Berufsbild der sozialräumlichen Sozialen Arbeit In Anlehnung an das St.Galler Modell zur Gestaltung des Sozialraums Roman Niedermann Masterthesis Berufsbild der sozialräumlichen Sozialen Arbeit In Anlehnung an das St.Galler Modell zur Gestaltung des Sozialraums Rahmen: Master in Sozialer Arbeit, Bern/ Luzern/ St.Gallen/ Zürich Verfasser: Roman Niedermann [email protected] Studienbeginn: September 2011 Fachbegleitung: Prof. Dr. habil. Ulrich Otto FHS St.Gallen Hochschule für Angewandte Wissenschaften Fachbereich Soziale Arbeit Abgabe: Herisau, 7. Januar 2014 ! 2! Abstract! Die Entwicklung in der Sozialen Arbeit von der Sozialraumorientierung hin zur Arbeit im und am Sozialraum sowie die gesellschaftlichen Transformationen wirken auf die sozialräumliche Praxis und Theorie zurück. In dieser Arbeit wird nach Selbst- und Fremdverständnissen bei Professionellen und Verantwortlichen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit gefragt. Das daraus resultierende Berufsbild der sozialräumlichen Sozialen Arbeit beschreibt das heterogene sozialräumliche Handlungsfeld der Sozialen Arbeit auf der Grundlage eines gemeinsamen Nenners. Ausgangsbasis für diese Übersicht sind eine qualitative Inhaltsanalyse von Organisationsunterlagen der sozialräumlichen Praxis und Experteninterviews mit Professionellen der Sozialraumarbeit. Durch die Gegenüberstellung von empirischen und theoretischen sozialräumlichen Fakten besteht eine breite Absicherung der Ergebnisse. Diese unterstützen die sozialräumlichen Zugänge des St.Galler Modells zur Gestaltung des Sozialraums über Menschen, Orte und Strukturen als Minimalstandard und betonen die hohe Relevanz sozialpolitischer Transformationen und des Sozialkapitals in der Sozialraumarbeit. Das sozialräumliche Interventionsverständnis ist dabei geprägt von der sozialen Produktion von Raum nach Löw. Dass bestehende Berufsbilder der Sozialen Arbeit einer Ergänzung durch die Sozialraumarbeit bedürfen, kann somit bestätigt werden. Unterstrichen wird zudem die Notwendigkeit der transdisziplinären Herangehensweise in der Sozialraumarbeit und der disziplinären Vertiefung der Arbeit an Sozialräumen in der Sozialen Arbeit. Keywords: Sozialräumliche Soziale Arbeit, Sozialraumarbeit, Soziale Räume, Sozialräumliche Gemeinwesenarbeit, Sozialkapital, St.Galler Modell zur Gestaltung des Sozialraums, Berufsbild Soziale Arbeit, sozialraumorientierte Soziale Arbeit ! 3! Inhaltsverzeichnis Tabellen- und Abbildungsverzeichnis............................................................................ 6 1 Einleitung.... ............................................................................................................... 7 1.1 Aufbau der Arbeit ................................................................................................. 8 1.2 Begriffserklärungen ............................................................................................. 8 2 Ausgangslage ............................................................................................................. 9 2.1 Problemstellung ................................................................................................. 11 2.1.1 Das uneinheitliche sozialräumliche Verständnis ....................................................... 11 2.1.2 Unklare Funktion und Verortung der Sozialraumarbeit ............................................. 12 2.1.3 Fehlende Berufsbildentwicklung ............................................................................ 13 2.2 Fragestellungen ................................................................................................. 14 2.3 Arbeitsthesen ..................................................................................................... 14 2.4 Relevanz der Praxisforschung ........................................................................... 14 A Theoretischer Teil......................................................................................................15 3 Grundlagen der Sozialraumarbeit ............................................................................ 15 3.1 Definitionen ....................................................................................................... 15 3.1.1 Soziale Räume – Das St.Galler Modell .................................................................... 15 3.1.2 Sozialraumarbeit/ Sozialräumliche Soziale Arbeit ..................................................... 19 3.1.3 Sozialraumorientierte Soziale Arbeit ....................................................................... 22 3.1.4 Sozialräumliche Gemeinwesenarbeit ...................................................................... 23 3.1.5 Transdisziplinarität/ Transnationalität .................................................................... 25 3.1.6 Sozialkapital......................................................................................................... 28 3.2 Aktueller Fachdiskurs und Forschungsstand ..................................................... 30 3.2.1 Forschung zur sozialräumlichen Sozialen Arbeit ...................................................... 32 3.2.2 Berufsbildbezüge in der Fachliteratur der Sozialraumarbeit ...................................... 34 3.3 Sozialpolitische Transformationen .................................................................... 34 3.4 Kritisch-reflexive Theoriediskussion ................................................................. 35 3.4.1 Fokus der sozialräumlichen Praxis.......................................................................... 35 3.4.2 Fokus der Sozialen Arbeit...................................................................................... 37 3.4.3 Sozialpolitischer Fokus .......................................................................................... 38 4 Berufsbildentwicklung in der Sozialen Arbeit .......................................................... 40 4.1 Bezüge zur Berufsbildentwicklung .................................................................... 40 4.1.1 Berufsbild als berufspolitische Kategorie ................................................................ 40 4.1.2 Das Berufsbild in der Sozialen Arbeit...................................................................... 41 4.2 Sozialräumliche Paradoxien .............................................................................. 42 B Empirischer Teil.........................................................................................................43 5. Forschungsmethoden und Forschungsdesign ......................................................... 43 5.1 Das Sampling ..................................................................................................... 44 5.2 Inhaltsanalyse konzeptioneller Daten ............................................................... 45 Exemplarische Bildung der Unterkategorien .................................................................... 46 5.3 Erstellen des Interviewleitfadens ...................................................................... 46 5.4 Durchführung der Experteninterviews .............................................................. 47 5.5 Narrationsanalyse und Interviewauswertung ................................................... 47 6 Ergebnisse der Inhaltsanalyse und Experteninterviews .......................................... 48 6.1 Kategorien und Themen..................................................................................... 48 6.1.1 Typen von fokussierten Sozialen Räumen .............................................................. 48 6.1.2 Funktion und Wirkung der sozialräumlichen Tätigkeiten .......................................... 49 6.1.3 Methoden der Sozialraumarbeit ............................................................................. 49 6.1.4 Qualitätskriterien in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit ......................................... 50 6.1.5 Qualifikation der in der Sozialraumarbeit Tätigen .................................................... 50 ! 4! 6.1.6 Sozialräumliche Zielsetzungen und Art der Ziele ..................................................... 50 6.1.7 Steuerungsprozesse und Bearbeitung des Sozialraumes .......................................... 51 6.1.8 Sozialräumliche Arbeit mit Personen und Netzwerken ............................................. 51 6.1.9 Verortung der Organisation/ Strukturen/ Ressourcen im Sozialraum ......................... 51 6.1.10 Bedarf und Legitimation der Sozialraumarbeit ....................................................... 52 6.1.11 Sozialräumliche Interdisziplinarität und Transdisziplinarität .................................... 52 6.1.12 Bearbeitung Sozialer Probleme im Sozialraum ....................................................... 53 6.2 Selbstverständnisse von Sozialraumarbeit ........................................................ 53 6.2.1 Entwicklungen und sozialpolitische Transformationen in Organisationen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit .................................................................................... 53 6.2.2 Spannungsfelder und Dilemmata in der Sozialraumarbeit ........................................ 54 6.3 Fremdverständnisse von Sozialraumarbeit ....................................................... 54 6.3.1 Entwicklungen und sozialpolitische Transformationen in Organisationen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit .................................................................................... 55 6.3.2 Spannungsfelder und Dilemmata in der Sozialraumarbeit ........................................ 55 6.4 Diskussion der Ergebnisse und der Forschungsmethoden ................................ 56 6.4.1 Kritische Reflexion des methodischen Vorgehens .................................................... 57 6.4.2 Kritische Beurteilung der empirischen Ergebnisse ................................................... 59 C Integrativer Teil .......................................................................................................61 7 Gegenüberstellung von Theorie und Empirie ........................................................... 61 7.1 Theorievergleich und Abstraktionen.................................................................. 64 7.1.1 Verständnis Sozialraumarbeit und Soziale Räume ................................................... 65 7.1.2 Funktion und Verortung der Sozialraumarbeit ......................................................... 66 7.2 Wirkung und Legitimation der Sozialraumarbeit .............................................. 68 7.3 Schnittstelle Sozialraumarbeit/ Soziale Arbeit .................................................. 69 7.4 Sozialpolitische Transformationen und Sozialraumarbeit ................................. 69 7.5 Zusammenfassung der Ergebnisse Theorie/ Empirie ........................................ 70 8 Berufsbild der sozialräumlichen Sozialen Arbeit ...................................................... 71 9 Schlussfolgerungen aus Theorie und Praxis ............................................................ 73 9.1 Kritische Bewertung des Berufsbildes der sozialräumlichen Sozialen Arbeit ... 73 9.2 Auswirkungen auf die Berufsbildentwicklung Sozialer Arbeit .......................... 74 9.3 Interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Gouvernementalität ...................... 74 9.4 Umgang mit sozialräumlichen Paradoxien ........................................................ 76 9.5 Sozialräumlichen Paradigmenwechsel gestalten .............................................. 77 9.6 Auswirkungen auf den Diskurs der sozialräumlichen Sozialen Arbeit .............. 77 10 Fazit.........................................................................................................................78 10.1 Theoretische Reflexion .................................................................................... 80 10.2 Zentrale Erkenntnisse ...................................................................................... 82 10.3 Berufsbildentwicklung ..................................................................................... 82 10.4 Ausblick ............................................................................................................ 83 10.5 Dank ................................................................................................................. 83 Literatur- und Quellenverzeichnis ............................................................................... 84 Anhang............ ............................................................................................................ 90 ! 5! Tabellen- und Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: St.Galler Modell: Denkfigur zur Gestaltung des Sozialraums............... 19 Tabelle 2: Theorien und Modelle sozialräumlicher Sozialer Arbeit...................... . 30 Abbildung 3: Soziale Produktion von Raum............................................................... 31 Tabelle 4: Kategorisierung der Empirieergebnisse nach dem St.Galler Modell .................................................................................................. 62 Abbildung 5: Berufsbild der sozialräumlichen Sozialen Arbeit...................................71 Abbildung 6: Modell eines erweiterten Quartiermanagements................................. 75 Abbildung 7: Erweitertes St.Galler Modell: Denkfigur zur Gestaltung des Sozialraums.......................................................................................... 79 ! 6! 1 Einleitung Der Soziale Raum ist ein Konstrukt, das analog einer Landkarte einen Überblick bietet, einen Standpunkt oberhalb der Standpunkte, von denen aus die Akteure in ihrem Alltagsverhalten ihren Blick auf die soziale Welt richten. (Bourdieu 1987, S. 277) Wie die Menschen sozial zueinander stehen und wie sich diese Vernetzungen im Raum manifestieren, interessiert Bourdieu und beschäftigt die Professionellen der Sozialen Arbeit. Wie sich diese Verbindungen zwischen Individuen und damit auch Institutionen relativ aufeinander beziehen und wie sich die daraus resultierenden sozialräumlichen Strukturen für die Interventionen der Sozialen Arbeit nutzen lassen beziehungsweise ob überhaupt Sozialer Raum produziert werden kann, sind Kernfragen in der Disziplin “Soziale Arbeit”. Diese Metaperspektive – nach Bourdieu – auf die soziale Landschaft zieht sich durch die vorliegende Arbeit, wenn nach dem aktuellen Bild zur sozialräumlichen Sozialen Arbeit (impliziert Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Soziokultur) und deren professionellen Fachpersonen gefragt wird. Die Masterthesis hat nämlich die Aufgabe, nach einem gemeinsamen Nenner im Verständnis der sozialräumlichen Sozialen Arbeit in der Praxis und in der Theorie zu suchen. Das daraus zu erarbeitende Berufsbild wird im Vergleich zu bestehenden Berufsbildern der Sozialen Arbeit in Bezug auf sozialräumliche Aspekte und Arbeitsfelder gesehen, welche im Anschluss daran auf allfällige Ergänzungen zu überprüfen sind. Die Notwendigkeit der Fokussierung der Tätigkeiten der Sozialen Arbeit in Sozialen Räumen begründet sich vorwiegend aus den verschiedenartigen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit in Sozialräumen und den vielfältigen theoretischen und fachlichen Bezügen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit in der Praxis und der Theorie. Das Verständnis von Sozialraumarbeit und der sozialräumliche Zugang in der Praxis der Sozialen Arbeit mit einer Praxisforschung zu ergründen und die Erkenntnisse mit sozialräumlichen Theorien und sozialpolitischen Entwicklungen abzugleichen, bilden die Kernaufgaben dieser Arbeit. Eigene Praxiserfahrungen in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit und einen Beitrag zur Berufsbildentwicklung in der Sozialen Arbeit zu leisten, sind des Weiteren persönliche, einfliessende Aspekte. Die theoretischen Hintergründe der Bezüge von Sozialer Arbeit zu Sozialen Räumen sind vielfältig. Eine sozialräumliche Soziale Arbeit lässt sich daher in der Theorie und Praxis nur bedingt denken und umsetzen, da die Zugänge zu Sozialen Räumen unterschiedlich und die Kausalitäten darin komplex sind. Ein gemeinsamer Nenner in der Beschreibung der Praxen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit ist daher wünschenswert. Die Breite des Sozialraumdiskurses macht es notwendig, für die Forschungsfragestellung und Berufsbildentwicklung eine theoretische Eingrenzung vorzunehmen und ein geeignetes Modell für die Untersuchung des Berufsverständnisses auszuwählen. Das St.Galler Modell wurde mit Blick auf die Praxis entwickelt und trägt durch die drei Zugänge “Ort”, “Mensch” und “Struktur“ eine Mehrdimensionalität bezüglich des Sozialraums bereits in sich (vgl. Reutlinger & Wigger 2010, S. 46). Das Modell ist aus dem Fokus der Sozialen Arbeit heraus entstanden und unterstreicht die Transdisziplinarität der sozialräumlichen Arbeit. Konkret bedeutet dies, dass die Ergebnisse der Berufsbilderforschung in erster Linie in Bezug zum St.Galler Modell reflektiert und differenziert werden. Im theoretischen Teil erfolgt die entsprechende sozialräumliche Diskussion. Die Anschlussfähigkeit für eine Praxisforschung ist beim St.Galler Modell zudem gegeben, da dieses von Experten der Lehre und Forschung erarbeitet wurde. ! 7! Eine Berufsbildbeschreibung für ein heterogenes Tätigkeitsgebiet der Sozialen Arbeit zu erstellen, im Bewusstsein, dass es die explizite Organisation der sozialräumlichen Sozialen Arbeit höchstens in der Theorie gibt, ist dabei eine besondere Herausforderung. Der offene Forschungsprozess, mit dem Ziel, den Stand der Berufsbildentwicklung festhalten zu können, beinhaltet überdies das Risiko, nicht genügend oder keine passenden Ergebnisse für die Berufsbildbeschreibung zu erhalten. Die Chance der qualitativen Forschung liegt hingegen im offenen, ungefilterten Erfassen des Feldausschnittes, so dass die Ergebnisse eine dezidierte Gegenüberstellung mit den sozialräumlichen Theorien ermöglicht. Des Weiteren kann dadurch eine gewisse Qualität des Berufsbildes erreicht werden, welches somit eine Gültigkeit über die untersuchten Fälle hinaus haben kann. Den Professionalisierungsprozess der sozialräumlichen Sozialen Arbeit mit zu formen und eine Diskussionsgrundlage für die Berufsentwicklung und Einordnung in der Landschaft der Sozialen Arbeit zu geben, kann ausserdem als sinnvoller Beitrag zum sozialräumlichen Diskurs und der Ausgestaltung der Praxis gesehen werden. So ist ein Plädoyer für das Sich-Einbringen der Sozialen Arbeit in eben diesen Prozess, gleichberechtigt mit anderen Disziplinen, durchaus mit dieser Studie verbunden und bildet gleichsam den Abschluss der Thesis. 1.1 Aufbau der Arbeit Die Masterthesis gliedert sich im Anschluss an die Beschreibung der Problem- und Fragestellung und die Gegenstandsklärung in drei Teile, die jeweils mit einer Zusammenfassung starten. Im Teil A erfolgt die theoretische Erarbeitung der Definitionen und Inhalte sowie der für die Praxisforschung und deren Auswertung notwendigen Schwerpunkte, Kategorien und Eingrenzungen. Der Teil B beschreibt den qualitativen Forschungsprozess und liefert eine erste Zusammenschau der Ergebnisse. Der abschliessende Teil C widmet sich der Zusammenführung der Forschungsergebnisse mit den theoretischen Erkenntnissen. Daraus wird die Berufsbildbeschreibung entwickelt und weiterführende Themen bezüglich der sozialräumlichen Sozialen Arbeit werden diskutiert. Die jeweiligen Kapitel sind so gestaltet, dass sie nicht zwingend in dieser Reihenfolge gelesen werden müssen. Die folgenden Hauptthemen ziehen sich durch die Arbeit und bilden den roten Faden: Sozialer Raum, Sozialraumarbeit, Sozialraumorientierung, St.Galler Modell, Berufsbild und Sozialkapital. 1.2 Begriffserklärungen Sozialräumliche Soziale Arbeit Der Terminus sozialräumliche Soziale Arbeit bezeichnet die Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit, die explizit im und am Sozialen Raum arbeiten. Die Fundamente der sozialräumlichen Sozialen Arbeit sind die Grundelemente der Demokratie: Partizipation, Kooperation und Dialog sowie eine verlässliche Finanzierungskultur (vgl. Biesel 2007, S. 166). Als Adressaten werden Personen, Netzwerke, Organisationen und Verantwortliche für strukturelle und materielle Gestaltung im entsprechenden Sozialraum. In dieser Arbeit wird die Funktion der sozialräumlichen Sozialen Arbeit in der Optimierung der Konstitutionen und Verhältnisse im Sozialen Raum zur Bearbeitung von sozialen Problemstellungen gesehen. Interventionen hierfür erfolgen oft durch Prozesssteuerung, Empowerment, Initiierung von Projekten und Konfliktmanagement. Sozialraumarbeit Die Sozialraumarbeit wird wie die sozialräumliche Soziale Arbeit betrachtet, nur dass sie erweitert inter- und transdisziplinär ausgestaltet ist. Jegliche Akteure im entsprechenden Sozialraum ! 8! können Funktionen der Steuerung des Sozialraums übernehmen. Dieser Ansatz wird in der vorliegenden Arbeit nicht ausformuliert und differenziert. Wenn jedoch ausdrücklich die Sozialraumarbeit angesprochen wird, wird dieser Begriff verwendet. Berufsbild Beschreibt in dieser Arbeit das Bild, das sich aus einem Beobachtungsfokus über einen Beruf ergibt. Dieses Bild hat in einem gesellschaftlichen Kontext eine weitreichende Allgemeingültigkeit und es verändert sich prozesshaft, bedingt durch die Faktoren, die auf den Beruf und die Beobachtenden einwirken. Auch die berufspolitische Kategorie bestimmt das Berufsbild mit. In der Praxisforschung geht es um die Erhebung des Berufsbildes der sozialräumlich tätigen Fachpersonen und eine theoretische Untermauerung desselben. Sozialer Raum Der Sozialraumbegriff wird in Anlehnung an Bourdieu (1987) verwendet: Der Sozialraum ist dementsprechend abhängig vom Beobachtungsstandort und der Wahrnehmung der Beobachtenden des Raumes, von den sozialen Vernetzungen im Raum und von der Manifestierung des Sozialen im Materiellen und den Strukturen im Raum. Diese gegenseitige Positionierung der in Relation zueinander stehenden Faktoren bildet den Sozialen Raum (vgl. Barlösius 2011, S. 119-120). Das Sozialkapital wird als die Messgrösse von Sozialen Räumen bezeichnet: Die Menschen und Institutionen besitzen soziales Kapital (Ressourcen), das untereinander in Beziehung gebracht wird und somit verschiedenste Formen von gesellschaftlichem Sozialkapital entstehen lässt (vgl. Putnam 2001). Sozialraumorientierung Die Sozialraumorientierung wird in der Fachdiskussion der Sozialen Arbeit oft als Handlungsmethode und Fachkonzept bezeichnet. Folgende Bedeutungszusammenhänge werden in der Fachliteratur wiederholt genannt: Sozialraumorientierung als Arbeitsprinzip des sozialräumlichen fachlichen Handelns, als Lernfeld für Partizipationsprozesse, als Ausrichtung auf nachhaltige Stadtentwicklung und zur Steuerung von Angeboten und Lebenswelten (vgl. Spatscheck 2009, S. 33). Alle sozialen Organisationen können daher sozialraumorientiert handeln, was aber nicht die explizite Tätigkeit in und am Raum bezeichnet. 2 Ausgangslage Räume sind immer Soziale Räume. Sie sind das Ergebnis sozialer Praktiken verschiedenster Akteure. Gesellschaftliche Entwicklungen wie die stärkere Mobilität, Zersiedelungstendenzen, der demografische Wandel oder die veränderte Thematisierung des öffentlichen Raums setzen neue Herausforderungen und fordern proaktive Gestaltungsformen. Um nachhaltige Lösungen zu entwickeln, vermag ein erweiterter Blick auf räumliche, soziale und steuerungslogische Dimensionen sozialräumliche Herausforderungen vollumfänglich zu erfassen. (FHS St.Gallen 2013, Kompetenzzentrum Soziale Räume, ¶1) Im geschichtlichen Ursprung der Sozialen Arbeit steht mit der Settlement-Bewegung das Quartier im Zentrum (vgl. Biesel 2007, S. 23). Im aktuellen Umgang der Sozialen Arbeit mit Sozialen Räumen sind ein wachsender Fachdiskurs und eine Zunahme an Interventionen im Sozialraum zu beobachten. Die Sozialraumorientierung entwickelt sich damit tendenziell zu einer Tätigkeit im ! 9! Sozialen Raum. Diese Sozialraumarbeit hat viele Facetten, erfolgt interdisziplinär und etabliert sich mehrheitlich in urbanen Gebieten und im ländlichen Kontext in Projekten. In der vorliegenden Arbeit wird daher die Frage nach der Berufsidentität und dem Berufsbild der Fachkräfte der Sozialen Arbeit in der Sozialraumarbeit und nach ihrer Funktion und Legitimation im interdisziplinären Setting gestellt. In bestehenden Berufsbildern der Sozialen Arbeit fehlt nämlich diese Ausrichtung auf den Sozialen Raum hin noch weitgehend. Die Intensivierung der Sozialraumarbeit im fachlichen Diskurs hingegen veranschaulicht das Beispiel Schweizerischer Fachhochschulen, für die gilt: Die internationale und interdisziplinäre neuerliche und explizite Hinwendung zum Raum zeigt sich in verschiedenen strategischen Ausrichtungen Schweizerischer Fachhochschulen, die Raummetaphern wie Community Developement, Sozialplanung, Soziale Stadtentwicklung für übergeordnete Querschnittthemen und Schwerpunktbildungen regionaler, nationaler und internationaler Themensetzungen nutzen (Reutlinger & Wigger 2010, S. 7f). Sozialraumarbeit wird dabei durch Organisationen geleistet. Eine Annäherung an die Funktionsweise der sozialräumlichen Sozialen Arbeit kann versucht und der Optimierungsbedarf benannt werden, auch wenn es die klassische Organisation dafür nicht gibt. Mit Hilfe von Praxisbefragungen und dem Vergleich der Ergebnisse mit der Theorieentwicklung, im Sinne einer Präzisierung der sozialräumlichen Arbeit, lässt sich dieses Handlungsfeld der Sozialen Arbeit jedoch entsprechend analysieren. Der sozialräumliche Fachdiskurs beschreibt die Sozialraumorientierung und die Sozialraumarbeit in der Sozialen Arbeit. Das Handlungsfeld ‚Sozialer Raum’ ist von transdisziplinären und transnationalen Prozessen geprägt. Mit der sozialräumlichen Sozialen Arbeit stehen der Einbezug des Sozialraums ins sozialarbeiterische Verständnis und das professionelle Wirken im Sozialraum im Mittelpunkt der Betrachtung. Die Wichtigkeit des sozialräumlichen Denkens und Handelns in der Sozialen Arbeit zeigt sich in der interdisziplinären Zugangsweise zum Raum und der Ungleichverteilung der Disziplinen in den Entscheidungsstrukturen über die Gestaltung von Sozialen Räumen. Die Soziale Arbeit könnte sich daher vermehrt an der räumlichen Erkenntnisgewinnung und den Entwicklungsprozessen beteiligen und die Anliegen der Sozialen Arbeit, wie die Prävention, die Integration und die Netzwerkbildung einbringen. Die Globalisierung und die Aufweichung von nationalen Grenzen sowie die weltweiten Kommunikationstechnologien bedingen für die Soziale Arbeit eine Überprüfung der Definition und Sichtweise auf Soziale Räume, deren Funktion und Beschaffenheit. Die Beschaffenheit der Räume und die sozialen Vernetzungen verändern sich fortwährend und fordern eine Definition in Richtung ‚fliessender Räume’ oder ‚sich öffnender Räume’. Der Soziale Raum bildet durch die vielfältigen Dimensionen eine sinnvolle Grundlage und einen Zugang, um soziale und gesellschaftliche Entwicklungen zu beobachten und zu verstehen. In Organisationen, die eine sozialräumliche Soziale Arbeit anstreben, sind daher auch die Tätigkeiten sowie die Berufsrollen der Professionellen vielfältig. Je nach Einbezug des Sozialen Raums und den gewählten Zielsetzungen in der Sozialraumarbeit formieren sich die Anforderungen und methodischen Vorgehen daher unterschiedlich. Eine breite, differenzierte sozialräumliche Praxis ist in der Sozialen Arbeit nicht vorhanden. Einerseits ist eine Förderung dieser im Sinne der sozialen Integration sinnvoll. Andererseits gibt es in den verschiedenen Disziplinen sehr unterschiedliche berufliche Umsetzungen für die Sozialraumarbeit. Eine Vernetzung unter Professionellen und eine interdisziplinäre Funktions- ! 10! bestimmung ist daher unabdingbar für eine nachhaltige Praxis. Die Untersuchung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit im Rahmen dieser Arbeit ist eine Annäherung an das entsprechende Berufsbild, das kontinuierlich überprüft werden muss. Dabei steht die Soziale Arbeit ausgerichtet auf Netzwerke, das Gemeinwesen, Soziale Räume und Gruppen im Fokus, aber nicht die ausschließlich auf diese Klientel orientierte Praxis. 2.1 Problemstellung Nach einer einleitenden Benennung von grundlegenden sozialräumlichen Aspekten werden, ausgehend von der Literaturrecherche, drei Problemfelder beschrieben. Das Sozialraumverständnis und die Funktion und Verortung der Sozialraumarbeit sind wichtige Komponenten der Berufsbildbeschreibung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. In den Fachtexten zur sozialräumlichen Sozialen Arbeit von Christian Reutlinger (vgl. Reutlinger 2011, ¶8) wird daher folgende Transformation als Paradigmenwechsel in der Praxis und Forschung der Sozialen Arbeit bezeichnet: Die Sozialraumorientierung bezogen auf die Klientel oder ein Thema entwickelt sich zur Sozialraumarbeit mit der Ausrichtung auf den Sozialraum an sich mit dessen verschiedenen Längs- und Querschnittdimensionen. Die Gemeinwesen- oder Quartierarbeit in ihrer ursprünglichen Form scheint an ihren Ansprüchen der Sozialraumbezogenheit gescheitert zu sein (vgl. Schubert 2011, ¶1). Die Sozialraumorientierung hat somit in den meisten Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit Einzug gehalten und eine Verwässerung an expliziter Fachlichkeit erfahren. Die Sozialraumarbeit als Handlungsfeld steht in einem Institutionalisierungsprozess mit grossem Entwicklungspotenzial, wobei neue Praxisformen entstehen oder angedacht werden. Die theoretischen Konzepte der Gemeinwesenarbeit, der Sozialraumorientierung und der Sozialraumarbeit funktionieren in der Praxis parallel und ineinander verwoben. Dieser Wechsel der Denkweise ist begründet in sozialpolitischen Transformationen, wie demographischen Veränderungen oder wohlfahrtsstaatlichen Deformationen und einer zusätzlichen Ausrichtungsoption der Sozialen Arbeit auf die Bevölkerung als Ganzes mit ihren Bewältigungsleistungen. 2.1.1 Das uneinheitliche sozialräumliche Verständnis Mit dem transdisziplinären Zugang (vgl. 3.1.5) ist die Reflexion des gegebenen Kontextes mit vorherrschenden Normen in der Sozialraumarbeit wichtig. Von Bedeutung ist für die Praxis, den sozialräumlichen Diskurs interdisziplinär zu führen und über das notwendige theoretische und methodische Werkzeug zu verfügen. Diese Notwendigkeiten brauchen eine Thematisierung in der Praxiserforschung und eine entsprechende Benennung im Berufsbild. Kessl und Reutlinger (2009, ¶4) vertreten diesbezüglich die Ansicht, dass „im Mittelpunkt ... der Sozialraumarbeit ... [bei den] Fachkräften die Ausbildung einer reflexiven räumlichen Haltung [steht] als Realisierung einer reflexiven Professionalität im Fall raumbezogener Vorgehensweisen“ und die Förderung dieser bei sozialen Organisationen und politischen Verantwortungstragenden auf allen Ebenen. Die von Reutlinger und Wigger (2007) in der Ostschweiz untersuchten Praxen haben Anspruch darauf, den Sozialraum zu gestalten, wobei hier das Fehlen eines relationalen Raumverständnisses oder des Verständnisses von Struktur- und Prozessdimensionen des Sozialen oft in einer Verkürzung oder Vereinfachung der Raumwahrnehmung endet (vgl. Reutlinger & Wigger 2010, S. 51). Dieses Defizit an einem differenzierten Verständnis und der einheitlichen Definition der Funktion der sozialräumlichen Sozialen Arbeit ist eine der Herausforderungen dieser Praxisforschung. Es gilt somit, mit der vorliegenden Studie Klarheit zwischen Berufspraxis und Fachdiskurs bezüglich der Sozialraumarbeit zu schaffen. Der Transfer im Sinne der Theorieentwicklung in der ! 11! Sozialraumarbeit von der Wissenschaft in die Praxis könnte durch die Beteiligten überprüft und von der Praxis zur Wissenschaft vorangetrieben werden. Selbst- und Fremdeinschätzungen der Sozialraumarbeit durch Professionelle interessieren dabei besonders in Bezug auf das Berufsbild und die Entwicklungen in der Profession der Sozialen Arbeit. Für eine erfolgreiche sozialräumliche Soziale Arbeit und deren Verständnis braucht es eine Einbindung in gesellschaftliche Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse. Im sozialräumlichen Denken und Handeln wird somit Gouvernementalität (Foucault 2005) wichtig. Die folgenden Auszüge aus der Fachliteratur zeigen dabei die Spannweite dieser Vernetzung: Die Etablierung von sozialräumlichen Governance-Strukturen wird sinnvollerweise von einem kollektiven Lernprozess begleitet, „in dem die Beteiligung der Bürger als Bereicherung und nicht als Kompetenzverlust oder als Gefährdung der Routinen wahrgenommen wird“ (vgl. Holtkamp & Bogumil 2007; zitiert nach Schubert 2011, ¶4). „Durch den Netzwerkcharakter von GovernanceStrukturen verschiebt sich sukzessive das Interventionsgefüge“ (Schubert 2011, ¶4). Das politische Mandat der Sozialen Arbeit, der Einsatz für sozialverträgliche Strukturen, ist gefordert. Gleichzeitig sind solche Mitwirkungsmöglichkeiten begrenzt und von politischen Tendenzen und Regierungsformen abhängig: „Das heißt für Soziale Arbeit insgesamt, dass gleichzeitig eine kritische Reflexion der aktuellen Möglichkeiten und Grenzen der Bearbeitung des Sozialen Raums durch die Soziale Arbeit im Sinne der Gestaltung sozialer Prozesse notwendig ist“ (Reutlinger 2011, ¶8). Denn präzise gesehen, gehören Governance-Strukturen, als Teil des Sozialraums, zu den durch die sozialräumliche Soziale Arbeit zu bearbeitenden Systemen. Gemäss Foucault meint die Gouvernementalität das Gesamtsystem der Regierungsinstitutionen mit allen Komponenten und Facetten der Machtausübung. In seinem Konzept der Gouvernementalität bezieht Foucault sich dabei auf drei verbundene Erscheinungen: die politische Rationalität, den Machttypus und die historischen Prozesse (vgl. Foucault 2005, S. 177-179). Mit Blick auf Gemeindestrukturen geht aus Praxisberichten der sozialräumlichen Sozialen Arbeit hervor, dass es sozialräumliche Ansätze schwer haben, sich nachhaltig zu verbreiten, da in Verwaltungen noch immer das territoriale Denken herrscht. Die aktuelle politische Rationalität und historische Prozesse scheinen somit mehr Bedeutung zu haben als gesellschaftliche Entwicklungen im Sozialraum. 2.1.2 Unklare Funktion und Verortung der Sozialraumarbeit Die Funktionen Sozialer Arbeit sind aus der Sicht des Autors: (Re-) Integration in die Gesellschaft zu fördern, Prävention und stellvertretende Bewältigung von Sozialen Problemen; im Sinne der Gemeinwesenentwicklung die Förderung von Vernetzung und Mitwirkung und die Gestaltung von sozialverträglichen Strukturen und Räumen. Diese gelten grundsätzlich auch für die sozialräumliche Soziale Arbeit. Es stellt sich daher die Frage, ob die Arbeit mit Sozialen Räumen eine neue Funktion erfüllt oder anders gefragt: Wie begegnet die Praxis der Sozialen Arbeit den vielfältigen Zugängen, der Beschaffenheit und den Anforderungen von Sozialen Räumen und wie interveniert sie bei Sozialraumproblemen? In Sozialen Räumen wirken gesellschaftliche und politische Prozesse und prägen die Partizipation der Bevölkerung an Raumentwicklungen, die im schweizerischen Raumplanungsgesetz verankert ist. Ein politischer Auftrag, diese Mitbeteiligung herzustellen, schwingt daher für die Sozialraumarbeit mit. Die Soziale Arbeit mit ihrem Auftrag der stellvertretenden Inklusion von Individuen ist doppelt oder mehrfach adressiert und gefordert. Ob das Ziel der sozialräumlichen Sozialen Arbeit politisch ist oder u.a. in der Moderation, Initiierung oder Gestaltung der Sozialraumentwicklung liegt, sind in der Ausgestaltung der Praxis zentrale Entscheide. Um die aus diesen Zielen herleitbaren Funktionen auch kontrollieren und weiterentwickeln zu können, muss ! 12! auch ein Wirkungsmessungsprozess etabliert werden. Denn die Messung von sozialer Vernetzung oder das Mass der Partizipation könnten damit vorangetrieben und benannt werden. Ist das Sozialkapital (vgl. Bourdieu 2007, S. 63) eine dafür verwendbare Grösse? Der Zusammenhang vom Sozialkapital zur Solidarität im Sozialraum wäre sicherlich ein lohnender Ansatz, der in einer separaten Studie untersucht werden müsste. Für die Berufsbildbeschreibung ist eine Annäherung an diese funktionalen Faktoren in jedem Fall von wichtiger Bedeutung. Durch die Verbindung verschiedenster Orte und Kontexte rückt die Verortungsfrage ins Zentrum der Sozialen Arbeit. Menschen in transnationalen und transdisziplinären Gesellschaften sind immer mehr an verschiedene und wechselnde Orte gebunden. Diesem Dilemma kann die Praxis nicht ausweichen und eine Lösung ist immer an sozialräumliche Prozesse gebunden. „Verortungsprozesse stellen insofern soziale Praktiken dar, mit denen spezifische räumliche Kontexte, die das Ergebnis vormaliger sozialer Praktiken sind, verändert, bestätigt oder verworfen werden“ (Kessl & Reutlinger 2009, ¶5). Ob dieses Bewusstsein und Vorgehen in der Praxis thematisiert wird, ist zu untersuchen. „Nicht weniger, aber auch nicht mehr als eine explizite und transparente Positionierung innerhalb dieser Prozesse ist die Aufgabe einer raumbezogenen Sozialen Arbeit im Sinne der Sozialraumarbeit. Die (Weiter-) Entwicklung einer solchen Sozialraumarbeit steht allerdings erst am Anfang“ (ebd., ¶5). Durch die virtuelle Vernetzung entstehen zudem Sozialräume mit unbegrenzten Optionen. Dabei stellt sich die Verortungsfrage nochmals ganz neu und ortsunabhängig: Die Verortung der Sozialen Arbeit in virtuellen Räumen verschiebt sich tendenziell zum Individuum und dessen aktuellem Standort hin. Durch die Wechselwirkung zwischen realen und virtuellen Sozialräumen entstehen des Weiteren völlig neue Handlungs- und Vernetzungsoptionen und diese lösen gesellschaftliche Prozesse mit weitgehend unbekannten Entwicklungen aus. Deutlich wird hierbei, dass „das Internet entscheidenden Einfluss auf gesellschaftliche Bezüge nimmt und virtuelle Räume vor diesem Hintergrund als eine Ausweitung des gesellschaftlichen Sozialraums anzusehen sind, da hier in gleicher oder ähnlicher Weise Funktionen bedient werden, die dem (realen) Sozialraum zuzuordnen sind“ (Kress 2012, ¶13). 2.1.3 Fehlende Berufsbildentwicklung Die dritte Kernfrage der Studie lautet: Wieso braucht die sozialräumliche Soziale Arbeit ein Berufsbild? Die Antwort darauf lautet: Weil sie im Berufsbild der Professionellen Sozialer Arbeit von Avenir Social weitgehend fehlt. Eine solche Berufsbildbestimmung wäre aber ein lohnender Versuch, dieses heterogene Handlungsfeld greifbar zu machen und den gemeinsamen Nenner zu betonen. In dieser Arbeit werden daher die Auswirkungen des sozialräumlichen Verständnisses auf die Profession, Berufsrolle, Qualifikationen und Ausbildung der Sozialen Arbeit und die Interdisziplinarität im Handlungsfeld fokussiert. Die Ausgestaltung der Praxis und das Berufsverständnis der sozialräumlichen Sozialen Arbeit können nämlich durch eine differenzierte Benennung transparenter werden. Eine Funktionsbeschreibung und ein mehrheitlich getragenes Verständnis von Sozialraumarbeit sind zudem für Legitimationsprozesse der Sozialen Arbeit in transdisziplinär geprägten Kontexten der Sozialraumarbeit existentiell. Denn eine räumliche Haltung erfordert eine spezifisch fachliche und damit eine berufspolitische Positionierung. „Damit schließt eine solche Sozialraumarbeit an ein reflexives Methodenverständnis an, das davon ausgeht, dass sozialpädagogische Fachkräfte prinzipiell über ein ganzes Spektrum an Methoden verfügen müssen, über deren Einsatz situationsspezifisch zu entscheiden ist und die zu legitimieren sind“ (Kessl & Reutlinger 2009, ¶1). Die Problematik der Berufsbildbeschreibung der Sozialarbeitenden in Sozialen Räumen besteht in den komplexen, pluralistischen, inter- ! 13! disziplinären und interkulturellen Anforderungen an die Kompetenzen. Diese Beschreibung ist somit abhängig von Sozialen Räumen und den entsprechenden Tätigkeitsfeldern mit den sozialpolitischen Rahmenbedingungen. 2.2 Fragestellungen Die leitenden Fragen, die daraus für die vorliegende empirische Forschung abgeleitet werden können sind somit folgende: Wie lässt sich das Berufsbild der sozialräumlichen Sozialen Arbeit beschreiben? • Wie wird die sozialräumliche Soziale Arbeit in Organisationsunterlagen umrissen? • Wie ist das Selbstverständnis von Professionellen der Sozialen Arbeit in der Sozialraumarbeit bezüglich Sozialen Räumen, der Verortung, Funktion, erzielten Wirkung, Legitimation und dem inter- und transdisziplinären Setting? • Wie ist das Fremdverständnis bei Verantwortungstragenden der Sozialen Arbeit und interdisziplinären Partnerorganisationen bezüglich Sozialen Räumen, der Verortung, Funktion, erzielten Wirkung und Legitimation der Sozialen Arbeit in der Sozialraumarbeit? • Welche aktuellen Entwicklungsthemen und sozialpolitischen Transformationen prägen die Sozialraumarbeit? 2.3 Arbeitsthesen Das St.Galler Modell zur Gestaltung des Sozialraums, über die Gestaltung von Orten, Steuerungsprozessen und die Arbeit mit Personen und Gruppen, lässt sich in Praxen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit erkennen. Das Berufsbild der Sozialen Arbeit bedarf einer Ergänzung durch die sozialräumliche Ausrichtung. 