Osteoporose 09.02.2012

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Interview mit Dr. med. Pierre-Alain Buchard:
Gesundheit! – Osteoporose
Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge zählt Osteoporose zu den zehn häufigsten Erkrankungen überhaupt.
Bei Osteoporose verliert der Knochen an Masse und Stabilität. Da diese Krankheit meist unbemerkt fortschreitet, wird sie häufig
erst entdeckt, wenn es zu einem Knochenbruch kommt. Antoine Gessler (dt. Text Karin Gruber)
Die kleine Eisfläche auf dem schlecht
geräumten Gehweg bringt seine Füsse
ins Rutschen. Mit wild herumfuchtelnden Armen versucht er, sein Gleichgewicht wiederzuerlangen. Doch ehe er
irgendwo sicheren Halt finden kann,
landet er unsanft auf dem harten
Asphalt. Ein junger Mann hätte sich
wohl laut vor sich hin schimpfend wieder aufgerichtet und wäre mit einem
schmerzenden Hintern weitergelaufen. Doch mit 75 Jahren ist man längst
nicht mehr so agil, wie man es noch
mit 20 war. Ein stechender Schmerz
fährt durch die Hüfte des Gestürzten.
Da sich der Mann nicht mehr aufrichten kann, ist die Ambulanz bald zur
Stelle. Im Krankenhaus diagnostizieren die Ärzte einen Oberschenkelhalsbruch. Der Aufprall hat gereicht, um
den von Osteoporose geschwächten
Knochen zu brechen. So wie diesem
Unglücklichen ergeht es vielen Menschen. Schon ein leichter Schlag, ein
unglücklicher Sturz, eine unachtsame
Bewegung – und die Röntgenbilder zeigen einen gebrochenen Knochen. Dr.
Pierre-Alain Buchard, Facharzt für
Rheumatologie und Chefarzt des Bewertungs- und Konsultationszentrums der Westschweizer Rehabilitationsklinik der SUVA in Sitten, informiert uns über die heimtückische
Krankheit Osteoporose.
Dr. Buchard, was ist Osteoporose
genau?
Osteoporose ist eine allgemeine Erkrankung des Skeletts, die durch eine
Abnahme der Knochendichte gekennzeichnet ist. Diese schwindende Knochendichte ist die Folge eines übermässig raschen Abbaus der Knochensubstanz und -struktur. Die Knochen werden poröser und schwächer, wodurch
sie leichter brechen können. Osteoporose ist eine sogenannte stille Krankheit, die asymptomatisch, das heisst
ohne Beschwerden, fortschreitet. Die
Betroffenen wissen meist gar nicht,
dass sie daran leiden. Früher wurde die
Diagnose zu spät gestellt, meist erst,
nachdem es schon zum Knochenbruch gekommen war. Seit rund zwanzig Jahren können wir dieses Problem
aber ganz anders angehen.
Was heisst das?
1993 wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine neue Technik anerkannt: die Osteodensitometrie (Knochendichtemessung). Sie
diente als Grundlage für eine revolutionäre neue Betrachtungsweise von
Osteoporose: Hatte man sich früher
nur auf die Fraktur konzentriert, eröffnet die Knochendichtemessung die
Möglichkeit, den Knochenmineralgehalt zu messen. Dabei wird eine Röntgenuntersuchung gemacht: Geringe
Mengen von Röntgenstrahlung werden durch den Knochen geschickt. Mit
dem Durchdringen des Knochens wird
die Röntgenstrahlung abgeschwächt.
Je nachdem, wie porös der Knochen
ist, dringt also eine bestimmte Menge
Strahlung durch ihn hindurch, was
auf dem Röntgenbild sichtbar wird.
Knochenbruchs kann ein langer Spitalaufenthalt vonnöten sein. Das bedeutet natürlich auch hohe Kosten. Da
unsere Bevölkerung immer älter wird
und damit ihr Osteoporose-Risiko
steigt, werden diese Kosten weiterhin
zunehmen.
Kann die Knochendichtemessung
als eine Art Prävention gesehen
werden?
So kann man es nennen. Es lassen sich
nämlich Parallelen zu anderen stillen
Krankheiten ziehen: Bluthochdruck
beispielsweise entwickelt sich lange
Zeit unbemerkt, bis es zu einem
Schlaganfall kommt; ein zu hoher
Cholesterinspiegel im Blut kann nach
etlichen Jahren ohne Beschwerden
plötzlich zu einem Herzinfarkt führen. Dasselbe gilt für Osteoporose: Sie
kann jahrelang unentdeckt fortschreiten und das Risiko für Knochenbrüche
erhöhen, ohne dass die betroffene Person davon weiss.
Welche Teile des Körpers sind am
stärksten betroffen?
