Parteienumfrage zu den Wiener Landtagswahlen am 10.10.2010

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Parteienumfrage zu den Wiener Landtagswahlen am 10.10.2010
Befragte Parteien: SPÖ, ÖVP, Die Grünen, FPÖ, BZÖ, KPÖ
Ziel und Zweck der Anfrage:
Der Verein für antirassistische und friedenspolitische Initiative – Dar al Janub - ist nun schon seit
sieben Jahren in der Integrations- und interkulturellen Begegnungspolitik aktiv. Außerdem arbeiten
wir schwerpunktmäßig zum israelisch-palästinensischen Konflikt.
In unserem Zentrum treffen sich Menschen mit verschiedensten Biographien und Hintergründen,
tauschen sich über das alltägliche Leben aus, lernen sich hier gegenseitig kennen, diskutieren die
verschiedenen Sichtweisen über die regionalen, wie internationalen Ereignisse und realisieren
gemeinsam Projekte. Wir sind AktivistInnen, ÖsterreicherInnen aus unterschiedlichen sozialen
Schichten, Menschen unterschiedlicher Herkunftsländer, unterschiedlicher Glaubensrichtungen und
Weltanschauungen. Die Wiener Wahlen sind für uns ein wichtiges Thema, denn für eine NGO, die
sich für Minderheitenrechte einsetzt, ist es eine entscheidende Frage, welchen Platz
Minderheitenrechte in den politischen Debatten einnehmen, wie diese von den Parteien diskutiert
werden und welche Positionen die im Parlament und Rathaus vertretenen Parteien zu diesem Thema
beziehen.
Als NGO möchten wir keine Wahlwerbung machen oder Wahlempfehlung aussprechen, einerseits,
um unsere Unabhängigkeit zu bewahren, andererseits auch, weil wir uns als überparteiliche
Organisation verstehen. Zu dieser Anfrage haben wir uns entschlossen, um den FreundInnen,
Mitgliedern, AktivistInnen und Gästen unseres Vereins einen Überblick über die Standpunkte der
Parteien zu den wichtigsten Themen, die im Verein diskutiert werden und vielen auf dem Herzen
liegen, zu geben.
Wir bitten Sie daher, als VertreterIn einer der wahlwerbenden und zu den Wahlen antretenden
Parteien, uns eine ausführliche Antwort auf diese, für unseren Verein wichtigen Fragestellungen in
schriftlicher Form zukommen zu lassen. Da Ihre Antworten eine wichtige Hilfestellung bei der
Wahlentscheidung für Mitglieder, UnterstützerInnen, FörderInnen und FreundInnen unseres Vereins
bietet, möchten wir Sie bitten uns Ihre Antwort gegebenenfalls bis spätestens 8.10.2010, 12 Uhr
zuzusenden.
Im Unterschied zum Usus einer Interview-Situation, gestalten wir unsere Fragen mit einer
einleitenden Ergänzung, die unsere Standpunkte zu den gewählten Themen wiedergibt. Wir möchten
damit auch einen Diskurs erweitern und Ihnen die Möglichkeit geben, unsere Fragestellungen
vertiefend zu verstehen.
Ihre Antworten möchten wir selbstverständlich gerne veröffentlichen (in unserem Verein, über
soziale Netzwerke und auf unserer Website). Wir behalten uns gegebenenfalls vor auch zu
vermerken, welche Partei uns keine Antwort auf diese Fragen geben konnte oder wollte.