2.4 Relevanz der Praxisforschung Der Nutzen dieser Praxiserforschung liegt im Beitrag zum Berufsverständnis in der Sozialen Arbeit. Mit der Berufsbildbeschreibung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit wird eine Klärung und Positionierung im interdisziplinären Tätigkeitsfeld gefördert. Mit der Transparenz des vereinheitlichten sozialräumlichen Verständnisses und der expliziten Determinierung des Berufsverständnisses im Bezug zu anderen Disziplinen können die Rollenidentität und das Professionsbewusstsein in der Sozialraumarbeit wachsen. Grundsätzlich ist in der Praxis ein Bedarf an Reflexion und Abgleich von Selbst- und Fremdverständnis im Sinne der Qualitätsentwicklung gegeben. Dieser Beitrag zur Berufsentwicklung der Sozialen Arbeit durch Ergebnisse aus der Verständniserforschung der Praxis der Sozialraumarbeit richtet sich an Professionelle in der Praxis, politische Verantwortungstragende, an Interessenverbände der Sozialraumarbeit und an die Lehre und Forschung der Sozialen Arbeit. Mit dieser Arbeit ist es folglich möglich, einen Beitrag zum Wissenschaft-Praxis-Transfer im Definitions-, Funktions- und Legitimationsverständnis der sozialräumlichen Sozialen Arbeit, bezogen auf die aktuellen gesellschaftlichen Transformationen, zu leisten. ! 14! A Theoretischer Teil Zusammenfassung Durch das Platzieren von sozialen Gütern und Menschen, die in bestimmten Verhältnissen zueinander stehen, bildet sich der Sozialraum. Soziale Räume werden aus einer Betrachtungsperspektive mit einem thematischen Fokus wahrnehm- und beschreibbar. Das Sozialkapital beschreibt zwischenmenschliche Vernetzung, gegenseitiges Vertrauen und Normen generalisierter Wechselwirkungen innerhalb von Gemeinschaften und macht den Sozialraum bedingt messbar. Die soziale Produktion von Raum bezeichnet den Generierungsprozess von Sozialräumen mit den grundlegenden Faktoren und Prozessen. Das St.Galler Modell zur Gestaltung des Sozialraums fusst auf den Zugängen ”Mensch“, ”Struktur“ und ”Ort“, an denen auch die sozialräumlichen Interventionen ansetzen. Sozialräumliche Soziale Arbeit hat dabei die Funktion, die ursächlichen Bedingungen von Sozialen Problemen mit Interventionen in und an Sozialen Räumen zu bearbeiten. Eine reflexive räumliche Haltung bildet die Grundlage für professionelle Sozialraumarbeit. Die Abgrenzung zur sozialraumorientierten Sozialen Arbeit liegt in deren Ausrichtung der Klientelarbeit auf Soziale Räume. Transdisziplinarität und -nationalität prägen dabei zunehmend die Gestaltung der sozialräumlichen Tätigkeiten und verlangen neue Praxisformen und Konzepte für die virtuelle Sozialraumgestaltung. Sozialpolitische Transformationen treffen die sozialräumliche Soziale Arbeit im Kern und fordern Innovation. Das Berufsbild als berufspolitische Kategorie beschreibt die Ist-Situation von sozialräumlicher Praxisgestaltung und ist ein Beitrag zur Berufsentwicklung. 3 Grundlagen der Sozialraumarbeit 3.1 Definitionen Im sozialräumlichen Diskurs gibt es unterschiedliche theoretische Ansätze und Modelle, die in Kapitel 3.2 als Übersicht dargestellt werden. Es wird dabei jedoch kein Anspruch auf eine vollständige und differenzierte Diskursanalyse zur sozialräumlichen Sozialen Arbeit erhoben. Vielmehr geht es um die Einordnung der hier verwendeten grundlegenden Theorie nach Bourdieu und des St.Galler Modells zur Gestaltung Sozialer Räume. Entscheidendes Kriterium für diese Auswahl sind die vorzügliche Praxistauglichkeit und die Eignung für die Denkweise der Sozialen Arbeit. Das Generieren von sozialem Kapital nach Bourdieu durch die Akteure im Sozialraum unterstützt die Wirksamkeitsfrage in der Sozialraumarbeit. Die Auswahl der zu klärenden Themen ist dabei ausgerichtet auf den empirischen Teil und die Fragen, die gemäss der Kernfragestellungen (Kapitel 2.2) bearbeitet werden sollen. Die Kategorien für die Erfassung des Berufsbildes werden hierfür im Folgenden kontinuierlich erarbeitet und sind kursiv markiert. 3.1.1 Soziale Räume – Das St.Galler Modell Konkrete Sozialräume können sein: Aktionsraum, Aneignungsraum, Brennpunkt, Feld, Heimat, Kontext, Lebensraum, Lebenswelt, Medienwelt, Milieu, Nahraum, Ort, Platz, Quartier, Region, Revier, Situation, Transitraum, Umwelt, Viertel, usw. (vgl. Reutlinger & Fritsche 2010, 5f.). Der begrenzten Definitionsmöglichkeit von Sozialen Räumen wird folglich mit aktuellen Theorien begegnet und mit einem vielschichtigen Verständnis. ! 15! Das Konzept des Sozialen Raums wurde zunächst von Pierre Bourdieu entwickelt. Es dient der Darstellung und Analyse sozialer Strukturen und individueller Positionen. Die Verteilungsstrukturen des gesamtgesellschaftlichen und des individuellen Kapitals (soziales, kulturelles und ökonomisches Kapital) zeichnet Bourdieu in einem konstruierten dreidimensionalen Sozialen Raum nach. Orientierung im Sozialen Raum entsteht dabei durch den Habitus (Verhältnis von Raum und sozialem Verhalten) (vgl. Manderscheid 2008, S. 157f). Hierbei ist der Raum mit den zu denkenden Zugängen und Facetten und dem Fokus des Sozialen gemeint. Für zentral bei diesem Ansatz erachte ich folgende Aussage: Nicht das Räumliche ist von Relevanz, sondern das sich im Räumlichen gründende Soziale. Jeder Sozialraum ist von Menschen bestimmt und fokussiert. Bedeutend sind dadurch die Handlungsmöglichkeiten, die sich aufgrund der räumlich-baulichen Struktur, der Ausstattung und der Lage ergeben und das sinnliche Raumleben beeinflussen sowie die subjektiven Interpretationen des Raums als Lebensraum (vgl. Grimm 2007, S. 78). Dabei stellt sich die Frage, wie Soziale Räume (re-)produziert und räumliche Dimensionen sozialer Zusammenhänge z.B. von der Sozialen Arbeit erfasst werden. „Raumordnungen ... stellen wirkmächtige Materialisierungen sozialer Prozesse dar, das heisst bestimmter Redeweisen vom Raum“ (Kessl & Reutlinger 2010). Für die Soziale Arbeit ist die Erkennbarkeit von Sozialen Räumen mit ihren Strukturen relevant, um in und an ihnen arbeiten zu können. „Der Einfluss von Räumen im Sinne physikalischer Zusammenhänge zielt nicht direkt auf die Formation sozialer Praktiken, sondern bildet eine symbolische Ordnung, in der sich historische Gestaltungspraktiken eingeschrieben haben“ (ebd. 2010, S. 129). Dies zeigt die Wechselwirkungen sozialer Prozesse mit den tradierten Werten und Normen und weist auf die zeitliche Dimension von Sozialen Räumen hin. Folgende Dimensionen charakterisieren den Sozialen Raum: Eine historische, eine physisch-materielle, eine symbolische (z.B. Macht- und Entscheidungsstrukturen), eine lebensweltliche und Alltagsdimension, eine finanziellorganisatorische und eine inhaltlich-methodische Dimension (vgl. Grimm 2007, S. 77). Wie der Raum methodisch erfasst und mit welcher inhaltlichen ‘Brille’ er betrachtet wird, ist ein weiterer Aspekt des Raumverständnisses. Je nachdem, welche sozialen Prozesse oder Akteure man fokussiert oder welches Thema interessiert, werden Räume nämlich unterschiedlich wahrgenommen. Der Betrachtungsort der Raumdimensionen ist ein gewählter und auswechselbar. In diesem Sinne können hier nur einige Betrachtungen der sozialräumlichen Theorie einfliessen, denn diese müssen als ein nie endendes Kontinuum gesehen werden, das zum Weiterdenken und neu Betrachten anregt. Zur Frage der Konstituierung von Sozialen Räumen ist festzuhalten: Der Raum entsteht durch das Platzieren von sozialen Gütern und/ oder Menschen. Durch eine Syntheseleistung über Wahrnehmungs-, Erinnerungs- und Vorstellungsprozesse werden Güter und Menschen zu Räumen zusammengefasst. Die Bauteile des Sozialen Raumes sind materielle Ressourcen, Wissen, Rang und Zugehörigkeit, Einschluss und Ausgrenzung. Raum ist Zuschreibung und Vermachtung (vgl. Früchtel, Cyprian & Budde 2007, S. 199-202). Dieser praktische Ansatz beschreibt die Wandlungsfähigkeit und Gestaltbarkeit eines Sozialen Raumes, aber geht vom fixen Baukonzept aus und nennt soziale Wertschöpfung im ökonomischen Sinn Kapital. Die Gestaltung Sozialer Räume durch Menschen kann jedoch auch als ‚Spacing’-Prozess bezeichnet werden, in welchem Menschen sich materiell vorgefundene Räume aneignen, dabei Beziehungen eingehen und dadurch Orte zu Räumen mit eigener Qualität machen (vgl. Deinet 2006 zit. nach Spatscheck 2009, S. 34). Es gilt deshalb, die „relationale Anordnung von Menschen und sozialen ! 16! Gütern und Strukturen an bestimmten Orten“ (Spatscheck 2009, S. 34) in den Blick zu nehmen. Soziale Räume sind somit gleichzeitig lebensweltliche Aneignungskontexte (vgl. Deinet 2006, S. 57), in denen sich verschiedene Formen von gesellschaftlicher Teilhabe unter je spezifischen Bedingungen verwirklichen lassen oder welche diese auch verunmöglichen können. Dass sich der physische und Soziale Raum ergänzen, konkurrenzieren, ein- oder ausschliessen und bereichern können, könnte als die Qualität der Prozesse im Raum bezeichnet werden. Folglich kann festgehalten werden, dass materielle und Soziale Räume nie kongruent sein können, weder aus individueller noch aus gesellschaftlicher Sicht. Die Wahrnehmung des Sozialraums wird versucht in Bilder zu fassen: Raumbilder Innerhalb des sozialräumlichen Diskurses werden vier Raumbilder immer wieder benannt (vgl. Kessl & Reutlinger 2010, S. 91-120): • Der Global/ Lokale Raum entsteht aus den Prozessen der Globalisierung, Internationalisierung und Transnationalisierung. Es ist somit heute ein neuer Raum für die Rekonstruktion sozialer Zusammenhänge zu finden, der im Lokalen liegt. • Der Abgekoppelte/ Aufgewertete Raum hat die Ursachen in sozialen Polarisierungsprozessen verschiedener Bevölkerungsgruppen mit ungleich verteilten Verfügungs- und Zugangsmöglichkeiten. • Der (De-) Regulierte Raum ist begründet in einer Deregulierung sozialer Zusammenhänge und einer Regulierung in Form einer Territorialisierung des Sozialen in Folge von post-wohlfahrtsstaatlichen Arrangements. • Der Riskante/ Sichernde Raum entsteht in post-wohlfahrtsstaatlichen Strategien mit zunehmender Behandlung, Tatvermeidung und Bestrafung des Verhaltens von Personen und weniger deren Rehabilitation. Die Thematisierung von Raumordnungen ist ein sich entwickelnder Prozess und die Justierung von Raumbildern ist mit der Suche von Handlungssicherheit verbunden. Die Typen von fokussierten Sozialen Räumen sind damit eine Kernfrage in der Beurteilung der Praxis. Der disziplinäre Zugang zur Raumfrage ist insofern für die Soziale Arbeit interessant als vom gleichen Raum gesprochen werden kann oder vom gleichen Raumverständnis, aber der Fokus ein anderer ist und somit die Wahrnehmungsergebnisse und auch die Interventionen unterschiedlich sind. Dies zeigt, dass der interdisziplinäre Dialog und Entscheidungsprozess die Grundbedingung ist. Dabei kommt eine ganz neue Sicht auf Räume zum Zuge: “Das Dorf oder der Stadtteil als Ort lokaler sozialer Austauschbeziehungen ist nur einer der interessanten Räume – und nicht notwendigerweise der wichtigste. Soziale Austauschbeziehungen leben weiterhin mit der face-toface-Situation, sind aber nicht mehr sklavisch an sie gebunden“ (Grimm 2007, S. 78). Die Herausforderung vom Raumverständnis liegt in der Erfassung von effektiven Räumen, d.h. von Sozialen Räumen, die von Individuen, Organisationen oder Programmen ergründet oder erreicht werden. Sozialräume können sich über mehrere geographische Räume aufspannen oder wie russische Puppen ineinander verschachtelt sein. Geographisch-physische Flächenräume und Sozialräume menschlicher Verflechtungsbeziehungen sind ‚doppelt exklusiv ineinander verschachtelt’. Dauerhafte Sozialräume benötigen daher immer genau einen kohärenten Flächenraum (vgl. Pries 2011, S. 33). ! 17! Das St.Galler Modell Zentral in dieser Arbeit ist das St.Galler Modell zur Gestaltung des Sozialraums: Ein erster Zugang fokussiert die Gestaltung von Orten, d.h. die Veränderung der psychisch-materiellen Welt. Ein zweiter Zugang zum Sozialraum vollzieht sich über die Gestaltung von Steuerungsprozessen auf verschiedenen organisatorischen Ebenen von der Veränderung von Heim- oder Schulstrukturen bis hin zur Veränderung von traditionellen Verwaltungsstrukturen. Der dritte Zugang zum Sozialraum wird in der Arbeit mit Einzelpersonen oder Gruppen an Orten sichtbar. (Reutlinger & Wigger 2010, S. 16) Das Modell wurde aus dem Projekt ‚Vermessung der Sozialraumlandschaft’ gestützt und auf der Grundlage von Experteninterviews mit Forschenden und Dozierenden durch die FHS St.Gallen entwickelt. Dabei sind Blickwinkel der Sozialen Arbeit und der Sozial- und Gemeindeplanung berücksichtigt. Diese mehrdimensionale Perspektive versteht sich als grundlegend für die sozialräumliche Soziale Arbeit. Virtuelle Räume als spezifische Ausformung des Sozialen Raumes sind von denselben drei Determinanten bestimmt. Sie sagen zudem über die Qualität und Form der Kommunikation etwas aus und werden bedingt als eigenständige Räume gesehen. Sozialräume werden im genannten Projekt als nicht-absolute Einheiten, die das Ergebnis sozialer Prozesse sind, beschrieben (ebd 2010). Sie sind ein ständig (re-) produziertes Gewebe sozialer Praktiken, gezeichnet durch heterogene historische Entwicklungen, kulturelle Prägungen, politische Entscheidungen und bestehende Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Dieses Gewebe wirkt wiederum auf die Handlungen (vgl. Kessl & Reutlinger 2010, S. 253). Diese Prozesshaftigkeit kommt im St.Galler Modell zum Ausdruck und ist damit für die Beschreibung sozialräumlicher Arbeit geeignet. Es lassen sich die Methodenwahl und professionellen Haltungen der Sozialen Arbeit ableiten und Wechselwirkungen der Sozialen Arbeit zu anderen Disziplinen und Akteuren rekonstruieren. Gestaltungsoptimismus prägt den Charakter des Modells: Aktivierung in Form von gesellschaftlicher Mitwirkung und proaktive Gestaltung von Sozialen Räumen (vgl. Reutlinger & Wigger 2010, S. 22-23). Das Modell fokussiert die Sozialraumorientierung und die Sozialraumarbeit mit dem Aneignungsraum von Menschen und die Aktivierung des sozialen Kapitals. Die systematischen Wechselwirkungen der drei Zugänge zum Sozialraum und Interventionsansätze im Sozialraum sind noch wenig erforscht und bedingen eine sensible Beobachtung in der Anwendung des Modells. Schlussendlich interessieren gerade diese Prozesse im Sozialraum und sind der Gegenstand der Intervention durch die Soziale Arbeit. Sozialraumarbeit begreift sich im Bourdieu’schen Sinne in Bezug auf die eingeschriebenen Machtund Herrschaftsverhältnisse in die sie eingewoben ist und die sie gleichzeitig mit formt (vgl. ebd., S. 50-51). Weiter ermöglichen es die interdisziplinären Zugänge zum Sozialen Raum der Sozialen Arbeit, herausgefordert durch die multiplen Sichtweisen, ihre Methoden und ihr Kompetenzspektrum weiter zu entwickeln. Das St.Galler Modell unterstützt durch seinen Charakter die Aufgabe, die Steuerungsprozesse und die Bearbeitung des Sozialraumes in der folgenden Praxisuntersuchung genauer zu betrachten. ! 18! Gestaltung struktureller Steuerung Sozialraum Gestaltung von Orten Arbeit mit Menschen Abbildung 1: St.Galler Modell: Denkfigur zur Gestaltung des Sozialraums (ebd., S. 46) 3.1.2 Sozialraumarbeit/ Sozialräumliche Soziale Arbeit Die Sozialraumarbeit und die sozialräumliche Soziale Arbeit werden hier im Sinne der Sozialen Arbeit gleichbedeutend verstanden. Die Sozialraumarbeit kann aber zusätzlich inter- oder transdisziplinär ausgestaltet sein. Dies zu untersuchen sprengt den Rahmen dieser Arbeit. Die geringe Verbreitung der Sozialraumarbeit hängt mit der sich entwickelnden Wahrnehmungspraxis von Sozialen Räumen und der politischen Prioritätensetzung zusammen. Im theoretischen Diskurs lässt sich mit den verschiedenen sozialräumlichen Zugängen ein grobmaschiges Verständnisnetz der Sozialraumarbeit feststellen. Gemäss Kessl (2010, S. 133) beschränken sich sozialraumorientierte Ansätze auf raumbezogene Strategien Sozialer Arbeit in Bezug auf die dominierenden, oben beschriebenen Raumbilder. Hingegen „versteht sich Sozialraumarbeit explizit als Arbeit am Sozialen Raum, d.h. sie begreift sich selbst als aktive Gestalterin sozialer Zusammenhänge, als deren bewusste Ausgestalterin“ (Kessl, Reutlinger & Deinet 2010, S. 133). Diese ‚Arbeit am Sozialen Raum und die Soziale Arbeit als Ausgestalterin’ werden hier als zentrale Definition betrachtet. Im systemischen Sinn nach Luhmann (1987), frei übertragen auf die Sozialraumarbeit, werden intervenierende Organisationen selbst Teil des Sozialen Raumes mit ihren Macht- und Entscheidungsstrukturen. Jede Gestaltung des Sozialen Raumes betrifft die sozialräumlichen Akteure mit. Die Wirkung der sozialräumlichen Arbeit ist Teil des Sozialraums und verändert die sozialarbeiterische Organisation. Zur Systemtheorie von Luhmann werden in dieser Arbeit aus Kapazitätsgründen nur mögliche Anschlusshinweise gegeben. Die Plausibilität für den Sozialen Raum als zentralen Bezugspunkt Sozialer Arbeit lässt sich gemäss Grimm über die soziologische Theoriebildung des Raumbegriffs und aus der sozialarbeiterischen Theoriebildung mit Ursprung in der Settlement-Bewegung ableiten (vgl. Grimm 2007, S. 91). Neben der auf den Einzelfall der Sozialen Arbeit ausgerichteten Unterstützung bedarf es jedoch professioneller Interventionen zur Verbesserung der konkreten sozialräumlichen Bedingungen. Der Bedarf und die Legitimation der Sozialraumarbeit können nicht per se geklärt werden. Die dem Sozialraum entsprechende Bedarfserhebung kann als ein Teil der Intervention betrachtet werden, indem sich die Akteure als Teil des Sozialraums begreifen und externer und interner Bedarf bezüglich der Organisation erhoben wird. Die sozialräumlichen Dimensionen sind dabei auf die operative Umsetzung der Sozialraumarbeit zu übertragen: Auf der Mikroebene die individuellen Bezüge, auf der Mesoebene (System von Mikrosystemen) die ökosozialen Ausstattungen und auf der Makroebene (alle Systeme im Sozialraum) die globalen Wechselwirkungen (vgl. Bronfenbrenner 1989, S. 42). Die Bearbeitung Sozialer Probleme im Sozialraum interessiert aus Sicht der Sozialen Arbeit und der ! 19! gesellschaftlichen Entwicklungen. Der Blick auf nicht-individuelle Problemstellungen kann Auskunft geben über den Charakter von sozialräumlichen Problemstellungen. Die Ressourcen der im Sozialraum lebenden Menschen, der sozialen Dienste, der professionellen und ehrenamtlichen Akteure sowie die vorhandenen materiellen Ressourcen werden hierbei wahrgenommen und erfasst und sind Ausgangspunkt von Sozialplanung im Sinne eines umfassenden Sozialraummanagements (vgl. Handschuck 2013, S. 15). Funktion und Methoden der sozialräumlichen Sozialen Arbeit Für die Annäherung an die Funktion der Sozialraumarbeit kommt in dieser Arbeit folgendes, in der Reihenfolge korrigiertes, methodisches Vorgehen zum Einsatz: Die Planung, Organisation und Steuerung im Sozialraum, als ein kreisförmig-prozesshaftes Handeln, beinhaltet folgende Phasen: − Die Formulierung des Handlungsbedarfs, − die Beschreibung und Bewertung des Sozialraums, − die Zielentwicklung, − die Entwicklung, Koordination und Steuerung von Projekten und Massnahmen und − die Evaluation der Sozialraumarbeit (vgl. Rostock 2009, S. 59). Da diese Phasen verwandt sind mit anderen Modellen zur Prozesssteuerung, werden Querplanungen oder Vergleiche zu anderen gesellschaftlichen Entwicklungen möglich. Einige häufig in der Fachliteratur genannte Methoden der Sozialraumarbeit sind die Instrumente des Projekt-, Netzwerk- und Kontraktmanagements. Beim Netzwerk- und Kontraktmanagement werden Verbindungen zwischen Personen begleitet oder animiert. Sozialraum- und Lebensweltanalysen haben das Ziel, Eigenschaften von Sozialen Räumen sowie Potenziale und Probleme in diesen zu erkennen und sie durch die Soziale Arbeit im Sinne einer Problemlösung nutzbar zu machen (vgl. Spatscheck 2009, S. 37). Die Frage nach der Entwicklung, Verteilung, Ausgestaltung und Verfügbarkeit des Sozialkapitals und das Einbeziehen dieser Ressourcen bekommt eine funktionale Komponente in sich und kann auch als eine mögliche Wirkungsmessung der Sozialraumarbeit gesehen werden. Weiter sind virtuelle Welten mit realen verbindbar: Durch Multimediaprojekte kann die Vernetzung und Vertiefung von virtuellen zu realen Sozialräumen gefördert werden. Dadurch lassen sich neue Handlungs- und Erfahrungsmöglichkeiten durch ein soziologisches (Geographie und Sozialraum), narratives (Sozialraum und Geschichten) oder wahrnehmungsorientiertes (Reflexion und Sozialraum) Konzept (vgl. Röll 2009, S. 270-271) eröffnen. An wen sich die sozialräumliche Soziale Arbeit richtet, ist entscheidend für die Funktionsdefinition. Das sozialpolitische Adressat wird mit unter wichtig. Der Begriff der Sozialraumarbeit verdeutlicht, dass sich eine solche raumbezogene Soziale Arbeit nicht nur als stadtteil- oder quartiersbezogene, sondern immer als (sozial)politische Aktivität versteht. Sozialraumarbeit begreift den Bezug auf Soziale Räume insofern immer im Bourdieu'schen Sinne als Bezug auf die eingeschriebenen Macht- und Herrschaftsverhältnisse, in die sie eingewoben ist und die sie damit unweigerlich mit formt. (Kessl & Reutlinger 2009, ¶1) Bourdieu (1997) bezeichnet die Theoreme Kapital, Habitus und Divergenz der Felder als Konstruktionsprinzipien des Sozialen Raumes, die als Grundlage für die sozialräumliche Arbeit dienen. Die Interventionen der Sozialraumarbeit liegen mehrheitlich auf der Makroebene und im Mesosystem, d.h. die Arbeit an und mit den gesellschaftlichen Strukturen und Akteuren steht im Zentrum. Die Methoden und Merkmale dieser Arbeit richten sich dabei auf ein demokratisches ! 20! Verständnis aus, so dass Partizipation, Kooperation und Dialog zu den praktizierten und geförderten Kerntechniken gehören. Jedes Netzwerk ist aus einzelnen Personen gebildet. In der Praxisuntersuchung macht es daher Sinn, den Blick auf die sozialräumliche Arbeit mit Personen und Netzwerken zu richten. „Sozialraumarbeit meint die Einnahme einer reflexiven räumlichen Haltung. Diese konkretisiert sich durch eine systematische Kontextualisierung des jeweiligen Handlungsraumes, das heißt eine systematische und möglichst umfassende Inblicknahme des Erbringungszusammenhangs“ (Kessl & Reutlinger 2009, ¶5). Schlussendlich kann die Sozialraumarbeit immer als ein Handeln im und am Ort, mit und für Menschen betrachtet werden. Die kontinuierliche Inblicknahme der zugrundeliegenden Raumbilder, das Bestimmen von Methoden und die Einnahme der reflexiven räumlichen Haltung ist somit der eigentliche professionelle Handlungsprozess. Sozialräumliche Zielsetzungen und die Art der Ziele entscheiden sich dabei im lokalen Kontext im Aushandlungsprozess der Akteure. In der Praxisuntersuchung ist der Fokus daher auf die Zielentwicklung und Überprüfung zu legen und darauf, ob sich dazu ein ‚sozialräumliches Vorgehen’ beschreiben lässt. Ebenso wie Menschen den Sozialen Raum gestalten, beeinflusst der Soziale Raum wiederum die Menschen. Diese Wechselwirkung könnte als der zu bearbeitende Gegenstand der sozialräumlichen Sozialen Arbeit bezeichnet werden. Diese und die nachfolgend vorgestellten Beobachtungen und Tendenzen werden in der Fachliteratur wiederholt in diesem Zusammenhang hervorgehoben: Quartierarbeit oder Stadtteilentwicklung können Beispiele für die Sozialraumarbeit sein, aber keineswegs alleinige Referenzformen. So gewinnt in der strategischen Planung beispielsweise die Gestaltung von Versorgungssystemen zwischen Organisationen im Rahmen von Sozialplanungen als Antwort auf Soziale Probleme an Bedeutung. Für eine Begrenzung von Sozialen Räumen wiederum sind nicht örtliche Beschreibungen sinnvoll, sondern vielmehr das Zusammenspiel von Akteuren und Aktivitäten, die Soziale Räume konstituieren. Die konzeptuelle Ausgestaltung der Sozialraumarbeit hängt daher von den Wahrnehmungen der Sozialen Räume durch die Akteure und Professionellen vor Ort und der interdisziplinären Beteiligung dieser ab. Eine These für die Praxisforschung kann daher lauten: Als Minimalstandard sind die Qualitäten des St.Galler Modells umgesetzt. Denn die Funktion und Wirkung der sozialräumlichen Tätigkeiten sind das Kernelement der Arbeit im Sozialraum und in der Forschungsauswertung. Im Zentrum der Funktion sozialräumlichen Handelns steht daher folgende Aufgabe: „Sozialraumarbeit ist die professionelle Arbeit an und mit diesen Sozialräumen. Ihren Ausgangspunkt sucht die Sozialraumarbeit ... an den konkreten, aber heterogenen und dynamischen Orten und dem Zusammenspiel der unterschiedlichen Aktivitäten, die Räume (re-) konstruieren“ (Kessl & Reutlinger 2008, S. 3). Die Verortung der Organisation mit ihren Strukturen und Ressourcen im Sozialraum interessiert in Bezug auf die konkrete Gestaltung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. Sozialräumliche Arbeit setzt nämlich bei den Bedingungen an und versucht diese zu verändern und zu gestalten. Das konkrete Handeln und die Beteiligung im Sozialraum werden dabei von den räumlich-materiellen und kommunikativen Bedingungen beeinflusst (vgl. Hinte 2009, S. 18). Der Soziale Raum kann damit als die Welt der Vernetzung mit spezifischem Thema und gewähltem Fokus gesehen werden. Sind Netzwerke Struktur, Ressource und Verortung im Sozialraum? Eine adäquate Verortung dürfte der Schlüssel zur und das Aushängeschild für die sozialräumliche Soziale Arbeit sein. Dabei haben Strukturen und Ressourcen mindestens einen Einfluss auf die Wahrnehmung der Verortung im Sozialraum. Um ! 21! jedoch die notwendige Überprüfung von Qualitätskriterien in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit vornehmen zu können, sind zuvor Kriterien der Qualität und Indikatoren zur Prüfung in der Praxisforschung möglichst zu eruieren. 3.1.3 Sozialraumorientierte Soziale Arbeit In der fachlichen Diskussion ist zwar die Idee der sozialraumorientierten Sozialen Arbeit verbreitet, ein klares, einheitliches Fachkonzept ist hingegen nicht vorhanden. Ein sozialraumorientiertes Verständnis in der Fallarbeit und eine abgeleitete Arbeitsweise und Haltung sind heute Voraussetzungen für professionelle Soziale Arbeit. Eine detaillierte Übersicht über den Diskurs der Sozialraumorientierung sprengt allerdings diesen Rahmen. Der Fokus liegt daher nur auf dem Berner Modell der Ressourcen- und Sozialraumorientierung. Dieses zeigt zusätzlich zu der im Fachkonzept ‚Sozialraumorientierung’ nach Hinte beschriebenen sozialraumorientierten Klientenarbeit auch die Aktivitätengestaltung im Sozialraum und die lokale Sozialpolitik als Aufgaben der Sozialen Arbeit an. Die sozialraumorientierte Soziale Arbeit umfasst folgende Handlungsprinzipien: Orientierung an den Interessen der Wohnbevölkerung, Unterstützung von Eigeninitiative, Nutzung der Ressourcen der Individuen, des Quartiers und der Stadt, Zielgruppen- und bereichsübergreifendender Ansatz und Kooperation und Vernetzung (vgl. Grimm 2007, S. 78). Dieser Ansatz ist heute in vielen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit konzeptionell entwickelt und kann in beliebigen Handlungszugängen und Disziplinen integriert werden. Er gilt im Grundsatz auch für die Sozialraumarbeit, nur geht diese viel weiter und setzt bei sozialräumlichen Interventionen an. Hier wird der Unterschied von sozialraumorientierter Sozialer Arbeit und Sozialraumarbeit deutlich: In den Feldern der Sozialen Arbeit verschiebt sich die Perspektive sozialräumlich erweitert von den sozialen Beziehungen zwischen Menschen auf die Befähigung von Einzelnen und Gruppen zur Gestaltung des Sozialen in ihrem Umfeld (vgl. Reutlinger & Wigger 2010, S. 35). Neben der individuellen Sichtweise in der Sozialraumorientierung ist hier der Blick auf Gruppen, Organisationen und Netzwerke wichtig. Die sachspezifische Arbeit und die Orientierung an Gesetzen, Programmen und Traditionen sind weitere Facetten. „Die Trias von personenzentriert, personenübergreifend und personenunspezifischer Arbeit ergibt zusammen erst ein komplettes Verständnis sozialraumorientierter Sozialer Arbeit“ (Pantucek 2009, S. 46). Sozialraumorientierung meint damit eine kleinräumige Justierung sozialpädagogischer Handlungsabläufe zur Überwindung von institutionellen Differenzierungen, die bürgernahe, effiziente und effektive Gestaltung von Sozialer Arbeit und der Beteiligung der Betroffenen. Die Ungenauigkeit der Sozialraumorientierung liegt oft in der fehlenden Kontextualisierung des Raumbezuges. Die in Raumbildern eingelagerten Vorstellungen von Ordnungen verweisen auf Handlungsintentionen der Verantwortlichen. Mit der Benennung dieser wird den Beteiligten ermöglicht, Interventionen, Machtverhältnisse und Zielsetzungen zu erfassen und diesen transparent zu begegnen (vgl. Kessl & Reutlinger 2010, S. 44-51). Das Berner Modell Als eine Form der sozialräumlichen Arbeit versteht sich die Initiierung und Umsetzung der Ressourcen- und Sozialraumorientierung (RSO) in der Organisationsentwicklung und der Fallbearbeitung nach dem Berner Modell welches auf der Theorie von Hinte fusst (vgl. Kummer 2007, S. 220). Das Modell propagiert! in den Gemeinden ein sozialräumlich ausgerichtetes Entwicklungskonzept und das Leitbild einer vernetzten Sozialplanung. Das Modell (ebd., S. 220ff.) bezeichnet folgende Aufgabenfelder: ! 22! Direkte Einzelfallarbeit unter Miteinbezug der Ressourcen aus dem Sozialraum; Fallunspezifische Erkundung, Mobilisierung, Inventarisierung und Pflege von Ressourcen im Sozialraum; • Sozial- und Lebensraum gestaltende Aktivitäten; • Beförderung von Initiativen zu einer RSO ausgerichteten lokalen Sozialpolitik, Sozialplanung und Verwaltungsorganisation. Folgende personelle Kompetenzen werden daher in der Sozialen Arbeit u.a. vorausgesetzt: Ressourcenorientierung, Orientierung an den Zielen der Klientel, Fallberatung im Team und Sozialraumorientierung (vgl. Welbring & Springer 2007, S. 235). • • Im Vergleich zum Berner Modell ist das Fachkonzept ‚Sozialraumorientierung’ nach Hinte in der Fachliteratur heftig diskutiert und es wird als ‚sozialräumlich unvollständig’ bezeichnet. Folgende fünf Prinzipien prägen dabei dieses Konzept (vgl. Hinte 2007, S. 101-112): • Wille und Interessen der leistungsberechtigten Menschen als Ausgangspunkt; • Vorrang von aktivierender Arbeit vor betreuender Tätigkeit; • Personale und sozialräumliche Ressourcen spielen bei der Gestaltung von Hilfe eine wesentliche Rolle; • Aktivitäten sind zielgruppen- und bereichsübergreifend angelegt; • Vernetzung und Integration der sozialen Dienste als Grundlage für funktionierende Einzelhilfe. Sozialraumorientierung als fachliches Konzept wird dabei als ‚Gebäude’ dauernd renoviert, aber sein Charakter bleibt erhalten: Die Bereiche Aufbaustrukturen, Verfahren, Führungskultur sowie die konkrete Interaktionssituation zwischen Professionellen und der Klientel benötigen ständige Bearbeitung, um eine Nachhaltigkeit zu erreichen (vgl. ebd, S. 112). Wie sich Soziale Räume, Organisationen, Individuen und Institutionen kontinuierlich verändern, braucht die Sozialraumorientierung an sich ebenfalls die Ausrichtung auf die Gestaltung und Entwicklung der Prozesse, um wirksam zu bleiben. 3.1.4 Sozialräumliche Gemeinwesenarbeit In der Praxis und in der Fachliteratur wird die sozialräumliche Interventionsform der Gemeinwesenarbeit als verbreitet und aktuell beschrieben. Für die geplante Zuordnung der empirischen Ergebnisse macht die Beschreibung der sozialräumlichen Gemeinwesenarbeit daher sehr viel Sinn. Im Rückblick ist festzuhalten, dass die Möglichkeiten, Minderheiten im Gemeinwesen zum Widerstand zu motivieren, in den 70er Jahren überbewertet worden sind. ... Der Glaube, die Gemeinwesenarbeit [GWA] könne die Ursachen von Benachteiligung und Unterdrückung durch politische Aktivierung vor Ort beseitigen, erwies sich als Illusion. Aber das marxistisch orientierte Konzept hatte die Programmatik, das Vokabular und das Image der GWA insgesamt auf Jahre hinaus geprägt. (Schubert 2011, ¶1) Die Vernachlässigung von professioneller Kompetenz in der GWA wird im Fachdiskurs als entscheidender Grund für den Verlust an Relevanz benannt. „GWA wurde zu einem undifferenziert benutzten und schwammigen Begriff – gleichzeitig schien es so, wie wenn Kommunen Projekte der GWA ignorierten oder gar bekämpften. GWA Projekte wurden (zu) kurzzeitig angelegt oder von freien Trägern wohlfahrtsstaatlich funktionalisiert. Das Resultat: die GWA fristete meist ein ‚Randgruppendasein’“ (Hinte 2007, S. 24). Hingegen gewinnt die Theorie ! 23! der GWA an Bedeutung in der allgemeinen Sozialarbeit. GWA wurde als politisches, emanzipatorisches, die ungerechten Strukturen bekämpfendes Mittel institutionalisierter Sozialarbeit zu etablieren versucht. Die Ursachen Sozialer Probleme wurden dafür in erster Linie gesellschaftspolitisch und überindividuell gesehen. Für die daraus resultierenden notwendigen Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturen wurden parteiliche, konfliktorientierte Strategien entwickelt und als die geeignetsten Mittel zur tatsächlichen und langfristigen Verbesserung der Lebensbedingungen gesellschaftlich benachteiligter Bevölkerungsgruppen und zu deren Einbindung in politische Entscheidungsprozesse favorisiert (vgl. Reutlinger 2011, ¶6). Mittlerweile steht die Gemeinwesenarbeit, als ein methodischer Strang der Sozialen Arbeit, in einem weitgreifenden und grundlegenden Wandel, der sowohl die Praxis als auch die theoretische Aufarbeitung betrifft. Da die GWA als sozialraumorientierte Arbeit oder als Sozialraumarbeit gestaltet sein kann, ist die Grundhaltung durch die Wahl einer der beiden Perspektiven bereits determiniert und kann anhand der vorstehenden Ausführungen abgeleitet werden. Ihr Handlungsfeld wird hier zukunftsgerichtet thematisiert. Damit kann Gemeinwesenarbeit als eine spezifische Perspektive der Arbeit am Sozialen Raum bzw. der Arbeit an Sozialen Räumen definiert werden (vgl. Reutlinger 2011, ¶8). Dieser Vorschlag von Reutlinger ergibt die Querverbindung zur sozialräumlichen Entwicklung in der Sozialen Arbeit: Die Interventionen sind explizit auf den Sozialraum ausgerichtet und werden darin ausgeführt. „Eine zeitgemäße GWA-Perspektive muss deshalb den Zugang zu den heutigen Sozialen Räumen über die derzeitigen sozialen Prozesse bzw. die aktuellen sozialen Qualitäten suchen und nicht über die Analyse der physisch-materiellen Strukturen (wie beispielsweise die komplexen städtischen Strukturen)“ (Reutlinger 2011,¶7). Im Sinne dieses Wandels steht diese Arbeit für den professionellen und aktuellen Diskurs von der Gemeinwesenarbeit in ihrer Entwicklung hin zur Sozialraumarbeit und mit der Wechselwirkung von Praxis und Theorie. Der oben beschriebene Paradigmenwechsel wird dementsprechend als notwendig erachtet, will man weiterhin am Sozialen Raum arbeiten. Denn es gilt erneut an den unsichtbar gewordenen Bewältigungsleistungen aller Menschen anzusetzen, da die dahinter stehenden Leistungen, Potenziale und Bedürfnisse durch die gängigen Einheiten der GWA (territorial, funktional und/ oder kategorial) verdeckt sind und nicht wahrgenommen werden. Engagementstrukturen der Menschen verändern sich von formalisierten Beteiligungen z.B. hin zu Nachbarschaftshilfe oder zu nicht-formalisierten Netzwerken (vgl. Reutlinger 2011, ¶8). Mit der Bevölkerung als Ganzes im Zentrum gelingt es, eine soziale Entwicklungsperspektive aufzuschließen, in der auch benachteiligte Menschen nicht als Opfer benachteiligender Strukturen gesehen werden, sondern als aktive Gestalter ihres Bewältigungshandelns. Das Arbeitsprinzip GWA als Qualitätsmerkmal wird mit den Pfeilern mehrdimensionale Netzwerkarbeit, Alltags- und Lebensweltorientierung, Arbeit von und mit bürgerschaftlichen Organisationen, Methodenintegration, Arbeit an Leitungsebenen von Institutionen, kommunale Quartierspolitik, Gemeinwesen Ökonomie, Qualifizierung und Evaluation beschrieben (vgl. Klöck 2004, S. 163-172). Nach Oelschlägel ist GWA eine sozialkulturelle Interventionsstrategie, die sich durch folgende Merkmale charakterisiert: Bearbeitung von Sozialen Problemen in ihren vielschichtigen Dimensionen, Verwendung von interdisziplinären Theorien, integratives Handeln, Problem-Diversität, Ortsbezogenheit, Empowerment und Aktivierung von Individuen zu Subjekten (vgl. Oelschlägel 2007, S. 211-212). Bei den theoretischen Abhandlungen erscheint oft eine Aufzählung verschiedener Qualitäten der GWA; ein roter Faden im gesamten GWA-Verständnis ist ! 24! aber schwer auszumachen, denn zu vielfältig sind die Zugänge und Hintergründe. Oder besteht das Gemeinsame einfach in der Tätigkeit am und im Gemeinwesen? Eine solche Sichtweise verlangt aber mehr Differenzierung und Eingrenzung. Schubert versteht unter einer sozialräumlichen GWA die Rekonstruierung der Sozialen Arbeit hin zu einem vernetzten Zusammenwirken der Organisationen über Ressortgrenzen hinweg, eine Ankoppelung an die kommunale Sozialpolitik und den Aufbau sozialräumlicher Netzwerke, Erzeugung von Sozialraumkapital und Sicherstellung der Partizipation. „... die GWA ist im modernen Governance- Modell ein Gatekeeper, der interdependent zwischen der Bevölkerung und dem sozialwirtschaftlichen System vermittelt“ (Schubert 2011, ¶5). Dieser Funktionswechsel der GWA mit der spezifischen Grundausrichtung auf Soziale Räume ist bemerkenswert und ausbaubar. Gerade in globalisierten Gesellschaften bekommt diese Vermittlungsfunktion in Bezug auf Orte und in Sozialräumen eine zunehmend wichtige Bedeutung. 3.1.5 Transdisziplinarität/ Transnationalität Für die sozialräumliche Soziale Arbeit ist der Einbezug von Transnationalität und Transdisziplinarität in Bezug auf Soziale Räume notwendig. Dies gilt sowohl als Forschungsverfahren, das sich auch in der integrierten Praxisforschung manifestieren kann, als auch als konkrete Praxismethode, nur mit dem Unterschied, dass sich dort die Begrifflichkeit zu international/ interdisziplinär ändert. Die Sozialraumarbeit wird von verschiedenen Disziplinen geprägt und Soziale Räume werden von Menschen unterschiedlicher Nationen gestaltet bzw. Soziale Räume erstrecken sich über Nationen. Mit Transdisziplinarität ist in der Wissenschaft eine andauernde Kooperation zwischen Disziplinen gemeint, die zu einer wissenschaftssystematischen Ordnung führt, welche die fachlichen und disziplinären Orientierungen verändert. Transdisziplinarität ist ein Forschungs- und Wissenschaftsprinzip, das dort wirksam wird, wo eine fachliche oder disziplinäre Definition von Problemlagen und -lösungen nicht möglich ist (vgl. Mittelstrass 2007, ¶3). Das Prinzip integrativer Forschung ist ein methodisches Vorgehen, das wissenschaftliches und praktisches Wissen verbindet. Innerhalb dieses Konzeptes geht transdisziplinäre Forschung von Problemstellungen aus, jedoch nicht von Fragen, die ausschließlich wissenschaftsinternen Diskursen entspringen. Ein anderer Gesichtspunkt für das Verständnis von Transdisziplinarität ist der Grad der Integration der beteiligten Disziplinen, der als Unterscheidungsmerkmal zwischen Trans-, Inter- und Multidisziplinarität dient. Die Interdisziplinarität erbringt hierbei Lösungen durch das Zusammenführen von gemeinsamen und getrennt erzielten Ergebnissen und die Multidisziplinarität durch das Zusammenführen von getrennt erzielten Ergebnissen (ebd. 2007). Die Wechselwirkungen der Zugänge zum Sozialen Raum über Orte, strukturelle Steuerung und Personen oder Gruppen bedarf inter- und transdisziplinärer Diskussions- und Aushandlungsprozesse. Ein transdisziplinärer Blick ermöglicht es, Spannungsverhältnisse zwischen den Polen und Achsen des Modells zu erkennen und Sozialraumarbeit in einem umfassenden Sinn zu betreiben (vgl. Reutlinger & Wigger 2010, S. 50). Die Positionierung der Sozialen Arbeit in den inter- und transdisziplinären Prozessen und Vernetzungen steht in einer Entwicklung und Aushandlung und bedarf einer Steuerung und Überprüfung. Die folgenden Fragen stellen sich daher aus der interdisziplinären Sicht: Was macht das Spezifische der Sozialen Arbeit in der Sozialraumarbeit aus? Kann sie ohne andere Disziplinen agieren? Im transdisziplinären Zugang der Sozialraumarbeit ist die Gestaltung von Macht– und Herrschaftsverhältnissen zentral. ! 