Praxeologische Mediensozialisationsforschung

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Zu den Autorinnen:
Ingrid Paus-Hasebrink ist Professorin und Leiterin der Abteilung für Audiovisuelle und OnlineKommunikation am Fachbereich Kommunikationswissenschaft sowie Dekanin der Kultur- und
Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg.
Jasmin Kulterer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin (Dissertantin) in der Abteilung für Audiovisuelle
und Online-Kommunikation am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg sowie stellvertretende Projektleiterin der Langzeit-Panelstudie zur Mediensozialisation sozial
benachteiligter Heranwachsender.
Lebensweltbezogene Medienforschung:
Angebote – Rezeption – Sozialisation
l2
Paus-Hasebrink | Kulterer
Zum Inhalt: Der Band stellt den neuen Ansatz einer praxeologisch angelegten, integrativen
(Medien-)Sozialisationsforschung vor und präsentiert die Ergebnisse einer als Familienforschung
konzipierten Langzeit-Panelstudie (2005 bis 2012) zur Mediensozialisation sozial benachteiligter
Heranwachsender.
Praxeologische Mediensozialisationsforschung
2
Ingrid Paus-Hasebrink | Jasmin Kulterer
Praxeologische
Mediensozialisationsforschung
Langzeitstudie zu sozial
benachteiligten Heranwachsenden
ISBN 978-3-8487-1194-9
BUC_Paus-Hasebrink_1194-9.indd 1
14.04.14 08:48
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Lebensweltbezogene Medienforschung:
Angebote – Rezeption – Sozialisation
Herausgegeben von
Ingrid Paus-Hasebrink
Sascha Trültzsch-Wijnen
Uwe Hasebrink
Band 2
BUT_Paus-Hasebrink_1194-9.indd 2
28.03.14 10:00
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Ingrid Paus-Hasebrink | Jasmin Kulterer
Praxeologische
Mediensozialisationsforschung
Langzeitstudie zu sozial
benachteiligten Heranwachsenden
Unter Mitarbeit von Philip Sinner
BUT_Paus-Hasebrink_1194-9.indd 3
28.03.14 10:00
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© Titelbild: fotolia.com
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-8487-1194-9
1. Auflage 2014
© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2014. Printed in Germany. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe
und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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Vorwort zu Band 2 der Reihe „Lebensweltbezogene
Medienforschung: Angebote, Rezeption, Sozialisation“
Im Kontext der Reihe spielt der Begriff der Sozialisation eine zentrale Rolle.
Lebensweltbezogene Medienforschung bedarf des Blicks auf Sozialisationsprozesse, um so Antworten auf die Frage nach der Relevanz von Medien
bei der Identitätskonstruktion, dem Aufbau von Wissen und der Wertevermittlung von Menschen geben zu können. Eine so verstandene Mediensozialisationsforschung zielt darauf, die von sozialen und, darin eingelagert,
medialen Wandlungsprozessen induzierten Bedingungen der Sozialisation
von Heranwachsenden zu rekonstruieren; dabei muss sie, um auch die Dynamik der Kindheitsentwicklung mitberücksichtigen zu können, auch auf
die veränderte Rolle der Sozialisationsagenten im Laufe des Sozialisationsprozesses eingehen.
Der vorliegende zweite Band der Reihe mit dem Titel „Praxeologische Mediensozialisationsforschung. Langzeitstudie zu sozial benachteiligten Heranwachsenden“ konzipiert die Sozialisation eines Menschen als lebenslangen Prozess, der sich in verschiedenen sozialen Zusammenhängen vollzieht,
an denen das Individuum beteiligt ist und die sein Spielfeld zum Aufbau von
Identität und Handlungskompetenz im Alltag bestimmen. Als theoretische
Ausgangsperspektive skizziert der Band einen praxeologisch ausgerichteten
Ansatz integrativer Mediensozialisationsforschung, in dessen Mittelpunkt
die folgenden Fragen stehen: Worin besteht der subjektive Sinn des (Medien-)Handelns von Individuen, im vorliegenden Fall von Eltern und Kindern,
in ihren lebensweltlichen Kontexten? Und wie versuchen Eltern und Kinder
vor dem Hintergrund ihres sozialen Milieus – auch mit Hilfe von Medienangeboten – einzelnen Vorgängen in ihrer Umgebung Sinn zu geben, um
den Alltag lebbar zu gestalten?
Der Band schließt an die Publikation von Paus-Hasebrink und Bichler aus
dem Jahr 2008 „Mediensozialisationforschung. Theoretische Fundierung
und Fallbeispiel sozial benachteiligte Kinder in Österreich“ an und schreibt
sowohl die theoretische Konzeption einer integrativen Mediensozialisationsforschung als auch die Ergebnisdarstellung einer qualitativen LangzeitPanelstudie zur Mediensozialisation sozial benachteiligter Heranwachsender in Österreich fort. Die ‚Mediensozialisationsstudie‘ versteht sich als
engagierte Sozialforschung; ihr Anliegen ist es, auf Basis empirischer For5
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Vorwort zu Band 2
schungsergebnisse Zusammenhänge zwischen Lebensweltbedingungen und
(Medien-)Sozialisation sozial benachteiligter Heranwachsender aufzuzeigen und dringend notwendige Wege zum Ausbau von Handlungsressourcen,
Alltags- und Medienkompetenz der Betroffenen aufzuzeigen.
Ingrid Paus-Hasebrink, Sascha Trültzsch, Uwe Hasebrink
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Vorwort
Denken und danken sind verwandte Wörter … (Thomas Mann)
Wir möchten in erster Linie den Familien der Panelstudie danken, die über
nunmehr sieben Jahre hinweg bei der Stange geblieben sind und die den
Aufwand, den eine Erhebung über mehrere Phasen mit unterschiedlichen
Methoden mit sich bringt, nicht gescheut haben.
Ein herzlicher Dank gilt zudem allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen
für ihre Unterstützung bei der Durchführung und Realisierung des Erstprojekts (2005-2007) und insbesondere der Folgestudie (2010-2012),1 die im
Mittelpunkt dieser Publikation steht. Danken möchten wir insbesondere Fabian Prochazka und Aynur Sarisakaloglu, die engagiert und kompetent vor
allem die Durchführung der 4. Erhebungsphase sowie die Erstellung des
Endberichts, der diesem Buch zugrunde liegt, mitgetragen haben.
Ein besonderer Dank geht an Philip Sinner, und dies nicht nur für die
intensive Mitarbeit an der 4. Erhebungswelle, sondern auch für sein Mitwirken beim Verfassen und Erstellen des Buchmanuskripts.
Großer Dank gebührt nicht zuletzt dem Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank, der dieses Projekt zweimal über drei Jahre gefördert
hat.