1. Mangelnde Integrationsbereitschaft von MigrantInnen wird als ein wesentliches Problem
der Gesellschaft von vielen politischen EntscheidungsträgerInnen attestiert und ist gerade
auch im aktuellen Wahlkampf Thema kontroverser Auseinandersetzungen. Eine quer durch
alle Parteien häufig genannte, politische Antwort für dieses Problem sind (mehr oder
weniger verpflichtende) Sprachkurse für MigrantInnen. Jedoch hat gerade auch die
europäische und die Wiener Geschichte gezeigt, dass Menschen aus anderen Teilen der
Welt sich auch ohne die Aneignung der Landessprache integriert haben bzw. hier eine neue
Heimat finden konnten (z.B. die ZiegelarbeiterInnen aus dem ehemaligen Böhmen und
Mähren). Auch hat die Europäische Geschichte in tragischer Weise gezeigt, dass Menschen,
die seit Jahrhunderten hier lebten und die Sprache perfekt beherrschten, vom
Arbeitsmarkt ausgeschlossen, diskriminiert oder sogar verfolgt und ermordet wurden.
Sogenannte „Integrationsbereitschaft“ (oder umgekehrt „Integrationsunwilligkeit“) war
und ist bis heute ein beliebig einsetzbares Schlagwort, um Bevölkerungsgruppen zu
marginalisieren und gesellschaftlich an den Rand zu drängen. Gerade das Erlernen der
jeweiligen Landessprache ist vor allem auch ein sozialer Prozess, der sehr eng an
gesellschaftliche Strukturen gebunden und von der Offenheit einer Gesellschaft geprägt
ist. Umgekehrt kann die Landessprache kaum über sterile, oder gar erzwungene
Sprachkurse erlernt werden. Motivation, die Landessprache zu erlernen, kann auch nur
gegeben sein, wenn die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Perspektiven und Chancen
für MigrantInnen gegeben sind.
Was wird Ihre Partei unternehmen, um zu verhindern, dass die „Sprachkurs-Debatte“ als ein
Vorwand dient, um Menschen aufgrund ihres Migrationshintergrundes an den Rand zu drängen
und als politische EntscheidungsträgerIn sich damit der eigenen politischen Verantwortung für alle
BürgerInnen dieses Landes zu entbinden? Welche Maßnahmen plant Ihre Partei, um rassistische
und/oder kulturalistische Vorurteile innerhalb gesellschaftlicher Strukturen abzubauen, sowie
Anreize zu schaffen, dass Wirtschaftsbetriebe und insbesondere Betriebe im Dienstleistungssektor
dazu bewegt, MigrantInnen faire Chancen am Arbeitsmarkt zu bieten, bei der sie gleichzeitig auch
ihre kulturelle, religiöse und politische Eigenständigkeit wahren können? Welche Perspektiven
bietet Ihre Partei jenseits von Deutschkursen, die marginalisierten Bevölkerungsgruppen – mit
oder ohne Migrationshintergrund – fördert und Bildungs- und Arbeitsmarktgerechtigkeit schafft?
2. Der Wahlkampf spiegelt immer auch eine öffentliche Diskussion wider , nimmt aber
oftmals auch künstlich geschaffene und verkürzt dargestellte Problematiken in seine
Agenda auf. Aus gutem Grund sind Frauenrechte ein wesentlicher Programmpunkt nahezu
jeder Partei. Bedauerlicherweise werden aber auch diese im Wahlkampf oftmals nur
plakativ angerissen. Seit Jahren werden in diesem Zusammenhang insbesondere auch die
Rechte muslimischer Frauen - im positiven wie im negativen Sinne - verstärkt
thematisiert. Besonders problematisch erscheint uns dabei die verkürzende, oftmals auf
das vermeintlich „aufgezwungene Kopftuch“ reduzierte Diskussion, die Muslimas – gleich
ob sie nun das Hijab tragen oder nicht - zu Objekten eines Diskurses degradiert. Das medial
transportierte Bild der zu rettenden, kopftuchtragende Muslima scheint oftmals als
willkommener Vorwand, um wesentliche und einzufordernde Frauenrechte aus der
politischen Agenda auszublenden.
Was unternimmt Ihre Partei, um Rechte für Frauen – ungeachtet ihrer sozialen, religiösen,
sprachlichen, nationalen Zugehörigkeit oder sexuellen Orientierung – zu schützen, zu fördern und
durchzusetzen?
