als ihr Gemahl Ludwig IV. Es entstand offenbar ein Liebesverhältnis zwischen Baumbach und
Landgräfin Maria, von dem alle Welt in Marburg zu
wissen glaubte, nur nicht ihr Gemahl Ludwig.
Er fand nichts dabei, dass Baumbach auf Anordnung
von Maria die Stadtwohnung aufgab und in den Rodenhof, unmittelbar an der Schlossmauer und nahe
der Behausung der Landgräfin, einzog. Die kaum verborgenen Begegnungen des offenkundigen Liebespaares fanden sowohl im Schloss, im Rodenhof und auf
ausgedehnten Reisen statt, die Baumbach gemeinsam
mit der Landgräfin unternahm.
Diese Vorgänge bereiteten den landgräflichen Verwandten in Kassel und Darmstadt großes Unbehagen.
Landgraf Moritz von Hessen-Kassel (1572-1632) der
nach dem Tode des kinderlos verstorbenen Landgrafen Ludwig IV. im Jahr 1604 dessen Erbe in Oberhessen angetreten hatte und Hessen-Marburg in die
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Landgrafschaft Hessen-Kassel eingliederte, nahm dies
zum Anlass, der ungeliebten jungen Witwe des Onkels
Ludwig die größten Erbschaftsprobleme zu bereiten.
Landgraf Moritz von Hessen-Kassel
Er konfiszierte die großzügigen Schenkungen Ludwigs
IV. an seine Gemahlin und überzog ihren Liebhaber,
den Hofmeister Philipp Ludwig von Baumbach mit Anklagen. Ludwig von Baumbach wurde am 14. April
1605 in das Gefängnis Ziegenhain eingewiesen. Gegen
245 Anklagepunkte musste sich Baumbach vor dem
peinlichen Gericht verteidigen. Angeklagt wurde er
der „Hexerei, Giftmischerei, Zauberei, Kristallseherei,
Segensprechen, Besitzer verdächtiger Knöchlein, Alräunchen und Wolfsaugen zu sein“ und von anderen
merkwürdigen Dingen, darunter eine „ziemlich zerblättert und gebrauchte Schandkarte zu besitzen mit allerhand hurerischen Gemälden“ darauf. Nur durch
Vermittlung der Verwandtschaften von Baumbachs und
der Landgrafenwitwe gelang es, Philipp Ludwig von
Baumbach gegen Ende des Jahres 1605 wieder auf
freien Fuß zu setzen. Dafür musste Maria von Mansfeld
den größten Teil ihres von Landgraf Ludwig IV. erhaltenen Eigentums an den Landgrafen Moritz ab22
treten. Mit dieser Episode endet die erste historische
Etappe des alten Rodenhofes. Landgraf Moritz hatte
nun andere Verwendungen für das recht umfangreiche
Anwesen vorgesehen. Zunächst wies er dem Landvogt
und Statthalter an der Lahn, Rudolf Wilhelm Rau zu
Holzhausen, das Haus als dessen Wohnung zu. Daran
erinnert die kurzzeitig verwendete Bezeichnung „Vogtei“ für das Anwesen. Nach 1611 wird das Haus als
Wohnung des Herrn Oberschultheißen genannt.
Offensichtlich diente das Anwesen in der Folgezeit den
verschiedenen landgräflichen Verwaltungen.
Eine sehr lebendige Zeit erfuhr der Rodenhof, nachdem Landgraf Moritz im Jahre 1606 ein Ballhaus, angrenzend an den alten Rodenhof, errichten ließ.
Unmittelbar an der Stadtmauer vor dem Kalbstor, entlang der Ritterstrasse hinauf zur Schlossmauer, befand
sich auf schwierigem topografischen Terrain das Ballhaus. Es diente beinahe zweihundert Jahre lang den
vielseitigsten Tanz- Spiel- und Sportarten der Zeit, den
zahlreichen festlichen Anlässen der landgräflichen Beamtenschaft, den Notablen der Universität und der
Marburger Bürgerschaft. Das nach den Kriegseinwirkungen des 30jährigen und des siebenjährigen Krieges
völlig herunter gekommene Ballhaus wurde um das
Jahr 1780 abgerissen. Auf dem Terrain des ehemaligen
Ballhauses befindet sich nun ein Gartenhäuschen auch Teehäuschen genannt - aus dem Jahre 1800.
In der Zeit zwischen 1625 bis 1645 als Marburg und
Oberhessen unter der Obhut von Hessen-Darmstadt
stand, erfolgten weitere Umbrüche rund um das geschichtsträchtige Gemäuer des alten Rodenhofes. Dafür sorgten kurzzeitig zwischen 1627 und 1630 die
jungen hessen-darmstädtischen Prinzen: Heinrich und
23
Friedrich (10 und 13 jährig). Sie wohnten zunächst im
Schloss. Dort verursachten sie wohl allerlei Unruhe
und Schabernack, als der ältere Bruder Landgraf Georg II. im Jahre 1627 seine Braut Sophie Eleonore,
Tochter des Kurfürsten Johann Georg I. von Sachsen,
glanzvoll im Marburger Schloss empfing. Georg II.
„beförderte“ die jungen Brüder kurzerhand in den Rodenhof, was diesen außerordentlich gelegen kam. Sie
verlebten hier ihre schönsten und ungebundenen Jugendjahre.
Nachdem Hessen-Marburg ab 1648 wieder an HessenKassel angeschlossen wurde, diente das Anwesen bis
zum Jahre 1800 als Sitz der Landesoberförsterei und
als Wohnung der Oberförster.
Von diesem Zeitabschnitt her leitet sich nun der bis
heute verwendete Begriff des „Forsthofes“ ab. Der bekannteste aller in Marburg dienenden Oberförster, der
das Forsthaus zu seiner Wohnung und zum Arbeitsplatz machen konnte, war Ludwig Carl Eberhardt Heinrich Friedrich von Wildungen. Am 22. November 1799
hatte er sein Amt als Oberförster in Marburg angetreten, um es bis zu seinem Tode im Jahre 1822 auszuüben. Wildungen, ein begnadeter Forstmann, gestaltete den heimischen Wald mit neuen Ideen zu einem
bemerkenswerten und ökonomisch bedeutenden Einkommenszweig für die landgräfliche Verwaltung. Als
Dichter und Poet, als Natur liebender Forstmann und
als Jäger war er in seiner Zeit ein bekannter und beliebter Zeitgenosse.
Akribisch hatte er seine Bestattung und den Begräbnisplatz organisiert. Ein Denkmal das nach seinen Wünschen gestaltet wurde, befindet sich noch immer am
Wege hinter der Landesheilanstalt in Marburg (Psy24
schiatriche Klinik) zwischen dem oberen und dem unteren Richtsberg.
Wildungens Grabmal
Sein sehnlichster Wunsch, den geliebten Forsthof zu
erwerben als er im Jahre 1800 vom Landgrafen zum
Verkauf angeboten wurde, ging nicht in Erfüllung. Obwohl der von ihm angebotene Kaufpreis höher war, als
der Kaufpreis den Prof. Weis ein Jahr später dafür zu
entrichten hatte, erhielt Wildungen den Zuschlag nicht.
Die Willkür des hessischen Landgrafen Wilhelm IX.
(später 1. Kurfürst von Hessen-Kassel) ließ es nicht
zu, dass der Forsthof an Wildungen verkauft wurde.
Der Anlass der Zurückweisung Wildungens durch den
Landgrafen blieb unergründlich.
Das gesamte Anwesen wird indessen im Jahre 1801 an
den Professor der Jurisprudenz Philipp Friedrich Weis
verkauft. Damit begann für das alte Herrenhaus mit
dem unterhalb stehenden kleineren Gebäude und dem
großen Garten, der an der Westseite durch die alte
Stadtmauer begrenzt wurde, nebst dem alten „Pitz25
hennturm“ den man bald den „Bettinaturm“ nennen
wird, ein neues Zeitalter.
Teilte der alte Rodenhof in den ersten Jahrhunderten
seit seiner Entstehung bis zum Ende des landgräflichen Einflusses unmittelbar das harte Schicksal der
wechselnden Herrschaften und das Los der Stadt in
den Kriegsstürmen des 17. und 18. Jh., so erlebt das
Anwesen nun einen völlig neuen konträren Zeitabschnitt.
Der jetzt im Eigentum des Professors Weis stehende
Forsthof diente einer illustren Gesellschaft von Zeitgenossen als Wohn- und Begegnungsraum.
Carl Friedrich von Savigny der Begründer der historischen Rechtsschule in Deutschland lehrte an der Universität in Marburg. Er wohnte im Nebenhaus seines
früheren Mentors und Lehrers, des Professors für mittelalterliche Rechtswissenschaften, Philipp Friedrich
Weis. Es bestand ein sehr freundschaftliches Verhältnis
zwischen Weis und Savigny, sowie zu den studierenden Schülern Savignys, von denen einige im Forsthof
wohnten.
Es ist das Wirken dieser Schar begeisterter Studiosi
die Savigny um sich versammelt hatte, die den späteren Ruhm Marburgs als romantische Stadt begründen werden. Unter ihnen sind es die Namen: Achim
von Arnim, Clemens von Brentano, Bettina von Brentano, später verheiratet mit Achim von Arnim, Jakob
und Wilhelm Grimm, Karoline von Günderrode, Dichterin der Romantik, Friedrich Creuzer u.a., die prägende Erfahrungen für ihr zukünftiges Schaffen im
Dienste der Rechtswissenschaften und der literarischen
Kunst in Marburg machen werden. Sie hinterlassen in
dem kurzen Zeitabschnitt ihres Wirkens in Marburg
unvergessliche Spuren.
26
Professor Dr. Friedrich Carl von Savigny
Hervorzuheben ist das Wirken der Brüder Wilhelm und
Jakob Grimm in Marburg, die später feststellen werden: „dass ihnen von Prof. Savigny die höchsten Inhalte des Begriffes der Wissenschaft, prägend für ihr
ganzes Leben, vermittelt worden seien.“
In den umfangreichen Bibliotheken der Professoren
Weis und Savigny befanden sich, neben den altjuristischen Zeugnissen, bedeutende Sammlungen von frühen romantischen deutschen Dichtungen, Minneliedern und Textsammlungen, die besonders für die von
den Brüdern Wilhelm und Jakob Grimm begründeten
Sprachwissenschaften von Ausschlag gebendem Wert
geworden sind. Ihre Bedeutung als Begründer der
Germanistik in Deutschland ist später ungleich wirkungsvoller, als ihr Erfolg auf dem Gebiet der Rechtswissenschaften, zu derem Studium sie nach Marburg
gekommen waren. Es hatte sich im Forsthof leider nur
kurzzeitig - von 1801 bis 1805 - ein Kreis von Lehrern
und Schülern zusammengefunden, der in unterschiedlicher Weise Epoche machende Erkenntnisse sammelte, diese weiter vermittelte und dadurch dazu beigetragen, hat dass auch die kleine Universitätsstadt Mar27
burg zu einer wichtigen Station der „Deutschen Romantik“ werden konnte.
28
Unter den „romantischen Schwärmern“ des Forsthofes
befand sich mit der jungen Bettina von Arnim (17851859) ein wahrer „Paradiesvogel“ der mit fröhlicher
Unruhe dafür sorgte, dass nun auch Lebendigkeit und
Frohsinn im Forsthof Platz ergriffen hatten. Ihr beliebter Aufenthaltsort wurde der alte Wachtturm in der
Stadtmauer den sie wohl täglich aufsuchte, um in luftiger Höhe ihre ersten bemerkenswerten phantastischen Texte abzufassen. Immer wieder trieb es sie in
den Wintermonaten hinauf auf den Turm. Dort verfasste sie eine wahre Flut von schwärmerischen Briefen, die sie überwiegend an die Freundin Karoline von
Günderrode richtete.
Bettina von Arnim
Der nach Bettina von Arnim benannte „Bettinaturm“. im Garten
es Forsthofes. Ein alter Wachtturm in der Marburger Stadtmauer,
der zeitweilig auch als Gefängnis benutzt wurde und deshalb als
der „Pizzhennturm“ bekannt wurde, so benannt, nach einem
Geldfälscher, der im 17. Jh. hier eingesessen hat. Rechts unten
das Teehäuschen.
29
Kunigunde von Arnim, die ältere Schwester Bettinas,
war mit Carl Friedrich von Savigny verheiratet. Achim
von Arnim folgte mit Bettina im Jahre 1811 dem
Schwager Carl F. von Savigny nach Berlin, der in Preußen in wissenschaftlichen Diensten stand. Bettina
pflegte zeitlebens ausgiebige Briefwechsel mit bedeutenden Persönlichkeiten, etwa mit Carl Marx, den sie
sehr schätzte. Auch mit Johann Wolfgang von Goethe
pflegte sie eine Brieffreundschaft. Diesen erschien die
junge Schriftstellerin wohl „allzu frei denkend“. Goethe
brach die Kontakte zu ihr bald ab.
Ihr großes soziales Engagement entfaltete Bettina von
Arnim nach dem Tode des Ehemannes Achim der im
Jahre 1831 verstarb. Einige ihrer sozialkritischen Werke wurden in ihrer Zeit nicht veröffentlicht. 1851 trat
sie offen gegen die Todesstrafe ein. Ihr Ansehen, dass
sie in den höheren Kreisen in Berlin hatte, verhalf ihr
um Wilhelm und Jakob Grimm nach Berlin zu holen,
als diese im Jahr 1831 in Göttingen gegen die Aufhebung der Verfassung von Hannover protestiert hatten
(Göttinger Sieben) und dort von der Universität verwiesen wurden. Bettina von Arnim trat für die Gleichstellung von Frauen ein. Für die Juden forderte sie
gleiche Bürgerrechte. Sie genießt noch heute einen
hervorragenden Ruf als Frauenrechtlerin in Deutschland. Zahllose Schulen und soziale Einrichtungen sind
nach ihr benannt.
Das Portrait der Bettina von Arnim begleitete uns in Zeiten
der „guten alten D-Mark“ auf dem Fünfmarkschein.
30
Nach Savignys Fortgang aus Marburg wird es um den
Forsthof still. Im Jahre 1808 verstarb dessen Eigentümer Prof. Philipp Friedrich Weis. In den folgenden
Jahren wechseln mehrfach die Eigentümer des Forsthofes. Die Namen der Nacheigentümer sind: Generaleinnehmer Georg Wilhelm Hozzel (1813), Witwe
des Leutnants Scheffer, Catharina geb. Schulz (1817).
Professor Carl Friedrich Vollgraff (1842). Von dessen
Töchtern ging das „kleine Haus“ in 1857 an den Landbaumeister Anton Jakob Spangenberg und das Haupthaus im Jahre 1863 an den Hauptmann und Kriegskommissar a. D. Friedrich Christian Schreiner. Dieser
überließ das Haus 1866 seiner Tochter Emma Clara,
Ehefrau des Medizinprofessors Dr. Carl Falck.
Noch einmal weht ein Hauch von literarischem Geist
durch das Haus, als ein feinsinniger Poet ab 1861 hier
wohnen wird. Professor der Theologie Ernst Constantin
von Ranke, jüngerer Bruder des Geschichtswissenschaftlers Leopold von Ranke. Dieser weilte im Jahre
1864, nach einem Sturz den er in Frankfurt erlitten
hatte, sechs Wochen lang zur Genesung bei seinem
Bruder im Forsthaus, Er schrieb später in einem Brief
an seinen Bruder nach Marburg:
„Was waren es für schöne Tage, auf dem Schlossberg
und auf Spiegelslust, in Deinem Hohen Hause dem
Forsthof – und unten an der Lahn!“
Den Forsthof erwirbt schließlich Dr. der Medizin Heinrich Schick. Er überließ das Haus seiner Mutter, Frau
Pfarrer Schick und seiner Schwester, Frau Pfarrer
Zöckler. Unter deren Leitung wurde hier ein viel besuchtes Mädchenpensionat bis zum Jahre 1913 unterhalten.
31
Blick von der Schlossmauer auf den Forsthof.
Der dichte Baumbestand lässt die Ausmaße des Hanggrundstücks
mit seinen vielen Terrassen nicht mehr erkennen.
32
Der Rabenauer Hof
Auf dem schmalen Grundstück an der Ritterstrasse, in
Verlängerung des Hühnerhofes zum Kalbstor befand
sich der Rabenauer Hof, der im 30jährigen Krieg untergegangen ist und nicht wieder aufgebaut wurde. Als
sein erster Besitzer wurde nach einer Urkunde aus
dem Jahre 1343 die Familie „Kalb von Weitershausen“
genannt. Nach „Otto Kalb von Weitershausen“ der
erstmals 1313 erwähnt ist, leitet das noch bestehende
Kalbstor in der alten Stadtmauer seinen Namen ab.
Das Kalbstor in Blickrichtung zur Ritterstrasse
Im 15. Jh. geht der Besitz des von Kalb über in das
Eigentum der „Rabenauer“. Danach regelt ein Familienvertrag das gemeinsame Eigentum an diesem Hof
für die verwandten Familien der „Nordeck zu Rabenau“
und der „ Rauen von Nordeck“. Die Burgmannfamilie
33
der „Kalb von Weitershausen“ besitzt jedoch einen
weiteren Hof, angrenzend an den Hosenhof zwischen
Landgraf-Philipp Strasse und der Ritterstrasse.
Wappen der von Nordeck zu Rabenau
Der burgfreie Rabenauer Hof befindet sich bis Mitte
des 16. Jh. im Besitz der „Rauen“, die überwiegend als
höhere Beamte in den landgräflichen Diensten stehen.
Im Jahre 1599 befindet sich der Hof im Eigentum des
Letzten der „Roden“ aus der ältesten Marburger Burgmannfamilie. Danach geht der burgfreie Besitz des
Rabenauer Hofes zurück in das Eigentum des Landgrafen Ludwig IV., der es seiner Gemahlin Maria, Gräfin von Mansfeld zum Geschenk macht.
In den Jahren 1626 bis 1628 bewohnt Prof. Dr. Justus
Feuerborn den Hof. Nach ihm nahm hier der städtische Marktmeister Johann Lotze seine Wohnung, bis
zum Untergang des Rabenauerhofes im Jahre 1647.
Danach ist eine Scheuer auf dem Grundstück genannt,
die wohl später einem Wohnhaus an der Ecke zur Kugelgasse weichen musste.
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Den alten „Rabenauer Platz“ bezeichnete man später
als das „Gärtchen“.
Auf diesem Garten stand bis zu seinem Untergang
im Jahr 1647 der „Rabenauer Hof“.
Hinter dem Garten, in Blickrichtung Pfarrkirche:
der „Hühnerhof“
35
Der Hühnerhof
Chronologie des Hauses Ritterstrasse 14
Das Anwesen entstammt aus dem Besitz des Geschlechtes der Burgmannfamilie: „Huhn von Ellershausen“ im 14. Jh. Danach ist auch in den nachfolgenden
Jahrhunderten der Name „Hühnerhof“ abgeleitet von
seinem ersten Besitzer bis heute überliefert.
Schildwappen am Haus Ritterstrasse 14 heute
Haustüre Ritterstrasse 14 heute
36
Von Caspar Huhn wird der Hof am 1. September 1571
an den Hessischen Kammermeister Philipp Chelius verkauft. Der Weiterverkauf durch die Erben von Chelius
erfolgt am 28. Juli 1630 an den „Hessischen Rat und
Oberforstmeister“ Jost Burghard Rau von und zu Holzhausen.
Durch Verschuldung der „von Rau“ gelangt Kanzler
Johannes Vultejus am 21. November 1636 in den Rauischen Besitz, nebst dem neben gelegenen Rabenauischen „Kellerplatz“ (Platz der abgebrochenen Scheune an der Ritterstrasse 8).
Wappen der von Vultee
Der hessische Kanzler Vultejus verkauft den „Hühnerhof“ am 1. Mai 1669 an seinen Neffen, den Vicekanzler Hermann von Vultee. Die Witwe des Enkels des
Vicekanzlers Hermann von Vultee, Sophia Wilhelmina
geb. von Baumbach, ist noch im Jahre 1749 im Besitz
des Hühnerhofes. Der Hof bleibt im Familienbesitz der
von Baumbach bis zum Beginn des 19. Jh.
Universitätszeichenmeister Johann Martin Benjamin
Kessler erwirbt den Hühnerhof im Jahr 1813. Von dessen in Frankfurt lebenden Söhnen wechselt das Anwesen am 26. Januar 1828 in den Besitz des Oekonomen Dr. Luis Richard aus Moischt.
Auf Richard folgt als Eigentümer im Jahre 1879 der
Rektor der Realschule: Dr. Christoph Hempfing.
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Frau Fredericke, die Witwe des Eisenbahnbetriebsinspektors Gustav Lucas, erwirbt den Hühnerhof am
26. September 1904.
Der „Hühnerhof“ Ritterstrasse 14 heute!
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Der Milchlingshof
Chronologie, Besitzer und Bewohner des Hauses
Ritterstrasse 13
Ein Burgmannbesitz an der Stelle des Hofes ist im 13.
und 14. Jh. benannt. Das Anwesen wird später als
Milchlingshof bezeichnet, so genannt nach der Ritterfamilie Schutzbar – die man seit dem 16. Jh. als die
„Milchlinge“ bezeichnet.
Junker Johann Schenk bewohnt das Anwesen um
1558. Die „Ganerben von Rollshausen und Schutzbar“
werden 1574 als Eigentümer des Hofes erwähnt. Miteigentümer ist „Christoffer von Rollshausen“. Er verkauft seinen Anteil an den Hessischen Hofmeister: „Johann von Linsingen“. Im Jahre 1575 erwirbt von Linsingen den Hofanteil der noch unmündigen MilchlingBrüder: Philipp, Hans, Curt und Friedrich Schutzbar.
Rentmeister Johann Saalfeld wird 1583 als Teilhaber
am Hof genannt. Professor Dr. Johann Goeddaeus erwirbt den Milchlingshof im Jahre 1606. Von ihm erfolgt der Weiterverkauf des Hofes 1634 an den Hessischen Obristen Conrad Weitzel.
Prof. Dr. Johann Helfrich Dexbach wird ab 1669 als
dessen Besitzer aufgeführt. Von Prof. Dexbach geht
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der Milchlingshof durch Weiterverkauf an Dr. Heinrich
Klein aus Frankfurt. Nach dessen Tod (1699) wird Prof.
Dr. Melchior Detmar Grolmann aus Gießen als Eigentümer genannt. Auf Grolmann folgt um 1730 Prof. Dr.
Cornelius van den Velde als Besitzer.
Von ihm gelangt das Anwesen in den Besitz des Hessischen Generalmajors Johann Christoph von Maurmann.
Ab 1750 wird Oberamtmann Christian von Schreyvogel, vermählt mit Maria Dorothea von Baumbach,
neuer Besitzer des Milchlinghofes.
Nach Konkurs der „von Schreyvogel“ erwarb im Jahre
1765 Professor der Philosophie, Dr. Hermann Friedrich
Kahrel den Milchlingshof. Dessen Erben verkaufen den
Hof 1794 an Hofrat Prof. Dr. Dietrich Tiedemann. Im
Jahre 1817 gelangte der Besitz an Obergerichtsrat
Heinrich Christian Scheffer.
Von dessen Nachkommen ging das Anwesen 1834 in
den Besitz von Pfarrer Joseph Klöffle über.
Neben der großen Zahl der honorigen Eigentümer des
Milchlingshofes seit dessen Bestehen, findet sich eine
lange Reihe von, ebenso honorigen Persönlichkeiten
die den Hof zeitweilig bewohnt haben.
Darunter Kanzleidirektor Hermann Zoll - um 1690,
Luis von Pappenheim - um 1750,
Henri Crabb Robinson - um 1800,
Otto Rau von Holzhausen - um 1840,
Prof. Dr. Ernst Heinrich Beyrich, Paläontologe,
Prof. Dr. Theodor Birl, Altertumsforscher - nach 1850,
Wilhelm Grimm wird im Jahr 1853 bei seinem Besuch
in Marburg im Milchlingshof wohnen.
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Links der Milchlingshof und Eingang zur Bickeltreppe
Der Klingelborn in der Ritterstrasse gegenüber vom Milchlingshof
41
Der Scheuernschloss’sche Hof
Chronologie der Besitzer und Bewohner der Häuser
Ritterstrasse 11 und 12,
Anwesen des Dr. Johann Wolff,
Leibmedicus des Landgrafen Ludwig IV.
Ursprünglicher Burgsitz des Marburger Burgmannes
„Ritter und Schultheiß Rudolf Scheuernschloss von
Hachborn“. Um 1538 bewohnt Junker Philipp Scheuernschloss das burgfreie Anwesen. Danach gelangt der
Besitz in das Eigentum der Brüder Conrad, Hermann
und Georg Ludwig von Nordeck zu Rabenau.
Wappen von Nordeck zu Rabenau
Im Jahre 1582 erwirbt Dr. Johann Wolff das Anwesen.
Er teilt es auf in die beiden Häuser Rittertrasse 11 und
12. Dr. Johann Wolff bewohnt das Anwesen bis zu seinem Tode 1616. Dr. Wolff war Leibmedicus des Landgrafen Ludwig IV. von Hessen-Marburg, bis zu dessen
Tod im Jahr 1604. Anschließend wirkte Dr. Wolf als
Medicus für dessen Nachfolger, Landgraf Moritz von
Hessen-Kassel. Der Erwerb der Häuser durch Dr. Johann Wolff war auf Drängen des Landgrafen Ludwig
IV. erfolgt, der den Leibarzt ständig in seiner unmittelbaren Nähe wünschte.
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Steinreliefwappen von Dr.Johann Wolff
Dr. Johann Wolff bemühte sich in außerordentlicher
Weise um die Verbesserung der Wohnqualität am
Burgberg in Marburg. Die Hanglage an der die Häuser
der Ritterstrasse gebaut waren brachte für deren
Bewohner zu allen Zeiten erhebliche Erschwernisse.
Die Abwässer vom Schloss herunter und jene aus den
eigenen Behausungen suchten „im freien Lauf“ ihren
Weg durch die Stadt, bis hinab zur Lahn. Dies war mit
einem für heutige Zeiten unvorstellbaren Gestank verbunden. Nach starken Regenfällen verteilte sich der
Unrat in allen Gassen der Stadt.
Energisch erbat Wolff beim Landgrafen die Genehmigung zum Bau der „Aiducken“. Dies sind Abwasserrinnen, die etwa 40 x 40 cm im Quadrat unter dem Straßenniveau angelegt und mit Steinplatten abgedeckt
wurden. Darüber hinaus erwirkte Dr. Johann Wolff
nach Verhandlungen mit dem Landgrafen, dass die
Häuser an der Ritterstrasse vom Schloss herab an die
Wasserversorgung angeschlossen wurden.
Vom Schloss herunter wurde das Wasser in einer Leitung aus ausgehöhlten Erlenholzstämmen zur Ritterstrasse geführt. Später wurden dafür Tonrohre und
Gusseiserne Rohre verwendet.
Das Schloss selbst wurde seit Jahrhunderten von den
Marbacher Brunnen, vom Dammelsberger Brunnen,
43
vom Ockershäuser Born und mit einem Pumpwerk der
„Baldewein’schen Wasserkunst“ von der Lahn herauf
mit Frischwasser versorgt. Auch ein eigener Tiefbrunnen im Schlosshof wurde zeitweilig für die Wasserversorgung genutzt.
Von dem meist gut gefüllten Wasserspeicher auf dem
Schlossgelände führte nun ein Wasserstrahl „einen und
einen halben Federkiel dick“, durch den Garten des Dr.
Wolff’schen Anwesens, der von Schlossmauer bis herunter in die Ritterstrasse reichte. An diesem ständig
fließenden Wasserstrahl schlossen sich die Anwohner
der Ritterstrasse an. Sie stellten dazu einen Steinkumpf oder einen Holzzuber mit Deckel im Hof vor den
Häusern auf. Die gefüllten Bottiche dienten zugleich
als Löschwasservorrat und zur Vorbeugung gegen die
ständige Brandgefahr, die von den offenen Feuerstätten in den Häusern und besonders von den
Kriegsgefahren ausgingen. Das Schlosswasser wurde
bald auf diese Weise auch zum Nutzen für die unterhalb der Ritterstrasse wohnenden Bürger der Stadt an
einige Schöpfbrunnen weitergeleitet.
ehemaliger Schöpfbrunnen in der Ritterstrasse, Foto L. Bickel
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Wolff verkauft das Haus Nr. 11 im Jahre 1590 an die
Apothekerin Sabine Gilhausen. In der 2. Hälfte des 17.
Jh. werden die beiden Anwesen Ritterstrasse 11 und
12 wieder zusammengelegt.
Nach Dr. Johann Wolff’s Tod (1616) ist dessen Witwe
Christina geb. Ulner. Eigentümerin des Hauses Nr. 12.
Sie heiratet später den Juristen Georg von Lettow.
Dieser löst nach dem Tode von Christina (1631) die
übrigen Erben aus dem Nachlass von Johann Wolff ab.
Georg von Lettow, Assessor am Marburger Hofgericht
ist ein Verwandter der aus Pommern stammenden Offiziersfamilie der „Lettows“, die im 30jährien Krieg für
die katholische Liga kämpfte. Ein Offizier aus der Familie der „Lettows“ weilte mit der Armee des kaiserlichen Generals Johann Graf von Tilly im Jahre 1625 in
Marburg. Dies könnte ein Hinweis dafür sein, dass General Tilly im Jahre 1625 einen Schutzbrief für das
Haus „Ritterstraße 12“ ausstellte, der bei Androhung
„schärfster Repression“ das Anwesen vor Einquartierungen und sonstigen Nachteilen durch die Kriegsparteien bewahren sollte,
Nach dem Tod des Georg von Lettows im Jahre 1665
gelangte der Besitz in das Eigentum seines Sohnes,
Oberamtmann Erasmus von Lettow, der es bis zu seinem Tode 1681 bewohnte. Er starb kinderlos. Im
Jahre 1695 gelangte das Anwesen in den Besitz des
Hessen-Darmstädtischen Generalleutnant
Heinrich
von Baumbach zu Gießen (1615 – 1700), den Bruder
der zweiten Frau des Georg von Lettow, Margarete
Lucretia. Die beiden Anwesen Ritterstrasse 11 u. 12
verbleiben in der ersten Hälfte des 18. Jh. im Besitz
der Familie von Baumbach.
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Die Nachfolger und Erben von Baumbach verwalten
den Besitz in den nachfolgenden Jahrzehnten.
Nach 1800 erscheint die Witwe des Generalleutnants
Georg Heinrich von Toll als Eigentümerin. Ihr folgen im
Jahre 1851 Freiherr Adalbert von der Tann und Frau
Emilia geb. von Breidenstein als neue Eigentümer.
Danach gelangt das Anwesen im Jahre 1858 an Rektor
Georg Winneberger.
Zahlreiche weitere, hochrangige Persönlichkeiten
erscheinen in der Ritterstrasse 11 und 12 als Mieter:
u. a.
Dr. med. Victor Hüter 1858,
Carl Hüter 1874
Dr. Oskar Winneberger 1893,
Pfarrer Dr. Konrad Weber 1908
Das Anwesen heute:
Rittersttrase 11: Sitz des Helene Weber Heims
Ritterstrasse 12 - katholische Pfarrgemeinde St. Johannes
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Das bedeutendste Lebenswerk des Dr. Johannes Wolff
hat indessen alle Zeiten seit seiner Gründung im Jahre 1611 bis heute erfolgreich überdauert:
Die „Wolff’sche Stiftung“ in Ockershausen.
Das ehemalige Rittergut der „Hosen von Ockershausen“
Die Dr. Johann Wolff’sche Stiftung setzt das vom Stifter begonnene Werk der sozialfürsorglichen Tätigkeit
fort. Am Anfang waren es mittelose und in Not geratene Pfründtner aus Marburg und Ockershausen, die in
dem ehemaligen Rittergutshof ihren versorgten Lebensabend verbringen konnten.
Heute bietet die Dr. Johann Wolff’sche Stiftung für etwa 100 ältere Bürgerinnen und Bürger gut ausgestatteten Wohnraum zu erschwinglichen Mietkosten.
Außerdem hatte Dr. Johann Wolff einen Teil seines
Vermögens in eine Stipendiatenstiftung zu Gunsten
bedürftiger evangelischer Studenten eingebracht.
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Auch dieses löbliche Werk des Stifters findet noch
heute seinen Niederschlag. Die Vergabe von Stipendien an einen bedürftigen Empfängerkreis, wird sorgfältig vom Stiftungsbeirat ausgewählt.
Das Hospital in Ockershausen
Haupt- und Verwaltungdgebäude aus dem Jahre 1913
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Der Kalandshof (Die Kaplanei)
Haus der Kalandsbrüder - Kalandshaus und Kaplanei
Ritterstrasse 9 und 10
Ursprünglich dienten die beiden Anwesen: Ritterstrasse 9 und 10 den Pfarrern der Pfarrkirche „Unserer lieben Frauen St. Marien“ als Wohnstätte.
Unter der Benennung als das „Kalandshaus“ oder Haus
der „Kalandsbrüder“ dient es viele Jahrhunderte dem
Kirchenkasten der Marburger Pfarrgemeinde.
Im 14. Jh. wird das Anwesen von der Pfarrei als Erblehen gegen „Kirchenkastenabgaben“ an den Stadtschreiber Heinrich Roßdorf und dessen Ehefrau Emlud
abgegeben. Danach erfolgt eine Teilung des Besitzes
in zwei Häuser, Ritterstrasse 9 und 10.
Ritterstrasse 9 und 10 heute
Beide Häuser dienten weiterhin der Pfarrgemeinde als
Pfarrer Wohnstätte.
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Im 15. Jh. bewohnt Pfarrer „Bierhenne“ das Haus Nr. 9
und Kalandsbruder Johannes Henckmann wohnt im
Haus Nr.10. Johannes Strack von Hatzfeld, Pfarrer in
Schröck, Johannes Moller, Pfarrer in Wehrda und Kalandsbruder Jakob Heppenheimer sind als hier wohnhafte Pfarrer im 16. Jh. im Kalandshaus verzeichnet.
Nach der Reformation (1527) erfolgt der Verkauf eines Teils der alten Kaplanei - das Haus Nr. 10 - aus
dem Kastenbesitz an den protestantischen Kaplan Gerhardus Eobanus Geldenbauer, genannt Novomiomagus. Der Weiterverkauf des Hauses Nr. 10 erfolgt um
1571 an den landgräflichen Lichtkämmerer Hyronimus
Gillhausen. Auch dessen Nachkommen bewohnen das
Haus bis zum Weiterverkauf an Prof. Catharinus Dulcis
im Jahre 1605.
Später (1662) ging das Anwesen in den Besitz der Witwe von Linsingen, die es an den hessischen Rat und
Prof. jur. Nicolaus Prick übergab.
Prick war der Schul- und Lernmeister für die hessischen Prinzen und späteren Hessischen Landgrafen
Wilhelm VII. und Carl.
Der Weiterverkauf des Anwesens erfolgte durch die
Witwe des Prof. Sophie Prick im Jahre 1696 an den
berleburgischen- und nassauisch-siegischen Rat und
Amtmann Valentin Friedrich Hatzfeld. Im Jahre 1705
befindet sich das Anwesen im Besitz der Witwe des
Hessischen Rates und Advocatus Dr. Carl von Gehren,
einer Tochter des Oberberauditeurs Reinhard Scheffer
aus der hessischen Kanzleifamilie Scheffer.
Deren Tochter Catharina Helene, Witwe des Pfarrers
Wilhelm Fleischhut, wird um 1778 als Besitzerin genannt.
Der Besitz wechselt erneut. Ab dem Jahre 1815 wird
Steuersekretär Friedrich Junghenn als Eigentümer auf50
geführt. Nach ihm besitzt kurfürstlicher Steuerinspektor und Rat Klingelhöfer (1816 – 1855) das Anwesen,
bevor es 1824 an den Provinzrabbiner Moses Gosen
verkauft wird.
Nachfolgende Besitzerin ist ab 1844 Jeanette Gosen
geb. Metz. 1891 erwirbt Schreiermeister Carl Kaiser
das Anwesen Ritterstrasse 10. Später entsteht hier
Schreinerei Werner.
Das Kalandshaus Nr. 9 wurde von der Kastenmeisterei
um 1556 an Wilhelm Dulberg verkauft und von Superintendent Adam Krafft zeitweilig bewohnt.
Als Pfarrersdienstwohnung diente das Haus bis zum
Jahre 1832. Danach wurde das Haus an Regierungspositar Christoph Friedrich Chabert verkauft.
Weitere Verkäufe erfolgten an Kreisgerichtsrendanten
Ludwig Fischer im Jahr 1870 und an den Rechnungsrat
Theodor Wessel in 1884. Oberbibliothekar Dr. Albert
Duncker ist im Jahr 1893 Eigentümer und schließlich
ab 1902 Schreinermeister Werner.