25! Eine normative Orientierung der Sozialraumarbeit, die sich auf Grund der vielschichtigen Gestaltungsverhältnisse auf verschiedene disziplinäre Wissen abstützen müsste, könnte neben den aus der demokratischen Tradition stammenden Werten von Freiheit, Gleichheit, Sicherheit und Sozialer Gerechtigkeit auf der Ebene des Sozialen die Ermächtigungsperspektive von Einzelnen, Gruppierungen und Organisationen sein – Ermächtigung verstanden als die Erweiterung von individuellen und kollektiven Handlungs- bzw. Gestaltungsspielräumen. (Reutlinger & Wigger 2010, S. 51) Die kontinuierliche Evaluation von Chancen, Grenzen, Möglichkeiten und der normativen Ausrichtung der Sozialraumarbeit und ihrer Transdisziplinarität ist im Sinne einer wirksamen und realistischen Umsetzung in der Praxis sinnvoll. Wissenschaftliche Verfahren der integrierten Praxisforschung (vgl. Maier & Sommerfeld 2005, S. 209) berücksichtigen empirische Forschung, systematische Theorieentwicklung und praxisbezogene Konzeptentwicklung in Projekten, die Forschung und Praxis gemeinsam durchführen. Die Sozialraum- und Lebensweltanalysen spielen dabei eine zentrale Rolle und werden oft interdisziplinär durchgeführt. Da die Soziale Arbeit eine grosse Nähe zu inter- und transdisziplinärem Vorgehen aufweist, wird die integrative Praxisforschung in sozialräumlichen Zugängen als sehr fruchtbar angesehen (vgl. Spatscheck 2009, S. 40). In diesem Zusammenhang werden auch systemtheoretische Ansätze nach Luhmann (1987) interessant, die hier nicht weiterverfolgt werden können: Verschiedene Funktionssysteme der Disziplinen treffen aufeinander und es stellt sich die Frage nach der Durchlässigkeit der Systemgrenzen und der gegenseitigen Verträglichkeit der unterschiedlichen Systemcodes. Der Einzelaspekt der Verträglichkeit wird weiterverfolgt. In der Praxisforschung bekommt die sozialräumliche Interdisziplinarität und Transdisziplinarität folglich eine zentrale Bedeutung. Transnationalität Die Durchlässigkeit der nationalen und internationalen Kontexte fördert die transnationale Kultur und Mobilität. Trans verweist dabei auf die Bewegung über Grenzen hinweg und auf quer zu tradierten Einheiten liegende Prozesse. Soziale Arbeit bedarf, um Soziale Probleme bewältigen zu können, einer Öffnung hin zu transnationalen Kontexten, denn „neue pluri-lokal verortete Vergesellschaftungsformen manifestieren sich“ (vgl. Reutlinger 2011, S. 54). Transnationale Sozialräume können z.B. durch internationale Migrationsprozesse, durch eine Divergenz von Stadt/ Land Verhältnissen oder durch international tätige Organisationen mit ihrer enormen räumlichen Ausdehnung, zeitlichen Verknüpfung und inhaltlichen Verschränkung von Produktionsprozessen und Wertschöpfungsketten entstehen. „Supra-nationale, globale, internationale, re-nationalisierte, glokale, diasporische und transnationale Beziehungen bestehen nebeneinander und sind ineinander verwoben“ (Pries 2011, S. 34). Damit entstehen weltweite Netze sozialer Interaktionen. Der tiefgreifende Wandel im Verhältnis von Gesellschaft und Raum macht somit ein neues Raumverständnis notwendig: zwischen, durch und über Nationen hinweg. Lokale Wirkungen transnationaler Prozesse zeichnen sich dadurch aus, dass Differenzen erkannt und bestehen gelassen werden und jede auf Konsens zielende Politik unterlassen wird. Die Intervention in diese Prozesse geschieht stattdessen durch die Wissenstransformation (vgl. Kniffki 2011, S. 77). Folgende begründeten Thesen stellt Kniffki zu den Folgewirkungen von Transnationalisierungsprozessen dar: • „Transnationalisierung und ihre lokalen Folgen können ohne eine entsprechende Transkulturalisierung nicht wahrgenommen werden“ (ebd., S. 71). ! 26! • • • • „Transnationale Wirkungen sind durch ‚Inkommensurabilität’ (Nichtvergleichbarkeit) gekennzeichnet, beinhalten Konflikte und sie sind nicht macht- oder herrschaftsneutral“ (ebd., S. 72). „Transkulturalität und Transnationalität müssen doppelt kontextualisiert werden“ (ebd., S. 73). „Transnationale und transkulturelle Prozesse finden in Netzwerken statt“ (ebd., S. 74). „Transnationale Prozesse sind nur steuerbar durch Beschreibung sowie Bewertung und bedürfen deshalb einer strategischen Positionierung“ (ebd., S. 74). Für die Soziale Arbeit besteht die grosse Herausforderung, solche meist globalen Prozesse für den sozialräumlichen Kontext greifbar zu machen. Das doppelte Kontextualisieren öffnet den zu bearbeitenden Sozialraum über globale Territorien und die transnationale Gestaltung der Sozialen Arbeit wird zu einer kaum zu lösenden Herausforderung. Es stellt sich daher die Frage, ob solche Entwicklungen überhaupt realistisch und nachhaltig gestaltbar sind. Aktuell scheint die transnationale Soziale Arbeit noch in den Kinderschuhen zu stecken, obwohl sich einzelne Projekte im Migrationsbereich bereits in diese Richtung vorwagen. Internet und Crowdsourcing An dieser Stelle erfolgt ein kleiner Exkurs zur Schwarmintelligenz in Kombination mit virtuellen Räumen im Sinne einer Zeitdiagnose. Denn zur Veranschaulichung der Nutzung von virtuellen Räumen über Disziplinen und Nationen hinaus scheint dieses Beispiel gut geeignet zu sein. Aus der Sicht des Autors prägt eine spezifische Transform zunehmend Soziale Räume: Virtuelle Räume bekommen in der Postmoderne enorme Bedeutung und eröffnen neue Sozialräume mit der spezifischen Eigenschaft, Raum und Zeit überwinden zu können. Das Internet kann dabei als der Soziale Raum per se gesehen werden. Um es als Vernetzungsmedium zu nutzen, braucht man eine Perspektive, die sozialräumlich orientiert ist. Die nicht nur nach geographischen oder fachlichen Gemeinsamkeiten sucht, sondern auch die sozialen Austauschbeziehungen im Blick hat (soziales Kapital). Dabei kann das bewährte Phänomen der Schwarmintelligenz ins Spiel gebracht werden. Als unfassbar grosse Ressource bekommt die Masse ein Gewicht und verleiht der Sozialraumdiskussion eine neue Facette und zukünftiges Potenzial. Durch das Internet verändert sich die Qualität und Konstruktion von Sozialen Räumen an sich. Für Begegnung, Entwicklung von Identitäten und Bildung werden durch die virtuelle Kommunikation ergänzende Möglichkeiten eröffnet. „Dadurch entstehen Wechselwirkungen zwischen dem realen und dem virtuellen Sozialraum, welche in vielerlei Hinsicht neue Handlungsmöglichkeiten implizieren und einen Zugewinn an Gestaltungsfreiheit bedeuten. ... eine strikte Trennung zwischen dem realen und dem virtuellen Raum [kann] damit nicht mehr vorgenommen werden ... [so] dass die Grenzen fliessend werden“ (Kreß 2012, ¶13). Für die sozialräumliche Diskussion wird die Summe des sozialen Kapitals und der Ressourcen in virtuellen und realen Räumen interessant und wie die Schnittstellen kapitalfördernd gestaltet werden können. Diese synergetische Qualität der Schwarmintelligenz kombiniert mit virtuellen Räumen wird in Projekten der Wirtschaft und Wissenschaft gelegentlich erfolgreich umgesetzt. Auch in der Problemlösungsfindung im Internet lassen sich zahlreiche Foren mit diesem Ansatz beobachten. Christian Papsdorf (2009, S. 69) beschreibt methodisch die Dimension des ‚ideellen und finanziellen Networking’ mit folgender Definition: "Crowdsourcing ist die Strategie des Auslagerns einer üblicherweise von Erwerbstätigen entgeltlich erbrachten Leistung durch eine Organisation oder Privatperson mittels eines offenen Aufrufes an eine Masse von unbekannten Akteuren, bei dem der Crowdsourcer und/oder die Crowdsourcees frei verwertbare und direkte wirtschaftliche ! 27! Vorteile erlangen.“ Für die sozialräumliche Soziale Arbeit stellt sich die Frage, wie diese technologischen Entwicklungen für die Gestaltung der Sozialen Räume und die Bewältigung von Sozialen Problemen explizit genutzt werden können. Das Internet stellt die Grundlage mannigfaltiger Kommunikation und Interaktion dar und fördert darüber hinaus die Ausbildung von Netzwerken und Communities. Es entstehen neue Beziehungsformen, die losgelöst von der eigenen sozialräumlichen Verortung bestehen. Diese werden nach Reiser in Wissens- und Kommunikationsnetzwerke, Partizipationsnetzwerke, Koproduktionsnetzwerke, Ressourcennetzwerke und räumliche Netzwerke über verschiedene Ebenen kategorisiert (vgl. Reiser 2012, ¶1). Auch wenn die virtuellen Räume und die Potenziale der Vernetzung und der Masse nicht den Schwerpunkt dieser Arbeit stellen, lohnt sich der Blick auf diese Phänomene, da sie sehr zukunftsweisend sind und enormes Problembewältigungspotenzial beinhalten. Bei den Interventionsformen der Sozialen Arbeit gibt es nur wenige, die in den virtuellen Kontexten oder bei den Verknüpfungen dieser mit den realen Sozialräumen ansetzen. Diese Innovation in virtuellen Räumen könnte daher im Sinne der Sozialraumarbeit eine Trendwende bewirken, indem sich ganz neue Copingsysteme und -qualitäten entwickeln. 3.1.6 Sozialkapital Der Blick auf die Bedeutung des Sozialkapitals in der Sozialraumarbeit ist notwendig und geht weitgehend mit der Frage der Messbarkeit von Sozialen Räumen und sozialarbeiterischen Interventionen einher. Die zentrale Stellung von Netzwerken im Sozialraum stellt die Frage nach dem ‚sozialen Produkt’, das diese hervorbringen. Der Begriff des Sozialkapitals wurde von verschiedenen Personen in unterschiedlichen Kontexten und Dekaden entwickelt, was eine Erklärung für die definitorische Vielfalt und nicht vorhandene klare Operationalisierung des Begriffs sein kann (vgl. Haug 1997, S. 9). Klar unterscheidet sich das Sozialkapital vom Humankapital, von kulturellem und von finanziellem Kapital. Nach Bourdieu (vgl. 1997, S. 63) handelt es sich beim Sozialkapital um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen. Das Gesamtkapital der Gruppenmitglieder dient als Sicherheit und verleiht ihnen Kreditwürdigkeit. Das Beziehungsnetz des Individuums basiert auf einer fiktiven Sozialkapitalschuld und auf dem Prinzip des Gebens und Nehmens. Der Soziale Raum wird durch die drei Grunddimensionen Kapitalvolumen, Kapitalstruktur und die zeitliche Entwicklung dieser konstruiert (vgl. Bourdieu 1996, S. 196). Gemäss Manderscheid lassen sich die Positionen der Akteure im Sozialraum entlang dieser Faktoren angeben. Diese Kapitaltypen bestimmen als Machtressourcen die Chancen im Sozialraum (vgl. Manderscheid 2008, S. 157). In der sozialräumlichen Sozialen Arbeit sind diese Qualitäten äusserst brauchbar für die Wirkungs- und Ressourcenerfassung der Interventionen. Das Habituskonzept nach Bourdieu (1996, S. 279) nimmt eine Scharnierfunktion zwischen den objektiven Strukturen im Sozialraum und der individuellen Lebenspraxis ein (vgl. Manderscheid 2008, S. 158). Mit Habitus ist nach Bourdieu die Haltung des Individuums in der sozialen Welt gemeint. Wertvorstellungen, Einstellungen, die Lebensweise, Gewohnheiten und die Dispositionen des Einzelnen zeigen sich darin. „Die Gehalte und Potenziale des Habitus bleiben in der Regel unbewusst. Um an der sozialen Praxis teilhaben und um soziale Praxis hervorbringen zu können, sei mehr auch nicht nötig.“ (Fuchs & König 2011, S. 115) Da der Habitus durch die Sozialisationsprozesse eines Menschen gebildet wird, entsteht ein Zusammenhang mit dem sozialen Kapital. Je nach der Menge und Qualität des zur Verfügung stehenden und verwertbaren Sozialkapitals für die Habitusbildung ist auch das Handeln des Individuums, geprägt vom eigenen Habitus, mehr oder weniger bzw. unterschiedlich sozialkapitalbildend. Diese These der ! 28! Wechselwirkung des Sozialkapitals mit dem Habitus von Menschen oder Gruppen wird indirekt damit gestützt, dass das soziale Kapital ständig erneuert werden muss (vgl. ebd., S. 168). Weiter dient das soziale Kapital dazu, „die Chancen der Erhaltung und Vermehrung des ökonomischen und kulturellen Kapitals zu sichern“ (ebd., S. 169). Die Vernetzungen der Menschen, die das Sozialkapital grundlegend bestimmen, sind somit abhängig von der Fähigkeit, aufbauend auf dem Habitus, diese herstellen zu können. Anderseits bestimmen die aktuellen ökomischen, kulturellen und sozialen Begebenheiten, welche sozialen Vernetzungen möglich sind und welche Qualität von Sozialkapital entsteht. Sozialkapital beschreibt zusammenfassend zwischenmenschliche Vernetzung, gegenseitiges Vertrauen und Normen generalisierter Reziprozität innerhalb von Gemeinschaften. Je höher der Bestand an Sozialkapital eines Kollektivs, desto besser seine demokratische und ökonomische Performanz (vgl. Koob 2007, S. 16). Je zahlreicher die Bürgerinnen und Bürger vernetzt sind, je stärker das Vertrauen, das die Menschen sich untereinander und den politischen Institutionen entgegenbringen und je mehr Normen effektiv auf kooperatives Handeln hinwirken, desto grösser das soziale, politische und ökonomische Handeln. In der Debatte um politische Kultur wird das Sozialkapital oder Vertrauensniveau einer Gesellschaft als positiv bewertete Ressource der Gemeinschaft betrachtet, die zur Lösung von Kollektivproblemen beiträgt (vgl. Haug 1997). Sozialkapital ist damit eine Summenbezeichnung für mindestens drei verschiedenartige, soziale Gegenstandsbereiche: Netzwerke, Normen und Vertrauen. Verschiedene Antagonistenpaare werden dabei ausgewiesen, die die vorhandene Vielfalt des Sozialkapitals aufzeigen (vgl. Putnam 2001): • individuelles/ kollektives Sozialkapital (Bildung und Wirkungen von Netzwerken); • formelles/ informelles Sozialkapital (Vereine/ spontane Zusammentreffen); • dichtes/ dünnes Sozialkapital (Beziehungen/ Begegnungen); • innen-/ aussenorientiertes Sozialkapital (Selbsthilfegruppen/ Gewerkschaften); • brückenbildendes/ bindendes Sozialkapital (Hilfebeziehungen/ Familie). Für Putnam verfügt die Zivilgesellschaft über ein gewisses Ausmass an Sozialkapital. Dieses Sozialkapital hat positive Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit von Ökonomie und Politik (vgl. Putnam 2001). Jegliches durch menschliche Interaktion entstandene Sozialkapital bildet das gesellschaftliche Sozialkapital und ist messbar. Dieses muss in negatives und positives Sozialkapital unterschieden werden. Beim Handeln in sozialen Netzwerkbeziehungen entsteht gesellschaftliches Sozialkapital, das für die Ausgestaltung der Sozialpolitik von Relevanz ist. Im Vergleich zum Begriff von sozialem Kapital bei Bourdieu sind die folgenden Schwachpunkte zu benennen: die Vermischung von Ursachen und Wirkungen sozialen Kapitals, so dass Putnam zirkulär argumentiert; die theoretisch unausgearbeitete Ausdehnung des Begriffs sozialen Kapitals auf Regionen und Staaten; die Idealisierung der positiven und die weitgehende Ignorierung der negativen Effekte sozialen Kapitals, sofern man von einem normativen Begriffsverständnis ausgeht, das soziales Kapital mit Demokratie und ‚Gemeinwohl’ assoziiert (vgl. Braun 2003, S. 11). ! 29! 3.2 Aktueller Fachdiskurs und Forschungsstand Die Theorien und Modelle, die in der aktuellen Fachdiskussion zur sozialräumlichen Sozialen Arbeit verwendet werden und eine Relevanz für diese Praxisforschung haben, wurden vorgängig beschrieben und sind hier in der Übersicht dargestellt. Sozialraumarbeit Theorie Bourdieus Konzept des Sozialen Raums, Habitus und des Sozialkapitals 1996 Putnams Konzept des Sozialkapitals 2001 Soziale Produktion von Raum nach Löw 2001 Sozialer Raum als Handlungs-, Beziehungs- und Herrschaftsraum nach Weber 1972, S. 13 Sozialraumorientierung Fachkonzept Sozialraumorientierung nach Hinte 2007 Konzept der Gouvernementalität nach Foucault 2005 Gemeinwesenarbeit Sozialräumliche Gemeinwesenarbeit nach Schubert 2011 Modell St.Galler Modell zur Gestaltung Sozialer Räume nach Reutlinger & Wigger 2010 Raumbilder und –ordnungen nach Kessl & Reutlinger 2007/ 2010 Dimensionen des Sozialraums nach Grimm 2007 Sozialer Raum als relationaler Raum nach Löw 2001 Fundamente sozialräumlicher Sozialer Arbeit nach Biesel 2007 Berner Modell der Ressourcenund Sozialraumorientierung nach Kummer 2007 Sozialraumorientierung als Arbeitsprinzip nach Spatscheck 2009 Handlungsprinzipien der sozialräumlichen Sozialen Arbeit nach Grimm 2007 Spezifische Perspektive der Arbeit am Sozialen Raum nach Reutlinger 2011 Sozialkulturelle Interventionsstrategie nach Oelschlägel 2007 Tabelle 2: Theorien und Modelle sozialräumlicher Sozialer Arbeit (eigene Darstellung; R.N.) Sehr anschaulich und für diese Praxisuntersuchung gut geeignet ist die Theorie der ‚sozialen Produktion von Raum’ nach Löw (2001). Die Faktoren des St.Galler Modells sind darin enthalten und der Prozess der Raumentstehung und -wahrnehmung kommt deutlich zum Ausdruck. Denn Löw versteht Raum als ‚relationale Anordnung von sozialen Gütern’: von materiellen Elementen und Menschen. Raum ist nicht gegeben, sondern wird über das Anordnen von Elementen also über Handlungen erst hervorgebracht. Die Konstitution von Raum ist als Prozess zu verstehen und ist vom Handlungskontext abhängig (vgl. Löw 2002, S.24). All die beteiligten Akteure eines Gemeinwesens produzieren somit ‚ihre’ Sozialraumvorstellungen. Die Kunst in der interdisziplinären Tätigkeit liegt also im Finden des identischen Sozialraumes oder in der differenzierten Benennung desselben. ! 30! Abbildung 4: Soziale Produktion von „Raum“ Habitus soziale Güter Position Syntheseleistung (An-) Ordnung Spacing Ort Menschen Quelle: eigene Darstellung nach Löw 2001. Abbildung 3: Franke 2013, S. 39 Wesentliche Grundlagen dafür sind der Habitus der Raumproduzentinnen und -produzenten, also ihre sozialisations-, kultur-, religions-, bildungsbedingten Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsdurch ihresowie eigene Präsenzihrer bis hin zu 5. „Doppelter Gebietsbezug“ – schemata diekörperliche räumliche Position ‚Raumproduktion’. Zu den Wahrnehmungen zählen Handlungen wie die Errichtung eines GartenGegenüber Verwaltungsdie Atmosphäre eines Raumes bzw. damit zusammenhängende Gefühle wievon Zugehörigkeit oder und zauns „Orte“Wohlbefinden („Spacing“) (vgl. 2001: 195 -Sicherheit 216). Fremdheit, oderLöw Unbehagen, oderAlltagsräumen Angst. Auf dieser BasisPraxis ordnen in der Menschen Bauten (soziale Güter) und Personen So zial konstituierte Räume entstehen also zu je räumlichen Kontexten an (Synthese) oder produzieren durch ihre eigene körperliche Präsenz zu Handlungen ‚Orte’ (Spacing) (vgl. nach Handlungskontext und sind wie dieser selbstbis hin Diese Überlegungen sind nicht nur theoretische Löw 2001, zit. nach Franke 2013, S. 39). Es wird hieraus deutlich, dass es sinnvoll ist, in der wandelbar (Löw 2001: 195 - 216; Werlen 1997: Art, sondern finden sich durchaus auch in de Sozialraumdiskussion den Fokus verstärkt auf die Prozesse der Raumproduktion und die Vielfalt 168 - 172). Praxis, wie die Ergebnisse einer Untersuchung der Raumeinschätzungen zu legen und die Beschreibung der Sozialen Räume als relativ zu So kann die These formuliert werden, dass zeigen, die der Autor in den Jahren 2003 und betrachten. Als Ergänzung zum St.Galler Modell oder konkretes proaktives Handlungsverstehen „Raum“ immer nur als denkbar 2004 in den Gebieten Berlin-Schöneberg-Nord eignet sich das Modell der„Raumvielfalt“ ‚sozialen Produktion von Raum’ ausgezeichnet, denn es gibt für die ist, weshalb esSoziale weniger darauf Dortmunder Nordstadt, Essen-Altendorf und -Ka sozialräumliche Arbeit eine ankommt, Annäherung(indian das konkrete Interventionsverstehen. viduell konstatierte) Raum-„Charakteristika“ zu ternberg, Leipziger Osten sowie Leipziger Westen Zu den aufgezeigten Facetten des Fachdiskurses der Sozialraumarbeit kommen identifizieren, sondern sich vielmehr auf das durchgeführt hat (Franke 2011).einige Hier zeigte sich Ergänzungen. Bewusstsein von „Raum“ und raumkonstituierende dass die Ausweisung insbesondere von Programm Die Tendenz zur Verräumlichung des Sozialen ist ein allgemeines Phänomen in vielen OECDProzesse zu konzentrieren. Betrachtet man vor diegebieten der Sozialen Stadt tatsächlich mehr ode Staaten. Dieser spatial turn wird in den nationalen Traditionen unterschiedlich diskutiert. Die sem Hintergrund den Anspruch des Programms weniger eine reine Verwaltungsangelegenhei Rede vom Sozialraum und von der Sozialraumorientierung bildet die spezifisch Soziale Stadt, die Lebensbedingungen Ort zu warSozialen – dies schon allein aus zu dem Grund, dass de deutschsprachige Form, die aktuellevor Neuordnung des Raumes fassen wollen. verbessern Zielgruppenbezug Einsatz von Fördermitteln aus der Städtebauför (Kessl &(mit Reutlinger 2010, S. 58) gilt dies letztlich auch für den „sozialräumlichen“ Ansatz der derung an definierte Programmgebiete gebunden Im internationalen stellt sichdies daher Frage, wie Sozialraumarbeit gemeinsam Jugendhilfe), wirdKontext deutlich, dass vordieallem ist,sich wir die es hier also zwangsläufi g mit einer „Raum benennen lässt. Der beschriebene Paradigmenwechsel zur Arbeit an der Sozialen Räumen wird „Raumviel mit den hier lebenden Menschen und ihren eigeeinheit“ statt eben hergeleiteten gelegentlich damit gleichgesetzt, dass der Raum in der Sozialen Arbeit sich global öffnet und nen Vorstellungen und Perspektiven realisiert falt“ zu tun haben. Die Umsetzung des Pro aufgebrochen wird. Welches Sozialraumverständnis der Sozialraumarbeit hierfür vorausgesetzt werden sollte. Zielgruppen „sozialräumlicher“ gramms Soziale Stadt bzw. die hierbei gewonne ist, entscheidet die fachspezifische Diskussion. Dieser Wechsel des Paradigmas, des Denkmusters Handlungsansätze sind dann nicht länger Träger nen Arbeitserfahrungen weisen jedoch darau oder der Modellvorstellung bedarf in Theorie und Praxis somit eines Differenzierungsprozesses. von Merkmalen Raum, sondern müssen dass diese „Raumvielfalt“ innerhalb der von Die Qualitäten der im sozialräumlichen Sozialen Arbeitalssollen hin, verglichen werden können, unabhängig raumproduzierende Individuen stärker ins Zen-wird.der „gesetzten Raumeinheit“ faktisch von welchem Sozialraumverständnis ausgegangen DieVerwaltung Fragen nach Verortung, Funktion trum der Betrachtung rücken. Dabeibrauchen stoßen eineexistiert: Die Abgrenzungen und Netzwerken in der Sozialraumarbeit permanente Thematisierung,von um Programmgebie den gesellschaftlichen und politischen „RaumproduktioTransformationen gerecht werden. zwangsläufi g unterschiedliche tenzuund „Sozialräumen“ entsprechen meist nich nen“ aufeinander: beispielsweise diejenigen von den alltagsweltlichen Zusammenhängen ihre „sozialraum“-externen Akteuren aus Politik und Bewohnerinnen und Bewohner,31!unterschied ! Verwaltung sowie individuelle Binnenperspekliche Akteursgruppen produzieren unterschiedli tiven von Quartiersbewohnerinnen und -bewohche Raumbezüge, es gibt in den Gebieten ein Eine entscheidende und für diese Arbeit wichtige Diskussion ist die Frage nach dem bearbeiteten Gegenstand der Sozialen Arbeit und der Ausrichtung auf Klientel und nach Sozialen Räumen oder der Frage nach dem Fall. Die Integration der Sozialraumarbeit in der Disziplin der Sozialen Arbeit scheint sich nach diesen Thematiken zu richten. Dass sozialräumliche Soziale Arbeit jedoch noch immer eine zweitrangige Bedeutung in der Praxis der Sozialen Arbeit haben könnte, zeigt der schwache Institutionalisierungsgrad, das Fehlen in Berufsbildern und die kontroverse Debatte in der Disziplin um eine traditionelle Ausrichtung auf Beziehung und Klientel sowie einer Ausrichtung auf Netzwerke, Strukturen, Soziale Räume oder Sozialpolitik. Die aktuellen Fachdiskurse lassen auf einen reflektierten Change Prozess in der Praxis- und Theorieentwicklung Sozialer Arbeit zu Gunsten sozialräumlicher Ansätze schliessen, so die Einschätzung des Autors. Dieser zeigt sich in der Debatte um Versorgungssysteme oder auch Sozialfirmen, da diese die Soziale Arbeit herausfordern und teilweise komplett zurückwerfen. Die Grundsatzfragen der Wirksamkeit und Effizienz der sozialarbeiterischen Interventionen werden dabei neu gestellt. 3.2.1 Forschung zur sozialräumlichen Sozialen Arbeit Es sind kaum Forschungsergebnisse zur Berufsbild- oder Professionsentwicklung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit vorhanden. Daher macht diese Praxisforschung Sinn. Hingegen gibt es zur Stichwortsuche ‚Sozialer Raum’ einige ältere und neuere, meist noch nicht veröffentlichte Forschungsergebnisse. Exemplarisch folgt ein grober Überblick über die wichtigsten Ergebnisse der Suche in der SOFIS-Datenbank (SOFIS 2013). Diese beziehen sich auf Konstruktions- und Ausstattungsthemen Sozialer Räume oder Bedarfserhebungen und Analysen in konkreten Sozialräumen, betreffen aber nur indirekt die Soziale Arbeit. Einzelne Ergebnisse aus diesem Themenkreis sind jedoch in die in dieser Arbeit verwendete Fachliteratur miteinbezogen worden. So wurde im empirischen Projekt ‚Kompetenzentwicklungsprozesse in Berufsfeldern Sozialer Arbeit’ der Blick auf das sozialräumliche Unterstützungsmanagement gerichtet und das Ergebnis erarbeitet, dass von den im Berufsfeld tätigen Professionellen zunehmend die Entwicklung neuer Kompetenzen, vornehmlich in den Bereichen Management und Kommunikation gefordert ist (vgl. Hinte 1999, S. 20). Drei sehr verschiedenartige, ausgewählte, exemplarische Forschungsprojekte, die die Sozialraumarbeit unterschiedlich untersucht haben, werden ebenfalls erkenntnisstiftend eingearbeitet und hierfür zusammenfassend vorgestellt. Durch die Fachhochschule Köln wurde eine breite Evaluation der Stadtentwicklung in Köln angelegt. Um eine Verbesserung der Lebensbedingungen zu erzielen, finden dort Handlungsformen einer nachhaltigen Stadterneuerung und Stadtentwicklung Anwendung, in denen der bauliche und der soziale Bestand von Stadtquartieren behandelt werden. „Für die Umsetzung der integrierten Sicht- und Handlungsweise in eine integrierte Praxis wird vielfach der Begriff des Managements benutzt: Das interdisziplinäre Zusammenwirken der verschiedenen Akteure und ihrer fachlichen Handlungsansätze erfordert ein neues Management“ (Schubert 2005, ¶1). In der sozialen Stadterneuerung zeigen das die Handlungsansätze des ‚Stadtteilmanagements’, des ‚Quartiermanagements’ und in der Jugendhilfe das Modell der ‚Sozialraumorientierung’ sowie eine wirkungsvolle Abstimmung unter den Professionellen von Stadtplanung und Sozialer Arbeit, um so den Einbezug von Bürgerinnen sowie Bürgern in den lokalen Entwicklungsprozess effektiv zu gestalten. Für eine übergreifende Kooperation, Kommunikation und Koordination müssen die beteiligten Fachleute somit über ‚interdisziplinäre Kompetenz’ verfügen. Die grundverschiedenen Orientierungen auf den Raum einerseits und auf soziale Zielgruppen andererseits sind in der sozialen Stadterneuerung jedoch kaum vermittelbar. Mit einer interdisziplinären Kompetenz lassen sich die soziale und die räumliche Perspektive so ! 32! zusammenführen, dass die praktischen Anforderungen auf der städtebaulichen, sozialpädagogischen, soziokulturellen und ökonomischen Ebene der sozialen Stadterneuerung effizienter und effektiver bewältigt werden können. Dafür wurde an der Fachhochschule Köln ein sozialräumlich ausgerichtetes, interdisziplinäres Qualifikationsangebot erprobt durch Kooperation der Fakultäten für Angewandte Sozialwissenschaften und Architektur (vgl. Schubert 2005, ¶1). Dort werden wissenschaftliche Grundlagen für eine integrierte Professionalisierung von Stadtplanung, Sozialplanung, Sozialpädagogik und Sozialarbeit bei der Erneuerung und der Entwicklung von Stadtteilen und Wohnquartieren erarbeitet und im Rahmen der Studiengänge Architektur und Sozialpädagogik/ Sozialarbeit Qualifizierungsmodule aufeinander bezogen. „Ziel des Lehrangebotes ist die Erhöhung der interdisziplinären Fach-, Methoden- und Sozialkompetenz beider Professionen“ (ebd. 2005, ¶1). Die Diplomarbeit Gemeinwesenarbeit – Methoden in der Stadt Zürich von Matacic Z. (2008) veröffentlicht die Befragung von 18 Zürcher Gemeinwesenarbeitenden in 26 Organisationen. Diese Ergebnisse, wenn auch nicht qualitätsgeprüft, haben Relevanz für die Berufsbildbeschreibung, da die Tätigkeitsfelder der Gemeinwesenarbeit als ein Teil der sozialräumlichen Sozialen Arbeit gesehen werden und da die Beurteilung des Methodeneinsatzes und die Bewertung der eigenen Arbeit Aussagen zur Selbsteinschätzung der Professionellen beinhaltet. Die zentralen für die Berufsbildentwicklung bedeutenden Ergebnisse werden daher nachfolgend zusammengefasst (vgl. Matacic 2008, S. 94-98): • Das Verständnis von der Gemeinwesenarbeit wird sehr breit angelegt: von Partizipation über Vernetzung und Unterstützung der Initiative der Bevölkerung bis zur Verbesserung der Lebensqualität. Es fehlen aber in einigen Organisationen reflektierte Verständnisse und Methoden für die konkrete Arbeit und die konzeptionelle Grundlage ist unausgereift. • Die Vorstellungen über Methodenansätze divergieren zwischen Gemeinwesenarbeit und Soziokultureller Animation. Als operative Methoden werden nur wenige, z.B. das Projektmanagement oder die Grossgruppenmethoden genannt. Es wird der Schluss gezogen, dass Methoden weitgehend unbewusst und unreflektiert eingesetzt werden und dass der Transfer von der Theorie zur Praxis nur marginal stattfindet. • Die Mitarbeitenden in den Organisationen verfügen über einen hohen Ausbildungs- und spezifischen Weiterbildungsgrad, wobei Anschlüsse in Soziokultureller Animation zunehmend sind. • Eine einheitliche Grundlage im Berufs- und Fachverständnis in den Organisationen der Gemeinwesenarbeit ist zu fördern und die Mitarbeitenden in konzeptionelle, operative und strategische Prozesse miteinzubeziehen, so lautet zumindest die Forderung von Matacic im Sinne einer theoretischen Differenzierung in den Arbeitsfeldern der Gemeinwesenarbeit und Soziokulturellen Animation. Ein qualitatives Forschungsprojekt der FHS St.Gallen widmete sich den Maßnahmen im öffentlichen Raum bei Phänomenen wie Littering, Vandalismus oder Unsicherheitsempfinden. Auf diese Formen der Unordnung reagieren Städte und Gemeinden mit Hilfe von Massnahmen, die eine Problemlösung herbeiführen sollen. Hinzu kommt, dass es im Konkurrenzkampf der Städte und Gemeinden notwendig ist, sich zu positionieren. Ein unverwechselbares Image, zu dem auch Stellungnahmen zu den vielen Formen von Unordnung im öffentlichen Raum beitragen, ist nämlich entscheidend. Dabei sind es nicht nur Städte, sondern auch mittlere und kleinere Gemeinden, in denen es Diskussions- und Handlungsbedarf gibt. Hier setzt das Forschungsprojekt an, indem der Zusammenhang zwischen Massnahmen, Formen der ! 33! Unordnung und Sicht der verschiedenen Beteiligten entschlüsselt wird. Die Ergebnisse zeigen unter anderem auf, dass es keine starren Reiz-Reaktions-Muster in Bezug auf Unordnung im öffentlichen Raum gibt, sondern der lokale Kontext die entscheidende Rolle spielt. Dabei erweisen sich interdisziplinäre Arbeitsgruppen als zentrale Gremien, die den Zusammenhang wesentlich beeinflussen und lenken (vgl. Reutlinger, Fritsche, Lingg & Bronner 2012). Für den sozialräumlichen Ansatz und den Lösungsfindungsprozess wird damit der Einbezug der Akteure im Sozialraum und die sozialraumbezogene Problembewältigung unterstrichen. Respektive es wird durch die Aktivierung von sozialräumlichen Ressourcen kollektives Sozialkapital generiert, das zur Stärkung der sozialen Sicherheit beiträgt. 3.2.2 Berufsbildbezüge in der Fachliteratur der Sozialraumarbeit Grundsätzlich muss festgestellt werden, dass in den letzten Jahren in den renommierten Fachzeitschriften der Sozialen Arbeit äusserst wenig Beiträge zur sozialräumlichen Sozialen Arbeit veröffentlicht wurden. Die meisten Publikationen sind in der Form von Sammelbänden und auf Onlineportalen erschienen. Es lässt sich hierfür die These aufstellen, dass die sozialräumliche Diskussion noch zu wenig ausgereift ist, um in der Theorie der Sozialen Arbeit ihren Platz einzunehmen. Gleichzeitig steht zu vermuten, dass die Sozialraumarbeit in der Sozialen Arbeit historisch gesehen immer ein Schattendasein hatte. Im Fieldbook zu Methoden und Techniken Sozialer Raum und Soziale Arbeit (Früchtel, Budde & Cyprian 2007) wird ein Kompetenzprofil für Sozialarbeitende mit Tätigkeit im sozialräumlichen Arbeitsfeld skizziert. Die praxisorientierten Methoden und Techniken sind dabei summarisch den Handlungsfeldern Individuum, Netzwerk, Organisation und Sozialstruktur zugeordnet. Das Methodenbuch Sozialraum (Deinet 2009) beinhaltet diverse Beiträge zur Sozialen Arbeit in Sozialen Räumen, theoretisch fundiert und konkret methodisch, z.B. für ländliche oder virtuelle Sozialräume, aufgearbeitet. Durch den methodischen Einblick werden Verständnisse und Zielsetzungen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit bekannter gemacht. Ausgewählte Literaturelemente hieraus und die Forschungsbezüge des Vorkapitels werden in den C-Teil eingearbeitet. 3.3 Sozialpolitische Transformationen Sozialpolitische Transformationen, die die Sozialraumarbeit betreffen, werden in der Ergebnisverarbeitung im integrativen Teil reflektiert und auf Relevanz geprüft. Auswirkungen auf die Sozialraumarbeit werden in die Berufsbildbeschreibung integriert. In diesem Diskurs sind als grundsätzliche Themen die Transnationalisierung, die wohlfahrtsstaatlichen Deformationen, der Abbau des Sozialstaates, die Verschärfung von wirtschaftlichen und ökologischen Problematiken und die demographischen Veränderungen bezüglich der Alterspyramide, den Verschiebungen vom Land in die Stadt und der Mobilität genannt. Diese Einschätzung der sozialpolitischen Transformationen stützt sich auf die aktuelle Fachliteratur und Entwicklungen in der Praxis der Sozialen Arbeit. Der Autor formuliert diesbezüglich folgende Thesen, die anhand der Ergebnissen der Forschung im Teil C überprüft werden: • Die Menschen werden verstärkt zur Eigenverantwortung und Solidarität in Netzwerken angehalten oder von den Lebensumständen dazu gezwungen. Gestützt wird diese These durch die Liberalisierung der Sozialpolitik: „Eine globale Sozialpolitik, die dem Kapitalismus weltweit Grenzen steckt und ihm soziale Mindeststandards auferlegt, ist angesichts ! 34! • • • • • klaffender Wohlfahrtsunterschiede und widerstreitender Interessenlagen [...] nicht absehbar“ (Labitzke 2010, S. 113). Die sozialräumliche Soziale Arbeit muss vermehrt Kompensationsleistungen und Plattformen anbieten, um der Segregation in der Bevölkerung vorzubeugen. In segregierten Quartieren können durch die starke Sozialintegration dichte soziale Netze existieren, die aber weitgehend homogen sind. „Aus der Netzwerkforschung ist bekannt, dass dichte und homogene Netze bei der systemischen Integration benachteiligend wirken im Gegensatz zu lockeren und heterogenen Netzen“ (Häussermann 2008, ¶5). Die virtuellen Räume werden für die sozialräumliche Entwicklung und die Funktion der Sozialen Arbeit ein unterstützender Ort des Lernens, der Beratung, der Vernetzung, der Projektsteuerung der transnationalen Zusammenarbeit, der Finanzierung, der Innovation und der Wissensteuerung. Die sozialräumliche Soziale Arbeit bekommt in der Entwicklung der Inter- und Transdisziplinarität eine Schlüsselfunktion innerhalb der Sozialen Arbeit. Denn die disziplinäre Vernetzung konzentriert sich im sozialräumlichen Verständnis und Handeln. Mit integrierter Praxisforschung im Sozialraum können transdisziplinäre Forschungsvorgehen unterstützt werden. Versorgungssysteme und intelligente Hilfesysteme werden entwickelt, effektiver gestaltet und den lebensweltlichen Bedingungen der Bedürftigen angepasst. Die grossen Vorteile sind: „Profi-Netzwerke öffnen den Sozialen Raum, machen das soziale System beweglicher für die Anforderungen in einem komplexen Feld von Bedarfslagen und dynamischen sozialen Entwicklungen“ (Früchtel, Cyprian & Budde 2007, S. 102). Kooperative Systeme der Hilfe in der Bevölkerung werden zu einer weiteren Säule der sozialen Sicherung, bei der die Sozialraumarbeit eine Entwicklungs- und Koordinationsfunktion übernimmt. Hollstein (vgl. 2007, S. 55) spricht in diesem Zusammenhang von einer Schlüsselrolle, die ‚institutionelle Gatekeeper’ wie die sozialräumliche Soziale Arbeit einnehmen können, um bei der Aktivierung und Übersetzung von Sozialkapital in Statuspositionen zu unterstützen. In den deutschsprachigen Ländern Europas werden Projekte zur Bildung einer non-monetären 4. Säule der Sozialen Sicherheit vorangetrieben (vgl. Schweizweit geldfreie 4. Vorsorgesäule 2013, ¶1). Dadurch entstehen Börsen für Zeitgutschriften basierend auf freiwilligem Engagement, die für eigene Bedürfnisse genutzt werden können. 3.4 Kritisch-reflexive Theoriediskussion Die aufgezeigten theoretischen Aspekte der sozialräumlichen Sozialen Arbeit bestimmen die Ausprägung und das Verständnis dieser mit. Eine Prüfung der Belastbarkeit dieser theoretischen Grundlagen interessieren die sozialräumliche Praxis selbst, die Soziale Arbeit als Disziplin und das sozialpolitische Umfeld. Aus diesen drei Fokussen erfolgt hier eine kritisch-reflexive Theoriediskussion. 3.4.1 Fokus der sozialräumlichen Praxis Welcher Sozialraumbegriff ist für die Praxis der sozialräumlichen Arbeit dienlich? Die Anforderungen liegen bei einem Verständnis- und Handlungsmodell und für die Wirkungsbeschreibung von Interventionen sollte es ebenfalls verwendet werden können. Die Theorie der ‚sozialen Produktion von Raum’ nach Löw (2001) nimmt als Bausteine des Raums ! 35! soziale Güter, den Menschen und ihre Beziehung zueinander in den Blick. Dass Sozialer Raum bei Löw durch Syntheseleistung und Spacing entsteht, ist für das Verstehen und Handeln in der Praxis hilfreich. Denn die Arbeit an den Sozialraumprozessen steht damit im Zentrum, nicht die Ausgestaltung des Raums. Dieses relationale Raumkonzept löst Sozialräume von ihrer territorialen Eingrenzung und lässt Raumkonstruktion zu. Für die Wirkungsbeschreibung gibt das Modell nach Löw differenzierte Anhaltspunkte, denn der Beobachtungsfokus im Sozialraum ist mit der Position und dem Habitus mitbezeichnet und Teil des sozialräumlichen Produktionsprozesses. Das St.Galler Modell zur Gestaltung des Sozialraums lässt sich somit als eine Verkürzung des Modells nach Löw lesen, weil die Faktoren Habitus und Position fehlen. Da die Betonung aber auf der Gestaltung des Sozialraums liegt, kann es als explizites Handlungsmodell gesehen werden. Hingegen als Verständnis- und Wirkungsbeschreibungsmodell ist es wenig ergiebig, da die prozessuale Komponente des Sozialraumverstehens mit dem Einbezug des Beobachtungsstandpunktes fehlt. Die Relationsqualität der Raumfaktoren ist hingegen in beiden Modellen wiederzufinden. Sie ermöglichen sozialräumliche Dekonstruktion und Neukonstruktion. Mit der spezifischen Perspektive der Arbeit am Sozialen Raum (Reutlinger 2011) werden verschiedene sozialräumliche Interventionsformen möglich. Mit der Gemeinwesenarbeit ist ein verbreiteter Ansatz angesprochen, der das Spezifische in der Arbeit an Strukturen des Gemeinwesens meint. Einem sozialräumlichen Ansatz kann die Gemeinwesenarbeit aber nur gerecht werden, wenn sie die sozialen Prozesse im Gemeinwesen evaluiert und bearbeitet. Auf die Arbeit an und mit Netzwerken wurde bis jetzt nur am Rande eingegangen. Diese weisen eine sozialräumliche Komponente der Vernetzung auf, entsprechen aber nur in Teilen dem Sozialraumverständnis. Dennoch geht es meist um Netzwerke in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. Diese als Ressource für die sozialarbeiterischen Interventionen und in der Sozialraumarbeit als Grundstruktur für Prozessinterventionen zu sehen und der Klientel und den Gruppen zugänglich zu machen, ist in den sozialräumlichen Ansätzen grundlegend mitgedacht. In der Verbindung mit dem Sozialkapital kommen ebenfalls Netzwerkstrukturen zum Tragen (Putnam 2001). Gut veranschaulicht wird der Zusammenhang in den Ergebnissen einer Migrations- und Integrationsforschung in Deutschland, die Netzwerke und soziales Kapital in einen Zusammenhang bringt (Haug 2007, S. 104): • Je grösser das Netzwerk, desto mehr soziales Kapital. • Je stärker die Beziehungen, desto mehr soziales Kapital. • Je dichter das Netzwerk der Familie bzw. der ethnischen Gemeinschaft, desto mehr soziales Kapital. • Je homogener das Netzwerk, desto mehr soziales Kapital (bezüglich Zugriffschancen). • Je mehr nützliche Kontakte, desto mehr soziales Kapital. • Je mehr Kontakte ausserhalb der ethnischen Nische, desto mehr soziales Kapital. • Je heterogener das Netzwerk, desto mehr soziales Kapital (bezüglich Ressourcen). Diese Zusammenhangsbefunde können für die sozialräumliche Soziale Arbeit als Impuls für das Interventionsdenken bezüglich der Netzwerkqualitäten und -grenzen oder für die Wirkungsmessung als Denkrichtung für einen Indikatorenkatalog gesehen werden. In der sozialarbeiterischen Sozialraumarbeit dürfte in erster Linie das individuelle Sozialkapital interessieren. Falls das soziale Kapital vor allem dem ökonomischen Kapital dienen sollte, ist für das sozialräumliche Denken das Potenzial der Sozialkapitalentwicklung schnell ausgeschöpft. Folglich wird ein Sozialkapitaldenken gefordert, das einen gesellschaftlichen Sinn erfüllt und Lebensqualität beschreibt und nicht nur einer Leistung gerecht wird. Das Sozialkapitalverständnis ! 36! von Putnam wird weitgehend dieser Forderung gerecht, stösst aber im Vergleich zu Bourdieu an die Grenzen der geforderten Bewertungsmöglichkeiten des Kapitals. Da wiederum kann das Habitusverständnis von Bourdieu (1996) eine Leitlinie sein, indem es die Bewertungsmatrix an individuelle Lebenspraxen ankoppelt und so eine qualitative Wechselwirkung zwischen Individuum und Gesellschaft herstellt. Die sozialräumlich notwendige Interdisziplinarität in den intervenierenden Organisationen oder die entsprechende Vernetzung der Organisationen manifestiert sich in den theoretischen Grundlagen. Der Zusammenhang der interdisziplinären Arbeitsweise mit der umgebenden Gouvernementalität der sozialräumlichen Sozialen Arbeit wird in der Theorie wenig betont. Die drei Erscheinungen der Gouvernementalität nach Foucault (2005) rücken aber ins Zentrum des Interesses bei der Ausgestaltung der Interventionen. Die einheitliche Wahrnehmung des Sozialraums, geprägt durch die politische Rationalität, scheint dadurch eine Voraussetzung zu sein für eine gemeinsame Strategieentwicklung mit politischen Akteuren. Nicht jeder Machttypus lässt sich jedoch mit dem sozialräumlichen Partizipationsverständnis zusammenbringen. Da es um politische Prozesse geht im Sozialraum, muss dieser Zusammenhang zwingend reflektiert sein. Letztlich prägen historische Prozesse die aktuellen Prozesse in der Gesellschaft und dies erfordert die Thematisierung dieser Kausalitäten und ein gezieltes normatives Vorgehen in der Ausgestaltung der Sozialraumarbeit. 