In einem Team zu arbeiten, auf das man sich verlassen kann, das Rückhalt
gibt und das wissenschaftliches Zuhause bedeutet, heißt mit Freu(n)de(n)
1 Von 2005 bis 2007 hat Michelle Bichler das Projekt in entscheidender Weise mitgetragen (siehe dazu die Erstveröffentlichung Paus-Hasebrink/Bichler 2008) An der
Folgestudie haben in vielfältiger Weise, bei der Datenerhebung, der Literaturrecherche und -bearbeitung sowie der fokussierten und kontextuellen Datenauswertung,
Cindy Bachmann, Mareike Düssel, Mirona Miut, Miriam Rüggeberg, Nadja Springer,
Samson Struckmann und Samuel Unterkircher mitgewirkt. Danke auch an Sascha
Trültzsch, der sich als Diskussions- und Schulungspartner zur Verfügung gestellt hat,
sowie insbesondere auch an Andrea Dürager für ihr Engagement in Bezug auf Sonderauswertungen des EU Kids Online-Datensatzes. Für alle im Rahmen des Projekts
mit großer Sorgfalt erledigten Sekretariatsarbeiten danken wir Monika Hoppenthaler
sehr herzlich. Das Lektorat lag in den bewährten Händen von Werner Müller-Schell:
Vielen Dank dafür!
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Vorwort
arbeiten zu dürfen – das ist unsere Abteilung für Audiovisuelle und OnlineKommunikation und vor allem der „U44“: Danke für dieses Geschenk!
Eine Redewendung lautet: Ein gutes Projekt geht nie zu Ende…
Aus diesem Grund wünschen wir uns noch weitere Erhebungsphasen, um
die jungen Menschen bis an die Schwelle des Erwachsenwerdens wissenschaftlich begleiten zu können.
Salzburg, im Oktober 2013
8
Ingrid Paus-Hasebrink und Jasmin Kulterer
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Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
13
Tabellenverzeichnis
13
1 Praxeologische Mediensozialisationsforschung
15
1.1 Mediensozialisationsforschung als „engagierte
Sozialforschung“: Was will dieser Band?
1.1.1 Zum sozialen und medialen Wandel
1.1.2 Armut und soziale Benachteiligung
1.1.3 Familie und Kindheit heute
1.2 Praxeologisch konzipierte Mediensozialisationsforschung
1.2.1 Drei-Ebenen-Modell zur Untersuchung von
Mediensozialisationsprozessen
1.2.2 Mediensozialisation im Kontext der Lebenswelt und
Lebensführung in Familien
1.2.3 Mediensozialisation und Medienumgang im Spiegel
der Methoden der Sinngebung
1.2.4 Medienumgang in Familien im Kontext von
Entwicklungs- und Lebensaufgaben
1.3 Methodologische und methodische Herausforderungen an
eine praxeologische Mediensozialisationsforschung als
Familienforschung
1.3.1 Mediensozialisationsforschung erfordert den Blick
auf Handlungsoptionen, Handlungsentwürfe und
Handlungskompetenzen
1.3.2 Mediensozialisation im Spannungsfeld der Dialektik
von Allgemeinem und Besonderem:
Zusammenfassung
2 Zum Design der Studie
2.1 Zur Anlage und zum Instrumentarium
2.2 Zur Definition der sozialen Lage und zur Auswahl der
Familien
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Inhaltsverzeichnis
2.3 Ablauf der Erhebungen und Pflege der
Untersuchungspopulation 2005 – 2012
2.4 Auswertungsschritte
3 Vom „Ende der frühen Kindheit“ bis zum „Beginn der frühen
Adoleszenz“ – Ergebnisse der fokussierten Analyse
3.1 Der Medienbesitz von Kindern aus sozial benachteiligten
Milieus
3.2 Die Mediennutzung und -präferenzen von sozial
benachteiligten Kindern
3.2.1 Fernsehen
3.2.2 Filme
3.2.3 Spielkonsolen
3.2.4 Auditive Medien
3.2.5 Computer- und Internetnutzung
3.2.6 Printmedien
3.2.7 Mobiltelefon
3.2.8 Mediennutzung und -präferenzen der Kinder –
Zusammenfassung
3.3 Der Stellenwert von Medien im Alltag der Kinder
3.4 Die Rolle der Familie für die (Medien-)Sozialisation von
sozial benachteiligten Kindern
3.5 Außerfamiliale Sozialisationsinstanzen als tragende
Einflussgröße für den Entwicklungsprozess der Kinder
4 Ergebnisse der kontextuellen Analyse: Zur Lebensführung in
sozial benachteiligten Familien – ausgewählte
Einzelfallbeschreibungen
4.1 Amelie Aufbauer – Aufwachsen in ständigem Aufruhr:
Medien dienen als zentrales Orientierungsangebot
4.2 Gregor Boll – Isoliertes Aufwachsen in einer von Krisen
heimgesuchten Familie: Medien ersetzen Sozialkontakte und
bieten Zerstreuung
4.3 Olivia Fein – Häusliche Probleme und Ängste vor dem
Alleinsein: Medien dienen als Zufluchtsort
4.4 Erich Grubert – Sozialer Aufstieg und eine neue
Wohnumgebung: Medien dienen nicht mehr als alleinige
Freizeitaktivität
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Inhaltsverzeichnis
4.5 Benedikt Holzner – Kindheit mit Gewalterfahrungen:
Medien werden zum Ausflucht- und Orientierungsangebot
4.6 Timo Landinger – Große Probleme in der Familie: Medien
als Zufluchtsort und „Problemlöser“
4.7 Manfred Oblinger – Hochbegabung in schwierigen
Familienbedingungen: Medien als Anregung und Risiko
4.8 Simone Stab – Geborgenheit in der Familie einer allein
erziehenden Mutter mit Migrationshintergrund: Medien
werden intensiv, aber weitgehend reflektiert genutzt
4.9 Alfons Weiss – Kind aus konfliktdominierter Familie mit
Sehnsucht nach dem Vater und Verlustängsten: Medien
werden wenig kompetent genutzt
4.10 Mediensozialisation im Kontext sozio-ökonomischer und
sozio-emotionaler Bedingungen der Familie –
Zusammenfassung
5 Unterschiede im Umgang mit den Bedingungen sozialer
Benachteiligung – Familien zwischen Stabilität und Wandel:
Typologie zu den Familien der Mediensozialisationsstudie
5.1 Zur Bildung empirischer Typen
5.2 Merkmalsdimensionen für die Bildung von Familientypen im
Umgang mit den Bedingungen sozialer Benachteiligung
5.3 Charakterisierung der Familientypen im Umgang mit
sozialer Benachteiligung sowie Zuordnung und
Beschreibung der Familien
5.3.1 Die Familientypen
5.3.2 Zur Beschreibung der Familien
5.4 Fazit
166
175
186
203
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Inhaltsverzeichnis
6 Diskussion und Fazit
262
Literaturverzeichnis
277
Anhang
297
Anhang I:
Kurzsteckbriefe der nicht als Fallbeispiele behandelten
Familien
297
Anhang II:
Leitfaden für die Elterninterviews 2010-2012
357
Anhang III: Leitfaden für die Kinderinterviews 2010-2012
366
Anhang IV: Fragebogen zur Lebens- und Wohnsituation der
Familien für die Globalcharakteristik
376
Anhang V:
381
Beobachtungsprotokoll für die Globalcharakteristik
Anhang VI: Codewortbaum zur Auswertung der Elterninterviews
382
Anhang VII: Codewortbaum zur Auswertung der Kinderinterviews
390
Anhang VIII: Auswertungsmatrix für die kontextuelle
Einzelfallanalyse
414
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Relevante Einflussfaktoren im Gefüge der
(Medien-)Sozialisation mit Blick auf die Familie.
