TU Dortmund, Wintersemester 2009/10 Institut für Philosophie und Politikwissenschaft M. Herrmann/C. Beisbart Wohlergehen und Lebensstandard als Maßstäbe unseres Handelns Die Messung von Glück (I; 9.11.2009) 1 Motivation: Warum Glück messen? 1. Sitzung: Vorschlag: Das BIP ist kein guter Maßstab für politisches Handeln; wir brauchen einen Glücksindex, der quantitativ beschreibt, wie gut es den Menschen geht. Konkretes Beispiel: City-Maut in Dortmund für Autos als Vorschlag. Einige (Fußgänger) würden profitieren und ein besseres Leben haben, andere (Autofahrer) würden darunter leiden und ein schlechteres Leben haben. Um entscheiden zu können, ob die City-Maut sinnvoll ist, müssten wir wissen, um wie viel besser die Fußgänger leben würden, wenn die City-Maut eingeführt würde etc. Das können wir nur, wenn wir Glück quantitativ beziffern = messen können. 2 Was ist eine Messung? Antwort: Zuordnung von Zahlen zu Gegenständen in Bezug auf eine Hinsicht nach einer Regel (Griffin 1989, 93). Beispiel: Temperatur. Alltagssprache: Wir sagen, ein Zimmer sei wärmer als ein anderer; oder zwei Zimmer seien gleich warm. Also: Gegenstände, um die es geht: Zimmer z1 , z2 , ...; Hinsicht: Wärme. Messung: Eine Funktion, die (für einen bestimmten Zeitpunkt) jedem Zimmer eine Zahl zuordnet: T : z 7→ T (z) ∈ R . (1) Sinn und Zweck der Zuordnung: Wir fordern, dass die Zuordnung bestimmte Relationen in unserem Gegenstandsbereich in Relationen von Zahlen übersetzt. Dadurch wird eine Isomorphie (Strukturähnlichkeit) zwischen den Zahlen und dem Gegenstandsbereich und der relevanten Hinsicht etabliert. Die Isomorphie besteht natürlich unabhängig davon, ob wir die Zuordnung wirklich durchführen; aber wenn wir die Zuordnung durchführen, dann wird die Strukturähnlichkeit erst sichtbar für uns. Außerdem können wir Ergebnisse der Mathematik nutzbar machen, wenn die Isomorphie einmal über die Zuordnung etabliert ist.1 Mögliche Forderungen (hier am Beispiel der warmen Zimmer illustriert): 1. Ordinale Skala: Ausnutzen der Ordnungseigenschaften der Zahlen: Die Zahlen lassen sich auf der Zahlengerade anordnen. Forderung: Ähnliches gilt auch für den Gegenstandsbereich: Für unsere Funktion T soll gelten: Genau dann wenn z1 wärmer ist als z2 , gilt: T (z1 ) > T (z2 ) . (2) 1 Genau genommen liegt nur dann eine Isomorphie vor, wenn jeder Zahl ein Gegenstand zugeordnet wird. Ansonsten spricht man bloß von einer Homomorphie. Wir vernachlässigen das im folgenden. 1 Im folgenden wollen wir auch fordern, dass T (z1 ) = T (z2 ), genau dann wenn z1 und z2 gleich warm sind. 2. Kardinale Skala: Zusätzlich Ausnutzen der Addierbarkeit von Zahlen. Zusätzliche Forderung: Gleiche Wärmeintervalle sollen gleichen Zahlendifferenzen entsprechen. Also: Wenn z1 um dasselbe wärmer ist als z2 , um das z3 wärmer gegenüber z4 ist, dann soll gelten: T (z1 ) − T (z2 ) = T (z3 ) − T (z4 ) . (3) Das heißt, gleiche Wärmeintervalle (intuitiv gesprochen) übersetzen sich in gleiche Zahlendifferenzen. Zwei wichtige Fragen: 1. Kann man in einem bestimmten Fall überhaupt eine Zuordnung herstellen, die den Anforderungen (einer ordinalen oder kardinalen Skala) genügt? Das heißt: Gibt es die Strukturähnlichkeiten zwischen den Zahlen und einem Gegenstandsbereich überhaupt, so dass wir die Zuordnung herstellen können und die Isomorphie sichtbar machen können? Wenn die Antwort positiv ist, erfolgt sie durch ein Repräsentationstheorem: Schema: Es gibt eine Funktion T , die den gesuchten Anforderungen genügt. 