Ein Schnitt gegen sexuelle Belästigung

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WILDTIERE
Ein Schnitt gegen
sexuelle Belästigung
Männliche Landschildkröten sind ganz schön rabiate Liebhaber. Sie können
Konkurrenten und Auserwählte ernsthaft verletzen. Das Zürcher Tierspital
bietet deshalb chirurgische Kastrationen an. VON MARTINA FREI
Bild: © cynoclub / shutterstock.com; Illustration: © Nature Art / shutterstock.com
S
childkrötenmännchen haben es oft
schwer. Hunderte von ihnen landen in
den Auffangstationen. «90 Prozent der
dort abgegebenen Tiere sind Männchen»,
sagt Stefan Kundert, Vizepräsident der
Schildkröten-Interessengemeinschaft
Schweiz (SIGS). Dafür gibt es vor allem zwei
Gründe: Erstens werden viel mehr Männchen
gezüchtet als Weibchen, denn vielen Hobbyzüchtern fehlt das Know-how. Das Geschlecht
hängt bei Schildkröten von der Bruttemperatur ab. Unterhalb einer bestimmten Temperatur entwickeln sich die Tiere eher zu
Männchen, darüber eher zu Weibchen.
Der zweite Grund, weshalb so viele Männchen abgegeben werden, ist ihr Verhalten
gegenüber Artgenossen. Stehen kaum Weibchen zur Verfügung, kann es zu Aggressionen gegenüber Konkurrenten und so
zu Verletzungen kommen. Auch für
die wenigen Weibchen ist das
stressig, sind sie doch ständig heftigen Avancen ausgesetzt.
Caroline, das Schildkrötenmännchen von
Stéphanie Borel, führte das beispielhaft
vor: Dauernd belästigte er «sein» Weibchen, schlug immer wieder mit
seinem
Panzer
gegen ihren und
ramponierte ihn.
Vor 19 Jahren hatte ein Züchter Bo-
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TIERWELT 15 | 13. APRIL 2017
rel die beiden Griechischen Landschildkröten
als Weibchen verkauft. Dass «Caroline» ein
Männchen ist, zeigte sich erst, als er mit etwa
600 Gramm Körpergewicht geschlechtsreif
wurde. Das war vor 13 Jahren. Seither umwarb er das Weibchen alle Jahre wieder aufs
Heftigste.
Zufriedene Schildkrötenhalter
Doch anstatt Caroline wegzugeben, entschied
sich Borel letzten Sommer für eine andere
Möglichkeit: die chirurgische Kastration. Sie
wird seit vier Jahren am Zürcher Tierspital
angeboten. «Die Operationstermine sind je-
weils rasch vergeben», sagt Jean-Michel Hatt,
Leiter der Klinik für Zoo-, Heim- und Wildtiere. Das Kastrieren ist nur von April bis
September möglich, da die Tiere die kalte
Jahreszeit in der Winterstarre verbringen.
Idealerweise sollte es bis Juli erfolgen, damit
die Wunden bis zum Herbst gut verheilt sind.
26 Schildkrötenmännchen hat Hatts Team
letztes Jahr kastriert. Darunter auch zwei
Tiere von Stefan Kundert. «Ich bin mit dem
Ergebnis sehr zufrieden. Das ist besser als die
chemische Kastration mit Hormonen», findet
Kundert. Bis letztes Jahr bezahlte die SIGS
einigen Mitgliedern einen Zustupf an die
Operation, im Gegenzug mussten diese berichten, wie zufrieden sie waren.
Diese Rückmeldungen
sind
WILDTIERE
laut Kundert durchwegs positiv. «Der einzige
Nachteil dieser Methode ist ihr Preis.»
800 Franken kostet die Kastration einer
Schildkröte am Tierspital, bei zwei Tieren aus
dem gleichen Bestand gibt es Rabatt.
Heute ist nun Caroline an der Reihe. Vor
dem Eingriff musste er zwei Tage lang fasten,
um im Panzerinnern mehr Platz zu schaffen.
Ist der Darm entleert, erleichtert dies die
Operation, denn die Organe liegen bei den
Schildkröten sehr dicht beisammen. Am Vorabend bekam das Schildkrötenmännchen
vorsorglich Morphin gegen die Schmerzen.
Jetzt liegt Caroline narkotisiert auf dem
Operationstisch. Im Maul hat er ein dünnes
Silikonschläuchlein, über das ihn eine Maschine beatmet. Kleine Polster halten die
knapp 900 Gramm leichte Schildkröte so,
dass sie auf der rechten Seite liegen bleibt.
Behutsam setzt Hatts Assistent einen kleinen Hautschnitt in Carolines linker Leiste.