3.4.2 Fokus der Sozialen Arbeit Wie verhält sich die sozialräumliche Soziale Arbeit in Bezug auf ihre Funktion und den zu bearbeitenden Gegenstand zu anderen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit? Die Ausrichtung auf den Sozialraum und die Soziale Arbeit an diesem stellt sich über die Arbeit am Individuum. Dieses Spannungsfeld gilt es argumentativ gut zu gestalten und begründen. Die Theoreme nach Bourdieu (1997), Kapital, Habitus und Divergenz der Felder, als Konstruktionsprinzipien des Sozialen Raumes sind soziologischer Herkunft. Die Soziale Arbeit interessiert das soziale Kapital, der Habitus der potenziellen Klientel und neben dem eigenen Feld die Schnittmenge der Felder, der Disziplinen, die am Sozialen Raum arbeiten. Diese wissenschaftliche Einordnung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit kann mit Bourdieu gewagt werden. Mit dem St.Galler Modell ist die Erweiterung der klassischen Sozialen Arbeit zur Sozialraumarbeit aufgezeigt: Zur Arbeit mit Menschen kommen die Gestaltung von Orten und der strukturellen Steuerung hinzu. Dass dieser Paradigmenwechsel in der Disziplin der Sozialen Arbeit und voraussetzend auch in der sozialpolitischen Fundierung nur ansatzweise stattgefunden hat, mag an der Etabliertheit der traditionellen, auf das Individuum ausgerichteten sozialen Hilfe liegen. Hier ist aber anzumerken, dass die sozialräumliche Erweiterung auch die tragenden (politischen) Organisationen der Sozialen Arbeit in das zu intervenierende Blickfeld rückt. Der daraus resultierende Interessenskonflikt verdient folglich eine besondere Thematisierung im Sinne einer gemeinsamen strategischen sozialräumlichen Ausrichtung. Im erweiterten Zusammenhang kann die Transdisziplinarität als wissenschaftliche Strategie der Ungleichgewichtung der sozialräumlichen Akteure begegnen. Nach Mittelstrass (2007) bekommt dieses Forschungs- und Wissenschaftsprinzip Bedeutung, wo disziplinäre Lösungen unmöglich gemacht werden. In der interdisziplinär gestalteten Sozialraumarbeit schieben meist ökonomische Grenzen einem transdisziplinären Vorgehen den Riegel vor. Die Wissenschaft, im Speziellen die Soziale Arbeit, ist somit herausgefordert, dies jenseits derartiger Grenzen einzulösen. Die Funktionsdiskussion der sozialräumlichen Sozialen Arbeit umfasst von der Inklusion nach Luhmann (1987) in gesellschaftliche Teilsysteme zur Prävention von sozialen Problemen bis hin ! 37! zur Herstellung von sozialer Gerechtigkeit in der Gesellschaft ein weites Feld. Diese Eckpunkte können als grundlegende Funktionsverständnisse der Sozialen Arbeit verstanden werden. Im Sozialraumverständnis kommt überdies die Funktion der Generierung von sozialem Kapital dazu. Hier kann der Zusammenhang zur Inklusion in Netzwerke hergestellt werden. Das Präventionsverständnis scheint sozialräumlich die hohe Bewertung der Bearbeitung von sozialen Problemen im klassischen Verständnis der Sozialen Arbeit abzulösen. Hierfür sprechen die Prävention im Hinblick auf gerechte Lebensverhältnisse und eine belastbare soziale Infrastruktur, die Partizipation aller Bevölkerungsgruppen am gesellschaftspolitischen Diskurs, die Thematisierung und Moralisierung sozialer Probleme und die Forderung einer effektiven Sozialplanung. Diese Einschätzungen des Autors sind in der Reflexion der theoretischen sozialräumlichen Grundlagen erkennbar. Die soziale Gerechtigkeit herzustellen, mit dem impliziten politischen Qualitätsanspruch, bekommt in der sozialräumlichen Arbeit neue Zugänge über die Gestaltung von Orten und Steuerungsprozessen. Soziale Gerechtigkeit in der baulichen Gestaltung umzusetzen ist daher eine grosse Chance. Folgendes Zitat bringt das Wesen der sozialraumorientierten Soziale Arbeit nochmals auf den Punkt: „Sozialraumorientierte Ansätze richten ihr Augenmerk immer auf die Stärken der Menschen, die sich oft sogar in den vermeintlichen Defiziten abbilden. (...) Räume, Nachbarschaften, Plätze, Natur, Straßen, aber auch die vorhandene Unternehmens- und Dienstleistungsstruktur im Quartier und darüber hinaus sind bedeutsame Ressourcen, die man nutzen und durch kluge Vernetzung effektivieren kann“ (Hinte, Lüttringhaus & Oelschlägel 2001, S. 78). Diese Qualitäten haben in einigen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit bereits Einzug gehalten. Kaum evaluiert ist aber ihre Wirkung bezüglich der Frage: Wie interveniert die sozialraumorientierte Soziale Arbeit schlussendlich? Die Gemeinwesenarbeit geht an dieser Stelle weiter und macht sich gesellschaftliche Strukturen und Schauplätze zum Handlungsfeld. Den sozialräumlichen Gegebenheiten auf den Grund gehen und Prozesse im Sinne einer ‚sozialen Optimierung’ der umfassenden sozialräumlichen Systeme zu steuern, möchte die sozialräumliche Soziale Arbeit leisten. Kritisch bleibt jedoch festzuhalten, dass in der ganzen Konsequenz dies weder in der Theorie und noch weniger in der Praxis möglich ist, zu komplex und kausal sind die Strukturen, Prozesse und Netzwerke. 3.4.3 Sozialpolitischer Fokus Wie verlaufen die Wechselwirkungen der sozialräumlichen Interventionen mit den sozialpolitischen Strukturen? Einzelne, für die sozialräumliche Soziale Arbeit wichtig erscheinende Aspekte werden nachfolgend beleuchtet. Soziale Arbeit und Sozialpolitik haben die Funktion, zwischen Individuum und Gesellschaft zu vermitteln. Es wäre daher gewinnbringend, wissenschaftliche Diskurse und die Praxis der Sozialpolitik und Sozialen Arbeit verstärkt aufeinander zu beziehen (vgl. Benz 2010, S. 317). Der transdisziplinäre Ansatz wird an dieser Schnittstelle wichtig. Grundlegend für die Sozialpolitik ist dabei Folgendes: „Die sozialstaatliche Idee ist eine Idee der Revolte, eine Revolte, die letztlich mittels Reformen zu Veränderung führt“ (Früchtel, Cyprian & Budde 2007, S. 93). Voraussetzungen dafür sind die breite Erfahrung von Not und Gerechtigkeit in der Gesellschaft sowie die Solidarität. Im Kern ist dabei der Sozialraum angesprochen und Netzwerke, die sich bilden und erstarken und damit die Basis legen für die Sozialpolitik. Die generierten Netzwerke der Solidarität und Netzwerke des Empowerment erzeugen Vertrauen in der Gesellschaft. Im St.Galler Modell ist die Gestaltung der strukturellen Steuerung herausgefordert. Dabei wird die zentrale Kritik am St.Galler Modell sichtbar, nämlich die der fehlenden Prozessqualität. Sozialräumliche Soziale Arbeit tut daher gut daran, sich auf die ! 38! sozialpolitischen Transformationen auszurichten und den Sozialraum in eine Weiterentwicklung zu begleiten. Das Ziel der Akteure im Sozialraum ist die Generierung von gesellschaftlichem Sozialkapital sein. Damit könnte die sozialpolitische Logik erfüllt werden, Vertrauen zwischen Individuum und Gesellschaft zu schaffen. Exemplarische, aufwendige und vielschichtige Messung von sozialem Kapital könnte anhand folgender Qualitäten ebenfalls erfolgen (vgl. Putnam 2000, S. 291 und 487): • Organisiertes zivilgesellschaftliches Leben (Vereine, Verbände, Ehrenämter). • Interesse an öffentlichen Angelegenheiten (Wahlbeteiligung, öffentliche Veranstaltungen). • Ziviles Engagement (Freiwilligenleistungen). • Informelle soziale Kontakte (Zeit mit Freunden, Gäste bewirtet). • Soziales Vertrauen (Gesellschaftliches Vertrauen und Ehrlichkeit). „Raum entsteht durch Macht und Besitzverhältnisse, die sich zeigen, indem Menschen sich positionieren“ (Löw 2001, S. 158). Hier entsteht die Erwartung, dass die Sozialpolitik regulierend wirkt und sozialräumliche Gleichgewichte herstellt im Sinne der sozialen Sicherheit und des Zugangs zu Lebensqualität für alle. Die Gouvernementalität in der Regierungsform, die sich in der Sozialpolitik manifestiert, ist für die Sozialraumarbeit wie ein Fundament, auf dem die Interventionen aufbauend erfolgen und aus welchem sie resultieren. Die sozialpolitischen Organisationen haben grosses Interesse daran und die Mitverantwortung dafür, dass die sozialräumliche Gestaltung optimal verläuft. Denn Missstände im Sozialraum bedingen mehr sozialpolitische Massnahmen, die ökonomisch zu bewältigen sind. Denn Solidaritätsnetzwerke in der Bevölkerung können in finanzieller Art oder mit gegenseitiger Hilfe ausgestattet werden, geleistet durch Freiwillige, die Sozialpolitik mittragen. Solche Netzwerke zu fördern gehört damit zur Kernaufgabe der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. Die Handlungsstrategien der Integration in die Gesellschaft und die nachhaltige Aktivierung der Bevölkerung sind zwei aktuelle Schlagworte in der Sozialpolitik bei einer zunehmend heterogenen Bevölkerungszusammensetzung und individualistischen Lebensstilen. Zusammen mit der Prävention von sozialräumlichen Problemen bilden diese drei Funktionstypen die Trias im sozialräumlichen Handeln der Sozialen Arbeit. Kritisch ist dem zu begegnen, wenn Aktivierung als Beschäftigungsprogramme angelegt, Integration nur als Anpassungsleistung gesehen und Prävention als Information verbreitet wird. Vielmehr liegt der Anspruch auf dem Erlernen der entsprechenden individuellen Handlungskompetenzen und der Steuerung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Durch den Anspruch der sozialräumlichen Gemeinwesenarbeit (Schubert 2011) einer Ankoppelung an die Sozialpolitik scheint dieses sozialräumliche Praxismodell explizit die Schnittstelle der Sozialen Arbeit zur Sozialpolitik zu gestalten. Für die sozialpolitische Sichtweise ist der Einbezug der Transnationalität ins Verstehen und Handeln naheliegend und sinnvoll. Dabei besteht der Entwicklungsbedarf im Finden von Modellen und Formen der transnationalen (sozialräumlichen) Sozialen Arbeit. ! 39! 4 Berufsbildentwicklung in der Sozialen Arbeit 4.1 Bezüge zur Berufsbildentwicklung Die Professionsentwicklung in der Sozialen Arbeit wird hier nur am Rande gestreift. Der Rahmen der Masterthesis ist zu klein, um die Professionsdebatte auf die sozialräumliche Soziale Arbeit zu beziehen. Das Berufsverständnis in der Sozialen Arbeit im deutschsprachigen Raum ist in den letzten Jahren geprägt worden von der Standardisierung der Ausbildung auf Hochschulebene und der Entwicklung der wissenschaftlichen Disziplin. Der eingesetzte Differenzierungsprozess im Dialog mit anderen Disziplinen ist wahrzunehmen und dies ist für die Sozialraumarbeit ein Brennpunkt. Doch wie nimmt die sozialräumliche Soziale Arbeit unter allen im Raum tätigen Professionen ihre Funktion ein und wie gestaltet sich eine interdisziplinäre Ressourcen- und Synergiennutzung konkret? Dafür ist die Qualifikation der in der Sozialraumarbeit Tätigen ein entscheidender Faktor. Diese misst sich an der Disziplin Soziale Arbeit und an den weiteren Professionen, die am Sozialraum arbeiten. Die Überprüfung und Entwicklung der Schlüsselqualifikationen hat dabei in der Professionsentwicklung einen Generatoreffekt als Schnittstelle von Praxis, Lehre und Wissenschaft und auch die gesellschaftliche Wirkung der Sozialen Arbeit hängt weitgehend davon ab. Da die Soziale Arbeit zudem interdisziplinär tätig ist, gehört die Transdisziplinarität zur sozialräumlichen Sozialen Arbeit und dem sollte in der Professionsentwicklung verstärkt Rechnung getragen werden. Spezifische Professionsentwicklungsthemen sind in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit in der Zusammenarbeit mit Freiwilligen, der Kompensationsfunktion zu den durch die Politik oder Wirtschaft vernachlässigten Themen und der Hilfe zur Selbsthilfe bereits gegeben. Innerhalb der Handlungswissenschaft Soziale Arbeit nimmt die Sozialraumarbeit die Schlüsselstellung ein, durch die die Anforderungen von Sozialen Räumen eingeschätzt, bearbeitet und geprüft werden können. Diese Forderung passt sehr gut in die Wahrnehmung der Entwicklungsoptionen Sozialer Arbeit: Die Perspektiven der Wissenschaft der Sozialen Arbeit sind hervorragend und sie ist das grösste berufliche Anwendungsfeld sozialwissenschaftlichen Wissens mit einer unbegrenzten Anzahl von offenen Fragen (vgl. Sommerfeld 2010, S. 39). 4.1.1 Berufsbild als berufspolitische Kategorie Mit der Berufsbildbeschreibung wird ein erster Schritt geleistet, auf den weitere Professionsentwicklungsbestimmungen folgen können. Vorausgesetzt werden Kriterien für eine professionelle Soziale Arbeit bei der Organisationsauswahl für die Praxisforschung in der Sozialraumarbeit. Diese Kriterien orientieren sich an der Begriffsklärung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit aus Kapitel 1.2. Nicht die abschliessende Benennung in der Auswahl von Arbeitsfeldern ist gemeint, sondern Organisationen müssen mindestens dieses zentrale Kriterium erfüllen: Arbeit explizit im und am Sozialraum und somit an Orten, Strukturen und mit Menschen zu leisten. Ein Berufsbild lässt sich im folgenden Forschungsvorgehen aus Selbst- und Fremdwahrnehmungen der Professionellen synthetisieren und dient einer Vereinheitlichung der Tätigkeit. Die berufspolitische Kategorie meint dabei das aktuelle Bild der Profession in der Gesellschaft und in den Medien. Eine prozesshafte Differenzierung des Berufsbildes aus verschiedenen Wahrnehmungsperspektiven ist Bedingung, um dem Istzustand der sozialräumlichen Sozialen Arbeit gerecht zu werden. ! 40! Im Attributemodell werden die folgenden Merkmale von Professionen benannt (vgl. Kurtz 2005, S. 36): 1. Wissenschaftlich fundiertes Sonderwissen, spezielle Fachterminologie. 2. Langandauernde, theoretisch fundierte Ausbildungsgänge auf akademischem Niveau. 3. Berufsständische Normen, Eigeninteressen gesetzlich beschränkt (non-profit). 4. Exklusives Handlungskompetenzmonopol. 5. Tätigkeitsbereich besteht aus gemeinnützigen Funktionen grundlegender Bedeutung. 6. Autonomie bei der Berufsausübung (Fach- und Sachautorität). 7. Selbstkontrolle durch Berufsverbände, Interessenvertretungen. Das zu entwickelnde Berufsbild dieser Arbeit beschäftigt sich am Rande mit diesen Merkmalen, dient aber vornehmlich den Punkten vier bis sechs. Die sozialräumliche Soziale Arbeit steht somit in doppelter Weise in einer sozialpolitischen Wechselwirkung: Einerseits sind sozialpolitische Rahmenbedingungen, wie Gesetze, Ressourcen, strategische oder politische Ausrichtungen die Grundlage und Leitplanken der Organisationen im Sozialraum. Andererseits sind sozialpolitische Strukturen Teil des Sozialraums und gehören somit zum Handlungsfeld der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. Beide Gegebenheiten setzten eine positive sozialräumliche Haltung der Sozialpolitik voraus und prägen das Berufsbild mit. 4.1.2 Das Berufsbild in der Sozialen Arbeit Das Berufsbild der Sozialen Arbeit wird vom Schweizerischen Zentrum für Berufsbildung und Laufbahnberatung SDBB (2012) wie folgt umschrieben: „Sozialarbeiter /innen FH unterstützen Menschen in erschwerten Lebenssituationen bei der Bewältigung von Alltag und Freizeit. Zudem beteiligen sie sich am Aufbau sozialer Strukturen und an sozialpolitischen Projekten.“ In der Schweiz ist zudem von AvenirSocial (2006) das Berufsbild der Professionellen Sozialer Arbeit definiert: Die Befriedigung von biologischen, psychischen, sozialen, ökonomischen sowie kulturellen Bedürfnissen für Individuen und Gruppen soll ermöglicht werden. Die Handlungsfähigkeit von betroffenen Menschen und Teilen der Bevölkerung soll wiederhergestellt werden. Sozialarbeiter /innen sind befähigt zur Beurteilung und Analyse von Prozessen und Situationen von Individuen, Gruppen und gesellschaftlichen Systemen. Angesetzt wird gemäss AvenirSocial auf drei Ebenen, nämlich auf der mikro-, der meso- und der makrosozialen Ebene. Unter dem Berufsbild wird in dieser Arbeit die Beschreibung spezifischer Merkmale eines Berufs verstanden, durch die er sich von anderen Berufen abgrenzt. Um die Herausarbeitung der Besonderheiten der sozialräumlichen Sozialen Arbeit, als Ergänzung des Berufsbildes der Sozialen Arbeit, geht es daher im Teil C. Da die sozialräumliche Soziale Arbeit keine breite Praxis hat, ist eine Erhebung über das Berufsbild nicht bei der Bevölkerung, sondern nur bei Professionellen und Verantwortlichen in der Sozialen Arbeit sinnvoll. Der explizite sozialräumliche Ansatz fehlt im Berufsbild von AvenirSocial, so dass die These formuliert werden kann, dass es mit der sozialräumlichen Funktion ergänzt werden muss. ! 41! 4.2 Sozialräumliche Paradoxien Für die sozialräumliche Soziale Arbeit und diese Praxisuntersuchung ist der Blick auf Grundprobleme unumgänglich. Die Problematik der Dilemmata besteht in der Sozialraumarbeit u.a. in diesen Bereichen (vgl. Kessl & Reutlinger 2009, ¶2-5): • Das Milieudilemma meint, dass innerhalb der Bevölkerung oft nur die bereits vernetzten Gruppen erreicht werden, aber dadurch die bedürftigen Gruppen aussen vor bleiben. Die Sozialraumarbeit hat daher die Aufgabe, die bestehenden Milieugrenzen zu überwinden. • Das Vernetzungsdilemma benennt die Gefahr, dass die bereits bestehenden Netzwerkstrukturen reproduziert werden und es den Nicht-Beteiligten erschwert wird, sich zu beteiligen. Für die Sozialraumarbeit geht es folglich darum, Netzwerke, die quer zu den dominierenden liegen, zu unterstützen oder deren Aufbau anzuregen. • Das Präventionsdilemma besteht darin, dass mit einer allgemeinen sozialraumorientierten Vorgehensweisen die Zielgruppen in der Gefahr stehen, aufgrund der Zugehörigkeit zu einem potentiellen Problemkreis, überkontrolliert oder -betreut zu werden. In welcher Weise können sozialräumliche Angebote konkret implementiert werden, die Nutzerinnen und Nutzern fehlende Handlungsoptionen eröffnen, ohne gleichzeitig Zuschreibungen und Stigmatisierungen zu leisten? • Das Homogenisierungsdilemma meint, dass raumbezogene Vorgehensweisen immer in der Gefahr stehen, bereits vorliegende Homogenitätsunterstellungen zu reproduzieren und damit das prinzipielle Problem symbolischer Ausschließung bestimmter Bevölkerungsgruppen zu verlängern. Die Sozialraumarbeit muss sich somit mit Strategien gegen Homogenisierungsprozesse wenden. Bei diesen meist paradoxen Ansprüchen ist ein hoher professioneller Handlungshabitus vonnöten und der Handlungsbedarf bezüglich der Dilemmata besteht in der realistischen Bewertung von Strategien und Zielen der Arbeit im Sozialraum. Für die berufliche Identität der in der Sozialraumarbeit Tätigen bekommt die unter 3.1.2 behandelte reflexive räumliche Haltung zentrale Bedeutung, um dieser Problematik zu begegnen. Dabei spielen Interessens- und Machtkonstellationen eine zentrale Rolle, um mögliche Vorgehen zu planen und Unmögliches zu thematisieren. Die politische Positionierung kommt damit, bedingt durch die sozialräumlichen Gegebenheiten, implizit oder explizit zum Ausdruck. „Sozialraumarbeit ist nicht per se gut oder auf der richtigen Seite. Ihre Position hat sie zu legitimieren – kommunalpolitisch, fachlich und gegenüber den Nutzerinnen und Nutzern“ (Kessl & Reutlinger 2009, ¶5). Diese lokale, konkrete Positionierung im Sozialraum ist entscheidend für die Ermöglichung der Partizipation der Bevölkerung. ! 42! B Empirischer Teil Zusammenfassung: Die Inhaltsanalyse von Organisationsunterlagen mit Tätigkeitsbereichen in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit ergibt fundierte Ergebnisse, die mit leitfadengestützten Experteninterviews überprüft und differenziert sind. Zwölf deduktiv aus der Theorie gebildeten Kategorien, die die sozialräumliche Soziale Arbeit benennen, sind induktive Unterkategorien zugeordnet. Das umfassende Bild des Praxisverständnisses und der sozialräumlichen Tätigkeiten der Sozialen Arbeit hat einen heterogenen Charakter und orientiert sich an den Grundsätzen der Sozialen Arbeit, der Gemeinwesenentwicklung und der Partizipation der Bevölkerung. Die Selbst- und Fremdverständnisse von Professionellen und Akteuren der sozialräumlichen Sozialen Arbeit divergieren unwesentlich und beschäftigen sich mit Ressourcen- und Legitimationsfragen und innovativen sozialräumlichen Lösungen. Die anstehenden Entwicklungen sind auf Versorgungssysteme der Sozialen Arbeit, Solidaritätsnetzwerke und die generationengerechte Quartiergestaltung fokussiert. Grosse Spannungsfelder sind in der Kulturdivergenz von der Verwaltung zur Sozialraumarbeit, der Zuständigkeit für sozialräumliche Entwicklungen und in der zunehmenden Individualisierung in der Gesellschaft auszumachen. 5. Forschungsmethoden und Forschungsdesign Das Erkenntnisinteresse für den empirischen Teil liegt in der Einschätzung und dem Verständnis der sozialräumlichen Sozialen Arbeit durch die Professionellen der sozialräumlichen Praxis. Für die Beantwortung der Fragestellungen ist eine qualitative Forschungsmethode geeignet. Spezifische und differenzierte Ergebnisse sind notwendig für die Berufsbildentwicklung. Quantitative Vorgehen gehen nicht tief genug, um diese komplexe Thematik zu ergründen. Es sollte daher ein möglichst breites und fundiertes Datenmaterial generiert werden, das Details aus der konkreten sozialräumlichen Praxis beinhaltet, so dass folgende Methodenwahl getroffen wurde: „Die qualitative Inhaltsanalyse muss anknüpfen an alltäglichen Prozessen des Verstehens und Interpretierens sprachlichen Materials“ (Mayring 2002, S. 38). Das Forschungsfeld ist die Praxis der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. Die empirische Relevanz für eine Selbst- und Fremdeinschätzung der Professionellen in der Sozialraumarbeit ist für diese Praxisforschung gegeben. Für die Berufsbildentwicklung kann daraus eine vertiefte Qualität resultieren, die dem interdisziplinären Charakter der sozialräumlichen Sozialen Arbeit gerecht wird. Die Fragestellungen werden daher mit einer qualitativen Inhaltsanalyse von konzeptionellen Organisationsunterlagen und leitfadengestützten Experteninterviews in ausgewählten sozialräumlichen Organisationen der Sozialen Arbeit bearbeitet und beantwortet. Der Forschungsprozess richtete sich dabei nach den klassischen Gütekriterien der Validität, Reliabilität und der Objektivität. • Die Validität meint, dass die qualitativen Methoden an den Common-SenseKonstruktionen der Untersuchten anknüpfen und auf den alltäglichen Standards der Verständigung aufbauen (vgl. Przyborski 2010, S. 38). • Die Reliabilität wird durch qualitative Methoden gesichert mit dem Nachweis von Reproduktionsgesetzlichkeit der herausgearbeiteten Strukturen und dem systematischen Einbeziehen von alltäglichen Standards der Kommunikation (vgl. Przyborski 2010, S. 40). ! 43! Die Objektivität qualitativer Methoden lässt sich steigern durch die intersubjektive Überprüfbarkeit. Auf der Basis alltäglicher Standards lassen sich Schritte der Erhebung und Auswertung im Sinne von Forschungsprinzipien formalisieren (vgl. Przyborski 2010, S. 42). Das Vorgehen im Forschungsprozess wird durch das Sampling, die Dokumentenanalyse und die Expertenbefragung mit der Analyse der Interviews beschrieben. • 5.1 Das Sampling „Fragen des Samplings sind in qualitativen Untersuchungen entscheidend. [...] Daher entscheidet das Sampling mit darüber, ob Befunde verallgemeinert werden können“ (Przyborski 2010, S. 174). Im Sinne einer breiten Abstützung ist die Auswahl von Organisationen und Projekten sowie Professionellen in der Sozialraumarbeit für die Datenanalyse und Interviews der Selbstverständnisse in ihrer Berufsrolle, ihrem Auftrag und ihrem Handlungsfeld heterogen. Die Anfrage für Organisationsunterlagen richtete sich an 25 Organisationen mit Arbeitsfeldern in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit der Schweiz (Schwerpunkt Ostschweiz), Vorarlberg, Baden Württemberg und Bayern. Die Beurteilung der Zuordnung der Organisationen zur sozialräumlichen Sozialen Arbeit erfolgte durch den Autor, ausgerichtet auf die Kriterien der Begriffsdefinition aus Kapitel 1.2. Für das selektive Sampling waren die folgenden Kriterien grundlegend: • Gleichmässige Verteilung der verschiedenartigen Organisationen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. • Dokumente geben mindestens Auskunft über den Auftrag, die Wirkung, die angewandten Methoden und die personellen Qualifikationen der Organisation. • Es sind Organisationen aus der Sozialarbeit, der Sozialpädagogik und der Soziokulturellen Animation vertreten. Der Rückfluss an verwertbaren, schriftlichen, von den Professionellen der Organisationen verfassten Dokumenten erfolgte von 19 Organisationen der Quartierentwicklung, Gemeinwesenarbeit, Online-Beratung, Koordination von Versorgungssystemen, mobilen Sozialarbeit und internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Diese sind in die Analyse einbezogen worden, soweit die Texte Aussagen zur Sozialraumarbeit zuliessen. Die Auswahl der interviewten Experten erfolgte entlang den häufigsten Handlungsfeldern in der genannten Organisationsauswahl: Gemeinwesenarbeit, Versorgungssystem und Gemeindeentwicklung. Damit kann eine, auf die Ressourcen dieser Arbeit abgestimmte, gute Ergebnisqualität erreicht werden. Konkret wurden für die Selbsteinschätzung zwei Experteninterviews mit Professionellen der Sozialen Arbeit in unterschiedlichen sozialräumlichen Tätigkeitsfeldern (Gemeinwesenarbeit und Koordination Versorgungssystem) und für die Fremdeinschätzung mit je einer verantwortungstragenden Person der Sozialraumarbeit in der Stadtentwicklung und der Gemeinwesenarbeit geführt. Das Interview in der Gemeinwesenarbeit erfolgte direkt mit beiden Personen. Dies hatte das Ziel, die beiden Sichtweisen in der Diskussion zu beobachten und die thematischen Wechselwirkungen zu ergründen. Die Koordinierungsperson des Versorgungssystems hatte gleichzeitig eine Fremdsicht, da sie mit einigen Organisationen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit zusammenarbeitet. Da die Ergebnisse der Datenanalyse aus qualitativer Sicht differenziert ausfielen und aussagekräftig sind, dienten die Interviews zur Ergänzung und Korrektur dieser. ! 44! 5.2 Inhaltsanalyse konzeptioneller Daten Die Strukturierung ist die zentralste inhaltsanalytische Technik der qualitativen Inhaltanalyse nach Mayring 2002 (vgl. Diekmann 2011, S. 609). Dabei werden Strukturmerkmale eines Textes unter Verwendung eines Kategoriensystems herausgefiltert. Da zum Berufsbild bestimmte Themen zwingend dazugehören, entspricht die Strukturierung diesem empirischen Vorgehen. In der Auswertung von konzeptionellem Textmaterial interessieren daher inhaltliche Merkmale in Bezug auf die Untersuchung eben dieser vorbestimmten Themen wie: Leitbilder, Konzepte, Leistungsverträge und -nachweise, Stellenbeschriebe und Angebotsbeschreibungen von Organisationen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. Das Ziel dieses Vorgehens war es, von verschiedenartigen Organisationen, die einer sozialräumlichen Sozialen Arbeit nahe kommen, konzeptionelles Material auszuwerten, mit dem Fokus, für eine Berufsbildbeschreibung bedeutende und/oder sich wiederholende Merkmale zu entdecken. Alle relevanten, d.h. mit mindestens einer der zwölf Kategorien korrelierenden Merkmale sind abgebildet und in der Darstellung zusätzlich nach Häufigkeit des Auftretens geordnet. Die Datenaufbereitung erfolgte hierfür in acht Schritten: 1. Bestimmung der Analyseeinheit, 2. Festlegung der Einschätzungsdimensionen, 3. Bestimmung der Ausprägungen, 4. Bestimmung der Definitionen und Kodierregeln, 5. Fundstellenbezeichnung, 6. Einschätzung, 7. Überarbeitung und 8. Ergebnisaufbereitung (vgl. Mayring 2002, S. 89ff). Bei der inhaltlichen Strukturierung wurde eine deduktive Kategorienbildung vorgenommen, indem für das Berufsbild der sozialräumlichen Sozialen Arbeit relevante Themen aus der erarbeiteten Theorie im Teil A einflossen. Diese zwölf Kategorien kamen somit bei der Inhaltsanalyse zur Anwendung: • Typen von fokussierten Sozialen Räumen. • Funktion und Wirkung der sozialräumlichen Tätigkeiten. • Methoden der Sozialraumarbeit. • Qualitätskriterien in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. • Qualifikation der in der Sozialraumarbeit Tätigen. • Sozialräumliche Zielsetzungen und Art der Ziele. • Steuerungsprozesse und Bearbeitung des Sozialraums. • Sozialräumliche Arbeit mit Personen und Netzwerken. • Verortung der Organisation/ Strukturen/ Ressourcen im Sozialraum. • Bedarf und Legitimation der Sozialraumarbeit. • Sozialräumliche Interdisziplinarität und Transdisziplinarität. • Bearbeitung Sozialer Probleme im Sozialraum. Es wurden rund 400 Seiten verwendbarer Organisationsunterlagen durchgearbeitet und relevante Textstellen zu diesen Kategorien bezeichnet. Dabei wurden die Kodierregeln (s. Anhang) entwickelt und in einem zweiten Durchlauf überprüfend auf die Textstellen angewendet. Über 1000 Textstellen konnten dadurch kodiert und erstaunlich gleichmäßig den Kategorien zugeordnet werden. Die Ergebnisse sind in induktiven Unterkategorien zusammengefasst und nach ihren Ausprägungen (Häufigkeit und Relevanz) in den Dokumenten bewertet. Dieses zusätzliche Kombination von qualitativem und quantitativem Vorgehen (s. Tabellen Anhang) liegt begründet in der Verwendung der Ergebnisse für die Berufsbildbeschreibung: Es interessiert nämlich für eine Tendenzerfassung weiterführend, welche Unterkategorien häufiger in den Dokumenten abgebildet sind. Auffallend und fordernd waren die uneinheitlich verwendeten Fachbegriffe in den Dokumenten und die entsprechende Interpretation dieser. Die Zusammenfassung der Ergebnisse pro Kategorie berücksichtigt die Unterkategorien, Ausprägungen, beschriebenen Inhalte und Qualitäten in den Textstellen. ! 45! Exemplarische Bildung der Unterkategorien Das interpretative Vorgehen bei der induktiven Unterkategorienbildung soll anhand folgender Beschreibung veranschaulicht werden: In der Kategorie ‚Steuerungsprozesse und Bearbeitung des Sozialraumes’ kommt die Förderung und Herstellung von sozialer Vernetzung und Begegnungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum in den Ankerbeispielen zum Ausdruck: „Begleitung durch tragfähige soziale Netzwerke; die Förderung infrastruktureller und konstruktiver Begegnungsmöglichkeiten“. Dabei wird sowohl die Vernetzung in der Bevölkerung, als auch die Vernetzung zur Bewältigung von Sozialen Problemen fokussiert. In „raumbezogene Identität und zivilgesellschaftliches Engagement stehen in Wechselwirkung zueinander“ wird der sich durch die Dokumente ziehende rote Faden der Förderung und Steuerung des gesellschaftlichen Engagements und damit der sozialräumlichen Identifikation sichtbar. Mit „fördert die öffentliche Freizeitgestaltung mit Angeboten, Leistungsvereinbarungen und Subventionen“ in „Aushandlungsprozessen zwischen den Akteuren“ ist die zentrale und verbreitete Kontraktform der sozialräumlichen Steuerung, der von den Stakeholdern gemeinsam entwickelte Leistungsvertrag angesprochen. „Einbezug aller Ansprechsgruppen und NonprofitOrganisationen, mit denen das Sozialzentrum im Sozialraum zusammenarbeitet, Kooperation und gemeinsame materielle und personelle Ressourcennutzung fördern“ als Beispiele für die Koordination in Versorgungssystemen als Ressourcen- und Angebotsoptimierung, könnte auch als gemeinsame Interessenvertretung im öffentlichen Diskurs zu sozialen Themen gesehen werden. Die Sensibilisierung der „subjektiven Sicht auf Sozialräume als individuelle Bedeutungsund Handlungsorte“ ist ein anderer Aspekt dieses Diskurses. „Fragen und Optionen der Raumgestaltung“ drückt die marginale Position der Sozialen Arbeit in der baulichen Sozialraumgestaltung aus – als explizite Partnerin für andere Disziplinen wird sie nirgends in den Dokumenten genannt. 5.3 Erstellen des Interviewleitfadens Die Interviews für die Selbst- und Fremdverständnisse werden mit einem offenen Leitfaden geführt. Bei Experteninterviews kann u.a. Deutungswissen eines Akteurs in einer Diskursarena zum Ausdruck kommen (Przyborski 2010, S. 134). Darauf liegt der Fokus für diese Untersuchung. Der narrative Anteil bei den Selbstverständnissen beträgt die Hälfte der Interviewzeit. Diese unterschiedliche Herangehensweise lässt den Professionellen der Sozialraumarbeit die Möglichkeit, offen und selbstgesteuert zu reden. Hingegen erhalten die Fachpersonen für die Fremdverständnisse eine unterstützende Führung mit Fragen und können nach eigener Wahl selbstgesteuert reden. Das Ziel der Interviews ist die Validierung der Ergebnisse der Datenanalyse und die Generierung zusätzlicher Informationen bezüglich des Berufsbildes. Die Ergebnisse der Datenanalyse wurden den Interviewten im Voraus zugestellt. Folgende Fragen standen dabei im Fokus: • Wie definieren Sie in Ihrer Organisation die Arbeit im Sozialraum? • Wie bewerten Sie die Zusammenfassungen der Ergebnisse zu den zwölf Kategorien der Datenanalyse? Welche Ergänzungen gibt es? • Welche aktuellen Entwicklungen und sozialpolitischen Transformationen prägen die Organisationen sozialräumlicher Sozialer Arbeit? • Welche konkreten Spannungsfelder, Dilemmata oder Debatten beeinflussen die Sozialraumarbeit? • Was bewegt Sie zum Thema sozialräumliche Soziale Arbeit? ! 46! 5.4 Durchführung der Experteninterviews Befragt wurde zum Gegenstand ‚sozialräumliche Soziale Arbeit’ gemäss Fragestellungen und nach notwendigen Kompetenzen für die professionelle Ausführung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. In allen Interviews wurde im ersten Teil mit demselben unterstützenden Leitfaden gearbeitet, der eine gewisse Vollständigkeit herstellt. Der zweite Teil wurde mit einem narrativen Setting gestaltet. Die Interviews dauerten je eine Stunde und wurden aufgezeichnet. Die Interviewten waren äusserst engagiert in den Ausführungen und es brauchte nur zur Herstellung der Vollständigkeit ein gelegentliches Nachfragen. Der Redefluss zu den Fragestellungen war ausreichend gut. Die einzelnen Phasen waren jedoch in der Länge beschränkt, um dem Leitfaden folgen zu können. Fritz Schütze geht bei narrativen Interviews davon aus, dass man bei der Erzählung von selbst erlebten Geschichten dem Schema der Sachdarstellung am nächsten kommt. Dies hat mit der Reproduktion der kognitiven Aufarbeitung des erlebten Ereignisablaufs zu tun. Über narrative Stehgreiferzählungen können Prozesse und Gestalten erschlossen werden. Zugzwänge des Erzählens und Beschreibens sind: „... der Detailierungszwang, der Gestalterschliessungszwang, der Relevanzfestlegungszwang und der Kondensierungszwang“ (Kallmeyer & Schütze 1977, zit. nach Przyborski 2010, S. 93). Bei Argumentationen sind die Zugzwänge: Behaupten, Begründen, Belegen, Bezweifeln und Bestreiten (vgl. Schütze 1978). Diese zu ergründen, analysieren und zu beschreiben ist die eigentliche Forschungsleistung. Stehgreiferzählungen sind bei Experten nicht spontan möglich und brauchen einen erzähldynamischen Stimulus, wie etwa mit der Frage nach organisationsgeschichtlichen Erfahrungen oder den Erfahrungen zur Verwobenheit in Projekten. Nur beschränkt ist daher ein narratives Setting im Rahmen von leitfadengestützten Interviews umsetzbar. Durch die narrativen Teile soll und kann jedoch die Qualität der Ergebnisse eine grössere Breite und Tiefe erhalten. 5.5 Narrationsanalyse und Interviewauswertung Die geführten Interviews entsprechen der für eine Auswertung benötigten Qualität und können vollumfänglich verwendet werden. Die Antworten zu den individuellen Verständnissen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit und die Bewertungen und Ergänzungen der Ergebnisse der Datenanalyse sind bei den zwölf Kategorien zusammengefasst ergänzt. Der Hauptteil der Interviews mit den Fragen zur Entwicklung und den Spannungsfeldern in der Sozialraumarbeit wurde dabei der Narrationsanalyse unterzogen. Durch die kürzeren Erzählphasen sind die Gestalten jedoch nicht immer klar erkennbar. Daher liegt der Fokus vorwiegend auf den Inhalten und diese werden durch die erkennbaren Prozesse im Interview differenziert. Die Auswertung der digitalisierten Interviews erfolgte durch Transkribieren und – soweit möglich – durch eine Struktur- und Themenbildung im Sinne einer Erzähl- und Narrationsanalyse nach Schütze (1978). Die Konstruktion theoretischer Modelle richtet sich auf die Herausarbeitung von Prozessstrukturen (vgl. Przyborski 2010, S. 240). Der Leitfadenteil der Interviews wurde mit der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet. „Objektivität liegt darin begründet, dass nicht innere Wirklichkeiten untersucht werden, sondern das, was sich objektiviert und protokollierbare Spuren hinterlässt“ (Przyborski 2010, S. 245). Das Kodieren erfolgte entlang der Argumentation und sich wiederholende Themen wurden zu Haupthemen zusammengefasst sowie induktiv den Kategorien ‚Entwicklungen und sozialpolitische Transformationen’ und ‚Spannungsfelder und Dilemmata’ zugeordnet. In den Memos sind ferner pro Interview nur die Hauptthemen dokumentiert. ! 47! 6 Ergebnisse der Inhaltsanalyse und Experteninterviews Dieses qualitative Forschungsvorgehen dient der Generierung von fundiertem und qualitativ hochwertigem Ergebnismaterial. Die im Anhang dargestellten Ergebnisse werden konzentriert und bezüglich des Forschungskontexts reflektiert in der Folge dargestellt. Dabei sind die Ergebnisse der Datenanalyse und der Interviews synthetisiert. Konkret sind die Beschreibungen das Produkt der in den Organisationunterlagen und Interviews genannten Themen und Einschätzungen und im Wortlaut nahe an der Ursprungsformulierung wiedergegeben. Die Interpretationsleistung durch den Forscher beschränkte sich damit auf das Kodieren, die Zuordnung der Themen zu den Kategorien und das Zusammenfassen. Der Fokus richtete sich in erster Linie auf häufig wiederkehrende Themen in den Forschungsergebnissen. Für die Berufsbildgestaltung interessieren die Gemeinsamkeiten stärker als die Unterschiede. In den einzelnen Kategorien nimmt die Relevanz der qualitativ erhobenen Themen im Verlauf der Zusammenfassung ab. Dies entspricht den Ausprägungen der Unterkategorien gemäss Anhang ‚stark – mittel – schwach’. Das quantitative Vorgehen spiegelt sich schlussendlich nur in der Themenanordnung wieder. Die Wiedergabe der Ergebnisse in dieser Blockform entspricht der Anforderung einer Berufsbildbeschreibung: Diese Textform zieht sich von den Beschreibungen im Datenmaterial und den Interviews durch bis zu den Zusammenfassungen und schlussendlich zum Berufsbild selbst. Die Interviewergebnisse sind den Selbst- und Fremdverständnissen zugeordnet. Grosses Interesse ist in der Praxis an der theoretischen Bearbeitung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit, an der Berufsbildentwicklung und an der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis vorzufinden. Ein gutes sich Wiederfinden der alltäglichen Praxis in den Kategorien der Datenanalyse ist ein übergeordnetes Ziel. Diese Inhalte sind aber oft Zieldenken und Vision. Die Alltagsdefinitionen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit durch die Interviewten sind vielfältig und von der konkreten Arbeit abhängig. Eine fachliche Auseinandersetzung hat damit punktuell bereits in den Organisationen stattgefunden. Einige Spannungsfelder, die auch in der Datenanalyse wahrnehmbar sind, wurden durch die Interviewten entsprechend explizit angesprochen und sind unter 6.2 und 6.3 aufgenommen. Die am häufigsten genannten Themen (hervorgehoben) aus den Ergebnissen der Interviews sind im Anhang beschrieben. 6.1 Kategorien und Themen Leseführung: Die auftretenden Themen in der Ergebnisvorstellung sind in den einzelnen Kategorien entsprechend ihrer abnehmenden Wichtigkeit und Häufigkeit geordnet. 6.1.1 Typen von fokussierten Sozialen Räumen Der traditionelle durch geographische Grenzziehung definierte Raum dominiert das Verständnis von Sozialen Räumen. Organisationen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit setzen somit den Fokus auf Soziale Räume bezogen auf ihre Zielgruppe. Dabei geschieht die Eingrenzung durch langfristige Themen, die Ziele oder die Problemstellung, womit ein erfassbares Konstrukt entsteht, an dem Interventionen ansetzen. Soziale Räume bekommen durch die sozialräumlichen Interventionen die Funktion von neu generierten sozialen Vernetzungen und entstandenem ! 48! Lebensraum. Diese Funktion der Entwicklung und dem Neubespielen Sozialer Räume wird in den Organisationen als die zentrale Aufgabe gesehen. Durch positive Raumbeeinflussungen wird in der Bevölkerung Identifikation und Verantwortung gestärkt, würdiger Lebensraum geschaffen und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Virtuelle Räume werden ebenfalls zunehmend durch die Soziale Arbeit genutzt. Die Nachfrage in der Bevölkerung nach virtuellen sozialarbeiterischen Dienstleistungen ist jedoch weitaus grösser als das Angebot. 6.1.2 Funktion und Wirkung der sozialräumlichen Tätigkeiten Organisationen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit bezeichnen die Funktion ihrer Tätigkeiten als Prävention von Sozialen Problemen und Integration von benachteiligten Gruppen in die Bevölkerung. Die konkrete Arbeit ist oft nicht problemfokussiert, sondern meint die Befähigung der Bevölkerung, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen oder die Förderung von Zufriedenheit, sozialem Zusammenhalt, Integrität und Sicherheit. Eine weitere Funktion ist die Koordination und Vernetzung sozialer Dienstleistungen im Sozialraum im Sinne der Synergiennutzung. Soziale Organisationen entsprechen mit einer sozialraumorientierten Arbeitsweise im Idealfall dem Bedarf an Hilfestellung und Unterstützung im entsprechenden Gebiet. Dabei wird die komplexe und entscheidende Schnittstelle zwischen der Bevölkerung und der Verwaltung durch die sozialräumliche Soziale Arbeit bearbeitet. In dieser Funktion werden die Ressourcen in der Bevölkerung und die staatlichen Ressourcen subsidiär aufeinander abgestimmt. Mit gezielten Interventionen in den Sozialräumen, der Vermittlung in Konfliktsituationen und der Partizipation der Bevölkerung bei sozialräumlichen Entscheidungen werden nachhaltige Wirkungen erzielt. Die Gemeinwesenarbeit, die Quartierkoordination oder die Online-Beratung, als mögliche Formen der Sozialraumarbeit, fördern Identifikation und Verantwortung bezüglich des sozialen Umfelds, der Ressourcennutzung sowie der Problembewältigung von Personen und Gruppen. 