32
Abbildung 2: Zur Anlage der Studie.
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Abbildung 3: Phasen der Aufbereitung und Auswertung der Daten
aus der Panelstudie.
69
Abbildung 4: Stufenmodell empirisch begründeter Typenbildung.
236
Abbildung 5: Merkmalsausprägungen der Familientypen.
239
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:
(Objektive) Lebensbedingungen.
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Tabelle 2:
Charakteristische Lebensbedingungen sozial
benachteiligter Familien.
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Diese Beziehungen aber, etwa die Familienbeziehung, die Beziehung zwischen
Vater, Mutter, Kind und Geschwistern, variabel wie sie im einzelnen sein mögen, sind in ihrer Grundstruktur durch den Aufbau der Gesellschaft bestimmt,
in die ein Kind hineingeboren wird und die vor ihm da war.
Norbert Elias: Die Gesellschaft der Individuen.
(1939; hrsg. von Michael Schröter 1991; 7. Aufl.)
1 Praxeologische Mediensozialisationsforschung
1.1 Mediensozialisationsforschung als „engagierte Sozialforschung“: Was
will dieser Band?
Der vorliegende Band zur praxeologischen Mediensozialisationsforschung
schließt an die Publikation von Paus-Hasebrink und Bichler aus dem Jahr
2008 mit dem Titel „Mediensozialisationforschung. Theoretische Fundierung und Fallbeispiel sozial benachteiligte Kinder in Österreich“ an; er
schreibt zum einen die theoretische Konzeption einer integrativen Mediensozialisationsforschung fort, zum anderen stellt er die Ergebnisse der 2005
begonnenen und 2012 vorerst abgeschlossenen qualitativen Langzeit-Panelstudie zur Mediensozialisation sozial benachteiligter Heranwachsender
in Österreich nunmehr über einen Zeitraum von sieben Jahren im Kontext
vor.2 Die diesem Band zugrunde liegende Studie versteht sich als „enga2 Es ist geplant, die Studie fortzusetzen, um die Heranwachsenden bis zum Ende ihrer
Pubertät begleiten zu können. Zum besseren Verständnis und zur Einordnung der
folgenden Ausführungen wird des Öfteren auf Textteile der Erstpublikation zurückgegriffen; siehe dazu die entsprechenden Vermerke im Text oder in Fußnoten. Darin
findet sich auch eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Begriff Sozialisation.
Mit Fromme lässt sich Sozialisation prägnant als lebenslanger Prozess beschreiben,
in dem sich Menschen vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Anlagen mit der sie
umgebenden sozialen und physikalischen Umgebung auseinandersetzen (vgl. Fromme 2006: 2). Sozialisation ist damit immer gebunden an den Aufbau des Selbstbildes
mithin an die Genese einer eigenen Identität; sie ist als „Zielgröße der Sozialisationsprozesse“ (Süss 2004: 33) zu verstehen. Siehe zur Auseinandersetzung mit dem
Begriff der Sozialisation auch Grundmann (2004: 318) sowie zu unterschiedlichen
Strömungen in der Sozialisationsforschung vor allem Süss (2004) sowie für das der
Publikation zugrunde liegende Verständnis von Sozialisation ausführlicher PausHasebrink und Bichler (2008: 50ff.).
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1 Praxeologische Mediensozialisationsforschung
gierte Sozialforschung“ (vgl. Norbert Elias 1987).3 Sie hat neben dem wissenschaftlichen zugleich auch ein soziales Anliegen. Als praxeologisch ausgerichtete, integrative Mediensozialisationsforschung zielt sie zunächst ab
auf die Konzeption und Durchführung einer Studie zur Mediensozialisation
sozial benachteiligter Heranwachsender als Familienforschung. Da wohlfeile, lediglich auf Einzelaspekte zielende Praxiskonzepte, geschweige denn
Rezepte, in jedem Fall zu kurz greifen, ist ihr weiteres Anliegen, auf der
Basis empirischer Ergebnisse Vorschläge für gut aufeinander abgestimmte,
umgreifende sozialpädagogische Konzepte zur Diskussion zu stellen.
1.1.1 Zum sozialen und medialen Wandel
Als Ausgangspunkt der Studie dienen Analysen, die auf die zunehmende
soziale Kluft in der Gesellschaft hinweisen und davor warnen, dass sich „die
Schere zwischen den Gewinnern und Verlierern im Prozess des heutigen
Aufwachsens weiter öffnet“ (Rauschenbach 2011: 5). Diese Tatsache unterstreicht die hohe gesellschaftliche Relevanz von Sozialisationsprozessen
und sollte angesichts medialer Entwicklungen, die die gestiegene Bedeutung
von Medienangeboten in der Gesellschaft im Allgemeinen sowie im Alltag
von Menschen im Besonderen belegen (siehe etwa Krotz 2001; Krotz/Hepp
2012; Steinmaurer 2013), die Aufmerksamkeit auf die Rolle, die Eltern und
Kinder in ihrem Alltag Medien zuschreiben, erhöhen.
Medialer Wandel ist tief in die Prozesse des gesellschaftlichen oder auch
sozialen Wandels integriert; er bleibt nicht ohne Konsequenzen für den Lebenswandel und damit die Lebensführung von Menschen (vgl. Geißler
2002);4 im Zuge von Globalisierung und Neoliberalismus lassen sich einschneidende Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt – Flexibilisierung und
Arbeit als „knappes Gut“ sowie eine damit einhergehende Notwendigkeit
hoher Mobilität, um Arbeit zu behalten oder zu bekommen – bzw. dem daraus folgenden „ungleichen Wohlstand“ (vgl. Geißler 2004) als wichtige
Entwicklungen kennzeichnen. Wird etwa die „Debatte im Bereich des Erwerbssektors einerseits durch die Schlagworte Globalisierung und Rationalisierung bestimmt und Mobilität, Flexibilität und stetige Weiterqualifizierung von Erwerbstätigen eingefordert“ (Palentien 2003: 91), werden
3 Siehe dazu auch Paus-Hasebrink und Bichler (2008: 291).
4 Siehe dazu Paus-Hasebrink und Bichler (2008: 28f.).
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1.1 Mediensozialisationsforschung als „engagierte Sozialforschung“
andererseits der soziodemographische Wandel und im Kontext damit die
alternde Gesellschaft als zentrale Prozesse des gesellschaftlichen Wandels
angeführt, die ihrerseits Veränderungen im Lebenslauf des Einzelnen zeitigen. Durch die sich mittlerweile verlängernde Jugendphase sind die „Eigenleistungen des Menschen bei der Gestaltung des eigenen Lebenslaufs
höher als in früheren gesellschaftlichen Formationen“ (Hurrelmann 2003:
115). Die Aufweichung des „Normal-Lebenslaufs“ bringt für Menschen in
westlichen Gesellschaften auch negative Auswirkungen mit sich:
Die Rede ist von einem Modernisierungsschub, der zu einer höheren Selektivität, höherer Arbeitslosigkeit und marginaler Beschäftigung beim Zugang zu
und Abgang von einer betrieblichen Ausbildung geführt habe, zum Ende des
‚Lebensberufes‘ und des ‚Normalarbeitsverhältnisses‘, zur Ausdehnung der
Problemgruppen auf dem Arbeitsmarkt, zu einer Auflösung der objektiven und
subjektiven Verknüpfung von Ausbildungsabschlüssen und Berufswegen, zu
einer Zunahme diskontinuierlicher, provisorischer und marginaler Ausbildungs- und Berufsgänge.