Giebelansicht der alten „Kaplaneihäuser“ in der Ritterstrasse
nach Zeichnung von Otto Ubbelohde
51
Der Glaser’sche Hof
Chronologie der Ritterstraße 8
Ursprünglich handelt es sich auch hier um einen burgfreien Hof dessen erster Besitzer im Dunkeln bleibt.
Um 1367 wird er als der Hof von Johannes von Wynden genannt. Danach wird um 1424 die Schöffenfamilie von Frohnhausen als Eigentümerin des Hofes „zum
Arn“ erwähnt. Wie bei einigen anderen der alten burgfreien Burgmannbesitzungen in der Ritterstrasse geht
das Eigentum nach Aussterben der Linie wieder zurück
an den Landgrafen. Die Behausungen dienen verschiedenen landgräflichen Beamten als Wohnung. Ab etwa
1570 bewohnt der landgräfliche Oberförster Hans Diede das Haus, bis hier ein größerer Umbau im Jahre
1576 erfolgt. Das neue Gebäude schwenkt im rechten
Winkel zum Grundstück bergseitig ein. Es entsteht nun
ein größerer Innenhof, der von einer hohen Mauer zur
Strasse hin abgeschlossen ist.
Landgraf Moritz überlässt um 1605 das Wohnhaus dem
Hofprediger Prof. Gregorius Schönfeld.
52
Ab 1626 wohnte in dem Hause Hofmeister Jost Burkhard Rau. Danach gelangte das Anwesen - offenbar
durch Verkauf aus dem landgräflich hessen-darmstädtischen Besitz - im Jahre 1631 an Prof. Gregorius
Tülsner.
Von dessen Erben geht der Hof an den Reichskammergerichtsassessor Huldrich von Eyben, der ihn von
1684 bis zu seinem Tode 1699 bewohnte.
vermauertes
Renaissanceportal
des Glaser’schen Hofs
in der Ritterstrasse
Für den Hof hatte Huldrich von Eyben vom Landgrafen
im Jahr 1686 ein neues Privileg (Burgfreiheit) erhalten.
Von Huldrichs Erben, dem osnabrückischen Geheimen
Rat Wilhelm von Eyben, erwarb Rentschreiber Christian Meurer im Jahre 1725 das Anwesen. Aus dessen
Besitz kaufte es der Geheime Rat, Leopold Ludwig von
53
Haller, der das Anwesen an seinen Schwiegersohn,
den Landrat Wilhelm von Baumbach zu Amönau vererbte. Nach ihm soll es der Obrist von Oheimb besessen haben. Ein Weiterverkauf durch die zwischenzeitliche Eigentümerin, Fräulein Sophie von Trott an
den Landjägermeister Gottlob von Buttlar erfolgt im
Jahre 1825.
Von Buttlar verkauft im Jahr 1828 das Anwesen wieter an den Kreisphysicus Dr. Carl Wilhelm Justi und
Frau Johanna Christine Theodor geb. Kuchenbäcker.
Von deren Erben gelangt der Besitz im Jahr 1871 an
den Professor und Staatswissenschaftler Dr. Johann
Carl Glaser. Seither bezeichnet man das Anwesen als
den Glaser’schen Hof.
Vom nächsten Eigentümer, Dr. med. Hugo Weber zu
St. Johann-Saarbrücken, Glasers Schwiegersohn, erwarb der Kaufmann Otto Kratz im Jahre 1900 den
Glaser’schen Hof in Marburg, Ritterstrasse 8.
Tor zum Glaser’schen Hof
54
Der Weitershäuser Hof
Ursprünglich besitzt der Burgmann „Otto von Weitershausen“ genannt Kalb den im 30jährigen Krieg untergegangenen „Rabenauer Hof“. Der Standort dieses
Hofes befand sich ursprünglich zwischen dem nach ihm
benannten „Kalbstor“ (Kalb von Weitershausen) und
dem Hof des „Huhn von Ellershauen“ („Hühnerhof“).
Aus dem Besitz der „von Weitershausen“ gelangt der
ursprüngliche Hof am „Kalbstor“ in das Eigentum der
Familie der „Nordeck von Rabenau“ und firmiert nun
als der „Rabenauer Hof“ gegenüber dem Forsthof in
der Ritterstrasse.
Der ebenfalls im 30jährigen Krieg untergegangene
zweite „Weitershäuser Hof“, der angrenzend an den
alten Hosenhof zwischen dem „Berlep’schen Hof“ und
dem „Glaser’schen Hof“ in der Ritterstrasse bestanden
hat, befand sich seit dem Jahre 1514 im Eigentum der
Brüder Sittich und Georg von Weitershausen.
Nach den „Kalb von Weitershausen“ bewohnte Kammermeister Reinhard Abel den Hof. Das Anwesen wurde jedoch von Landgraf Ludwig IV. im Jahre 1586 wieder in den landgräflichen Besitz zurück genommen, da
für den oberhalb dieses Hofes geplanten Neubau der
Kanzlei erhebliche Geländeumplanungen durchgeführt
werden mussten.
Der hessische Kammersekretarius Nikolaus Becker erwarb von Landgraf Ludwig IV. im Jahre 1587 das Restanwesen des alten Weitershäuser Hofes.
Beckers Witwe verkaufte 1615 dieses Anwesen an
Prof. Dr. Christoph Deichmann, der es seinem Schwiegervater, dem hessischen Vicekanzler Hermann Vultejus weiter verkaufte.
55
Wappen der von Vultejus
Die Nachkommen des Vicekanzlers Vultejus besitzen
das Anwesen bis zu dessen völligen Untergang in den
Wirren des 30jährigen Krieges.
: Lageskizze des untergegangenen „Weitershäuser Hofes“
grau gekennzeichnet
56
Der Berlep’sche Hof
irrtümlich Wolfsburg genannt
Oberhalb des burgfreien Hosenhofes an der Schlossbergstraße – heute Landgraf Philipp Straße - unmittelbar unterhalb des Wilhelmsbaues - befand sich ursprünglich ein Weingarten, der teilweise zum burgfreien Besitz der Burgmannsfamilie der „Hosen von Ockershausen“ und der Burgmannsfamilie „Kalb von Weitershausen“ gehörte. Den Weingarten nannte man das
„Rot“. Unterhalb davon befand sich die uralte „steinerne Kemenate“ die zum Hosenhof gehörte. Neben
dem Hosenhof befand sich bis gegen Ende des 14. Jh.
das Anwesen der mächtigen burgfreien Familie von
Bicken. Dieser Besitz gelangte 1386 in das Eigentum
des „Volpracht Hose von Ockershausen“ Von diesem
wurde dieser Hof mit dem alten Hosenhof vereinigt. Es
entstehen hier nun zwei Wohnhäuser nebst Nebengebäuden, die von einer hohen Mauer umgeben sind.
Die Behausungen dienten den verschiedenen landgräflichen Dienststellen und als Wohnstätte für die
Forstbeamten. Als Eigentümer - oder Benutzer - eines
57
der beiden Häuser erscheint Ende des 14. Jh. Wygand
von Hachen. Das zweite Wohnhaus gelangt nach Verkauf von Johann Hose im Jahre 1514 in das Eigentum des hessischen „ Rat und Schreibers“ Dr. Johann
Schmuck.
Ab 1514 bezeichnet man dieses Anwesen nun als den
„Schmucken Hof“ nach seinem zwischenzeitlichen Besitzer. Im Jahre 1525 ist Margaretha von Griffte als Be
sitzerin des vorderen Hauses genannt, das später irrtümlich als die „Wolfsburg“, bezeichnet wird.
Margarethe von Griffte verkauft ihr Anwesen an Caspar von Berlepsch. Seither wird dieses Anwesen als
der Berlep’sche Hof bezeichnet.
Es bleibt unergründlich, weshalb nun dieser Hof zu der
Bezeichnung: die „Wolfsburg“ gelangen konnte. Diese
Bezeichnung wird indessen von den heutigen Eigentümern - der studentischen Turnerschaft Schaumburgia noch immer für den alten Berlep’schen Hof verwendet.
Im Jahre 1515 wird auf dem angrenzenden Gelände
das ursprünglich zu dem alten Hosenhof gehörte, eine
größere Scheune zu einem Wohnhaus umgebaut.
Später wird diese neue Gebäude als - das „hinter liegende Haus“ - bezeichnet. Die landgräfliche Verwaltung
hat offensichtlich die Verwendungsrechte für diesen
Teil des ehemaligen burgfreien Hosenhofes behalten.
Es finden verschiedene landgräfliche Beamte dort ihre
Wohnung. Von 1576 – 1586 wohnt im „hinter liegenden Haus“ der landgräfliche Küchenmeister.
Das Haus wurde jedoch bereits im Jahre 1606 durch
einen neuen Bau ersetzt, der dem landgräflichen Oberforstmeister als Dienstwohnung zugewiesen wird, weil
dessen vormalige Wohnung im Glaser’schen Hof neben an, nun dem Hofprediger des Landgrafen Moritz
58
von Hessen-Kassel, Prof. Dr. Gregorius Schönfeld,
zugewiesen wurde.
Im Jahre 1611 ist Prof. der neuen Sprache Catharinus
Dulcis als neuer Besitzer des zweiten Hofs verzeichnet. Der hier zuvor wohnende offenbar sehr „trinkfeste“ Oberforstmeister Ernst von Stockheim musste den
Hof auf Veranlassung von Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt 1627 verlassen, da nun andere Verwendungen für diesen Besitz vorgesehen waren.
Inzwischen hatte die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt im Streit um das Marburger Erbe seit 1625 die
Regentschaft in Oberhessen übernommen.
Im Jahre 1628 wird der Advokat Dr. Peter Wolff - ein
Neffe des Leibmedicus Dr. Johann Wolff - als Besitzer
des „hinteren Hauses“ neben dem Berlep’schen Hof
genannt. Möglicherweise ist es der Name der nun hier
wohnenden Familie des Dr. Peter Wolff, der später
irrtümlich zur Herleitung des Namens „Wolfsburg“, für
den Berlep’schen Hof, geführt haben könnte.
Beide Häuser auf dem Gelände des Berlep’schen Hofs
ereilte das Schicksal jedoch schon bald. Sie gingen im
Verlaufe des 30jährigen Krieges in den Gefechten um
das „Marburger Erbe“ zwischen Hessen-Kassel und
Hessen-Darmrstadt unter. In den Jahren 1645 und
1647 werden zahlreiche Häuser in der Marburger Altstadt und auf dem Schlossberg durch Kriegseinwirkungen erheblich beschädigt. Das Reichskammergericht hatte im Jahre 1623 Hessen-Marburg
der
Landgrafschaft Hessen-Darmstadt zugesprochen. Hessen-Kassel akzeptierte das Urteil nicht. Es setzte den
Kampf um die Rückgewinnung von Hessen-Marburg
fort. Niederhessische (Kasseler) Truppen besetzten
1645 das von Hessen-Darmstadt seit 1625 verwaltete
Marburg. Der „hessische Bruderkrieg hatte begonnen.
59
Gegen Ende des Jahres 1647 wurden besonders
heftige Kämpfe geführt. Hessen-Darmstadt setzte alles
daran, die Stadt Marburg und das Schloss, von den
Hessen-Kasselern (Niederhessen) zurück zu gewinnen.
Über diese Ereignisse wird nachstehend in dieser
Beschreibung noch ausführlich berichtet.
Ruine des
Berlep’schen Hof
irrtümlich Wolfsburg
genannt
nach einer Skizze
von Dr. Ludwig Justi
(1860)
Obergeschoss und
Dachwerk
waren während des
30jährigen Krieges
durch Oberst Stauff
(Hessen-Kassel)
abgetragen worden,
um ein besseres
Schussfeld für seine
Batterien zu
erhalten.
Einige der alten Höfe in der Ritterstrasse gingen im
30jährigen Krieg unter. Darunter der Berlep’-sche Hof,
der alte Feigenhof, der Rabenauer Hof und der Weitershäuser Hof. Noch lange Zeit nach dem 30jährigen
Krieg zeigten sich erhebliche Zerstörungen durch die
60
Kriegseinwirkungen in der Marburger Altstadt und in
Weidenhausen.
Eine historische Fotografie, die vor dem Jahr 1860 entstanden ist,
zeigt den zerstörten Berlep’schen Hof. Das Dachwerk war im Jahr
1647 abgebrochen worden.
Noch für lange Zeit nach seiner teilweisen Zerstörung
blieb der Berlep’sche Hof ungenutzt. Die unzerstörten
Kellergewölbe dienten zeitweilig als Wein- und Vorratslager für Marburger Gastwirte, so dem Wirt Johannes
Klingelhöfer.
Burghart und Eiteil von Berlepsch verkauften den verwüsteten Hof im Jahre 1679 an Prof. Dr. juris Helfrich
Dexbach. Von dessen Witwe geht der Besitz 1684 an
Dr. Nicolaus Jung. Im Jahre 1748 gehört eine Hälfte
61
des wüsten Anwesens der gegenüber in der Ritterstrasse wohnenden Witwe des Dr. Frantz.
Ab 1750 finden wir das alte Mauerwerk im Besitz des
hessischen Regierungsrates Georg Friedrich Hein.
Restaurierte Ruine des Berlep’schen Hofs/Wolfsburg
nach einer Skizze von Dr. Ludwig Justi (1861)
62
Später ist dessen Witwe Marie Margarethe Alette,
Tochter des Vizecanzlers Prof. Dr. Johann Friedrich
Hombergk zu Vach, Besitzerin des Berlep’schen Hofs.
Als nächster Eigentümer folgt seit 1778 ihr Schwiegersohn, der „kurpfälzische geheime Rat“ Gerhard Wilhelm Dolaeus von Cronenberg.
Ihm folgt als Besitzer ab 1813 Landrat Johann Moritz
Schenk zu Schweinsberg, der das Grundstück am 7.
Mai 1831 an den Bäckermeister Peter Römhild weiter
verkauft. Am 7. Mai 1861 verkauft Römhild die Ruine
an Obergerichtsanwalt Dr. jur. Carl Grimm. Ihm verdanken wir die Wiederherstellung des imposanten Gebäudes in seiner heutigen Gestaltung.
Der Berlep’sche Hof im Vordergrund,
dahinter das Alte Landgericht: Foto Ludwig Bickel um 1870
63
Mit der Wiederherstellung des Berlep’schen Hofs hatte
Dr. Grimm den Restaurator der Elisabethkirche, Prof.
Friedrich Lange im Jahr 1861 beauftragt.
Er ließ die Ruine des Hauses mit neuen Außenwänden
und Erkern versehen und verschaffte ihr dadurch das
noch heute sichtbare imposante Aussehen. Die Tochter von Justizrat Grimm, „Frau Major Behrend“, verkaufte am 23. Dezember 1903 den restaurierten, Berlep’schen Hof an den Universitätsbuchhändler Georg
Schramm. Ihm folgte als Eigentümer der Rentner August Lorenz. Von dessen Erben gelangte der Hof, nun
„Wolfsburg“ genannt, im Jahre 1910 in das Eigentum
der Turnerschaft Schaumburgia.
Der Berlep’sche Hof Ritterstrasse 2, genannt Wolfsburg
64
Eine imposante Pforte zum Haus Ritterstrasse 2 führt
in den Hof der „schaumburgischen Wolfsburg“.
Die Existenz einer Urkunde aus dem Zeitraum um das
Jahr 1050 erscheint jedoch nicht gesichert.
Wandtafel neben der Eingangspforte zum Berlep’schen Hof
65
Die Wolffsburg
Der alte Hosenhof
Der untergegangene „Hosenhof“ aus dem 13. Jh. erstreckte sich über Grundstücke beiderseits der heutigen Landgraf-Philipp Strasse. Links und rechts der
aufwärts führenden Strasse zum Schloss befanden sich
verschiedene bauliche Anlagen, die für die im Jahre
1575 fertig gestellte Neue Kanzlei - das spätere Landgericht - weichen mussten. Dieses stattliche Gebäude
beherrscht noch heute das Bild des südostseitigen
Burgberges. Auf dem gegenüber liegenden Grundstück, oberhalb der Mauer an der rechten Seite der
Landgraf Philipp Strasse, befanden sich ursprünglich
einige Wirtschaftsgebäude des Hosenhofes, so benannt
nach der Burgmannfamilie der „Hosen von Ockershausen“. Im Jahre 1415 wird Sygfried Hose von Ockershausen von Landgraf Ludwig I. mit dem Grundstück neu belehnt. Die „Hosen“ bewohnten bis zu ihrem Weggang aus Marburg diesen Hof, der zwischen
der Landgraf-Philipp Strasse und der Ritterstrasse gelegen war. Den Rest ihres Marburger Eigentums verkauften die „Hosen“ 1550 an den Marburger Schöffen
Hermann Schmalkalden.
Am Bergabhang unter dem Schloss befand sich vormals ein Weingarten. Der untere Teil davon der zum
alten Hosenhof gehörte, gelangte nach mehreren
Besitzwechseln über die „Riedesel zu Eisenbach“ und
die „von Twern“ im Jahr 1541 in den Besitz des Hessischen Kanzlers Johann Feige. Nach dem Aussterben
„der Linie im Mannesstamm“ der „von Feige“ gelangte
der Besitz 1625 teilweise zurück in das Eigentum des
66
inzwischen in Marburg residierenden hessen-darmstädtischen Landgrafen Georg II.
Dieser ließ auf dem Platz, der bislang als Wohnstätte
der landgräflichen Forstmeister diente, zwei großartige
Neubauten für seinen hochgeschätzten Hofmarschall
Georg Riedesel zu Eisenbach errichten.
Lage der untergegangenen Höfe rund um die Neue Kanzlei
Im Hintergrund: Renthof und Dörnberger Hof
Auf neuen Fundamenten entstanden große Kellergeschosse, auf denen nun zwei prächtige dreigeschossige Bauten errichtet wurden: Die Neue Kanzlei und
die Wolffsburg.
67
Als Baumeister hatte Landgraf Georg II. seinen genialen „Kammerrat und Oberbaumeister, Professor der
Medizin und Mathematik, Kriegsrat und Artilleriedirektor Jakob Müller“ (1594-1637) beauftragt.
Im Jahre 1631 verstarb Hofmarschall Georg Riedesel
für den diese stattliche Behausung bestimmt war nur
kur-ze Zeit nach dessen Einzug in das neue Domizil.
Im Jahre 1636 schenkte Landgraf Georg II. den großen Besitz mit dem Garten der hinauf bis an die
Schlossmauer reichte als „freies, erbeigenes, ganz unbeschwertes adliges Burgmannsgut“ seinem Günstling,
dem geheimen Rat, Kanzler und Amtmann zu Schmalkalden und Olsberg, „Reichsfreiherrn Antonius Wolff
von Todenwarth“.
Der aus einer bedeutenden altdeutschen Adelsfamilie
entstammende Wolff von Todenwarth gehörte zu den
einflussreichsten Beamten der Landgrafschaft HessenDarmstadt.
Im Jahre 1639 fiel Reichsfreiherr Wolff von Todenwarth bei Landgraf Georg II. jedoch in Ungnade.
Dubiose Geldgeschäfte und „üble Nachrede gegen den
Landesherrn“ sollen die Ursachen dafür sein, dass der
Landgraf seinem fähigen und erfolgreichen Kanzler
nicht nur das Vertrauen entzog, sondern ihm auch die
erteilten Schenkungen wieder abnahm. Auch die in
den landgräflichen Diensten stehende Verwandtschaft
des Wolff von Todenwarth wurde von Landgraf Georg
II. ihrer Ämter enthoben.
Körperlich und seelisch gebrochen beschloss Wolff von
Todenwarth im Jahre 1641 in Frankfurt sein Leben.
Nach dem Reichsfreiherr Antonius Wolff von Todenwarth das Anwesen am Schlossberg mehrere Jahre bewohnt hatte, hier sogar kurzzeitig von Landgraf Georg
II. wegen der hier erwähnten Vorgänge unter Arrest
68
gestellt worden war, entsteht im Volksmund folgerichtig die Bezeichnung „Wolffsburg“ für das große Anwesen an der Landgraf Philipp Strasse.
Nach der Wiedereingliederung von Hessen-Marburg an
Hessen-Kassel im Jahre 1648 lässt Landgräfin Amalie
Elisabeth von Hessen-Kassel den „Todenwarth’schen
Besitz“ wieder in das landgräfliche Eigentum zurück
führen, mit der Begründung, dass der Landgraf Georg
II. von Hessen-Darmstadt nicht befugt gewesen sei:
„fürstliches Kammergut der Herrschaft zu entfremden“.
In der Zeit der Belagerung des Schlosses durch die
kaiserlichen (hessen-darmstädtischen) Truppen, gegen
Ende des 30jährigen Krieges vom November 1647 bis
Januar 1648 hatte der niederhessische (Hessen-Kasseler) Verteidiger des Schlosses, Obrist Stauff, das
massive Bauwerk der Wolffsburg als Unterkunft für die
Kanoniere der dort aufgestellten Batterien verwendet.
Erste starke Beschädigungen an dem Anwesen gehen
wohl auf diese Kriegshandlungen zurück. Eine dauerhafte Nutzung als Wohnstätte ist nach 1648 nicht
mehr bekannt. Kurzzeitig wurden in dem Obergeschoß
des stattlichen Hauses Gottesdienste durchgeführt.
Der Zerfall des unbewohnten Anwesens schritt indessen rasch voran.
Denis Papin (1647-1712) der Erfinder des Dampfkolbens, der in den Jahren nach 1687 als Professor der
Mathematik an der Universität in Marburg lehrte zeigte Interesse an dem Bauwerk, als er vor Antritt seiner
Anstellung in Marburg eine geeignete Unterkunft für
sich suchte. Die geplanten Restaurierungsmaßnahmen
kamen jedoch nicht mehr zustande. Im Oktober 1687
begannen die Abbrucharbeiten an dem geschichtsträchtigen Anwesen des „Wolff von Todenwarth“.
69
Teile der Ruine der Wolffsburg befanden sich noch bis
um das Jahr 1900 auf dem Grundstück.
Noch zu sehen ist das Portal zum alten Anwesen.
Ein grün umranktes Tor lässt heute erahnen, dass sich
dahinter einst ein stattliches Anwesen befunden haben
mag.
links:
Skizze von Carl Justi,
rechts:
von Otto Ubbelohde
Die Mauerreste einer inzwischen entfernten Ruine und
die alte Pforte erinnern noch an die Wolffsburg, die im
Jahre 1687 abgebrochen wurde.
Heute befindet sich hier ein freier Platz und grüner Rasen in der Landgraf-Philipp-Strasse gegenüber der alten Kanzlei (altes Landgericht). Hier befand sich vormals das Anwesen des „Wolff von Todenwarth“, später
die Wolffsburg genannt.
Einen Gebäudekomplex ähnlich der Größe der Neuen
Kanzlei (Landgericht) dürfen wir für die im Jahr 1687
abgebrochene Wolffsburg annehmen.
70
Der verwaiste Platz der Wolffsburg
an der Landgraf-Phiipp-Straße
.Die „Neue Kanzlei“ oder das „Alte Landgericht“
Blick vom Obergeschoss des Wilhelmsbaues
Hier befindet sich derzeit die religionskundliche Sammlung
der Marburger Philipps-Universität. Ein ähnlicher
Gebäudekomplex wird für die gegenüber liegende
im Jahr 1687 abgebrochene Wolffsburg vermutet.
71
Der „Feigenhof“
Der „Feigenhof“ am Schlossberg beherbergte ab 1485
die landgräfliche Kanzlei für Oberhessen erstmals außerhalb des Landgrafenschlosses. Nachdem Landgraf
Heinrich III. (1441–1483) die Räumlichkeiten der bisherigen Kanzlei im Schloss für andere Zwecke beanspruchte, wurde der Bau einer neuen Kanzlei auf jenem Grundstück an der Schlosstreppe errichtet, das
erst sehr viel später als „Feigenhof“ bezeichnet wird.
„Fritsche Wynholt“ errichtet um 1445 ein neues Haus
und Stallung rechter Hand am Ende der Schlosstreppe zur Landgraf-Philipp Strasse. Dessen Witwe Jutte,
in 2. Ehe mit dem Wäppner von Bernynchusen verheiratet, verkauft im Jahre 1452 das Anwesen an den
Marburger Schöffen Heinrich Deynhart.
Von Deynhart gelangt die „burgfreie Behausung“ zurück an den Hessischen Landgrafen Wilhelm III.(14701500). Nach ihm ist der „Wilhelmsbau“ des Schlosses
benannt den Wilhelm III. im Zeitraum 1490 bis 1493
errichten ließ.
Wilhelm III. veranlasste auch den Umbau des Feigenhofes zur landgräflichen Kanzlei. Damit fanden die in
65 Kisten verwahrten hessisch-landgräflichen Urkunden, Belege und Planrollen eine neue Bleibe außerhalb
des Marburger Landgrafenschlosses.
In der neu geschaffenen Kanzlei entstand eine Wohnung für den aus Kassel stammenden Kanzler Stein.
Die Ausstattung der Kanzlei wird als bemerkenswert
kunstvoll und wertvoll überliefert. Der später dort
wohnende Registrator Johann Plack erfreute sich einer
relativ großen Behaglichkeit, nachdem dort drei Kachelöfen, eine exklusive Neuheit in dieser Zeit, auch in
der kalten Jahreszeit für angenehme Temperaturen in
72
dem Haus sorgten. Die Räumlichkeiten der Kanzlei erwiesen sich jedoch schon bald als zu klein für die immer umfangreicheren Akten und Urkunden der Landgrafschaft.
Landgraf Philipp (1504-1567) ließ bereits im Jahr 1519
einen weiteren Kanzlei-Neubau unterhalb der vorhandenen „Stein’schen Kanzlei“ errichten. An dieses Anwesen erinnert bis heute nur noch eine gotische Spitzbogenpforte am Weg zum Schloss.
Seit 1526 diente diese ältere Stein’sche Kanzlei dem
hessischen Kanzler Johann Feige als Wohnung.
Johann Feige, Kanzler des Landgrafen Philipp, wurde
durch die Eröffnungsrede der „Homberger Synode, im
Jahr 1526 bekannt. Seine Thesen bildeten die Grundlage der neuen, lutherischen Kirchenordnung in der
Landgrafschaft Hessen.
Lageskizze des untergegangenen Feigenhofes am Schlossberg
73
Durch Tauschvertrag aus dem Jahr 1572 gelangte
auch der zweite Bau der vormaligen Kanzlei in das Eigentum des Kanzlers Feige. Das aus zwei Gebäuden
bestehende Anwesen an der unteren Landgraf-PhilippStrasse zur Schlosstreppe trägt von nun an den Namen der „Feigenhof“.
Nach etwa weiteren fünfzig Jahre reichte jedoch auch
die erweiterte Kanzlei im Bereich des Feigenhofes den
Anforderungen der landgräflichen Verwaltung nicht
mehr.
An der Landgraf-Philipp Strasse, dem Feigenhof gegenüber, entsteht auf dem Gelände des alten Hosenhofes und des Weitershäuser Hofes die Neue Kanzlei.
Sie wird im Jahr 1575 ihrer Bestimmung zugeführt.
Nach dem Tode des letzten Feige, Anton Ludwig im
Jahre 1625 fiel der Feigehof mit dem übrigen Feige’schen Lehen an die nun in „Hessen-Marburg“ residierende darmstädtische Linie des Landgrafen Georg II.
(1605-1661)
Dessen Kanzler Dr. Antonius Wolff von Todenwarth
wird zunächst mit dem Feigenhof belehnt. Die Eigentumsübergabe bleibt jedoch strittig. Die Erben der Familie Feige pochen nachhaltig auf ihr altes Eigentumsrecht. Hilmar von Bardeleben, ein Eidam des letzten
Spross der Feige, kann offenbar später einen Teilerfolg
zum Erhalt des alten Familienbesitzes erwirken.
Wolff von Todenwarth verzichtet danach auf weitere
Ansprüche an dem Feigenhof.
Im Zuge des hessischen Krieges über das „Marburger
Erbe“, der im Rahmen des großen dreißigjährigen Krieges (1618-48) zwischen Hessen-Darmstadt und Hessen Kassel ausgefochten wurde, geriet auch der Feigenhof in die „Schusslinie“. Durch die Belagerung des
Schlosses durch Hessen-Darmstädtische Truppen im
74
Jahre 1647 war der unterhalb des Schlosses gelegene Burgberg zum unmittelbaren Kriegsgebiet geworden. Auf der Ruine des Feigenhofes hatte der niederhessische Obrist Stauff Platz für eine Batterie seiner
Kanonen einrichten lassen. Hierzu wird nachfolgend
ausführlicher berichtet.
Die Trümmer des Feigenhofes dienten später als Baumaterial für die Wiederherstellung des Kesseltores in
der Nordstadt.
Der verwüstete Hof kam 1684 in den Besitz des Dr.
Klunck, der auch den gegenüber liegenden Berlep’schen Hof erworben hatte. Auf dem Ruinengrundstück
befand sich nun ein Garten, der sich im Jahre 1750 im
Eigentum des Professors der Ethik und Politik Johann
Thielemann, genannt Schenck, befindet. Nach Tielemann folgt als Eigentümer des Gartens im Jahre 1806
der Kaufmann Friedrich Christoph Müller. Von Müller
gelangt das Grundstück 1849 an den Sanitätsrat Dr.
med. Carl Wilhelm Möller. Dessen Tochter verkaufte
den Platz 1905.
Blick durch die Pforte
des alten
Landgerichts zur
Rundbogenpforte,
die zu dem untergegangenen „Feigenhof“
an der Landgraf Philipp- Strasse
führte.
75
Der Dörnberger Hof
Der Dörnberger Hof am Ende der Mainzer Gasse ist
neben dem Renthof der letzte in der Reihe der 13 rund
um den Burgberg in Marburg angesiedelten Höfe. Eine
frühe Hofanlage entstand an der Stelle des späteren
Dörnberger Hofes nach der Erweiterung der ersten
Stadtmauer um das Jahr 1280.
Im Jahre 1211 wird Johann von Dörnberg als Brautführer der Hl. Elisabeth genannt. Er war offenbar ein
Begleiter der Reise Elisabeths aus Ungarn zur Wartburg. Dort findet im Jahre 1221 ihre Verheiratung mit
dem thüringischen Landgrafen Ludwig IV. statt.
Wann „die Dörnberger“ Marburg als Domizil auswählten, ist unklar. Hans von Dörnberg I. ist um das Jahr
1420 Marschall der hessischen Landgrafschaft.
Er könnte der erste Eigentümer des Burgmannanwesens in Marburg gewesen sein, das von nun an dessen
Namen trägt. Dieses Anwesen entstand jedoch erst um
das Jahr 1480.
Wappen der alt-hessischen Adelsfamilie von Dörnberg
Hans von Dörmberg II. (1427 – 1506) war oberhessischer Hofmeister und ein einflussreicher Ratgeber der
hessischen Landgrafen Wilhelm III. und Wilhelm II.
76
Neben dem „Junkerhansenturm“ in Neustadt, der unmittelbar auf sein Wirken in der hessischen Heimat
hinweist, stand offenbar auch die Marburger Besitzung
unter seiner Obhut. In den nachfolgenden Jahrhunderten treten wiederholt Angehörige der berühmt gewordenen Adelsfamilie in der Marburger Geschichte in
Erscheinung.
Der Dörnberger Hof nach 1866
Inzwischen beherbergt das Anwesen wissenschaftliche
Institute der Marburger Universität. Aufnahme: Ludwig Bickel
Im Zuge der Entstehung der verschiedenen Einrichtungen und Institute der Marburger Universität wird
das ausgedehnte Areal des alten Dörnberger Hofes
neuen Nutzungen zugeführt. Noch vor dem Abbruch
der alten Gebäude wurden Aufrisse gefertigt, die uns
einen Überblick der alten Anlage vermitteln.
77
Zwei Aufrisse des „Dörnberger Hofes“ aus dem Jahre 1838
zeigen das imposante Hauptgebäude
Skizzen aus der Stadtschrift
„Marburger Geschichte“ 1980
78
Sehr bekannt wurde Wilhelm Caspar Ferdinand Freiherr von Dörnberg (1768-1850). Er diente in verschiedenen europäischen Armeen und nahm an zahlreichen bedeutenden Schlachten der „Koalitionskriege“
(1792–1815) teil. Zunächst in den Diensten von Hessen-Kassel gegen die französische Revolutionsarmee,
später in englischen Diensten gegen Napoleon.
Unter dem preußischen General Lebrecht von Blücher
kämpfte er 1806 in der verlorenen Doppelschlacht von
Jena und Auerstedt. 1808 trat er in die Dienste des
Königs von Westphalen „Jerome“ in Kassel. Insgeheim
setzte sich Dörnberg jedoch für die Beendigung der
napoleonischen Vormachtstellung in Deutschland ein.
Seine Position als Kommandeur eines „Westphälischen
Regiments“ dem auch Angehörige des vormaligen hessisch-kurfürstlichen Marburger Jägerbataillons angehörten, nutzte er, um unbehelligt konspirative Kontakte mit anderen Freiheitskämpfern im französisch besetzten Deutschland herzustellen, mit dem Ziel die
napoleonische Herrschaft zu beenden.
Er nahm Verbindung zu Persönlichkeiten aus den preußischen Militärkreisen auf, die wie er selbst Maßnahmen zur Befreiung Deutschlands vom französischen
Joch planten. Zu den preußischen Offizieren: Neidhart
von Gneisenau, Gerhard von Scharnhorst, Ferdinand
von Schill und Friedrich von Katte stellte er Briefkontakte her. In Marburg traf er im Herbst 1808 mit dem
Veteranen Obrist Andreas Emmerich zusammen, um
mit ihm Verabredungen über den geplanten Aufstand
der Kurhessen gegen Napoleon zu treffen.
Das Vorhaben endete bekanntlich kläglich. Die Hoffnung „von Dörnbergs“ dass sich sein Regiment der Rebellion gegen die französischen Machthaber in Nordhessen anschließen würde, zerschlug sich. Der an der
79
Knallhütte bei Kassel im April 1809 schlecht vorbereitete „Marsch gegen Jerome“ endete in einem Fiasko für die Aufständischen. Die Rebellengruppe, zusammengewürfelt aus kurhessischen Veteranen, Bauern und Priestern der Umgebung, endete unter dem
Feuer der westphälischen Truppen Jeromes.
Wilhelm Caspar Ferdinand Freiherr von Dörnberg (1768 – 1850)
Dörnbergs Steckbrief aus Materialien des Staatsarchivs Marburg
80
Freiherr von Dörnberg musste fliehen schloss sich der
„schwarzen Schar“ des Herzogs Friedrich Wilhelm von
Braunschweig an, der einen Guerillakrieg gegen Napoleon führte.
Die „schwarze Schar“ - und mit ihr Caspar Ferdinand
von Dörnberg - floh nach England, um letztlich doch
noch bei Waterloo im Jahre 1815 an Napoleons Niederlage Teil zu haben.
In Marburg war die Episode des Aufstandes des Wilhelm von Dörnberg vom April 1809 mit dessen Flucht
nicht beendet. Hier hatten noch im Juni 1809, als eigentlich schon alles vorüber war, der alte Oberst
Emmerich - unterstützt von Prof. der Medizin Johann
Heinrich Sternberg - in der Nacht des 24. auf den 25.
Juni 1809 einen Aufstand gegen die französische
Besatzung eröffnet, der nach wenigen Stunden zusammenbrach.
Die Aufständischen, knapp 50 kaum Bewaffnete: Veteranen, ehemalige kurhessische Jäger und Füsiliere
aus Marburg, Ockershausen und einigen Orten der
Umgebung wurden samt den Anführern gefasst und in
Kassel vor ein Kriegsgericht gestellt. 11 mit der Waffe
in der Hand aufgegriffene Aufständische wurden zum
Tode verurteilt.
Vier von ihnen wurden noch im Juli 1809 im „Casseler
Forst“ erschossen, darunter Prof. Dr. Johann Sternberg, Oberst Andreas Emmerich, Unteroffizier Daniel
Muth aus Ockershausen und Husar Wendel Günter aus
Sterzhausen. König Jerome begnadigte die übrigen
zum Tode Verurteilten, um dadurch der schlechten
Stimmung im Lande entgegen zu wirken.
Im Teil IV dieser Beschreibung wird ausführlicher über
diese Ereignisse berichtet.
81
Ein versteckter Findling mit Gedenktafel
Ein Findling mit
einer Gedenktafel
für die in Kassel
im Juli 1809
Erschossenen des
Marburger
Aufstandes
befindet sich
versteckt
zwischen dem
Dammelsberg
und dem
Gisonenweg.
Am alten „Dörnberger Hof“ erinnert heute nichts mehr
an die Ereignisse die sich mit dem historischen Namen
verbinden.
Markant steht indessen noch die weithin sichtbare alte Sternwarte, die auf dem Areal des „Dörnberger Hofes“ am Schlossberg
den heutigen Gebäudekomplex überragt.