6.1.3 Methoden der Sozialraumarbeit Die unterschiedlichsten, oft aktivierenden Methoden geben breite Zugangsmöglichkeiten zur Bevölkerung und eine Flexibilität für die Arbeit auf den verschiedenen Tätigkeitsebenen von der Basis bis zu den Behörden. Die Kernmethoden sind die Prozesssteuerung, die Arbeit mit Netzwerken, das Projektmanagement und die Informationsvermittlung. Die Leitung und Moderation von Gruppen und Veranstaltungen und die Vermittlung bei Konflikten haben ebenfalls eine wichtige Bedeutung. Eine methodische Herausforderung ist die Aufweichung des bürgerschaftlichen Engagements als Gegenpol zu einer Verwaltungskultur. Das Coaching der freiwillig engagierten Personen und die Beratung bei individuellen und sachspezifischen Problemstellungen sind dabei jedoch zentral. Die soziokulturelle Animation bekommt in einigen Tätigkeitsfeldern der sozialräumlichen Sozialen Arbeit überdies eine Schlüsselfunktion für die Arbeit mit der Bevölkerung und das Initiieren von Entwicklungsmöglichkeiten. Alle Tätigkeiten sind dabei von einer Bedarfserhebung und der Evaluation der Leistungen abhängig, wobei sozialwissenschaftliche Methoden der Analyse und Expertise zum Einsatz kommen. Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen für die Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens ist dabei eine Steuerungsmethode, die von der sozialräumlichen sozialen Arbeit angewendet wird. ! 49! 6.1.4 Qualitätskriterien in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit In den Organisationen wird nach den berufsethischen Standards der Sozialen Arbeit gearbeitet und fachliche Entwicklungen fliessen ein. Kriterien der Verwaltung, wie öffentliche Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit, politische Unabhängigkeit und die Ausrichtung nach politischen Prozessen haben eine hohe Bedeutung. Das Qualitätsmanagement wird in Richtlinien und operativen Zielen beschrieben. Teilweise kommen Gesamtevaluationen zum Einsatz. Bei der Prozessqualität besitzen die Ergebnisoffenheit, die öffentliche Zugänglichkeit und eine minimale Reglementierung oberste Priorität. Diese sind der Schlüssel des Zugangs zur Bevölkerung und Grundlage für Sozialraumentwicklung. Struktur- und Führungsqualitäten werden vereinzelt beschrieben. Die Organisationen durchlaufen oft strukturelle Veränderungen. Für die politische Legitimation ist es notwendig und höchst anspruchsvoll, eine Messbarkeit herzustellen. Konkret werden Wirkungsindikatoren (Nutzungsintensität, Zufriedenheit der Beteiligten, Kostendeckungsgrad, Prozessverlauf, Projektstand,...) für die Messung der Quartierarbeit eingesetzt. Die breite politische Anschlussfähigkeit zur und Sensibilität für die Praxis fehlt der fachlichen Sozialraumarbeit. Der Einbezug der Politik in die Messung als Teil des Sozialraums wird zudem vorgeschlagen. Damit könnte der fehlende Einbezug von sozialräumlichen Aspekten in Legislaturziele nachgearbeitet werden. 6.1.5 Qualifikation der in der Sozialraumarbeit Tätigen Überwiegend wird ein tertiärer Bildungsabschluss in Sozialer Arbeit oder einem verwandten Gebiet vorausgesetzt. In basisorientierten Teilprojekten ist eine soziale Berufsbildung mit sekundärem Bildungsabschluss vorzufinden. Eine Weiterbildung ist meist Bedingung, vorzugsweise in den Themen Gemeinwesenentwicklung, Soziokultur, Erwachsenenbildung, Management oder Supervision/ Coaching. Sozial- und Führungskompetenzen, bezogen auf eine öffentlich-rechtliche Organisation, und fundierte Erfahrungen in einigen Methoden der sozialräumlichen Sozialen Arbeit sind des Weiteren unerlässlich. Betont werden die biographische Eignung, berufliche Erfahrungen in systemischer Arbeitsweise und eine Kommunikations-, Beziehungs- und Persönlichkeitsstärke. In der Praxis sind zudem administrative Fähigkeiten unabdingbar. Bei der Online-Beratung rücken Beratungskompetenzen ins Zentrum sowie Softwarekenntnisse und die Vernetzung mit einer ambulanten Beratungsstelle. 6.1.6 Sozialräumliche Zielsetzungen und Art der Ziele Die Ziele in den Organisationen sind langfristig ausgerichtet und teilweise von politischen Legislaturzielen abgeleitet. Strategisch gibt es ambitionierte Zielsetzungen, bei der Ausformulierung der operativen Ziele besteht viel Freiraum. Zentrales Ziel ist die Etablierung einer Mitwirkungskultur, die insbesondere das Zusammenwirken von Bewohnerschaft und Verwaltung erleichtert. Die Bearbeitung von Sozialen Problemen im Sozialraum richtet sich auf die Förderung von Lebensqualität, einer guten Dialogstruktur, einer nachhaltigen Gemeinwesenentwicklung und der sozialen Sicherheit. Soziales und kulturelles Kapital werden gefördert und die Lebensbedingungen für zukünftige Generationen nachhaltig verbessert. Die meisten Ziele sind sozialen Charakters. Wirkungsziele in Bezug auf die Bevölkerung und den Sozialraum sind die dominante Form sozialräumlicher Zielformulierungen. Es werden selten Leistungsziele kommuniziert. Versorgungsstrukturen, als optimal abgestimmtes Hilfesystem, werden angestrebt. Die Abstimmung der Zielsetzungen auf die Akteure im Sozialraum gilt als eines der höchsten Ziele im Sinne der gemeinsam zu bearbeitenden Themen. Land-StadtUnterschiede prägen vor allem die langfristigen Ziele, da in Landregionen weniger Professionelle ! 50! in der Politik agieren. Die Weiterbildung für strategische, politische Führungspersonen im sozialräumlichen Verständnis und in der Partizipation ist überdies notwendig. Die sozialräumliche Soziale Arbeit hat eine Netzwerkfunktion und ist Informationsstelle für Innen und Aussen. Handlungsbedarf besteht in der Einflussnahme auf bauliche Massnahmen und strukturelle Veränderungen auf Grund des sozialräumlichen Bedarfs. 6.1.7 Steuerungsprozesse und Bearbeitung des Sozialraumes Die sozialräumliche Soziale Arbeit nimmt ergänzend zu anderen Institutionen, die am Raum arbeiten, ihren spezifischen Fokus der Sozialraumbearbeitung ein. Die Herstellung von sozialer Vernetzung im öffentlichen Raum spielt dabei die wichtigste Rolle. Das Sozialkapital in der Gesellschaft zu fördern und soziale Ressourcen zu erschliessen, wird mit der Stärkung des Engagements der Bevölkerung angestrebt. Es geht auch um eine Sensibilisierung der Sichtweise auf Sozialräume und deren Potenzial. Der öffentliche Diskurs zu Sozialen Problemen wird in Sozialräumen gefördert. Bei der Online-Arbeit entstehen durch virtuelle Themenveranstaltungen neue temporäre Sozialräume. Die Steuerung im Sozialraum wird oft mit Leistungsverträgen zwischen den Akteuren geregelt. Dabei wird die Ausrichtung der Angebote auf das gesamte Versorgungssystem zentral gesehen und ist regelmässig zu koordinieren. Bei der materiellen Raumgestaltung ist die Sozialraumarbeit in anderen Disziplinen wenig gefragt. Die Mitbestimmung der Bevölkerung bei der Gestaltung von Orten hängt von deren Nutzung und Funktion ab. Eine generationengerechte Gestaltung der Räume ist ein Anliegen mit grossem Umsetzungsbedarf. Einige mögliche Facetten der Steuerung: Politikerinnen und Politiker bieten eine Plattform der Auseinandersetzung und veranstalten Quartierbegehungen, die Bevölkerung mit Migrationshintergrund findet eine differenzierte Mitwirkungskultur vor und die Quartierentwicklung wird als Fachstelle für Partizipation, Moderation und Mitwirkung betrieben. Die soziale Stadtentwicklung als politisches Instrument mit Sozialraumanalysen, Planung und Information bietet eine gute Grundlage für die Sozialraumarbeit. 6.1.8 Sozialräumliche Arbeit mit Personen und Netzwerken Die Netzwerkarbeit hat eine Kernfunktion in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. Netzwerke mit Anbietern sozialer Dienstleistungen oder sich ergänzenden Angeboten im Sozialraum sind verbreitet und die Aufgabe besteht folglich vornehmlich in deren Koordination oder Initiierung. Eine weitere Form sind soziale Netzwerke in der Bevölkerung, die meist ehrenamtlich geführt werden und von sozialräumlichen Organisationen unterstützt, initiiert oder finanziert werden. Für benachteiligte Gruppen solche zu entwickeln, gehört zu den Kernaufgaben Sozialer Arbeit. Die Arbeit mit Einzelpersonen hat in der Sozialraumarbeit den Charakter der Vermittlung von Klientel zu Beratungsstellen bei individuellen Problemstellungen und ist geprägt durch die Gewinnung, Entwicklung und Begleitung von freiwillig Engagierten in der Bevölkerung für die Netzwerkarbeit. Dabei bekommen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, die es zu gewinnen und coachen gilt, in der Bevölkerung für sozialräumliche Anliegen eine entscheidende Bedeutung. Vor allem generationen-übergreifende Projekte bedingen neue Netzwerke. 6.1.9 Verortung der Organisation/ Strukturen/ Ressourcen im Sozialraum Die sozialräumliche Soziale Arbeit bedingt eine optimale Verortung im Sozialraum als Teil der Vernetzung. Die Organisationen platzieren sich an neuralgischen Punkten und sind niederschwellig zugänglich. Dies gilt auch für die Onlineberatung, nur geschieht die Verortung ! 51! dort mit Links auf themenverwandten Homepages, die von der Zielklientel gefunden werden. Eine weitere Form ist die Anpassung der Verortung gemäss der Veränderung des Sozialraums: mobile Soziale Arbeit mit mobilen Räumlichkeiten. Dezentrale Verortungen in Agglomerationen bringen den Vorteil, nahe bei der Bevölkerung zu sein. Leitbilder und Konzepte für die Sozialraumarbeit werden abgestimmt auf die Sozial- und Raumplanung der Gemeinde. Von den Beteiligten wird die konzeptionelle Grundlage gemeinsam getragen. Diese braucht grossen Handlungsspielraum, um prozessorientiert arbeiten zu können. Oft geschieht Sozialraumarbeit in befristeten Projekten. Die langfristigen Ressourcen sind ungeklärt und lassen die sozialräumlichen Interventionen schwer nachhaltig gestalten. In einigen Organisationen besteht ein Sozialraumbudget, das gemeinsam von allen Akteuren sozialraumorientiert eingesetzt wird. Strukturell ist die sozialräumliche Soziale Arbeit als Stiftung oder als Teil der Verwaltung organisiert und oft mit Leistungsverträgen gesteuert. Die Führungskultur ist weitgehend der Arbeitskultur angepasst und ist partizipativ, aber strategisch straff. Die Organisationen sind wissenschaftlich begleitet oder gehören einem Fachgremium an. 6.1.10 Bedarf und Legitimation der Sozialraumarbeit Zwei Hauptauslöser für die sozialräumliche Soziale Arbeit sind die Gemeindeentwicklung oder die Verbesserung der Lebensqualität und die Imagepflege bei einer Konzentrierung von Problemstellungen. Die positive Kodierung von Lebensräumen und Gesellschaftsprozessen ist das Ziel politischen Handelns und ergibt die Grundlage der Implementierung von Sozialraumarbeit. Die Partizipation der Bevölkerung an Entscheiden im Gemeinwesen wird gefordert und für diese Vermittlungsfunktion gegenüber der Gemeindeverwaltung wird sozialräumliche Soziale Arbeit eingesetzt. Da Soziale Probleme in Bevölkerungskreisen die soziale Kohäsion gefährden, bekommt die Soziale Arbeit eine weitere Legitimation für das Wirken in Sozialen Räumen. Versorgungssysteme zu ergänzen und zu optimieren, ist bei zunehmend komplexeren Hilfesystemen eine weitere Notwendigkeit, bei der die Soziale Arbeit teilweise koordinierende Funktionen übernimmt. Demographische Entwicklungen verlangen Anpassungen bei den sozialen Dienstleistungen. Der Bedarf an Online-Angeboten ist zudem wegen des veränderten Kommunikationsverhaltens in der Bevölkerung gross. Dabei sind diese zielgruppenspezifisch und wertorientiert einzusetzen. 6.1.11 Sozialräumliche Interdisziplinarität und Transdisziplinarität In kleinräumigen Kontexten wird punktuell interdisziplinär zusammengearbeitet zwischen Verwaltung, Architektur, Wirtschaft, Bildung, Gesundheitsbereich, Soziale Arbeit, u.a. Dabei werden Angebote und Leistungen aufeinander abgestimmt. Die gemeinsame strategische Planung von Sozialraumgestaltung und Entwicklung von Versorgungssystemen wird thematisiert, hat aber in der Umsetzung eine marginale Bedeutung. Der interdisziplinäre fachliche Austausch in überregionalen Gremien wird punktuell gepflegt im Sinne der konzeptionellen Entwicklung der Sozialraumarbeit. Eine Aufweichung von Gemeinde- und Verwaltungsgrenzen zu Gunsten von regionalen Versorgungssystemen und sozialräumlicher Kooperation ist wahrnehmbar. Vereinzelt werden Sozialraumkonferenzen durchgeführt. Kaum vorhanden ist bei den Organisationen jedoch eine transnationale und transdisziplinäre Arbeitsweise. Diese Entwicklung hängt von übergeordneten politischen und wissenschaftlichen Prozessen ab, die von der Praxis der sozialräumlichen Sozialen Arbeit nur bedingt beeinflusst werden können. Parallel dazu ist die verwaltungsinterne und -externe Kommunikationskultur zu fördern, wofür die Sozialraumarbeit die Legitimation der Politik braucht. In der sozialen Stadtentwicklung gibt es die Departements- ! 52! übergreifende Zusammenarbeit zwischen Polizei, Quartierarbeit, Schule, Sport, Jugendberatung, Integrationsförderung und Alter. Die Mitwirkung der Politiker in Partizipationsprozessen wäre notwendig. Oft geht es in interdisziplinären Prozessen um gegenseitige Interessensicherung und eine Stärkenausrichtung. 6.1.12 Bearbeitung Sozialer Probleme im Sozialraum Soziale Probleme von Bevölkerungsgruppen und die Ursachen im Sozialraum von Sozialen Problemen stehen im Fokus der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. Oft geht es um die Wiederherstellung, wenn Hilfe in Anspruch genommen wird. Die verschiedensten Faktoren, die einen Einfluss auf das Zusammenleben und die Lebensqualität haben, werden von der Sozialraumarbeit präventiv oder bewältigend bearbeitet. Negative Phänomene wie destruktives Verhalten von Personen und benachteiligten Gruppen werden in der Öffentlichkeit thematisiert, an deren Ursachen gearbeitet und notwendige unterstützende Ressourcen gefördert. Umweltbelastungen und fehlende Sicherheit im Quartier haben grossen Einfluss auf das Wohlbefinden der Bevölkerung und den Gemeinsinn. Diese Vermittlungsfunktion der sozialräumlichen Sozialen Arbeit zur Gemeindeverwaltung für Verbesserungen ist verbreitet. Die Verschiebung von Sozialräumen durch die virtuelle Kommunikation und Informationsflut durch Medien sowie die zunehmende Segregation in der Bevölkerung werden wahrgenommen, es gibt aber kaum explizite Massnahmen dagegen. Folgende Themen bekommen ausserdem zunehmende Bedeutung: Alter und Migration, Verwahrlosung und die aufsuchende Beratung. 6.2 Selbstverständnisse von Sozialraumarbeit Die Interviews stellten einige bisher nicht weiter fokussierte Themen in den Vordergrund und der Altersfokus in einem Interview thematisierte Aspekte, die in jedem anderen Handlungsfeld der sozialräumlichen Sozialen Arbeit vorhanden sein können. Dass für das Funktionieren der Sozialraumarbeit eine Gemeindestrategie Bedingung ist, kommt äusserst klar zum Ausdruck. Das weitere Interview beleuchtet den Standpunkt aus der Pionierarbeit und einer befristeten Projektsituation heraus. Die Prozessthemen in den Interviews bezwecken, die vielen Ideen und Visionen trotz Ressourcenknappheit umzusetzen und weiterzuverfolgen. Der institutionellen Linie dabei treu zu bleiben und eine unsichere Arbeitsfeldzukunft zu gestalten, gehört zum Tagesgeschäft. Weiter stehen in der Praxis geographische Räume (Verwaltungssicht) versus Sozialraum (Sicht Soziale Arbeit) im Konflikt. Die Gestalterschliessung zeigt sich in den Interviews zu folgenden Themen: fachliche Kompetenz, Erfolg in der Sozialraumarbeit, Engagement für Altersfragen und das Gemeinwesen, Begeisterung fürs Networking und eine andauernde Experimentierfreudigkeit. 6.2.1 Entwicklungen und sozialpolitische Transformationen in Organisationen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit Die Nachbarschaftshilfe oder regionale Solidaritätsnetzwerke als eine weitere Säule der sozialen Sicherheit, beruhend auf freiwilligem Engagement, werden in Zukunft mehr gefördert werden und können den finanziellen Generationenvertrag entlasten und ergänzen. ‚Da sich die Alten sehr engagieren und viel an das gesellschaftliche Kapital beitragen’, werden zusätzliche Ressourcen gesehen, die im Sinne einer Selbstverwirklichung der Bürgerinnen und Bürger genutzt werden sollten. Die sozialräumliche Soziale Arbeit kann in diesen Prozessen professionell ! 53! steuern sowie auch in der Freiwilligenarbeit/ Netzwerkbildung und in der sozialen Quartiergestaltung. Die generationengerechte Quartiergestaltung wird intensiviert werden müssen, wobei die Sozialraumarbeit eine Schlüsselrolle übernehmen könnte. Dass die sozialräumliche Soziale Arbeit verstärkt Kompensationshandlungen zwischen Personen und Gruppen anstossen muss, wird betont, denn: ‚Begegnung im Quartier und von Jüngeren zu Älteren werden seltener’. Dieser Dialog und diese Vernetzung werden jedoch fundamental gesehen für die soziale Sicherheit. 6.2.2 Spannungsfelder und Dilemmata in der Sozialraumarbeit Ein grosses Spannungsfeld ist die differente Kultur in der Verwaltung und in der Sozialraumarbeit: ,die Schwierigkeit liegt in den verschiedenen Systemen der Hierarchie und der Mitwirkung’. Die beiden Systeme anzunähern, in Richtung einer Mitwirkungskultur der Bevölkerung und einer Vermittlungskultur zwischen den Interessengruppen, ist eine unglaubliche Herausforderung. Das Kerngeschäft der Sozialraumarbeit ist die Mobilisierung des Engagements von Bürgerinnen und Bürgern. Die Aufgabe ist es hier, dies professionell zu steuern, damit die Effektivität zu steigern und Modelle der Selbstverwaltung zu fördern: ,das Mehrgenerationenhaus ist selbstverwaltet, entstand aus Bürgerinitiative’. Sehr sinnvoll wird die sozialräumliche Thematisierung in der Fachwelt bewertet und es wird gefragt: ,wie kann die sozialräumliche Soziale Arbeit im Alltag benennt werden?.’ Eine praxis- und alltagsnahe Debatte des brisanten Themas wird gewünscht. In der Sozialraumarbeit ist örtliche Gestaltung von den verschiedenen Interessen geprägt, die teilweise diametral zueinander stehen. Entsprechende Räume anbieten zu können, ist dabei auch eine Ressourcenfrage. Die Aussage ‚Herausforderung ist, die abzuholen, die es brauchen, und offen sein für die andern’ bringt zudem die methodische ‘Knacknuss’ zum Ausdruck, allen Bevölkerungsgruppen gerecht werden zu sollen und mit bestehenden Konflikten umgehen zu können. Die Legitimationsfrage aus der politischen Beurteilung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit zeigt sich permanent auf allen Ebenen und ist oft massiv einschneidend bei den finanziellen Ressourcen und der strategischen Planung. 6.3 Fremdverständnisse von Sozialraumarbeit In den Interviews waren Organisationen im Hintergrund, die aus privater Initiative heraus auf Quartierarbeit beruhen oder einen langen, fundierten Institutionalisierungsprozess durchlaufen haben. Ein hoher Standard der Sozialraumarbeit ist bei zwei Organisationen vorzufinden, die Teil der sozialen Stadtentwicklung sind. Der berufliche Hintergrund der Interviewten geht von Ökonomie über Gesundheit bis hin zur Sicherheit, der Tätigkeitskontext liegt jedoch stets an Schnittstellen mit der Sozialen Arbeit. Folgende Prozessthemen kamen dabei zum Vorschein: Der politische Kampf für die Sozialraumarbeit, Ohnmachtserfahrungen und offene Fragen bezüglich der Institutionalisierung der sozial-räumlichen Sozialen Arbeit, die Grenzen der Sozialraumarbeit und eine hohe Komplexität in den Anforderungen und Umsetzungen. Die sozialräumliche Soziale Arbeit hat die Chancen der Quartierentwicklung zu nutzen. Diese sind oft nicht problematisiert, sondern präventiv und ressourcenorientiert geprägt. Die Gestalterschliessung durch die Interviewten kommt zum Ausdruck durch Optimismus haben, Visionen verfolgen, Realismus pflegen und Pragmatismus anwenden. ! 54! 6.3.1 Entwicklungen und sozialpolitische Transformationen in Organisationen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit Der grosse Trend wird in Richtung Zunahme der Selbstverantwortung und individueller Lebensstile wahrgenommen. Versorgungssysteme müssen zunehmend, nicht nur im Altersbereich, darauf ausgerichtet werden: ‚so lange wie möglich zu Hause [zu] unterstützen, mit guter Infrastruktur im Quartier, mit der Nachbarschaftshilfe und all den professionellen Dienstleistern’. Dass dabei die finanzielle Effizienz ein wichtiger Faktor ist, erstaunt nicht. Ambulante Systeme sind kostengünstiger: ‚wir bieten Unterstützung und es kommt der Stadt finanziell zugute’. Um den Generationendialog zu fördern und das Versorgungssystem im Sozialraum optimal zu gestalten, wird an der Entwicklung eines ‚Generationenhauses mit Begegnungsmöglichkeiten und einer Schnittmenge mit [der] Verwaltung sowie z.B. Sozialer Arbeit’ gearbeitet. Dabei werden zentrale und dezentrale Strukturen vorgeschlagen. Da die finanziellen Ressourcen knapp sind und diese soziale Investition als äusserst wirksam eingeschätzt wird, wird ein gemeinsamer ,frühzeitiger Plan mit den verschiedenen Akteuren als Realisierungschance’ entwickelt. Die Konsensfindung und die Optimierung des sozialräumlichen Versorgungssystems der Sozialen Arbeit gemeinsam mit anderen Disziplinen zu gestalten, kommt immer mehr in den politischen und fachlichen Fokus. Die Subsidiaritätsleistungen des Staates ergänzen das bürgerschaftliche Engagement und es ist ‚eine grundsätzliche gesellschaftliche Frage, wie weit Freiwilligenarbeit’ gehen kann und soll. Das Potenzial wird als sehr gross eingeschätzt, aber die sozialräumlichen Einrichtungs- und Unterstützungsstrukturen haben einen enormen Entwicklungsbedarf, um diese Ressourcen zu nutzen. Mit Quartierprojekten kann das Bürgerengagement gesteuert werden. ‚Es gibt die politischen Prozesse mit politisch legitimierten Personen, die indirekt Bedürfnisse der Bevölkerung einbringen sollten.’ Die Klärung der Abstimmung von politischer Entscheidung mit einer Mitwirkungs- und Mitbestimmungskultur in der Bevölkerung steht an. Je nach Interessen und Gegenstand ist ein Verfahren auszuwählen, zwischen ,mehr Information anstatt Mitwirkung und im anderen Fall bis Mitbestimmung’ durch die Bevölkerung. ‚Konkurrenzsituation gegenüber den politisch legitimierten Prozessen’ entstehen mit der Partizipation der Bevölkerung und führen zu grundlegenden Konflikten. ‚Nicht Schlimmeres, als wenn Erwartungen der Bevölkerung nicht erfüllt werden oder gar nie erfüllt werden konnten.’ Eine durch die Bevölkerung in partizipativen Prozessen zu beurteilende Vorlage muss daher zwingend zuerst auf ihre Erfüllung der Partizipationseignung geprüft werden. 6.3.2 Spannungsfelder und Dilemmata in der Sozialraumarbeit Die Gemeinde erachtet die Quartierentwicklung nicht als ihre Aufgabe und überlässt sie weitgehend Bürgerinitiativen. Der Blick in die ‚Gemeindeverfassung [zeigt]: hohe Werte und Ziele der Bevölkerungszufriedenheit und Identifikation mit dem Quartier’ werden gestützt und diese gilt es einzufordern. Da die Tradition von Sozialraumarbeit in der untersuchten Gemeinde fehlt, bleibt dieser Institutionalisierungsprozess bis jetzt weitgehend ein Dilemma. Zusammenhängend damit ist die Kultur in der Verwaltung, als Teil des Sozialraums, gefordert: ‚Gemeinde verwalten oder innovativ entwickeln?’ Wenn soziale Innovation und interdisziplinäre Zusammenarbeit keine Beachtung finden, haben es sozialräumliche Anliegen schwer, die sozialräumliche Soziale Arbeit verpufft ihre Energie und kann Ziele nicht nachhaltig umsetzen. Dies wird noch verstärkt, solange der gemeinsame Nenner der sozialen Organisationen die Konkurrenz ist. Die zentrale Funktion der Quartierentwicklung liegt daher in der Vermittlung und der Gewährleistung des Informationsflusses zwischen den Behörden/ der Verwaltung ! 55! und der Bevölkerung. Sie ist angesiedelt ‚zwischen Verwaltung und Bevölkerung und von wem soll sie Anwalt sein?’ stellt sich die berechtigte Frage. Es geht um die differenzierte Bearbeitung von Spannungsfeldern durch die sozialräumliche Soziale Arbeit: ‚Könnte Ihnen 1000 Spannungsfelder aufzählen, in jedem Quartier ist es anders’, lautet daher auch eine Expertenaussage. Auch Rollenkonflikte gehören dazu und daher gilt sinnvollerweise: ‚Konflikte sind politisch zu bewerten’. Grundsätzlich kann bei baulichen Projekten gelten: ‚bei der Detailgestaltung macht eine Mitsprache Sinn’. Die Relation zum Projekt und der Mitwirkung muss unbedingt bewahrt werden, sonst können keine politischen Ziele erreicht werden. Eine tendenzielle Entwicklung der Gesellschaft zu Eigentümern und Individualisten kann zu Dilemmata führen: ‚Eigeninteresse steht oft über dem Quartierinteresse’. Die grosse Herausforderung auch der sozialräumlichen Sozialen Arbeit ist es folglich, an der Frage zu arbeiten: ‚Wie lassen sich Interessen in Zukunft bündeln?’ Wichtig, um an solchen Projekten erfolgreich zu arbeiten ist es daher, dabei die ‚Steuerung durch Präsenz und Verortung im Quartier’ herzustellen. 6.4 Diskussion der Ergebnisse und der Forschungsmethoden Um ein Einordnung dieser empirischen Ergebnisse vorzunehmen, erfolgt eine Beleuchtung aus verschiedenen Blickwinkeln. Die Reflexion der Grenzen der gewählten empirischen Methoden liegt in der Fragestellung nach der Interpretation, Vollständigkeit und Anwendung bez. des Forschungsmaterials. „Eine Interpretation sprachlichen Materials auch durch qualitative Inhaltsanalyse ist immer prinzipiell unabgeschlossen. Sie birgt die Möglichkeit der ReInterpretation“ (Mayring 2002 S. 38). Interessant wäre es daher, die erfolgte Interpretation, z.B. von einer Person aus einer anderen Disziplin, wiederholen zu lassen. Je mehr Interpretationen vorliegen, umso näher kommen die Forschungsergebnisse der Wirklichkeit des untersuchten Gegenstandes. Im Sinne der reflektierten Subjektivität bestand kein gegenseitiges Kennen zwischen dem Forscher und der Interviewten. Die biographischen Bezüge des Forschers zum Thema dienen lediglich einem differenzierten Vorgehen und wurden möglichst objektiv eingesetzt. Die positive und fördernde Haltung des Autors zur sozialräumlichen Sozialen Arbeit wurde in der Datenauswertung möglichst in den Hintergrund gestellt. Die Vollständigkeit des Forschungsmaterials kann theoretisch gesehen nie erreicht werden. Im vorliegenden Vorgehen ist die Breite in der Datenanalyse recht gut, bei den Interviews würde das Einholen von weiteren, aus differenzierten Positionen kommenden Meinungen, eine nachhaltige Vertiefung ermöglichen. Der Aufwand dafür ist aber hoch. Interessant ist, dass der verwendbare Rücklauf bei den Dokumentenanfragen durch die Organisationen bei 80% liegt und bei den Interviewanfragen bei 100%. Dies lässt auf den Bedarf der Praxis an berufsspezifischem Wissen schliessen. Die Anwendung der Forschungsmethoden hat ihre Grenze vor allem bei der Umsetzung der Narrationsanalyse erreicht. Durch das eingeschränkte Ressourcensetting konnten die Interviews wenig auf einen ausgedehnten Erzählfluss ausgerichtet werden. Daher ist die methodische Auswertung der Interviews eine Mischform mit der Inhaltsanalyse. „Letztlich muss die Gegenstandsangemessenheit wichtiger genommen werden als die Systematik [...]“ (Mayring 2002, S. 124). Da die Themen klar zum Ausdruck kamen, können die Ergebnisse jedoch als qualitativ gut bewertet werden. Eine weitergehende Methode zur Sicherung der Reliabilität und Validität wäre die ausschließliche induktive Kategorienbildung aus dem Datenmaterial und dem Vergleich der Ergebnisse auf Übereinstimmung. Die Validität der Ergebnisse kann hierzu material-, ergebnisund prozessorientiert überprüft werden (vgl. Mayring 2002, S. 119). Überprüfungen wären ! 56! sinnvoll z.B. mit der Auswahl der Organisationen aus anderen geographischen Gebieten oder durch das Führen von Interviews mit Experten aus Arbeitsfeldern der klassischen Sozialen Arbeit wie Beratungsstellen oder stationären Einrichtungen. Experten der Online-Beratung wurden hier nicht befragt, würden aber neue Hinweise auf die Tätigkeit in virtuellen Sozialräumen geben. Der Einbezug der Online-Beratung in die Dokumentenanalyse kann in dieser empirischen Untersuchung als Erweiterungsperspektive des sozialräumlichen Denkens interpretiert werden und als eine gewisse ‚Kontrollmarke’ für die Beurteilung der klassischen sozialräumlichen Sozialen Arbeit gelten. Die Ergebnisse dazu können aber nicht als gesichert verwendet werden. Diese beschriebenen Tendenzen bräuchten eine eigene spezifische empirische Untersuchung. Die Ergebnisse des Einflusses von sozialpolitischen Transformationen auf die Sozialraumarbeit haben ebenfalls nur punktuell Aussagekraft. Auch hier müssten weitere vertiefende Interviews mit verschiedensten Experten in interdisziplinären Arbeitsfeldern geführt werden. Die Transdisziplinarität stösst in der Praxis auf wenig Resonanz, da sie schwer zu erfassen ist und meist auf der Ebene von theorieprägenden Institutionen thematisiert ist. Trotzdem können einige Tendenzen in den Ergebnissen interpretiert werden. Die Grenzen der Ergebnisse zu den Selbstund Fremdverständnissen liegen in der engen Auswahl und kleinen Anzahl der Interviews. Je nachdem, wo die theoretische Eingrenzung bei der Definition der sozialräumlichen Sozialen Arbeit gezogen wird, verschieben sich diese Verständnisse jedoch. Die hier vorgenommene Abgrenzung zwischen Sozialraumarbeit und Sozialraumorientierung hat natürlich in der Praxis viele Überschneidungen. Eine Vertiefung der Empirie wäre aufgrund der Ausrichtung der Organisation interessant sowie zu fragen, wo und weshalb welcher Interventionsansatz zum Einsatz kommt und wie dieser von Praktikerinnen und Praktikern definiert wird. Dieses Forschungsvorgehen könnte wiederholt werden mit dem Fokus auf der Differenzierung und den Widersprüchlichkeiten in den Handlungsfeldern der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. In diesem sehr heterogen geprägten Arbeitsfeld ist ein auf eine Konsensfindung ausgelegtes Forschungsvorgehen jedoch immer eine Herausforderung und ein Wagnis. Interessanterweise zeigen sich jedoch prägnante und weit verbreitet auffindbare gemeinsame Themen durch alle Organisationen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit hindurch, was der Benennung eines Berufsbildes der Sozialen Arbeit Legitimation verschafft. 6.4.1 Kritische Reflexion des methodischen Vorgehens Das in dieser Arbeit gewählte forschungsmethodische Vorgehen erfolgte selektiv. Die naheliegenden Methoden für eine Dokumentenanalyse und eine Experteninterviewauswertung wurden dabei eingesetzt. „Die Generierung gegenstandsbezogener, empirisch fundierter Theorien setzt die Verankerung der Methoden in einem metatheoretischen Zusammenhang voraus“ (Przyborski 2010, S. 45). Da es in dieser Arbeit in erster Linie um eine Berufsbildentwicklung geht und weniger um Theorieentwicklung, ist dieser Anspruch nicht absolut. Unter den inhaltsanalytischen Methoden geniesst die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring eine breite Fundierung und Verwendung. Und auch das narrative Interview gehört nach Przyborski (2010) zu den prominentesten und fundiertesten qualitativen Erhebungsverfahren. Für die Dokumentenanalyse und die leitfadengestützten Interviewteile erwies sich die qualitative Inhaltsanalyse mit der Technik der Strukturierung als äusserst effektiv. Die deduktive Kategorienbildung aus den theoretischen Grundlagen und die induktive Kategorienbildung aus dem Textmaterial mit gegenseitiger Zuordnung haben ebenfalls gut funktioniert. Dabei besteht die Gefahr, dass die Unterkategorienbildung mit einem bereits von den Kategorien geprägten Blick vorgenommen wird. Eine gewisse Selektion wurde überdies vorgenommen durch das ! 57! Zuordnen der Textstellen und Unterkategorien zu nur der Kategorie, die die grösste Relevanz aufwies. Die narrativen Elemente in den leitfadengestützten Experteninterviews einzusetzen war ein Experiment, aber kein Wagnis, denn ein sehr guter Erzählfluss wurde erreicht. Hingegen ist das Erkennen der verschiedenen Zugzwänge des Erzählens nach Schütze in den Daten schwierig oder nur hypothetisch möglich. Zu kurz sind die Erzählphasen. Hier liegt eine qualitative Schwachstelle in der Ergebnisinterpretation, aber nicht in der Berufsbildbeschreibung, da nur klar ersichtliche Gestalterschliessungen weiter verwendet wurden. „Narrative Interviews sind als Erhebungsverfahren nur dort geeignet, wo selbst erlebte Prozesse erzählt werden können“ (Przyborski 2010, S. 96), wie bereits im Vorfeld deutlich gemacht wurde. In den Stehgreiferzählungen der Interviews kommen auch tatsächlich einige solcher arbeitsfeld- und berufsspezifischer Prozesse zum Ausdruck, die sich in den andern Interviews wiederholen. Die Verwendung quantifizierender Elemente im qualitativen Vorgehen der Inhaltsanalyse kann kritisch beurteilt werden und entspricht nicht der Regel. Da dieses Vorgehen aber zusätzlich zum qualitativen erfolgte und die Darstellung der rein qualitativen Ergebnisse nicht verändert, ist es unproblematisch. Es kann somit eine zusätzliche Information über die Verbreitung der Themen in den Unterkategorien im Datenmaterial gegeben werden. In gewisser Weise können sogar umgekehrt die Ausprägungen als Teil der Strukturierungstechnik nach Mayring mit quantitativem Charakter gesehen werden. Für die Beurteilung der Reliabilität der Ergebnisse ist die Reproduktionsgesetzlichkeit der herausgearbeiteten Strukturen wichtig. Strukturbeschriebe der sozialräumlichen Sozialen Arbeit im Datenmaterial wurden einbezogen. Wenn diese wiederholt in verschiedenen Organisationen zur Sprache kamen, wurden diese in den Kategorien beschrieben. Der Nachweis der Reproduktionsgesetzlichkeit dieser ist in den Ergebnissen jedoch nur teilweise nachvollziehbar. Um diesen Punkt daher auszubauen, wären Rückkoppelungen der Ergebnisse in sozialräumlichen Praxisorganisationen zu anderen Zeitpunkten sinnvoll. Weiter ist zur Sicherung der Reliabilität der Einbezug alltäglicher Standards der Kommunikation notwendig. Die Anschlussfähigkeit auf die Interviewfragen bezüglich des Kommunikationsstils funktionierte gut. Es wurde durchgehend in der Ergebnispräsentation versucht, den Standard der vorgefundenen ‚sozialräumlichen’ Kommunikation und Begrifflichkeit abzubilden. Die Validität muss an den Common-Sense-Konstruktionen, also dem ‚gesunden Menschenverstand’ der Untersuchten anknüpfen. Durch die Überprüfung der Ergebnisse der Datenanalyse durch die Interviewten hat dazu ein Abgleich stattgefunden. Der Aufbau auf den Standards der Verständigung ist zudem notwendig. Es wäre interessant, diese Standards in den Organisationen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit zu erforschen. „Dieselben Strukturen, die Verständigung ermöglichen, sorgen auch für die Möglichkeit einer reflexiven Selbstkontrolle des Verständigungsvorgangs“ (Habermas 1981 zit. nach Przyborski 2010, S. 37). Demnach kann nur begrenzt nachgewiesen werden, ob die Ergebnisse auf den adäquaten Standards der Verständigung in den untersuchten Praxen aufbauen. Eine Objektivität der Ergebnisaussagen herzustellen, ist bei qualitativen Verfahren anspruchsvoll. Die notwendige intersubjektive Überprüfbarkeit und Nachvollziehbarkeit der vorliegenden Forschungsergebnisse ist jedoch gegeben. Die erforderliche Standardisierung der Schritte der Erhebung und Auswertung basieren auf den Prinzipien der eingesetzten Forschungsmethoden. Hier wäre eine fundierte Überprüfung der Analyseschritte durch eine unbeteiligte Drittperson sinnvoll. „Die Rekonstruktion bzw. Explikation der kommunikativen Regeln, der alltäglichen Standards der Verständigung, gibt Aufschluss darüber, wie sich der ! 58! Verständigungsprozess zwischen Erforschten und Forschenden und der Erforschten untereinander vollzieht“ (Przyborski 2010, S. 41). Auch bei der Objektivität sind wir bei den Standards der Verständigung angelangt, die für diese Praxisforschung differenziert generiert werden müssten. Allgemein lässt sich festhalten, dass bei der Verständigung im Forschungsprozess keine grösseren Kommunikationsprobleme aufgetreten sind. Einzelne, direkt relevante Verständigungsschwierigkeiten zwischen den Untersuchten wurden ausgewiesen. „Die Möglichkeit der Generalisierung empirischer Befunde wird in der Regel mit der Möglichkeit des Erklärens von Sachverhalten verbunden. Dabei lassen sich als zwei Grundmodelle das deduktive Erklären einerseits und das verstehende Erklären ... andererseits unterscheiden.“ (Przyborski 2010, S. 318). Dem Anspruch einer Generalisierung der Ergebnisse der Praxisforschung kann weitgehend entsprochen werden. Einerseits ist eine breite Streuung der Organisationen mit den jeweiligen Daten gegeben, ergänzt mit fundierten spezifischen Expertendaten. Andererseits können die entscheidenden Themen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit fundiert abgebildet werden und eine Anschlussfähigkeit zum Berufsbild der Sozialen Arbeit und den theoretischen Grundlagen ist herstellbar. Die Schwierigkeiten der Generalisierung liegen in der Frage der internationalen Übertrag- und Anwendbarkeit und dem undefinierten Handlungsfeld der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. Die Darstellungsproblematik der empirischen Ergebnisse liegt in deren Fülle und Vielschichtigkeit. In erster Linie interessieren für die Berufsbildbeschreibung deskriptive und sich wiederholende Informationen. Alle berufs- und sozialraumrelevanten Themen benötigen eine Beschreibung. Eine nach der Relevanz gegliederte Textform pro Kategorie macht Sinn und ergibt sich kontinuierlich aus dem Forschungsprozess. Bei den Interviewergebnissen zu den Spannungs- und Entwicklungsfeldern interessieren die Prozesse. Ein gegliederter Fliesstext mit dem Einbezug von Interviewzitaten liefert daher aus der Sicht des Autors die verständlichste Verdichtungsform. Zuviel Gliederung nach der Häufigkeit der Befunde würde kaum der qualitativen Thematik ‚Berufsbildbeschreibung’ gerecht werden. Die Anzahl der auftretenden Themen könnte sich im Zeitverlauf verändern. 6.4.2 Kritische Beurteilung der empirischen Ergebnisse Die ersten Einschätzungen der Qualität der empirischen Ergebnisse und die Erstellung eines Bezuges zu den Gütekriterien erfolgte in den zwei vorhergehenden Kapiteln. Das weitere Beurteilungsvorgehen richtet sich nach dem Anspruch an die Ergebnisse, der Berufsbildbeschreibung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit zu genügen. Mit diesem Fokus handelt es sich dabei um eine Ist-Erhebung der sozialräumlichen Handlungsfelder, die einem Entwicklungsprozess ausgesetzt sind. Die Vielfältigkeit und Differenziertheit der Ergebnisse resultiert aus der umfangreichen und fundierten Datenmenge. Die erfolgten punktuellen Vergleiche weiterer sozialräumlicher Organisationsunterlagen und Gespräche mit sozialräumlichen Experten mit den Ergebnissen zeigen, dass keine gravierenden Abweichungen oder Ergänzungen zu verzeichnen sind. Die offenen Diskussionen unter Experten beziehen sich auf Definitionen und Eingrenzungen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit und die breiten Funktionsverständnisse. In diesem funktionellen Zusammenhang können die Ergebnisse dieser Arbeit als ein Vorschlag gesehen werden, wobei die Funktionsdebatte der sozialräumlichen Sozialen Arbeit nach Fundierung und Differenzierung verlangt. Die Wirkungserfassung sozialräumlicher Interventionen ist in den Ergebnissen nicht aussagekräftig. Eine solche empirische Erweiterung wäre jedoch sinnvoll, um die Funktionalität detaillierter zu erfassen. Einige weitere Brennpunkte zur Beurteilung der Ergebnisse sind: ! 59! • • • • • ! Die Ergebnisse der narrativen Elemente in den Experteninterviews sind geprägt von den Spannungsfeldern von ‚Idealismus zu Realismus’, ‚Fachlichkeit zu Experimentierfreudigkeit’ und ‚politischem Kampf zu Pragmatismus’. Die Unterschiedlichkeit der Themen in den Organisationen kommt dabei zum Ausdruck. Als ein gemeinsames Funktionsprinzip kann die Suche nach der optimalen sozialräumlichen Sozialen Arbeit gesehen werden. Durch die quantitative und qualitative Ergebnisdarstellung können divergierende Themen benannt werden zwischen der Relevanz und der Verbreitung in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. Die Belastbarkeit der Daten für eine Analyse dieser Divergenz ist durch die Nichtfokussierung dieser Thematik in der Arbeit nur bedingt gegeben. Die Entwicklung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit ist stark und läuft in verschiedene Richtungen. Eine klare Erhebung und Eingrenzung der bezeichnenden Handlungs- und Arbeitsfelder könnte durch eine empirische Untersuchung verstärkt werden. In dieser Arbeit wurden offensichtliche sozialräumlich-tätige Organisationen der Sozialen Arbeit einbezogen. Bei der Auswertung der Dokumente wurde durch das Weglassen von Textstellen ohne offensichtliche Relevanz für die Praxisforschung eine Filterung vorgenommen. Für andere Fragestellungen zur sozialräumlichen Sozialen Arbeit könnten diese nicht einbezogenen Informationen allenfalls eine Relevanz bekommen. Durch die Kenntnisse der Analyse und das Fachwissen des Autors zur sozialräumlichen Sozialen Arbeit ist die Perspektive auf die sozialräumliche Praxis geprägt von einem differenzierten und subjektiv tiefgründigen Fokus, der Spannungsfelder benennt. Hingegen ist der Blick auf das Forschungsfeld und die -daten objektiv geprägt. Trotz einer positiven Haltung des Autors zur Sozialraumarbeit sollten die Ergebnisse keine positive oder negative Einfärbung erhalten haben. 