Rechtsextremistische Jugendszene in Brandenburg

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Rechtsextremistische Jugendszene in
Brandenburg
Dr. Rainer Erb
Kurze Inhaltsübersicht:
Der Antisemitismus- und Rechtsextremismusspezialist Dr. Rainer
Erb (Berlin) gibt in seinem Beitrag einen Überblick über die
rechtsextremistische Jugendszene in Brandenburg. Zuerst gibt er
eine Definition des Rechtsextremismus, um dann Rechtsextremismus in Brandenburg zu beschreiben. Vor diesen Hintergrund
stellt Erb die rechtsextremistische Jugendszene, die sich als eine
gewaltorientierte Art der "Erlebnisgesellschaft" darstellt. Im Vergleich zu dieser Szene sind die neonazistischen Gruppen mit ihrem elitären Politikanspruch kleiner und weniger in der Öffentlichkeit präsent. Sie liefern jedoch die auf wenige Schlagworte reduzierte menschenverachtende Ideologie, die die rechtsextremistische Jugendszene charakterisiert.
1. Rechtsextremismus: ein vielschichtiges politisches Phänomen
Rechtsextremismus ist ein vielschichtiges Phänomen, das zwar in
unterschiedlichen Formen und Gesinnungen auftritt, sich aber
doch um einen gemeinsamen Kern herum bildet. Die rechts- extreme Ideologie läßt sich am besten als eine Anti-Ideologie beschreiben. Rechtsextremismus ist eine Bestrebung, die sich
kämpferisch gegen Werte, Verfahrensweisen und Institutionen der
demokratischen Verfassungsordnung richtet. Zu seinen wichtigsten Merkmalen gehören:
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Der Rechtsextremismus ist antipluralistisch aus Angst vor der
gesellschaftlichen Vielfalt. Er strebt regressiv gemeinschaftliche
Einheit an. Er wendet sich gegen die Idee der Menschenrechte
und der Gleichheit aller vor dem Gesetz.
Der Rechtsextremismus präferiert den autoritären Führerstaat
und ist deshalb antidemokratisch.
Er ist antiparlamentarisch, weil er den Wettbewerb verschiedener Parteien zugunsten einer homogenen Volksgemeinschaft
ablehnt.
Er ist antiinstitutionell. Gewaltenteilung und rechtsstaatliche Bindung der Regierung werden abgelehnt, weil sie das letztlich al-
lein geltende Führerprinzip einschränken.
Fernerhin kennzeichnet den Rechtsextremismus ein dogmatisches Denken, das von sich behauptet, im Besitz des überlegenen Zugangs zur politischen Wahrheit zu sein. Daraus folgt die
Ablehnung von Kritik und die Unduldsamkeit gegenüber Andersdenkenden. Konflikte werden nicht als Interessenkollision, sondern als "letzte Gefechte" verstanden. Anstelle rationaler Auseinandersetzung treten Mißtrauen, Verdacht und Verschwörungstheorien. Aus der Bejahung sozialdarwinistischer Grundsätze leitet sich ein kampforientierter Politikstil ab, der Gewalt in politischen Auseinandersetzungen grundsätzlich bejaht. Das Leben sei
Kampf, in dem sich nur der Stärkere behaupte. Daher müsse der
Starke auch seine Kraft gebrauchen und angreifen. So besteht
eine hohe Affinität zu allem Militärischen, zu Waffen und zu Krieg.
Das eigene Volk, "Rasse" oder Nation und ihre Kultur werden überbewertet (Ethnozentrismus, Rassismus, Nationalismus), hingegen andere Völker und Kulturen als "andersartig, fremd oder
artfremd" aggressiv als minderwertig und gefährlich abgelehnt
(Fremdenfeindlichkeit, Xenophobie, Antisemitismus). Während
man sich den Gastarbeitern, den Migranten, Asylbewerbern oder
den polnischen Nachbarn kulturell, ökonomisch und technisch
überlegen fühlt, sieht man sich von der "Macht" der Juden unterdrückt, ausgebeutet und beherrscht. Das Ausländerstereotyp
zeichnet das Bild einer Unterschicht, die arm, schmutzig, faul, sexuell aggressiv und kriminell sei, der man als Herr gegenüber tritt,
weil man sich ihr prinzipiell überlegen fühlt. Dagegen beschreibt
die antisemitische Ideologie den Juden als reich, mächtig und
einflußreich, der die Presse und die Finanzen manipuliert und als
Zionist weltweit die Fäden im Hintergrund knüpft. Man stilisiert
sich als Opfer dieser Weltmacht, gegen die man sich zur Wehr
setzen muß 1).
Neben diesen gemeinsamen Merkmalen gibt es Ausprägungen,
wie die "Reichs-Ideologie", neuheidnische Strömungen oder ger-
manische Esoterik, die nicht von allen Rechtsextremisten im vollen Umfang geteilt werden. Ähnlich verhält es sich beim Rückbezug auf den historischen Nationalsozialismus bzw. Faschismus.