2. Wenn es eine Funktion T gibt, die den genannten Anforderungen genügt, dann fragt sich, wie eindeutig diese Funktion ist. In manchen Fällen könnte es nur eine solche Funktion geben, in anderen viele. Die Forderung, die einer ordinalen Skala zugrunde liegt, lässt noch viele Funktionen T .2 Bei einer kardinalen Skala gibt es weniger Freiheit“. ” Die Einführung einer Messung kann scheitern, nämlich dann, wenn sich kein Repräsentationstheorem beweisen lässt. Im Beispiel mit den Temperaturen ist das Repräsentationstheorem unproblematisch. Hier ein Beispiel, in dem die Zuordnung nicht klappt: Gegenstandsbereich: Dichter (Goethe, Schiller, Kafka etc.). Hinsicht: Güte. Anforderung an unsere Funktion T : wie bei der ordinalen Skala,also: Genau dann wenn d1 besser ist als d2 , ist: T (d1 ) > T (d2 ) . (4) Genau dann wenn d1 gleich gut ist wie d2 , ist: T (d1 ) = T (d2 ) . (5) Problem: Nehmen wir, wir hätten die Zuordnung T . Nun gilt für alle Zahlen x, y: (x > y) oder (y > x) oder (x = y) . (6) D.h. von zwei Zahlen sind entweder die eine größer als die andere, oder die andere als die eine, oder beide sind identisch. Man sagt auch, die Zahlen bildeten eine vollständige oder lineare Ordnung; alle Zahlen lassen sich in dieser Ordnung aufeinander beziehen. Wie immer eine Zuordnung T aussieht, es würde dann für die Zahlen T (Goethe) und T (Schiller) gelten: (T (Goethe) > T (Schiller)) oder (T (Goethe) < T (Schiller)) oder (T (Goethe) = T (Schiller)) . 2 (7) Genauer: Sei f eine strikt monotone Funktion der reellen Zahlen auf sich selbst: f : x 7→ f (x) ∈ R. Dann ergibt f T : z 7→ f (T (z)) (das heißt, die Hintereinanderausführung von f und T ) eine andere Zuordnung, die den Anforderungen einer ordinalen Skala genügt. 2 Daraus würde wegen der Forderungen an die Repräsentation (4) und (5) folgen: Goethe ist besser als Schiller, Schiller ist besser als Goethe, oder beide sind gleich gut. Es scheint jedoch möglich zu sein, diesem Satz nicht zuzustimmen. Die Begründung wäre, dass man sich scheut, die beiden zu vergleichen; beide scheinen nicht vergleichbar zu sein. Goethe ist klarerweise nicht besser als Schiller, und Schiller ist klarerweise nicht besser als Goethe, aber es wäre auch nicht richtig zu sagen, dass beide gleich gut sind, weil das, was die beiden geschrieben ist, zu unterschiedlich ist, als dass man sagen könnte, sie seien gleich gut. Es scheint eine Inkommensurabilität vorzuliegen (wörtlich etwa: das Fehlen eines gemeinsamen Maßstabes; incomparability“ bei Griffin 1989, S. 79 – 83; ” nicht abgedruckt im Reader). Wenn das so ist, dann kann keine Zuordnung, die (4) und (5) genügt, gefunden werden. Daher gibt es kein Repräsentationstheorem; Dichter kann man nicht hinsichtlich ihrer Güte auf einer linearen, zahlenartigen Skala anordnen. Ähnlich kann man vermutlich nicht unterschiedliche Urlaube hinsichtlich ihrer Schönheit in einer Skala anordnen; ein Urlaub in New York und ein Urlaub in Paris sind vermutlich unvergleichbar.3 Literatur Griffin, J., Well-Being. Its Meaning, Measurement and Moral Importance, Oxford University Press, Oxford, 1989. 3 C.B., 11/2009. 3