(Mayer 1995: 31; der Autor verweist nach diesem Zitat zum Weiterlesen
auf den von Brock, Hantsche, Kühnlein, Meulemann und Schober (1991)
herausgegebenen Sammelband Übergänge in den Beruf. Zwischenbilanz
zum Forschungsstand; Anm. d. Verf.)
Damit einhergehen Orientierungsverlust und Überforderung sowie der erhöhte Druck, einem „schwer zu bewältigenden Originalitätsanspruch“
(Hurrelmann 2003: 116) zu entsprechen – Faktoren, die unmittelbare Konsequenzen für Erwachsene und Heranwachsende mit sich bringen, die in das
familiale Zusammenleben, in Erziehungs-, Bildungs- und Ausbildungsprozesse zusätzlich zu anderen Auswirkungen gesellschaftlicher Wandlungsprozesse hineinwirken.
Insbesondere Vertreter und Vertreterinnen der Politischen Ökonomie
weisen eindringlich darauf hin, dass die Dynamik von Inklusions- und Exklusions-Prozessen in engem Zusammenhang mit den Rechten auf Kommunikation und gesellschaftliche Partizipation – dies ausdrücklich auch in
Bezug auf den Umgang mit neuen Medien – gesehen werden muss (vgl.
Murdock/Golding 2004). Mit Blick auf die große Bedeutung einer funktionierenden Öffentlichkeit für die Zivilgesellschaft diskutiert vor allem schon
sehr früh Peter Dahlgren die Rolle des Internets und seiner unterschiedlichen
Formen netzbasierter Kommunikation (vgl. Dahlgren 2000a & 2000b). Der
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1 Praxeologische Mediensozialisationsforschung
Begriff des „digital divide“5 bzw. des „second level digital divide“ (Hargittai
2002, siehe dazu auch Wagner 2011: 168ff.) legt aber nahe, dass auch die
Ressourcen zur gesellschaftlichen Partizipation über Medien ungleich verteilt sind – ebenso wie, und damit aufs Engste verflochten, die sozialen und
kulturellen Ressourcen bei unterschiedlichen sozialen Gruppen. Geißler gibt
denn auch warnend zu bedenken, dass sich die Schere im Lebensstandard
zwischen den Armen und dem Durchschnitt der Bevölkerung weiter öffne:
„Diese wachsende Kluft lässt befürchten, dass der ‚soziale Kitt‘ abhanden
kommt und die Gefahr der Abgrenzung gegenüber Randgruppen“ (Geißler
2004) zunimmt.
1.1.2 Armut und soziale Benachteiligung
Als Ursachen für den seit der Mitte der 1980er Jahre bestehenden Trend
wachsender Armut nennt Palentien vor allem die Zunahme der Arbeitslosigkeit, veränderte Familien- bzw. Haushaltsformen sowie zurückgehende
Sozialleistungen (vgl. Palentien 2003).6 Armut betrifft dabei nicht nur insgesamt arme, sondern auch reiche Länder wie Österreich und kann als „ein
erzwungener Mangel an Verwirklichungschancen in einer Gesellschaft“
(Statistik Austria 2012f: 1) definiert werden. In zunehmendem Maße wird
das Alltagsleben in Familien geprägt von sozialer Angst, etwa um den Arbeitsplatz. Auch das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen wird davon
maßgeblich mitbestimmt. Zwar zeigt sich Kindheit heute deutlich homogener als zu früheren Zeiten, denn auch Kinder partizipieren am insgesamt
gestiegenen Wohlstand und genießen ein in der Gesellschaft höheres Niveau
5 Der Begriff des digital divide ist im Kontext der Wissenskluft-Hypothese verortet und
umschreibt die ungleiche Verteilung des Zugangs zu neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sowie die daraus resultierenden ungleichen Entwicklungschancen. Der Begriff des „second level digital divide“ erweitert die Diskussion zu
gleichen Zugangschancen um die Perspektive der tatsächlichen Nutzungsweisen sowie der Fähigkeiten der Nutzer und Nutzerinnen.
6 Bereits Ende der 1950er Jahre wurde auf die hohe Relevanz ungleicher gesellschaftlicher Lebensbedingungen aufmerksam gemacht. Bernstein etwa weist den Zusammenhang von schichtspezifischem Sprachgebrauch und Sozialschicht nach (vgl.
Bernstein 1961) und Kohn macht einen schichtspezifischen Zusammenhang zum Erziehungsverhalten von Eltern deutlich (vgl. Kohn 1969). Insbesondere die Studien
von Bourdieu weisen auf die große Bedeutung milieubedingter Faktoren hin (vgl.
Bourdieu 1982). Zu einem Überblick über weitere Studien siehe ausführlicher PausHasebrink und Bichler (2008: 20ff.).
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1.1 Mediensozialisationsforschung als „engagierte Sozialforschung“
sozialer Sicherheit; alle Kinder besuchen mittlerweile eine Schule und sie
bewegen sich mit auf den Plattformen der massen- und individualmedialen
Freizeitindustrie als Feld für Selbstentfaltung und Selbstinszenierung (vgl.
Kränzl-Nagl/Mierendorff 2007: 13). Ein näherer Blick aber auf die „Teilhabe der Kinder am materiellen Reichtum in westlichen Gesellschaften zeigt
deutlich, dass diese daran in ungleicher Weise partizipieren“ (ebd.: 13). Laut
Daten von Statistik Austria aus dem Jahr 2011 sind 15 Prozent der Kinder
und Jugendlichen unter 19 Jahren in Österreich armutsgefährdet (vgl. Statistik Austria 2012a).7 Besonders von Armut gefährdet sind Alleinerzieher
und Alleinerzieherinnen (Ein-Eltern-Haushalte) und deren Kinder (24 Prozent) sowie Großfamilien mit mindestens drei Kindern (26 Prozent) (vgl.