Nicht alle Rechtsextremisten knüpfen mit ihren politischen Vorstellungen gleichermaßen an alle Teile der nationalsozialistischen
Ideologie oder Politik an. Während sich die Neonazis in ihrer Ideologie und Praxis als Erben und legitime Nachfolger des Nationalsozialismus verstehen, treffen andere Rechtsextremisten eine
Auswahl und versuchen gute und schlechte Seiten am "Dritten
Reich" zu unterscheiden, seine Verbrechen zu relativieren, aufzurechnen oder ganz zu leugnen ("Auschwitzlüge").
Die geistigen Wurzeln des Rechtsextremismus liegen vor allem im
völkisch-rassistischen Denken der 20er Jahre unseres Jahrhunderts und in sozialdarwinistischen Auffassungen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf Politik und Völker übertragen
wurden. Mit seinem anti-aufklärerischen und anti-egalitären Affekt
reicht aber diesen Denken bis ins 18. Jahrhundert zurück. Es
handelt sich in der Tat um alte Klamotten, denn seither sind neben semantischen Modernisierungen keine substantiell neue Gedanken hinzugekommen. Befürchtete man im 19. Jahrhundert
durch Gleichheit und Demokratisierung die Degeneration von Elite
und Volk, so wird heute unter dem neuen Schlagwort "Ethnopluralismus" bzw. "Befreiungsnationalismus" der Kampf für Ungleichheit weitergeführt. Waren es damals westliche kulturelle Einflüsse
und die Klassenauseinandersetzungen, die die "natürlich" begründete Identität der deutschen Nation bedroht hätten, so würden diese Einflüsse gegenwärtig die Namen Multikulturalismus,
Amerikanismus und Demokratismus tragen. Die "Bonner Politik"
zeige, daß sie unter diesem schädlichen Einfluß handle und daher
ist das "Bonner System" der zentrale Konfliktgegner, gegen das
sich alle "wahren Deutschen" zur Wehr setzen müssten. Der Begriff "deutsch" wird verengt definiert, denn nicht erworbene Zugehörigkeit und das politische Bekenntnis zu einer demokratischen
Nation ist gemeint, als vielmehr Herkunft und "deutsche Gesinnung". Die Zugehörigkeit qua Geburt erfüllt regressive Sehnsüchte, weil sie dem Einzelnen psychisch und sozial nichts abverlangt.
Die Zugehörigkeit begründet dann Ansprüche an wirtschaftliche
und staatliche Gratifikationen, die nicht mehr an Leistung, Engagement und individuellen Einsatz gebunden sind. Diese Ansprüche sind exklusiv gemeint; andere, die Nicht-Deutschen, sollen
die Verteilungsleistungen nicht erhalten.
2. Rechtsextremismus in Brandenburg
In der politischen Öffentlichkeit Brandenburgs tritt der Rechtsextremismus in vier Formen in Erscheinung.
1. Parteien, die wie die Deutsche Volksunion (DVU), die Republikaner (Reps) oder die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ihre politischen Ziele durch die Beteiligung an Wahlen erreichen wollen.
2. Kleinere Organisationen mit fester Struktur, aber meist von geringer Lebensdauer. Dazu zählen vor allem die Zusammenschlüsse von Neonazis, die sich um eine Führerfigur bilden.
3. Publikationen, Verlage und Autoren wenden sich mit ihren
Schriften und Zeitschriften entweder an die breite Öffentlichkeit
oder gezielt an das jugendliche Publikum.
4. Lokale Szenen, Cliquen oder "Kameradschaften" von überwiegend jungen Männern, die untereinander eher in einem lockeren
Zusammenhang stehen, auf deren Konto die überwiegende Zahl
der Straftaten, vor allem Gewalt- und Propagandadelikte gehen.
5. Alle diese Parteien und Gruppen versuchen für ihre Ziele Anhänger und Wähler zu gewinnen. Daher sind die Einstellungen
der Bevölkerung mit in den Blick zu nehmen. Es ist Aufgabe von
Meinungsbefragungen und Einstellungsuntersuchungen herauszufinden, wie stark rechtsextreme und fremdenfeindliche Dispositionen in der Bevölkerung verbreitet sind.
All diese Ausprägungen bilden eine Wissens- und Wertegemeinschaft. Sie müssen als Ganzes und in ihrem Zusammenwirken
verstanden werden. Aber nicht im Sinne einer organisierten Einheit, die von einem geheimen Zentrum aus gesteuert würde, sondern als Ausdifferenzierung nach Alter (ältere Parteimitglieder
bzw. junge Marschierer), nach dem Grad des Engagement und
der Beteiligung (aktive Funktionäre, inaktive Abonnenten, Personen, die einmal eine Parteispende abführen), arbeitsteilig zwischen der räsonierenden (Strategen, Autoren, Herausgeber) und
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