POLIS 4.0 Oder: Was wir in Zeiten der bevorstehenden vierten industriellen Revolution von den Menschen der antiken Polis lernen können Klaudia Weber, Franz Bailom, IMP Die industrielle Produktion wird zusehends von Informationstechnologien durchdrungen und Schlagworte wie Industrie 4.0, Smart Factory, cyber-physische Systeme und Big Data kursieren immer öfter in den Medien. Von der vierten industriellen Revolution ist die Rede, die nicht nur eine „neue Produkt­ ion“ einleiten wird, sondern auch eine veränderte Arbeitswelt. Wie könnte eine Gesellschaft funktionieren, wenn intelligente, technische Systeme zusehends menschliche Arbeit ersetzen? Dieser Frage gingen wir im Gespräch mit dem Philosophen Konrad Paul Liessmann (Leiter des Forschungsbereiches „Philosophie und Öffentlichkeit“ am Institut für Philosophie der Universität Wien) nach. Dabei kamen wir recht schnell auf die antike Polis zu sprechen und erfuhren von ihm, warum … –wir uns vor dem Schreckensszenario einer menschenleeren Fabrik nicht fürchten müssen, 06 2015 139 –die antike Polis ein spannendes Gesellschaftsmodell in einer völlig anderen Wirtschaftswelt sein könnte, –sich dafür aber ein radikal verändertes Verständnis von Wirtschaft, Arbeit und Freizeit durch­ setzen muss. Die Produktionsmaschinen der Zukunft sind mit Prozessoren, Sensoren und Funkverbindungen ausgestattet. Sie kommunizieren nicht nur untereinander, sondern vor allem auch mit den Produkten, die sie herstellen sollen. Sie sind selbstorganisiert, optimieren Abläufe, überprüfen Lagerbestände und Produktionsstände, bestellen eigenständig nach und rüsten um. Auch auf Störungen und Ausfälle reagieren sie rasch und kompetent. Das hat durchaus Vorteile: eine starke Individualisierung der Produkte unter den Bedingungen einer hochflexibilisierten Produktion. Kundenwünsche können rascher umgesetzt und selbst kleine Produktionsmengen oder gar Einzelstücke kostengünstig produziert werden. Doch was heißt das für uns Menschen? Denn in einer Fabrik voller intelligenter Roboter, die zusehends auch von sich selbst lernen, wird EINES wohl bald nicht mehr gebraucht werden: der Mensch. Ein Grund, sich zu fürchten? Nein, meint Professor Liessmann. Denn: Die Menschheit hat immer schon nach Wegen gesucht, um nicht selbst arbeiten zu müssen Liessmann: Früher ließ man andere für sich arbeiten: Das waren die Sklaven. Heute sind es entsprechende Technologien, Maschinen und Roboter. Eigentlich ist es deshalb erstaunlich, dass wir es zunehmend als bedrohlich emp­ finden, dass uns Maschinen Arbeit abnehmen. Deswegen haben wir sie doch erfunden! Und je intelligenter diese Maschinen sind, desto bes­ ser können sie uns auch komplexe, anstren­ gende, eintönige oder langweilige Arbeiten abnehmen. Sobald aber die „Entlastung“ in den Bereich der GEISTIGEN Arbeit fällt, taucht sofort die Frage auf: „Werden wir Menschen überflüssig? Werden wir von einer künstlichen Intelligenz abgelöst?“ Dabei ist folgender Punkt wichtig: Auch wenn die Entwicklung im Bereich der künstlichen Intelligenz sehr stark voranschreitet – man spricht mittlerweile von „brillanten Robo­ tern“ –, ist der Mensch nach wie vor der letzte Adressat. Denn die Roboter, die in Zukunft iPhones zusammenbauen werden, tun dies für UNS. Roboter brauchen keine Handys. Und jene intelligenten Pflegeroboter, die anstelle ei­ nes menschlichen Pflegers eingesetzt werden, pflegen MENSCHEN – und keine Roboter. Solange also wir die letzten Adressaten von Automatisierungs- und Technisierungspro­ zessen sind, müssen wir uns in Wahrheit nur folgende Frage stellen: Wenn all diese Arbeiten von Maschinen geleistet werden – was fängt der Mensch dann mit seiner „übrigen“ Zeit an? Und weitergedacht: Welche gesellschaftlichen Konsequenzen haben diese Entwicklungen? Denn selbst wenn der Mensch der letzte Ad­ ressat und somit „Konsument“ bleibt, lässt sich sehr schnell feststellen: ohne Einkommen kein Konsum! Hier kommt – ob man es nun will oder nicht – die Diskussion rund um das bedingungslose Grundeinkommen ins Spiel. Denn wenn jene Firmen, die künftig ihre Mobiltelefone von RO­ BOTERN herstellen lassen, einen Gewinn ma­ chen, muss dieser Gewinn auch anders verteilt werden: nämlich an diejenigen, die ihre Arbeit verloren haben und auch keine andere mehr finden werden, weil Automatisierung und Tech­ nisierung immer weiter um sich greifen werden. Eine dringliche Frage lautet daher: Warum sollte nur menschliche Arbeitskraft besteuert werden, maschinelle hingegen nicht? Liessmann: Ich bin der Meinung: Es führt kein Weg an der „Maschinensteuer“ vorbei. Die „Früchte“ von Produktivitätsfortschritten, die durch Technik erzeugt worden sind, müssten an IMP Perspectives 140