Statistik Austria 2012c, jeweils nach Sozialleistungen).8 Familien mit einem
weiblichen Hauptverdiener (18 Prozent) weisen eine deutlich höhere Armutsgefährdungsquote auf als Familien mit einem männlichen Hauptverdiener (11 Prozent) (vgl. Statistik Austria 2012c). Von einer weit überdurchschnittlichen Gefährdungsquote von 28 Prozent sind auch Familien
mit mindestens einem Mitglied ausländischer Herkunft betroffen (vgl. Statistik Austria 2012d: Tabelle 10.2b). Manifeste Armut – armutsgefährdete
Personen, die zusätzlich finanziell depriviert sind – nahm in Österreich
bis 2010 weiter zu und betraf bis zu 6,2 Prozent der Gesamtbevölkerung;
wiederum waren Frauen (13 Prozent) und Ein-Eltern-Haushalte (19 Prozent)
deutlich stärker betroffen, während Großfamilien mit mindestens drei Kindern in Bezug auf manifeste Armut mit 8 Prozent nur leicht über dem
Durchschnitt lagen (vgl. Statistik Austria 2011). 2011 ging die manifeste
7 Armutsgefährdung liegt nach europäischer Konvention vor, wenn in dem Haushalt
nur 60 Prozent des Medianäquivalenzeinkommens erzielt werden können. Dies waren
in Österreich (2011) für einen Einpersonenhaushalt 12.791 Euro im Jahr bzw. 1066
Euro im Monat (12 Mal) (vgl. Statistik Austria 2012b), der Median des Äquivalenzeinkommens lag bei 21.319 Euro. Die Armutsgefährdungsquote lag österreichweit
2011 bei 12,6 Prozent (nach Sozialleistungen), nach den Definitionen der Europa
2020-Strategie waren 17 Prozent der Gesamtbevölkerung armuts- oder ausgrenzungsgefährdet (vgl. Statistik Austria 2013). Als „relativ arm“ gelten jene Haushalte, deren
Einkommen unter der Hälfte des durchschnittlichen nationalen Medianeinkommens
liegt, in Österreich sind davon 7,3 Prozent der Kinder (zwischen 0 und 17 Jahren)
betroffen, in Deutschland 8,5 Prozent (vgl. UNICEF 2012: 3).
8 Ähnliche Ergebnisse lassen sich auch für Deutschland angeben: 2009/2010 waren
rund 21 Prozent der 13- bis 18-Jährigen armutsgefährdet (60 Prozent des Einkommensmedians); dabei halten sich die Gruppen ‚arbeitende Arme‘ und ‚arbeitslose Arme‘ in etwa die Waage, wobei die Gruppe der ‚Working Poor‘ seit 2003/2004 deutlich
zugenommen hat (vgl. AWO-ISS 2012: 6f.).
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1 Praxeologische Mediensozialisationsforschung
Armut in Österreich dagegen deutlich zurück und die Quote lag mit 5,2 Prozent der Gesamtbevölkerung (minus 80.000 im Vergleich zu 2010) wieder
auf dem Niveau von 2008, dem Basis- und Referenzjahr der Europa 2020Strategie (vgl. Statistik Austria 2012f: 1). Sozialleistungen für Niedrigeinkommen können diese Problematik zwar mindern, jedoch nicht vollkommen
ausgleichen (vgl. Statistik Austria 2012c).
Mit Bezug auf Studien von Szydlik (2007), Benz (2008), Hradil und
Masson (2008) sowie Groh-Samberg (2009) konstatiert Wüstendörfer einen
engen Zusammenhang zwischen Familie und Sozialstruktur, das heißt der
Verteilung zentraler Ressourcen wie Einkommen, Bildung und Beruf; danach reduziert die Geburt eines Kindes das verfügbare Einkommen, das Armutsrisiko erhöht sich dann vor allem für Alleinerziehende (Wüstendörfer
2011: 6). „Mehr Ressourcen an Einkommen und Bildung führen zu einer
besseren materiellen Versorgung und zu sozialen Bedingungen in den Familien, die sie die unterschiedlichen Lebensstationen, aber auch Lebensrisiken besser bewältigen lassen. Umgekehrt sind diejenigen Familien benachteiligt, die nicht über solche ausreichenden Ressourcen verfügen“
(ebd.). Eine soziale Benachteiligung wirkt sich deutlich auf die Sozialisation
und Lebenswelt von Heranwachsenden aus.9 So mangelt es sozial benachteiligten Kindern an genügend Sozialkontakten. Ihnen ist es weitaus seltener
möglich, andere Kinder nach Hause einzuladen – sei es zum Spielen oder
auch zu Geburtstagsfeiern. Sie sind seltener Mitglieder in Vereinen und damit fehlt ihnen die Chance, außerschulische Freundschaften zu schließen
und ihr soziales Netz zu erweitern (vgl. AWO-ISS 2005: 5). Diese Benachteiligung ökonomisch schlechter Gestellter lässt sich auch in der 4. Erhebung
der AWO-ISS-Studie10 aufzeigen: So erleben 57 Prozent der inzwischen 16bis 17-Jährigen „Einschränkungen in der Grundversorgung“ (dazu zählen
Wohnsituation, Essen, Kleidung, PC/Internet, Hobbys und die Möglichkeit
zum Sparen), während dies nur 19 Prozent der nicht armen Jugendlichen
betrifft (vgl. AWO-ISS 2012: 1). In der „kulturellen Lage eingeschränkt“
sind 54 Prozent der Jugendlichen (Lern- und Bildungskompetenzen, Kompensation von Bildungsdefiziten) im Gegensatz zu nur 26 Prozent bei den
nicht armen (vgl. ebd. 1). Dabei ist festzuhalten, dass arme deutsche Jugendliche (11 Prozent) deutlich seltener in besseren sozialen Lebenslagen
aufwachsen und häufiger multipel depriviert sind als arme Jugendliche mit
9 Siehe dazu auch Nadia Kutscher (2014).
10 Die Ergebnisse der AWO-ISS-Studie beziehen sich auf die Bundesrepublik Deutschland.
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1.1 Mediensozialisationsforschung als „engagierte Sozialforschung“
Migrationshintergrund (26 Prozent) (vgl. ebd.: 2): „Einkommen/Armut sowie der elterliche Bildungshintergrund und die Familienform sind die relevanten sozialstrukturellen Einflussfaktoren auf die Lebenslage von Kindern
und Jugendlichen. Der Migrationshintergrund hingegen ‚verschwindet‘ in
fast allen Fällen als Einflussfaktor, werden die zuvor genannten Merkmale
berücksichtigt.“ (ebd.: 4; Hervorheb. im Original). Wüstendörfer stellt unmissverständlich fest: „Arme Familien verfügen über weniger soziale Ressourcen als nicht arme Familien“ (Wüstendörfer 2011: 10). Wenn sich in
Familien materielle wie immaterielle Probleme mit der starken Einschränkung von sozialen und kulturellen Ressourcen kumulieren, gelingt es diesen
Familien nicht mehr, ihre Probleme aus eigener Kraft zu bewältigen (vgl.
ebd.); „diese Familien sind aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt. Auch innerhalb der Familien liegen Beziehungsstörungen vor“ (ebd.).