82
Der Renthof
Die Entstehungsgeschichte des Renthofes am Nordhang des Burgberges in Marburg weicht von den übrigen Gründungen der hier geschilderten Burgmannhöfe ab. Es ist die landgräfliche Administration, die zur
Bewältigung ihrer wachsenden Aufgaben einen zentralen Versorgungshof unterhalb der Schlossmauern
einrichtet. Das Anwesen dient der Vorratshaltung und
als Warenmagazin der unmittelbaren Bewirtschaftung
der nahe liegenden landgräflichen Güter. Seit dem
ausgehenden 13. Jh. ist seine Existenz nachgewiesen.
Der Renthof unterhalb der Schlossmauser
Die Lageskizze zeigt im Modell die Örtlichkeit des Schlossberges
aus nord-östlicher Sicht, zum Zeitpunkt des ausgehenden 17. Jh.
Noch ist die im Jahre 1687 abgebrochene „Wolffsburg“ unterhalb
des „Willhelmsbaues“, zu sehen.
83
Neben seiner Funktion als Wirtschaftshof mit seinen
ausgedehnten Scheuern diente der Renthof im siebenjährigen Krieg (1756 - 1763) als Lazarett für die
französische Besatzung. Die Franzosen hatten während des gesamten Kriegsverlaufes mit wenigen Unterbrechungen in Marburg Quartier bezogen. Später diente der lang gezogene Lazarettbau als Wohnraum für
Bedienstete der landgräflichen und kurfürstlichen Verwaltung.
Die Aufnahme von Theodor Greifelds aus dem Jahr 1869 zeigt
den Beamtenwohntrakt unterhalb der nordseitigen Schlossmauer. Das Foto erinnert an ein makaberes Ereignis aus dem siebenjährigen Krieg. Die auf dem Schlossgelände einquartierten französischen Regimenter des Marshall Herzog von Richelieu wurden
von einer Ruhrepidemie erfasst. Vermutlich wurde diese Seuche
durch – vorsätzlich - verseuchtes Wasser ausgelöst. Etwa
Eintausend Soldaten starben daran. Sie wurden in den Gärten,
unterhalb der Schlossmauer - hinter dem Renthof - beigesetzt.
84
Nach der Annexion von Kurhessen durch Preußen im
Jahre 1866 erfolgte die Beendigung einer langen Stagnation der Stadtentwicklung in Marburg. Es begann
eine Zeit des Aufbaues. Neben der Stadt erlebte auch
die Marburger Universität eine Phase der Erweiterung
und des Ausbaues ihrer wissenschaftlichen Institute.
Eine Fotografie von Ludwig Bickel aus dem Jahre 1882 zeigt den
fast vollständig abgebrochenen Renthof. Auf dem Platz entstehen, neben neuen wissenschaftlichen Instituten, Einrichtungen
der preußischen Verwaltung, Rechts im Bild: der Rohbau des neuen Gebäudes für die preußische Oberförsterei, das im Jahre 1957
abgebrochen wurde.
Zwischen den neu
entstandenen
wissenschaftlichen Instituten
der Philipps-Universität finden
sich nur noch wenige Spuren
des alten Renthofes am Ende
der Mainzer Gasse in Marburg.
85
Teil II
Marburg
im dreißigjährigen Krieg
1618-1648
86
Der Bruderkrieg
um das Marburger Erbe!
Während der schier endlose Krieg von 1618 – 1648 in
Deutschland tobte, die Landschaften verwüstete und
entvölkerte, schien es für lange Zeit so, als sollte Marburg von den unmittelbaren Kriegshandlungen verschont bleiben. Zwar hatten die ständig durchziehenden Heere der Kriegsparteien in Marburg oftmals
Quartier genommen und die Bürger der Stadt durch
die damit verbundenen Lasten ausgezehrt und um ihr
Hab und Gut gebracht, jedoch von den schrecklichen
Begleiterscheinungen der Plünderungen, der Brandschatzungen, Vergewaltigungen und sinnlosen Morden
blieb man bis fast zum Ende des großen Krieges verschont. Die durchziehenden, gegnerischen Heere der
„Kaiserlichen Liga“ und der „Protestantischen Union“
standen sich in nichts darin nach, das Land in dem sie
sich bewegten, im wahrsten Sinne des Wortes „kahl“
zu fressen. Es machte keinen Unterschied, dass die
„kaiserliche-katholische Liga“, bei ihren Durchzügen im
Hessenlande die katholischen - ebenso wie die evangelischen Ortschaften - heimsuchten, dort plünderten,
raubten, mordeten und vergewaltigten. Die Heere der
„protestantischen Union“ verfuhren gleichermaßen.
Den glücklichen Umstand der Verschonung durch unmittelbare Kriegshandlungen in Marburg, in den ersten 25 Kriegsjahren, wenn man darunter verstehen
will, dass Leib und Leben nicht ständiger Gefährdung
ausgesetzt waren, erlebten schon die Bürger der benachbarten Dörfer im Marburger Land nicht. Einen
sehr anschaulichen Bericht darüber überliefert uns die
87
„Stausebacher Chronik“ des Caspar Preis, in seinen
Schilderungen aus den Jahren von 1637 – 1648.
Die bewegenden Beschreibungen von Caspar Preis geben Zeugnis vom Elend der einfachen Landleute und
der Bauern, das diese über Jahrzehnte hinweg im
Marburger Land und im Amöneburger Becken zu ertragen hatten. Das Heer versorgte sich bei den endlosen Durchzügen aus dem Land selbst, in dem man
sich bewegte oder logierte. Alles Hab und Gut wurde
der Bevölkerung abgepresst oder mit Gewalt entrissen.
Kein Vieh, kein Futter, keine Vorräte der Landleute
blieben verschont.
Selbst die geheim angelegten Vorratslager blieben
nicht unbehelligt. Die Verstecke wurden durch Folter,
durch Mord und Vergewaltigung notgedrungen von den
gemarterten Menschen preisgegeben,
Gegen Ende des langen Krieges sollte auch Marburg
noch verhängnisvoll durch unmittelbare Kriegsereignissen erfasst werden. Während die Heere der Kriegsparteien - zum großen Teil erschöpft und ausgeblutet das Ende des großen Sterbens herbei sehnten, bahnte
sich in Marburg das letzte Fiasko des „Hessischen Bruderkrieges“ erst an.
Die Ausgangslage schien grotesk. Hessen-Kassel (Niederhessen) und Hessen-Darmstadt stritten seit Jahrzehnten über die Herrschaft in Marburg und Oberhessen. (Das „Marburger Erbe“)
Der im Jahre 1604 kinderlos verstorbene Marburger
Landgraf Ludwig IV. hatte in seinem Testament verfügt, Oberhessen aufzuteilen. Der südliche Landesteil
mit Gießen gelangte an Hessen-Darmstadt. Der nördliche Teil mit der Residenzstadt Marburg sollte an
Hessen-Kassel angegliedert werden. Ludwig IV. hatte
dies jedoch mit der Auflage verfügt, dass die in Hes88
sen-Marburg geltende lutherische Kirchenlehre weiterhin zu bestehen habe. Der niederhessische Landgraf
Moritz ignorierte jedoch diese testamentarische Auflage. Er setzte mit der Eingliederung von Hessen-Marburg die in der Landgrafschaft Hessen-Kassel eingeführte calvinistische (reformierte) Kirchenlehre nun
auch in Oberhessen durch. Dies führte zu großen
Protesten in Marburg und im lutherisch-evangelischen
Marburger Land. Die calvinistischen Glaubensbrüder
setzten die „Veränderungspunkte“ mit brachialer Gewalt, unterstützt von Landgraf Moritz von Hessen-Kassel, in den lutherischen Gebieten des Marburger Landes durch. Die zum großen Teil noch aus der Zeit vor
der Reformation stammenden Kirchen wurden einer
spartanischen Erneuerung unterworfen. Vielfach wurden ihre filigran gestalteten Lettner und Heiligenfiguren nebst den Heiligenbildern entfernt. Die Bilderstürme in der Marburger Pfarrkirche und bei zahlreichen anderen lutherischen Kirchen zogen eine Spur
der Verwüstung durch die alten Gotteshäuser.
Die Marburger Professoren an der von Landgraf Philipp
im Jahr 1527 gegründeten Universität verweigerten indessen die von ihnen verlangte Übernahme der calvinistischen „Verbesserungspunkte“.
Sie verließen Marburg unter Protest. In der lutherischen, hessen-darmstädtischen Nachbarstadt Gießen
fanden sie Aufnahme. Landgraf Ludwig V. von HessenDarmstadt (1577-1626) förderte die Einrichtung einer
neuen Hochschule in Gießen, an der die Marburger
Professoren ihr Lehramt zunächst fortsetzen konnten.
Zugleich intervenierte Ludwig V. von Hessen-Darmstadt beim Reichshofgericht gegen den Testamentsverstoß seines Vetters, des Landgrafen Moritz von
Hessen-Kassel.
89
Mit dem Hinweis, dass in Hessen-Darmstadt die lutherische Lehre eingeführt und damit die Testamentsauflage des Erblassers Landgraf Ludwig IV. erfüllt sei,
beanspruchte Landgraf Ludwig V. die Übernahme von
ganz Oberhessen mit der Residenzstadt Marburg an
Hessen-Darmstadt.
Es folgte daraufhin ein langwieriger Prozess vor dem
Reichsgerichtshof in Speyer, der schließlich im Jahre
1627 mit dem Spruch der „rechtmäßigen“ Eingliederung von Hessen-Marburg an Hessen-Darmstadt endete. Zuvor hatte jedoch Landgraf Ludwig V. vom
habsburgischen Kaiser Ferdinand III.(1578-1638) bereits im Jahre 1622 die Zusage der Eingliederung von
Hessen-Marburg an Hessen-Darmstadt erhalten, als
Dank für die Unterstützung, die Hessen-Darmstadt der
„kaiserlichen-katholischen Liga“ in der „Schlacht von
Wimpfen“ am 6. Mai 1622 geleistet hatte. Diese Fehde gegen den lutherischen Pfalzgrafen endete mit
einem Sieg der Kaiserlichen.
Im April des Jahres 1623 besetzt die kaiserliche Armee des Generals Johann von Tilly Marburg und Oberhessen. Im Ratsprotokoll der Stadt Marburg vom Januar 1624 wird vermerkt, dass die Bürgerschaft unter
den unerträglichen Einquartierungslasten leidet. Zu
den ca. 10.000 Söldnern Tillys, die vor und innerhalb
der Stadt lagerten, gehörte auch der begleitende Tross
der Armee aus Fuhrleuten, Marketendern, Frauen und
Kindern der Soldatenfamilien, Huren und Händlern.
Die Menge dieser Personen konnte sogar gelegentlich
die Zahl der Armeeangehörigen übertreffen. Für sie
alle mussten die Bürger in den Städten und Dörfern
Quartiere vorhalten. Die immensen Aufwendungen für
Essen und Trinken, für Heu und Hafer der Pferde und
der übrigen beim Tross mitgeführten Tiere, wie Rinder,
90
Schweine, Hühner, Gänse und vieles Andere waren
unerschöpflich Dazu waren die Unterkünfte - ausgestattet mit Bettzeug - für die Einquartierten zur Verfügung zu stellen. Oft erfolgte die Durchsetzung der
Einquartierung unter kaum vorstellbarer Gewaltanwendung gegen die wehrlose Bürgerschaft.
Diese Hintergründe führen uns zu der Erklärung über
einen „Schutzbrief“, den General Johann von Tilly in
seiner Eigenschaft als Befehlshaber der kaiserlichen
Armee für das Haus Ritterstrasse 12 in Marburg am 8.
Dezember 1623 ausgestellt hatte. Im Prinzip war es
Usus, dass die Wohnhäuser der Angehörigen der Stände, (in Marburg waren dies die Angehörigen des Adels,
der landgräflichen Verwaltungen, die Burgleute, die
Professoren und die Stadträte und Bürgermeister) von
den Einquartierungen eigener oder fremder Truppen
verschont wurden.
Die Bürde der Einquartierungen lastete man der Bürgerschaft, der Kaufmannschaft, den Handwerkern und
vor allem der der Landbevölkerung in den nahen Dörfern an. Das Privileg der Befreiung der Stände von den
unzumutbaren Einquartierungslasten wurde indessen
nicht immer eingehalten. Fremde Armeen, die auf ihrem Zug zum nächsten Gemetzel Rast machten, fragten nicht mehr nach in Friedenszeiten geltenden und
durchaus eingehaltenen Regeln der Verschonung der
Stände durch Einquartierung und Verköstigung.
So geht die Ausstellung eines Schutzbriefes für das
Haus 12 in Marburg auf einen unmittelbaren Vorgang
zurück. Dabei hatte es ein Capitän der kaiserlichen Armee gewagt, Quartier im Hause eines Angehörigen
des „befreiten Standes“ zu nehmen. Sein Pech in diesem Falle war es, dass nun der Besitzer dieses Hauses,
der landgräfliche Hofbeamte und Jurist Georg von
91
Lettow, ein Vetter eines hohen Offiziers aus dem Generalstab der Armee Tillys war.
Bei dem Anwesen Ritterstrasse 12 handelte es sich um
jenen Besitz, der aus dem „Scheuernshloss’schen Hof“
hervorgegangen war und später in den Besitz des Dr.
Johann Wolff, dem Leibmedicus des Landgrafen Ludwig IV. von Hessen Marburg, gelangte. Nach dem Tod
von Dr. Johann Wolff im Jahre 1616 hatte dessen Witwe Christine geb. Ullner den hessischen Hofjuristen
Georg von Lettow geheiratet. Durch Vermittlung des in
der kaiserlichen Armee Tyllis dienenden Vetters erwirkte Georg von Lettow die Ausstellung eines Schutzbriefes für das Anwesen Ritterstrasse 12.
Vom Armeeführer der kaiserlichen Liga, Johann von
Tilly, wurde am 8. Dezember 1623 das Dekret ausgestellt. Es liegt im Wortlaut vor:
„ Wir Johann Graf von Tilly, Freiherr von Marbeiß, Herr zu
Ballastre und Montigny, der Römischen, kaiserlichen, auch
zu Ungarn und Boheind Königlichen Majestät, und der
Churfürstlichen Durchlaucht Herzogs Maximilian zu Bayern
Generalleutnant, Rat und respektive Kämmerer, tun hiermit
und in Kraft dies kund und zu wissen, dass wir auf das
wohledel und gestrengen Georgio von Lettow aus Pommern, fürstlich hessischem Canzley und Regierungsrates zu
Marpurgk, adelichen befreiten Burgsitz, in der Stadt
Marpurgk in der Rittergassen gelegen, samt derselben An –
und Zugeborenen „Salvam Guardiam“ erteilt haben. Befehlen darauf allen und jeden, unsern unterhabenen hohen
und niederen Befehlshabern, wie auch insgesamt allen
Soldaten zu Roß und Fuß mit Ernst und bei unaus-pleiblicher Straf, diese unsere erteilte Salvum Guardiam in alle
Wege zu respektieren, ermeldten adelichen befreiten Burgsitz und dessen adpertinentien vor aller Einquartierunge,
auch sonsten vor sämptlichen feindlichen Einfallen und An-
92
greiten, Blünderungen und Beschwernissen ohnmolestiert
zu lassen und allerdings zu entheben, so lieb ihnen seie,
obangedrähete Straf zu vermeiden. Darnach sich ein jeder
zu richten und vor Schad zu hüten wissen wird.
Datum: Hersfeld den 8. Monatstag dezembris Anno Sechzehnhundert und im dreiundzwanzigsten.
Tilly
Johann t.Serclases von
Tilly 1559 – 1632,
Armeeführer der kaiserlichkatholischen Liga Er wurde
von protestantischer Seite
als der „brutalste und
mörderischste“ Heerführer
des gesamten 30jährigen
Krieges bezeichnet. Zu
seinen besonderen Untaten
gehören die totalen
Zerstörungen von
Hannoversch-Münden (1626)
und Magdeburg (1632).
Die feindlichen Armeen haben die „Schutzbriefe“ der
Gegenpartei nicht immer eingehalten. Auch die Söldnertruppen der eigenen Partei ignorierten derartige
Abmachungen, wie es nach den Schilderungen der Untaten des 30jährigen Krieges im Marburger Raum
überliefert wird.
Am Ende des verheerenden Krieges waren fast alle
Häuser in der Marburger Ritterstrasse am Schlossberg,
die ja eigentlich unter die „Schutzvorschriften“ fallen
sollten, verwüstet oder total zerstört.
93
Zur „Marburger Fehde“ 1645-1648
Im Jahre 1623 hatte Landgraf Ludwig V. von HessenDarmstadt unter dem Schutze von Tillys Armee Oberhessen und Marburg in die Landgrafschaft HessenDarmstadt eingegliedert. Marburg wurde im Zeitraum
der folgenden 20 Jahre, bis zur Rückeroberung durch
die Niederhessen im Jahre 1645, umsichtig von HesenDarmstadt regiert. Schon bald hatte Ludwig V. veranlasst, dass die Marburger Professoren die im Jahre
1604 von Marburg nach Gießen geflüchtet waren, nach
Marburg an die Universität zurückkehrten.
Ludwig V. bestimmte im Prinzip damit den Fortbestand
der oft in ihrer Existenz gefährdeten Marburger Universität.
Der in politischen Dingen eher unfähige Landgraf Moritz von Hessen-Kassel musste die neue Entwicklung in
Oberhessen tatenlos hinnehmen und Hessen-Marburg
aufgeben. Auch wegen anderer Versäumnisse in seiner
Regierungstätigkeit, veranlassten schließlich die niederhessischen Stände im Jahre 1627 die Abdankung
des glücklosen Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel.
An seine Stelle trat nun sein Sohn, Landgraf Wilhelm
V. (1602-1637). Wilhelm V. von Hessen-Kassel nahm
den Streit um das „Marburger Erbe“ wieder auf. Er
marschierte mit seinem Heer im nördlichen Oberhessen ein und löste damit die erwartete Gegenreaktion
der hessen-darmstädtischen Seite aus.
Wilhelm V. unterlag der Übermacht der kaiserlichen
Heere Tillys und Pappenheims, die nun das „Marburger
Erbe“ für Hessen-Darmstadt sicherten. Wilhelm V.
musste sich dem kaiserlichen Diktat der „endgültigen“ Abtretung von Hessen-Marburg an Hessen-Darmstadt, beugen.
94
Dies führte Wilhelm V. nun unmittelbar in die Reihen
der „Protestantischen Liga“. Hessen-Kassel kämpfte
nun an der Seite der evangelischen Fürsten und des
Schwedenkönigs Gustav Adolf, während das lutherische-evangelische Hessen-Darmstadt, nun verankert
in der katholischen Liga, weiter um das mühsam errungene „Marburger Erbes“ kämpfte.
Dass es auch im Übrigen in diesem großen Krieg der
europäischen Mächte nur vordergründig um religiöse
Fragen ging, wird durch die wechselseitigen politischen
Bündnisse der Parteien belegt. So kämpfte das streng
katholische Frankreich an der Seite des evangelischen
Schweden, gemeinsam gegen die katholische-kaiserliche Liga. An deren Seite stand neben anderen protestantischen Fürsten das evangelische Hessen-Darmstadt. Im Vordergrund all der Kämpfe ging es nicht
zuletzt um politische Vormacht und um territorialen
und wirtschaftlichen Gewinn.
Wilhelm V. von Hessen-Kassel erwarb sich indessen in
den Kämpfen der Protestantischen Union den Ruhm
eines gefürchteten Feldherrn. „Erbarmen - die Hessen
kommen“, dies war ein bitterer Seufzer, der bei Annäherung der Niederhessen in den norddeutschen und
süddeutschen Ländern Entsetzen und Angst auslöste.
Der erneute Einfall von Wilhelm V. in das nun darmstädtisch besetzte Nieder- und Oberhessen im Jahr
1636 mit dem Ziel der Rückeroberung von HessenMarburg, blieb erfolglos. Der Kaiser verhängte nun
über ihn „Acht und Bann“. Wilhelm V. floh mit Familie
und seinem noch immer beachtlich starken Heer von
Kassel nach Friesland. Hier verstarb Wilhelm V. infolge der erlittenen Verwundungen des Jahres 1637.
Nachfolgerin des verstorbenen Landgrafen Wilhelm V.
von Hessen-Kassel wurde nun dessen Witwe, Amalie
95
Elisabeth von Hanau-Münzenberg(1602-1651). Sie
sollte sich als eine äußerst kluge Regentin erweisen,
die bis zur Volljährigkeit ihres Sohnes Wilhelm VI. im
Jahr 1650 eine sehr erfolgreiche Regierungsarbeit für
Hessen-Kassel leistete.
Im Schutze ihrer starken hessischen Armee kehrte
Amalie Elisabeth noch im Jahr 1637 von Friesland nach
Kassel zurück. Sie erneuerte das Bündnis mit Frankreich und Schweden. Sie setzte den Kampf ihres verstorbenen Mannes Landgraf Wilhelm V. zur Rückgewinnung von Hessen-Marburg mit dem nördlichen
Oberhessen fort. Mit Hinweis auf ein Rechtsgutachten
das sie in Auftrag gegeben hatte, ließ Amalie-Elisabeth
belegen, dass der Reichsgerichtshofbeschluss des Jahres 1627 zur Abtretung von Hessen-Marburg an Hessen-Darmstadt ungültig sei.
Hessen-Marburg war indessen etwa 20 Jahre lang
durch die hessen-darmstädtische Landgrafschaft, nicht
zum Nachteil der Stadt Marburg, umsichtig verwaltet
worden. Bedeutende Staatsmänner von Hessen-Darmstadt übten in Marburg vorbildliche landgräfliche Regierungsgeschäfte aus, wie etwa der tüchtige Kanzler
Johann Feige und der Kanzler und Reichsfreiherr Wolff
von Todtenwarth.
Nach dem Tode von Landgraf Ludwig V. von HessenDarmstadt im Jahr 1626 hatte inzwischen dessen
Sohn, Landgraf Georg II. (1606-1661), die Regentschaft in Hessen-Darmstadt übernommen. Seine Brüder: Heinrich (1612-1629) und Friedrich (1616-1682)
studierten in den Jahren 1627 und 1628 an der Marburger Universität. Die Marburger Bürgerschaft war
der hessen-darmstädtischen Herrschaft durchaus zugetan. Nicht zuletzt konnte der evangelisch-lutherische
Konflikt mit den calvinistisch Reformierten in Marburg
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beigelegt werden. Die lutherischen Marburger fanden
ihren kirchlichen Mittelpunkt in der Pfarrkirche am
Schlossberg, die seit jenen Jahren nun unter der Bezeichnung „lutherische Pfarrkirche“ in Marburg firmiert.
Den reformierten Calvinisten wurde die alte Dominikanerkirche, die spätere Universitätskirche als Gotteshaus überlassen.
Amalie Elisabeth von Hessen-Kassel, deren politische
Position unter den kriegführenden europäischen Mächten gegen Ende des dreißigjährigen Krieges immer
stärker geworden war, setzte indessen alles daran, die
alten Verhältnisse in Hessen wieder herzustellen. Während die „großen Schlachten“ dieses endlosen Krieges
offenbar geschlagen waren und infolge der Kriegsmüdigkeit im ausgebluteten Deutschland keine Entscheidungsschlacht mehr zu erwarten war, marschierte
Amalie Elisabeth mit ihrem starken Heer, von Süddeutschland anrückend in den hessen-darmstädtisch
besetzten Teil von Niederhessen und Oberhessen ein.
Im Herbst 1645 hatte sich die niederhessische Armee
unter ihrem General Geysse von Wetzlar her der Stadt
Marburg genähert.
Am 31. Oktober 1645 eröffnete der Hessen-Kasseler
Kriegskommissar von Valentin Göddäus, ein gebürtiger
Marburger, den fürstlichen (hessen-darmstädtischen)
Räten in Marburg und dem Marburger Bürgermeister
Johannes Bauer; dass die Landgräfin von HessenKassel Amalie-Elisabeth den rechtmäßigen Besitz von
Hessen-Marburg beansprucht und dass sie dieses „angestammte“ Recht mit der Unterstützung der Kronen
von Frankreich und Schweden durchsetzen werde.
Dazu sei angeordnet, „dass zur Bekräftigung dieser
Forderung die Stadt Marburg zum Quartier für die
„fremden Völker“ (Franzosen und Schweden) ausge97
wiesen sei. Von seinem General Johann Geysse sei er
angewiesen, dieses der Stadt anzumelden und man
gutwillig Quartier in derselben nehmen wolle. Da dieses Vorhaben nicht die Zuständigkeit des Hauses von
Hessen-Darmstadt betreffe, würden allein die Marburger Bürgermeister und Räte aufgefordert, den Bürgern
in Marburg die unumgängliche Einquartierung bekannt
zu machen“.
Offenbar suchten die Niederhessen ihren Anspruch auf
Marburg und Oberhessen zunächst ohne kriegerische
Mittel durchzusetzen.
Die Marburger Räte wiesen jedoch darauf hin, dass es
nicht möglich sein werde, eine „große Soldateska“ in
der Stadt aufzunehmen und zu verköstigen, da in den
vielen Jahren des Krieges unzählige Einquartierungen
verschiedenster Völker erfolgt seien und damit Plünderungen, Brandschatzungen, Erpressungen von Lösegeldern durch Freund und Feind zu ertragen waren.
Die Stadt sei nun arm und erschöpft und könne weitere Lasten nicht tragen.
siehe Anmerkungen 1)
Die Hessen-Kassler waren jedoch nicht geneigt, von
ihrem Vorhaben abzulassen. Zur Durchsetzung ihrer
Forderung werde man notfalls mit militärischen Mitteln
dieses erzwingen, ließ man wissen. Man werde unweigerlich die Stadt mit Feuer und Kanonen angreifen. Die
Verantwortung dafür trage dann aber die Stadt alleine.
Die Truppen Geysses rückten „zu Fuß und zu Ross“
aus ihren Quartieren in Weimar, Wehrda und Ockershausen an die Stadtmauern heran. Sie errichteten
hinter dem „Schwanhofe“, bei dem nach Ockershausen
hin gelegen Gehöft „die Sorge“ ein großes Feldlager.
Von hier aus drangen die Anrückenden im Schutze von
98
eilends errichteten Laufgräben bis zu den Befestigungen der Stadt vor. Die unter dem hessen-darmstädtischen Stadtkommandanten, Obrist Christian Willich,
stehende kleine Garnisonsbesatzung von etwa 400
Söldnern und etwa 250 „Bürgersoldaten“ mussten allein den erneuerten Festungsmauern und den armierten Geschütztürmen der Schlossfestung vertrauen.
Hessen-Darmstadt hatte im Zeitraum zwischen 1624
und 1644 das Marburger Schloss zu einer beachtlichen Festung mit mächtigen Bastionen und starken
Mauern ausgebaut. Auch die Stadtmauer war an vielen
Stellen erneuert und befestigt worden. Für die Stadttore und Pforten in Marburg und Weidenhausen wurden verstärkte Bewachungen unterstützt von eilig rekrutierten Bürgerwehren eingesetzt.
Den Wert und die Schlagkraft der eigenen Kräfte die
ihm zur Verteidigung der Stadt zur Verfügung standen
stufte Oberst Willich nicht sehr hoch ein. Schon bei der
Erstürmung des Vorortes Weidenhausen, die bereits
einige Tage vor Ankunft des Großteils der Niederhessen gegen Ende Oktober 1645 erfolgt war, hatten die
etwa 60 darmstädtischen Söldner die zur Abwehr dort
eingesetzt waren das Weite gesucht. Dagegen hatte
sich die Weidenhäuser Bürgerwehr sehr tapfer gezeigt,
Unter großen eigenen Opfern hatte sie den Niederhessen erhebliche Verluste beigebracht. Der größeren
Feuerkraft der Angreifer hatten sie jedoch nicht lange
Einhalt gebieten können.
Die Hoffnung, dass die Schlossfestung den Angreifern
standhalten könnte erfüllte sich nicht. Gegen die ständig wachsende Feuerkraft der Kanonen bildeten Festungsmauern und die Bastionen auch in Marburg kein
Hindernis mehr für die Angreifer.
99
Die Position von Oberst Willich in Marburg war jedoch
schon zuvor durch andere Erschwernisse belastet.
Allein 60 Reiter waren ständig eingesetzt, die Steuern
und Abgaben bei den Bürgern in der Stadt und im
Umland einzutreiben.
In der Regel waren von den Bürgern etwa ein Viertel
der gesamten Jahreseinkünfte an die Landgrafschaft
Hessen-Darmstadt abzuführen. Dies führte zu großem
Unmut, denn die vormalige Herrschaft der HessenMarburger Landgrafen hatte sich mit einem Abgabenanteil von einem Zehntel der Jahreseinkünfte begnügt.
Zur Beischaffung der Abgaben in der Stadt Marburg
sah sich Oberst Willich gezwungen, drastische Mittel
anzuwenden. Er quartierte den säumigen Zahlern kurzerhand 10 bis 12 zusätzliche Söldner in deren Behausungen ein. Dies bedeutete die volle Verköstigung
der Einquartierten und konnte nach wenigen Wochen
das Vielfache der Belastung abfordern, als es durch die
Contributionen (Kriegssteuern) gefordert wurde.
Diese Umstände führten zu Verstimmung gegen den
zumeist in Gießen residierenden Landgrafen Georg II.,
obwohl man in Marburg in den ersten Jahren seiner
20 Jahre währenden Herrschaft (1625-1645) durchaus zufrieden mit ihm gewesen war. Das ausgeblutete
Marburger Land konnte indessen die für eine erfolgreiche Verteidigung notwendigen Aufwendungen, weder personell, noch materiell erfüllen.
Die prekäre militärische Lage in Marburg war dem
Landgrafen Georg II. von Hessen-Darmstadt wohl bekannt. Er sah sich indessen nicht im Stande, Truppenverstärkungen nach Marburg zu beordern um die drohende Niederlage noch abwenden zu können.
Für die Nacht zum 1. November 1645 hatte man in Erwartung eines Sturmangriffes der Niederhessen in der
100
gesamten Stadt absolute Dunkelheit verordnet. Von
den Wachttürmen der Stadtmauer her waren die Geräusche der sich annähernden Truppen zu hören. Im
„Reizgraben“ (Universitätsstraße) unmittelbar vor der
Stadtmauer, richteten General Geysses Truppen Batterien gegen Stadt und Schloss. In der Stadt vernahm
man das Spatengeklirr und die Schanzgeräusche der
Angreifer, die zur Unterstützung dieser Arbeiten kurzerhand die Untertanen aus den nahen Dörfern
Marbach und Ockershausen heran gezogen hatten.
Sie mussten Laufgräben für die Angreifer ausheben.
Mit Schüssen „auf das gerade Wohl“ in Richtung der
Geräusche versuchten die Belagerten
den anrückenden Feind zu behindern. Vom Grind (Grün) her
hatte sich eine Batterie mit ihren Kanonen bis dicht an
die Untergasse heran postiert. Stadtkommandant Willlich hatte indessen die Stadttore von innen verrammen lassen und forderte von den Bürgern zusätzliche
Unterstützung, neben den 250 „Bürgersoldaten“, die
ihm zur Verteidigung der Stadt zur Verfügung standen.
Wohl wissend hatte Oberst Willich schon zuvor die
Bauern in den Vororten dazu aufgefordert, ihr Vieh
und ihre Habe vor dem anrückenden Feind in den
Wäldern in Sicherheit zu bringen. Der Bürgerschaft in
Marburg wurde angeordnet, vor jedem Haus in der
Stadt gefüllte Wasserzuber bereit zu stellen, um gegen ausbrechendes Feuer nach der erwarteten Beschießung durch die Niederhessen gewappnet zu sein.
Allerdings war es „bei Leibesstrafe“ verboten, das
Wasser aus den Brunnen in der Stadt zu entnehmen.
Es sollte allein aus der Lahn geholt werden.
Nach Mitternacht begannen die Belagerer mit dem Kanonenfeuer auf das Schloss. Pechbrandkugeln schoss
man in die Stadt und beschädigte schon mit dem er101
sten Feuerstoß etliche Häuser. Seit Tagesanbruch feuerten die Angreifer unentwegt aus den Laufgräben vor
der Stadtbefestigung mit Musketen auf die Verteidiger. Mit den Kanonen traktierte man stundenlang das
Schloss und die Stadtmauern, in die bald eine Bresche
geschlagen war. Schon machte sich die Reiterei der
Angreifer bereit, um durch die Brechen in die Stadt zu
gelangen. Die zahlreichen Feuer in der Stadt konnten
kaum noch gelöscht werden. Frauen und Kinder verbargen sich in tiefen Kellern. Eine verängstigte Gruppe
von Stadtbürgern flehte den Stadtrat und die zögernde Stadtkommandantur vergeblich an, die Beendigung der Kämpfe zu erbitten. Nun waren es die Stadtbürger selbst, die ein Ende der Kampfhandlungen ohne
Absprache mit den Räten und der darmstädtischen
Stadtbesatzung forderten. Ein Tambour zog in Begleitung einer Bürgerdelegation zu den Angreifern und bat
um Waffenruhe. Auch zum Schloss zog die Delegation.
Danach erbat man bei Obrist Willich um Waffenruhe,
zu der die Angreifer sich schon bereit erklärt hatten.
Die Kriegsparteien schlossen nun einen Waffenstillstand. Man verabredete, dass die hessen-darmstädtischen Söldner ihr Quartier im Bereich der Schlossfestung behalten sollten, während die Niederhessen in
den übrigen Stadtquartieren Einzug nahmen.
Der Stadtrat in Marburg willigte nun ein, die harten
Quartierbedingungen der Niederhessen zu erfüllen. Die
Marburger Bürger versuchten Linderung von den Einquartierungslasten zu erwirken, in dem man darum
bat, einen Teil der geforderten Quartiere in die Vororte
zu verlegen. (Weidenhausen, Ketzerbach)
Der nun in Marburg eingesetzte niederhessische Stadtkommandant Winckelstern und General Johann Geysse zeigten sich über die hartnäckigen Versuche des
102
Rates der Stadt, Linderung bei den Einquartierungen
zu erfahren, sehr erbost. Es erging nun der Befehl zur
sofortigen Einquartierung der schon angekündigten
600 Söldner und zusätzlich weiterer 800 Söldner, die
nun in Marburg und Weidenhausen
untergebracht
werden mussten. Notgedrungen nahm die Stadt ihr
Schicksal auf sich, in der Hoffnung, dadurch der totalen Zerstörung zu entgehen.
Der niederhessische Kriegskommissar Valentin Göddäus und Generalwachtmeister Johann Geysse forderten indessen zusätzliche hohe Kontributionen von
der Stadt Marburg. Nur durch persönliche Geschenke
des Magistrates an die Befehlshaber der Hessen-Kasseler konnte dies abgewendet werden.
Im Gegenzug stimmten die Hessen-Kasseler dem Ersuchen der Marburger Räte teilweise zu, dass nun
auch die bisher unbehelligten Behausungen der in Marburg wohnhaften hessen-darmstädtischen Beamtenschaft und der Professoren, unbeachtet ihrer „Schutzbriefe“, zur Entlastung der Stadtbürgerschaft in die
Einquartierungen einbezogen werden sollten. Eingehalten wurde diese Zusage nur sehr bedingt.
Obrist Christian Willich hatte sich indessen mit den
etwa 400 hessen-darmstädtischen Soldaten, darunter
den etwa 6o Berittenen, in den Festungsbereich des
Schlosses zurück gezogen. In den Festungsanlagen
des alten Lustgartens hatte er während des ganzen
Novembers 1645 weitere Laufgräben ausheben lassen
und zusätzliche Verteidigungsstellungen errichtet. Man
lebte in der Erwartung des Sturmes durch die Niederhessen auf die Schlossfestung und verharrte in der
vergeblichen Hoffnung auf Entsatz durch anrückende
kaiserliche Truppen.
103
Fast sechs Wochen - vom Dezember 1645 bis Anfang
Januar 1646 - hatte sich ein relativ friedliches Miteinander der Angehörigen der beiden Kriegsparteien in
Marburg entfaltet. Vom Schloss herab besuchten die
darmstädtischen Soldaten die Gastwirtschaften und die
Märkte in der Stadt. Einvernehmlich traf man sich mit
den hier einquartierten Niederhessen.
Indessen verstärkte sich der Ring der niederhessischen
Truppen rund um das Schloss und um die hier eingeschlossenen Hessen-Darmstädtischen. Es trafen weitere Verstärkungen der Niederhessen ein. Zusätzliche
175 Soldaten wurden in Weidenhausen einquartiert.
Während des Dezembers 1645 erfolgten unter dem
Befehl des neuen Stadtkommandanten der Niederhessen, Obrist Johann Stauff die Vorbereitungen der Hessen-Kasseler zum Sturm auf das Schloss.
Am 8. Januar 1646 begann die Kanonade auf die
Schlossfestung und den Schlossberg. Es wurden an einem Tag 25 Tonnen Pulver verschossen. Das Schloss
und alle Gebäude am Schlossberg waren bald durchsiebt. Aus etwa 20 Kanonen verschiedenster Kaliber
feuerte man unentwegt. Zahlreiche Stadthäuser waren
bald unbewohnbar geworden. Eine ernsthafte Gegenwehr der Belagerten war nicht mehr zu erwarten, da
durch den starken Beschuss der Niederhessen die
Bastion und die Vorwerke der Festung bereits im November 1645, nebst den hier aufgestellten darmstädtischen Batterien, weitgehend zerstört waren.