Durch diesen nur zwei Zentimeter langen
Schlitz führt der Tieroperateur eine Kamera,
eine Zange und eine winzige Schere ein. «Es
ist schwierig, an der richtigen Stelle reinzukommen», sagt Hatt, der auf einem Bildschirm vor sich ins Innere der Schildkröte
blickt. Erschwert wird die Operation, wenn
eine Schildkröte zu dick ist – ein häufiges
Problem. Meist liege es daran, dass sie zu viel
mastiges Futter bekomme, sagt Hatt.
Ein Hoden, so gross wie der Kopf
Vorsichtig arbeitet sich der Chirurg zum linken Hoden vor. Dessen Grösse beeindruckt:
Er ist fast so gross wie Carolines Kopf. Er habe
bei Schildkröten schon aprikosengrosse Hoden entfernt, sagt Hatt. Zwanzig Minuten
dauert es, dann hat er den linken Hoden
abgetrennt und aus dem Panzer geholt.
Zwei kleine Metallklemmen sorgen dafür,
dass die Wunde nicht blutet. Sie werden
im Bauch der Schildkröte bleiben. Der Assistent näht die
Haut wieder zu, dann
wird Caroline auf die linke Seite gedreht, um
auch den rechten Hoden zu entfernen. Nach
eineinhalb Stunden ist alles vorüber.
Etwa eine Stunde später beginnt Caroline
sich wieder zu bewegen. Einige Tage bekommt der Patient noch Schmerzmittel, bald
wird er auch wieder baden dürfen. Der Faden
für die Hautnaht sollte sich bis in zehn Tagen
auflösen, erklärt Hatt der Besitzerin, aber das
klappe oft nicht, weil die Haut der Schildkröten zu trocken sei. Dann müsste man ihn
ziehen. «Caroline wird deutlich ruhiger werden und weniger herumlaufen. Da müssen
sie mit dem Füttern gut aufpassen, damit er
nicht zunimmt», schärft er der Besitzerin ein.
«Wiesenkräuter genügen vollauf.»
GEWUSST?
Als der Biber
zum Fisch
wurde
«Einen schönen Sommer verbracht»
Caroline habe sich sehr rasch von dem Eingriff erholt und schon am nächsten Tag wieder normal gefressen und sich bewegt, berichtet seine Halterin später. Das aggressiv
anmutende Verhalten sei ab der Rückkehr
nach Hause verschwunden. «Meine beiden
Schildkröten haben endlich einen ruhigen
und schönen Sommer gemeinsam verbracht.»
Bis die Kastration Wirkung zeige, dauere
es unterschiedlich lang, weiss Stefan Kundert
aufgrund der Rückmeldungen der SIGSMitglieder. Es könne bis zu vier Monate gehen, bis die Männchen das Interesse an Weibchen verlieren. Die chirurgische Kastration
sei «eine sehr gute Sache», findet er. Aber das
Allerwichtigste sei, nicht einfach planlos
Schildkröten zu züchten, sondern erst, wenn
gute Plätze für die Jungtiere gefunden sind.
Informationen:
www.tierspital.uzh.ch/de/Kleintiere/
ZooHeimWildtiere/Leistungen/Kastration.
html
Stehen den männlichen
Liebhabern kaum weibliche
Schildkröten zur Verfügung,
wird es für Letztere ganz
schön stressig.
Um das Fleischverbot zu umgehen, wurde
der Biber kurzerhand zum Fisch erklärt.
I
m 14. und 15. Jahrhundert gab es
mehrere lange Fastenzeiten – insgesamt
130 Tage pro Jahr, an denen ein
generelles Fleischverbot galt. Da erstaunt es
kaum, dass findige Gläubige schon bald
Schlupflöcher suchten, um dieses Verbot zu
umgehen. So entstanden etwa die Schwäbischen Maultaschen, in denen Fleisch klein
gehackt vor dem Herrgott «versteckt»
wurde. Das Verbot geht auf Papst Gregor I.
zurück, der im Jahre 590 den Konsum von
Fleisch «warmblütiger Tiere» untersagt
hatte. Fisch war also erlaubt.
Biberfleisch erfreute sich damals grosser
Beliebtheit. Form und Geschmack des
Biberschwanzes erinnerten die Menschen
an Fisch. Und da der Biber sich meist im
Wasser bewegt, wurde am Konstanzer
Konzil 1414/18 beschlossen, dass «Biber,
Dachs, Otter – alles genug» seien. Heisst:
Diese Tiere hatten genügend Fischanteil,
um auch an Fastentagen gegessen werden
zu dürfen.
Noch 1754 erklärte der Jesuitenpater
Charlevoix: «Bezüglich des Schwanzes ist
er ganz Fisch, und er ist als solcher gerichtlich erklärt durch die Medizinische Fakultät
in Paris, und im Verfolg dieser Erklärung
hat die Theologische Fakultät entschieden,
dass das Fleisch während der Fastenzeit
gegessen werden darf.» Heute ist klar: Der
Biber ist ein Säugetier und gehört der
Ordnung der Nagetiere an. ANN SCHÄRER
TIERWELT 15 | 13. APRIL 2017
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