3. Der Islam ist eine anerkannte Weltreligion und zählt seit Jahrhunderten auch zum
kulturellen und geistigen Erbe Europas, dieses Landes und dieser Stadt. Scheint diese
Religion kulturell und juristisch in Wien akzeptiert, religiös in Grenzen geduldet zu sein
(Stichwort Minarett-Verbot), ist sie politisch nicht nur nicht akzeptiert, sondern wird er als
„politischer Islam“ gesondert gegenüber den anderen Weltreligionen betrachtet und –
aufgrund einzelner, djihadistischer Terrororganisationen
- pauschal dämonisiert.
Umgekehrt wird zu Recht jedem katholischen Würdenträger zugestanden, sich jederzeit
öffentlich sowohl zu religiösen, als auch zu politischen Themen im säkularen Österreich zu
Wort zu melden.
Müsste diese Normalität nicht auch für islamische VertreterInnen gelten? Was kann ihre Partei
dazu beitragen und was hat sie bisher beigetragen, um den Dialog mit muslimischen
VertreterInnen gerade auch zu politischen Themen zu fördern, zu verstärken und zu intensivieren?
4. Noch in der letzten Phase des europäischen Kolonialismus wurde auf deutschsprachigen
Universitäten von der „Vermorgenländerung“ Europas gesprochen. Gemeint war in der
damaligen Logik der herrschenden Wissenschaft, die „biologische Verunreinigung mit
vorderasiatischen und orientalischen Rassen“. Der Orientalismus ist im deutschsprachigen
Raum nach wie vor ein unzureichend aufgearbeitetes Thema. Während in der
Vergangenheit die biologistische Variante des Rassismus in der damaligen europäische
Wissenschaft forciert wurde und von dieser „wissenschaftlich“ legitimiert wurde, hat sich
diese spätestens durch das Verbrechen des Nationalsozialismus (vorläufig) disqualifiziert.
Gleichzeitig kann man heute vermehrt eine kulturalistische Variante des Rassismus
beobachten, bei der „Kultur“, oftmals als vermeintlich politisch korrekter Ersatzbegriff für
„Rasse“ fungiert, ebenso rassistische Argumentationen einer abendländischen
Überlegenheit bedient, und die zunehmend aggressiv vertreten wird.
Wie weit arbeitet Ihre Partei mit WissenschafterInnen, ExpertInnen , Kulturschaffenden,
alternativen JournalistInnen und Vereinen zusammen, um den rassistischen Bildern des
Orientalismus zu begegnen und eine offensive Vergangenheitsbewältigung zu betreiben, die die
500jährige Geschichte des rassistischen Kolonialismus aufarbeitet?
5. Wien war und ist ein Dreh- und Angelpunkt internationaler Politik. Friedenskonferenzen
und Impulse zur Konfliktlösung wurden von Wiener und österreichischen Persönlichkeiten
und Gruppen erfolgreich initiiert. Auch der israelisch-palästinensische Konflikt wurde von
Wien aus beeinflusst. Der marginalisierte und in der diskursiven Repräsentation
benachteiligte Part dieser beiden Konfliktparteien – die palästinensische Seite – hat in
Wien Ende der 1970er Jahre durch die Schaffung einer offiziellen, palästinensischen
Vertretung erstmals einen internationalen Status bekommen. Heute ist der Frieden ferner
denn je und die palästinensische Bevölkerung leidet wie nie zuvor unter Besatzung, Krieg
und Hunger.
Welche Signale kann ihre Partei von Wien aussenden, um den Palästinenserinnen und
Palästinensern zu signalisieren, dass sie nicht alleine sind? Was für Aktivitäten plant ihre Partei um
den Menschen in Palästina zu helfen? Würde ihre Partei einen Hilfskonvoi nach Gaza unterstützen?
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