Eigentlich können alle Knochen betroffen sein, gewisse Teile des Körpers
sind jedoch bedeutend stärker gefährdet: Oberschenkelhals, Wirbelsäule,
Handgelenk, Schulter. Das ist darauf
zurückzuführen, dass der Knochen an
diesen Stellen eine besondere Struktur
hat, die fragiler ist. Diese sogenannten
trabekulären Knochen sind poröser als
die anderen Knochen und schwammartig aufgebaut.
Welche negativen Folgen hat
Osteoporose?
Wie schlimm die Folgen von Osteoporose sind, hängt ganz davon ab, welcher Teil des Körpers betroffen ist. Osteoporose an sich ist keine tödliche
Krankheit – vor allem bei einem Oberschenkelhalsbruch kann es aber zu unangenehmen und schweren Komplikationen kommen. Die wichtigste negative Auswirkung von Osteoporose ist
eine deutliche Verringerung der Lebensqualität der Betroffenen. Frakturen können sehr schmerzhaft sein und
den Patienten in seinem Alltag stark
einschränken. Je nach Lokalisation des
Sind Frauen stärker betroffen?
Osteoporose betrifft vor allem Menschen in der zweiten Lebenshälfte. Die
Lebenserwartung der Menschen ist im
letzten Jahrhundert stark angestiegen, was beide Geschlechter für Osteoporose anfällig macht. Frauen erkranken aber früher daran, was mit ihrer
Menopause zusammenhängt. Die Eierstöcke bilden ab diesem Zeitpunkt
nämlich weniger Östrogene, die auch
eine schützende Rolle für die Knochen
spielen.
Ist Osteoporose schmerzhaft?
Man weiss heute, dass Osteoporose ohne Fraktur schmerzlos ist. Sie entwickelt sich zwar fortschreitend, doch
die betroffenen Patienten sind nicht
von ständigen Schmerzen geplagt.
Schmerzhaft wird es erst, wenn es zu
Frakturen kommt. Seltsamerweise ist
aber nicht jeder Knochenbruch
schmerzhaft: Über 50% der Wirbelsäulenfrakturen beispielsweise lösen keine Beschwerden aus und werden erst
bei systematischen Untersuchungen
entdeckt.
Ab welchem Zeitpunkt sollte man
Untersuchungen durchführen
lassen?
Bis zum zirka 30. Lebensjahr baut der
Mensch Knochenmasse – sein Kno-
chenkapital – auf. Danach baut sich
die Knochenmasse bei allen Menschen
regelmässig ab. Das Ausgangskapital
und die Geschwindigkeit von dessen
Verlust schwanken stark von einer Person zur anderen. Im Alter von 80 Jahren ist jede zweite Person von Osteoporose betroffen. Leider ist es nicht möglich, eine grossflächige Früherkennung durchzuführen. Das würde
enorme Kosten verursachen, ohne
dass der finanzielle Nutzen einer solchen Aktion gerechtfertigt wäre. Wir
müssen uns bei der Früherkennung also auf die am stärksten gefährdeten
Personen konzentrieren.
Wer sind diese Personen?
Die Gefahr eines Knochenbruches
hängt nicht allein vom Ergebnis der
Knochendichtemessung ab. Da spielen
auch noch andere Faktoren mit: eine
frühere, spontan oder nach geringen
Einwirkungen aufgetretene Fraktur
(Low Energy Fracture), beispielsweise
infolge eines Sturzes, die zu einer erneuten Fraktur führen könnte. Weitere ungünstige Faktoren sind Rauchen,
der Konsum von mehr als drei Einheiten Alkohol pro Tag, die Einnahme von
Kortison, Magerheit …
Heisst das, dass «dickere» Menschen weniger gefährdet sind?
Sie sind tatsächlich resistenter gegen
Osteoporose. Doch das ist vermutlich
der einzige Bereich in der Medizin, in
dem Übergewicht der betroffenen Person einen Vorteil verschafft.
Kann Osteoporose medikamentös
behandelt werden?
Knochen ist nicht ein lebloses Gewebe.
Er baut sich andauernd ab und wieder
auf. Das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Tendenzen wird von zwei
Arten von Zellen sichergestellt, die abwechselnd die Oberhand gewinnen.
Die Idee einer medikamentösen Behandlung besteht darin, entweder die
Osteoblasten (für die Knochenbildung
verantwortliche Zellen) zu stimulieren, oder ihre Gegenspieler, die Osteoklasten zu hemmen. Seit mehr als
fünfzehn Jahren verfügen wir über
sehr effiziente Medikamente dafür.
Gibt es eine mögliche Prävention?
Die Prävention findet vor allem über
eine gute Lebensführung statt: Vermeiden von Tabak und Alkoholmissbrauch, regelmässige Bewegung (vor
allem Laufen), regelmässiger Konsum
von kalziumhaltigen Milchprodukten
(Milch, Joghurt und Käse). Durch eine
vernünftige Sonnenexposition kann
zudem Vitamin D aktiviert werden. An
diesem Vitamin mangelt es unserer Bevölkerung leider häufig. Vor allem in
Heimen muss daher auf ein entsprechendes Ergänzungspräparat zurückgegriffen werden.
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