Indessen wartete Obrist Willich weiter vergebens auf
Entlastung durch Truppen von Landgraf Georg II., der
in Gießen verweilte und Durchhalteappelle nach Marburg sendete.
Am 15. Januar 1646 stellte Oberst Willich den Widerstand ein. Der Hessen-Kasseler Obrist Johann Stauff
104
gestattete den Verteidigern des Schlosses freien Abzug. Am 16. Januar um 1 Uhr verließen die HessenDarmstädter – „mit Sack und Pack, mit klingendem
Spiel und brennender Lunte“ das Marburger Schloss in
Richtung Gießen. Mit dem Tross nach Gießen zogen
auch die hessen-darmstädtischen Prinzen, die Söhne
des Landgrafen Georg II., Heinrich (1630-1678) und
Georg (1632-1676) unbehelligt ab. Sie hatten an der
Marburger Universität studiert. Nur die Kanonen der
Verteidiger blieben zurück.
Der wegen der Preisgabe von Marburg erboste Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt ließ den Obristen Willich vor ein Kriegsgericht stellen, wegen dessen „eigenmächtiger“ Kapitulation in Marburg.
Auf Willich wartete das Todesurteil. Es wurde unverzüglich auf dem Giessener Marktplatz vollstreckt.
Hessen-Marburg wurde indessen von Hessen-Kassel
wieder in Besitz genommen. Am 6. Februar 1646 erhielt der Magistrat Order, dass nunmehr „dauerhaft
1237 Köpfe“ innerhalb der Ringmauer einquartiert und
zu versorgen seien: 839 Männer, 206 Frauen 172
Kinder und 36 Pferde.
Am 13. Februar 1646 wurde im Rittersaal des Schlosses die Huldigung der Bürgerschaft für die „fürstliche
Frau“ Amalie-Elisabeth von Hessen-Kassel entgegen
genommen. Zaghafte Versuche der Räte, eine Verschiebung der „Huldigung“ der neuen Herrschaft zu erwirken „da doch der Krieg noch nicht beendet sei“,
blieben ohne Erfolg. Die Niederhessen verlangten das
Gelöbnis der Räte und der Bürgerschaft auf die Landgrafschaft von Hessen-Kassel. In Marburg beruhigte
sich die Situation bald, nachdem Hessen-Kassel die
Hoheit über Hessen Marburg zurück erobert hatte
105
Landgräfin Amalie-Elisabeth ordnete größte Rücksichtnahme und Disziplin für die in Marburg einquartierten,
niederhessischen Soldaten an. Dies wurde weitgehend
eingehalten. Übertretungen dieser Anordnung führten
zu strenger Bestrafung. Die Not der Marburger Bürgerschaft infolge der Einquartierungen wurde indessen
immer größer.
Seinen Anspruch auf Marburg und ganz Oberhessen
gab Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt nicht
auf. In einem Schreiben vom 16. Januar 1646, das auf
geheimen Wege Marburg erreichte, hatte er bereits die
Marburger Bürgerschaft zum „Festhalten an der ihm
einst gelobten Untertanentreue“ ermahnt.
Zielstrebig ging Landgraf Georg II. daran, Maßnahmen
für eine Rückeroberung von Marburg zu treffen.
Er suchte den Marsch des aus Norddeutschland nach
Süddeutschland zurückkehrenden kaiserlichen Heeres
auszunutzen, um mit deren Hilfe die Rückgewinnung
von Hessen-Marburg für Hessen-Darmstadt durchzusetzen.
Der Zug der Kaiserlichen durch das Hessenland im
Jahr 1647 brachte letztmalig in dem großen Krieg Unheil und Elend in die Dörfer und Städte. Dabei zogen
die in kaiserlichen Diensten stehenden Kroaten eine
unvorstellbare Spur der Verwüstung und des Grauens
durch Hessen. Ohne Rücksicht auf Freund und Feind.
Zahllose Dörfer und viele Städte wurden zerstört, obwohl es dafür nicht den geringsten Anlass gab.
Es handelte sich offenbar um einen letzten großen
Beutezug, der noch einmal die Taschen der Soldateska füllen sollte.
Die großen Heere der „Protestantischen Union“ zeigten
sich, ebenso wie die der Kaiserlichen im Jahre 1647
106
nicht mehr geneigt, große Schlachten mit dem Gegner
zu schlagen. Friedensgespräche deuteten sich an. Man
ging sich aus dem Wege.
Der Großteil der niederhessischen Truppen befand sich
wie so oft im Verlaufe der hessischen Geschichte, nicht
im eigenen Lande, als die bayrischen-kaiserlichen und
kroatischen Verbände auf ihrem Zug nach Süden durch
Niederhessen und Oberhessen zogen.
Diesen Sachverhalt suchte Landgraf Georg II. durch
einem letzten Schlag gegen Hessen-Kassel und der
Rückeroberung von Hessen-Marburg auszunutzen.
Welchen Vorteil die kaiserlichen Heerführer darin erblickten, vor dem sich abzeichnenden Ende des großen
Ringens noch einmal ein Kriegsabenteuer einzugehen
bleibt unklar. Dem Hilfsersuchen des Landgrafen Georg II. das von Hessen-Kassel gehaltene Marburg anzugreifen wurde nachgegeben.
Am 24. November
1647 setzte sich das kaiserliche Heer von Treysa aus
unter dem Oberbefehl des General-Feldmarschalls Melander von Holzapfel in Richtung Marburg in Bewegung.
siehe Anmerkung 2)
Der niederhessische Stadtkommandant in Marburg,
Oberst Johann Stauff, hatte durch Kundschafter Hinweise auf den bevorstehenden Angriff erhalten. Umgehend ergriff er Maßnahmen zur Verteidigung von
Stadt und Schloss. Stauff war sich bald im Klaren darüber, dass er mit den ihm zur Verfügung stehenden
etwa 600 regulären niederhessischen Soldaten die
Stadt nicht gegen eine anrückende Armee von 8000 –
10.000 kaiserlichen Söldnern verteidigen kann.
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Landgräfin Amalie-Elisabeth von Hessen-Kassel weilte
indessen mit dem Großteil des niederhessischen Heeres in den Niederlanden.
Hilfe für die bedrohte Stadt Marburg konnte von ihr
nicht erwartet werden. Oberst Stauff forderte von den
Bürgern Unterstützung zur Verteidigung der Stadt.
Aus einigen Ortschaften östlich von Marburg waren
Bürger und Bauersleute vor den anrückenden kaiserlichen Truppen und aus Angst vor den Gräuel die von
den Kroaten in Nordhessen angerichtet wurden nach
Marburg geflüchtet um hinter den Stadtmauern Schutz
zu finden.
Etliche Hundert Bauern sind es gewesen, die in der
Nacht in das Anwesen Steinweg 4, des Schultheißen
Dr. Heilmann, vor den Angreifern geflüchtet waren. Sie
hatten hier einen Lichtschein erblickt, in der ansonsten
stockdunklen Stadt. Ihnen auf den Fersen waren bereits die in die Stadt eindringenden kaiserlichen Soldaten des Obristen Felix.
Die in die Stadt geflüchteten Bauern wurden sogleich
für Schanzarbeiten und das Ausheben von Gräben zur
Verteidigung eingesetzt. Nur wenige Tage später hatten sie diese Dienste für die Angreifer zu leisten.
Unter der Führung von General-Feldmarshall Holzapfel
und den Obristen von Bardiz und Freiherrn zu Fernamont, erreichten die Angreifer am 29. November 1647
Marburg. Durch das Elisabeth-Tor drangen sie bis an
die Stadtmauern zum Kesseltor am Steinweg vor. Sie
brachten das schwach verteidigte Kesseltor in ihre Gewalt und verfügten nun ihrerseits über die in die Stadt
geflüchteten Bauern, die sie für die weiteren Angriffsvorbereitungen zu Schanzarbeiten einsetzten.
Von Dr. Heilmanns Keller und von den Kellern der angrenzenden Häuser wurden Brechen in die rückwär108
tigen Wände schlagen, um auf diesem Wege ungesehen zu den Burgmauern und Stadtgräben zu gelangen
Das große massiv gebaute Anwesen des Dr. Heilmann
außerhalb der Stadtmauern am Steinweg diente nun
während des Angriffs als Gefechtsstand für den Generalstab der kaiserlichen Angreifer.
Der Marburger Historiker Wilhelm Bücking
schildert in seiner Beschreibung: -„ aus Marburgs
Vergangenheit“ erschienen im Jahr 1901 gedruckt in der Elwert’schen Buchhandlung“ - sehr
anschaulich die verhängnisvollen Ereignisse, die
Marburg, kurz vor dem Ende des großen Sterbens, ins Verderben riss. Auf diesen Bericht wird
im Nachfolgenden Bezug genommen.
„Zwischen Kesseltor und der Hildweinspforte, an der
Wasserscheide zwischen den Häusern der Neustadt
und dem Steinweg, kam es zum ersten heftigen Gefecht. Oberst Stauff hatte hier eine Schanze der Verteidiger errichtet und leistete 2 Stunden lang Widerstand gegen den viel stärkeren Feind. Beide Seiten
hatten dabei erhebliche Verluste. Auch die vom Grün
her vorrückenden Kaiserlichen hatten wenig Mühe, die
Stadtmauern an der Untergasse zu überwinden und in
die Stadt vorzudringen. Vorsorglich waren mitgeführte
Mineure der kaiserlichen aus den Erzbergwerken heran
geführt worden, um die unterirdischen Zugänge zum
Schlossberg und zu den Festungseinrichtungen frei zu
machen. Etliche vermauerte Zugänge wurden aufge109
sprengt. Die Verteidiger brachten aber durch unmittelbare Gegensprengungen die unterirdischen Gänge
zum Einsturz, so dass ein Vordringen der Kaiserlichen
von dieser Seite auf das Schloss verhindert werden
konnte.
Die Aufforderung der Kaiserlichen zur Übergabe der
Stadt und des Schlosses lehnte Oberst Stauff ab. Er
zog jedoch die auf den Stadtmauern und die bei den
Stadttoren postierten Wachtmannschaften zurück auf
die Schlossfestung und überließ den Angreifern kampflos die Stadt.
Mit den verbliebenen 400 Soldaten verschanzten sich
die Niederhessen mit Oberst Stauff auf der Festung,
sowie in den massiven Häusern am Burgberg, der neuen Kanzlei und der Wolffsburg. Durch die Einstellung
ihrer Kampfhandlungen in der Stadt hoffte man, dass
die Bürgerschaft vor weiterem unnötigem Schaden
bewahrt werden könnte.
Für die Stadt und die Bürgerschaft verliefen die Ereignisse indessen verhängnisvoll. Mit dem Vorwand, dass
sich Teile der Bürgerschaft in „unbotmäßiger Weise“ an
der Verteidigung der Niederhessen beteiligt hätten und
damit gegen den geleisteten „Untertaneneid“ für Landgrafen Georg II. von Hessen-Darmstadt verstoßen hätten, überließ der „kaiserlich-darmstädtische Generalstab“ seinen Truppen die Stadt Marburg drei Tage und
drei Nächte lang der Plünderung. Daran habe sich die
gesamte kaiserliche Armee beteiligte.
Offiziere und Gemeine verteilten sich in den Strassen
und Gassen. Sie drangen in alle Häuser und durchwühlten vom Keller bis zum Boden jeden Winkel.
Alles was Gefallen fand wurde weg getragen, soviel ein
jeder zu tragen vermochte. Möbel, Kessel, Öfen, jeglicher Hausrat, Hemden, Leinen, Flachse, Garne, volle
110
Weinfässer, Kram- und Fleischwaren wurden zusammengetragen, auf Wagen verladen und in Richtung
Gießen und Frankfurt abgefahren. Für die geraubten
Waren sollten auf den Märkten gute Erlöse erzielt
werden. Dazu wurden alle lebenden Tiere: wie Ochsen, Kühe, Rinder, Esel und Schafe konfisziert und auf
die später abziehenden Trosse verteilt. Begehrter
waren indessen die Wertsachen wie Geld, Gold und
Schmuck, die unmittelbar in den Säckeln der Plünderer verschwanden. Viele Bürger konnten nichts retten,
als das was sie am Leibe trugen. Manche nicht einmal
dieses. Andere mussten das eigene Leben mit Geld
erkaufen. In den Verzeichnissen der ausgeplünderten
Bürgerschaft wurden später alle geraubten Gegenstände erfasst.
Der Bürger Adolf Kremer entrichtete 8 Reichtaler an
seine Peiniger, die letzten die er wohl noch hatte, um
sein Leben zu retten.
Die Ratsherrn Fieseler und Klunck leisteten je 20
Reichstaler Ablösung zur Rettung ihrer Kinder. Den gemeinsam erlittenen Verlust beziffern die vormals begüterten Ratsherrn mit über 5000 Reichstalern. Heinrich Peter berichtete später, ein Fähnrich der schon
alles weggeräumt habe was zu fassen war, hatte gedroht, das ganze Haus zu zerschlagen, wenn er nicht
das letzte versteckte Geld heraus rücke. Die Witwe des
Daniel Kremer berichtete, dass nach dem 3. Tag der
Plünderung ein Leutnant - nebst Frau, Kind und Knecht
und zwei Pferden - in ihr Haus einquartiert seien. Alles
was noch übrig war habe dieser Leutnant an sich
genommen. Das restliche Heu habe er verfüttert und
ihr nicht das Geringste hinterlassen. Ihr eigener kleiner Sohn habe nicht mehr ein Stück Kleidung besessen.
111
Auf 100 Reichstaler schätzt der Drechsler Heinrich
Brinkheimer seinen Verlust. Das sei aber nichts gegen
das Leben des ältesten Söhnchens, der beim Sturm
auf die Stadt erschossen worden sei. Witwe Repperschmidt erwähnt in ihrem Bericht: „Als die Plünderer
erfuhren, dass mein Mann bei der Verteidigung der
Stadt gefallen ist, haben sie mir alles zerschlagen und
mit meinen 2 letzten Talern rettete ich mein Leben“.
Johannes Ruppersberger sagte; „Sie haben mich zu
einem Bettler gemacht“ Konrad Peter, Schlosser Heinrich Wagner, Schuhmacher Johannes Römer und zahlreiche andere Handwerker berichteten später für die
Aufzeichnungen im Ratsprotokoll der Stadt, dass sie
durch die mutwillige Zerstörung um ihr Hab und Gut
gebracht seien.
Der Bäcker Johannes Römershäuser berichtet davon,
dass unter dem Brauhaus in der Wettergasse ein
heimlicher Keller gewesen sei, im dem einige Bürger
ihre besten Sachen verwahrt hätten. Zwei Tage vor
dem Abmarsch der Kaiserlichen habe eine Frau den
Soldaten das Versteck verraten, die dann alles ausgeräumt hätten. Leer stehende Schuppen wurden abgebrochen und das Holz bei den Wachtfeuern verbrannt. Nur die „salvagardi“ Häuser (Schutzbriefhäuser wie das Haus 12 des Georg von Lettow) seien von
der Soldateska verschont geblieben.
In Gefahr geriet auch die Pfarrkirche. Die Kaiserlichen
hatten die Absicht, auf dem Kirchturm einen Wachtposten einzurichten, um von der höheren Position
einen besseren Überblick zur Schlossfestung und den
dortigen Bewegungen zu erhalten. Obrist Stauff ließ
indessen den Kaiserlichen mitteilen, dass er in diesem
falle den Kirchturm zusammen schießen lassen werde
112
Zwei Marburger Ratsherren hatten es gewagt, während der Erstürmung der Stadt, den Kaiserlichen entgegen zu treten, um Schutz für die „lutherische Pfarrkirche“ zu erbitten. „Da die Hessen-Darmstädter doch
selbst diese Kirche der reformierten Seite wieder
entrissen hätten und die lutherische Lehre seither hier
wieder verkündet werde“.
Der kaiserliche Obrist Wachenheim, der auch keinen
Sinn für ein „Himmelfahrtskommando“ auf dem Kirchturm“ erkennen konnte, nutzte den Vorfall, um die
beiden Ratsherren kurzerhand gefangen zu nehmen.
Erst nach einer Zahlung von 1.000 Reichstalern kamen
die Ratsherren wieder auf freien Fuß. Ihre Familien
und Freunde hatten das Lösegeld mühsam zusammengebracht.
Das Haus des Schlossers Heinrich Wagner wurde mutwillig total zerstört. so dass nichts gerettet werden
konnte. Es wurden indessen auch weitere, geheime
Kellerräume von den Plünderern ausfindig gemacht.
Am Ende blieb kein Haus verschont.“
Soweit zu den Ausführungen Wilhelm Bückings.
Vom 4. Dezember bis zum 7. Dezember 1647 dauerte
die angeordnete Plünderung in Marburg an. Jedoch
auch danach änderte sich an der Ausbeutung der Bürgerschaft durch die Kaiserlichen nichts. Auf offener
Straße wurden die Bürger ihrer Kleidung und letzten
Habe beraubt, so sie denn noch etwas zum Forttragen
hatten.
Die Kampfhandlungen kamen für einige Tage zum
Erliegen. Der von allen Beteiligten hoch angesehene
Marburger Schultheiß und Quartiermeister Dr. Heilmann wurde zur Regulierung der Einquartierungen der
in der Stadt zu versorgenden kaiserlichen Regimenter
113
eingesetzt. Diese Einquartierungen bildeten vielfach
nur die Fortsetzung der schon bekannten Plünderungen. An die Bürger die sich bisher versteckt gehalten
hatten erging der Aufruf, sich bei der kaiserlichen
Kommandantur zu melden. Besonders den Ratsherren
galt die Aufmerksamkeit der kaiserlichen Generalität.
Man machte sie für den Widerstand verantwortlich, der
von Teilen der Bürgerschaft gegen das kaiserliche Heer
geübt worden war. Die Nachricht von der Gefangennahme einiger Ratsherren hatte sich in Marburg wie
ein Lauffeuer verbreitet.
Aus Furcht vor ihrer Gefangennahme versuchten die
übrigen Ratsherren sich zu verstecken. Dies gelang
nicht. Sie wurden in das Stockhaus unter Arrest genommen.
Die gefangenen Ratsherren und verdächtigten Stadtbürger wurden von Oberkommissar Hofmann und General-Auditeur Groß mit markigen Worten in Angst
und Schrecken versetzt. Die an sie gerichtete Ansprache im Wortlaut:
„Sie, wie die ganze Bürgerschaft, sind Rebellen, die
sich haben gelüsten lassen, wider des Kaisers Majestät
Armee zu opponieren. Wegen ihrer Treulosigkeit gegen
den Kaiser und ihren rechtmäßigen Landesherrn,
Landgraf Georg, seien sie ihrer Majestät mit Leib und
Gut, Ehr und Blut, Weib und Kind verfallen und verdienen, dass ihnen die Köpfe abgeschlagen und auf
Pfähle gesteckt, ihre Leiber gespießt und sie auf diese
Weise vom Leben zum Tode gebracht würden. Dass
die Stadt in Brand gesteckt und ein Galgen darüber
gemacht würde, zu ewigen Schande und zum Spott
ihrer Kinder und Nachkommen. Daran sie sehen sollten, wie mit ihnen einst verfahren worden sei. Wofern
aber die Stadt der Generalität 5.000 Reichstalern. Lö114
segeld versprochen wollte, sollten sie Verzeihung erlangen und am Leben bleiben, widrigenfalls gegen sie
verfahren würde, wie vorher angezeigt“
Die Anhörung dieses harten Urteils hatte die Gefangenen dermaßen erschüttert, dass sie sich außerstande fühlten, eine alsbaldige Erklärung hierauf zu geben.
In dieser hohen Forderung erkannten sie etwas Unmögliches, welches sie nicht zu leisten vermochten,
weil sie ja schon ganz und gar ausgeplündert und des
Ihrigen beraubt waren. Hierauf wurden sie wieder in
das Stockhaus zurückgeführt und etliche Tage bei
Hunger, Durst und Frost gefangen gehalten.
Inzwischen hatte sich die kaiserliche Generalität anders besonnen und das Lösegeld auf 12.000 Reichstaler erhöht.
Am 19. Dezember 1647 wurde den Gefangenen angezeigt, wenn sie sich in kurzer Zeit nicht erklären und
den angebotenen Accord, der nunmehr auf 12.000
Reichstaler festgesetzt sei, nicht unterschreiben würden, dann sollte wenigstens ein Exempel zur Warnung
aufgestellt und einige von ihnen hingerichtet werden.
Zu den scharfen Drohungen der Eroberer gesellte sich
nun noch das Lamento der Frauen, der Kinder und der
Angehörigen der Gefangenen. Mit Rücksicht auf die Erhaltung ihres eigenen Lebens und auf eindringliches
Zureden der Ihrigen entschlossen sie sich, den ihnen
gestellten Accord anzunehmen. Am 20. Dezember
1647 wurden die Ratsherren in das Rathaus geführt.
Im Namen der Stadt unterzeichneten sie die Obligation die ihnen auf erlegte, „Brandschatz- und Plünderungsgelder“ in Höhe von 12.000 Reichstalern an das
kaiserliche Heer zu zahlen. Die Unterzeichner sind: Johannes Schott, Helfrich Bange, Eberhard Bierau, Pau115
lus Sauer, Matthäus Schrot, Antonius Kalb, Johannes
Liebächer, Ludwig Diedenzhäuser, Heinrich Scheffer,
Kaspar Giebel, Erasmus Sömmering, Ernst Sallich,
Joachim Mann, Peter Scherer, Ludwig Lins, Konrad
Kalb, Johann Kurt Scheffer, Peter Mai, Jeremias Selig.
Im Namen des Kaisers untersiegelte Generalwachtmeister Ernst Graf von Tann die Obligation.
Weitere 2.000 Reichstaler als „Glockengelder“ (Forderung für die Verschonung der Kirchenglocken vor
ihrer Zerstörung durch die Kaiserlichen) machte der
Feldzeugmeister Oberst von Fernamont geltend. Auch
diese Forderung wurde von den Schöffen unterzeichnet.
Die Eroberer der Stadt ließen indessen auch die Sichenhäuser und St.Jakobshospital nicht ungeschoren.
Sie plünderten auch diese Häuser, vertrieben die Insassen von denen zahlreiche in der kalten Jahreszeit
erfroren, wenn sie nicht verhungerten.
In der vereinbarten Schuldverschreibung über die vor
erwähnten 12.000 Reichstaler hatten die Eroberer
zugesagt, nicht nur die gefangenen Bürger und Schöffen frei zu lassen, sondern auch auf alle weiteren Plünderungen und Erpressungen zu verzichten. Noch in der
Stunde der Unterzeichnung dieser Vereinbarung nahmen kaiserliche Artilleristen drei Räte und etliche Bürger aufs Neue gefangen. Die Visitationen und Plünderungen wurden in den Häusern fortgesetzt. Auch die
„geschützten Anwesen“ blieben nun nicht mehr verschont. Die Niederhessen die sich auf das Schloss zurückgezogen hatten, sahen dem Treiben ohnmächtig
zu. Angesichts der nicht enden wollenden Torturen
durch die Kaiserlichen eröffneten sie in den letzten
Dezembertagen des Jahres 1647 ein heftiges Kanonen- und Kartätschenfeuer auf alle sich bietenden
116
Ziele der kaiserlichen Belagerer. Die günstigere Position auf dem Schlossberg sah die Niederhessen im
Vorteil. Die Kaiserlichen erlitten durch das beständige
Feuer erhebliche Verluste.
Zu den Gefallenen zählten: der Generalwachtmeister
Reich, 1 Obristleutnant, 7 Kapitäne, 1 Rittmeister, 1
Bergbauingenieur und mehr als 400 gefallene gemeine Soldaten. Die Gegenwehr der Kaiserlichen blieb
eher wirkungslos. Auch die Versuche der Unterminierung des Schlossberges unter Ausnutzung der verschiedenen unterirdischen Gänge die bis unter die
obere Schlossmauern führen sollten, blieben erfolglos.
Die kaiserlichen Mineure trafen auf vermauerte und
verbarrikadierte Zugänge der zwischen den Häusern
verlaufenden unterirdischen Gänge und gerieten ihrerseits durch die Gegensprengungen der Belagerten, die
ja ebenfalls über beste Kenntnis der Örtlichkeiten verfügten, in höchste Bedrängnis. Das Vorhaben der Unterminierung wurde von den Kaiserlichen aufgegeben.
Nach den Aufzeichnungen des „Theatrum Europaeum
6. Teil S. 13“ geriet General Melander von Holzapfel
selbst in höchste Gefahr durch einen vom Schlossberg
herab geführten direktem Kanonenbeschuss, mit dem
das Quartier der kaiserlichen Generalität im Hause des
darmstädtischen Rentmeisters Daniel Seip, Am Grün
25, ins Visier genommen worden war. Durch Kundschafter war Obrist Stauff davon in Kenntnis gesetzt,
wann sich die Kommandanten der kaiserlichen Belagerer zur Lagebesprechung im Quartier des GeneralFeldmarschalls aufhielten.
Von zwei Seiten her ließ Stauff aus 14 Kanonen gleichzeitig gezielt auf dieses Quartier feuern. Neben der
„Neuen Kanzlei“ am Schossberg hatte er den Feigenhof niederlegen lassen, um unsichtbar für die in der
117
Stadt befindlichen Belagerer eine starke Batterie auf
dem freigelegten Platz eingerichtet. Über die Ruinen
der Häuser in der Ritterstrasse hinweg ließ er von dort
aus auf das Ziel am Grün zu feuern. Von der notdürftig wieder hergerichteten großen Schlossbastion
wurde gleichzeitig das Feuer der Niederhessen durch
sechs 24-Pfünder unterstützt. Das Ergebnis dieses
überraschenden Feuerüberfalls in den letzten Dezembertagen des Jahres 1647 war für den kaiserlichen
Generalstab verheerend.
Zahlreiche zerschmetterte und tödlich getroffene Offiziere gehörten zu den Opfern. Darunter der Markgraf
von Baden, dem ein Bein abgerissen wurde. Dem Generalfeldmarschall Melander von Holzapfel klebte „ein
fremdes Hirn eines Gefallenen am Backen“, sowie ein
Holzsplitter im Bein, der ihm eine böse Verletzung beigefügt hatte.
Dies dürfte den Entschluss der Kaiserlichen, das unrühmliche Debakel in Marburg zu beenden, beschleunigt haben. Innerhalb weniger Tage zogen die kaiserlichen Belagerer aus Marburg ab.
Wut, über die nicht geglückte Eroberung des Schlosses
führte die Kaiserlichen noch einmal zu einem Höhepunkt ihres Zerstörungswerkes in der besetzten Stadt.
Alles, was bei den Plünderungen noch nicht verdorben
war, fand nun den Weg der Zerstörung. Möbel, Haustüren, Holztreppen und alles Brennbare wurde in den
Wachtfeuern der letzten Tage des Jahres 1647 auf den
Strassen verbrannt. Die vier großen Stadttore wurden
vor dem Abzug der Kaiserlichen „zum Abschied“ gesprengt.
Der Magistrat berichtete in seiner Auflistung über die
erlittenen Schäden durch die Totalplünderung und muwillige Zerstörung der Stadt an die Landgräfin Amalie
118
Elisabeth von Hessen-Kassel von einem Schaden in
Höhe von 1 Million Goldtaler.
Der Anblick der Stadt sei so erbärmlich, dass die darinnen Wohnenden wohl zu Lebzeiten eine so ansehnliche Behausung, als zuvor nicht mehr erleben werden.
Am 27. Dezember 1647 verließ die Armee die Stadt.
Sie marschiert in zwei Richtungen ab.
Während eine Abteilung sich in Richtung Fulda bewegt,
zieht die andere über Gießen und Frankfurt weiter
nach Süden.
Die nach Süden ziehende Armee nahm indessen vier
Geiseln aus Marburg mit, allesamt honorige Bürger.
Die Schöffen Johannes Schott und Eberhard Bierau
und die Bürger Heinrich Kuntz und Heinrich Briel sahen
einem ungewissen Schicksal entgegen. Die Geiseln
wurden von Feldzeugmeister Obrist von Fernamont mit
dem Hinweis mitgeführt, sie so lange gefangen zu halten, bis die von ihm geforderten „Glockengelder“ in
Höhe von 2.500 Reichstalern gezahlt seien. Zu Anfang
des Abmarsches wurden die vier Geiseln „an den Händen gefesselt mitgeführt und von den „Profosen“ ungnädig behandelt“.
Später erfolgte durch die Offiziere eine Aufteilung der
Geiseln. Heinrich Briel wurde dem Obristen von Fermamont unterstellt. Eberhard Bierau dem Obristleutnant
von Dehmb, Schott und Kuntz dem Stockhauptmann
Esbron zur Überwachung unterstellt.
Die Offiziere ließen die Gefangenen anfangs an ihren
Tischen speisen und sorgten für ihre Gesundheit. Sie
schützten sie auch vor den Rohheiten der Soldaten.
Alle Beteiligten lebten in der Erwartung, dass die geforderten Lösegelder aus Marburg bald eintreffen werden. Auf ihrem Marsch nach Süden ergab sich in Nürn119
berg eine Möglichkeit, die Lösegelder durch einen
Kaufmann in „Wechsel“ zu nehmen. Dieses Vorhaben
scheiterte aber. Am 19 Januar 1648 brachte der Unterbürgermeister in einer Ratssitzung in Marburg vor, wie
man die Unglücklichen aus ihrer misslichen Lage befreien könnte.
Ein Brief der Geiseln erreichte am 27. Januar 1648 den
Magistrat in Marburg, der den Bürgern in der Stadt bekannt gemacht wurde. Alle wünschten, dass man die
in Not geratenen Mitbürger aus den Händen der Kaiserlichen auslösen müsste. Bürgermeister Klunck, der
Schöffe Fiesler und der Stadtschreiber Crollius erhielten Vollmacht, nach Kassel zu reisen, um die Landgräfin Amalie Elisabeth um die Bereitstellung des Lösegeldes zu bitten. Außerdem sollte die Landgräfin gebeten werden, eine Kollekte im Lande zuzulassen, um
so die geforderte Summe von 12.000 Reichstalern an
den Generalcommissar von Traun zusammen zu bekommen.
Am 30. Januar 1648 erreichten die Marburger Deputierten Kassel. Die Landgräfin hatte Bedenken gegen
die Zahlung des Lösegeldes für die Geiseln, stimmte
aber zu, dass eine Kollekte erhoben werden dürfe und
zeichnete für sich - und den Kronprinzen Wilhelm 200 Reichstaler und 200 Körbe Korn. Letzteres zur
Verteilung an die Armen in Marburg. Die Landgrafen
Hermann (Hessen-Rotenburg) und Ernst (HessenRheinfels) zeichneten je 25 Viertel Korn, die für 500
Reichstaler verkauft werden konnten.
Die Kollekte in Kassel erbrachte 858 Reichstaler.
Am 14. Februar 1648 richtete der Stadtrat in Marburg
ein Schreiben an die gefangenen Geiseln nebst einer
Mitteilung an Herrn von Fernamont. Der Bote aus Marburg, Karl Koch, übergab das Schreiben am 24. Feb120
ruar bei Engelstadt an der Donau den Geiseln. Am 25.
Februar erhielt der Bote die Rückantwort der Geiseln,
in der mitgeteilt wurde, dass der Herr von Fernamont
höchst ungehalten sei, über das Ansinnen von Marburg, mit der Hälfte des geforderten Lösegeldes zufrieden zu sein.
Im Falle weiterer Verzögerung werde man die Geiseln
noch viel weiter von ihrer Heimat entfernen. Schließlich bedauerten die Geiseln, dass sie auch Kosten für
ihre Verköstigung in ihrer Haft nicht begleichen könnten. Diese waren inzwischen auf 150 Reichstaler angewachsen. Für die Geiselnehmer war es offenbar
Usus, dass derartige Kosten von den Opfern ab verlangt wurden.
In den letzten Tagen des März 1648 gelang drei der
Geiseln die Flucht. Schott, Kuntz und Briel konnten mit
der Hilfe ihres Barbiers, der ihnen in der Gefangenschaft zugeteilt war, nach 14 Wochen Gefangenschaft
bei Regensburg entweichen.
Weshalb Bierau zurück bleiben musste, bleibt unklar.
Schott und Kuntz erreichten 14 Tage nach ihrer Flucht
aus dem kaiserlichen Gewahrsam Heilbronn.
Der im April 1647 nach Marburg zurückgekehrte Bote
Karl Koch konnte dem Rat in Marburg von der Flucht
der drei Geiseln berichten und deren eingeschlagenen
Weg beschreiben. Der Magistrat entsandte den Geflohenen einen Boten entgegen, der die Heimkehrenden
mit den nötigen Geldern für Kleidung und Logis auf
dem weiteren Fluchtweg besorgte. In Butzbach trafen
sich die Heimkehrer mit Karl Koch, der sich mit Botschaften aus Marburg auf dem Wege nach den kaiserlichen Heerführern bei Passau befand. Dort hatte er an
den Herrn Generalfeldmeister von Fernamont eine
121
Nachricht des Herzogs Ernst Wilhelm von Gotha und
des Landgrafen Georg von Darmstadt zu übergeben.
Dass diese Nachricht eine Intervention zur Lösegeldfrage beinhaltete ist nahe liegend.
Den Magistrat in Marburg erreichte eine Nachricht der
kaiserlichen Artillerie-Offiziere, dass sie die Auszahlung
der „Glockengelder“ weiterhin einfordern. Die entflohenen Schott, Briel und Kuntz hätten ihren Kameraden
Bierau wie Bösewichter in Stich gelassen und gegen ihr
schriftliches Gelöbnis, dass sie in Gießen, Frankfurt,
Nürnberg und Regensburg gegeben hätten, verstoßen. Der zurückgebliebene Bierau berichtet später,
dass er für die Flucht der anderen büßen musste.
„Ich musste weiter mitmarschieren und wurde dabei
von Kroaten und Musketieren auf das Schärfste bewacht. Schlafen musste ich in Ketten und die Kost war
so schlecht, dass mir übel wurde.“
Als der Generalfeldzeugmeister von Fernamont einen
Teil des geforderten Geldbetrag erhalten hatte, der als
Kredit bei Kaufmann Johannes Ochs aus Frankfurt für
den Gefangenen Bierau aufgenommenen worden war,
wurden diesem die Ketten gelöst.
Der Marburger Bote Karl Koch, der als Nachrichtenvermittler alle Vorgänge begleitete und auch den Kredit vermittelt und übergeben hatte berichtete, dass
man den Bierau aufhängen werde, wenn nicht bald die
„Glockengelder“ vollständig gezahlt werden.
Koch überbrachte auch die Botschaften, die an den
Generalfeldmarschall Melander von Holzapfel. Darin
wurde um die Freilassung der letzten Geisel gebeten,
da doch alle Kriegshandlungen inzwischen beendet
seien. Holzapfel verwies jedoch auf den Herrn von Fernamont, der allein in dieser Angelegenheit zuständig
sei.
122
Holzapfels Brief vom Mai 1648 an Landgraf Georg II.
und alle anderen Briefe die er auf dem Rückweg nach
Marburg bei sich trug, wurden dem Boten Koch von
schwedischen Soldaten abgenommen. In den Briefen
wird von den Parteien vermerkt, dass die Angelegenheit Bierau nicht die anstehenden Verhandlungen
in Münster belasten dürfe. Der von Fernamont solle
eine baldige Beendigung der Geiselnahme möglich
machen.
Der Inhalt dieser Nachrichten erreichte die Empfänger
und nährte die Hoffnung auf baldige Rückkehr der
letzten Geisel.
In der Ratssitzung vom 6. Juli 1648 wird das Hilfsgesuch des Bierau an die Landgräfin Amalie Elisabeth
verlesen. Die Landgräfin gestattete danach dem Magistrat, die inzwischen durch Kollekte eingesammelten
„Ranzgelder“ zur Erledigung der Angelegenheit Bierau
zu verwenden. Daraufhin wurden zuerst dem Kaufmann Ochs in Frankfurt die gewährten Kredite erstattet.
Bierau wurde nach mehr als 30 Wochen Geiselhaft im
Juli 1648 in Passau auf freien Fuß gesetzt. Mit der kaiserlichen Postkutsche gelangte er bis Regensburg. Von
dort machte er sich zu Fuß auf den Weg nach Nürnberg. Unterwegs wurde er von Buschkleppern seiner
Kleidung beraubt.
Nach einer Woche erreichte Bierau Nürnberg, wo er
sich erneut mit einem Kredit bei einem Kaufmann für
die weitere Heimreise versorgen kann. Den Rest des
Weges von Nürnberg über Frankfurt und Gießen nahm
Bierau mit der Postkutsche. Am 1. August 1648 kam
er nach 7 Monaten Geiselhaft in der Heimat an.