60! C Integrativer Teil Zusammenfassung Der Vergleich der Empirieergebnisse mit den sozialräumlichen Theorien zeigt, dass das St.Galler Modell in der Praxis als Minimalstandard umgesetzt ist, die Bearbeitung des Sozialraums zudem stark mit den sozialpolitischen Transformationen korreliert und das Mass an generiertem Sozialkapital interessiert. Die soziale Produktion von Raum ist das Grundverständnis in der Konzeptionierung von sozialräumlichen Interventionen der Sozialen Arbeit. Prävention Sozialer Probleme und Integration von Gruppen in die Bevölkerung für eine gute soziale Kohäsion prägen die sozialräumliche Arbeitsweise. Die gezielte Verortung von sozialräumlichen Organisationen und die Tätigkeit in virtuellen Räumen finden eine zunehmend grosse Beachtung in der sozialräumlichen Praxis. Das transdisziplinäre Denken und das interdisziplinäre Handeln sind Kernkompetenzen in der Sozialraumarbeit. Mit der Entwicklung und Formulierung des Berufsbildes der sozialräumlichen Sozialen Arbeit als Syntheseleistung bekommt die Tätigkeit der Sozialen Arbeit in und an Sozialräumen ein Gesicht. Die grossen Herausforderungen in der Sozialraumarbeit umfassen einerseits die Aufgabe, an paradoxen sozialräumlichen Situationen zu arbeiten und andererseits den Einbezug von und die Arbeit an Regierungs- und Verwaltungsstrukturen. Für die Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft bedeutet der sozialräumliche Paradigmenwechsel eine neue Positionierung innerhalb der Disziplin und zu den anderen Disziplinen, die am Sozialraum arbeiten. Integrierte Praxisforschung kann dabei die Brücke zu den sozialräumlichen Akteuren bilden. 7 Gegenüberstellung von Theorie und Empirie Die mit der Inhaltsanalyse der Organisationsunterlagen und der Narrationsanalyse der Interviews erarbeiteten Themen werden nun im Folgenden im Vergleich von Theorie und Empirie aufgearbeitet mit dem Fokus der Sozialen Arbeit. Die empirischen Verständnisse der sozialräumlichen Sozialen Arbeit werden mit den theoretischen aus dem Teil C verglichen. Der Vergleich zielt auf das Aufdecken von Vorhandensein und Nichtvorhandensein gemeinsamer Kategorien zur Berufsbildbeschreibung in den Analysedaten, den Interviewergebnissen und in der Fachliteratur ab. Das Berufsbild der Sozialraumarbeit wird dabei wie ein Puzzle aus den Ergebnissen zusammengesetzt. Die konzentrierten und auf eine allgemeine Ebene gebrachten Interviewergebnisse werden als Abstraktionen bezeichnet und mit den Theorien und Methoden der Sozialraumarbeit und den die Sozialraumarbeit betreffenden sozialpolitischen und gesellschaftlichen Transformationen verglichen. Professionsentwicklungsthemen wie ‚mit Paradoxien arbeiten’ oder ‚den sozial-räumlichen Paradigmenwechsel gestalten’ und die Berufsbildbeschreibung sind abschliessend dargestellt. Die zwei Bezugspunkte der Integration sind das St.Galler Modell und das Berufsbild. Die Daten könnten unter anderen Blickwinkeln betrachtet werden, eine solche Multiplikation der Interpretationsansätze sprengt aber den Rahmen dieser Arbeit. Eine erste Zuordnung der empirischen Ergebnisse zum St.Galler Modell ergibt eine Übersicht, welche Qualitäten der Sozialraumzugänge sich in der untersuchten Praxis wiederfinden. Die Unterkategorien pro Kategorie sind geordnet nach Häufigkeit des Auftretens in den Dokumenten. Die Wahl der Zuordnung zu Ort, Struktur oder Mensch erfolgt nach der grössten Übereinstimmung. Rein ! 61! quantitativ fällt auf, dass die Nennungen bei Struktur und Mensch am häufigsten sind. Diese Beobachtung ist eigentlich charakteristisch für einen Sozialraum, aber auch bedenkenswert, da schlussendlich Materialisierungen und Verortungen einen Sozialraum erst greifbar machen. Die Verortungsfrage der sozialräumlichen Organisation ist in den Ergebnissen als permanenter Prozess ersichtlich und die Sicht der fliessenden Grenzen des Sozialraums wird bei den Praxisorganisationen eher problematisiert gesehen, vor allem im Widerspruch zu territorialen Grenzen. Empirische Kategorien mit Ergebnissen Typen von fokussierten Sozialen Räumen Geographischer/ regulierter Raum Thematischer Raum Sozialraum Virtueller Raum Lebensraum Gesteuerter Raum Netzwerk Funktion und Wirkung der sozialräumlichen Tätigkeiten Sozialraumorientierung Prävention Integration Sozialraumarbeit Gemeinwesenarbeit Stellvertretende Inklusion Methoden der Sozialraumarbeit Partizipationsprozesse steuern Netzwerkarbeit Projekt-/ Kontraktmanagement Moderation/ Vermittlung Analysen/ Evaluation/ Expertisen Beratung/ Coaching Soziokulturelle Animation Qualitätskriterien in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit Prozessqualität Kommunikation/ Öffentlichkeitsarbeit Ergebnisqualität Fachliche Standards Führung/ Controlling Strukturqualität Qualifikation der in der Sozialraumarbeit Tätigen Studium Soziale Arbeit Berufserfahrung Sozialkompetenz Weiterbildung/ MAS Führungskompetenz Verwaltungserfahrung Sozialräumliche Zielsetzungen und Art der Ziele Wirkungsziele Langfristige Ziele Soziale Ziele Politische Ziele Finanzielle Ziele Leistungsziele Kurzfristige Ziele ! Ort Struktur Mensch x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x 62! Steuerungsprozesse und Bearbeitung des Sozialraumes Gesellschaftliches Engagement Vernetzung Leistungsvertrag Versorgungssystem Raumgestaltung Öffentlicher Diskurs Sozialräumliche Arbeit mit Personen und Netzwerken Akteure/ NPO/ Vereine Freiwillige Multiplikatoren Benachteiligte Gruppen Themengruppen Einzelberatung Verortung der Organisation/ Strukturen/ Ressourcen im Sozialraum Organisation im Sozialraum Vielfalt der Verortung Definierte Ressourcen und Strukturen Sozialraumbudget Leitbild/ Konzept Führungshierarchie Bedarf und Legitimation der Sozialraumarbeit Gemeindeentwicklung Standortimage/ Lebensqualität Partizipation der Bevölkerung Hohe soziale Kohäsion Nachhaltigkeit Soziale Probleme Sozialräumliche Inter- und Transdisziplinarität Interdisziplinäre Zusammenarbeit Leistungskoordination Über Gemeinde- und Ämtergrenzen hinweg Transnationalität Transdisziplinäres Vorgehen Sozialraumkonferenzen Bearbeitung Sozialer Probleme im Sozialraum Benachteiligte Gruppen Destruktives Verhalten Emissionen/ fehlende Sicherheit Schwindender Gemeinsinn Segregation in Bevölkerung Medien/ Informationsflut Total x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x 16 x x 29 31 Tabelle 4: Kategorisierung der Empirieergebnisse nach dem St.Galler Modell Sämtliche Kategorien lassen sich den drei Zugängen im St.Galler Modell zuordnen. Bei Prozessund Zielsetzungsthemen kann die Zuordnung teilweise zu allen drei Zugängen vorgenommen werden. Durch die Empirieergebnisse kommt jedoch die Frage auf, ob gesellschaftliche und sozialpolitische Transformationen als weitere querwirkende Faktoren auf alle drei Zugänge zum Modell gehören würden. Im Folgenden werden die Ergebnisse zu den Kategorien ‚Typen von fokussierten Sozialen Räumen’, ,Funktion und Wirkung der sozialräumlichen Tätigkeiten’, ,Qualifikation der in der Sozialraumarbeit Tätigen’, ,Steuerungsprozesse und Bearbeitung des Sozialraumes’, ,Verortung ! 63! der Organisation/ Strukturen/ Ressourcen im Sozialraum’, ‚Bedarf und Legitimation der Sozialraumarbeit’ und ,Sozialräumliche Inter- und Transdisziplinarität’ breiter bearbeitet und integriert. Die Begründung für diese Auswahl liegt im Fokus und in der Relevanz dieser Kategorien für die Berufsbildbeschreibung und in der Begrenztheit dieser Arbeit. Die Themen vier bis sechs des Attributemodells nach Kurtz und übergeordnete Themen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit sind zudem für das Berufsbild vornehmlich relevant und weniger die Instrumente der Praxisgestaltung, was diese Auswahl ebenfalls unterstützt. 7.1 Theorievergleich und Abstraktionen Die dem St.Galler Modell durch Reutlinger und Wigger zugeschriebene proaktive Gestaltung des Sozialraums kommt als Vision in der sozialräumlichen Praxis explizit zum Ausdruck. In den Interviews werden in erster Linie die Grenzen dazu aufgezeigt und dass die Arbeit an Sozialen Räumen meist eine Vermittlungsaufgabe zwischen den verschiedenen Akteuren und den Bevölkerungsgruppen ist. Nachhaltige sozialräumliche Prozesse anzustossen, würde ein breites sozialräumliches Bewusstsein in der Gesellschaft voraussetzen, das jedoch noch weitgehend fehlt. Die relationale Anordnung von Menschen und Strukturen an bestimmten Orten (vgl. Spatscheck 2009, S. 34) ist der gängige Zugang zum Sozialraum in den untersuchten Praxen. Dies ist eine materielle Denkweise, an dem der Spacing-Prozess nach Deinet (2006) ansetzt und nach welcher die Bevölkerung den Raum gewissermassen ‚sozialisiert’. Dass sozialräumliche Prozesse die Gestaltung der Orte beeinflussen und Orte als Materialisierungen des Sozialraums gesehen werden, ist nur teilweise ein Praxis- und Verwaltungsdenken, da die Bevölkerung nur in Ausnahmefällen grundlegend in die Raumplanung einbezogen ist. Nach Grimm prägt der Mensch mit den subjektiven Interpretationen des Raums den Lebensraum (vgl. Grimm 2007, S. 78). Diese Wechselwirkungen kommen in der untersuchten sozialräumlichen Sozialen Arbeit oft als Verständnismuster zum Ausdruck und sie werden als Grundlage für Mitwirkung und Engagement im Sozialraum oder die Entstehung von Sozialen Problemen gesehen. Die Praxis der sozialräumlichen Sozialen Arbeit sieht sich primär in der Rolle, die Ressourcen den Bürgerinnen und Bürgern zugänglich zu machen und die Vernetzung in der Bevölkerung zu fördern. Dies entspricht explizit der Förderung des Sozialkapitals. Für die strukturelle Steuerung im Sozialraum sind die in den Forschungsergebnissen genannten Faktoren: Versorgungssystem, Leistungsvertrag, interdisziplinäre Arbeit und gesellschaftliche Mitwirkung zentrale Instrumente. „Steuerungsprozesse werden selbst im Hinblick auf optimalere Zugriffe auf den Sozialen Raum zum Gegenstand der Gestaltung“ (Reutlinger & Wigger 2010, S. 47). An sozial(raum)verträglichen Strukturen arbeiten und dafür sensibilisieren scheint damit die grosse Herausforderung der sozialräumlichen Praxis zu sein, da die unterschiedlichen Herrschafts- und Steuerungskulturen im Sozialraum aufeinanderprallen. Der in Kapitel 3.1.2 angesprochene zu bearbeitende Gegenstand der Sozialraumarbeit – die Wechselwirkung zwischen Mensch und Sozialraum – zeigt sich in den Ergebnissen als grundlegendes Verständnis. Die Förderung der Lebensqualität und die Gewährleistung der sozialen Sicherheit sind die wichtigsten Zielsetzungen. Soziale Problemstellungen werden meist mit Interventionen bearbeitet, die der Einzelperson übergeordnet sind: Gruppenanimation, Netzwerkbildung, Integrations- und Präventionsprogramme sind häufige Formen dieser Eingriffe. Soziale Arbeit im virtuellen Raum oder sozialräumliche Interventionsmodelle wie Quartierarbeit und Gemeinwesenarbeit, die Steuerung von Versorgungssystemen im Sozialraum sowie die Arbeit in und an Migrationsräumen werden im interdisziplinären sozialräumlichen Kontext praktiziert. Der Begriff ”Sozialkapital“ wird in der Praxis der sozialräumlichen Sozialen Arbeit kaum ! 64! verwendet. Die qualitativen Umschreibungen der Leistungen und Zielsetzungen bezeichnen jedoch ziemlich genau dieses. Eine mögliche Wirkungsmessung der sozialräumlichen Interventionen in Form des Sozialkapitals ist nicht vorzufinden. Wenn Sozialkapital zwischenmenschliche Vernetzung, gegenseitiges Vertrauen und Normen generalisierter Reziprozität innerhalb von Gemeinschaften beschreibt (vgl. 3.1.6), dann ist damit das immer wieder in der Praxisuntersuchung ausgedrückte Kerngeschäft der Sozialraumarbeit angesprochen: Die Praxisorganisationen arbeiten an der Nutzung dieser Ressourcen im Sozialraum, um dieses Potenzial für die Gesellschaft verfügbar zu machen. Als Minimalstandard der Beschreibung der Praxis der sozialräumlichen Sozialen Arbeit kann in der Praxis das St.Galler Modell mit den drei Zugängen gesehen werden. Eine Entsprechung der Theorien und Modelle im sozialräumlichen Fachdiskurs (vgl. Tabelle 3) ist in den verschiedensten Ausprägungen in den empirischen Daten vorzufinden. Es sind diesbezüglich keine Theorie-PraxisWidersprüche festzustellen. Die meisten Entsprechungen im Verständnis der sozialräumlichen Sozialen Arbeit in der Praxis bestehen mit Putnams Konzept des Sozialkapitals, der sozialen Produktion von Raum nach Löw, dem Berner Modell der Ressourcen- und Sozialraumorientierung nach Kummer und mit der sozialräumlichen Gemeinwesenarbeit nach Schubert. Mit dem Fakt, dass der Auftraggeber der sozialräumlichen Sozialen Arbeit selbst Teil des zu bearbeitenden Sozialraums ist, gewinnt das Konzept der Gouvernementalität nach Foucault mit den mit zu bearbeitenden Machtstrukturen an Bedeutung. Dieses Paradox wird in der Praxis permanent beleuchtet und ist gelegentlich ein grosses Hindernis für Sozialraumentwicklungen. Weiter fliessen ausgewählte Forschungs- und Literaturbezüge des Teil A in diese Integration ein. Dem Anspruch einer breiteren Vergleichsleistung von Fachliteraturhinweisen der Sozialraumarbeit zu diesen empirischen Daten kann diese Arbeit nicht gerecht werden. Eine vertiefte Rückbindung an die Autorensichten des A-Teils wird in den folgenden Kapiteln geleistet. 7.1.1 Verständnis Sozialraumarbeit und Soziale Räume In den in Kapitel 6.1.1 ‚Typen von fokussierten Sozialen Räumen’ beschriebenen Raumvorstellungen kommen, wie bei Bourdieu und im St.Galler Modell, die Faktoren Ort, Mensch und Struktur zum Ausdruck. Der definierte Beobachtungs- und Wahrnehmungsstandort und der thematische Betrachtungsfilter des Sozialraums werden dabei als Voraussetzungen für eine Beschreibung gesehen. Der Soziale Raum wird durch die drei Grunddimensionen Kapitalvolumen, Kapitalstruktur und die zeitliche Entwicklung dieser konstruiert (vgl. Bourdieu 1996, S. 196). Im Sinne der sozialräumlichen Interventionen, die das Kapitalvolumen verwenden, die Kapitalstrukturen beeinflussen und die sozialräumlichen Prozesse langfristig begleiten, wird dies in der Praxis internalisiert verstanden. Die in den empirischen Ergebnissen vorhandenen Raumordnungen und Raumbilder (vgl. Kessl & Reutlinger 2010, S. 91f) beziehen sich vorwiegend auf lokale/ globale Räume und abgekoppelte/ aufgewertete Räume. Doch wird der Sozialraumbegriff nicht immer exakt verwendet. Oft ist damit die Lebenswelt oder der territoriale Raum gemeint. Hingegen ist die Unterscheidung von Netzwerk zu Sozialraum präzise. In der sozialräumlichen Praxis stehen Menschen, die Strukturen schaffen und den Raum materialisieren, im Zentrum. Damit kommt Löw (2001) mit der ,sozialen Produktion von Raum’ in den Fokus. Die ständige Neubildung von Sozialen Räumen durch Menschen beschäftigt die Sozialraumarbeit im Kern. Auch das Sozialraumverständnis mit der ‚relationalen Anordnung von Gütern’ (vgl. Löw 2002, S. 24) ist in der Praxis ein Grundverständnis, mit welchem die interdisziplinäre Zusammenarbeit begründet und gefordert wird. ! 65! In der folgenden Zuordnung sind Entsprechungen der jeweiligen Theorieaspekte und der empirisch erstellten Unterkategorien als Kriterium ausschlaggebend. Wie in Tabelle 4 ersichtlich, hat in den untersuchten Praxen die Sozialraumorientierung einen hohen Stellenwert. Schwierig ist hier, wie schon im fachlichen Diskurs, bei den empirischen Daten eine klare Grenze zur Sozialraumarbeit zu ziehen. Beide Ansätze sind fliessend verbunden und das Modell der Handlungsprinzipien der sozialräumlichen Sozialen Arbeit nach Grimm (2007) setzt aus meiner Sicht an dieser Schnittstelle an. Die sozialräumliche Soziale Arbeit fokussiert ihre Tätigkeit gezielt auf Interventionen im Sozialraum. Die Auswahl der untersuchten Organisationen ist mit dem Fokus Sozialraumarbeit erfolgt und es lassen sich bei allen Organisationen Handlungsprinzipien nach Grimm erkennen. Mit Ausnahme der Online-Beratung arbeiten die Organisationen mit Einzelpersonen übergeordneten Methoden und haben die drei Zugänge zum Sozialraum gemäss St.Galler Modell integriert. Die Organisationen berufen sich in ihren Konzepten meist explizit oder implizit bezüglich der Sozialraumorientierung auf das Berner Modell der Ressourcen- und Sozialraumorientierung nach Kummer (2007) oder das Fachkonzept der Sozialraumorientierung nach Hinte (2007). Bezüglich der sozialräumlichen Sozialen Arbeit sind die Ansätze nach Löw mit der ‚sozialen Produktion von Raum’ und das St.Galler Modell in den Organisationen internalisiert. Die Abhängigkeit der Raumproduktion von den Raumeinschätzungen der sozialräumlichen Akteure und deren Positionen wurde in den Interviews wiederholt als zentrale Schwierigkeit und grösste interdisziplinäre Herausforderung bezeichnet. Ein entscheidender Teil der Sozialraumarbeit besteht in der Sensibilisierungsleistung bezüglich der Wahrnehmung und des Verständnisses von Sozialen Räumen. Es lässt sich in der Gesamtbeurteilung keine favorisierte Tendenz der theoretischen Ausrichtung feststellen. Da es in dieser Arbeit um die explizite Tätigkeit in und an Sozialen Räumen geht, ist ein Differenzierungsbedarf sowohl im sozialräumlichen Diskurs als auch in der sozialräumlichen Praxis auszumachen. Die Sozialraumarbeit beschäftigt sich durchgehend mit dem Neubespielen der Sozialräume mit den Akteuren und Beteiligten. Die untersuchten Organisationen der Gemeinwesenarbeit richten ihre Tätigkeit durchaus nach der sozialräumlichen Gemeinwesenarbeit nach Schubert (2011) aus. Eine Vermittlungsfunktion zwischen der Bevölkerung und der Verwaltung und Wirtschaft lässt sich in den sozialräumlichen Praxen finden. Diese Gatekeeperfunktion nach Schubert bekommt in sozialräumlichen Aufbauprojekten eine hohe Bedeutung und wird als der Schlüssel zum Erfolg gesehen. Bei der Online-Beratung werden virtuelle Räume den realen gleichgestellt. Dabei sind die Qualitäten der Orts- und Zeitunabhängigkeit, die Vernetzungsvielfalt und die Steuerung von Identitäten der Akteure benannt, wie auch bei Kress (2012) beschrieben. Nicht in allen Organisationen werden virtuelle Räume als Erweiterung der sozialräumlichen Tätigkeiten gesehen. Die zunehmende Bedeutung von virtuellen Räumen und die Verschachtelung und Überschneidung dieser mit realen Räumen wird in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit eher als grosse Blackbox eingeschätzt, als eine längst zur Wirklichkeit gewordene Entwicklung. Die Bewertung auf Sinnhaftigkeit von virtuellen Räumen beschäftigt in der Praxis mehr als die Nutzung und Betreuung dieser. Ein immenses Entwicklungsgebiet wartet hier darauf, von der Sozialen Arbeit untersucht, genutzt und gesteuert zu werden. 7.1.2 Funktion und Verortung der Sozialraumarbeit Zugespitzt ausgedrückt hat die sozialräumliche Soziale Arbeit, aus Sicht des Autors mit Blick auf die Empirieergebnisse, die Funktion, verhärtete Verwaltungsstrukturen aufzuweichen und die herkömmliche methodische Ausrichtung der Sozialen Arbeit auf den Prüfstand zu stellen. Dabei ! 66! stellt sich die Frage, welche gesellschaftlichen Strukturen für die Bewältigung von Sozialen Problemen hilfreich sind und wie soziales Kapital erschlossen werden kann. Die Ergebnisse der Praxisuntersuchung zielen in diese Richtung, zudem ist die sozialräumliche Soziale Arbeit wenig verbreitet. Dies macht im Sinne der breiten Wirksamkeit einen Institutionalisierungsprozess sozialräumlicher Praxisformen notwendig. Die in Kapitel 6.1.2 beschriebene Abstimmung der Ressourcen im Sozialraum zwischen den Akteuren und der Bevölkerung und der Intervention bei Problemstellungen und Konflikten bezieht sich auf den Gegenstand der sozialräumlichen Sozialen Arbeit und die Wechselwirkung der Akteure zum Sozialraum. Die gesellschaftliche Anordnung der Sozialraumarbeit zwischen Mesoebene und Makroebene gemäss Bronfenbrenner (1989), intervenierend in beide Richtungen, ist in der Praxis ebenfalls vorzufinden. Nach Kessl, Reutlinger & Deinet (2010) wird die Soziale Arbeit im Sozialraum zur aktiven Gestalterin sozialer Zusammenhänge, zu deren bewusster Ausgestalterin. Teilweise sehen sich die Praxisorganisation in dieser Rolle, sind aber massiv mit der Problematik konfrontiert, strukturelle und bauliche Veränderungen kaum mitgestalten zu können. Die Praxis der sozialräumlichen Sozialen Arbeit sieht sich den sozialräumlichen Prozessen unterworfen, kann aber meist aus Ressourcenknappheit nur bedingt mit organisatorischen Veränderungen reagieren. Die Prozesssteuerung und die Bearbeitung des Sozialraumes erfolgen über Sozialraumanalysen, Netzwerke, Sozialplanungen und soziale Stadtentwicklung. Das Kerngeschäft der Sozialraumarbeit ist jedoch die Mobilisierung des Engagements von Bürgerinnen und Bürgern. Das Prinzip ‚Subsidiaritätsleistungen des Staates ergänzen das bürgerschaftliche Engagement’ ist in modernen Gesellschaften meist gesetzlich und damit für die Soziale Arbeit vorausgesetzt. Dazu ist die Vermittlung und die Gewährleistung des Informationsflusses zwischen den Behörden/ der Verwaltung und der Bevölkerung eine zentrale, äusserst herausfordernde Aufgabe der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. Zum methodischen, professionellen Handeln gehört zudem die Einnahme der reflexiven räumlichen Haltung, um den vielschichtigen Problemstellungen begegnen zu können. In den Interviews kamen teilweise Überforderungssettings zum Ausdruck: Die sozialräumliche Soziale Arbeit muss zunehmend Kompensationshandlungen zwischen Personen und Gruppen in Problemkonstellationen vornehmen, um die soziale Kohäsion zu gewährleisten – ein hoher Anspruch, allen Bevölkerungsgruppen gerecht werden zu sollen und mit bestehenden Konflikten umgehen zu können. Im ländlichen Raum verschieben sich die Anforderungen an die Sozialraumarbeit: Entscheidende Anforderungen sind hier die grundlegende Akzeptanz von bestehenden politischen Strukturen und die öffentliche Bewertung der in der Sozialraumarbeit Tätigen. Für die Soziale Arbeit heisst dies verstärkt Beziehungsarbeit und zielgerichtete Vernetzung leisten, aber auch Abgrenzung von Beobachtung und ‚Klatsch’ vollziehen (vgl. Wagner 2011, S. 23-24). Im St.Galler Modell sind die drei Zugänge miteinander verbunden und im Sozialraum abhängig voneinander. In den Empirieergebnissen kommt bezüglich der Funktion und der räumlichen Verortung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit auch wirklich durchgehend der Einbezug dieser Faktoren zum Ausdruck. Die Syntheseleistung von sozialen Gütern und Menschen und die durch das Spacing entstandenen Orte nach Löw (2001) sind in der Praxis zielgerichtete Platzierungen der Institutionen. Oft hat aber die Tradition der Organisation bei der Verortung im Sozialraum Vorrang. Sozialräumliche Organisationen formieren sich daher vor allem um die herkömmlichen Örtlichkeiten. Durch die sozialräumlichen Prozesse entstehen aber auch neue örtliche Bedürfnisse und die neuralgischen Schnittpunkte verlagern sich. Die mobile dezentrale Verortung ergänzend zur fixen Verortung bewährt sich bei einigen Praxisorganisationen. In ! 67! transnationalen Migrationsräumen stellt sich die Verortungsfrage der Sozialen Arbeit komplex und es sind sinnvollerweise mehrere internationale Örtlichkeiten anzustreben. Entscheidend ist für die Praxis, dass Verortungen gemeinsam mit den sozialräumlichen Akteuren geplant und gestaltet werden. Ein Generationenhaus mit Begegnungsmöglichkeiten und einer Schnittmenge von Verwaltung mit sozialen Organisationen, usw. birgt solche Möglichkeiten der Kulturdurchmischung und Zusammenarbeit. Die Verortung in virtuellen Sozialräumen wird mit der benutzerfreundlichen Portalgestaltung gelöst. Wo die Soziale Arbeit physisch verortet ist, wird irrelevant. In der Kombination beider Raumtypen, z.B. bei Online-Beratung mit realen Selbsthilfegruppentreffen, kann es sinnvoll sein, eine dezentrale Verortung anzustreben. 7.2 Wirkung und Legitimation der Sozialraumarbeit In Kapitel 6.1.10 werden die Gemeindeentwicklung, die Verbesserung der Lebensqualität und die Imagepflege als Hauptauslöser für sozialräumliche Soziale Arbeit genannt. Aus politischer Sicht liegen der Bedarf und die Legitimation der Sozialraumarbeit in der Förderung der Standortattraktivität. Der Blick in eine Gemeindeverfassung zeigt, dass ‚hohe Werte und Ziele der Bevölkerungszufriedenheit und Identifikation mit dem Quartier’ bereits von den politischen Akteuren propagiert werden, und diese gilt es durch die sozialräumliche Soziale Arbeit nun einzufordern. Nach Kurtz (2005) ist ein Merkmal dieser Profession: Der Tätigkeitsbereich besteht aus gemeinnützigen Funktionen grundlegender Bedeutung. Aus Sicht der Sozialen Arbeit hat die Gestaltung von Sozialräumen im Sinne der Prävention von Sozialen Problemen und der Bearbeitung der strukturellen und örtlichen Rahmenbedingungen für eine hohe soziale Kohäsion und soziale Verantwortung in der Bevölkerung grosse Bedeutung. Der konkrete Bedarf ist zwingend im entsprechenden Sozialraum zu eruieren und die sozialräumliche Arbeit mit Netzwerken, Gruppen und in Versorgungssystemen vor Ort zu definieren. Die in Kapitel 3.2.1 beschriebenen Forschungsergebnisse der FHS St.Gallen unterstützen diese Einsicht und betonen den Prozess der Konstituierung als einen Teil der Lösung. Dabei werden immer wieder Netze ausgeworfen, um Informationen über den Sozialraum zu erhalten: Struktur, Angebotsstruktur, Kooperationen, Konflikte, Aneignungsräume und Schlüsselpersonen im Sozialraum werden erfasst (vgl. Deinet 2009, S. 56). Dass die sozialräumliche Soziale Arbeit für ihre Legitimation kämpfen muss, hängt zum Teil mit der geringen Verbreitung und mit der schlechten Messbarkeit der Wirkungen zusammen. Oft wird zwar mit Wirkungszielen gearbeitet, aber die Indikatoren und Messinstrumente dieser Ziele sind nicht definiert. Bezogen auf die Praxisaussage: Bei der Vermittlung in Konfliktsituationen und der Partizipation der Bevölkerung bei sozialräumlichen Entscheidungen werden nachhaltige Wirkungen erzielt. Ein Herunterbrechen der Interventionen in Teilschritte und deren Messung, ist folglich eine Möglichkeit weiterzukommen. Die Wirkungsmessung im Sozialraum wäre eine umfassende, ressourcenintensive Evaluation, wozu keine Praxisstudien bekannt sind. Eine Sozialraumanalyse nach gezielten Interventionen zu wiederholen, wäre jedoch eine weitere Möglichkeit, sozialräumliche Soziale Arbeit messbar zu machen. Mit den Typenpaaren des Sozialkapitals (Putnam 2001) sind Qualitäten gegeben, auf die Quantitäten im Sozialraum zutreffen. Das Sozialkapital als Wirkungsmessgrösse der sozialräumlichen Interventionen würde beispielsweise eine praxistaugliche Aufarbeitung verdienen. Die integrative Praxisforschung könnte hier zum Zuge kommen und mehrere Interessen verbinden. ! 68! 7.3 Schnittstelle Sozialraumarbeit/ Soziale Arbeit In der vorliegenden Arbeit geht es mit der sozialräumlichen Sozialen Arbeit um diese Schnittstellenbearbeitung. Das gemeinsame Interesse könnte mit der sozialen Integrität der Bevölkerung und der Identität dieser mit dem öffentlichen Raum beschrieben werden. Das St. Galler Modell beinhaltet die Sozialraumarbeit und die Soziale Arbeit. Je nach Fokus, Zugang oder Verhältnis zwischen den Zugängen können Aspekte der Sozialen Arbeit beleuchtet werden. Der Lebensweltbegriff bezogen auf eine Person ist eine solche Schnittstelle. Für die sozialräumliche Soziale Arbeit sind die Lebenswelten der Bürgerinnen und Bürger im Vergleich miteinander relevant und es interessieren vor allem die Gemeinsamkeiten. Aus systemtheoretischer Sicht bekommen die Schnittstellen der Funktionssysteme der Disziplinen Bedeutung sowie die Frage der Inklusion/ Exklusion. Dass es dabei um Orte, Menschen und Strukturen geht, zeigen Beratungssettings: Die soziale Hilfe für Personen beschäftigt sich immer mit diesen drei Zugängen/ Faktoren. Nach Reutlinger & Wigger (2010) ermöglicht ein transdisziplinärer Blick, Spannungsverhältnisse zwischen den Polen und Achsen des Modells zu erkennen und Sozialraumarbeit in einem umfassenden Sinn zu betreiben. In den untersuchten Praxen ist die Denkweise und Nutzung der Transdisziplinarität jedoch erst wenig fortgeschritten. In Kapitel 6.1.11 kommen einzelne gemeinsame Planungs- und Kooperationsbestrebungen zum Ausdruck. Es ist eine abwartende Haltung feststellbar, bis die Soziale Arbeit als Disziplin verstärkt respektiert wird. Der Eindruck entsteht, dass Ort und Ebene der Herstellung von Transdisziplinarität innerhalb der Sozialen Arbeit ungeklärt sind. Angebotskoordination zwischen den Akteuren der Disziplinen und vereinzelte Sozialraumkonferenzen sind bis jetzt die einzigen praktizierten Formen. Die Qualifikation der in der Sozialraumarbeit Tätigen unterscheidet sich nach 6.1.5 von den in der klassischen Sozialen Arbeit Tätigen in der Art der Weiterbildung und einer noch höheren Sozialund Personalkompetenz. Vor allem im Praxisinstrumentarium sind fundierte Kenntnisse und Erfahrungen notwendig wie: Projektmanagement, Erwachsenenbildung, Supervision/ Coaching, Konfliktmanagement, Forschungsmethoden und Soziokulturelle Animation. Das Case Management kann in beiden Handlungsfeldern eingesetzt werden und die Online-Beratung gehört zur klassischen Sozialen Arbeit, bekommt aber mit der Sozialraumausrichtung eine neue Qualität. Klar zum Ausdruck kommt in der Untersuchung, dass die Angebote in der Niederschwelligkeit und in der Erreichbarkeit stark sind und eine sehr hohe Nachfrage verzeichnen. In den virtuellen Angeboten und kombinierten Formen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit scheint ein grosses Potenzial brach zu liegen. Die transnationale Arbeitsweise betrifft die Soziale Arbeit und die Sozialraumarbeit gleichermassen und beinhaltet weiteres Potenzial, da die Migration stetig zunimmt. Auch hier gibt es wenig entwickelte Praxisformen und professionelle Netzwerke über Landesgrenzen hinaus. 7.4 Sozialpolitische Transformationen und Sozialraumarbeit Die Thesen aus Kapitel 3.3 zu den sozialpolitischen Transformationen werden durch die empirischen Ergebnisse unterstützt und präzisiert: • Durch die Zunahme der Selbstverantwortung und individuellen Lebensstile in modernen Gesellschaften werden die Menschen verstärkt zu individueller Hilfe und Solidarität in Netzwerken angehalten. • Durch die Separierung der Kulturen und die Divergenz der Schichten in der Bevölkerung muss die sozialräumliche Soziale Arbeit vermehrt Kompensationsleistungen und Plattformen anbieten, um der Segregation vorzubeugen und Durchmischung zu fördern. ! 69! • • • • Durch die Verlagerung von Netzwerken in virtuelle Räume werden diese für die sozialräumliche Entwicklung und die Funktion der Sozialen Arbeit ein unterstützender Ort des Lernens, der Beratung, der Vernetzung, der Projektsteuerung, der transnationalen Zusammenarbeit, der Finanzierung, der Innovation und der Wissenssteuerung im Sinne von Crowdsourcing. Durch die Etablierung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit besteht für diese die Chance, in der Entwicklung der Inter- und Transdisziplinarität eine Schlüsselfunktion innerhalb der Sozialen Arbeit übernehmen zu können. Auch die Thesen zur Transnationalisierung nach Kniffki (2011) in Kapitel 3.1.5 können aus Sicht der sozialräumlichen Sozialen Arbeit unterstützt werden. Durch die politischen Effizienzanstrengungen und die positiven Erfahrungen mit Pilotsystemen werden vermehrt Versorgungssysteme und intelligente Hilfesysteme erdacht und entwickelt und diese präziser den lebensweltlichen Bedingungen der Bedürftigen angepasst. In der Altersplanung, bei sozialpädagogischen stationären Angeboten, bei der Online-Beratung und in der Stadtentwicklung werden gemäss der Praxisuntersuchung interdisziplinär und zwischen Organisationen Synergien genutzt und mit einer sozialräumlichen bedarfsorientierten Steuerung ausgestattet. Durch demographische Entwicklungen und den zunehmenden gesellschaftlichen Abschied von der sozialen Marktwirtschaft werden kooperative Systeme der Hilfe in der Bevölkerung, wie Nachbarschaftshilfe oder regionale Solidaritätsnetzwerke, zu einer weiteren Säule der sozialen Sicherung, bei der die Sozialraumarbeit eine Entwicklungsund Koordinationsfunktion übernehmen kann. In Bezug auf das St.Galler Modell muss regelmässig die Frage gestellt werden, welchen Einfluss die gesellschaftlichen Entwicklungen auf die Stabilität im Sozialraum haben und wie die Zugänge im gegenseitigen Gleichgewicht stehen. Hier zeigt sich, dass das Modell nicht per se den funktionierenden Sozialraum beschreibt, sondern nur dann, wenn eine gewisse Qualität der Faktoren und Wechselwirkungen gewährleistet ist. Die Benennung des Masses an generiertem Sozialkapital könnte die Funktionalität des Sozialraums präzisieren und dem Modell eine höhere Effektivität bringen. 7.5 Zusammenfassung der Ergebnisse Theorie/ Empirie Das St.Galler Modell zur Gestaltung des Sozialraums mit den Zugängen ”Arbeit mit Menschen“, ”Gestaltung von struktureller Steuerung“ und ”Gestaltung von Orten“ kann als Minimalstandard für die sozialräumliche Soziale Arbeit gesehen werden. Eine weiterführende Präzisierung ist mit dem Einbezug der sozialpolitischen Transformationen und mit dem Mass des generierten Sozialkapitals sinnvoll. Nachhaltige sozialräumliche Prozesse auszulösen bedingt eine Förderung sozialräumlichen Bewusstseins in der Gesellschaft und bei den Institutionen. Das Verständnis, mit der relationalen Anordnung von Menschen und Strukturen an Orten den Raum ‚sozial zu produzieren’, ist in der sozialräumlichen Praxis vorherrschend. Primäre Aufgabe der sozialräumlichen Sozialen Arbeit ist es, die Bestandteile des Sozialraums und deren Wechselwirkungen zu bearbeiten und die sozialräumlichen Ressourcen für die Bevölkerung zu erschliessen. Die Vernetzung fördern, Mitwirkung herstellen, Versorgungssysteme steuern, Leistungsverträge einrichten und interdisziplinär arbeiten sind dabei zentrale Instrumente. Der Einbezug der Bevölkerung in die Raumplanung ist zu differenzieren und auszubauen. Die Förderung der Lebensqualität und die Gewährleistung der sozialen Sicherheit sind weitere wichtige Zielsetzungen. Die Prävention Sozialer Probleme und die Integration von Gruppen in die ! 70! Bevölkerung für eine gute soziale Kohäsion prägen die sozialräumliche Arbeitsweise. Verbreitete Praxisformen sind die sozialräumliche Gemeinwesenarbeit und die Quartierentwicklung. Sozialraumanalysen und -planungen werden zunehmend eingesetzt. Als enorm wichtig erscheint die Wahl der Verortung der sozialräumlichen Organisation im Sozialraum, um damit sozialräumliche Brennpunkte erschliessen zu können. Eine Sozialraumorientierung kann durchwegs in jeglichen sozialen Organisationen gelebt werden, die Sozialraumarbeit bedingt aber das ‚Neubespielen’ der Sozialräume gemeinsam mit den Akteuren im Sozialraum. Die Nutzung virtueller und die Verknüpfung dieser mit realen Sozialräumen beinhaltet enormes Entwicklungspotenzial mit einem ungedeckten Bedarf an sozialen Fragestellungen. Professionelle der sozialräumlichen Sozialen Arbeit verfügen über eine Ausbildung in Sozialer Arbeit, fundierte Qualifikationen im sozialräumlichen Instrumentarium und über hohe Sozial- und Persönlichkeitskompetenz. Unterschiedliche Herrschafts- und Steuerungskulturen im Sozialraum prallen jedoch aufeinander und das territoriale Verwaltungsdenken liegt quer zum Sozialraumdenken. Das Sozialkapitel als Wirkungsmessgrösse der sozialräumlichen Interventionen könnte verstärkt etabliert und eingesetzt werden. Die Zukunft der sozialräumlichen Sozialen Arbeit wird zunehmend durch die Entwicklung intelligenter Hilfesysteme und regionaler Solidaritätsnetzwerke sowie der Intensivierung der transdisziplinären und -nationalen Sozialen Arbeit geprägt sein. 8 Berufsbild der sozialräumlichen Sozialen Arbeit Das Berufsbild der sozialräumlichen Sozialen Arbeit setzt sich aus den überschneidenden Ergebnissen der bearbeiteten Theorie und Empirie gemäss Kapitel 7 zusammen. Das Ergebnis hieraus ist im Folgenden dargestellt und bildet das zentrale Produkt dieser Arbeit. Dabei ist die Beschreibung ergänzend zu grundlegenden Informationen im Berufsbild der Professionellen Sozialer Arbeit von AvenirSocial (Anhang) zu sehen. Mit ‚überschneidend’ sind zentrale Aussagen in der Theorie und in der Praxisforschung gemeint, die häufig erwähnt werden und mit grossem Gewicht in der Beschreibung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit versehen sind. Gegenstand Die sozialräumliche Soziale Arbeit widmet sich der Wechselwirkung zwischen Menschen und Sozialraum. Der Sozialraum wird gebildet von Menschen, Strukturen und Orten, die in Wechselwirkungsprozessen miteinander verbunden sind. Durch den bewussten Wahrnehmungsstandort und die thematische Eingrenzung können Soziale Räume erfasst werden. Die Summe der sozialen Vernetzungen und Ressourcen sowie Werthaltungen und das Vertrauensniveau im Sozialraum bilden das soziale Kapital. Soziale Probleme mit ihren gesellschaftlichen Bezügen sind der Bearbeitungsgegenstand der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. Eine Förderung der Lebensqualität und Gewährleistung der sozialen Sicherheit sind die wichtigsten sozialräumlichen Zielsetzungen. Funktion Die Aufgabe der sozialräumlichen Sozialen Arbeit ist es, die Bestandteile des Sozialraums und deren Wechselwirkungen zu bearbeiten, die sozialräumlichen Ressourcen für die Bevölkerung zu erschliessen und die soziale Verantwortung zu erhöhen. Die Vernetzung fördern, Mitwirkung ! 71! herstellen, sozialräumliche Akteure einbeziehen, Versorgungssysteme steuern, Leistungsverträge einrichten und interdisziplinär arbeiten sind zentrale Instrumente hierfür. Die Prävention Sozialer Probleme und die Integration von Gruppen in die Bevölkerung für eine gute soziale Kohäsion prägen die Arbeitsweise. Mit der Verortung der Organisation werden möglichst sozialräumliche Brennpunkte erschlossen. Die sozialräumlichen Projekte werden auf ihre Partizipationseignung geprüft und die Bevölkerung entsprechend einbezogen. Dabei steht das Subsidiaritätshandeln des Staates zu bürgerschaftlichem Engagement im Zentrum. Durch den sozialen Wandel ist die Soziale Arbeit permanent gefordert auf sozialräumliche Risiken einzugehen und die Schnittstellen zu anderen Institutionen zu bearbeiten. Das Sozialkapital gilt als Wirkungsmessgrösse der sozialräumlichen Interventionen. Methoden Das sozialräumliche Methodenrepertoire ist vielfältig und wird je nach Setting eingesetzt: Projektmanagement, Prozesssteuerung, Mediation, Kommunikation im partizipativen Prozess, Netzwerkbildung, Moderation, Ressourcenerschliessung, Instrumente der Prävention und Integration, Sozialraumanalyse, Evaluation und Steuerung von Informationsprozessen sind häufige Instrumente. Arbeitsfelder Aktuelle sozialräumliche Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit sind die Quartierentwicklung, die Gemeinwesenarbeit, die Steuerung von Versorgungssystemen der sozialen Hilfe, die Soziale Arbeit in virtuellen Räumen und die mobile Soziale Arbeit. Qualifikationen Professionelle der sozialräumlichen Sozialen Arbeit verfügen nebst einer Ausbildung in Sozialer Arbeit über diese beruflichen Grundlagen: • Qualifikationen in Projektmanagement, Erwachsenenbildung, Supervision/ Coaching, Konfliktmanagement, Forschungsmethoden und Soziokultureller Animation. • Grosses Repertoire an sozialräumlichen Methoden und Instrumenten. • Hohe Sozial- und Personalkompetenzen und Berufserfahrung in der Sozialen Arbeit. • Dem Arbeitsfeld entsprechende Kompetenzen in Führung, Administration oder Fundraising. Grundsätze Die sozialräumliche Soziale Arbeit richtet sich nach den formulierten Prinzipien im Berufsbild der Professionellen Sozialer Arbeit, im Berufskodex der Sozialen Arbeit von AvenirSocial und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Die Qualitätskriterien der öffentlichen Kommunikation, der demokratischen Grundrechte und der institutionellen Gegebenheiten sind eingehalten. Abbildung 5: Berufsbild der sozialräumlichen Sozialen Arbeit (Roman Niedermann) ! 72! 9 Schlussfolgerungen aus Theorie und Praxis Grundsätzlich zeigt sich im Vergleich der Empirieergebnisse mit dem theoretischen Diskurs der sozialräumlichen Sozialen Arbeit, dass dieser im Fachdiskurs differenzierter geführt ist als in der Praxis. Die Denkweise zur Sozialraumarbeit ist in den Konzepten der Praxisorganisationen zwar teilweise erkennbar, die Konzeptumsetzungen werden aber nicht allen theoretischen Konstruktionen gerecht. Dies zeigt sich in den in Kapitel 6.3.2 beschriebenen Schwierigkeiten. Dieser Sachverhalt kann als sinnvoll und natürlich eingeschätzt werden. Er unterstützt aber die These, dass die sozialräumliche Soziale Arbeit in der theoretischen Grundlage nicht über die notwendige Klarheit und Praxisbezogenheit verfügt und sich die Praxis in einem Institutionalisierungsprozess befindet, der eine breite theoretische Sensibilisierungsarbeit erfordert. Auf einige Brennpunkte wird nachfolgend noch eingegangen. 