Einen zentralen Aspekt der sozialen Benachteiligung markiert die Bildung (vgl. AWO-ISS 2012: 4; Statistik Austria 2012e: Tabelle 7.1). In einkommensschwachen Familien, dies gilt besonders für Kinder von Alleinerziehenden, verfügen die Eltern meist nur über wenig Bildung. Laut AWOStudie erbringen Kinder aus benachteiligten Milieus schlechtere schulische
Leistungen: „Schon in der Grundschulzeit haben die armen Kinder deutlich
schlechtere Noten und auch häufiger die Erfahrung einer Klassenwiederholung gemacht“ (AWO-ISS 2005: 5). Damit werden ihnen bereits im Grundschulalter die Zugänge zu einer besseren Ausbildung und als Folge dessen
der Weg aus ihrer benachteiligten Lage verbaut. „Kinder mit Armutserfahrung schaffen den Übergang aufs Gymnasium weitaus seltener als Kinder
ohne Armutserfahrung“ (ebd.). Dies bestätigt sich auch 2012: Die skizzierten Probleme in der Grundschule und später in der Sekundarstufe I wirken
sich auch später negativ aus: „Nur einem Drittel der Armen gelingt der altersgemäß institutionell vorgesehene Übergang in die SEK II oder in Ausbildung“ (AWO-ISS 2012: 12). „Die quasi vorhersagbare Schulkarriere
heißt dann ‚Schulverlierer‘“ (ebd.: 11). Bestätigt werden diese besorgniserregenden Ergebnisse durch die Studie „Kinder in Deutschland 2010“, die im
Auftrag des internationalen Kinderhilfswerks „World Vision“11 von Klaus
Hurrelmann und Sabine Andresen konzipiert und koordiniert wurde. Darin
wird deutlich, dass „in allen reichen und hochentwickelten Ländern der Welt
[…] seit etwa dreißig Jahren eine ständige Vergrößerung der Kluft zwischen
11 Die 1. World Vision Kinderstudie erschien 2007, für November 2013 ist die 3. World
Vision Kinderstudie angekündigt.
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1 Praxeologische Mediensozialisationsforschung
den sozioökonomisch gut und schlecht ausgestatteten Bevölkerungsgruppen
zu beobachten [ist]“ (Andresen/ Hurrelmann/ Fegter 2010: 36; siehe auch
BMFSFJ 2013: 40). Von dieser Entwicklung sind überproportional viele
Kinder betroffen. „Maßgeblich für die Abgrenzung ist die Bildungsposition
der Eltern“ (Schneekloth/ Pupeter 2010: 75), so verfügen 97 Prozent der
Mütter und 99 Prozent der Väter in Familien der Unterschicht als höchsten
Bildungsabschluss maximal über einen Hauptschulabschluss (vgl. ebd.:
75f.). Die soziale Herkunft der Kinder spielt auch eine maßgebliche Rolle
in Bezug auf ihre Selbsteinschätzung: Insgesamt gehen zwar 50 Prozent der
Sechs- bis Elf-Jährigen davon aus, die Schule mit dem Abitur zu verlassen
und lediglich vier Prozent erwarten nur den Hauptschulabschluss (vgl.
Leven/Schneekloth 2010b: 164), in der Unterschicht aber nehmen nur 19
Prozent der Kinder an, dass sie das Abitur absolvieren, in der unteren Mittelschicht sind dies bereits 30 Prozent, in der Mittelschicht 45 Prozent, in
der oberen Mittelschicht 64 Prozent und in der Oberschicht mit 76 Prozent
sogar über drei Viertel der Kinder (vgl. ebd.: 166). Dabei hat die soziale
Herkunft auch großen Einfluss auf den Weg in die berufliche Ausbildung
oder an die Hochschule (vgl. BMFSFJ 2013: 44f.). Die Studie zeigt auf, dass
die Lebenssituationen von Kindern in Deutschland „äußerst heterogen“ sind
und „sich die wachsende soziale, ökonomische, kulturelle und gesundheitliche Ungleichheit immer deutlicher in die Kinderwelten ein[schreibt]“
(Andresen/ Hurrelmann/ Fegter 2010: 36). Dies schlägt sich auch in den
Freizeitaktivitäten der Kinder nieder, die „soziale Herkunftsschicht“ ist als
Erklärungsfaktor „statistisch hoch signifikant“ (Leven/Schneekloth 2010a:
100). Im Gegensatz zu den sozial besser gestellten Kindern der Oberschicht
(43 Prozent) zählen nur 5 Prozent der Kinder aus der Unterschicht (Leven/
Schneekloth 2010a: 101) zu den „Vielseitigen Kids“ (vgl. ebd.: 98f.), die
sich durch ein vielfältiges und zugleich ausgewogenes Freizeitrepertoire
auszeichnen. Umgekehrt präsentiert sich die Situation bei den „Medienkonsumenten“, hier sind 45 Prozent der Kinder aus der Unterschicht verortet,
aber nur 14 Prozent aus der Oberschicht (vgl. ebd.: 101), auch das Erleben
von Beschränkungen und „konkretem Armutserleben“ unterstreicht diese
Tendenz (vgl. ebd.: 101f.). Im Gegensatz dazu sind die „Normalen Freizeitler“ mit einer Bandbreite von 50 Prozent (Unterschicht) bis 43 Prozent
(Oberschicht) vergleichsweise ausgeglichen verteilt (vgl. Leven/
Schneekloth 2010a: 101; vgl. weiterführend auch Alt 2007). Damit ist es für
sozial benachteiligte Kinder schwieriger, Zugang zu kulturellen und sozialen
Ressourcen zu erhalten. Gelingt es in den Familien aber, trotz der Situation
mit den Kindern gemeinsam etwas zu unternehmen, ein positives Klima zu
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1.1 Mediensozialisationsforschung als „engagierte Sozialforschung“
gestalten und zu erhalten, so können negative Einflüsse der sozialen Lage
eingeschränkt werden. Die positiven Einflussmöglichkeiten von Eltern und
Familie dürfen daher nicht unterschätzt werden (vgl. auch Andresen/
Hurrelmann/Fegter 2010: 37).
Zu Recht hebt Grundmann die wichtige Rolle des Milieus in der Sozialisation hervor und leitet unter anderem daraus „Erfahrungswidersprüche“
ab. Er gibt zu bedenken, dass die Balancierung von selbst- und fremdbestimmten Handlungsperspektiven in individuierten, modernen Gesellschaften12 besonders erschwert sind, weil Heranwachsende bei der Suche nach
sich selbst häufig auf sich allein gestellt seien (vgl. Grundmann 2000: 95f.).
Für Grundmann (2004: 327) werden Sozialisationsprozesse durch den je
spezifischen „Umgang mit Ambivalenzen“ geprägt, die „aus Spannungen
im Sozialgefüge, wie sie etwa durch Altersdifferenzen zwischen Eltern und
Kindern, durch Geschlechterdifferenzen in Paarbeziehungen oder durch widersprüchliche Rollenerwartungen und Rollenambiguitäten zustande kommen.“ Als bedeutsam nennt er neben subjektiven Dimensionen, wie etwa
erfahrungsbiographisch bedingte Verschiedenheiten sozialer Akteure, Erfahrungen, die durch „differente, generative Lagen und sozioökonomische
Positionen im sozialen Raum (institutionelle Dimensionen) hervorgerufen
werden“ (ebd.). So seien unterstützende Sozialisationsbedingungen vor allem in bildungsnahen Milieus anzutreffen. „In bildungsfernen Milieus hingegen, die immer noch einen Großteil der bestehenden Sozialisationskontexte bestimmen, wird diese Erziehungsvorstellung zwar angestrebt, kann
aber von den Eltern häufig (u. a. aufgrund mangelnden Bildungshintergrunds) nicht eingelöst werden“ (Grundmann 2000: 97). Die Chancen für
die Ausbildung einer „autonomen Identität“, eine zentrale normative Zielvorstellung von Sozialisationsprozessen, seien daher ungleich verteilt.