Die 12.000 Reichstaler Brandschatzungsgelder an die
Kaiserlichen hat Marburg nicht gezahlt. Beim Friedens123
schluss von 1648 hatte sich Landgraf Georg von Hessen-Darmstadt mit Landgräfin Amalie Elisabeth von
Hessen-Kassel dahin gehend geeinigt, die „Angelegenheit zu regeln“. Der Marburger Rat hatte dazu eingelassen, dass die Kaiserlichen den von ihnen abgefassten Accord zur Zahlung der Brandschatzungsgelder
nicht eingehalten hätten, indem sie vor ihrem Abzug
aus Marburg, entgegen der Abmachung, alles geplündert, die Stadttore zerstört und Geiseln mit sich genommen hätten.
Die kaiserlichen Offiziere des Artillerieregimentes von
Fernamont ignorierten gleichwohl den zwischen den
Friedensparteien verabredeten Verzicht der Lösegeldzahlumg.
Noch bis zum Jahre 1654 drohten sie den Marburger
Kaufleuten: „dass, wenn man sie bei der Frankfurter
Messe erwischen sollte, so werde man sie als Geiseln
so lange nehmen, bis der Accord abgegolten sei.“
siehe Anmerkung 3)
Soviel zu den Schilderungen des Dr. Wilhelm Bücking
über die Ereignisse der letzten Jahre des 30jährigen
Krieges, der Marburg als Streitobjekt und Zankapfel
der hessischen Bruderstaaten doch noch ins Unglück
stürzen sollte.
Noch vor Beginn des 30 jährigen Krieges im Jahre
1601 lebten in der aufblühenden Stadt Marburg etwa
4.800 Einwohner. Am Ende des Krieges, im Jahre 1648
war die Einwohnerzahl in Marburg auf unter 3.000 dezimiert. Dabei waren es nicht allein die unmittelbaren
Kriegshandlungen, die zu diesem Aderlass führten,
sondern deren Folgewirkungen durch Hunger und Kälte nach den Plünderungen und Brandschatzungen. Besonders waren es jedoch die wiederholten Pestepide124
mien, die in dieser Zeit zu beklagen waren. Bereits im
Jahre 1612 hatte die verheerende Pest in Marburg
über 1.100 Menschenleben gefordert. In den Jahren
1622 und 1624 waren es wiederum Hunderte, die ihr
Leben an den schwarzen Tod verloren, bis im Jahre
1637 eine weitere Pestilenz in Marburg etwa 400
Menschen dahin raffte.
Erst um das Jahr 1770 hatte die Stadt Marburg mit
5.000 Einwohnern Anzahl und Größe des Jahres 1600
wieder erreicht.
Es sollten allerdings nicht die letzten Kriegsereignisse
sein, die Marburg zum Schauplatz der kriegerischen
Auseinandersetzungen fremder Mächte und fremder
Heere machen sollten.
Darüber wird im Folgenden noch zu berichten sein.
Anmerkung 1:
In den fürstlichen Militärstandorten waren eigens eingerichtete Kasernenanlagen zur ständigen Unterbringung bis in das 19. Jh. allgemein nicht üblich. Stattdessen waren die Militärangehörigen in ihren Standorten in den Wohnhäusern der Bürgerschaft einquartiert.. Dort wurden sie in der Regel auch mit Lebensmitteln und – sofern notwendig – mit dem Futter für
die Pferde - versorgt. Die Einquartierung erfolgte auch
in der Garnisonstadt Marburg über viele Jahrhunderte
hinweg nach strengen Regeln. Für die einzelnen Stadtbezirke hatte der Rat der Stadt Quartiermeister eingesetzt, die die Bereitstellung der Unterkünfte und die
Versorgung der Einquartierten zu überwachen hatten.
Von der Einquartierung waren alle Bürgerhäuser der
Stadt betroffen. Bessere Quartiere waren den Offizieren vorbehalten. Die Abstufung der Qualität der
Quartiere entsprach der Rangordnung der Quartier125
nehmer. Die Kosten für die Unterbringung und Verköstigung waren in „Friedenszeiten“ von den Untergebrachten zu erheben und wurden vom Sold einbehalten. Die Beträge hierfür waren, entsprechend der
Rangordnung abgestellt. Allerdings waren nicht alle
Stadtbürger gleichermaßen von den Einquartierungen
betroffen. Ausgenommen waren in Marburg die Angehörigen der Stände, des Klerus, der landgräflichen Beamten, der Professoren und der Bürgermeister, Räte
und Beigeordneten. In besonders begründeten Fällen
wurden herrschaftliche „Schutz- oder Freibriefe“ für
einzelne Häuser ausgestellt. Naturgemäß führten die
Regelungen der Einquartierung zu Unruhen unter der
betroffenen Bürgerschaft. Man war erbost, dass der in
der Nachbarschaft wohnende Beamte oder Professor
unbehelligt blieb, während die eigene Familie sich
immer mehr einschränken musste.
In den Kriegszeiten, etwa im 30jährigen Krieg (16181648) oder im siebenjährigen Krieg, (1756-1763) als
die Stadt Marburg sehr oft unter wechselseitigen Eroberungen und Belagerungen fremder Mächte litt, oder
als Etappenort den verschiedenen Kriegsparteien diente, waren die normalen Quartierregeln außer Kraft
gesetzt. Niemand hielt sich an einen „Schutzbrief“ eines fremden Armeeführers, wenn dieser außer Reichweite war. So gab es in Marburg in diesen Kriegszeiten auch keine generelle „Schonung für Schutzbürger“, (Stände, Räte, Professoren) obwohl beide Kriegsparteien darauf bedacht waren, deren Privilegien zu
beachten.
So ersuchte Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt, auf diplomatischen Wege, bei Königin Christina
von Schweden (1626-1689) um Verschonung der Marburger Universität und ihrer Schutzpersonen vor Ein126
quartierungen und Kontributionen. Nach der Besetzung von Marburg im November 1645 durch Niederhessen sollte Amalie-Elisabeth von Hessen-Kassel ermahnt werden, „allen Schutz der einzigen, evangelischen Universität in Deutschland angedeihen zu lassen und sie, sampt der ihr dienenden Personen sowie
deren Hab und Gut zu schonen“. Der Unmut der Bürgerschaft über ungleiche Behandlung und die Begünstigung der „Patrizier“, die zumindest in Zeiten des
Waffenstillstandes über die Interessen der Kriegsparteien hinweg eingehalten wurde, war erheblich. Allein
der ohnmächtige Zorn der Bürger verrauchte in tiefer
Depression. In den zahllosen Märschen der gegnerischen Kriegsparteien durch das Hessenland kam es
bis zum Jahre 1645 in Marburg zwar nicht zu unmittelbaren Kampfhandlungen. Jedoch die ständigen Kontributionszahlungen und Aufwendungen für die Einquartierungen aller „Fahnen“ war die Stadt längst der
Armut anheim gefallen, als die Auseinandersetzung
um das „Marburger Erbe“ ihrem Höhepunkt zustrebt.
Die Häuser der privilegierten Stände waren am Ende
ebenso zerstört oder beschädigt, als alle übrigen in der
Stadt. Die erste Kaserne wurde in Marburg durch
Preußen, nach der Annektierung von Kurhessen im
Jahre 1866 errichtet.
Anmerkungen 2
Bezeichnend für die Heeresstrukturen der kämpfenden
Parteien im dreißigjährigen Krieg - für spätere, nationalstaatlich geprägte Generationen kaum nachvollziehbar - erweist sich in der kriegführenden Praxis
dieser Zeit, dass die jeweiligen Heeresführer ihre Truppenverbände eigenständig und eigenverantwortlich für
die jeweiligen Kriegsereignisse zusammen stellten.
127
Größere, ständig verfügbare stehende, nationale Heere
waren im 17. Jh. in Europa in der Regel noch nicht
üblich. Könige und andere Landessfürsten begnügten
sich mit den ihnen unmittelbar und zum persönlichen
Schutz unterstellten Garde - oder Leibregimentern.
Für die kriegerischen Auseinandersetzungen bestellte
man - gegen hohe Zahlungen - die dafür ausgewiesenen Heerführer, die ihrerseits die notwendigen Verbände, nebst den dazu benötigten Ausrüstungen, zur
Verfügung stellten. So kämpften im dreißigjährigen
Krieg die beühmten Heeresführer Johann von Tilly oder Albrecht von Wallenstein – mit den von ihnen
selbst zusammengestellten Heeren auf eigene Rechnung gegen die protestantische Union. Dafür erhielten
sie eine hohe Bezahlung durch den katholischen
Kaiser. Dies hinderte diese „Kriegsunternehmer“ auch
nicht daran, nach den Schlachten - für die man gemietet worden war -, die Fronten zu wechseln, wenn
die Gegenseite mit entsprechender Entlohnung winkte. Die Entlohnung der Söldner bestand nicht zuletzt in
der Erwartung der Bereicherung, die durch die Plünderungen nach den gewonnenen Schlachten erfolgten.
So auch in Marburg im Jahre 1647. Plünderungen waren ein einkalkulierter Teil der Bezahlung für die Söldner. Die Aussicht auf reiche Beute war zugleich für
zahllose Söldner ein Haupantrieb dafür, das gefährliche Soldatenhandwerk auszuüben.
An die Heerführer wurden gelegentlich von der gegnerischen Partei
hohe Zahlungen dafür geleistet,
wenn ihr starkes Heer sich nicht an einer Kriegshandlung beteiligte und dadurch der Ausgang einer
Schlacht beeinflusst wurde. Eine derartige Begebenheit ist im Zusammenhang mit der berühmten ersten
großen Schlacht des 30jährigen Krieges zu erkennen.
128
In der „Schlacht am Weißen Berg“ (bei Prag) am 8.
November 1620 unterlag das protestantische Böhmen
gegen die katholische kaiserliche Liga. Der böhmische
König Friedrich V. von der Pfalz (Winterkönig) hatte
mit seinen 13.000 Söldnern nur geringe Chancen
gegen das überlegene kaiserliche Heer, das aus etwa
40.000 Söldnern bestand. Kaum Beachtung fand
indessen der Hinweis, dass der in dieser Zeit für die
protestantische Union kämpfende Heerführer Ernst von
Mansfeld sich mit seinem Heer nicht an der Schlacht
am Weißen Berg beteiligte, weil er für seine Zurückhaltung vom Kaiser die stattliche Summe von 100.000
Reichstaler erhalten hatte. Mit seinem 20.000 Mann
starken Heer hätte er die Niederlage der Protestanten
durchaus abwenden können, zumal die Böhmischen
auf dem Berg über die bessere strategische Lage verfügten. Der 30jährige Krieg hätte also durchaus einen
völlig anderen Verlauf nehmen können.
In der Geschichte des „hessischen Bruderkrieges“
rankt sich um den berühmten General Melander von
Holzapfel eine ebenso zwiespältige Haltung. Holzapfel
genoss den Ruf eines tüchtigen Heerführers, den er in
zahlreichen Schlachten für die protestantische Union
erworben hatte, ehe er im Jahr 1640 die „Fahnen
wechselte“ und seither samt seinem Heeresverband an
der kaiserlichen Seite gegen seine ehemaligen, evangelischen Verbündeten kämpfte.
Die Heerführer des 30jährigen Krieges erweisen sich
auf beiden Seiten im Prinzip als reine Kriegsunternehmer. Ihr Erfolg ist die klingende Münze, die sie
daran verdienen. Erstaunlich - und nur aus der Denkweise der Zeit zu verstehen - ist die Tatsache, dass
diese Kriegsunternehmer oftmals an vorderster Stelle
ihrer Heerhaufen kämpften und dabei oft auch den Tod
129
auf dem Schlachtfeld fanden. (Johann von Tilly, Ernt
von Mansfeld, Gustav Adolf von Schweden, Wilhem V.
von Hessen-Kassel u.a.) Insoweit setzten diese
Heeresführer Maßstäbe, die sie von den Kriegsherren
in späteren Jahrhunderten deutlich heraus heben.
Anmerkung 3
Die Geiselnahme und Lösegelderpressung ist keine
Erfahrung aus den heutigen Zeiten. Im Zuge der
kriegerschen Auseinandersetzungen war es offensichtlich zu allen Zeiten an der Tagesordnung, dass die
Kriegsparteien Geiseln oder Kriegsgefangene mitführten, um sie gegen Lösegeld wieder frei zu geben.
Dass die Praxis der Lösegelderhebungen offenbar als
ein Teil der alltäglichen Begleiterscheinungen der Kriege eine große Bedeutung hatte, wird aus einem bemerkenswerten Hinweis in dem Testament des Dr.
Johann Wolff des Jahres 1611 deutlich. Der begüterte
Dr. Wolff hatte die Hälfte seines beträchtlichen Vermögens in eine mildtätige Stiftung eingebracht, die noch
heute in Marburg-Ockershausen im Sinne des Stifters
fortbesteht. Testamentarisch hatte er bis in alle Einzelheiten festgelegt, wie im Übrigen mit dem Erbe „für
ewig und für alle Zeiten“ zu verfahren sei. Konkret
hatte er bestimmt, wie das eingebrachte Vermögen zu
vermehren sei und dass keinerlei andere, als die testamentarisch verfügte Verwendung des Erbvermögens
gestattet sei. Diese Anweisung ist mit einer einzigen
Ausnahme versehen: „Es sei denn, dass ein Verwandter des Erblassers in unverschuldete Not geraten ist
und zur Rettung für Leib und Leben die Zahlung eines
Lösegeldes unausweichlich wird.“ Offenbar rechnete
Dr. Johann Wolff durchaus mit einem solchen Ereignis,
das einem Familienmitglied hätte widerfahren können.
130
Teil III
Marburg
im siebenjährigen Krieg
1756 - 1763
131
Marburg im Siebenjährigen Krieg
1756-1763
Vorgeschichte
Wie bereits im dreißigjährigen Krieg von 1618-1648
sollten auch im siebenjährigen Krieg das Schloss und
die Stadt Marburg in Mitleidenschaft gezogen werden.
In diesem dritten schlesischen Krieg kämpften die
Hauptakteure Preußen und Österreich um Schlesien.
Den Tod des römisch-deutschen (Habsburger) Kaisers
Karl VI. im Jahr 1740 hatte der preußische König
Friedrich II. zum Anlass genommen, die vermutete
Schwächung Österreichs auszunutzen und Schlesien zu
annektieren. Er marschierte ohne Kriegserklärung mit
seinem Heer in das Land ein. Der erste schlesische
Erbfolgekrieg hatte begonnen.
Die österreichische Thronfolgerin Maria-Theresia war
keineswegs bereit auf Schlesien zu verzichten. Nach
dem verlorenen ersten schlesischen Krieg (1740-42),
leitete Maria-Theresia Schritte für die Rückeroberung
Schlesiens ein. Dazu verbündete sie sich mit England,
Sachsen und den Niederlanden. Der von dieser neuen
Allianz gegen Preußen geführte zweite schlesische
Krieg (1744-45) endete in der Schlacht von Kesselsdorf am 15. Dezember 1745 mit einem Sieg der Preußen. Im Friedensschluss vom 25. Dezember 1745
wurde zwischen Österreich und Preußen vereinbart,
dass Schlesien endgültig bei Preußen bleiben soll.
Im Gegenzug erkannte der preußische König Friedrich
II. an, dass der Gatte Maria-Theresias, Franz I. als
Kaiser des „Heiligen Römischen Reiches“ eingesetzt
werden konnte.
132
Inzwischen hatte sich jedoch in der Mitte des 18. Jh.
die politische „Großwetterlage“ Europas erheblich verändert. Im fernen Amerika bahnte sich ein Kolonialkonflikt zwischen Frankreich und England an, der zu
einem erbittert geführten Krieg um die Vorherrschaft
auf dem neuen Kontinent führte. Neue Machtkonstellationen und veränderte Allianzen entstanden nun
auch im alten Europa.
Für Maria-Theresia war indessen der Streitpunkt um
Schlesien nach dem Sieg Preußens keineswegs beigelegt. Sie schmiedete nun neue Bündnisse, um den
Kampf um Schlesien wieder aufzunehmen. Mit Frankreich, Russland, Schweden, Sachsen und den fernen
Königreichen: Spanien, Parma und Neapel an ihrer
Seite sah sie sich gut gewappnet für einen neuen
Waffengang mit Preußen,
König Georg II. von England (1683- 1760), in Hannover geboren, zugleich Kurfürst von Braunschweig - Lüneburg-Hannover, Herzog von Braunschweig und Lüneburg, stellte sich bald an die Seite von Preußen. Im
Verbunde mit dieser neuen Allianz traten auch das
Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel, die Landgrafschaft Hessen-Kassel, Herzogtum Sachsen-Gotha und
die Grafschaft Schaumburg-Lippe an die Seite von
Preußen.
Der „Wunschpartner“ König Friedrichs II. – Russland –
verweigerte sich indessen dem Bündnis mit dem preußischen König. Das an großen Teilen seiner Landesgrenzen von feindlichen Parteien umgebene Königreich
Preußen überschritt ohne Kriegserklärung am 29. August 1756 die sächsische Grenze. Der siebenjährige
Krieg nahm seinen Anfang.
133
Die Landgrafschaft Hessen-Kassel allerdings, die bis
zum Kriegsende von den Verbündeten Österreichs fast
vollständig eingekreist war, konnte vom hessischen
Landgrafen Friedrich II. nicht verteidigt werden. Denn,
wie so oft in seiner Geschichte, diente die Streitmacht von Hessen-Kassel für „gutes Subsidiengeld“,
im Dienste fremder Mächte, in fremden Ländern.
Friedrich II. von Hessen-Kassel (1720-1785), seit
1760 Landgraf, verheiratet mit Prinzessin Maria, einer
Tochter des englischen Königs Georg II. aus dem
Hause Hannover, hatte gemeinsam mit Georg II. die
Fronten gewechselt. Er trat nun an der Seite von Preußen in den Krieg ein. Dem preußischen König unterstellte der hessische Landgraf ein Heerscontingent von
8 - 10.000 Soldaten. An der Spitze seines Heeresverbandes kämpfte er selbst in Mähren und Schlesien
für den preußischen König im Range eines preußischen
Generalfeldmarshalls.
Das von eigenen Truppen weitgehend entblößte Hessen-Kassel geriet indessen, fast während des gesamten Kriegsverlaufes, unter die Herrschaft feindlicher
Truppen. Überwiegend unter französische Besetzung.
Durch Hessen führten die Nachschubwege der Franzosen. In Marburg befand sich über mehrere Zeitabschnitte des siebenjährigen Krieges ein bedeutender
Versorgungsstützpunkt der Franzosen.
Am Kreuzungspunkt der großen Heeresstrassen von
Hamburg-Basel und Köln–Leipzig, errichteten die Franzosen in Marburg mehrfach ein Hauptquartier. In den
hier eingerichteten Magazinen wurden die Versorgungsgüter eingelagert, bevor sie an die im Kampf
stehenen französischen Truppen weitergeleitet wurden. Die oftmals wechselnde Kriegslage führte allerdings im Marburger Raum zu ständigen Auseinander134
setzungen der Franzosen mit kleineren hessischen und
hannoverschen Streitkräften. Diese setzten dem Feind
in dessen Hinterland sehr zu. Zwar kam es in Marburg zunächst nicht zu bedeutenden militärischen
Scharmützeln, jedoch durch diese ständigen Attacken
konnten sich die französischen Besatzungen zu keinem
Zeitpunkt in Sicherheit wähnen. In Marburg sah sich
die französische Streitmacht deshalb während der
gesamten Dauer des Krieges der ständigen Bedrohung des Feindes ausgesetzt.
Oftmals blieb den
Franzosen nur die Flucht, um jedoch wieder zurück zu
kehren, sobald die preußischen Alliierten Marburg wieder verlassen hatten. Neun mal wechselte die Herrschaft über die Stadt Marburg zwischen den Franzosen
und ihren Gegnern.
Fünf mal mussten sich die jeweiligen Schlossbesatzungen der angreifenden Kriegsmacht beugen, kapitulieren, oder fliehen.
Dies blieb keinesfalls ohne verheerende Folgen für die
Stadt Marburg und für ihre Bürgerschaft. Sie litten am
meisten unter dem ständigen Wechsel der Herrschaften und der Einquartierung der Soldaten in ihren
Häusern.
Über die Marburger Begebenheiten im siebenjährigen Krieg berichtet Dr. Willhelm Bücking
ausführlich in dem Bericht: „Geschichtliche Bilder aus Marburgs Vergangenheit“ Seine Ausführungen bilden den Hintergrund zu dem nachfolgenden Beitrag.
135
Die wechselnden Eroberungen der Stadt und
des Schlosses zu Marburg im siebenjährigen
Krieg!
Erste Eroberung von Schloss und Stadt:
Am 15. Juli 1757 wurde der Marburger Bürgerschaft
durch den Revisionsrat Dr. von Hamm mitgeteilt, dass
französische Besatzung ins Land und auch nach Marburg käme. Ein jeder Bürger möge den einzuquartierenden Soldaten freundlich begegnen und ihnen keine
Gelegenheit zu Verdrießlichkeiten geben.
Am 21. Juli rückten die ersten 100 französischen Grenadiere des „Wattauischen“ Regiments in Marburg ein
und besetzten das Schloss und die Stadttore. Tags
darauf zogen die Bataillone des Regiments durch das
Elisabethtor in Marburg ein. Um 5 Uhr morgens begrüßte der Magistrat die Ankommenden auf dem
Marktplatz. Dort wurden den Soldaten die Quartiersbillete aushändigte. Der französische Graf von Vauban
übernahm das Kommando in Marburg. Hier organisierte er den Ausbau des Hauptquartiers der Franzosen
zur Vorbereitung der bevorstehenden Auseinandersetzungen gegen Preußen und dessen Verbündeten.
Die Offiziere wurden in die Quartierhäuser eingewiesen. Auf die Stadt und die nahe Umgebung verteilt
richtete die Armee ihre Versorgungsdepots ein.
Der Renthof wurde zu einem Lazarett ausgebaut. Im
Schützenpfuhlgarten hieben die Franzosen etliche Dutzend der schönsten Obstbäume ab und errichteten auf
dem Gelände neben der Lahnfurt ein großes Gebäude,
in das sie vier Backöfen setzten.
Das auf dem Kämpfrasen eingerichtete Holz, Heu und
Strohmagazin verlegten sie auf die Schwanwiese. Dort
136
sicherte man die Magazine mit Gräben und bewachten
Schutzwällen gegen fremden Zugriff.
In der Kugelkirche, im Ballhaus, in der Barfüßertor Kirche sowie im Kreuzgang des alten Barfüßerklosters
wurden Frucht- und Mehlmagazine eingerichtet.
In den großen Rathausaal verbrachte man Hafer, Reis
und andere Lebensmittelvorräte.
Im August 1756 rückte der 2. Heersverband des Mashalls Herzog von Richelieu mit etlichen 1000 Soldaten in Marburg und Umgebung ein. In den Quartieren
sind nun jeweils 16 bis 20 Mann einlogiert. Die endlosen Belastungen für die Marburger Bürgerschaft nahmen einmal mehr ihren Anfang.
Eine fürchterliche und verheerende Episode begleitet
den Einzug des ersten großen französischen Truppenverbandes in Marburg. Unter den Soldaten die nicht in
den Häusern einquartiert wurden, sondern die in den
Kasematten der Schlossfestung und in Zelten im alten
Lustgarten logierten, bricht eine Epidemie aus.
Der Seuche fallen etwa 1.000 Soldaten zum Opfer.
Zwischen dem Lazarett am Renthof und der Schlossmauer werden sie in Säcken bis 15 Leichnamen eingenäht und beerdigt.
In den zugänglichen Archivberichten aus dieser Zeit
finden sich jedocj keine näheren Hinweise zu diesem
ungeheuerlichen Vorgang. siehe Anmerkung
In bemerkenswerter Weise führt uns diese Ignoranz
der Heeresberichterstatter vor Augen, dass das Leben
und das Schicksal der gemeinen Soldaten in den Zeiten des Absolutismus keinen hohen Stellenwert besessen hatte und deshalb in ihren Kriegsberichten kaum
Erwähnung gefunden hat.
137
Ganz anders reagierte man, wenn eine hochgestellte
Persönlichkeit in den Kampfhandlungen zu Schaden
kam oder ihr Leben verlor. Über den Vorgang des am
14. Februar 1761 im Kampf vor dem Elisabethtor gefallenen Generalleutnants von Breidenbach zu Breidenstein wird im Folgenden noch berichtet.
Zweite Eroberung von Schloss und Stadt:
Ab dem 19. März 1758 beginnen die Franzosen mit
dem Abtransport ihrer in Marburg eingelagerten Versorgungsgüter. Ein langer Tross bewegt sich in nördlicher Richtung. Ziel sind die Aufmarschräume an der
Weser, in denen sich die Gegner zu einem großen
Schlagabtausch versammeln.
Die Franzosen räumten deshalb Marburg am 26. März
1758 kampflos. Für die Marburger Bürgerschaft eröffnete sich die Gelegenheit, nun aus den zurück gelassenen Magazinbeständen soviel nach Hause zu tragen,
als sie nur konnten. Vor allem suchte man das wertvolle Bettzeug zurück zubekommen, das man für die
Einquartierten bereit zu stellen hatte. Aber auch die
Vorräte an Hafer, Heu und Stroh fanden reichlich Abnehmer.
Hessische Landmiliz rückte am 1. April in Marburg ein
und besetzte die Stadttore. Ihr folgten am 21. April ein
hessisches Dragonerregiment und zwei Kompanien Husaren. Weitere 100 hessisch-hannoversche Jäger erreichten die Stadt am 30. April. Im Mai rückte von
Kassel her ein Grenadierregiment in Marburg ein. Im
Juni 1758 errichteten sie ein Lager auf dem Glaskopf
für zwei Regimenter Infanterie - und beim Schützenpfuhl ein Lager für ein Reiterregiment. Unter dem
138
Schutze seiner hessischen Truppen verweilte auch
Landgraf Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel zu einem
Besuch auf dem Marburger Schloss. Dieses Ereignis
wurde in Marburg begeistert gefeiert, mit Musik und
„Tamm – Tamm“. Bürgerschaft und Studenten fanden sich zu Ehren des Landgrafen zu einem großen
Umzug durch die Stadt zusammen.
Dritte Eroberung von Schloss und Stadt:
Nur etwa vier Wochen lang konnten sich die Marburger
Bürger der hessischen Herrschaft in ihrer Stadt erfreuen. Am 14. Juli 1758 ertönte vom Schloss her ein Kanonenschuss als Signal für neues Unheil. Franzosen
waren im Anzuge. In Ockershausen hatte bereits ein
Scharmützel zwischen den französischen „Fischerschen“ Husaren und Hannoveranern stattgefunden.
Bereits einen Tag später zogen sich die preußischen
Alliierten, Hannoveraner und Hessen und die Reiterei
des Prinzen von Isenburg von Marburg zurück. Isenburgs Reiterei deckte den Rückzug und stoppte den
nachrückenden Feind auf der Schönstädter Höhe.
Die „Fischerschen Husaren“ und etliche französische
Regimenter rückten am 16. Juli in Marburg ein. Eilig
wurden das Schloss und die Stadttore besetzt.
Die Übergabe war kampflos vor sich gegangen, jedoch
sah sich die Marburger Bevölkerung neuen Drangsalen ausgesetzt.
Am 18. Juli nahm der französische Prinz Soubise mit
großem Gefolge Quartier im „Weißen Ross“ Barfüßer
Strasse 11. Auf der Deutschhauswiese am Pilgrimstein wurde am 19. Juli ein riesiger Kramladen durchgeführt. Marketender boten allerlei Waren, Branntwein
und Bier zum Verkauf an.
139
Es wird berichtet, dass die Franzosen einen „Zweibrücker am ersten Baum beim Zollstock aufhängten“, weil
er ein paar Schuhe gestohlen und verkauft haben soll.
Im Umland von Marburg wurde die Feldernte von den
Franzosen fast vollständig vereinnahmt. Der auf französischer Seite kämpfende Herzog von Württemberg
rückte am 24. Juli mit 6.000 Soldaten und vielen
Chaisen in der Gegend ein. Er bezog sein Lager im
Cappeler Feld.
Von Kassel her passierten 19 von den Franzosen erbeutete Kanonen die Stadt Marburg, auf ihrem Weg
nach Straßburg. Unter diesen Kanonen befand sich der
„Große Hund“. Diese größte Kanone ihrer Zeit musste
von 30 Pferden gezogen werden.
Der September 1758 brachte große Not über das Hessenland. Die Franzosen forderten den Großteil der gesamten Feldernte für ihre Armee. Obrist Fischer verlangte im Oktober 1758 8.000 Livres von der Marburger Bürgerschaft, als Ersatz für den Verzicht auf Plünderung durch die Armee.
Am 18. Dezember 1758 wurde die Bürgerschaft zu
Schanzarbeiten auf das Schloss beordert und eine
neue Steuer in Höhe von zusätzlichen vier Monatsgeldern ward gefordert. Das Geld besorgte sich der Magistrat durch Kreditaufnahmen bei den wohlhabenden
Kaufleuten in Marburg und in Frankfurt.
Im Januar und Februar 1759 begannen die Franzosen
mit erheblichen Befestigungsarbeiten an der Stadtmauer und auf dem Schloss.
Dazu mussten, neben den Bürgern der Stadt, die Bauern der Umgebung mit Brandleitern erscheinen.
Auch an den Sonntagen wurde an den Schanzen gebaut und die Palisaden erneuert. Um das Schloss zog
man teilweise eine neue Mauer. Dazu holte man aus
140
dem ganzen Oberfürstentum die Maurer heran. Als ein
Teil der neuen Mauer wieder einstürzte, hätte dies beinahe den zufällig anwesenden Kommandanten der
Franzosen erschlagen.
Im April 1758 rückten weitere 2.000 Franzosen in Marburg ein. Mit Böllerschüssen feierten die Franzosen am
14. April den Sieg des Herzogs von Broglie, der in Bergen nahe bei Hanau ein Heer der Hessen und der Hannoveraner geschlagen hatte.
Vierte Eroberung der Stadt:
Ab dem 16. April 1759 herrschte große Unruhe unter
den Franzosen. Schwarze Husaren und Jäger der verbündeten Kasseler und Hannoveraner waren vor der
Stadt aufgetaucht. Weitere Verbände der preußischen
Verbündeten zogen um die Stadt herum. Bald schlossen die Alliierten die Festung Marburg ein.
Das „Trimbachsche“ französische Bataillon hatte sich
auf das Schloss zurückgezogen. Von dort schoss man
mit Feuerkugeln herunter auf die Stadt. Die Bürgerschaft hatte Not, die ausbrechenden Brände in der
Stadt zu bekämpfen. Zuvor schon hatte man vor den
Häusern gefüllte Wasserbottiche zur Brandbekämpfung
bereitgestellt.
Fünfte Eroberung der Stadt:
Die zwischenzeitliche Herrschaft der preußischen Alliierten währte nur wenige Tage. Am 18. April 1759
erreichte ein französischer Truppenverband Marburg.
Die Alliierten zogen „Hals über Kopf“ wieder ab. Die
Bürger der Stadt, die man der Gefolgschaft mit Abzie141
henden verdächtigte, wurden von den Franzosen gefangen gesetzt. 200 Bürger wurden erneut zu Schanzarbeiten heran gezogen. Alle Bäume am Schlossberg
mussten von ihnen abgehauen werden, um so freies
Sichtfeld für die Schlossbesatzung zu erhalten. Erneut
richteten die Franzosen ihr Hauptquartier und ihre Magazine in Marburg ein:
Im Schiff der Elisabethkirche wurde ein Kornspeicher
eingerichtet. Der Rittersaal auf dem Schloss dient nun
als Mehlsaal. Das Lazarett am Renthof wurde nochmals erweitert.
Die ständig wechselnden und durchziehenden französischen Truppenverbände forderten den Marburgern
alle nur denkbaren Versorgungsgüter ab.
Eine erneute Geldforderung von 20.000 Livres vom 15.
Mai 1759 konnte zunächst nicht erfüllt werden. Daraufhin wurde der gesamte Stadtrat im Rathaus festgesetzt. Wiederum wurde das Geld durch neue Kredite
beschafft.
Am 4. Juni besichtigte der französische Feldmarshall
von Condates die Festung Marburg. Eine große französische Armee von 80.000 Soldaten zog am 6. Juni
durch Marburg und über die Weinstrasse weiter, bis
nach Wetter.
Der Armee folgte die Bagage mit Tausenden Wagen.
Die von den Franzosen in Marburg und Umgebung errichteten Backöfen wurden rund um die Uhr eingesetzt. Daneben wurden auch alle anderen Bäcker in
Marburg und Umgebung zum Brotbacken für die Armee vollauf beschäftigt.
Den geplagten Marburgern verlas der Stadtregistrator
ein Schreiben, in dem die Stadt aufgefordert wurde,
20.000 Taler Brandschatzungsgeld zu zahlen.
142
Ob und wie sie diese Forderung erfüllten, ist nicht bekannt.
Die Nachricht von der verlorenen Schlacht der Franzosen am 1. April 1759 bei Minden erreichte bald auch
Marburg. Englische, Preußische, Hannoveraner und
Hessen-Kasseler Heeresverbände hatten der französischen und der an ihrer Seite kämpfenden sächsischen Armee eine vernichtende Niederlage zugefügt.
Darüber zeigten sich die hiesigen französischen Besatzer sehr bedrückt. Ein Marburger Gastwirt, der es
gewagt hatte auf die Gesundheit des siegreichen Herzogs Ferdinand von Braunschweig anzustoßen, wurde
sofort in Haft genommen. Gegen ein Lösegeld, das
seine Verwandten beisteuerten, kam er wieder frei. In
Marburg war es verboten, abfällig über den Krieg und
über die Franzosen zu sprechen.
Gegen Ende August 1759 versammelten sich erneut
große Heeresverbände der Franzosen im Marburger
Raum. Zwischen Wehrda und Cölbe befand sich das
Lager des Herzogs von Broglie. Er schlug sei Hauptquartier in Wehrda auf. Das Quartier der Truppen des
Herzogs von Armentiers befand sich in Goßfelden. Die
große Candatische Armee logierte nahe bei Kirchhain.
Offenbar erwarteten die Franzosen einen Angriff der
preußischen Alliierten.
Am 28. August fand ein heftiges Scharmützel bei Wetter statt. Hannoveraner hatten in der Nacht die Fischerschen Husaren angegriffen und übel zugerichtet.
Zahlreiche Verwundete wurden im Lazarett des Renthofes versorgt.
Unter den Franzosen in Marburg herrschte Aufbruchstimmung. Die Magazine wurden - einmal mehr - geleert und auf Wagen verladen. Ihre in der Stadt einquartierten Truppen zogen in Marschformation ab. Die
143
französische Schlossbesatzung wurde, allerdings um
350 Soldaten verstärkt, zurück gelassen. Die lädierten
Soldaten des Obristen Fischer bildeten die Nachhut der
abziehenden Franzosen. Vor ihrem Abzug am 1. September drangen sie nochmals in Weidenhausen ein
und plünderten, soweit es noch etwas zu plündern
gab.
Auch die Siechenhöfe in Weidenhausen verschonten
sie dabei nicht.
Sechste Eroberung der Stadt,
vierte Eroberung des Schlosses:
In der Frühe des 5. September 1759 war die Stadt
gefüllt mit hessischen Soldaten. Sie besetzten die
Stadttore und belagerten das Schloss. Von dort feuerten die Franzosen mit Kanonen herab und warfen
Feuerbomben. Am 10. September eröffneten die Alliierten ein heftiges Kanonenbombardement auf das
Schloss und die Festungsanlagen.
Vom Dammelsberg herüber feuerten die Batterien des
Obristleutnants Huth auf die Schlossfestung. Auf der
Kirchspitze hatte der Graf von Lippe-Bückeburg seine
Batterien in Stellung gebracht. Der Widerstand der Belagerten brach rasch zusammen. Die Franzosen suchten zu erreichen, dass sie bei ihrem Abzuge Waffen
und Bagage mitnehmen durften.
Dies wurde ihnen verwehrt. Es setzte daraufhin am
folgenden Tag erneut ein heftiges Bombardement auf
das Schloss an. Die Besatzung des Schlosses kapitulierte nach zwei Stunden des Dauerbeschusses. Etwa
1000 Belagerte streckten die Waffen und zogen unter
Bewachung ab, in eine unsichere Zukunft.
Prinz Ferdinand von Braunschweig besichtigte am 14.
September das Marburger Schloss. Bis zum Ende des
144
Jahres 1760 war nun Marburg Etappenstandort der
Alliierten.
Am 12. Januar 1760 feierte man auf dem Schloss den
Geburtstag des Generalfeldmarshalls Herzog Ferdinand
von Braunschweig. Der Herzog war ein Schwager des
Preußenkönigs Friedrichs II. Marburger Studenten
brachten dem Herzog zu seinem Geburtstag ein Ständchen. Die Herrschaft der Alliierten in Marburg sollte
jedoch erneut nur von begrenzter Dauer sein.