9.1 Kritische Bewertung des Berufsbildes der sozialräumlichen Sozialen Arbeit Mit einer theoretischen Aufzeichnung der Aufgaben der (sozialräumlichen) Sozialen Arbeit nach Früchtel, Cyprian & Budde (vgl. 2007, S. 180-181) wird nachfolgend noch ein prüfender Blick auf das Berufsbild der sozialräumlichen Sozialen Arbeit geworfen und die Belastbarkeit auf im Berufsbild fehlende Aspekte überprüft: • Machtstrukturen als zentrale analytische Kategorie des beruflichen Handelns benutzen. Über die Einbindung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit in und das Nutzbarmachen von Machtstrukturen im Sinne der Gouvernementalität im Sozialen Raum ist wenig gesagt. • In Situationsanalysen die gegen das Wachstum von Adressaten wirkenden Machtblocker ausfindig machen. In der Theorie stehen einige Methoden hierfür zur Verfügung; für die Praxis müssten jedoch Instrumente benannt werden, die gegen Machtblocker anzugehen helfen. • Machtstrukturen und Machtlosigkeit als dynamische Prozesse erkennen, die veränderbar sind. Über den konkreten Umgang damit und die Erfolgschancen sowie die Grenzen davon muss sinnvollerweise unter Einbezug der Politik und Wirtschaft debattiert werden und Schnittstellen im sozialräumlichen Verständnis sind zu benennen. • Menschen helfen, sich selbst als zentrale Akteure der Problemlösung statt als Ursache des Problems zu sehen. Dieser Empowermentansatz überschneidet sich mit der Sozialen Arbeit in der Ausrichtung auf einzelne Personen. Die Abgrenzung zur sozialraumorientierten Sozialen Arbeit ist im Berufsbild nicht benannt. • Eine nutzbare Ressource für Adressaten sein, in Arbeitsbündnissen auf Augenhöhe agieren. Im sozialräumlichen Kontext können die Bedürfnisse sehr unterschiedlich sein. Die konkrete Ressourcenerschliessung müsste daher genauer definiert werden. • Strukturen für gegenseitige Hilfe und für die Selbstorganisation von Benachteiligten aufbauen. Zur Netzwerkbildung gehört auch die Entwicklung von unterstützenden Rahmenbdingungen als sozialräumliche Kompetenz. • Lokale Ökonomie fördern. Dazu sind unternehmerische Kompetenzen wichtig und die Schnittstelle zur Wirtschaft braucht eine Benennung im Berufsbild. • Die Kontrolle von Menschen über ihr Leben und die politische Teilnahme im Gemeinwesen maximieren. Partizipation als Recht ist benannt aber nicht als Leistung. Eine ethische Richtlinie über Freiheit und Pflichten im Sozialraum kann hierfür dienlich sein. ! 73! 9.2 Auswirkungen auf die Berufsbildentwicklung Sozialer Arbeit Die Entwicklung der Sozialen Arbeit zu einer Disziplin und Handlungswissenschaft erfolgt für die sozialräumliche Soziale Arbeit zeitlich und inhaltlich optimal. Die Perspektiven der Wissenschaft der Sozialen Arbeit sind hervorragend und letztgenannte ist gemäss Sommerfeld (2010) das grösste berufliche Anwendungsfeld sozialwissenschaftlichen Wissens. Denn die Transdisziplinarität scheint die Grundlage für erfolgreiche und nachhaltige Sozialraumarbeit zu sein. Das gemeinsame Arbeiten am Sozialraum durch alle Akteure vereinfacht und verstärkt sich, wenn eine Verständnisgrundlage gegeben ist, die auch gemeinsam erarbeitet und finanziert ist. Wenn dabei nach Maier & Sommerfeld (2005) wissenschaftliche Verfahren der integrierten Praxisforschung zum Einsatz kommen, können die Praxis und die Wissenschaft näher zusammenrücken und damit auch das theoretische und praktische sozialräumliche Handeln. Ein exklusives Handlungskompetenzmonopol nach Kurtz (2005) ist ein Merkmal von Professionen. Die Soziale Arbeit mit ihrem Methodenrepertoire und Handlungswissen bringt für das sozialräumliche Handeln extrem fundierte und eben exklusive Grundlagen mit. Gerade auch für die Moderation zwischen den Akteuren und gewissen Pionierleistungen in der Sozialraumarbeit hat die Soziale Arbeit das Rüstzeug. Dies bedingt aber eine hohe Akzeptanz und Legitimation der Sozialen Arbeit bei anderen Disziplinen für diese Rolle. Dieses Handlungskompetenzmonopol kann gesichert werden durch qualifizierte, nachhaltige Sozialraumarbeit und prägende sozialräumliche Sensibilisierungsleistungen bei gesellschaftlichen Verantwortungsträgern, untermauert mit wirksamen Forschungsleistungen. Eine sozialräumliche Haltung einnehmen meint auch eine Beobachter- und Forschungsperspektive einzunehmen. Professionelle Haltungen sind ‚Beobachten und Verstehen’, ‚Einschränkungen und Möglichkeiten der Raumgestaltung wahrnehmen’ und ‚Experten ihrer Lebenswelten erkennen’ und – erst in zweiter Instanz – auch ‚Kontaktaufnahme und Intervention’ (vgl. Deinet 2009, S. 47ff). Diese Kompetenzen bedingen einen Differenzierungsbedarf bei den Grundlagen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit, um exakt intervenieren zu können und nicht die Autonomien im Sozialraum zu gefährden. Soziale Arbeit befähigt zur Selbstständigkeit und wird nur dort zur Akteurin, wo sich die Gegebenheiten im Sozialraum gegenseitig blockieren. Die Entwicklung dieser hohen Professionalität und des Raumverstehens bedingen fundierte sozialräumliche Ansätze in der Ausbildung der Sozialen Arbeit und eine breite Integration der sozialräumlichen Sozialen Arbeit in die Bachelor- und Masterstudiengänge. Für eine Stärkung der Fachautorität sind transdisziplinäre Lehrsettings und Wissensvermittlung zu prüfen. Dieses Postulat wird von der Untersuchung zu Methoden in der Gemeinwesenarbeit von Matacic (2008) unterstützt. Seine Forderung nach mehr Methodenreflexivität und Fachverständnis der Sozialarbeitenden und nach Eingebundensein in fachliche Aushandlungsprozesse kann an dieser Stelle nur unterstrichen werden. 9.3 Interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Gouvernementalität Machtstrukturen im Sozialraum und die Zusammenarbeit der Disziplinen scheinen in einem Zusammenhang zu stehen – oder wie könnte die Ungleichverteilung der Disziplinen in der Sozialraumarbeit sonst verstanden werden? Neben der interdisziplinären Leistungskoordination durch die sozialräumlichen Akteure kommen gelegentlich Sozialraumkonferenzen zum Einsatz. Nach den Ergebnissen ,Sozialräumlicher Interund Transdisziplinarität’ haben die meisten Handlungen zwischen den Akteuren nicht transdisziplinären, sondern interdisziplinären Charakter. Dabei kommt die Optimierung des sozialräumlichen Versorgungssystems der Sozialen Arbeit gemeinsam mit anderen Disziplinen ! 74! ätigten. Anders ausgedrückt sive, „echte“ Beteiligungsprozesse steht. realen Quartiersentwicklung die Frage, welche Akteure in oduktionen und damit ver6. „Doppelter Gebietsbezug“ und mehr und mehr in den politischen und fachlichen Fokus. Eine Pionierrolle in der Moderation der eine entsprechende Definiein erweitertes Verständnis von Interdisziplinarität punktuell erkennbar. Des Weiteren wird die sozialräumliche Soziale d Handlungsmacht verfügen. ist nur Quartiermanagement Arbeit als GrupFachpartnerin im Sozialraum und gleichwertige Akteurin zunehmend konsultiert. Akteure zu den beiden Gemässmit Spatscheck (2009) die Soziale Arbeit ohnehin eine grosse Nähe zu inter- und nd Vor-Ort-Akteure ihren Ein so weist verstandener „Sozialraumbezug“ erfordert transdisziplinärem auf. Die Adressaten in der sozialräumlichen mproduktionen in der „Ver- Vorgehen ein komplexes, vernetzungsorientiertes Organi- Sozialen Arbeit sind meist der Staat und die Partner im Sozialraum. Die Abstimmung von politischer Entscheidung mit r „Alltagswelt“ zusammen, sations- und Managementmodell (vgl. Abbileiner MitwirkungsMitbestimmungskultur in der Bevölkerung wird dabei angestrebt. Dass die pelte Gebietsbezug“ (Franke unddung 6): Zu den Aufgaben der Verwaltung gehört politische derdabei, Machttypus und dieund historischen Prozesse diese partizipativen Prozesse g 5) zwangsläufi g eineRationalität, „Solles Fachwissen finanzielle Ressourcen bestimmen, unterstreicht Foucault (2005). Quellen Die Gouvernementalität bestimmt gemäss der auf: Zwar kann die Komaus unterschiedlichen im Rahmen einer Praxisforschung massiv die Formen und Arbeitsorganisation Qualitäten der Sozialraumarbeit mit. Dass erritoriale Zuständigkeitsräuressortübergreifenden geammgebiete,sozialräumliche „Sozialräume“),Soziale Arbeit auch zu diebündeln. Bearbeitung Regierungsstrukturen als Teil des bietsbezogen Im von Aufgabenbereich amit kaum möglich sein,meint, die wird derinlokalen Quartiermanagements liegt jedoch es unter Sozialraums politischen und Verwaltungskreisen noch kaum verstanden. nden Verräumlichungen des anderem, die in Interessen und Bedarfe der Gebiets- zu erkennen, würde Diese Wechselwirkung als Scharnier der demokratischen Sozialraumarbeit andelns der einen Quartiersbevölund anderer Handelns Vor-Ort-Akteure zuDer Netzwerkcharakter grossen Teil derbevölkerung Wirkungen sozialräumlichen ausmachen. er lokaler Akteure ebenfalls identifi zieren sowie eine allgemeine „Motorenvon Governance-Strukturen nach Schubert (2011) kommt hier der Sozialraumarbeit in die Quere Im Sinne eines funktion“muss für Kommunikation, Aktivierung, Be- Ein differenziertes, und integrativen das Interventionsgefüge analysiert und angepasst werden. Beitrages zur kritisches Gestaltung von teiligung, Vernetzungen auf der Quartiersebene Abwägen der Möglichkeiten der Interventionen und Verortungen in den gegebenen n und zur Entwicklung raumzu übernehmen. Schließlich muss auch im „in- Arbeit. Dazu gehören Machtstrukturen bestimmen daher den Erfolg der sozialräumlichen Sozialen auch die Vorlieben von Disziplinen im Regierungssystem, die den Sozialraum bearbeiten sollen. Abbildung 6: bezug“ Modell eines erweiterten „Quartiermanagements“ • „Verwaltungswelt“ „Alltagswelt“ Verwaltung Ressourcenbündelung, ressortübergreifende Zusammenarbeit Verwaltung • „intermediärer Bereich“: Vermittlung zwischen Verwaltungs- und Quartiersebene • lokales QM: Aktivierung und Beteiligung, Identifizierung von lokales Interessen, Identifizierung Quartiermanagement von „Orten“ Abbildung 6: Franke 2013, S. 40 Quelle: eigene Darstellung (Grundlage: Franke/Grimm 2006). Ein häufig genanntes Spannungsfeld ist die differente Arbeitskultur in der Verwaltung und in der Sozialraumarbeit. Es ist daher Aufgabe des Quartiermanagements (s. Abbildung 6), die Interessen der Bevölkerung und Akteure zu identifizieren sowie eine ‚Motorfunktion’ für Kommunikation, Aktivierung, Beteiligung und Vernetzungen auf der Quartiersebene zu übernehmen. Schließlich muss im ‚intermediären Bereich’ zwischen ‚Verwaltungs-‚ und ‚Alltagswelt’ moderiert bzw. müssen beide Ebenen zusammengebracht werden (vgl. Franke 2013, S. 41). Aus Sicht von Luhmann (1987) treffen hier verschiedene Funktionssysteme aufeinander, wobei diese zur Selbstreferenz neigen. Beide Systeme haben ihre (sozialräumlichen) Kodierungen und die Kunst der Sozialraumarbeit liegt in deren Erkennung und Übersetzung. Wenn die ! 75! Anschlussfähigkeit hergestellt werden kann, stehen die Chancen gut, die Ressourcenerschliessung im Sozialraum optimal gestalten zu können. Eine gute Sensibilisierungsarbeit zur Fachlichkeit und zum theoretischem Handeln der sozialräumlichen Sozialen Arbeit unterstützt dabei die Autonomie bei der Berufsausübung der Sozialen Arbeit ganz im Sinne des Attributemodells nach Kurtz (2005). 9.4 Umgang mit sozialräumlichen Paradoxien Die in der Praxis vorhandenen Problemfelder wurden weitgehend angesprochen. Die Spannungsfelder und Dilemmata werden in den Selbst- und Fremdverständnissen in den Interviews ähnlich eingeschätzt, was auf einen weitgehend offenen Umgang mit Schwierigkeiten hinweisen könnte. Nachfolgend werden Paradoxien behandelt, die von der Natur der Sache her kaum auflösbar sind: • Die Ressourcenknappheit für die Einrichtung der Sozialraumarbeit wird wiederholt aufgeführt. Neben der fachlichen Sensibilisierungsarbeit ist die Entwicklung der konkreten, dem Sozialraum entsprechenden Konzeption mit benannten Wirkungserwartungen eine Möglichkeit dem zu begegnen. Eine Sozialraumanalyse zur Bedarfserhebung kann Klarheit schaffen. • Dass sozialräumliche Projekte die Partizipationseignung erfüllen müssen, wird in den Praxisuntersuchungen betont. Für eine Mitwirkung der Bevölkerung ist entscheidend, bei der Planung die Möglichkeiten für eine solche zu eruieren und vorab zu definieren. • Die tendenzielle Entwicklung der Gesellschaft zu Eigentümern und Individualisten ist ein nicht nur die Sozialraumarbeit betreffendes Phänomen. Mit weiteren sozialräumlichen Akteuren und den Betroffenen an neuen Modellen für gesellschaftliche Solidarität zu arbeiten, kann hierbei sinnvoll sein. • Die Professionellen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit sind Spezialisten in der Steuerung von innovativen Prozessen und in der Lösungsfindung. Das Ziel, eine Gemeinde vom Verwalten zum innovativ Entwickeln zu führen, ist dabei hoch gesteckt. Der daraus resultierenden Spannung sind politisch Verantwortliche und folglich auch die sozialräumliche Soziale Arbeit fortwährend ausgesetzt. • Bezüglich des Homogenisierungsdilemmas rückt in der Praxisuntersuchung die Arbeit mit Freiwilligen, die Multiplikationsfunktionen übernehmen können, in den Fokus. Damit werden neue Formen der Vernetzung teilweise steuerbar. • Das Präventionsdilemma ist in der Sozialen Arbeit verbreitet und thematisiert. In der sozialräumlichen Sozialen Arbeit besteht die Möglichkeit, Gruppen partizipativ in die Lösungsfindung einzubeziehen. Von einer Betreuung der Klientelen muss der Prozess hin zu einer Beteiligung und Mitverantwortung führen. • Gute Beispiele, dem Vernetzungsdilemma zu begegnen, sind die Einrichtung von Job- und Zeitbörsen oder regelmässige Quartierbegehungen mit unterschiedlichen Themenfokussen. • Das Milieudilemma wird in der Praxisuntersuchung angesprochen und ist ein die sozialräumliche Arbeit begleitendes Thema. Der Mittelweg mit multioptionalen Räumen und optionalen Projekten verbunden durch übergeordnete Zielsetzungen und Veranstaltungen wird praktiziert. Die niederschwellige Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen, die ‚Lebensqualität fördernden Sozialräumen’ ist dabei entscheidend. Bei allen paradoxen Situationen steht die beschriebene reflexive räumliche Haltung im Zentrum: Es gilt, möglichst im interdisziplinären Dialog reflexiv Lösungen und Strategien zu suchen, die ! 76! neue Herangehensweisen und vielleicht ‚Paradox-Interventionen’ beinhalten. Die sozialräumliche Position hat sich bei den Vorgehensweisen zu legitimieren (Kessl & Reutlinger 2009) und die Sinnhaftigkeit und erwünschte Wirksamkeit ist jeweils zu überprüfen. Nichtintervenieren kann dabei sehr sinnvoll sein, um die soziale Verantwortung und die Solidarität zu stärken. 9.5 Sozialräumlichen Paradigmenwechsel gestalten Der nach Reutlinger (2011) beschriebene Paradigmenwechsel von der Sozialraumorientierung hin zur Arbeit am und im Sozialen Raum kommt in den untersuchten Praxisorganisationen zum Ausdruck. Es sind auch Mischformen zu beobachten, die sich zwischen Organisationstradition und dem Experimentieren mit dem Sozialraum bewegen. Die Gemeinwesenarbeit und die OnlineBeratung entsprechen diesem Bild und entwickeln zunehmend authentische Formen der Sozialraumarbeit. Aus Sicht der Sozialen Arbeit kann sich dieser Paradigmenwechsel jedoch noch kaum vollzogen haben. Verschwindend wenige Organisationen sind in der Sozialraumarbeit angesiedelt. Hingegen ist die Sozialraumorientierung in einigen Leitbildern der klassischen Sozialen Arbeit zu finden. In der Lehre und Forschung der Sozialen Arbeit ist nicht die umfassende Unterstützung dieser Praxisentwicklung zu erkennen. Es ist jedoch eine nachhaltige Gestaltung dieses sinnvollen Übergangs notwendig mit einem praxisorientierten sozialräumlichen Diskurs und der Entwicklung von Standards zur Ausgestaltung der Sozialraumarbeit, die aus integrativer Praxis- und Wirkungsforschung begründet sind. Die Sicht der politischen Verantwortlichen auf die Sozialraumarbeit und deren Unterstützung bei derselben gilt es zu steuern und die entsprechenden Akteure abzuholen sowie eine gemeinsame strategische Zielrichtung ist zu bestimmen. Dieser Aushandlungsprozess bildet das Fundament der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. Bei der Bevölkerung hingegen herrscht kaum eine Vorstellung davon und es stellt sich die Frage, wie die sozialräumliche Soziale Arbeit im Alltag kommuniziert werden kann. Diese Übersetzungsarbeit beschäftigt die sozialräumliche Praxis. 9.6 Auswirkungen auf den Diskurs der sozialräumlichen Sozialen Arbeit Zusammenfassend werden ausgewählte zentrale Themen dieser Arbeit mit dem Fokus der fachlichen Anschlussfähigkeit beleuchtet: • Soziale Probleme mit der sozialräumlichen Herangehensweise zu bearbeiten und diese in Wechselwirkung zu weiteren Problemfeldern im Sozialraum zu sehen, eröffnet die Chance, fundierte und nachhaltige Ressourcenerschliessung und systemische Ursachenbekämpfung zu ermöglichen. Sozialräumliches Denken und Handeln kennt kaum Grenzen und fordert die Soziale Arbeit heraus die Wirksamkeit ihrer Interventionen dauernd zu überprüfen und adäquate Rahmenbedingungen einzufordern. • Die hohe Komplexität der sozialräumlichen Denk- und Handlungsweise birgt Risiken der Beschreibungsunmöglichkeit von differenzierten sozialräumlichen Prozessen und durch das Einnehmen des politischen Mandats des Aneckens bei weiteren sozialräumlichen Institutionen in sich. Die notwendigen differenzierten kommunikativen Kompetenzen für die Sozialraumarbeit und das strategisch koordinierte Einstehen der Sozialen Arbeit zu sozialpolitischen Fragen sind gefordert. • Der Anschluss im theoretischen Diskurs an die spezifischen Fundamente der sozialräumlichen Sozialen Arbeit mit den Grundelementen der Demokratie: Partizipation, Kooperation und Dialog, sowie eine verlässliche Finanzierungskultur (Biesel 2007) sind mit den Ergebnissen dieser Arbeit bestätigt. Darüber hinaus ist der Einfluss der Gouvernementalität auf die interdisziplinäre Vernetzung und Strukturen im Sozialraum zu ! 77! • • • prüfen, im Sinne der Gewährleistung einer objektiven Handlungsgrundlage und ausgewogenen Machtverteilung. Mit diesen vorliegenden empirischen Ergebnissen kann der punktuelle Forschungsstand zur sozialräumlichen Sozialen Arbeit aus berufspolitischer Sicht ergänzt werden. Dass Management im Sozialraum und interdisziplinäre Kompetenz zu den in der Kölner Studie geforderten Grundqualifikationen in der Sozialraumarbeit gehören (Schubert 2005) wird durch diese Berufsbildentwicklung unterstützt, ganz im Sinne, die soziale und die räumliche Perspektive zusammenzuführen. Die Lehre der Sozialen Arbeit ist herausgefordert, gemeinsam mit der Architektur und der Städteplanung interdisziplinäre Kernkompetenzen auszubilden und den praktischen Anforderungen auf der städtebaulichen, sozialpädagogischen, soziokulturellen und ökonomischen Ebene der sozialen Stadterneuerung gerecht zu werden. In der Arbeitsfeldentwicklung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit stellt sich die Frage, ob die Sozialraumarbeit zunehmend von der Sozialen Arbeit mitgeprägt oder führend gestaltet wird. Die angesprochene Verknüpfung von Sozialräumen mit virtuellen Räumen, die Etablierung von Versorgungssystemen oder die Thematisierung transnationaler Räume, gerade in urbanen und nichturbanen Gebieten, sind nur einige potenzielle Entwicklungsfelder. 10 Fazit Werfen wir den Blick zurück auf die Ausgangslage dieser Arbeit und auf die Fragestellung sowie die Arbeitsthesen. Zunächst kann festgehalten werden, dass ein Berufsbild beschrieben wurde, das der sozialräumlichen Praxis und Theorie weitgehend gerecht wird. Die Schwierigkeiten einer solchen Berufsbildbeschreibung liegen jedoch in der Allgemeingültigkeit, da das sozialräumliche Arbeitsfeld sehr breit gestaltet ist und Differenzierungen im Berufsbild fehlen. Ein Bild kann sich zudem ändern und somit unterliegt das Berufsbild der sozialräumlichen Sozialen Arbeit einem Wandel und braucht permanente Überprüfung. Kritisch ist in diesem Zusammenhang zu beurteilen, dass im theoretischen Fundament nur ausgewählte sozialräumliche Theorien berücksichtigt sind. Die Überprüfung der Empirieergebnisse mit weiteren Theorien könnte daher dem Berufsbild eine grössere Allgemeingültigkeit verleihen und die Qualität erhöhen. Die ursprüngliche Fragestellung konnte jedoch weitgehend beantwortet werden. Bei den Selbst- und Fremdverständnissen zur sozialräumlichen Sozialen Arbeit gibt es nicht zu allen Themen der Fragestellung fundierte Informationen. Dies war ein hoher Anspruch an die Interviewten. Gerade das Verständnis von Sozialen Räumen und die Funktion und Wirkung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit sind hochkomplexe Themen, die nicht einmal im theoretischen Diskurs klar beantwortet sind. Eine Annäherung hieran ist jedoch gemacht und Hinweise zum Weiterdenken sind beschrieben. In der Praxis herrscht ein hoher Auseinandersetzungsgrad mit sozialpolitischen Einwirkungen auf Soziale Räume. Die These, dass das St.Galler Modell in der sozialräumlichen Praxis wiedererkannt werden kann, wird ausdrücklich unterstützt. Die Anlehnung des Berufsbildes an dieses Modell war in der Bearbeitung jedoch teilweise einengend. Es entstanden daraus die Erweiterungsoptionen des generierten Sozialkapitals und der sozialpolitischen Transformationen (Abbildung 7), da in den Ergebnissen der vorhergehenden Praxisforschungen diese zwei Faktoren zum Verständnis der Sozialraumarbeit dazugehören. Sozialpolitische Transformationen werden dabei als einwirkende ! 78! Bedingungen auf das Verständnis, die Sichtweise und die Rede vom Sozialraum konzipiert. Das generierte Sozialkapital wird verstanden als Qualitätsindikator für und soziales Produkt von sozialräumlichen Prozessen. Es meint das zusätzliche soziale Kapital, das aus dem investierten Sozialkapital in den Sozialraum im Idealfall resultiert. Aus den Ergebnissen der Praxisforschung lässt sich folgende empirisch zu überprüfende These bilden: Das generierte Sozialkapital beeinflusst wiederum die Gestaltung des Sozialraums und hat Einfluss auf sozialpolitische Transformationen. Auch die soziale Produktion von Raum kommt in der Qualität der geleisteten Sozialraumarbeit zum Ausdruck. Sie ist vorwiegend im St.Galler Modell über die drei Zugänge/ Raumfaktoren als Funktion für die Gestaltung des Sozialraums enthalten. Die ursprüngliche Sicht der Autoren des St.Galler Modell, dass die Soziale Arbeit vorwiegend bei der ‚Arbeit mit Menschen’ ansetzt, wird aufgrund der Empirieergebnisse erweitert gesehen: Auch Interventionen bei der ‚Gestaltung von Orten’ und der ‚Gestaltung struktureller Steuerung’ sind notwendig und werden praktiziert, um Nachhaltigkeit im Sinne der Sozialen Arbeit zu erreichen. Gestaltung struktureller Steuerung Sozialpolitische Transformationen generiertes Sozialkapital Sozialraum Gestaltung von Orten Arbeit mit Menschen Abbildung 7: Erweitertes St.Galler Modell: Denkfigur zur Gestaltung des Sozialraums (eigene Darstellung; R.N.) Folgende Beispiele aus den vorhergehenden Praxisforschungsergebnissen verdeutlichen dieses Prozessgefüge von den sozialpolitischen Transformationen zum generierten Sozialkapital. „Das Potenzial von Freiwilligenarbeit wird als sehr gross eingeschätzt, aber die sozialräumlichen Einrichtungsstrukturen haben einen enormen Entwicklungsbedarf, um diese Ressourcen zu nutzen (S. 55)“ oder „es werden zusätzliche Ressourcen gesehen, ‚da sich die Alten sehr engagieren und viel an das gesellschaftliche Kapital beitragen’ (S. 53)“. Solche und ähnliche Aussagen stehen exemplarisch für das Denken und Handeln in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. „Der grosse Trend wird in Richtung Zunahme der Selbstverantwortung und individueller Lebensstile wahrgenommen. ... ‚unterstützen mit Infrastruktur im Quartier und mit der Nachbarschaftshilfe’ ... dabei ist die finanzielle Effizienz ein wichtiger Faktor“ (S. 55). Dieses Interviewergebnis zeigt, dass sozialräumliche Programme auch wirtschaftlich sein können und neben dem Gewinn an Sozialkapital auch ein finanzieller Gewinn resultieren kann im Vergleich mit herkömmlichen stationären Massnahmen. Die Folgen für die sozialräumliche Soziale Arbeit aus dieser Modellerweiterung zeigen sich in der sensiblen Beobachtung von sozialpolitischen Entwicklungen und der Bilanzierung des investierten Sozialkapitals mit dem generierten. Diesem anspruchsvollen Unterfangen der Messung und Erfassung des Sozialkapitals kann in der Praxis nur begrenzt Rechnung getragen werden. Denn ! 79! der abgeschlossene Sozialraum existiert nicht und lässt sich nicht erfassen und die komplexen Wechselwirkungen auf das Sozialkapital lassen sich nicht umfänglich benennen. Vielmehr sind Tendenzen von sozialräumlichem Sozialkapitalgewinn und best practice-Modelle zu fokussieren. Mit integrierter Praxisforschung und Sozialraumanalysen könnten solche dann evaluiert und generiertes Sozialkapital qualitativ und quantitativ bezeichnet werden. Die These der Ergänzung des Berufsbildes der Sozialen Arbeit mit der sozialräumlichen Ausrichtung erfährt eine klare Unterstützung. Im schriftlichen Berufsbild der Professionellen Sozialer Arbeit von AvenirSocial in der Schweiz wird die Arbeit mit sozialen Systemen im Gemeinwesen angedacht, es fehlt aber die konkrete Umsetzung in allen Faktoren des Berufsbildes. Folglich ist es sinnvoll, das Berufsbild der sozialräumlichen Sozialen Arbeit in dieses bestehende der Sozialen Arbeit zu integrieren. Diese Überprüfung gilt auch für das Schweizerische Zentrum für Berufsbildung und Laufbahnberatung SDBB und alle weiteren Berufsbilder der Sozialen Arbeit. Die geleistete Betrachtung und Analyse der sozialräumlichen Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit und des sozialräumlichen Fachdiskurses erbrachte die erhofften Ergebnisse und es war überraschend feststellen zu können, dass sich diese heterogene sozialräumliche Landschaft der Sozialen Arbeit tatsächlich mit einem gemeinsamen Nenner beschreiben lässt. Im Sinne einer breit fundierten Sozialen Arbeit kann daher mit dieser Masterthesis hoffentlich ein Beitrag zur Profilierung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit geleistet werden. 10.1 Theoretische Reflexion Einige in dieser Arbeit verwendete Theorien, die sich bewährt haben für den theoretischen Abgleich der Praxisforschungsergebnisse, sollen abschliessend kritisch reflektiert werden: Die Theorie der sozialen Produktion von Raum (Löw 2001) hat sich gut bewährt für die Beschreibung der Funktion der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. Die dazugehörige Prozesshaftigkeit von Raumentwicklung lässt sich in den untersuchten Organisationen wiederfinden, wie auch die Konstitution von Raum durch die beteiligten Akteure. Dieser Theorie zuzuweisen sind die Förderung von Verantwortung und der notwendige Wahrnehmungsabgleich des Raumes zwischen den Akteuren. Im Sinne einer Haltung des Empowerment in der Sozialen Arbeit unterstützt diese Theorie die proaktiven Strategien und Interventionen auf der Ebene der Klientel und im Handlungsfeld der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. Die dieser Arbeit zugrundeliegende Theorie, das Konzept des Sozialen Raums (Bourdieu 1996), hat vielschichtige Dimensionen. Nur eingeschränkt kann dieser theoretische Ansatz jedoch in den empirischen Ergebnissen nachvollzogen werden. Dafür wären vertiefende Interviews notwendig, denn zu umfassend ist diese. Positiv kann jedoch angemerkt werden, dass keine Widersprüche zu diesem Konzept erkennbar sind. Die Theoreme nach Bourdieu – Kapital, Habitus und Divergenz der Felder – bräuchten zusätzliche Feldbeobachtungen. Mit dem Habitus kommen die Sozialisationshintergründe der Akteure der sozialräumlichen Sozialen Arbeit ins Zentrum, die durchwegs eine entscheidende Bedeutung auf den Beobachtungsfokus und die Interventionshaltung haben. Äusserst interessant wäre dieser Habitus im Vergleich der interdisziplinären Akteure zu durchleuchten. Die Divergenz der Felder ist ein Thema in der sozialräumlichen Praxis. Dieser Aspekt wird vorerst aber oft aus der Sicht von Macht und Einfluss der verschiedenen Disziplinen mit Tätigkeit am und im Raum betrachtet. Der Sozialraumbegriff nach Bourdieu ist durchwegs vertreten in den Ergebnissen. Unterstrichen wird dabei die ! 80! Wichtigkeit des Beobachtungsstandortes auf den Raum, die sozialen Vernetzungen und die Manifestierung des Sozialen im Materiellen. Der Begriff Sozialkapital bekommt eine wichtige Bedeutung in dieser Arbeit. Die anfänglich eingeführte These, das Sozialkapital als ‚Messgrösse’ in der Sozialraumarbeit zu verwenden, erweitert sich durch die Ergebnisse der Praxisforschung zur eigentlichen sozialräumlichen Prozessgrösse. In den Interpretationsleistungen zu den kodierten Textstellen ist die Häufigkeit von Beschreibungen, die dem Begriff des Sozialkapitals nahekommen signifikant. Denn verständlicherweise stellt sich auch im Sozialraum immer die Gewinnfrage. Wie sich solche WinWin-Situationen für die Akteure bilden, scheint sozialkapitalabhängig zu sein. Die Schwierigkeit der Beschreibung und Messbarkeit des Sozialkapitals im Sozialraum aufgrund der komplexen Wechselwirkungen ist ungelöst. Als theoretisches Modell scheint das Sozialkapital geeigneter zu sein als in der Praxis als Instrument und Messgrösse für ‚sozialräumliche Effizienz’. Das Ergebnis dieser Arbeit in Bezug auf das Sozialkapital ist zu sehen in der für die sozialräumliche Soziale Arbeit wichtigen Frage nach dem sozialräumlichen und gesellschaftlichen Gewinn ihrer Interventionen. Das im erweiterten St.Galler Modell integrierte ‚generierte Sozialkapital’ ist als Legitimationsfaktor und Qualitätsmerkmal äusserst entscheidend für die Sozialraumarbeit und scheint der theoretischen Linie von Bourdieu (1996) zu folgen. Die Vielfalt der Beschreibung von Sozialkapital (Putnam 2001) kann dabei als gutes Differenzierungsvorgehen in der Erfassung vom sozialem Kapitel gesehen werden. Die Gouvernementalität (Foucault 2005) bekommt nur eine sehr eingeschränkte Beleuchtung in dieser Arbeit, nämlich in Bezug auf das Verhältnis der sozialräumlichen Sozialen Arbeit und ihre Einbindung in gesellschaftliche Entwicklungsund Entscheidungsprozesse. Die Praxisforschungsergebnisse betonen besonders die Wichtigkeit dieses Verhältnisses und dass sozialräumliche Interventionen nicht Halt vor Regierungsstrukturen machen dürfen. Gerade die ‚historischen Prozesse’ gemäss dieses Konzepts haben entscheidenden Einfluss auf die sozialräumlichen Denk- und Handlungsweisen. Die Gouvernementalitätsfragen brauchen aber dringend eine weiterführende Analyse und Thematisierung, um die Wirkungen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit zu differenzieren und die Effektivität herzustellen. Die Theorie der sozialräumlichen Gemeinwesenarbeit (Schubert 2011) konnte im Bezug auf die Ergebnisse der Praxisforschung gut für die Unterscheidung von klassischer Gemeinwesenarbeit und sozialräumlicher Sozialer Arbeit verwendet werden. Diese Entwicklungslinie, die dem Paradigmenwechsel zur Sozialraumarbeit entspricht, ist erkennbar und die Frage der Begrifflichkeit für Praxisformen stellt sich. Die Thematisierung der unterschiedlichen Begrifflichkeiten in der Praxis und Fachliteratur bewegt sich von einem ursprünglichen Konkurrenzdenken hin zu einem differenzierten Verständnis ausgerichtet auf die jeweiligen Qualitäten in den Handlungsfeldern. Ob diese Vielfalt der Verständnisbildung in der Bevölkerung zur sozialräumlichen Sozialer Arbeit dient, ist eine andere Frage. In den untersuchten Organisationunterlagen kommt die Sozialraumorientierung häufig zum Ausdruck. Ob das hier verwendete Fachkonzept nach Hinte (2007) oder das Berner Modell (Kummer 2007) damit gemeint wird, ist nicht nachvollziehbar. In den Experteninterviews war explizit nicht von Sozialraumorientierung die Rede. Dies liegt daran, dass bei den Organisationen für die Dokumentenanalyse eine breitere Streuung vorlag als bei den Interviews, sowie an der differenzierten sozialräumlichen Sprache in der sozialräumlichen Praxis. In dieser Arbeit wurde ! 81! der Fokus ausschliesslich auf die Sozialraumarbeit gerichtet. Über die vielfältig angelegte und diskutierte Sozialraumorientierung lassen sich daher keine Aussagen machen. 10.2 Zentrale Erkenntnisse Neben dem in Kapitel 8. entwickelten Berufsbild der sozialräumlichen Sozialen Arbeit sollen hier noch einmal die wichtigsten Erkenntnisse dieser Arbeit zusammenfassend dargestellt werden: • Die Gestaltung des Sozialraums über die Zugänge: ”Arbeit mit Menschen“, ”Gestaltung von struktureller Steuerung“ und ”Gestaltung von Orten“, mit dem Einbezug der sozialpolitischen Transformationen und dem generierten Sozialkapital kann als Standardmodell für die sozialräumliche Soziale Arbeit gesehen werden. • Die sozialräumliche Soziale Arbeit zielt auf die Befähigung der Bevölkerung ab, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, und auf die Förderung von Zufriedenheit, sozialem Zusammenhalt, Integrität und Sicherheit. Eine weitere Funktion ist die Koordination und Vernetzung sozialer Dienstleistungen im Sozialraum im Sinne der Synergiennutzung. • Die Nutzung virtueller Sozialräume und die Verknüpfung dieser mit realen Sozialräumen beinhaltet enormes Entwicklungspotenzial mit einem ungedeckten Bedarf an sozialen Fragestellungen. • Die Adressaten in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit sind meist der Staat und die Partner im Sozialraum. Die Abstimmung politischer Entscheidungen mit einer Mitwirkungsund Mitbestimmungskultur in der Bevölkerung wird dabei angestrebt. • Die sozialräumliche Soziale Arbeit hat eine Netzwerkfunktion und ist Informationsstelle nach Innen und Aussen. Das sozialräumliche Verständnis in der Politik und Verwaltung hat eine Schlüsselfunktion. Handlungsbedarf besteht in der Einflussnahme auf bauliche Massnahmen und strukturelle Veränderungen aufgrund des sozialräumlichen Bedarfs. • Die sozialräumliche Soziale Arbeit bedingt eine optimale Verortung im Sozialraum als Teil der Vernetzung. Die Organisationen platzieren sich an neuralgischen Punkten und sind niederschwellig zugänglich. • Es zeichnen sich zwei Hauptauslöser für die sozialräumliche Soziale Arbeit ab: die Gemeindeentwicklung oder die Verbesserung der Lebensqualität und die Imagepflege bei einer Konzentrierung von Problemstellungen. Die positive Kodierung von Lebensräumen und Gesellschaftsprozessen ist das Ziel politischen Handelns und ergibt die Grundlage der Installation von Sozialraumarbeit. • Die sozialräumliche Soziale Arbeit ist ein eigenes Standbein der Sozialen Arbeit im Bezug auf die Funktion, den Auftrag, die Klientel und die Interventionen. Sie unterscheidet sich im Wesentlichen in der Ausrichtung auf Bevölkerungsgruppen, gesellschaftliche Systeme und Netzwerke. 10.3 Berufsbildentwicklung Das verwendete Attributemodell nach Kurtz (2005) ermöglicht die Einordnung des Berufsbildes der sozialräumlichen Sozialen Arbeit in die Professionsentwicklung der Sozialen Arbeit. Die in Kapitel 9.1 aufgezeigten Perspektiven der Entwicklungen fragen nach der weiteren Entwicklung des Berufsbildes der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. Als Vision kommen in den Ergebnissen der Praxisforschung dieser Arbeit folgende strategische Ziele zum Ausdruck: • Die Zukunft der sozialräumlichen Sozialen Arbeit wird zunehmend durch die Entwicklung intelligenter Hilfesysteme und regionaler Solidaritätsnetzwerke sowie der Intensivierung der transdisziplinären und -nationalen Sozialen Arbeit geprägt sein. ! 82! • • • Das Sozialkapitel als Wirkungsmessgrösse und Legitimationsargument der sozialräumlichen Interventionen wird verstärkt etabliert und eingesetzt. Durch die Etablierung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit in den interdisziplinären Kontexten besteht für sie die Chance, in der Entwicklung der Inter- und Transdisziplinarität eine prägende Rolle innerhalb der Sozialen Arbeit übernehmen zu können. Sozialräumliches Verstehen und eine entsprechende Denkweise etablieren sich bei Professionellen der Politik, Verwaltung, Wirtschaft und weiteren Akteuren im Sozialraum. Die sozialräumliche Soziale Arbeit wirkt dabei brückenbauend und zeigt präventive Erfolge und generiert soziale, kulturelle und finanzielle Gewinne im Sozialraum mit Ressourcenerschliessung und Synergiennutzung. 10.4 Ausblick Im Sinne einer Weiterführung und Neuverwertung dieser Ergebnisse werden einige Optionen aufgeführt. So könnte zur Präzisierung der Thematik das entwickelte Berufsbild der sozialräumlichen Sozialen Arbeit in einem Evaluationsverfahren bei Fachpersonen überprüft werden. Eine andere Option wäre, eine breit angelegte Datenanalyse von sozialräumlicher Fachliteratur mit Inhalten der sozialräumlichen Professionsentwicklung durchzuführen und in den Vergleich mit den hier erarbeiteten Ergebnissen zu stellen. Weitere Forschungsperspektiven, die in dieser Arbeit nicht behandelt werden konnten und sich folglich an diese anschliessen sind beispielsweise: Professionelle Werthaltungen, ethische Grundsätze der sozialräumlichen Sozialen Arbeit, Instrumente der Wirkungsmessung, die Messung des Sozialkapitals, Bewertung der Sozialraumarbeit in der Bevölkerung. Die generierten Praxisdaten könnten zudem aus anderen Blickwinkeln der Empirieauswertung heraus betrachtet werden: So könnten weitere Theorien der Sozialraumarbeit, die klassischen Theorien der Sozialen Arbeit, die Sicht von Partnerdisziplinen im Sozialraum oder der Klientel zum Ausgangspunkt gewählt werden, um nur einige Möglichkeiten zu nennen. Die hier als Querthema verwendete Online-Beratung ergab ebenfalls wertvolle Hinweise auf die Bearbeitung von virtuellen Räumen. Die sozialräumliche Arbeit in virtuellen und kombiniert in realen Räumen sollte daher in künftigen Arbeiten genau untersucht und die Möglichkeiten für die Soziale Arbeit eruiert werden. Die beschriebene Einschätzung, dass sehr grosses Potenzial für die Soziale Arbeit in virtuellen Räumen liegt, braucht eine empirische und theoretische Untermauerung. Die virtuelle Entwicklung schreitet rasant voran und prägt die Bevölkerung zunehmend. Grund genug, sich als Soziale Arbeit verstärkt in virtuelle Welten zu begeben, sich entsprechender Problemstellungen anzunehmen und ‚zeitgenössisch zu kommunizieren’. 10.5 Dank Bei den Berufspersonen in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit möchte ich mich bedanken für die Experteninterviews und das zur Verfügung Stellen von Organisationsunterlagen. Ich bedanke mich ausserdem herzlich bei Herrn Prof. Dr. habil. Ulrich Otto für die engagierte und kritische Fachbegleitung. Des Weiteren gilt ein grosser Dank Roger Signer für das ausführliche Lektorat und die wertvollen Anregungen. ! 83! Literatur- und Quellenverzeichnis AvenirSocial (2006). Berufsbild der Professionellen Sozialer Arbeit. AvenirSocial. Geschäftsstelle Schweiz: Bern. Barlösius, E. (2011). Pierre Bourdieu. Frankfurt am Main: Campus Verlag. Benz, B. (2010). Sozialpolitik und Soziale Arbeit. In Benz, B., Boeckh, J. & Mogge, H. (Hrsg.). Soziale Politik – Soziale Lage - Soziale Arbeit. (S. 317-116).Wiesbanden: VS Verlag. Biesel. K. (2007). Sozialräumliche Soziale Arbeit. Historische, theoretische und programmatische Fundierungen. Wiesbaden: DUV. Bourdieu, P. (1987). Die feinen Untertschiede. Kritik der gesellschftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main. Bourdieu, P. (1997). Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital. In Die verborgenen Mechanismen der Macht. Schriften zur Politik und Kultur (S. 49-79). Hamburg. Bourdieu, P. (2007). Die feinen Unterschiede. 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Ergebnisse der Inhaltsanalyse der Organisationsunterlagen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit Kodierregeln , , , , , , , , Wenn Textstellen mehreren deduktiv gebildeten Kategorien und induktiv gebildeten Unterkategorien zugeordnet werden können, sind sie bei der Kategorie mit der stärksten Zustimmung. Die minimale Grösse der Kodiereinheit richtet sich nach der Verständlichkeit des Satzteils. Die Ankerbeispiele sind unbearbeitet aus den Dokumententexten übernommen. Die Unterkategorien entsprechen der thematischen Häufigkeit des Auftretens der Themen bei den Fundstellen (nicht bei den Ankerbeispielen). Bei den Ausprägungen weisen der Grossteil der Fundstellen Richtung ‚stark’ für diese Bezeichnung. Besteht bei einer Textstelle keine Relevanz für die Zuordnung zu einer Kategorie wird sie weggelassen. Zuordnungen werden bei wörtlicher oder thematischer Übereinstimmung mit der Kategorie vorgenommen. Bei den Ausprägungen entspricht die Anzahl wörtliche oder synonyme Nennung von Unterkategorien im gesamten Datenmaterial über 100 dem Prädikat ‚stark’, unter 30 entspricht ‚schwach’ und dazwischen liegt ‚mittel’. Leseführung In den einzelnen Kategorien nimmt die Wichtigkeit und Häufigkeit der auftretenden Themen in den Zusammenfassungen der Ergebnisse im Lesefluss ab. Die auftretenden Themen in der Ergebnisvorstellung sind in den einzelnen Kategorien entsprechend ihrer abnehmenden Wichtigkeit und Häufigkeit geordnet. Die konzentrierte Darstellung der Ergebnisse der Kategorien A – L ist bei 6.1 wiedergegeben. Durch die Darstellung der Ergebnisse in den Qualitäten Zusammenfassung, Bewertung, Unterkategorien, Ausprägungen und Ankerbeispiele werden die Befunde aus fünf verschiedenen Fokussen beleuchtet. Die Bewertung in den Experteninterviews bezieht sich auf die Zusammenfassung der Datenanalyse pro Kategorie. A Typen von fokussierten Sozialen Räumen Zusammenfassung Datenanalyse Der traditionelle durch geographische Grenzziehung definierte Raum dominiert das Verständnis von Sozialen Räumen. Organisationen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit setzen den Fokus verstärkt auf Soziale Räume bezogen auf ihre Zielgruppe, meist die Bevölkerung. Dabei geschieht die Eingrenzung häufig durch das Thema, das Ziel oder die Problemstellung. Der Soziale Raum mit dem gewählten thematischen Fokus bezogen auf die Zielgruppe ergibt ein erfassbares Konstrukt, in dem Interventionen ansetzen können. Soziale Räume bekommen durch die sozialräumlichen Interventionen die Funktion von neu generierten sozialen Vernetzungen und entstandenem Lebensraum. Diese Funktion der Entwicklung neuer Sozialräume wird in den Organisationen als die zentrale Aufgabe gesehen. Dieser somit gesteuerte Soziale Raum beeinflusst die Räume über die Wahrnehmung und Reaktion der Bevölkerung. Durch positive ! 