Grundmann hebt hervor – und diese Überzeugung liegt auch dem vorliegenden Band mit zugrunde –, dass nicht sozio-ökonomische und sozio-kulturelle Bedingungen an sich, sondern die Interaktions- und Handlungskompetenz der Eltern die Entwicklungsprozesse und Erfahrungen der Kinder
12 Der Begriff der Moderne verweist auf die Kernprozesse gesellschaftlicher Veränderung: eine Ambivalenz von Individualisierung einerseits und Institutionalisierung
andererseits. So lassen sich zum einen erweiterte Spielräume und Handlungsoptionen durch Individualisierungsprozesse nachweisen, zum anderen tun sich neue und
tiefe Widersprüche auf, etwa im Verhältnis der gesellschaftlichen Teilsysteme Erziehung, Kultur und Ökonomie (vgl. Luhmann 2002) zueinander, die Auswirkungen
im Hinblick auf Ungleichheiten beim Zugang zu begehrten Lebenschancen zeitigen.
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1 Praxeologische Mediensozialisationsforschung
entscheidend mitprägen (vgl. ebd.); sie sind als Basis für die Entwicklung
von Identität und Selbstbild im Kontext der Sozialisation zentral. Fest steht
aber, dass soziale Lebensbedingungen von Menschen ihren Ausdruck im
Alltag Heranwachsender finden. Sie formieren unterschiedliche Modi des
Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen und damit insgesamt von
Kindheit und Jugend und setzen je spezifische Sozialisationsbedingungen;
denn die materielle, wirtschaftliche, soziale und mentale Umwelt findet
ihren Niederschlag in den Erlebnisräumen von Kindern, nimmt Einfluss auf
die Erziehungsstile ihrer Eltern, bestimmt „Kargheit oder Wohlhabenheit“
(Hugger 1998: 33; siehe auch Lange 2003a). Der Zusammenhang etwa zwischen der Art und Weise wie Eltern ihre Kinder erziehen bzw. wie sie Medienerziehung, etwa im Umgang mit dem Internet, betreiben und den sozioökonomischen und sozial-kulturellen Lebensbedingungen von Eltern lässt
sich auch in internationalen Studien deutlich nachweisen. Sie zeigen, dass
formal höher gebildete Eltern ihre Kinder zu unterstützen suchen und sie auf
der Basis von „active mediation“, in Form von Gesprächen, begleiten. Niedriger formal gebildete Eltern hingegen bedienen sich stärker restriktiver
Maßnahmen (vgl. Rothbaum/Martland/Beswick Jannsen 2008; Vekiri 2010;
Paus-Hasebrink/Ponte/Dürager/Bauwens 2012; Paus-Hasebrink/Bauwens/
Dürager/Ponte 2013). Die Art, wie Familien miteinander leben, wie Eltern
und Kinder miteinander umgehen, gewinnt in diesem Zusammenhang an
Relevanz.
1.1.3 Familie und Kindheit heute
Familie ist insbesondere für jüngere Kinder nach wie vor – und dies gilt trotz
zahlreicher Veränderungen im Rahmen von Kindheit und Jugend hin zu
mehr Selbst- und Mitbestimmung der Heranwachsenden – der zentrale Ort,
an dem sich die Sozialisation von Kindern vollzieht (siehe dazu Spanhel
2006 sowie Paus-Hasebrink/ Bichler 2008: 31-48 sowie den Forschungsüberblick in Paus-Hasebrink/Bichler 2008: 95-126; Lange/Xyländer 2011a
und b; Paus-Hasebrink/ Kulterer/ Šmahel/ Kontríková 2013). Die Familie
prägt in ihrer speziellen sozial-räumlichen Struktur das Verhalten und Handeln von Kindern in entscheidendem Maße (vgl. Hurrelmann/ Hammer/
Stelberg 1996). Insbesondere das jeweilige Erziehungskonzept, das in den
Familien gilt, gewinnt in diesem Zusammenhang zentrale Bedeutung (vgl.
ebd.). Familienalltag und, eng damit verbunden, auch die Kindheit heute
erweisen sich mittlerweile als hochkomplex; sie haben tiefgreifende Verän24
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1.1 Mediensozialisationsforschung als „engagierte Sozialforschung“
derungen erfahren (siehe Zentrum für Kindheits- und Jugendforschung
1993; Honig/Leu/Nissen 1996; Honig 2009; Zinnecker/Silbereisen 1996;
Lange 1999 und 2003a; Nave-Herz 2004; Schweizer 2007; Kränzl-Nagel/
Mierendorff 2007; Jurcyk/ Oechsle 2008; Jurcyk/ Schier/ Szymenderski/
Lange/ Voß 2009; Lange/ Xyländer 2011a und b; Heinzel 2012; Hengst
2012). Im Zuge fortschreitender Individualisierung der Lebensformen
(Beck/Beck-Gernsheim 1994)13 ist auch der Alltag von Familien gekennzeichnet von Disparität und Ausdifferenzierung. So ist eine große Vielfalt
moderner Familien- und Lebensformen, wie die Zunahme von Alleinerziehenden sowie von Adoptions- und Pflegefamilien (siehe dazu vor allem
Marbach/Bien 2003) zu verzeichnen (vgl. Schierbaum 2013), die auch mit
einer sich stärker verändernden Rollenverteilung (berufstätige Mütter, Modelle von Väterkarenz, gleichgeschlechtliche Beziehungen) in den Familien
einhergehen. Die abnehmende Wiederverheiratungsrate, zunehmende Zahlen von Getrenntlebenden (auch mit Kindern und in neuen Partnerschaften)
sowie nichtehelichen Partnerschaften stehen für diese veränderten Leitbildvorstellungen von Ehe und Familie. Daneben ist die Familie mit wachsenden
Anforderungen an die Sozialisations- und Integrationsleistungen konfrontiert, die es zu bewältigen gilt (vgl. Nave-Herz 2004; siehe dazu auch PausHasebrink/Bichler 2008).
Als Folge sozialer Wandlungsprozesse steht daher mittlerweile in der Familienforschung der Familienbegriff selbst auf dem Prüfstand, wie z. B.
Debatten um das Gesetz zur Gleichstellung homosexueller Paare durch das
Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts oder etwa Proteste gegen
die Ehe von homosexuellen Partnern und Partnerinnen in Frankreich zeigen.