Siebte Eroberung der Stadt,
fünfte Eroberung des Schlosses:
Am Morgen des 1. März 1760 vernahm man in Marburg Kanonendonner. Das Barfüßer Tor wurde aufgehauen und französische Grenadiere drangen ein. Der
geheime Regierungsrat von Haller und Prorektor Piederit wurden aus ihren Betten geholt und fort geschleppt. Vom Schloss herab schoss die alliierte Besatzung. Noch war man nicht über die Stärke des anrückenden Feindes informiert. Ein Erkundungstrupp
alliierter Husaren nahm im Cappeler Feld 13 Franzosen gefangen und brachte diese auf das Schloss.
Mit dem Großteil der hier versammelten Truppen zog
Ferdinand von Braunschweig im April 1760 in Richtung Fritzlar ab. Allein eine alliierte Schlossbesatzung
blieb isoliert zurück.
Gegen Ende Juni 1760 gewahrte die Schlossbesatzung
die Annäherung französischer Truppen.
Vom Schloss wurden Signalschüsse abgefeuert und die
Stadttore geschlossen. Die Alliierten eröffneten vom
Schloss herab das Feuer auf die vor der Stadt lagernden Franzosen. Das Eindringen der Feinde in die Stadt
konnten sie nicht verhindern. Erneut ging das Plündern
145
mit dem Einzug der Franzosen in Weidenhausen und in
Marburg einher.
Am Abend des 27. Juni rückten 1.200 Franzosen - mit
Trommeln und klingendem Spiel - in die Stadt ein.
Wenig später erreichte das französische Regiment
Boullon Marburg. Es begann sofort ein heftiges Mörserfeuer auf das Schloss. Noch am gleichen Tag kapitulierten die 380 Soldaten der alliierten Schlossbesatzung. Die Franzosen genehmigten deren Abzug, unter
Belassung ihrer militärischen Ehrenzeichen und der
Waffen. Mit klingendem Spiel zogen die Geschlagenen
am 1. Juli zum Elisabethtor hinaus. Dort streckten sie
nun die zuvor unbrauchbar gemachten Gewehre.
Während die Hauptstreitmacht der alliierten Armee unter der Führung des Herzogs Ferdinand von Braunschweig von Hessen aus den anderen Kriegsschauplätzen zu strebte, wurde in Hessen ein „Schindercorps“ zur Verteidigung der Heimat eingerichtet. Das
Corps unter dem Kommando der Obristen von Bülow
und von Peesen operierte im rückwärtigen Gebiet des
Gegners. Diese sehr bewegliche Einheit, in der sich
besonders die Hessischen Jäger bewährten, sorgte für
Unruhe auf den Nachschubwegen der Franzosen. Sie
fügte dem Gegner allerlei Schaden zu.
So nutzten die „Schinder“ die Gelegenheit, als sich ein
Großteil der französischen Garnison in Marburg zum
Appell auf dem Schloss befand, um unbemerkt in die
Stadt zu gelangen. Ohne einen Schuss abzufeuern
wurden die Torwachen überwältigt. Den Angreifern fiel
eine große Anzahl von Waffen und Montierstücken in
die Hände. Das „Schindercorps“ verdiente sich redlich
seinen Namen. Es plünderte bei seinem Kurzbesuch in
der Stadt „Hohe und Niedere“, Bürger und Einquartierte, gleichermaßen.
146
Man zerstörte alle Backöfen der Franzosen vor und in
der Stadt. Den französischen Kriegskommissar, nebst
einigen Offizieren, nahmen die „Schinder“ als Geiseln
mit sich fort. Im Eilmarsch suchte man das Weite, vor
dem nachsetzenden Feind. Ein Kommando des französischen Grafen Stainville stellte Bülows „Schindercorps“ in der Nähe von Hallenberg.
Bülow und das Schindercorps mussten unter Zurücklassung der Beute vor der feindlichen Übermacht fliehen. Die zuvor in Marburg übertölpelten Franzosen
verschmerzten den ihnen entstandenen Verlust leicht.
Fünfzig fernauische Dragoner hatten den Befehl erhalten, den erlittenen Verlust vollständig durch die Stadt
Marburg ausgleichen zu lassen. Dies wurde in „altbewährter“ Weise durchgeführt. Man setzte einmal mehr
den Magistrat der Stadt zur Durchsetzung der Repressalien so lange gefangen, bis die verlorene Beute
nebst 1000 Karolinen Strafgeld an die Franzosen zurückerstattet war. Wiederum mussten dafür Kredite
bei den Kauleuten aufgenommen werden.
Das Jahr 1761 eröffnet einen weiteren Versuch der
Alliierten, den Franzosen Schloss und Stadt Marburg
zu entreißen. Anfangs Februar marschiert eine Abteilung ihrer Armee unter der Führung des Generalleutnants von Breidenbach zu Breidenstein über Korbach
und Frankenberg nach Marburg. Der Anmarsch blieb
bei den Franzosen nicht unbemerkt. Die französische
Besatzung befand sich rund um Marburg in Alarmbereitschaft. Am 14. Februar 1761 erreichte von Breidenbach mit seinen Regimentern, von Wehrda und
Cölbe heran kommend, den Stadtrand.
Noch vor dem Elisabethtor, an der Barriere der alten
Deutschhausmühle, kam es zu einem blutigen Gefecht,
mit zahlreichen Toten und Verwundeten auf beiden
147
Seiten. Mit dem Degen in der Hand empfing Breidenbach einen tödlichen Schuss. Desgleichen fiel auch
sein Adjutant bei diesem Gefecht. Dieser Vorgang hat
wohl die unmittelbaren Kampfhandlungen zunächst
beendet.
Die Beisetzung des toten Generalleutnants von Breidenbach erfolgte am 16. Februar 1761 mit allen militärischen Ehrenbezeigungen der französischen Besatzung in der lutherischen Pfarrkirche in Marburg.
Sieben Kanonen wurden dem Trauerzug vorangeführt.
Der Sarg wurde von acht Unteroffizieren getragen. Die
Zipfel des Leichentuches mit dem der Leichnam bedeckt war, wurden an den Enden von vier Stabsoffizieren gehalten. Alle den Leichenzug begleitenden Offiziere trugen brennende Kerzen. Dem Trauerzug folgten alliierte und französische Soldaten.
Auf dem Pfarrkirchhof wurden zwei Gewehrsalven abgegeben. Danach erfolgte die Beisetzung. Zur Verrichtung der Begräbnisbräuche wurde der Superintendent Seip, ein Geistlicher des lutherischen Bekenntnisses beauftragt.
Er hielt eine Rede „aus dem Stegreif“. Nach Beendigung der Zeremonien wurden dem Prediger als Dank
für die Bemühung die Wachskerzenstümpfe übergeben. Im Chor der lutherischen Pfarrkirche findet sich
noch immer Breidenbachs Grabdenkmal.
Sein gefallener Adjutant ist auf dem Kirchhof der lutherischen Pfarrkrche beerdigt worden. Die zahlreichen im Gefecht am Elisabethtor gefallenen Soldaten
hingegen lagen noch am Tage nach der Beerdigung
des hohen Gefallenen an der Stelle, wo sie ihr Schicksal ereilt hatte. Erst danach fand man Zeit, sich ihrer
anzunehmen und sie bei der St. Michelskapelle in
Marburg, oberhalb der Elisabethkirche zu beerdigen.
148
Während sich die Alliierten Verbände nach dem Gefecht an der Deutschhausmühle in das Umland zurück
gezogen hatten, begannen die Franzosen mit ungewohnten und aufwendigen Verteidigungsmaßnahmen.
Sie ließen von den Bürgern große Löcher in die Fahrbahn der Brücken ausheben, die sie mit Pulver füllten.
In geringen Abständen schichtete man rings um Weidenhausen und an den Brechen der Stadtmauern große Scheiterhaufen auf. Sie wurden ebenfalls mit Pulver
versehen. Der Aufwand an Pulver und Brennmaterial
war so erheblich, dass man für den Fall eines Einsatzes
dieser Mittel bei einem Angriff der Alliierten den völligen Untergang der Stadt befürchten musste.
An den Arbeiten zu diesen Verteidigungsmaßnahmen
wurden neben den Bürgern auch die Räte der Stadt
von den Franzosen herangezogen. Der Bürgermeister,
der sich der Arbeit verweigert hatte, erhielt wegen
seiner Weigerung 50 Stockschläge. Damit wurde er
öffentlich auf dem Marktplatz bedacht.
Ein Aufruf der Franzosen vom 19. Februar beorderte
alle Männer der Stadt - bei Ankündigung des Hängens
am Galgen bei ihrer Verweigerung - auf den Marktplatz. Dort wurden sie zu je 50 oder 100 Männer
beauftragt, unter Bewachung in den nahen Wäldern
Bäume zu fällen, Palisaden heran zu schaffen und
Schanzarbeiten an der Stadtmauer vor zu nehmen.
Auch die mehr als 100 Mägde der Stadt wurden genötigt, Wasser in Eimern oder in Ziegenfellen von der
Lahn herauf zum Schloss zu schaffen. Alle Anzeichen
deuteten daraufhin, dass die Franzosen nicht gewillt
waren, Stadt und Schloss in die Hände der Gegner
fallen zu lassen.
149
Im Angesicht größerer alliierter Truppenansammlungen im Marburger Umland war die Lage für die Franzosen in Marburg offenbar zu unsicher geworden.
Sie trafen Vorbereitungen Marburg zu verlassen.
Am Abend des 24. Februar steckten sie das Heu- und
Hafermagazin am Schützenpfuhl in Brand, nachdem
sie zuvor die bereitstehenden Bagagewagen für den
Abzug voll beladen hatten. Die Hafer- und Mehlmagazine, die sie nicht verladen konnten, hatten sie ausgeschüttet. Der Fruchtspeicher an der Firmaneikapelle
ging in Flammen auf.
Der Speicher wurde nebst der nahen Kapelle total zerstört. Am Tage nach dem Abzug der Franzosen konnten sich die Bürger aus Marburg und dem nahen Ockershausen beim Schützenpfuhl und am Schwanhof
mit den zurück gelassenen Versorgungsgütern versorgen, noch bevor die anrückenden Alliierten sich des
verlassenen Warenlagers der Franzosen bemächtigten.
Voll beladene Wagen mit Heu und Hafer, Mehl und
Strohballen fanden den Weg zurück in die nahen Höfe
von deren Besitzern man diese Güter zuvor abgepresst hatte. Ein seltener aber willkommener Ausgleich
für die ständigen Lasten die von den Bürgern an die
Kriegführenden abzugeben waren.
Eine starke Besatzung der Franzosen war indessen auf
dem Schloss verblieben.
Achte Eroberung der Stadt:
Um vier Uhr des Nachmittags vom 26. Februar 1761
besetzten die preußischen Alliierten - bestehend aus
Hessischen, Hannoveranern, Braunschweigischen und
Englischen Verbänden - die Stadttore. Die Besetzung
der Stadt war indessen für die Alliierten erneut nur
von kurzer Dauer. Die französische Schlossbesatzung
150
hatte man unbehelligt gelassen. Am 18. März verließen die Alliierten Marburg. Zu größeren Kampfhandlungen mit den nahenden Franzosen kam es in dieser
Zeit nicht.
Neunte Eroberung der Stadt:
Am 19. März 1761 „wimmelte“ es in Marburg von französischen Husaren und roten Reitern. Sie forderten
umgehend zu essen und zu trinken und von allem
reichlich. Ihnen gesellten sich am 5. April fünf weitere
Bataillone zu, die in den Quartierhäusern in Marburg
untergebracht wurden. Auf dem Markplatz errichteten
die Franzosen einen Galgen. Zur Abschreckung erhängten sie dort am 15. April drei ihrer Grenadiere,
weil diese den Rauschenberger Müller ausgeraubt und
ihn so übel geschlagen hätten, dass er gestorben sei.
In den folgenden Monaten des Jahres 1761 kamen die
Bewegungen der kämpfenden Parteien in Hessen weitgehend zum Erliegen. Man beschränkte sich darauf,
das Terrain zu halten.
Das Kampfgeschehen hatte sich zunächst wieder zu
seinem Ausgangspunkt „Schlesien“ verlagert. Dorthin
versammelten die Parteien ihre Kräfte, um doch noch
zu einer Entscheidung zu gelangen.
Auf Anordnung der Franzosen richtete der Magistrat in
Marburg ein Schreiben an die Bürgerschaft, das von
Stadtschreiber Ludwig Wierack allen bekannt gemacht
wurde. Danach forderte der französische Stadtkommandant die Bürgerschaft auf:
„Dass die Bürger alle Nachrichten in ihren Briefen an
alle möglichen Leute bei den Alliierten zu unterlassen
haben, die Hinweise über Zahl und Ausstattung der
151
französischen Besatzung in Marburg geben könnten.
Alle Briefe sind nur allein mit der allgemeinen (von den
Besatzern kontrollierten) Post zu versenden.
Damit sollten die wildesten Gerüchte eingedämmt
werden, die in den Kriegszeiten alltäglich für Unruhe
bei Freund und Feind sorgen.“
Die ständigen Einquartierungen lasteten auf den Bürgern. Die Stadtkasse war nicht nur geleert, sondern
auch hoch verschuldet. Zum Ende des Jahres 1761
forderte der französische Stadtkommandant zusätzliche 5.000 Rationen Hafer, Heu und Stroh. Hierzu sah
sich die Stadt nicht im Stande. Man entsandte den
„Ratsvierer“ Döterlein und Stadtrat Meyer als Deputierte in das Hauptquartier des französischen Heeres in
Kassel. Bei Marshall Herzog von Broglie trug man die
Bitte vor, Abstand von der hohen Forderung der Franzosen in Marburg zu nehmen. Sie erreichten immerhin, dass sie „nur Hafer und Stroh“ liefern sollten.
Außerdem wurde den Marburger Deputierten zugestanden, dass ein Teil der an den Obristen Fischer und
an andere Truppenführer der Franzosen gezahlten Repressalien in Höhe von 50.000 Reichstalern der Stadt
Marburg wieder erstattet werden sollten.
Diese Gelder führen zurück auf die außergewöhnlich
hohen Kosten, die durch die vielen Einquartierungen
der französischen Armee in Marburg entstanden waren. Ein Ausgleich dafür war in den bisherigen unruhigen Kriegszeiten nie erfolgt.
Der Betrag von 50.000 Reichstalern der nun tatsächlich den Marburgern erstattet wurde, deckte allerdings
den entstandenen Schaden und Aufwand, den die Marburger Bürger und die Stadtkasse aufzubringen hatten
nur zum geringsten Teil.
152
Bis zum Frühjahr des Jahres 1762 blieb es in Marburg
unter der französischen Besatzung ruhig. Nur etliche
hundert Soldaten waren einquartiert, eine relativ geringe Anzahl, im Hinblick auf die vielen tausend Soldaten, die in den voran gegangenen Kriegsjahren in
Marburg versorgt werden mussten.
Die französische Besatzung bemühte sich, Ruhe und
Ordnung aufrecht zu erhalten. Den Kampf gegen Verbreitung von Gerüchten und unfreundliche Worte gegen die Besatzung nahm man weiterhin sehr ernst.
So wurde am 15. März 1762 der Schenck“sche Gutsverwallter (offenbar der Verwalter des hombergkSchencklengsfeldschen Rittergutes in Ockershausen)
mit 100 Stockhieben auf dem Marktplatz bedacht, weil
er sich „mit üblen Worten gegen die Franzosen“ vergangen habe.
Am Morgen des 25. Juli ertönte, vom Schloss her Kanonendonner. Es war ruchbar geworden, dass ein
Trupp des „Schindercorps“ in der Nähe weilte und den
Franzosen 25 Ochsen vom Feld, nebst der Bewachung
entführt hatten.
Da der Vorgang zum Zeitpunkt des Kirchengeläutes
erfolgt war, wollten die Franzosen darin ein „geheimes
Zeichen“ für den Feind erkannt haben. Daraufhin
wurde es verboten, in der Stadt Marburg die Glocken
zu läuten. Auch das Stundenblasen des Nachtwächters wurde untersagt. Die Franzosen vermuteten darin
„heimliche Zeichen“ an die „Schinder“.
Alliierte Truppenverbände des englischen Generals
Heinrich Seymor Conway hatten sich gegen Ende August 1762 Marburg genähert. Weitere Kompanien unter dem Kommando des Oberwachtmeisters Prinz wurden aus der Umgebung nach Marburg beordert. Die
Alliierten besetzten Stellungen auf dem Dammelsberg
153
und auf der Kirchspitze. Der erwartete Sturm auf
Stadt und Schloss durch die Alliierten erfolgte nicht,
obgleich die französische Besatzung in Stärke von
1000 Soldaten kaum zur Verteidigung im Stande gewesen wäre.
Am 31. August wurde die Belagerung der Stadt durch
die Alliierten wieder aufgegeben. Die Kriegsparteien
rüsteten sich indessen zu ihrem letzten großen Schlagabtausch an anderer Stelle im Marburger Raum.
An der Brücker Mühle unterhalb von Amöneburg, die
von Herzog Ferdinand von Braunschweig besetzt war,
griffen die Franzosen am 21. September 1762 mit einem unerwartet großen Aufgebot von Truppen und Kanonen an. Ihr Ziel war es, an dieser Stelle den Alliierten einen so heftigen Schlag zu versetzen, dass deren Position zu geschwächt war, um von hier aus das
von den Franzosen gehaltene Kassel anzugreifen. Die
ersten Verteidiger der Alliierten an der Brückenstellung, die Hannoveraner, hatten unter dem mörderischen Feuer von 30 schweren Kanonen der Franzosen
am 21. September 1762 bald mehr als 300 Tote zu
beklagen. Neben den Hannoveranern kämpften Engländer, in deren Reihen sich auch hessische Truppen
befanden. Ebenfalls war ein englisches Regiment tapferer Bergschotten an der Verteidigung der kriegswichtigen Passage im Ohmbecken beteiligt. Das ungewöhnlich heftige Kanonenfeuer über viele Stunden hinweg
wurde in der Nacht unterbrochen. Angreifer und Verteidiger gruben ihre Kanonen ein, um anderntags das
Gefecht fortzusetzen. Allein dazu kam es nicht mehr.
Beide Seiten hatten wohl genug, als man jeweils etwa
300 Gefallene und unzählige Verwundete zu beklagen
hatte. Die Alliierten zogen sich zurück.
154
Wenige Monate später, am 14 November 1762 wurden in Fontainebleau bei Paris Waffenstillstand zwischen den kriegführenden Hauptparteien geschlossen.
Am 19. Dezember 1762 verließen die letzten Franzosen Marburg. Trotz der ständigen Belagerung von Marburg und der andauernden Anwesenheit der verschiedensten Heere der Kriegsparteien während des gesamten siebenjährigen Krieges, waren die unmittelbaren
Kampfhandlungen vor Ort eher glimpflich verlaufen.
Das heftigste Gefecht hatte am 10. September 1759
stattgefunden, als die von den Alliierten eingekesselte
Stadt und das Schloss, von mehreren Seiten her,
durch heftigen Kanonenbeschuss unter Feuer genommen worden war. Nicht nur die Schlossfestung wurde
durch den Beschuss einmal mehr zur Zielscheibe und
dabei stark zerstört. Die Häuser der Altstadt hatten
durch die Brandkugeln ebenfalls erhebliche Schäden
davon getragen. Die Bürgerschaft der Stadt hatte sich
in die tiefen Keller ihrer Häuser zurückgezogen und
deshalb durch diese Kampfhandlungen indessen nur
geringe Beschädigungen an Leib und Leben erfahren.
Die Verteidiger in den Kasematten der Schlossfestung
waren unmittelbar dem direkten Feuer ausgesetzt.
Welche Folgen der Geschütz- und der Gefechtslärm auf
die Soldaten hatte, die in den Katakomben dem Qualm
und Pulverdampf sowie dem Geschützdonner der dort
von ihnen selbst abgefeuerten Waffen ausgesetzt
waren, kann man nur erahnen. Sie waren bald völlig
orientierungslos und unfähig zu einer wirksamen
Verteidigung. Auch dieser Sachverhalt dürfte am Ende
die Kapitulation der belagerten Franzosen am 11.
September 1759 beschleunigt haben.
Alles in Allem, der siebenjährige Krieg war für die
Stadt Marburg und ihre Bürgerschaft relativ glimpflich
155
verlaufen. Schlimmer hatte es Marburg im 30jährigen
Krieg getroffen. Dessen Spuren waren auch nach über
100 Jahren beim Ausbruch des siebenjährigen Krieges
in Marburg noch unübersehbar.
Allerdings hatten die beiden großen Kriege des 17.
und 18. Jh. für Marburg einen positiven Beiklang. Die
Stadtmauern und die Bollwerke für die Batterien wurden nach dem siebenjährigen Krieg gesprengt.
Die „Festung Marburg“ hatte ausgedient.
Anmerkung:
Eine auffallende Zurückhaltung umgibt die Heeresberichterstattung über das Schicksal von 1000 französischen Soldaten, die im August 1757 in Marburg den
Tod gefunden haben und am Renthof beerdigt wurden.
Lapidar heißt es, eine Epidemie habe sie dahin gerafft.
In der Bevölkerung hielt sich indessen ein Gerücht:
„Danach sei die Epidemie bei den Franzosen auf dem
Schloss ausgebrochen, als man das Lahnwasser an der
Pumpenstelle zuvor vorsätzlich verseucht habe. Durch
das Ablassen von Jauche, unmittelbar an der Pumpstation der „Baldewein’schen Wasserkunst“ neben der
Weidenhäuser Brücke sei das nächtlich verschmutzte
Wasser
hinauf auf das Schloss gepumpt worden.
Zuvor hätten ortskundige Angehörige des „Schindercorps“ die Wasserspeicher auf dem Schloss und die
Leitungen der Quellen vom Dammelsberg und von
den Brunnenröhren aus der Marbach zerstört. Dadurch habe die französische Besatzung nur auf das
verseuchte Wasser der Lahn zurückgreifen können.
Diese ruchlose Tat sei aber so ungeheuerlich gewesen,
156
dass danach Niemand sich zu der ungeheuerlichen Tat
bekannt habe und die eigentlichen Verursacher für
immer aus der Gegend verschwunden seien“!
So wird es mündlich von Generation zu Generation in
einer hiesigen Familie weitergegeben.
Der Vorgang erscheint durchaus plausibel, wenngleich
ein Hinweis dazu in den Militärakten offenbar nicht
vorliegt. Bezeichnend ist indessen die Gleichgültigkeit,
mit der die Berichterstattung der Kriegsherren in der
absolutistischen Zeit das Leben der einfachen Soldaten würdigt. Im krassen Gegensatz dazu begegnet uns
die Anteilnahme, die dem gefallenen alliierten General
von Breidenstein zuteil wurde.
Selbst die Kampfhandlungen wurden eingestellt, als
der adelige General, von Freund und Feind begleitet,
mit allen Ehren beigesetzt wurde. Es soll sogar noch
ein gemeinsames Mahl der feindlichen Kriegsherren
gegeben haben, bevor man nach der Beisetzung des
Herrn von Breidenstein die Kampfhandlungen unverdrossen wieder aufgenommen hatte.
157
Anlage 1 zu Teil III
Die Beschießung des Schlosses am 11. September 1759 durch hannoversche Truppen. Prinz Carl von Bevern beschießt die Schlossfestung
vom Dammelsberg her. Von der Kirchspitze feuert der Graf von
Bückeburg mit Kanonen Festung und Schloss.
Lageskizze: Staatsarchiv Marburg
158
Teil IV
Der Marburger Aufstand
vom 24. Juni 1809
159
Der „Marburger Aufstand“ von 1809
Zu den vielen Merkwürdigkeiten die dazu beitragen
könnten, den heute noch oft zu hörenden Ausspruch
zu erhärten „in Marburg sei alles anders“ gehört ganz
gewiss der gesamte höchst denkwürdige Vorgang, der
als „Marburger Aufstand“ des Jahres 1809 in die Geschichte einging, jedoch im Gedächtnis des überwiegenden Teils der Marburger Bürgerschaft bis heute
keinen rechten Platz gefunden hat.
Der bei der Oberhessischen Presse in Marburg volontierende Udo Muras erstellte im Jahre 1997 die bisher wohl umfassendste Schilderung der Vorgänge.
Welches sind aber die Ursachen für den „kollektiven
Gedächtnisschwund“ in Marburg, gegenüber einem Ereignis, dass vergleichsweise in anderen Orten noch
immer Anlass für historische Erinnerungsveranstaltungen bietet?
Immerhin fand das Ereignis in Marburg in einer spannungsgeladenen Zeit statt, in der es an vielen Brennpunkten in Deutschland und in Europa zur Rebellion
gegenüber der französischen Besatzungsmacht kam.
Markant sind hier zu nennen:
• Der gescheiterte Aufstand der Südtiroler im
Jahre 1809, unter ihrem Anführer Andreas Hofer
gegen Frankreich und dessen verbündeten Bayern.
• In Preußen kämpften seit dem Jahre 1808 Freicorps im Untergrund gegen übermächtige, französische Regimenter.
160
•
In Hessen-Kassel scheiterte der zur gleichen Zeit
der am 22. April 1809 begonnene „Dörnbergaufstand“ bei der „Knallhütte“, nahe Kassel.
An einigen Orten, an denen in dieser Zeit Widerstand
gegen Napoleon geleistet wurde, finden noch heute
Gedenkveranstaltungen und gelegentlich farbenprächtige Historienspiele statt. Erinnert wird dabei, an die
vergeblichen Versuche, die Fremdherrschaft im Lande
zu beenden.
Um nichts anderes, als um die „Befreiung vom französischen Joch“ ging es auch bei dem in „Marburg
„vergessenen Kapitel aus der napoleonischen Zeit“.
Die Vorgeschichte
Französische Revolution (1789-1799)
Die Ursachen die zu den Ereignissen des Jahres 1809
führen gehen zurück auf die turbulenten, politischen
und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen vor und
nach der französischen Revolution.
In Frankreich führte ein Volksaufstand, unter der Losung: „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“, zu dramatischen Umwälzungen. Der feudal-absolutistische
Ständestaat wurde durch revolutionäre Umgestaltung
durch das Volk abgelöst. Die Nachricht über die
schrecklichen Begleiterscheinungen des dabei einher
gehenden Terrors in Frankreich – vornehmlich gegen
den Adel und die Stände – verbreiteten sich in Europa
wie ein „Lauffeuer“. Die europäischen Fürstenhäuser
gerieten in Panik und in Angst und Schrecken über die
Vorstellung, dass auch in ihren Staaten das Volk aufbegehren und die Herrschaft an sich reisen könnte.
161
Man hatte dabei auch den Ausgang des in Amerika
vom Volk erfolgreich geführten Unabhängigkeitskriegs
(1776-1783) gegen die englische Kolonialmacht vor
Augen. Man war sich in den Fürstenhäusern Europas
durchaus bewusst, dass die Ursachen und Gründe die
in Frankreich zum Sturz der Monarchie geführt hatten,
auf alle absolutistisch geführten Staaten in Europa
übertragbar waren. Die vom revolutionären Frankreich
ausgehende Bedrohung der eigenen Macht führte zu
Gegenmaßnahmen der europäischen Monarchien.
Nach einer an die junge französische Republik gerichteten Drohung, dass man im Falle der Beseitigung der
Monarchie in Frankreich militärisch eingreifen würde,
erklärte nun das revolutionäre Frankreich seinerseits
am 20. April 1792 Österreich den Krieg.
Preußen stellte sich mit anderen verbündeten Staaten
an die Seite Österreichs. Der erste „Koalitionskrieg“
(1792 -1797) hatte begonnen.
Unter den preußischen Verbündeten befand sich auch
ein großes Truppenkontingent aus Hessen-Kassel. Nur
zögernd hatte Landgraf Wilhelm IX. sich dazu bereit
gefunden, seine Truppen auf „eigene Rechnung“ in den
Krieg gegen Frankreich zu führen. Bisher hatte er seine Regimenter stets nur für Geld an andere Mächte
„verliehen“.
Das „Kriegsglück“ war indessen der vereinten Koalitionsarmee, bestehend aus den Heeren von Österreich,
Preußen, Sachsen, Hannover, Großbritannien, Hessen-Kassel und anderen Kleinstaaten nicht hold. Am
20. September 1792 wurde der Vormarsch der Koalitionsarmee durch die legendäre „Kanonade von Valmy“ gestoppt. Die französische Revolutionsarmee erwies sich mehr und mehr den Gegnern überlegen.
162
Dieser „Volksarmee“ gelang es, alle fremden Mächte
vom französischen Territorium zu vertreiben und weite
Teile im „Feindesland“ zu besetzen.
Das gesamte linksrheinische deutsche Reichsgebiet
geriet unter französische Herrschaft. Die Ideen der
französischen Revolution wurden in die besetzten Gebiete exportiert. Im Bereich des Erzbistums Mainz
wurde nach französischem Vorbild und französischer
Gesetzgebung, die erste Republik auf deutschem Boden gebildet, die „Mainzer Republik“ (1783-1795).
Das in seinem Inneren politisch keineswegs gefestigte
revolutionäre Frankreich erwies sich als unüberwindbar für die europäischen Mächte.
Es sollte noch schlimmer kommen. Ein neuer „Komet“
am Himmel Frankreichs entpuppte sich bald
zum
Schrecken des europäischen Kontinents: Napoleon,
ein fähiger Truppenführer der Revolutionsarmee.
Er riss im Jahr 1799 die Führung in Frankreich an sich.
Als „Erster Konsul“ baute er seine Machtposition aus,
im Inneren wie im Äußeren. Sein unaufhaltsamer militärischer Siegeszug hielt die Welt in Atem.
Napoleon zwang die besiegten Gegner im Friedensschluss vom 9. Februar 1801 in Luneville zur Abtretung des gesamten linksrheinischen Gebietes bis zum
Rheinufer an Frankreich. Er legte den deutschen Fürsten nahe, ihren linksrheinisch erlittenen Flächenverlust durch „Säkularisierung“ auszugleichen.
D. h.
durch Aneignung des weltlichen Kirchenbesitzes durch
den Staat, so wie dies nach der Revolution in Frankreich bereits vollzogen worden war. Im „Reichsdeputationshauptschluss“ der versammelten deutschen Fürsten vom 23. Februar 1803 wurde die Kirchenenteignung in Deutschland - die Säkularisierung - beschlossen.
163
Ein Großteil des weltlichen Besitzes der Kirchen, Klöster, Ordensgüter, Schlösser und Burgen nebst dazu
gehörenden Ländereien, gelangten in den Besitz der
weltlichen Staaten.
Die Landgrafschaft Hessen-Kassel war vom größten
Flächenverlust betroffen. Sie hatte den gesamten links
rheinischen Besitz und die Grafschaft Katzenellnbogen
mit Schloss Rheinfels verloren.
Als Entschädigung wurde dem bei der Landaufteilung
zu kurz gekommenen hessischen Landgrafen von den
deutschen Fürsten die lange ersehnte, aber inzwischen
völlig wertlose, „Kurwürde“ verliehen. Er nannte sich
nun „ Kurfürst Wilhelm I.“ von Hessen-Kassel.
Napoleons Machthunger war indessen längst nicht gestillt. Im Jahre 1804 kürte er sich selbst zum „Kaiser
der Franzosen“. Er veränderte von nun an nachhaltig
die Landkarte Europas. Ein Staat nach dem anderen
musste sich der „Grande Armee“ des Korsen geschlagen geben. Nacheinander besiegte er in blutigen Gefechten: Österreich 1805, Preußen 1806 und Russland
1807.
Der „Rheinbund“ aus den süddeutschen Staaten: Bayern, Baden, Württemberg, Hessen-Darmstadt und einigen weiteren deutschen Kleinstaaten trat 1806 an
die Seite Napoleons und beteiligte sich an dessen Eroberungskriegen.
Zur „Belohnung“ wurden Napoleons deutsche Vasallen
mit hohen Würden versehen. Bayern, Sachsen und
Württemberg wurden zu „Königreichen“ erhoben.
Aus der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt wurde das
Großherzogtum Hessen-Darmstadt.
Das 1000 Jahre alte deutsche Kaiserreich, das seit
dem Jahre 800 nur selten in Eintracht die Geschicke
in der deutschen Vielstaaterei lenken konnte, zerbrach
164
im Jahre 1806. Der letzte „römische Kaiser deutscher
Nation, der Habsburger Franz II. beschränkte sich ab
1804 mit dem Titel des Kaisers von Österreich.
Was geschah nun mit Marburg
und mit Hessen-Kassel !
Die Hessische Landgrafschaft Hessen-Kassel hatte mit
der Niedergrafschaft Katzenellnbogen mit St. Goar und
Hessen-Rheinfels und allen anderen linksrheinischen
Gebieten den größten Flächenverlust hinzunehmen
und dafür einen wertlosen „Kurhut“ geerbt.
Als Landentschädigung wurden Hessen-Kassel lediglich
einige mainzische Enklaven im hessischen Kernland
zugestanden, darunter Fritzlar und Amöneburg nebst
den umliegenden katholischen Dörfern.
In der Mittellage von Deutschland war Hessen-Kassel
indessen wehrlos den Ereignissen ausgeliefert. Das
vom hessischen Kurfürsten mit Napoleon am 1. Oktober 1806 abgeschlossene Neutralitätsabkommen
wurde schon am 30. Oktober 1806 unter einem Vorwand vom französischen Imperator gebrochen.
Hessen-Kassel stand den Expansionsplänen Napoleons im Wege. Er brauchte Hessen als Aufmarschgebiet
für seine weiteren Kriegsvorbereitungen. Außerdem
galt ihm Hessen-Kassel als „zu preußisch“ gesinnt.
Im Herbst 1806 besetzte die „Grande Armee“ HessenKassel. Kurfürst Willhelm I. löste seine kostspielige
Armee kampflos auf. Er flüchtete unter Mitnahme des
größten Teiles des Staatsschatzes nach Schleswig, an
den Hof seines Bruders Karl. Später, ab 1808 über165
siedelte Wilhelm I. nach Prag, schmiedete konspirative
Umsturzpläne für Hessen-Kassel und wartete dort auf
das Ende Napoleons.
Der erste Marburger Aufstand
von 26. / 27. Dezember 1806
Nach der Okkupation und der Flucht des Kurfürsten
war ein besetztes Land zurück geblieben. Die „kampffähigen“ Soldaten der alten hessischen Regimenter
wurden per Dekret den napoleonischen Truppen zugeteilt. Längst nicht alle folgten dieser Aufforderung.
Zahlreiche hessische Offiziere und Soldaten hatten
kein Verständnis für die kampflose Preisgabe des Vaterlandes. Etliche enttäuschte hessische Soldaten nahmen sich aus Scham über die Schmach das Leben. In
Marburg erschoss sich der hessische Major Lith aus
Gram über die kampflose Preisgabe von Hessen-Kassel. Ein großer Teil der nun „arbeitslos“ gewordenen,
vornehmlich älteren, hessischen Veteranen und etliche
Bauernsöhne aus den nahen Dörfern mochten sich
nicht kampflos mit der Besetzung des Landes durch
fremde Herrschaft abfinden. Ende Dezember 1806
kam es zu Attacken gegen die französische Besatzung
in Hessen. Etwa 100 kampferprobte kurhessische
Veteranen stürmten das Marburger Schloss. Es kam an
vielen Stellen in der Stadt zu Feuergefechten mit der
französischen Besatzung und zu zahlreichen Toten auf
beiden Seiten.
166
Die Marburger Bürgerschaft verhielt sich ruhig. Sie
schloss sich der Rebellion nicht an, so wie dies von den
Aufständischen erhofft worden war.
Ein französischer Verband unter der Führung des Leutnants Talleyrand, einem Sohn des französischen Außenministers, schlug in Weidenhausen einen aufständischen Bauerntrupp.
Die etwa 24 Stunden währenden Gefechte in Marburg
endeten mit der Flucht der Aufständischen, die ohne
Unterstützung gegen die Übermacht zweier französischer Bataillone keine Chance hatten. Einige von
ihnen wurden in den folgenden Tagen festgenommen
und kurze Zeit später jedoch frei gelassen. Offenbar
hatte man auf französischer Seite den verzweifelten
Kampf der Hessen als Reaktion auf die Besetzung ihres
Landes angesehen und den Widerstand der Veteranen
somit als legale Kriegshandlung eingestuft.
Bemerkenswert bleibt jedoch der Hinweis, dass wir
unter den Aufständischen des Dezember 1806 zahlreiche Namen finden, die auch 2 ½ Jahre später, beim
Aufstand des 24. Juni 1809 in Marburg wieder in Erscheinung treten. Unter ihnen die Marburger Josbächer
und Camerding, sowie die älteren Veteranen aus den
Dörfern, die zum Teil schon das 40. und 50.Lebensjahr
überschritten hatten: Wendel Günther und der „weiße“
Moog aus Sterzhausen, Daniel und Johannes Muth,
Siegfried Vormschlag, Johann Meisel, Conrad Heuser
aus Ockershausen und einige andere hatten bereits an
der Rebellion der Dezembertage des Jahres 1806 teilgenommen.