So hat, darauf weisen Krüger, Herma und Schierbaum (2013) in ihrem Sammelband zu „Familie(n) heute“ hin, die Kernfamilie „Konkurrenz bekommen von Familienformen, die nicht auf einem Ehesubsystem basieren, keine
Eltern-Kind-Triade bilden, nur eine soziale Elternrolle übernehmen oder in
denen mehr als zwei Generationen zusammen leben“ (Krüger/ Herma/
Schierbaum 2013: 9). Lenz plädiert dafür, den Blick nicht länger auf einen
überkommenen „Leitbegriff“ zu richten, sondern viel mehr die persönlichen
13 Danach sieht sich der Einzelne, wie der Münchner Soziologe Ulrich Beck betont, im
Zuge fortschreitender Individualisierung der Lebensformen nicht – wie es noch
Grundlage der Analyse der Moderne Max Webers war – in eine Industriegesellschaft
hineingeworfen, sondern aus ihrer Sicherheit heraus in die Turbulenzen der Weltkrisengesellschaft mit unterschiedlichen, einander widersprechenden Risiken katapultiert.
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1 Praxeologische Mediensozialisationsforschung
Beziehungen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stellen. „Der Begriff der Elter-Kind-Beziehung“ (Lenz 2013: 122) kann nach Lenz den Familienbegriff nicht ersetzen:
Familien umfassen mindestens eine Elter-Kind-Beziehung und damit jede Familie in ihrer Minimalgröße eine persönliche Beziehung. Eine Ersetzung wäre
nur möglich, wenn jede Familie nur aus einer Elter-Kind-Beziehung bestehen
würde. Da jedoch in einer Mehrzahl von Fällen zwei oder mehrere Elter-KindBeziehungen eingeschlossen sind, – sei es durch die Anwesenheit von Mutter,
Vater und/oder mehrerer Kinder, möglicherweise auch eine Zweierbeziehung
sowie eine oder mehrere Geschwisterbeziehungen – ist es immer auch notwendig, den sich dadurch konstituierenden Gruppenverband als solchen zu benennen. Dies leistet der Begriff der Familie, nicht aber der der Elter-Kind-Beziehung.
(Lenz 2013: 122)
Auch Hildenbrand (2011: 1) schlägt einen „erweiterten Familienbegriff, der
Alleinerziehende, Fortsetzungs-, bzw. Stieffamilien sowie auch gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern einbezieht“, vor. Wenn im Folgenden von
Familie die Rede ist, geht es nicht um den „normativ aufgeladenen“ (Lenz
2013: 104; siehe auch Lüscher 1995) Begriff der Familie, sondern um den
„Gruppenverband Familie“ (Lenz 2013: 122) sowie die persönlichen Beziehungsstrukturen, die das Klima dieser je spezifisch zusammengesetzten
Gruppe, als Familie bezeichnet (vgl. ebd.: 122), kennzeichnen. Denn anders
als nach bürgerlichem Familienverständnis setzt sich heute Elternschaft zunehmend „fragmentiert“ zusammen (vgl. ebd.: 111). Zwar könne Elternschaft, so Lenz, letztendlich ausschließlich rechtlich bestimmt werden; weil
für die Mutter- und Vaterschaft der biologische Nachweis aber keinesfalls
ausreiche – auch er sei immer auf staatliche Anerkennung angewiesen (vgl.
ebd.: 113) – werde neben der rechtlich notwendigen Anerkennung die „soziale Elternschaft“ relevant. Sie gewinne immer dann an Bedeutung, wenn
die biologische Elternschaft auch zur sozialen Elternschaft werde (vgl. ebd.).
„Durch die Geburt des Kindes entsteht noch keine Familie, sondern erst
wenn zumindest eine Person eine Elter-Rolle übernimmt“ (ebd.). Familien
umfassten danach zumindest eine – persönliche, mithin auch emotionale –
Elter-Kind-Beziehung. Um diesen sich unter Umständen auch aus mehreren
Elter-Kind-Beziehungen sowie Geschwisterbeziehungen konstituierten
Gruppenverband zu bezeichnen, tauge, so Lenz, weiterhin am besten der
Begriff der Familie (vgl. Lenz 2013: 122).
Je nach sozialer Lage und Milieuzugehörigkeit sowie Lebensphase und
Lebensstilausrichtung haben die Mitglieder dieses Gruppenverbands Fami-
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1.1 Mediensozialisationsforschung als „engagierte Sozialforschung“
lie, Eltern wie Kinder, unterschiedliche Lebensaufgaben14 und halten nach
je spezifischen Orientierungsvorlagen Ausschau, denen sie im Kontext ihrer
Alltagsgestaltung subjektiven Sinn beimessen und die ihnen helfen, ihren
Alltag zu bewältigen.
In diese Prozesse sind Medien in vielfältiger Weise eingewoben. So hat
die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft bereits 1998 aus gutem Grund ihren 16. Kongress in Hamburg unter das Thema „Medien-Generation” gestellt. Als Medien-Generation wurde die Altersgruppe der Jüngeren bezeichnet, die mit den Neuen Medien und ihrem schnellen Wandel
aufwachsen und entsprechend der These von Ogburn zum „cultural lag“ (vgl.
Berghaus 1986) selbstverständlicher umzugehen in der Lage sind als vorherige Generationen (vgl. Gogolin/Lenzen 1999); sie nutzen Medien in vielfältiger Weise als tägliche Begleiter, bauen mit ihrer Hilfe Beziehungsnetze
auf, pflegen sie und bilden dabei entsprechend den ihnen im Alltag wichtig
erscheinenden Funktionen je spezifische Medienmenüs (vgl. Hasebrink/
Krotz 1996) bzw. Medienrepertoires aus (vgl. Hasebrink/Popp 2006).
Heute gilt Kindheit unzweifelhaft als Medienkindheit und Jugend als
Medienjugend, auch wenn dies aus einer historischen Perspektive schon sehr
viel länger der Fall ist. Denn Kindheit ist nicht nur eine historisch und sozial
definierte Altersphase bzw. Altersgruppe; die jeweiligen Medien haben zu
jeder Zeit, wenn auch in unterschiedlichem Maße, gesellschaftliche Wertbegriffe mitgeprägt, wie etwa die Soziologie und Sozialgeschichtsschreibung, Pädagogik und Kommunikationswissenschaft eindrucksvoll deutlich
gemacht haben (z. B. Elias 1972; Ariès 1979; de Mause 1982 und 1989;
Lenzen 1985; Muchembled 1990; Corsaro 1997; Buckingham 2000;
Schweizer 2007; Marx 2011).
Im Hinblick auf die Identitätsbildung und die Sozialisation spielen Medien eine nicht zu unterschätzende Rolle, wie bereits der erste Band zur
Mediensozialisationsforschung von Paus-Hasebrink und Bichler (2008)
deutlich gemacht hat. Medien sind, dies lässt sich zusammenfassend konstatieren, an der Sozialisation von Kindern mit beteiligt, indem sie ihre
Wirklichkeit mitkonstruieren und Einfluss auf ihr Weltbild gewinnen können. Daher muss im Kontext von Sozialisationsforschung auch immer von
Mediensozialisationsforschung gesprochen werden.
14 Siehe dazu ausführlich Kapitel 1.2.4.
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