167
Das Königreich Westphalen (1807-1813)
Aus den Ereignissen des Jahres 1807 werden Napoleons Absichten, die er mit der Besetzung Hessen-Kassel’s verbunden hatte deutlich.
Im geschlagenen Deutschland sollte ein Musterstaat
nach französischem Vorbild entstehen. Der neue Staat
im Zentrum des deutschen Reichsgebietes führte den
Namen „ Königreich Westphalen“. An der Spitze des
neuen Staates residierte König Hyronimus Napoleon,
genannt Jerome, der jüngste Bruder des großen Korsen. Kassel wurde Landeshauptstadt. Das Staatsgebiet
umfasste neben Hessen-Kassel große Teile des heutigen Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bremen,
Hamburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt und die preußischen Gebiete westlich der Elbe.
Das Staatsgebiet umfasste in seiner größten Ausdehnung ca. 63 000 qkm. Ihm gehörten etwa 2,5 Millionen Einwohner an. Wie in Frankreich, gliederte sich
der zentral ausgerichtete Staat in „Departements“.
Marburg im südlichen Zipfel des Königreichs Westphalen wurde Hauptstadt des „Werra-Departements“.
An der Spitze des Departements stand der Präfekt.
Ihm waren alle Bürgermeister in den Städten und Gemeinden direkt unterstellt. Nach französischem Vorbild
hießen sie nun „Maire“.
Die Organisation und Gesetzgebung im Staat orientierten sich am französischen „Code Civil“. Das Gedankengut der Revolution, das „revolutionäre Recht“,
fand nun auch Anwendung in einem deutschen Staat.
Dies fand besonderen Ausdruck in den postulierten
Grundsätzen der „Gleichheit Aller vor dem Gesetz“,
dem „Schutz und der Freiheit des Individuums“, dem
168
„Schutz des Eigentums“ und der „strikten Trennung
von Kirche und Staat“.
Natürlich fand damit in Westphalen die in weiten Teilen in Deutschland noch geltende „Leibeigenschaft“ ihr
Ende. Das alte Zunftwesen wurde beseitigt. Es galten
zum ersten Mal Gewerbe- und Berufsfreiheit. Dies galt
auch für die jüdischen Staatsbürger, denen zuvor nur
sehr eingeschränkte Rechte in den deutschen Ländern
zugebilligt worden waren.
Napoleon war beherrscht von der Vorstellung, dass die
„Untertanen“ in den übrigen feudalen deutschen Fürstentümern die bessere neue Staatsordnung erkennen
könnten und dass sie sich schon bald am Vorbild des
„Musterstaates Westphalen“, orientieren würden.
Die Rechnung wäre wohl aufgegangen, hätte Napoleon
nicht selber Hand daran angelegt, diesen Anspruch
durch seine eigene, expansive Macht- und Kriegspolitik zu torpedieren. Um seine „Kriegsmaschine“ von
Hunderttausenden Soldaten zu versorgen, betrieb er
eine totale Ausbeutung aller wirtschaftlichen Ressourcen in seinem gesamten Macht- und Einflussbereich.
Die Bürger seines Musterstaates Westphalen hatten
Kriegslasten zu schultern, die um ein Vielfaches die
Steuer- und Abgabenlasten an die früheren Fürsten im
Lande übertrafen.
Noch schwerer lastete der Druck auf den wehrfähigen
Männern, die nun massenhaft den Regimentern der
„Grande Armee“ zugeführt wurden. 40% aller Wehrfähigen im Alter von 20 bis 25 Jahren hatten mit ihrer
Einberufung zum Militär zu rechnen. Bei den Landgrafen war der Anteil der eingezogenen Wehrfähigen
„in besonderen Kriegszeiten“ zwischen 10 bis 20 %.
Hier endete auch der Grundsatz der „Gleichheit“, denn
das besitzende Bürgertum konnte die eigenen Söhne,
169
wie schon zuvor in Hessen-Kassel, vom ungeliebten
Kriegsdienst freikaufen. Woran hätte der einfache,
wenig gebildete Bürger erkennen sollen, dass nun eine
bessere Zukunft für ihn im Königreich Westphalen begonnen hätte?
Die Marburger Universität 1806 – 1809!
Völlig anders stellte sich jedoch zunächst die neue
Lage für das Bürgertum und den Sektor „Bildung und
Wissenschaften“.
Im Gegensatz zur Masse des noch immer überwiegend
„analphabetischen“ einfachen Volkes, war der Großteil
des Bildungsbürgertums sehr angetan von den Möglichkeiten der „geistigen Befreiung“, die mit der von
Frankreich ausgehenden revolutionären Expansion einherging.
Die Napoleon-Begeisterung war an den Universitäten
und in den „aufgeklärten Zirkeln“ in Deutschland unübersehbar. Noch drängte diese Begeisterung die aufkommende patriotische Stimmung jener Kräfte in den
Hintergrund, die auf eine eigene, einheitliche nationalstaatliche Zukunft in Deutschland setzten.
In Marburg begann mit dem „Königreich Westphalen“
allerdings auch ein kritischer Zeitabschnitt. Der Fortbestand der Universität war gefährdet. In „Westpha170
len“ gab es fünf Universitäten: Göttingen, Halle, Marburg, Helmstedt und Rinteln. Bei einer Bevölkerung
von etwa 2,5 Millionen waren fünf zu unterhaltende
Universitäten für den neuen Staat einfach zu viel.
Die Schließung von - mindestens zwei - der fünf Hochschulen, erschien als unvermeidbar.
Ungefährdet wegen ihrer Größe und Bedeutung waren
die Universitäten in Göttingen und Halle. Die Entscheidung über die dritte verbleibende Universität, erfolgte schließlich im Jahr 1809 zugunsten von Marburg.
Die Universitäten in Helmstedt und Rinteln wurden
aufgelöst.
Daran hatten die Bemühungen der Marburger Professorenschaft und des Präfekten des „Werra-Departements“ in Marburg, Ludwig Freiherr von Berlepsch, erheblichen Anteil. In einem flammenden Brief vom 3.
April 1809 an König Jerome richtete Berlepsch einen
Appell zur Erhaltung der Universität in Marburg. Im
letzen Satz dieses Schreibens wird die vorherrschende positive Einstellung zum neuen Staatsoberhaupt
des Königreichs Westphalen deutlich:
„Sire, Zerstreuen Sie die Ängste (der Marburger)
indem Sie ihnen die tröstliche Versicherung geben,
dass ein geehrtes Institut den Söhnen der Väter erhalten bleiben soll, die bereit sind, ihr Leben und ihr
Glück für das Wohlergehen und den Ruhm des Königreichs und des besten aller Könige zu opfern“!
Diesen Appell kann man durchaus als Zustimmung zur
Heranziehung der hessischen Landeskinder in die Armee Napoleons interpretieren.
Die kurze „westphälische Zeit“ wurde von den Universitätsangehörigen in Marburg als eine Blütezeit empfunden. Landgraf Willhelm IX. - seit 1803 Kurfürst
Willhelm I.- galt nicht als ein ausgewiesener Förderer
171
der Wissenschaften. Sein besonderes Interesse galt
dem Militärwesen. Dort brachte er es mit dem „Subsidienhandel“ (verkaufte hessische Soldaten) zu Wohlstand und Reichtum. Wilhelm I. erwies sich auch als
erfolgreicher Mäzen des Kunstschaffens. Er baute die
Residenzstadt Kassel, wie schon unter seinen Vorgängern begonnen, weiter zu einer europäischen Metropole der Künste aus.
Bei den Zuwendungen an die Marburger Universtät
verhielt er sich eher knauserig. Dies war seinem Ansehen bei den Universitätsangehörigen wenig förderlich. Als Patrioten ihres bisherigen Brotgebers traten
sie bei dessen Absetzung durch Napoleon nicht in
Erscheinung, mit einer Ausnahme, über die noch zu
berichten ist.
Kein Wunder also, dass die Universitätsangehörigen
überwiegend dem neuen Staatswesen zugetan waren.
Der Marburger Professor Ludwig Wachter – Theologe
und Historiker – nahm als Mitglied der Stände des Königreichs beim Reichstag in Kassel teil. Professor Georg F. C: Robert, Dekan der juristischen Fakultät der
Marburger Universität, ebenfalls Mitglied der Stände
des Königreichs Westphalen, nahm als Deputierter der
Universität Marburg bei der Ernennung Jerome’s zum
König am 18. August 1807 in Paris teil.
Die Wahrnehmung des neuen Staatswesens unterschied sich bei den „Bildungsbürgern“ und dem einfachen Volk deutlich.
„Unten“ erfuhr man den Druck der neuen Staatsmacht
als eine ständig wachsende Belastung, die nicht enden
wollte. Von den neuen Errungenschaften, der bürgerlichen Freiheit und der Gleichheit vor dem Gesetz,
erfuhr man im Alltag wenig. Abgaben und Steuerlasten und Einberufungen zum ungeliebten Militär taten
172
ein Übriges, um den Unmut gegen das Königreich
Westphalen, das in erster Linie als Besatzungsmacht
wahrgenommenen wurde, zu nähren. Große Teile des
Bildungsbürgertums, so man sich dort dem aufkommenden, national-patriotischen Geist in Deutschland
noch entziehen konnte, begrüßten hingegen die neue,
französisch orientierte revolutionäre Staatsform.
Beim Marburger Bürgertum aus Beamten, Kaufleuten
und Handwerkern stellte sich aber schon bald Ernüchterung ein, vor dem Hintergrund der ständigen, schon
erwähnten erheblichen Abgabenlasten und Leistungen,
die sie u. a. für die „kostenfreien Einquartierungen“
von französischen Truppen aufzubringen hatte
Hyronimus Bonaparte
König Jerome von Westphalen (1807-1813)
In Kassel nannte man ihn „König Lustik“
Die Berichterstattung über das kurze Wirken Jeromes
in Kassel die unmittelbar nach der Niederlage Napoleons im Befreiungskrieg bei Leipzig, (9.-13. Oktober
1813)
einsetzte, zeichnet ein verzerrtes Bild des
glücklosen Königs. Er war eindeutig besser, als es sein
negativer Ruf zum Ausdruck brachte, den man ihm
später angehängt hat. Jerome war nicht der „tumbe
Depp“, als den ihn gehässige, deutsche patriotisch
gesinnte Historiker der Nachwelt hinterlassen wollten.
Als blutjunger Korvettenkapitän hatte er bereits ein
Schiff befehligt, das im Koalitionskrieg gegen die englische Flotte kämpfte. Nach Ende des Seekriegs gegen
England (Trafalgar) nahm er erfolgreich als Divisionskommandeur 1806/07 am Krieg gegen Preußen teil.
Die Annahme, dass Napoleon eine so wichtige Aufgabe wie den Aufbau und die Führung eines großen
173
Musterstaates in der Mitte Deutschlands einem unfähigen „Luftikus“ anvertraut hätte, beantwortet sich
damit von selbst.
Jerome hat die ihm übertragene Aufgabe aus Westphalen einen Musterstaat zu gestalten, sehr ernst
genommen. Die Fortschrittlichkeit seiner Regierung,
seiner Erneuerung der staatlichen Verwaltungs- und
Rechtsnormen, setzte völlig neue Impulse, die auch
noch später, nicht nur in Hessen-Kassel, sondern weit
darüber hinaus positive Nachwirkungen in Deutschland erzielten. Die Kasseler Bürgerschaft war dem
neuen Geist der mit Jerome der Residenzstadt Einzug
gehalten hatte, zunächst sehr zugetan. Welch ein Unterschied zu dem biederen, wenig volksnahen Kurfürsten. Seinen aufwendigen Lebensstil sah man dem lebenslustigen Jerome nach. Ein Großteil des althessischen Adels hatte sich in der „Königlichen Loge Hieronymus Napoleon zur Treue“ zusammengeschlossen.
Die Frauen der „Kasseler Gesellschaft“ lagen dem jungen Monarchen „zu Füßen“. Die zahlreichen, von ihm
initiierten Festlichkeiten in Kassel wurden als willkommene Bereicherung des vormals eher spröden Gesellschaftslebens
vom gehobenen Bürgertum empfunden. Diesen Festivitäten verdankt Jerome den Spottnamen „König Lustik“ (wg. seiner Probleme mit der
deutschen Sprache) „Heute wieder lustik“, diesen Satz
soll er – wo auch immer – gesagt haben.
Widerstand gegen Napoleon!
Etwa bis zum Jahre 1808 hatte Napoleon seinen
Machtbereich auf weite Teile in der Mitte Europas ausgedehnt. Er stand nun einem riesigen Imperium vor.
Sein Drang noch mehr Macht und Einfluss zu gewinnen
174
war größer, als die gebotene Vernunft, das eroberte
Terrain in seinem Inneren zu festigen.
Im Dezember 1807 begann Napoleons „Spanienfeldzug“, der bis zum Jahre 1814 andauerte. Der verlorene
Seekrieg Frankreichs gegen England führte zu einer
weiteren verhängnisvollen Fehlentscheidung Napoleons, der Kontinentalsperre. Damit unterband er den
zuvor florierenden Handel der deutschen Wirtschaft
mit England. In allen Orten wurden englische Waren
konfisziert und öffentlich verbrannt, so auch in Marburg am 11.12.1808.
Der Unmut in den besetzten deutschen Ländern wurde
zudem durch die immensen Abgaben und Lasten für
die Unterhaltung der riesigen Armeen Napoleons immer größer. Immer bedrückender wurde auch die
Sorge über die permanenten Rekrutierungen, die in
allen Teilen Deutschlands Zehntausende junger Männer zum Kriegsdienst in Napoleons Armeen zwangen.
Dies endete, wie sich erweisen sollte, überwiegend in
Tod und Elend der davon Betroffenen.
Auch Jerome hatte keine Chance, sein Land vor den
permanenten Abgaben und Kriegslasten für Napoleons
Armeen zu bewahren. Westphalen hatte ein Kontingent von 25 000 Soldaten zu stellen. Der weitaus
größte Teil von ihnen wird im Spanienkrieg und im
Russlandfeldzug Napoleons von 1812/13 das Leben
verlieren.
In den besetzten deutschen Ländern formierte sich der
passive Widerstand gegen die französische Besetzung. Deutsche Patrioten forderten Nationalbewusstsein von allen deutschen Bürgerinnen und Bürgern ein.
Gemeinsam sollte das französische Joch abgeschüttelt
werden.
175
Die Anhänger eines „Vereinigten Deutschlands“ proklamierten ein modernes Staatssystem, jenseits der
absolutistischen Monarchien. Reformer wie Freiherr
vom und zum Stein und die preußischen Militärs Gneisenau, Scharnhorst und andere forderten den Widerstand des Volkes gegen fremde Herrschaft.
Revolutionäre Dichter wie Ernst Moritz Arndt und Theodor Körner schürten als ausgewiesene und unversöhnliche Gegner Frankreichs und alles Französischen
die Stimmung gegen Napoleon.
Friedrich Ludwig Jahn und andere, forderten „Volksertüchtigung für alle Deutschen“, um daraus „eines Tages eine nationale Armee des ganzen Deutschen Volkes“ zu bilden. Davon versprach man sich nicht nur
eine Steigerung der Kampfkraft sondern auch eine patriotische Einstellung des Volkes zu ihrem Staat.
Als Vorbild diente durchaus die französische Revolutionsarmee, die sich als Armee des Volkes den Söldnerheeren der Könige und Fürsten durchaus als überlegen gezeigt hatte.
Es war allein Napoleons unbändige Machtpolitik, die
den Widerstand in den von ihm besetzten Ländern beförderte. Bald regte sich aktiver Widerstand in allen
französisch besetzten Gebieten. Ehemalige preußische
Heerführer stellten „Freicorps“ zusammen, die im Hinterland gegen die französische Besatzungsmacht sabotierten. Die „schwarzen Reiter“ des Ferdinand von
Braunschweig setzten den Franzosen zu. Später operierte auch das berühmt gewordene „Lützow’sche Freicorps“ gegen die Franzosen. Gerade in diesen Freicorps fanden sich die Anhänger eines künftigen neuen,
deutschen vereinigten Staatswesens zusammen.
In Berlin verließ Major Ferdinand von Schill, gegen den
Willen des preußischen Königs, aber mit Billigung der
176
preußischen Königin Luise, mit seinem Regiment die
Garnison, um auf „eigene Faust“ gegen Napoleon bzw.
gegen dessen Verbündeten Staaten des „Rheinbundes“
zu kämpfen. Am 31. Mai 1809 verlor Schill in Stralsund im Kampf gegen die westphälische Armee des
Königs Jerome sein Leben.
Konspirative Pläne, die die Befreiung Deutschlands
vom französischen Joch zum Ziel hatten, kursierten
zwischen den am Widerstand beteiligten Anführern
des „deutschen Bundes“. Napoleon stand diesem Treiben nicht untätig gegenüber. Er weitete die in Frankreich sehr erfolgreich wirkende Geheimpolizei auf seinen gesamten Machtbereich aus. Abgefangene Briefe
der Anführer der Konspiration - u.a. des Freiherrn vom
Stein, von Scharnhorst, Wittgenstein, Gneisenau und
anderen deutschen Reformern - informierten ihn über
deren Maßnahmen.
Ein Brief des Freiherrn vom Stein an Wittgenstein, erschütterte Napoleon indessen besonders. Er selbst
hatte dem preußischen König diesen fähigen Reformer
für „hohe Staatsaufgaben“ empfohlen. Dies zeigte nun
Napoleon, dass die Verhältnisse in Deutschland für ihn
bedrohlicher waren, als er es angenommen hatte. Der
preußische Reformer Freiherr vom Stein entzog sich
Napoleon durch Flucht nach Russland.
Ein abgefangener Brief des Obersten Emmerich, den
dieser am 15. Mai 1809 von Marburg aus an den preußischen Majos Ferdinand von Schill absenden wollte,
sollte auch diesem alten Streiter gegen Frankreich
noch zum Verhängnis werden.
Dazu später mehr.
177
Der Dörnbergaufstand bei Kassel - April 1809!
Die von Napoleon entmachteten deutschen Fürsten
sahen das Treiben des Widerstands in ihren Ländern
mit gemischten Gefühlen. Einerseits erkannten sie
wohlwollend, dass ihr persönlicher, ohnmächtiger Zorn
gegen Napoleon von weiten Teilen im Volk geteilt wurde. Andererseits fürchteten sie sehr wohl die Forderungen der Widerständler nach Errichtung eines deutschen Einheitsstaat und einer Armee des Volkes. Das
Beispiel der französischen Revolution hatte ihnen „vor
Augen“ geführt, welches „gefährliche Potential“ in einem „Aufstand des Volkes“ steckte.
Nicht nur in den besetzten deutschen Ländern, sondern auch in den anderen von Napoleon eroberten Gebieten wuchs der Widerstand gegen Napoleon und
seine Vasallen.
In Südtirol hatte Andreas Hofer eine kampfstarke Rebelleneinheit zusammengestellt, die den französischen
und den verbündeten bayrischen Einheiten sehr zusetzte. Im April und Mai des Jahres 1809 gab es eindrucksvolle Siege der Tiroler gegen bayrische, sächsische und französische Truppen. Im November 1809
brach ihr Aufstand zusammen. Am 20. Februar 1810
wurde Andreas Hofer als Rebell in Mantua standrechtlich erschossen.
Auch für viele Hessen war im Jahre 1809 das Maß voll.
Die neue Gesetzgebung unter der Maßgabe des „Code
Civil“ und die Grundsätze von „Freiheit, Gleichheit und
Brüderlichkeit“ täuschten nicht darüber hinweg, dass
zu viele junge Männer auf immer neuen Kriegsschauplätzen im Kriegsdienst für Napoleon ihr Leben lassen
mussten.
178
Nach dem Sieg der Österreicher gegen Napoleon am 9.
April 1809 bei Wagram fassten die Anhänger des
deutschen „Tugendbund“ und der vereinten „Vaterlandsfreunde“ neuen Mut. Sie bereiteten sich darauf
vor, ein englisch-deutsches Expeditionscorps – zusammen zu stellen, das gemeinsam mit den im Untergrund
operierenden Freicorps Norddeutschland und Kurhessen befreien sollte. Der „zwischen den Fronten“ in
Hessen operierende Wilhelm von Dörnberg, offiziell
Regimentsführer in der westphälischen Armee, zugleich jedoch heimlicher Vorbereiter des Aufstandes in
Kurhessen gegen Napoleon, sollte seine Position ausnutzen und die hessische Bevölkerung gegen die
Fremdherrschaft mobilisieren. Mit ihm ergebenen hessischen Soldaten sollte König Jerome gefangen gesetzt
werden. Dörnbergs Bemühungen waren jedoch gescheitert, als er von dem im Prager Exil weilenden,
sehr vermögenden hessischen Kurfürsten Wilhelm finanzielle Unterstützung für die Aufstellung eines Expeditionscorps forderte. Kurfürst Wilhelm I. hatte die
Bereitstellung eines entsprechenden Summe verweigert. Wilhelm I. setzte wenig Vertrauen in dieses
Unternehmen. Vor allem war ihm jedoch der Gedanke
einer Volksarmee zuwider. Wohin dies führen könnte,
dies hatte er in Frankreich erfahren.
Die in Norddeutschland geplante Aufstellung eines
Expeditionscorps kam ebenfalls nicht zustande.
Die dubiosen Nachrichten, die im Vorfeld der verzweifelten Befreiungsaktionen im Lande kursierten, hatten
eine „Freund und Feind“ verwirrende Situation herbeigeführt und Chaos hervorgerufen.
Wilhelm von Dörnberg kam nicht mehr dazu, die in
Homberg/Efze versammelten Aufständischen rechtzeitig vom gescheiterten Plan zur Aufstellung des Ex179
peditionscorps zur Befreiung Kurhessens zu informieren. So begann am 22. April 1809 im Kasseler Raum
übereilt die Rebellion gegen König Jerome. Friedensrichter Friedrich Martin aus Frielendorf, ein Anführer
der aufständischen Nordhessen, hatte verfrüht, am
Vorabend des 21. April 1809 in Homberg/Efze und in
Wolfhagen die Sturmglocken läuten lassen. Dadurch
waren Jeromes Getreue in Nordhessen gewarnt.
Dörnberg’s Doppelrolle flog auf. An der Knallhütte bei
Kassel kam es zu einem einseitigen Gefecht, in dem
die völlig unzulänglich bewaffneten Aufständischen
von den regulären westphälischen Truppen geschlagen
wurden. Damit war der Aufstand beendet.
Die Aktion blieb bis heute als der gescheiterter „Dörnbergaufstand“ in Erinnerung.
Wilhelm von Dörnberg schloss sich mit zahlreichen
Getreuen der „schwarzen Schar“, des Freicorps „Ferdinand von Braunschweig“ an. Er kämpfte gemeinsam
mit dem Freicorps in Spanien und in Waterloo an der
Seite Englands gegen Napoleon. Ernst Moritz Arndt
dichtete später „Das Lied vom Dörnberg“
Der Aufstand in Marburg vom 24. Juni 1809
Die wilden Gerüchte über die bevorstehende Rebellion
gegen die Fremdherrschaft machten seit Beginn des
Jahres 1809 auch in Marburg die „Runde“. Keiner
konnte erkennen, was nun wirklich geschehen würde.
Die französische Besatzung und die Präfektur des
Werra-Departements in Marburg verfolgten aufmerksam das Geschehen.
180
Das Bürgertum verhielt sich ruhig. In den Gastwirtschaften, besonders bei den Treffpunkten der einfachen Leute, ging es dagegen oft „hoch her“. Spekulationen kamen auf, dass der Kurfürst mit einem
großen Heer im Anmarsch sei.
Aus Ockershausen, Sterzhausen und Wetter wurden
„ungenehmigte Schießübungen“ von den alten hessischen Veteranen und von Bauernjungen gemeldet.
Für viele Marburger Bürger stand fest, der Aufstand
würde beginnen, aber wann und mit welchem Ausgang?
Später, bei der Verhandlung des Kriegsgerichts in
Kassel gegen einen der Rädelsführer des Marburger
Aufstandes, Oberst Andreas Emmerich, wird ein bei
Emmerich gefundener Brief an den aufständischen
preußischen Majors Schill vom Anfang Mai 1809, als
Beweis für die weit gespannte „Insurrektion“ gegen die
französische Besatzung angesehen. Emmerich sollte
eine Schlüsselstellung bei den erwarteten Aufständen
in Hessen einnehmen. Mit Wilhelm von Dörnberg hatte er seit Herbst 1808 den hessischen Aufstand verabredet.
Die Abkommandierung Dörnbergs durch Jerome von
Marburg nach Kassel zu Beginn des Jahres 1809 unterbrach die Kontakte der beiden für den bevorstehenden Aufstand vorgesehenen hessischen Truppenführer in einer entscheidenden Phase. Man hatte sich
verständigt, dass Aufstände im April 1809 an mehreren Stellen gleichzeitig beginnen sollten. In Marburg
wartete man allerdings vergebens auf ein Zeichen des
gemeinsamen „Losschlagens“.
Am 23. April 1809 startete der Aufstand bei Kassel,
ohne die Marburger Rebellen darüber zu informieren.
Als man 8 Wochen später, am 24. Juni 1809 in Mar181
burg los schlug, konnte inzwischen Emmerich sehr
wohl wissen, dass der „Dörnbergaufstand“ im April bereits gescheitert war. Dennoch wurde von ihm in
Marburg weiter die Werbetrommel für den Aufstand
gerührt.
Neben Oberst Emmerich war es der Professor der
Medizin, Johann Heinrich Sternberg, der sich, als ein
glühender Patriot für die Befreiung von Kurhesssen betätigte. Dieses ungleiche Paar an der Spitze der Marburger Rebellion setzte beharrlich die Vorbereitungen
für einen Aufstand fort. Emmerich dürfte zum Zeitpunkt des Losschlagens in Marburg am 23. Juni 1809
auch kaum in Unkenntnis darüber gewesen sein, dass
inzwischen auch der preußische Major Ferdinand Schill
mit seinem Aufstand Ende Mai 1809 gescheitert war
und Schill selbst dabei den Tod gefunden hatte.
Darüber hatten schon die Zeitungen in Westphalen
berichtet. Das Scheitern des „Dörnbergaufstands“ und
die steckbriefliche Fahndung nach dem flüchtigen, Wilhelm von Dörnberg, waren d a s Tagesgespräch in
den Strassen und in den Gastwirtschaften in Marburg
und im ganzen Westphalen.
Die Anführer der Rebellion in Marburg:
Oberst Andreas Emmerich!
Der inzwischen 73 Jahre alte Veteran, geboren am
10.11.1735 in Kiliansteten, tauchte im Jahre 1808 in
Marburg auf. Ein bewegtes Soldatenleben lag hinter
ihm. Er galt schon in jungen Jahren als ein fähiger
Kommandoführer. Als Leutnant kämpfte er bereits in
den Jahren 1756-60 in Amerika in englischen Diensten
im „French-Indian-War“, dem Krieg der Franzosen und
182
der Indianer gegen England um die Vormacht in den
nordamerikanischen Kolonialgebieten.
Hat sich damals in Amerika Andreas Emmerich’s Abneigung gegen „alles Französische“ entwickelt? Hat
sein abgrundtiefen Hass gegen Frankreich und Napoleon hier seinen Ursprung?
Vieles deutet darauf hin. Im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1776 bis 1786) kämpfte Emmerich
zunächst als Truppenführer einer englischen Einheit
gegen die Franzosen. Ab 1789 befehligte er ein von
ihm selbst in Waldau bei Kassel zusammengestelltes
„Freicorps“ aus hessischen Söldnern. Als „Brigade Emmerich“ stand es ebenfalls im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg in englischen Diensten. Später finden
wir Emmerich als Truppenführer in preußischen und in
hessischen Diensten. In Marburg traf Emmerich im
Herbst 1808 auf Baron Caspar Wilhelm von Dörnberg.
Dieser nutze schon zuvor hier seine Position als militärischer Ausbilder, um aus den Reihen der Marburger
Jäger Mitverschwörer für einen Aufstand gegen die
Fremdherrschaft zu gewinnen.
Dass Emmerich und Dörnberg seit dem Herbst 1808
gemeinsam Verschwörungspläne schmiedeten, ist naheliegend. Dörnberg, der sich des besonderen Vertrauens König Jeromes erfreuen durfte, war von diesem jedoch nichts ahnend nach Kassel abberufen, um
hier ein höheres Truppenkommando in der westphälischen Armee zu übernehmen. Dörnberg musste umdisponieren. Es kam zum überhasteten Aufstand, mit
dem Ergebnis des schon erwähnten Scheiterns beim
Gefecht an der Knallhütte im April 1809. Emmerich
rührte indessen in Marburg weiter die „Trommel“ für
einen „Befreiungsschlag“.
183
Johann Heinrich Sternberg!
Professor der Medizin und Hofrat in Marburg seit dem
10. Oktober 1804, verstrickt in die verwirrenden Ereignisse des Jahres 1809, bleibt bis heute eine rätselhafte
Persönlichkeit. Im Jahre 1774 in Goslar als Sohn des
Stadphysikus Christoph Daniel Sternberg geboren, erfährt er eine universelle humanistische Bildung. In
Göttingen studierte er Medizin. In Elbingrode und in
Goslar wirkte er als Mediziner, bis ihn der Ruf an die
Marburger Universität zum Lehrauftrag für Pathologie
und Therapie erreicht. Mit Charlotte, der Tochter Dr.
Johann Georg Siemens, dem Bürgermeister der „kaiserlich freien Reichsstadt“ Goslar war er verheiratet.
An der „angestaubten“ Marburger Universität fiel er
der Professorenkollegenschaft schon bald durch Neuerungen negativ auf. „Zu seinen Studenten pflege er ein
zu vertrauliches Verhältnis und er behandele Patienten
kostenlos“ dies wurde ihm vorgehalten.
Seine fachlichen Qualitäten jedoch fanden trotz Neid
und Missgunst seiner Fachkollegen hohe Anerkennung.
Zu seinen Vertrauten in Marburg gehörten der Bäcker
Christian Matthäi, der Töpfer Friedrich Keppler und
der Schlosser Heinrich Josbächer. Drei Namen, die
auch der „Insurrektion“ in Marburg zugerechnet werden. Sternberg korrespondierte über medizinische
Fachthemen mit den Universitäten in Berlin und Wien.
Der preußischen Königin Luise hatte er eine Abhandlung über die Behandlung von Kinderkrankheiten zugesandt, die von ihr anerkennend schriftlich beantwortet
wurde.
Aus seiner patriotischen Gesinnung machte Sternberg,
anders als die Mehrzahl der Professorenkollegen in
184
Marburg, keinen Hehl. In Marburg war man besorgt,
dass Sternberg’s Auftreten sich zum Nachteil für den
Erhalt der Universität auswirken könnte.
Der wachsende Unmut der Bevölkerung über die Verhältnisse im „Königreich Westphalen“ , so wie in allen
Teilen Deutschlands hatte indessen längst Marburg
erfasst, als Sternberg bei den konkreten Planungen
des Aufstandes Einfluss zu gewinnen suchte. Er selbst
brachte die Nachricht ins Spiel, dass er im Auftrage
des Kurfürsten die getreuen Kurhessen, die Soldaten
und die Bürgerschaft zur Teilnahme am Aufstand bewegen sollte. Insoweit deckten sich seine Ziele mit
denen des „militärischen Kopfes“ des Marburger Aufstandes, des Oberst Andreas Emmerich. Eine unheilvolle Allianz nahm ihren Lauf.
Verzweiflungsakt zweier „Hasardeure“?
So könnte man den Aufstand des 24. Juni 1809 in
Marburg bezeichnen. Zumindest Emmerich wusste zu
diesem Zeitpunkt, dass die bisherigen Unternehmungen des hessischen Aufstandes vom April, sowie
jene des Majors Schill in Stralsund Ende Mai 1809
gescheitert waren. In Marburg hatte man zuvor Emmerich bereits mehrfach inhaftiert und zu den „Gerüchten über einen geplanten Aufstand“ verhört.
Zuletzt noch einmal Mitte Mai 1809 und sogar noch
wenige Stunden vor dem Ausbruch der Rebellion. Man
hatte jedoch den 73 Jahre alten Veteranen Emmerich
185
als „harmlos und ungefährlich“ eingestuft und stets
wieder entlassen.
Wahrscheinlich hatte die Präfektur in Marburg die
„Sache“ schon „abgehakt“, als die Spitzel des „französischen „Geheimdienstes“ über die „nicht enden wollenden Insurrektionsbemühungen“ Emmerich’s an die
Präfektur berichteten. Immerhin ließ der Präfekt in
Marburg, wegen der Unsicherheit, Truppenverstärkungen aus Mainz anfordern und die privaten Schusswaffen bei der Bevölkerung in Marburg und den Ortschaften einsammeln.
Dennoch gelang es Emmerich weiterhin, auch nach
seinen Inhaftierungen und den Verhören, mit martialischen Reden zahlreiche althessische Veteranen und
Bauern aus der Marburger Umgebung für das Vorhaben zu begeistern. Als willkommene Hilfe dürften ihm
dabei die allgemeine schlechte Stimmung unter der
Bevölkerung über die Fremdherrschaft und die Bemühungen des Professors der Medizin, Johann Heinrich
Sternberg gedient haben, der sich ebenfalls für die
Befreiung des Landes vom „fremden Joch“ einsetzte.
Sternberg’s Verbindungen zu den Teilnehmern am
späteren Aufstand liefen über den ehemaligen kurfürstlichen Korporal Siegfried Vormschlag aus Ockershausen.
Vormschlag diente Sternberg als Gärtner und Bote. Er
brachte ihn mit den alten kurhessischen Veteranen in
Ockershausen zusammen und er stellte im Vorfeld des
Aufstandes die Verbindung zu den übrigen Aufständischen aus den Nachbarorten her.
In der Gastwirtschaft Heuser in Ockershausen, Unterdorf 2, einem Treffpunkt der kurhessischen Veteranen
aus Ockershausen und den nahen Dörfern hatte Sternberg einen Brief vorgelesen, der angeblich vom Kur186
fürsten Willhelm I. stammte. Danach seien „alle Hessen aufgefordert sich zur Befreiung des Vaterlandes
bereit zu halten.“ Der Brief enthielt sogar die Androhung, dass bei Verweigerung zur Befreiung des Vaterlandes die ehemaligen kurfürstlichen Soldaten mit:
„Konsequenzen für Eigentum, Leib und Leben“ zu
rechnen hätten, denn sie seien noch immer durch
ihren Eid dem Kurfürsten verpflichtet.
Niemand hatte an der Echtheit dieses Briefes gezweifelt. Niemand sonst hatte ihn aber gelesen, oder sich
über dessen Existenz vergewissert. Auch bei der späteren Durchsuchung von Sternberg’s Haus am Renthof in Marburg wurde ein Brief des Kurfürsten nicht
gefunden.
Die in der Gastwirtschaft Heuser versammelten ehemaligen älteren Soldaten der kurhessischen Regimenter „Kospoth und Kurfürst“ waren noch immer ergrimmt darüber, dass sie durch die Besetzung Kurhessens brotlos geworden waren.
Napoleon hatte die vormaligen kurhessischen Regimenter nicht als geschlossene Kampfverbände in seine
Armee eingegliedert. Er hatte alle „tauglichen“ hessischen Soldaten auf viele Truppenteile der „Grande
Armee“ verteilt. Dadurch sollte die Gefahr des Widerstands geschlossener hessischer Kampfverbände ausgeschlossen werden. Auf die Verwendung der älteren
über 40jährigen kurhessischen Soldaten hatte Napoleon ganz verzichtet. Dabei hatte man wohl nicht damit gerechnet, dass sich in der arbeitslosen „Söldnerschar“ dieser alten Veteranen ein aufrührerisches Potential angesammelt hatte.
Auch einige junge Bauernburschen wurden von dem
„rebellischen“ Gedankengut angesteckt. Sie nahmen
begierig das monatelange, aufrührerische Gerede über
187
den geplanten Aufstand ernst und vertrauten auf Emmerich’s Plan, Marburg von der französischen Besatzung zu befreien. Damit sollte von hier aus das Fanal
eines landesweiten Aufstandes ausgelöst werden.
Der Ort Ockershausen, nur 2 km von Marburg entfernt,
stand im Mittelpunkt der Vorbereitungen des Aufstandes
vom Juni 1809 in Marburg! Foto: Gastwirtschaft Heuser.
Am Abend des 24. Juni 1809 war es so weit. Siebzehn
„Rebellen“ aus Ockershausen sowie fünf Veteranen aus
den westlichen Nachbarorten: zwei Mann aus Cyriaxweimar, einer aus Hermershausen, einer aus Oberwalgern und einer aus Wenkbach, machten sich in der
Nacht gegen 22.00 Uhr von der Gastwirtschaft Heuser
aus auf den Weg nach Marburg. Ihre Anführer waren
die ehemaligen Korporale Siegfried Vormschlag und
Daniel Muth vom Regiment Kürfürst. Zeitgleich wollte
man mit dem zweiten Trupp aus Sterzhausen und vom
Görzhäuser Hof, angeführt vom ehemaligen Korporal
Johannes Moog, gegen Mitternacht in Marburg eintreffen und die französische Besatzung in der Stadt
188
angreifen. Aber auch von Sterzhausen aus waren es
weniger als zwanzig Mann, die den Korporal Moog
nach Marburg begleiteten.
Die geringe Anzahl der Teilnehmer des Aufstands war
für die Rebellen ernüchternd. Anstatt der erhofften Anzahl von 150 – 200 hatten sich knapp 5o Mann in den
beiden „Kolonnen“ aus Ockershausen und Sterzhausen eingefunden. Hinzu kamen etliche Veteranen aus
Marburg, die unter Leitung des Leutnants Hesse von
der „Ketzerbach“ herauf zur Altstadt gezogen waren.
Die Bewaffnung der Rebellen war kläglich. Die zuvor
wiederholten Aufforderungen der Präfektur, alle Waffen abzugeben, hatten Wirkung gezeigt. Es gab nur
noch wenige Schusswaffen im privaten Besitz. Die
Rebellen waren sowieso davon ausgegangen, die französische Besatzung in Marburg zu überrumpeln und
sich in den Besitz von deren Waffen zu setzen.
Es kam gegen 23 Uhr, verfrüht und unvorhergesehen,
zu einem Schusswechsel in der Altstadt. Davon erst
wurde der Stadtkommandant von Dalwigk geweckt.
Er ahnte was geschehen war, und ließ seine Truppe,
etwa 110 Soldaten, eiligst aus der Stadt in Richtung
Elisabeth Tor abziehen. Eine Vorsichtsmaßnahme, da
er eine Übermacht bei den Rebellen vermutete. Noch
vor Wehrda machte die Truppe halt, um die Vorgänge
in Marburg bis zum nächsten Morgen abzuwarten. Ein
Bote brachte dem Stadtkommandanten von Dalwigk
nach Mitternacht die Nachricht, dass nur weniger als
fünfzig schwach bewaffnete Rebellen in die Stadt eingedrungen seien. Daraufhin führte er seine Soldaten in
zwei Kolonnen aufgeteilt zurück nach Marburg. In der
Altstadt kam es nach einigen kurzen Feuergefechten
zu Verletzten und einigen Toten auf beiden Seiten. Die
189
Rebellion aber brach zusammen, noch ehe sie richtig
begonnen hatte.
Verurteilung ,Erschießung und Begnadigung!
Etwa die Hälfte der Rebellen wurde bereits am frühen
Morgen des 25. Juni 1809 in Marburg und in der näheren Umgebung gestellt, entwaffnet und festgenommen. Der Rest war noch in der Nacht in alle Richtungen geflohen. Doch nach und nach wurden fast alle
am Aufstand Beteiligten gefasst und in das Gefängnis
beim Marburger Schloss, dem „Hexenturm“, eingeliefert.
Bereits Anfang Juli 1809, nur wenige Tage nach dem
Aufstand, wurden alle inhaftierten Rebellen von Marburg nach Kassel abtransportiert. Dort bereitete ein
eilig zusammengestelltes
Kriegsgericht die ebenso
eilige Verurteilung der Rebellen nach dem Kriegsrecht
vor. Über die Ausgangslage bestand kein Zweifel. Wer
mit der „Waffe in der Hand“ ergriffen worden war, der
hatte mit dem Schlimmsten zu rechnen. Auf bewaffneten Aufruhr stand die Todesstrafe.
Im Vordergrund der Untersuchungen des Kriegsgerichtes standen die Ermittlungen nach den Anstiftern
der Rebellion und die Feststellung der Anführer bei den
„Kampfhandlungen“.
Nach eingehenden Verhören der gefangenen Rebellen
stand das Ergebnis bald fest. Sternberg und Emmerich
waren als die Anstifter der Rebellion überführt, obwohl
beide nicht mit der „Waffe in der Hand“ festgenommen
worden waren. Hier genügten dem Kriegsgericht die
Indizien. Sternberg war am Aufstand selbst nicht beteiligt. Er lag krank zu Bett in seiner Wohnung am
Renthof in Marburg.
190
Letzte Gewissheit über die Verstrickung von Prof.
Sternberg bei den Vorbereitungen des Aufstandes ergab sich aus den ersten noch in Marburg durchgeführten Verhören der aufgegriffenen Rebellen. Nicht zuletzt
durch die bereitwilligen Aussagen einiger der Aufständischen verschaffte sich das Kriegsgericht in Kassel
Klarheit über alle Zusammenhänge der Revolte in Marburg. Die Verhöre in Kassel hatten für das Kriegsgericht letzte Gewissheit ergeben, dass Sternberg bei
den Vorbereitungen des Aufstandes aktiv mitgewirkt
hatte. Einige der gefangenen Aufständischen versuchten durch Denunziation, „ihre eigene Haut“ zu retten.
Wie den Verhörprotokollen zu entnehmen ist, brachte
Wendel Günther aus Sterzhausen durch belastende
Aussagen andere Mitstreiter und Unbeteiligte in Gefahr.
Daniel Muth „bezichtigte ohne Not“ einen Nachbarn
aus Ockershausen der Mittäterschaft am Aufstand. Es
sollte beide nicht vor ihrem Schicksal bewahren.
Die Urteilsverkündung und Vollstreckung erfolgte
rasch. Um eine nötige „abschreckende Wirkung“ auf
die in Unruhe versetzte Bevölkerung im Lande zu erzielen, wurden am 18. Juli 1809 Oberst Andreas Emmerich und Professor Johann Heinrich Sternberg als
Rädelsführer des bewaffneten Aufstandes „zum Tode
durch Erschießen“ verurteilt. Ebenfalls wurden die „mit
der Waffe in der Hand“ aufgegriffenen: Daniel Muth,
Friedrich Höhl, Daniel Haferkorn und Johannes Muth
aus Ockershausen, Christian Matthäi und Friedrich
Keppler aus Marburg, sowie Wendel Günther aus
Sterzhausen zum „Tod durch Erschießen“ verurteilt.
Am Morgen des 18. Juli 1809 wurde das Urteil an
Andreas Emmerich im Kasseler Forst vollstreckt.
191
Die Vollstreckung des Urteils an Professor Sternberg,
an Daniel Muth und Wendel Günther erfolgte am 19.
Juli 1809.
Die herzergreifenden Briefe, die Professor Sternberg
aus der Todeszelle in Kassel an seine hochschwangere
Ehefrau Charlotte richtete, geben Anhaltspunkte dafür,
dass Sternberg im Vergleich zu Andreas Emmerich
kein „blindwütiger Draufgänger“ gewesen sein kann.
Seine Beweggründe lagen in dem Wunsch nach Beendigung des bedrückenden Zustands, der durch die Zeit
der französischen Dauerbesatzung in Kurhessen eingetreten war. Zu spät hatte Sternberg erkannt, dass
der alte 73jährige Veteran Andreas Emmerich um jeden Preis ein „letztes Gefecht“ gegen die ungeliebten
Franzosen - ohne Rücksicht auf den unvermeidlichen
Ausgang - führen wollte. Er erkannte, dass er selbst
hierbei für Emmerich nur „Mittel zum Zweck“ bei der
Vorbereitung des Marburger Aufstandes war.
Nach der Erschießung der vier Verurteilten am 18. und
19. Juli 1809 war für König Jerome von Westphalen
die gewünschte „abschreckende Wirkung“ erzielt und
die Erwartung damit verbunden, „dass durch die
Begnadigung der übrigen zum Tode Verurteilten, die
Untertanen den schuldigen Gehorsam wahren und von
weiteren strafbaren Eingebungen abgehalten werden“
Per „Decret“ vom 29. Juli 1809, unterzeichnet von Hyronimus Napoleon König von Westphalen, wurden die
zum Tode verurteilten: Johannes Muth, Friedrich Höhl
und Daniel Haferkorn aus Ockershausen sowie Christian Matthäi und Friedrich Keppler aus Marburg begnadigt. Ihnen wurden allerdings „hohe Verfahrenskosten“ der Militärgerichtsbarkeit auferlegt.
192
Die Befreiung vom französischen Joch wurde indessen
nicht aufgegeben. Die Ereignisse, die den wahnsinnigen Krieg der „Grande Armee“ in Russland in den Jahren 1812/13 folgten, führten bald zum Untergang Napoleons. Die Völkerschlacht des Jahres 1813 bei Leipzig läutete das Ende des Korsen ein. In der letzten
großen Kriegshandlung, der Schlacht bei Waterloo im
Jahre 1815, wird die Niederlage Napoleons endgültig
besiegelt.
Fazit
Wie ist es zu erklären, dass die Geschichte des „Marburger Aufstandes“ vom Juni 1809 bei den Marburgern
fast gänzlich in Vergessenheit geraten konnte? Die
Begleitumstände der französischen Besetzung hatten
letztlich bewirkt, dass der größte Teil der Bevölkerung
im Lande dieser Belastung überdrüssig war, so auch
in Marburg. Westphalen konnte sich nicht als wirklich
anerkannter Staat beim Volk etablieren. Die Ausnahme
bilden hier einige Kreise des Bildungsbürgertums. Erfolglosen Widerstand gegen Napoleon gab es an zahlreichen Orten in seinem eroberten Imperium. Vielfach
werden die „Helden“ als Martyrer noch heute gefeiert:
wie Andreas Hofer in Tirol, die Gefallenen des „Dörnbergaufstandes bei Kassel“ und andere.
Und in Marburg?
Ein vergessener Gedenkstein, an einem vergessenen
Platz. Nur wenige Marburger kennen den Gedenkstein
nebst der Gedenktafel Tafel, die 100 Jahre nach den
Ereignissen des Aufstandes von 1809 vom „Marburger
Geschichtsverein“ „versteckt“ zwischen Dammelsberg
und Schloss aufgestellt wurde.
193
Spekulationen über die „Verdrängung“ eines
patriotischen Ereignisses in Marburg!
1. Universität, Studenten und Bildungsbürgertum!
Sie standen in Marburg den Reformen, die mit dem
französischen, revolutionär orientierten Staat Einzug
gehalten hatten, überwiegend positiv gegenüber.
Die in Deutschland aufkommende patriotisch gesinnte
Stimmung mit dem Ziel der Errichtung eines Einheitsstaates fand hier zunächst kein Echo. Die „Vertreibung“ des Kurfürsten hatte man in Marburg unpatriotisch und unspektakulär ertragen.
Gegenüber dem neuen Staat „Westphalen“ empfand
man Dankbarkeit, wegen der Erhaltung der Universität
Den einzigen Besuch Jerome’s in Marburg, im Dezember 1807 hatte man jubelnd gefeiert. Jubelnd begrüßte man auch die Rückkehr des Kurfürsten im Jahr
1813. Wie aber sollte man dem Kurfürsten die eigene,
unpatriotische Haltung bei den Aufständen gegen
Napoleon in Marburg erklären?
Am Besten, wie geschehen: „tot schweigen“
2. Die Marburger Bürgerschaft!
Die Marburger Bürgerschaft teilte die zuletzt überwiegend antifranzösische Stimmung im Lande. In den
Gaststätten wetterte man über die Belastungen, über
die kostenlosen Einquartierungen der Franzosen zu
Lasten der Bürger und die ständig steigenden Abgaben
für Napoleons Armee. Offen wurden Gerüchte über
bevorstehende Aufstände diskutiert. Als schließlich der
194
Aufstand in Marburg zur Unzeit startete, ging man –
zum Glück für die Stadt Marburg - in „volle Deckung“.
„Unter den Tisch seien sie gekrochen, vor Angst“, so
wurde es später in den Gaststätten in Ockershausen
hämisch kolportiert.
Wie hätte die Bürgerschaft dem Kurfürsten die unpatriotische Haltung beim Aufstand erklären können?
Er hat sie nicht danach gefragt. Gott sei Dank!
3) Warum stellte der Kurfürst keine Fragen
an seine Untertanen in Marburg, wegen
deren Desinteresses bei den Aktionen zur
„Befreiung“ Kurhessens?
Wie hätte er erklären sollen, dass er selbst dem Baron
Wilhelm von Dörnberg die notwendige Unterstützung
versagte, als dieser eindringlich die Aufstellung eines
hessischen Expeditionsheeres forderte?
Kurfürst Willhelm I. hatte nicht auf die „Volksbefreiung“ gesetzt, er hoffte, wie geschehen, auf die Allianz
der „europäischen Mächte“ und auf die Restauration,
die letztlich ab 1815 die alte Fürstenmacht weitgehend wieder herstellte.
In der Marburger Bürgerschaft geriet das Ereignis
zunächst total in Vergessenheit. Es sollte mehr als 50
Jahre dauern, bis letztendlich erste Versuche der
historischen Aufarbeitung des Marburger Aufstandes
erfolgten. In der aufkommenden patriotisch-nationalistischen Phase in Deutschland der Jahre nach 1870
erinnerten sich Marburger Historiker sehr wohl daran,
dass die klägliche Rolle der Marburger Professorenschaft, der Bürgerschaft, und der Studentenschaft in
195
der kurfürstlichen Zeit nur sehr schwer als eine „patriotische Glanzleistung“ gelten konnte.
Das Vergessen der Ereignisse des Jahres 1809 hatte
jedoch auch positive Seiten.
Nicht nur die Marburger Bürger haben den Aufstand in
ihren Mauern gegen Napoleon verdrängt. Dieses „Vergessen“ verhinderte auch, dass im „tausendjährigen
Nazireich“ die Marburger Nationalsozialisten das „patriotische“ Ereignis für ihre Zwecke missbrauchten.
Sie wussten nichts davon. Ein Glück für Marburg!
Dem ausführlichen Bericht von Udo Muras haben
wir es zu verdanken, dass ein dunkles und vergessenes Kapitel der Marburger Geschichte ein
wenig beleuchtet werden kann.
196
Anlage 1 zu Teil IV
Der „Westphälische Moniteur“ die Regierungszeitung
berichtet über den Aufstand von 1809 in Marburg. Es
waten natürlich keine 500 Rebellen, sondern 50!
197
Aus Materialien des Staatsarchivs Marburg
Anlage 2 zu Teil IV
Ordnungsgemäß abgerechnet: Die Kosten der eingekerkerten zum Tode verurteilten Rebellen aus Marburg.
Nicht alle Verurteilten wurden hingerichtet:
Siehe Begnadigungshinweise von König Jerome.
198
Aus Materialien des Staatsarchivs Marburg
Anlage 3 zu Teil IV
Begnadigung durch König Jerome
„Also befehlen wir die Vollstreckung unseres Urteile an
Friedrich Höhl, Johannes Muth, Daniel Haferkorn aus
Ockershausen, an Friedrich Kepler und Christian Matthäi
wg. Aufruhrs angeklagt, amnestiert auszusetzen 1809.“
Acta Publikationen des königlichen Begnadigungsbriefes.
Aus Materialien des Staatsarchivs Marburg Best. 265.3
199
Kirchliches Leben am Schlossberg!
Im Mittelpunkt des gemeinschaftlichen Lebens stand
auch am Schlossberg die Gemeinschaft der Menschen
mit ihrer Kirche. In der unmittelbaren Nachbarschaft
der Familien der Burgmänner befand sich seit dem
ausgehenden Mittelalter die Pfarrkirche „Unserer lieben
Frauen Marien“.
Der Bau dieser Kirche erfolgt zeitgleich mit der Entstehung der Höfe der „Burgmannen“ in der Ritterstrasse. Die begüterten Familien unterstützten und
förderten nicht nur den Kirchenbau, sondern wie die
Kirchenbücher ausweisen, steuerten sie zu allen Zeiten
ihr Schärflein zur Erhaltung der großen Stadtkirche
bei. Die späteren Bewohner der Häuser in der Ritterstrasse, die nach und nach an die Stelle der Burgmannfamilien treten werden, gehören zu den Notabeln
und den Patriziern die auch im kirchlichen Leben der
Stadtbürgerschaft eine herausgehobene Stellung einnehmen. Das kirchliche Leben beschränkte sich jedoch nicht alleine auf die Stadtkirche. Auch in der
Schlosskapelle fanden bei besonderen Anlässen kirchliche Veranstaltungen statt, an denen die Bürgerschaft
teilnehmen konnte. Dem steigenden Bedarf an Gotteshäusern für die wachsende Gemeinde Rechnung
tragend, entsteht gegen Ende des 15. Jh. die Kugelkirche. Auch im benachbarten Kerner finden Gottesdienste statt, bei Ausfall der Stadtkirche wg. Renovierungs- und Umbaumaßnahmen. Der Kirchenstreit in
Marburg hat seine Spuren ebenfalls am Schlossberg
hinterlassen, ohne das Fortbestehen der Kirche zu
gefährden.
200
Marburger Heilig-Kreuzkapellen,
Gotteshäuser und Kirchen im Mittelalter!
Der Kilian
Das eigenständige kirchliche Leben entwickelt sich in
Marburg parallel zur Entfaltung des Ortes, von der
dörflichen Ansiedlung am Burgberg zur Stadt.
Zunächst gehört Marburg kirchlich zur Mutterkirche
St. Martin in Oberweimar. Eine frühe Filiale entsteht
um das Jahr 12oo in Marburg mit dem Bau der Marktkirche St. Kilian. Dort befindet sich auch der erste
Totenhof der noch jungen Stadt. Im Jahre 1227
bestätigt Erzbischof Siegfried II. von Mainz die Trennung der Kirche zu Marburg von der Pfarrkirche zu
Oberweimar. Nach der Entstehung weiterer, größerer
Kirchen in Marburg verliert der Kilian seine kirchliche
Bedeutung. Der Kirchenbau erfährt zahlreiche bauliche
Veränderungen und dient verschiedenen wirtschaftlichen Zwecken im Stadtleben. Hierbei ist die langjährige Verwendung des Kilian als Zunfthaus der Marburger Schuhmacher zu erwähnen. Am Vorplatz des
Kilian befindet sich die Stadtwaage.
Der Kilian, erste Kirche in Marburg, erbaut um 1140!
201
Kirche „Unserer lieben Frauen St. Marien“
Die lutherische Pfarrkirche zu Marburg!
Die Pfarrkirche am Schlossberg mit dem markanten
schiefen Turm ist für viele Jahrhunderte die zentrale
Stadtkirche. Sie entstand an der Stelle einer vormaligen Heiligkreuz oder Marienkapelle.
Im Mai 1297
wurde die Kirche geweiht. Schon zuvor wurde der
Totenhof am Kilian geschlossen und ein neuer Stadtfriedhof entstand vor der Pfarrkirche St. Marien.
Dieser Totenhof befand sich auf dem schönsten Platz
der Stadt. Auch dieser Friedhof war bald zu klein.
Insbesondere war er der großen Anzahl der Toten die
den vielen Pestepidemien zum Opfer fielen nicht mehr
gewachsen. Die kaum verwesten Gebeine wurden bald
wieder ausgegraben und im Beinhaus des nahen Kerners beigesetzt. Ab 1560 werden bis zum Jahr 1784
nur noch sehr begrenzt Beisetzungen auf dem Totenhof stattfinden.
202
Die Elisabethkirche
Die Elisabethkirche ist neben dem Schloss das markanteste und ausdrucksvollste Bauobjekt in Marburg.
Noch bedeutungsvoller ist für Marburg allerdings die
Geschichte ihrer Entstehung, die sich um das kurze
Leben der heiligen Elisabeth rankt. Ihr Wirken ist ursächlich und unverbrüchlich mit der Hessischen und
der Geschichte Marburgs verbunden.
Weit vor den Toren der Stadt hatte sich Elisabeth niedergelassen, um hier ihr Leben im Dienste für die
Kranken und Armen zu beschließen. An der Stelle der
von ihr errichteten Franziskuskappelle entsteht der
markanteste und berühmteste Marburger Kirchenbau,
an der Elisabeth ihre letzte Ruhe finden wird.
Schon bald nach ihrem frühen Tode steht die Kirche im
Zentrum des hier entstehenden mittelalterlichen Wall203
fahrtsortes, der zum Anziehungspunkt für unzählige
Pilger wurde.
Der Kirchenbau beginnt im Jahre 1235 mit der Grundsteinlegung. Am 1. Mai 1283 wird die Kirche geweiht.
wie alle übrigen Kirchen in Marburg erlebte auch die
Elisabethkirche in den Wirren der zahlreichen Kriege
entwürdigende Verwendungen, als Fruchtspeicher, als
Viehstall oder als Lazarett.
All dies übersteht die Elisabethkirche ohne Schaden zu
nehmen, um uns heute, inmitten einer neu gestalteten
Umgebung, noch eindrucksvoller als je zuvor zu begegnen.
Dominikaner Kloster Dominikanerkirche
Gegen Ende des 13. Jh. nehmen der nach Dominikus
benannte Mönchsorden der Dominikaner und der Orden der Franziskaner, in Marburg als Barfüßerorden
genannt, innerhalb der Stadtmauern ihr Quartier.
204
Mit dem Bau des Dominikanerklosters an der süd-ost
Ecke der Stadt entsteht um das Jahr 1290 die Kirche
der Dominikaner. Die Klosteranlagen werden im Zuge
der Reformation und der Gründung der ersten evangelischen Universität durch Landgraf Philipp von Hessen nach 1527 der neuen Hochschule als Heimstatt
und Bildungsstätte zugewiesen.
Nach den Zwistigkeiten, die in Marburg zwischen der
lutherischen und calvinistischen Kirche im 17. Jh. ausgetragen wurden, dient die Dominikanerkirche, inzwischen Universitätskirche genannt. bis heute der „reformierten evangelischen Kirche“ in Marburg als Gotteshaus.
Franziskaner (oder Barfüßer) Kirche
im Bereich des Klosters der Barfüßer Mönche vor
dem (Barfüßer) Stadttor - Baubeginn um 1290
Die Barfüßer Mönche des gleichnamigen Bettelordens
leiten ihren Namen nach ihrer äußerlich schlichten Bekleidung ab. Sie waren im Prinzip Glieder des Ordens
des hl. Franziskus (Franziskaner)
links: ehemaliges Franziskanerkloster
205
Nach dem Verlassen des Klosters der Barfüßer Mönche
im Zuge der Reformation in Hessen (1528) wurde die
Klosteranlage der neuen Universität übergeben und
diente zunächst der medizinischen und der philisophischen Fakultät als Wirkungsstätte.
Die spätere Barfüßer Kapelle diente 1560 – 1865 als
Totenkapelle für den dortigen Totenhof, der nach der
Schließung des Friedhofes vor der lutherischen Pfarrkirche hier eingerichtet wurde. Nahe der alten Kapelle
befindet sich heute die kleine Auferstehungskirche.
Kugelkirche
(Kirche St. Johannes Evangelist)
Baubeginn 1492 - geweiht 1520
Die Kirche der Gemeinschaft der „Brüder vom gemeinsamen Leben“- genannt die Kugelherren - ist zugleich
mit dem angrenzenden Kloster des Ordens am Burgberg zu Marburg das Domizil des dritten Mönchsorden
innerhalb der Stadtmauern. Während die Mönche des
Barfüßer Ordens und des Dominikaner Ordens Marburg
nach der Reformation verlassen, verbleiben die Kugelherren in Marburg. Die Kugelkirche bleibt bis heute
Gotteshaus und Zentrum der katholischen Kirchengemeinde in Marburg.
206
Der Kerner
Der Kerner in der Ritterstrasse, in der unmittelbaren
Nachbarschaft zur Pfarrkirche, gehört wohl zu den geheimnisvollsten Gebäuden der Marburger Altstadt.
Vielfältige Verwendungen und Nutzungen begleiten das
massive Haus aus dem Mittelalter. Noch immer weisen
die sakralen Bauelemente auf seine kirchliche Vergangenheit hin.
Als Rathaus diente es für Marburg bis zum Jahre 1527.
Der Kerner beherbergte das Beinhaus für die Stadt,
um die Gebeine der Verstorbenen aufzunehmen, weil
der nahe Totenhof die zahlreichen in den Epidemien
Verstorbenen nicht mehr aufnehmen konnte.
207
Kirchen und Kapellen außerhalb der
historischen Stadtmauern:
Pilger- und Wallfahrtskappelle St. Michael
Baubeginn 1272 (Michelchen)
Pilger- und Siechenkapelle St. Jost
Weidenhausen Baubeginn um 1310
Totenhof für Weidenhausen, heute: Andachten,
Hochzeiten, Taufen
Untergegangene Marienkapellen
Kreuzkapellen -Wallfahrtskapellen
Kreuzkapelle (Kerner) neben der
Marienkirhe/luth. Pfarrkirche um 1261
Kreuzkapelle am unteren Barfüßer Tor –
am Weg nach Ockershausen 13 Jh
Kreuzkapelle vor der Weidenhäuser Lahnbrücke
Kreuzkapelle am Elisabethbrunnen
(Schröcker Brunnen)
Waldbrüder - Eremiten - Klausner,
Einsiedler und Wallfahrtskapellen
um Marburg
Einsiedelei am im Eselsgrund
der Name ist abgeleitet von:
Einsiedel – Esidelsgrond - Eselsgrund
Einsiedlerhäuschen am Michelchen
(vor Errichtung der dortigen Wallfahrts- Pilgerkapelle)
208
Einsiedelei im Lahnberg
„Brudershäuschen“
Einsiedelei und Kreuzkapelle am
Elisabethbrunnen bei Schröck
Pfarrer Johannes Strack, der im „Kalandshaus“
(Ritterstrasse 9) wohnte. berichtet:
„Der letzte Klausner (Einsiedler) der Kreuzkapelle am
Elisabethbrunnen, die zugleich auch Wallfahrtskapelle
gewesen ist, war der arme „Henche“ aus Mardorf“
Wallfahrtskapelle Wehrhausen geweiht 1339,
später Marienkirche ab 1475
Nach Einführung der Reformation wurden die
Heiligkreuzkapellen und Wallfahrtskapellen um
Marburg aus dem kirchlichem Gebrauch genommen.
Sie wurden nach und nach abgebrochen.
Die katholischen Enklaven um Marburg
nach der Reformation des Jahres 1527!
Die Patronate der ehemaligen, Mainzischen, katholischen Ortschaften in der Nähe der von Marburg: Bauerbach, Schröck, Ginseldorf und Himmelsberg, wandten sich nach dem Jahre 1530 mit ihren Pfarrern, wie
das übrige Marburger Umland, der Reformation zu.
Die Rückorientierung der Orte Schröck, Bauerbach,
Ginseldorf und Himmelsberg zum katholischen Glauben erfolgte über 80 Jahre später, nach Verhandlungen des Landgrafen Moritz von Hessen mit dem kurfürstlichen Mainz, im Rahmen eines vereinbarten Gebietsaustausches.
209
Danach wurden die Orte Schröck, Bauerbach, Ginseldorf und Himmelsberg im Jahre 1608 wieder katholisch, im Austausch gegen die vormals Mainzischen
Orte: Eppstein, Nordenstadt und Oberliederbach, die
nun ihrerseits vom katholischen zum evangelischen
Glauben wechselten.
210
Marburger Stadttore und Pforten!
Landgraf Philipp Tor
1 Kalbstor
westlicher Ausgang der Burgstrasse
(Ritterstrasse)
2 Barfüßer Tor
neben dem Barfüßer Kloster, Hauptstadttor
nach Westen
keine Ansicht verfügbar
211
3 Lahntor
östlicher Ausgang der Untergasse
4 Hundsturmpforte
Torturm und Gefängnis in der Untergasse
5 Dominikanerpforte am Dominikaner Kloster, an der
Mühltreppe
212
Keine Ansichten verfügbar Stadttore 6 - 14
6 Frohnhofpforte
am Frohnhof zum Grind (Grün)
7 Grindpforte
am süd-westlichen Ende des Grüns
8
Hildweinspforte
9
Kesselpforte
am Ende Wettergasse und Anfang der
Neustadt
am unteren Ende der Neustadt
(bei Haus . No 363)
unterhalb des Renthofes zur Ketzerbach
10 Renthofpforte
11 Ketzerbachpforte
12 Schnellhartspforte
13 Bilchensteinpforte
14 Weidenhäuser Tor
nord-westlicher Stadtausgang nach
Marbach (bei Haus. No 470)
unterhalb der St. Michaelskapelle – neben
dem Deutschen Haus, Nordausgang
vor dem Pilgrimstein (Hs. No 559)
Torhaus und Wegegeldstation an der
Weidenhäuser Brücke
15 Torturmhaus Burgfriede
am Ortsende von Weidenhausen zur
Zahlbach Haus No 703 u 704)
213
Quellen: Teil I
Dr. Carl Knetsch
Der Forsthof und die Ritterstrasse zu
Marburg mit Zeichnungen von
Otto Ubbelohde,
Verlag von Adolf Ebel, früher:
Ehrhardts Universitätsbuchhandlung
Marburg 1921
Dr. Wilhelm Bücking
Geschichtliche Bilder aus Marburgs
Vergangenheit, Elwert’sche
Verlagsbuchhandlung Marburg 1901
Wilhelm Kolbe
Marburg im Mittelalter
Elwert’sche Verlagsbuchhandlung
Marburg 1878
Dr. Wilhem Bücking
Geschichte und Beschreibung der
lutherischen Pfarrkirche, der Pfarrkirche: „Unserer lieben Frauen St. Maria“ in Marburg
Elwert’sche Verlagsbuchhandlung
Marburg 1899
Reinhold Drusel
775 Jahre Ockershausen 1234-2009
Jubiläumsbuch, Druckhaus Marburg
Wilhelm Scheffern
- genannt Dillich -
Hessische Chronika, zusammengetragen und zu Kassel gedruckt
durch Wilhelm Wessel Anno 1605
Uwe Schultz
Die Geschichte Hessens
Konrad Theis Verlag Stuttgart 1983
Gerd Bauer u.a.
Die Geschichte Hessens
Eichborn Verlag Frankfurt/M 2002
214
Stadt Marburg
Marburger Geschichte
Rückblick auf die Stadtgeschichte
in Einzelbeiträgen
J. A. Koch Druckerei und Verlag
Marburg 1980
Wilhelm Kessler
Geschichte der Universitätsstadt
Marburg in Daten und
Stichworten ISBN3 923820-0
J. A. Koch Druckerei und Verlag
Marburg 1984
Bildquellen/Skizzen/Zeichnungen:
Otto Ubbelohde
Ferdinand Justi
Zeichnungen und Skizzen
Zeichnungen und Skizzen
Historische Fotografien aus Marburg
Christian Hach
Ludwig Bickel
M. Paar
Otto Damm
Carl Dern
G. Braun
H. Unckel
Digitale Fotografien
R. Drusel
Quellen: Teil II
Dr. Wilhelm Bücking
Geschichtliche Bilder aus Marburgs Vergangenheit
Begebenheiten dreißigjährigen Krieg
Elwert’sche Verlagsbuchhandlung Marburg 1901
215
Walter Kürschner
Marburg im Jahre 1645
Elwert’sch Verlagsbuchhandlung
Marburg 1909
Wilhelm Kolbe
Marburg im Mittelalter
Elwert’sche
Verlagsbuchhandlung Marburg 1879
Caspar Preis
Bauernleben im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges
Stausebacher Chronik
Verlag Trauvetter u. Fischer
Nachf. Marburg 1998
DAMALS
Das Magazin für Geschichte
und Kultur
1970 Heft 5 416 ff Bernhard Bachmann
Der böhmische Aufstand
1972 Heft 9/ 803 ff “Tilly erobert Magdeburg”
Bernhard Bachmann, Gustav
Ferytag, Friedrich Schiller u.a.
Peter Milger
Kurt Beck
Gerd Bauer .
Gegen Land und Leute
Der Dreißigjährige Krieg
Bertelsmann Verlag München 1998
Die Geschichte Hessens S 95 ff
Der Bruderzwist im Hause Hessen
Konrad Theiss Verlag Stuttgart 1983
Die Geschichte Hessens S 159 ff
Eichborn Verlag Frankfurt 2002
216
Stadt Marburg
Marburger Geschichte
Rückblick auf die Stadtgeschichte in
Einzelbeiträgen Marburg 1980
J. A. Koch Druckerei und Verlag
Wilhelm Kessler
Geschichte der Universitätsstadt
Marburg in Daten und Stichworten
J. A. Koch Druckerei und Verlag
Marburg 1984
Quellen Teil III
Dr. Wilhelm Bücking
Geschichtliche Bilder aus Marburgs Vergangenheit
Begebenheiten aus dem siebenjährigen Krieg
Elwert’scheVerlagsbuchhandlung Marburg 1901
Christoph von Rommel
Die Geschichte von Hessen
DAMALS
Das Magazin für Geschichte und Kultur
1988 Heft 1 u. 2 Werner Hollfort
Schlacht bei Minden 1759
Kurfürst Wilhelm I.
„Wir Wilhelm von Gottes Gnaden
Lebenserinnerungen des Kurfürsten
Wilhelm I. von Hessen-Kassel
Campus Verlag Frankfurt 1996
217
Gerd Bauer u. a.
Die Geschichte Hessens S 209 ff
Eichborn Verlag Frankfurt 2002
Stephan Schwanke
Die gezähmte Bellona - Bürger und Soldaten in den
hessischen Festungs- und Garnisonsstädten Marburg
und Ziegenhain Tectum Verlag Marburg 2004
Magistrat der Stadt Marburg
Marburger Geschichte Rückblick auf die
Stadtgeschichte in Einzelbeiträgen
J. A. Koch Druckerei und Verlag Marburg 1980
Wilhelm Kessler
Geschichte der Universitätsstadt Marburg
in Daten und Stichworten ISBN3 923820-0
J. A. Koch Druckerei und Verlag Marburg 1984
Weitere Quellen und Textvorlagen:
Stadtarchiv Marburg
Stadtschriften historische Pläne
Staatsarchiv Marburg:
Urkunden, historische Texte und Pläne
Universitätsbibliothek Marburg
ausgewählte Hinweise, Texte und Urkunden
Magistrat der Stadt Marburg:
ausgewählte Stadtschriften
DAMALS historische Monatszeitschrift
ausgewählte Beiträge
218
Quellen: Teil IV
Udo Muras
Ein vergessenes Kapitel der Marburger Gechichte aus
napoleonischer Zeit Marburger Stadtschriften zur
Geschichte und Kultur Bd.
Reinhold Drusel
775 Jahre Ockershausen 1234 – 2009
Jubiläumsschrift S 111 ff
Druckhaus Marburg 2009
DAMALS
Das Magazin für Geschichte und Kultur
1972 Heft 9
Paul C. Ettighoffe Die Kanonade von Valmy
1992 Heft 1
Eckhard Klessmann Die Mainzer Republik
2003 Heft 11 S 58 ff
Michael Fuhr Beutekunst in Napoleonischer Zeit
2009 Heft 6 S 24 ff Oster
Die Koalitionskriege 1782 – 1815
Stadt Baunatal
Der Dörnbersche Aufstand
Chronik der Stadt Baunatal Band 3
W. Theopold
Aufsatz: Prof. Dr. Johann Heinrich Sternberg
von Dr. med. W. Theopold, Privatdozent Frankfurt
219
Kurfürst Wilhelm I.
„Wir Wilhelm von Gottes Gnaden“
Lebenserinnerungen des Kurfürsten Wilhelm I. von
Hessen-Kassel, Campus Verlag Frankfurt 1996
Gerd Bauer u.a.
Die Geschichte Hessens S 209 ff
Eichborn Verlag Frankfurt 2002 ISBN 3-8318-1750-X
Der Magistrat der Stadt Marburg
Marburger Geschichte Rückblick auf die
Stadtgeschichte in Einzelbeiträgen
J. A. Koch Druckerei und Verlag Marburg 1980
Wilhelm Kessler
Geschichte der Universitätsstadt Marburg
in Daten und Stichworten ISBN3 923820-0
J. A. Koch Druckerei und Verlag Marburg 1984
220
Mediendateien – Biografien - Lebensdaten
sonstige Quellen - Familienportraits
Arnim, von
Baumbach, von
Brentano, von
Berlepsch, von
Bicken, von
Blücher, von
Carl , Landgraf
Dörnberg, von
Amalie-Elisabeth Landgräfin
Georg II. Landgraf
Goeddaeus
Gerstenberger
Gneisenau
Grimm
Hinrich I
Landgraf
Heinrich IIi. Landgraf
Holzapfel
Katte
Günderrode
Krafft, Adam
Ludwig II Landgraf Thüringen
Milchling Landkomtur
Moritz Landgraf
Philipp Landgraf
Pappenheim
Riedesel
Savigny
Scheuernschloss
Sophie von Brabant
Stauff Obrist
Tilly
Vultee
Wilhelm II. III. IV. V. Landgrafen
Todenwarth Reichsfreiherr
u.a.
221
Ich danke einigen Freunden und Bekannten, die mir bei der
Herstellung dieses Beitrages über die (fast) vergessenen
Geschichten aus unserer schönen, alten Stadt Marburg
hilfreich zur Seite standen.
Insbeondere danke ich Erich Schneider, für die akribische
Begleitung bei der Gestaltung des historischen Reportes.
Reinhold Drusel
222
223
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