91! Raumbeeinflussungen wird in der Bevölkerung Identifikation und Verantwortung gestärkt, würdiger Lebensraum geschaffen und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Virtuelle Räume werden zunehmend durch die Soziale Arbeit genutzt. Diese Nachfrage in der Bevölkerung nach virtuellen sozialarbeiterischen Dienstleistungen ist grösser als das Angebot. Die Sozialraumarbeit beschäftigt sich im Kern mit dem Prozess der ständigen Neubildung von Sozialen Räumen. Bewertung in Experteninterviews Grundsätzlich werden diese Ergebnisse sehr unterstrichen. In der Praxis stehen geographische Räume (Verwaltungssicht) versus Sozialraum (Sicht Soziale Arbeit) im Konflikt. Prozesse von geographischer Grenzziehung zu einer Sozialraumorientierung werden wahrgenommen. Dass Sozialraum erst durch klare Eingrenzung und Benennung greifbar wird, scheint der entscheidende Punkt in der Sozialraumdiskussion der Praxis zu sein. Dabei müssen langfristige Themen zur Eingrenzung gewählt werden, damit eine Entwicklung einschätz- und beschreibbar wird. Das Neubespielen der Sozialräume mit den Beteiligten steht oft im Fokus der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. Unterkategorien Ausprägungen schwach mittel stark Sozialraum Geographischer/ regulierter Raum Virtueller Raum Thematischer Raum Netzwerk Lebensraum Gesteuerter Raum x x x x x x x Ankerbeispiele Sozialraum , Sozialraum überlappt Ortsgrenzen , Aufgrund sozialer Strukturen auf mehrere Quartiere ausgeweitet , Lokal als auch regional orientiert und hat zudem überregionale Bedeutung , Sozialräume der Bewohnerinnen und Bewohner , Begriff Sozialraum, dessen soziokultureller Kontext bisher nicht präzise geklärt werden konnte , Einen sozial konstruierten Raum, einen Lebensraum und sozialen Mikrokosmos, in dem sich gesellschaftliche Entwicklungsprozesse manifestieren. Dabei definiert sich der Soziale Raum ständig neu. , Ressourcen und Defizite Sozialer Räume und individuelle Kompensation – materielle Struktur des Sozialraums , Der Sozialraum hält im besten Fall förderliche Bedingungen für verschiedene Formen gesellschaftlicher Teilhabe bereit. Geographischer/ regulierter Raum , Konkrete Anliegen im dafür ausgewählten räumlichen Kontext , Quartier als Unterstützungsrahmen und zentraler Punkt der Versorgung , Grössere Identifikation mit Quartieren als mit der Stadt als Ganzes , Räumliche Gliederungen der Stadt: z.B. Schulkreise, Stadtteile, Kirchkreise, politische Kreise, die Raumplanungseinteilung, die Einteilung in Postkreise , Klärung der räumlichen Gliederungen und Quartiergrenzen überschreitende Lösungen ! 92! Virtueller Raum , Beratung an dem Ort angeboten, an dem sie sich bewegen, dem Internet , Virtuellen Raum eröffnen, der individuell betreten werden kann Thematischer Raum , Lokale Bildungslandschaft oder Sozialraum der Arbeitsstelle , Gleichermassen Wohnraum, Wirtschaftsraum, Versorgungsraum, Bildungsraum, Kulturund Freizeitraum Netzwerk , Ausrichtung nicht geographisch, sondern auf Interessengemeinschaften , Ressource zur Lebensbewältigung der dort lebenden Menschen Lebensraum , Würdiger Lebensraum durch aktivierenden und nahräumlich orientierten Ansatz , Öffentlicher Raum als Ort des Zusammenseins steht allen Nutzenden offen , Entsprechende Ermöglichungsräume, Ressourcen und Handlungsspielräume , Zukunft Quartier - Lebensraum für alte Menschen , Soziokultur ist in der Lebenswelt verortet und untersteht dem gesellschaftlichen Wandel , Raumbezüge haben eine hohe Bedeutung für die Stabilisierung der eigenen Identität und für das soziale System Gesteuerter Raum , Ermöglichungsräume, um Ideen zu entwickeln und umzusetzen und darüber Soziales entstehen und wachsen zu lassen , Werden als dezentrale Lebensräume in der Stadt gestärkt und weiterentwickelt , Sozialräumliche Altersarbeit, Jugendarbeit, Suchtarbeit , Quartiere sind in Bezug auf die gesellschaftliche Zusammensetzung und die örtliche Lage höchst unterschiedlich und bedürfen daher unterschiedlicher Massnahmen B Funktion und Wirkung der sozialräumlichen Tätigkeiten Zusammenfassung Datenanalyse Organisationen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit bezeichnen die Funktion ihrer Tätigkeiten meistens mit Prävention von Sozialen Problemen und Integration von benachteiligten Gruppen in die Bevölkerung. Eine weitere zentrale Funktion ist die optimale Koordination und Vernetzung sozialer Dienstleistungen im Sozialraum. Soziale Organisationen entsprechen mit einer sozialraumorientierten Arbeitsweise im Idealfall dem Bedarf an Hilfestellung und Unterstützung im entsprechenden Gebiet. Dabei wird die Schnittstelle zwischen der Bevölkerung und der Verwaltung durch die sozialräumliche Soziale Arbeit bearbeitet. Diese Funktion wird als Prozess gesehen bei dem die Ressourcen in der Bevölkerung und die staatlichen Ressourcen möglichst optimal aufeinander abgestimmt werden. Mit gezielten Interventionen in den Sozialräumen, der Vermittlung in Konfliktsituationen und der Partizipation der Bevölkerung bei sozialräumlichen Entscheidungen werden nachhaltige Wirkungen erzielt. Die Gemeinwesenarbeit, die Quartierkoordination oder die Online-Beratung, als einige mögliche Formen der Sozialraumarbeit, ! 93! fördern Identifikation und Verantwortung bez. dem sozialen Umfeld, die Ressourcennutzung und Problembewältigungskompetenz von Personen und Gruppen. Bewertung in Experteninterviews Praxisorganisationen sehen sich darin wiedergegeben und beschreiben ihre Tätigkeiten vorwiegend Themen- und Zielgruppen bezogen. Die konkrete Arbeit ist oft nicht problemfokussiert, sondern meint z.B. die Befähigung der Bevölkerung am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen oder die Förderung von Zufriedenheit, sozialem Zusammenhalt und Sicherheit. Die Integritätsförderung der Bevölkerung wird durch professionelle Kompensationshandlungen unterstützt. Dabei steht das Subsidiaritätshandeln des Staates zu bürgerschaftlichem Engagement im Zentrum. Der direkte Kontakt der Verwaltung zur Bevölkerung wird entscheidend für Erfolg und ist äusserst schwierig bewertet. Die Überprüfung der Angebote im Sozialraum ist meist eine Schnittstellenbearbeitung und die Nutzung der Schnittmenge eine Synergie. Unterkategorien Ausprägungen schwach mittel stark Sozialraumorientierung Sozialraumarbeit Gemeinwesenarbeit Prävention Integration Stellvertretende Inklusion x x x x x x Ankerbeispiele Sozialraumorientierung , Koordination, Vernetzung und Weiterentwicklung von Dienstleistungsangeboten in den Gemeinden , Baut auf Ressourcen der Menschen und deren soziales Umfeld , Versorgung der Grundbedürfnisse trägt zur Verminderung der Mobilitätserfordernisse und zur Nachhaltigkeit bei Sozialraumarbeit , Erheben und überprüfen den Bedarf, planen und evaluieren die Prozesse , Quartierentwicklung ist Kontaktschiene und Frühwarnsystem , Erhöht die Identifikation der Bevölkerung mit den öffentlichen Räumen und führt zu einer positiven Sozialkontrolle , Die Entwicklung von Quartierkultur ist ein partizipativer Prozess mit allen Beteiligten und Interessierten. , Bürgerinnen bezeichnen die Beteiligungsmöglichkeiten, ihre Meinung einbringen und selbst am Geschehen mitarbeiten zu können als Novum. , Macht Defizite in den Umgebungsbedingungen ausfindig und entwickelt Massnahmen und Projekte für Entwicklung und Innovation Gemeinwesenarbeit , Projektleitung arbeitet eng mit den lokalen Behörden, Vereinen und weiteren Akteuren zusammen , Realistische Projektideen sind aus dem Prozess hervorgegangen. ! 94! Prävention , Vermittlung bei Konflikten und konkurrierenden Ansprüchen , Prävention und Frühintervention sowie allgemeine Stärkung des sozialen Zusammenhalts im Nahraum , Online-Beratung eröffnet neue Möglichkeiten der Selbstpräsentation der Ratsuchenden und verändert die Beziehung zu Beraterin oder Berater , Leistet einen präventiven Beitrag zur Bekämpfung sozialer Isolation Integration , Beitrag zum sozialen Frieden, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Wertekonsens , Fördert den soziokulturellen Austausch und stellt die Partizipation und Integration der Quartierbevölkerung sicher , Niederschwellige Unterstützung- und Integrationsfunktion bez. allen Anspruchsgruppen und dem Sozialraum , Orte des Austausches geschaffen, bei denen Jugendliche mit anderen Eltern und Eltern mit Jugendlichen, die nicht ihre eigenen Kinder sind, ein gegenseitiges Verständnis erarbeiten , Wirkungsfaktoren für Integrationserfolge in mehrfachproblematischen Situationen Stellvertretende Inklusion , Beratung erhält damit die einmalige Chance, zeitnah intervenieren zu können, wenn Probleme auftreten , Gelingt es uns, das friedliche Zusammenleben von Gemeinschaften mit sehr unterschiedlichen Identitäten, Erwartungen und Lebensentwürfen zu fördern C Methoden der Sozialraumarbeit Zusammenfassung Datenanalyse Die Methodenvielfalt in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit ist gross. Die unterschiedlichsten Methoden geben breite Zugangsmöglichkeiten zur Bevölkerung und eine Flexibilität für die Arbeit auf den verschiedenen Tätigkeitsebenen von der Basis bis zu den Behörden. Die Kernmethoden sind die Prozesssteuerung, die Arbeit mit Netzwerken und das Projektmanagement. In den konkreten Tätigkeiten haben die Leitung und Moderation von Gruppen und Veranstaltungen und die Vermittlung bei Konflikten eine wichtige Bedeutung. Das Coaching der freiwillig engagierten Personen und die Beratung bei individuellen und sachspezifischen Problemstellungen sind weiter zentral. Die soziokulturelle Animation als Grossmethode bekommt in einigen Tätigkeitsfeldern der sozialräumlichen Sozialen Arbeit eine Schlüsselfunktion für die Arbeit mit der Bevölkerung und dem Initiieren von Entwicklungsmöglichkeiten. Alle Tätigkeiten sind von einer Bedarfserhebung und der Evaluation der Leistungen abhängig, wobei sozialwissenschaftliche Methoden der Analyse und Expertise zum Einsatz kommen. Bewertung in Experteninterviews Das Projektmanagement als Kernaufgabe wird sehr unterstrichen und aktivierenden Methoden eine grosse Bedeutung zugesprochen. Die Herausforderungen sind die Prozesssteuerung, das Konfliktmanagement und die methodische Knacknuss: Aufweichung des bürgerschaftlichen Engagement versus Verwaltungskultur. Weiter gewinnen die Informationsvermittlung und eine dem Thema und der Zielgruppe entsprechende Methodenwahl an Bedeutung. Rahmen- ! 95! bedingungen für die Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens zur Verfügung stellen ist eine Steuerungsmethode. Unterkategorien Ausprägungen schwach mittel stark Partizipationsprozesse steuern x Netzwerkarbeit x Projekt-/ Kontraktmanagement Analysen/ Evaluation/ Expertisen Soziokulturelle Animation x x x Moderation/ Vermitt -lung Beratung/ Coaching x x Ankerbeispiele Partizipationsprozesse steuern , Partizipationsprozesse organisieren und begleiten , Grundprinzipien des zivilgesellschaftlichen Handelns , Partizipation ist nie als Selbstzweck, sondern immer in Relation zu ihren Zielwerten zu sehen, als Mittel zur Erweiterung der Demokratie. Netzwerkarbeit , Kontaktpflege mit Organisationen und Anbietern im Sozialraum , Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit , Handlungs- und Deutungsmuster der Beteiligten entschlüsseln Projekt-/Kontraktmanagement , Projekt- und Quartiermanagement sowie Dokumentation dieser , Führen von Sozialzeit-Einsatzmöglichkeiten Analysen/ Evaluation/ Expertisen , Sozialraumanalyse unter Einbezug der Bevölkerung , Sozialwissenschaftliche Evaluation , Aktivierende Interviewführung und Leitfadenentwicklung , Bedarfsabklärungen zu Infrastruktur, Freizeitangeboten,... Soziokulturelle Animation , Soziokulturelle Animation und Gemeinwesenarbeit zur nachhaltigen Verbesserung Sozialer Probleme , Auseinandersetzung mit den Charakteren der Zielgruppen Moderation/ Vermittlung , Gruppensitzungen leiten und Anlässe organisieren, Grossgruppenmoderation , Fachinputs und –referate sowie Workshops Beratung/ Coaching , Befähigung zur Selbsthilfe und Empowerment , Beratung zu Integrationsthemen, Grundstückkonflikten, Freizeitgestaltung , Aufsuchende Beratung im lebensweltlichen Kontext ! 96! D Qualitätskriterien in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit Zusammenfassung Datenanalyse In den Organisationen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit wird nach den berufsethischen Standards der Sozialen Arbeit gearbeitet. Gleichzeitig fliessen Kriterien der Verwaltung ein, wie öffentliche Kommunikation und politische Unabhängigkeit und die Ausrichtung nach politischen Prozessen. Das Qualitätsmanagement wird in Richtlinien und operativen Zielen beschrieben und meist punktuell umgesetzt. Teilweise kommen Gesamtevaluationen zum Einsatz. Bei der Prozessqualität sind die Ergebnisoffenheit, die öffentliche Zugänglichkeit und eine minimale Reglementierung im Fokus. Die grössten qualitativen Anforderungen werden an die Kommunikationskultur und Öffentlichkeitsarbeit gesetzt. Diese sind der Schlüssel des Zugangs zur Bevölkerung und Grundlage für Sozialraumentwicklung. Das Bewusstsein, fachliche Entwicklungen und Standards kontinuierlich in die Tätigkeiten einfliessen zu lassen, ist weitgehend vorhanden. Da Ergebnisse nicht das alleinige Ziel der Sozialraumarbeit sind, werden diese Qualitätskriterien sehr unterschiedlich bewertet: Erfolg bei Events, Zufriedenheit der Beteiligten, Zustimmung in der Bevölkerung sind Beispiele für Indikatoren. Struktur- und Führungsqualitäten sind vereinzelt beschrieben. Die Organisationen durchlaufen oft andauernde strukturelle Veränderungen und passen sich den Entwicklungen an. Bewertung in Experteninterviews Dies wird als ein hoch anspruchsvolles Thema eingeschätzt. Dabei geht es auch um das Bekanntmachen von qualitativen Messmethoden der Sozialen Arbeit bei politischen Entscheidungsträgern. Für die politische Legitimation ist es notwendig eine Messbarkeit herzustellen. Konkret werden Wirkungsindikatoren (Nutzungsintensität, Kostendeckungsgrad, Projektstand,...) für die Messung der Quartierarbeit eingesetzt. Wichtig scheint, Settings und Ziele so zu wählen, dass Ergebnisse möglich werden. Z.B. kann die Ergebnisdefinition auf Prozessqualitäten und den Grad der Zufriedenheit ausgeweitet werden. Die breite politische Anschlussfähigkeit und Sensibilität fehlt zur fachlichen Sozialraumarbeit. Der Einbezug der Politik in die Schnittmenge und Messung als Teil des Sozialraums wird vorgeschlagen. Damit könnte der fehlende Einbezug von sozialräumlichen Aspekten in Legislaturziele intensiviert werden. Unterkategorien Ausprägungen schwach mittel stark Strukturqualität Prozessqualität Ergebnisqualität Fachliche Standards x x Kommunikation/ Öffentlichkeitsarbeit Führung/ Controlling x x x x Ankerbeispiele Strukturqualität , Ist eine glaubwürdige, verbindliche und zuverlässige Partnerin , Virtuelle Beratungsstelle bietet eine muttersprachliche Beratung , Niederschwelligen Zugang zu den sozialen Versorgungsdienstleistungen ! 97! Prozessqualität , Grundsatzpapiere zur internen Projektbearbeitung und -auswertung zum Abschluss von Vereinbarungen, zur Bearbeitung von Anfragen und zu Anträgen für Projektbeiträge , Fachliche Steuerung in der Konzept- und Umsetzungsphase , Vorgängige Klärung, wie Kontinuität von Prozessen gewährleistet werden kann , Prozesse sind innerhalb des gesetzten Rahmens grundsätzlich ergebnisoffen , Prozesse sind grundsätzlich öffentlich zugänglich , Kultur des sozialen Lernens, der Partizipation, des Gemeinschaftlichen in der Stadt , Respektvollen, sorgfältigen und achtsamen Umgang mit allen Beteiligten , Unabhängig davon, ob sie das politische Stimmrecht besitzen Ergebnisqualität , Laufend evaluiert und Massnahmen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit , E-Mail-Beratung mit einer Signatur versehen, die bestätigt, dass die Antwort von einer qualifizierten Fachkraft erstellt worden ist , Staatliche Planungsprozesse und öffentliche Versorgungsangebote sind nur dann nachhaltig , wenn diese auch von der Bevölkerung mitgetragen werden. Fachliche Standards , Kreis der Beteiligten ist aufgrund nachvollziehbarer Kriterien definiert , Zur Sicherung der Leistungsfähigkeit und der Qualität eine externe Supervision , Fachliche Leitlinien und Qualitätsstandards für die Beratung im Internet , Schaffen ein verständliches Modell, welches aufzeigt, wie wir die Qualität unserer Tätigkeit kontinuierlich verbessern und achten darauf, unsere Arbeit nicht zu stark mit Richtlinien und Prozessen zu reglementieren , Berufsethische Grundätze der Sozialen Arbeit (Berufskodex) Kommunikation/ Öffentlichkeitsarbeit , Budgetiert Betrag für die Ausweisung und Wertschätzung der Freiwilligenarbeit , Regelmässige koordinierte, für alle nachvollziehbare Kommunikation schafft Transparenz , Ständige Präsenz im Internet , An alle Bevölkerungsschichten und ist dementsprechend nicht schicht-, alters- und kulturspezifisch , Monitoring, um Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, Erwartungen offenzulegen und Erfahrungen quartierübergreifend nutzbar zu machen Führung/ Controlling , Entscheidungen fällen aufgrund gültiger Kriterien der Quartierentwicklung , Realistische Projektziele setzen und geeignete Indikatoren und Verfahren entwickeln, mit deren Hilfe sich aufzeigen lässt, wie sich unsere Tätigkeit auf die Begünstigten auswirkt , Eine qualifizierte Planung und Wirkungsmessung quartierbezogener Massnahmen E Qualifikation der in der Sozialraumarbeit Tätigen Zusammenfassung Datenanalyse Mehrheitlich wird ein tertiärer Bildungsabschluss in Sozialer Arbeit oder einem verwandten Gebiet vorausgesetzt. In basisorientierten Teilprojekten ist eine soziale Berufsbildung vorzufinden. Eine ! 98! Weiterbildung ist meist Bedingung, vorzugsweise in den Themen Gemeinwesenentwicklung, Soziokultur, Erwachsenenbildung, Management oder Coaching. Sozial- und Führungskompetenzen, bezogen auf eine öffentlich-rechtliche Organisation, und fundierte Erfahrungen in einigen Methoden der sozialräumlichen Sozialen Arbeit sind unerlässlich. Bei der Online-Beratung kommen Beratungskompetenzen ins Zentrum, sowie Softwarekenntnisse und die Vernetzung mit einer Beratungsstelle. Bewertung in Experteninterviews Der Grad der Ausbildung wird zwiespältig gesehen. Ein Bachelor- oder Masterabschluss ist teilweise nicht Bedingung für die Sozialraumarbeit, sondern es wird eine spezifische Weiterbildung in der Gemeinwesenentwicklung vorausgesetzt. Auch eine soziale Berufsausbildung mit sekundärem Bildungsabschluss ist in der Praxis möglich. Sehr betont werden die biographische Eignung, berufliche Erfahrungen in systemischer Arbeitsweise und eine Kommunikations-, Beziehungs- und Persönlichkeitsstärke. Als sehr wichtig werden Zusatzausbildungen in der Erwachsenenbildung und in Supervision für die Arbeit mit den heterogenen Zielgruppen und komplexen Settings gesehen. In der Praxis sind zudem administrative Fähigkeiten unerlässlich. Unterkategorien Ausprägungen schwach mittel stark Studium Soziale Arbeit Weiterbildung/ MAS Berufserfahrung Sozialkompetenz Führungskompetenz Verwaltungserfahrung x x x x x x Ankerbeispiele Studium Soziale Arbeit , Ausbildung auf Stufe Universität/ Fachhochschule oder höhere Fachschule (Sozialarbeit/pädagogik, Soziokultur) mit Zusatzausbildung z. B. in Gemeinwesenarbeit/ Projektmanagement/ Organisationsberatung/ Erwachsenenbildung/ Coaching/ Eventmanagement/ Qualitätsmanagement Weiterbildung/ MAS , Beherrschung der jeweiligen für die Aufgabe erforderlichen Software , Bereitschaft für regelmässige Weiterbildung Berufserfahrung , Erfahrung in der Gemeinwesenentwicklung/ -arbeit , Erfahrung in der Projektleitung oder der Führung von Arbeitsgruppen , In einer Erziehungs- und Familienberatungsstelle tätig Sozialkompetenz , Offene und kommunikative Persönlichkeit mit zeitlicher Flexibilität , Sozialkompetenz, interaktive Alltagskompetenz und interkulturelle Kompetenz , Kombiniert professionelles Engagement und qualifizierte Freiwilligenarbeit ! 99! Führungskompetenz , Innovatives, ressourcen-, ziel-, wirkungs- und prozessorientiertes Arbeiten , Praxisanleitung von Studierenden Verwaltungserfahrung , Flair für organisatorische und administrative Aufgaben , Erfahrung im Umgang mit Behörden und Gemeindestrukturen F Sozialräumliche Zielsetzungen und Art der Ziele Zusammenfassung Datenanalyse Die Ziele in den Organisationen sind meist langfristig ausgerichtet und teilweise von politischen Legislaturzielen abgeleitet. Strategisch gibt es breite und hohe Zielsetzungen, bei der Ausformulierung der operativen Ziele besteht viel Freiraum. Zentrales Ziel ist die Etablierung einer Mitwirkungskultur, die insbesondere das Zusammenwirken von Bewohnerschaft und Verwaltung erleichtern. Die Bearbeitung von Sozialen Problemen im Sozialraum richtet sich auf die Förderung von Lebensqualität, einer guten Dialogstruktur, einer nachhaltigen Gemeinwesenentwicklung und der sozialen Sicherheit im breiten Sinn aus. Soziales und kulturelles Kapital sollen gefördert und die Lebensbedingungen für zukünftige Generationen nachhaltig verbessert werden. Die meisten Ziele sind sozialen Charakters. Wirkungsziele in Bezug auf die Bevölkerung und den Sozialraum, scheinen die Form für sozialräumliche Zielformulierungen zu sein. Hingegen werden kaum Leistungsziele kommuniziert. Versorgungsstrukturen, als optimal abgestimmtes Hilfesystem, werden angestrebt. Dem steht als Zielsetzung der sozialräumlichen Sozialen Arbeit entschieden die Entwicklung der Bevölkerung zur Mitwirkungsgesellschaft gegenüber. Die Abstimmung der Zielsetzungen auf die Akteure und Vernetzungspartner im Sozialraum gilt als hohes Ziel im Sinne der gemeinsam zu bearbeitenden Themen. Bewertung in Experteninterviews Primär wird die Problematik erwähnt, dass die Verwaltung nicht in der Mitwirkungskultur steht und die Überwindung von Hierarchien ein gewünschter Entwicklungsbedarf ist. Das Verändern und Schaffen von strukturellen Bedingungen, als Zielsetzung auf allen Ebenen im Sinne der Durchlässigkeit, wird von der Sozialraumarbeit angestrebt. Stadt-Land-Unterschiede prägen in Bezug auf langfristige Ziele, da in Landregionen weniger Professionelle in der Politik agieren. Die Weiterbildung für strategische, politische Führungspersonen im sozialräumlichen Verständnis und der Partizipation sei notwendig, denn teilweise wird die Politik als massive Bremse in der sozialräumlichen Arbeit wahrgenommen. Die sozialräumliche Soziale Arbeit hat eine Netzwerkfunktion und ist Informationsstelle gegen Innen und Aussen (z.B. für die Verwaltung mit Wirkung gegen Innen). Handlungsbedarf besteht in der Einflussnahme auf bauliche Massnahmen und strukturelle Veränderungen aufgrund des sozialräumlichen Bedarfs. ! 100! Unterkategorien Ausprägungen schwach mittel stark Wirkungsziele Leistungsziele Kurzfristige Ziele x x Langfristige Ziele Politische Ziele Soziale Ziele x x x Finanzielle Ziele x x Ankerbeispiele Wirkungsziele , Setzt sich für eine sozialverträgliche und nachhaltige Quartierentwicklung ein , Unterstützt die Bevölkerung beim Einwickeln innovativer Lösungen zur Verbesserung der Lebensqualität und Identifikation mit dem Quartier , Vermittelt gesellschaftlich relevante Themen sowie gesellschaftskritische Ansätze Leistungsziele , Neuzugezogene zu erreichen und Quartierkultur auf dem freien Feld zu etablieren , Verbesserung der Lebensbedingungen und Stabilisierung der Sozialstrukturen , Tägliche Präsenz an den wichtigsten Treffpunkten im öffentlichen Raum , Soziodemografische Daten zu den Quartieren (Monitoring) erarbeiten Kurzfristige Ziele , Quartierentwicklung koordiniert die Medienarbeit Langfristige Ziele , Soziale Angebote im Sozialraum aufbauen, vernetzen und aufeinander abstimmen sowie eine gute Dialogstruktur entwickeln , Ausgestaltung und Entwicklung des Angebotes der Quartierkoordination , Gemeinwohlorientiert, öffentlich, gemeinschaftlich, selbstorganisiert und kooperativ , Soziales und kulturelles Kapital zu fördern und die Lebensbedingungen für zukünftige Generationen nachhaltig zu verbessern Politische Ziele , Ermitteln der Bedürfnisse im Sozialraum und dessen Gestaltung , Erhöhung der sozialen Sicherheit im Sozialraum , Von der Versorgungs- zur Mitwirkungsgesellschaft , Nachbarschaftshilfe zu entwerfen und darüber auch eine Mitwirkung in der Quartierentwicklung , Eine solidarische Gemeinschaft mit lebenswerter Umwelt , Setzen wir Akzente bei der sozialen Integration, Chancengleichheit und der Anwaltschaft für sozial benachteiligte Menschen. , Öffentliche Räume werden aufgewertet und Strategien für den Umgang mit Nutzungskonflikten entwickelt Soziale Ziele , Baut auf Ressourcen der Menschen und deren soziales Umfeld , Fördern und wertschätzen das freiwillige Engagement und die aktive Mitwirkung der Bevölkerung und Organisationen ! 101! , , Neuaneignung des sozialen Nahraumes Setzen uns ein, dass Menschen ihre bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte kennen und in der Lage sind, diese einzufordern Finanzielle Ziele , Erhaltung und Verbesserung der städtebaulichen Qualität, Stärkung der Wohnattraktivität, Verbesserung der städtischen Infrastruktur, Integration benachteiligter Gruppen, Unterstützung selbsttragender Strukturen G Steuerungsprozesse und Bearbeitung des Sozialraumes Zusammenfassung Datenanalyse Die sozialräumliche Soziale Arbeit nimmt ihren spezifischen Fokus der Sozialraumbearbeitung ein, ergänzend zu all den Institutionen, die am Raum arbeiten. Die Förderung und Herstellung von sozialer Vernetzung und Begegnungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum spielen dabei die wichtigste Rolle. Das Sozialkapital in der Gesellschaft zu fördern und soziale Ressourcen zu erschliessen, wird mit der Stärkung des Engagements der Bevölkerung angestrebt. Es geht auch um eine Sensibilisierung der Sichtweise auf Sozialräume und deren Potenzial. Der öffentliche Diskurs zu Sozialen Problemen wird in Sozialräumen gefördert. Bei der Online-Arbeit entstehen durch virtuelle Themenveranstaltungen neue temporäre Sozialräume. Die Steuerung im Sozialraum wird oft mit Leistungsverträgen zwischen den Akteuren geregelt. Dabei wird die Ausrichtung der Angebote aufs ganze Versorgungssystem zentral gesehen und ist regelmässig zu koordinieren. Bei der materiellen Raumgestaltung ist die Sozialraumarbeit als Fachpartnerin bei anderen Disziplinen wenig gefragt. Eine generationengerechte Gestaltung der Räume ist ein Anliegen mit grossem Umsetzungsbedarf. Bewertung in Experteninterviews Es besteht eine grosse Zustimmung. Schnittstellen in der Sozialraumarbeit zu andern Akteuren sind bewusst und sensibel zu gestalten. Einige Facetten der Steuerung werden ergänzt: Politikerinnen und Politiker bieten eine Plattform der Auseinandersetzung und Quartierbegehungen, die Bevölkerung mit Migrationshintergrund beansprucht eine differenzierte Mitwirkungskultur und die Quartierentwicklung als Fachstelle für Partizipation, Moderation und Mitwirkung. Die soziale Stadtentwicklung als politisches Instrument mit Sozialraumanalysen, Planung und Information bietet eine gute Grundlage für die Sozialraumarbeit. Bei der Gestaltung und Mitbestimmung der Bevölkerung von Orten ist die Unterscheidung von Nutzung und Gestaltung im Sinne einer Nutzungsorientierung zentral, um der Funktion der Orte gerecht zu werden. Eine Bedürfnisorientierung und Mitwirkung in Kleinprojekten (z.B. Spielplatz) ist sinnvoll. Die sozialräumliche Soziale Arbeit hat die Chancen der Quartierentwicklung zu nutzen. Diese sind oft nicht problematisiert, sondern sehr präventiv und ressourcenorientiert geprägt. ! 102! Unterkategorien Ausprägungen schwach mittel stark Leistungsvertrag x Versorgungssystem Raumgestaltung Öffentlicher Diskurs x x Gesellschaftliches Engagement Vernetzung x x x Ankerbeispiele Leistungsvertrag , Fördert die öffentliche Freizeitgestaltung mit Angeboten, Leistungsvereinbarungen und Subventionen , Aushandlungsprozesse zwischen den Akteuren Versorgungssystem , Zu sozialen Versorgungsdienstleistungen in Workshops den Handlungsbedarf identifiziert und Projektideen erarbeitet , Einsetzung einer interdirektionalen Steuergruppe Quartierkoordination , Fachperson initiiert in den Quartieren einen Entwicklungsprozess zur Ausarbeitung eigener Modelle und Strukturen Raumgestaltung , Quartier-, Freizeit- und Werkräume zur Verfügung stellen , Förderung infrastruktureller und konstruktiver Begegnungsmöglichkeiten , Die Gestaltung der Stadt, der urbanen Räume für alle Generationen und für ein aktives und eingebundenes Älterwerden , Einzel-/ Gruppenchat, Themenchat, Diskussionsforum, virtuelle Veranstaltung , Öffentlicher Raum, den heute eine Vielzahl vom Staat mehr oder weniger unabhängiger Vereinigungen mit unterschiedlichem Organisationsgrad und -form bilden – etwa Initiativen, Vereine, Verbände , Bedeutung des öffentlichen Raumes wird weiterhin zunehmen , Quartierbezogene Strategien reflektieren und kontrollieren Öffentlicher Diskurs , Perspektivenänderung von Problemsicht zur Sicht der Gemeinwesenarbeit , Fragen und Optionen der Raumgestaltung , Öffentlicher Diskurs zu sozialen Problemstellungen , Subjektive Sicht auf Sozialräume als individuelle Bedeutungs- und Handlungsorte Gesellschaftliches Engagement , Vereine und Organisationen, deren Leistungen den Bedürfnissen der Allgemeinheit entgegenkommen, werden projektbezogen unterstützt und regelmässig überprüft , Subsidiarität als eine politische und gesellschaftliche Maxime, die Eigenverantwortung vor staatliches Handeln stellt , Raumbezogene Identität und zivilgesellschaftliches Engagement stehen in Wechselwirkung zueinander ! 103! Vernetzung , Einbezug aller Ansprechsgruppen und Nonprofit-Organisationen mit denen das Sozialzentrum im Sozialraum zusammenarbeitet , Kooperation und gemeinsame materielle und personelle Ressourcennutzung fördern , Begleitung durch tragfähige soziale Netzwerke , Mit neuen temporären Begegnungsorten eröffnen wir Erfahrungshorizonte, bringen Bewohnerinnen und Bewohner zusammen und unterstützen sie bei der Umsetzung ihrer Veränderungswünsche. H Sozialräumliche Arbeit mit Personen und Netzwerken Zusammenfassung Datenanalyse Die Netzwerkarbeit hat eine Kernfunktion in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. Netzwerke mit Akteuren und Anbietern sozialer Dienstleistungen oder sich ergänzenden Angeboten im Sozialraum sind eine verbreitete Form und die Aufgabe besteht in deren Koordination oder Initiierung. Eine weitere Form sind soziale Netzwerke in der Bevölkerung unterschiedlichster Art, die meist ehrenamtlich geführt werden und von sozialräumlichen Organisationen unterstützt, initiiert oder finanziert werden. Für benachteiligte Gruppen solche zu entwickeln, gehört zu den Kernaufgaben Sozialer Arbeit. Die Arbeit mit Einzelpersonen hat in der Sozialraumarbeit kaum den Charakter der Beratung zu individuellen Problemstellungen, sondern ist geprägt durch die Gewinnung, Entwicklung und Begleitung von freiwillig Engagierten in der Bevölkerung für die Netzwerkarbeit. Dabei bekommen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, die es zu gewinnen und coachen gilt, in der Bevölkerung für sozialräumliche Anliegen eine entscheidende Bedeutung. Bewertung in Experteninterviews Diese Ergebnisse treffen gut die sozialräumliche Praxis. Die Triagefunktion bei der Beratung von Einzelpersonen wird hinzugefügt und die Beziehungsarbeit zu Einzelpersonen als äusserst wichtig betont. Vor allem Generationen übergreifende Projekte bedingen neue Netzwerke. Professionelle der Sozialraumarbeit injizieren Projekte als Akteure, um Synergien zu nutzen. Unterkategorien Ausprägungen schwach mittel stark MultiplikatorInnen Benachteiligte Gruppen Einzelberatung Themengruppen Akteure/ NPO/ Vereine Freiwillige x x x x x x Ankerbeispiele MultiplikatorInnen , Phase der Gewinnung von Multiplikatoren und Multiplikatorinnen , Ressourcen zu investieren, sowie im eigenen Netz als Botschafter und Botschafterin aufzutreten , Mitwirkung wird in allen Phasen des Prozesses gewährleistet ! 104! Benachteiligte Gruppen , Vernetzungstreffen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen , Die räumliche Umgebung in Verbindung mit dem sozialen Handeln zu bringen , Einbezug schwer erreichbarer Zielgruppen , Weniger Einzellösungen, mehr gesamtgesellschaftliche Lösungen (Synergien nutzen) Einzelberatung , Wird mit der Internetberatung ein Ort geboten, wo sie unter der fachlichen Moderation von Beratern sich ihren Problemen und Krisen stellen und Lösungsperspektiven erarbeiten können , Eröffnet die Onlineberatung Einblicke in die Gefühlswelten der Jugendlichen, wie sie in der örtlichen Beratung nicht möglich sind , Die Menschen wissen selber am besten, was sie brauchen und besitzen Fähigkeiten, ihre Ideen und Wünsche umzusetzen. Themengruppen , Aufbau und Pflege von Netzwerken und Unterstützung von Einzelpersonen Akteure/ NPO/ Vereine , Quartierfonds mit aktivierender Funktion zur Bildung von Netzwerken , Schnittstelle zwischen Verwaltung, Quartierbevölkerung und Akteuren , Benachteiligte Bevölkerungsgruppen in Netzwerken zusammenbringen und strategische Allianzen mit spezialisierten Institutionen auf nationaler und internationaler Ebene bilden Freiwillige , Mit den Ressourcen von Freiwilligen vorsichtig umgehen und Anerkennung gewährleisten I Verortung der Organisation / Strukturen/ Ressourcen im Sozialraum Zusammenfassung Datenanalyse Die sozialräumliche Soziale Arbeit bedingt eine optimale Verortung im Sozialraum als Teil der Vernetzung. Die Organisationen platzieren sich an neuralgischen Punkten und sind niederschwellig zugänglich. Dies gilt auch für die Onlineberatung, nur geschieht die Verortung mit Links auf themenverwandten Homepages, die vom Zielklientel gefunden werden. Eine weitere Form ist die Anpassung der Verortung gemäss Veränderung des Sozialraums: mobile Soziale Arbeit mit mobilen Räumlichkeiten. Dezentrale Verortungen in Agglomerationen bringen den Vorteil, nahe bei der Bevölkerung zu sein. Leitbilder und Konzepte für die Sozialraumarbeit werden meist abgestimmt auf die Sozial- und Raumplanung der Gemeinde geschrieben. Von den Beteiligten und Akteuren wird die konzeptionelle Grundlage möglichst gemeinsam getragen. Diese braucht grossen Handlungsspielraum, um prozessorientiert arbeiten zu können. Oft geschieht Sozialraumarbeit in befristeten Projekten. Die langfristigen Ressourcen sind ungeklärt und diese lassen die sozialräumlichen Interventionen schwierig planen und nachhaltig gestalten. In einigen Organisationen besteht ein Sozialraumbudget, das gemeinsam von allen Akteuren sozialraumorientiert eingesetzt wird. Strukturell ist die sozialräumliche Soziale Arbeit als Stiftung oder als Teil der Verwaltung organisiert und oft mit Leistungsverträgen gesteuert. Die Führungskultur ist weitgehend der Arbeitskultur angepasst und ist partizipativ, aber strategisch straff. Die Organisationen sind wissenschaftlich begleitet oder gehören einem Fachgremium an. ! 105! Bewertung in Experteninterviews Es besteht eine grosse Zustimmung. Die Verortung der Organisation ist zielgruppen- und projektabhängig. Die dezentrale Verortung ist auch in anderen Disziplinen (Polizei, Spitex,...) sinnvoll. Eine kleinräumige und niederschwellige Ausrichtung ist abgestimmt auf die Mobilitätsfähigkeit des Klientels. Die Ressourcen sind in starker politischer und finanzieller Abhängigkeit. Der Ausbau der sozialräumlichen Sozialen Arbeit erfolgte in den letzten Jahren und aktuell gilt es meist den Istzustand zu halten. Unterkategorien Ausprägungen schwach mittel stark Organisation im Sozialraum Vielfalt der Verortung Definierte Ressourcen und Strukturen Führungshierarchie Sozialraumbudget Leitbild/ Konzept x x x x x x Ankerbeispiele Organisation im Sozialraum , Intermediäre Koordination des Versorgungssystems wird durch eine ausserhalb der Verwaltungsstruktur angesiedelte Person wahrgenommen , Bedarf einer institutionalisierten, langfristig ausgerichteten Zusammenarbeit mit klaren Ansprechpersonen und Verlässlichkeit , Mit Projekten im Sozialraum erreichen wir mehr Menschen, die sich wenig aktiv im Lebensumfeld engagieren. Vielfalt der Verortung , Pro Sozialregion ein Sozialzentrum für ambulante Dienste und Soziokultur , Niederschwelligen und raschen Zugang zu Informationen und Beratung , Dezentralisierung der Quartierarbeit , Anlaufstelle für die Bevölkerung und Sprechstunden im Quartier , Regelmässige Präsenz an den öffentlichen Treffpunkten und sozialen Brennpunkten , Beratungsangebote im Internet sind nicht auf örtliche Zuständigkeiten begrenzbar , Beratung im Internet wird durch örtliche Beratungseinrichtungen erbracht Definierte Ressourcen und Strukturen , Die Stadtbehörden sind verantwortlich für die Rahmenbedingungen und das gute Funktionieren eines Quartiers. , Projekte verfügen über gesicherte personelle und finanzielle Ressourcen , Je 1 Mio Einwohnerinnen und Einwohner in Deutschland ein/e Berater/in, die je für 10 Stunden pro Woche mitwirken; Total sind 82,5 Fachkräfte zur Leistungserbringung erforderlich. , Soziokulturelle Arbeit ist fest verankert im Stadtteil, der Nachbarschaft oder im Dorf Führungshierarchie , Straffe und effiziente Führung mit Stabstelle als wissenschaftliche Begleitung , Auf welcher Ebene Prozesse einer Sozialen Stadtentwicklung installiert werden , Quartierentwicklung als strategische Führungsaufgabe ! 106! Sozialraumbudget , 10% der Kontraktsumme des Sozialraumbudgets wird durch die Sozialraumkonferenz flexibel nach Bedarf im Sozialraum eingesetzt , Leistungsabhängige Grundleistung mit Indikatoren und sozialraumorientierte Leistung mit Bericht , Dauerhafte Bereitstellung der erforderlichen personellen und materiellen Ressourcen Leitbild/ Konzept , Hat ein abgesichertes, transparentes Budget und eine offene Rechnungsführung , Fachkräfte unterschiedlicher Fachrichtungen bilden das multidisziplinäre Team der virtuellen Beratungsstelle. , Online Beratung: Barrierefreie Zugänge für Menschen mit Behinderungen , Quartierentwicklung als eine Querschnittsaufgabe, die kontinuierlich gesehen und über ein übergeordnetes Handlungskonzept gesteuert wird , Integriertes Handlungskonzept, das sich stadtweit auf die Quartiere ausrichtet und die Quartierorganisationen sowie Quartierstrukturen stärkt J Bedarf und Legitimation der Sozialraumarbeit Zusammenfassung Datenanalyse Es zeichnen sich beim Bedarf zwei Hauptauslöser für die sozialräumliche Soziale Arbeit ab: die Gemeindeentwicklung oder die Verbesserung der Lebensqualität und die Imagepflege bei einer Konzentrierung von Problemstellungen. Die positive Kodierung von Lebensräumen und Gesellschaftsprozessen ist das Ziel politischen Handelns und ergibt die Grundlage der Installation von Sozialraumarbeit. Die Partizipation der Bevölkerung an Entscheiden im Gemeinwesen wird gefordert und für diese Vermittlungsfunktion zu der Gemeindeverwaltung wird sozialräumliche Soziale Arbeit eingesetzt. Da Soziale Probleme in Bevölkerungskreisen die soziale Kohäsion gefährden, bekommt die Soziale Arbeit eine weitere Legitimation für das Wirken in Sozialen Räumen. Versorgungssysteme zu ergänzen und zu optimieren, ist bei zunehmend komplexeren Hilfesystemen eine Notwendigkeit, bei der die Soziale Arbeit teilweise koordinierende Funktion übernimmt. Demographische Entwicklungen verlangen Anpassungen bei den sozialen Dienstleistungen. Weiter ist der Bedarf an Online-Angeboten gross, wegen verändertem Kommunikationsverhalten in der Bevölkerung. Bewertung in Experteninterviews Die Ergebnisse werden als treffend und wichtig gesehen. Entscheidend ist, dass die politische Wahrnehmung auf Langfristigkeit und die Prozessqualitäten gelenkt werden kann. Schlussendlich sind finanzpolitische Entwicklungen Gradmesser für die Legitimation. Positive persönliche Erfahrungen mit Angeboten der Sozialraumarbeit sind oft entscheidend für die Unterstützung. Bei Online-Angebote ist es sinnvoll, diese zielgruppenspezifisch und wertorientiert einzusetzen. ! 107! Unterkategorien Ausprägungen schwach mittel stark Partizipation der Bevölkerung Gemeindeentwicklung x x Hohe soziale Kohäsion Nachhaltigkeit x x Standortimage/ Lebensqualität Soziale Probleme x x Ankerbeispiele Partizipation der Bevölkerung , Partizipative Prozesse sind aufwendig und bedürfen Ressourcen , Stadtentwicklung mit partizipativem Ansatz setzt den politischen Willen voraus , Bei der Umsetzung von staatlichen Planungs- und Versorgungsaufgaben ist die Verwaltung auf die Kooperation mit der Bevölkerung angewiesen. Gemeindeentwicklung , Begleitete Quartierprozesse haben langfristig positive Auswirkungen auf die Entwicklung , Zu einer Grundversorgung eines Stadtteils gehören u.a. Begegnungsräume, Sozialarbeitende und Soziokulturelle Animation , Angebotslücke im Versorgungssystem zu füllen , Die nächste Elterngeneration gehört zur ‚digitalen Generation’. Aus Sicht der Fachkräfte liegt nichts näher, als die Funktionalitäten der sozialen Netzwerke zu Beratungszwecken zu nutzen. , Der Grund für eine Intervention im Sozialraum ist immer die Feststellung einer Lücke oder eines Bedarfs. , Strukturen in den Quartieren und in der Verwaltung sind oft nicht geeignet, den gewachsenen Anforderungen der heterogenen Quartierbevölkerung zu genügen. Hohe soziale Kohäsion , Mit einem permanenten gesellschaftlichen Wandel konfrontiert , Soziale Kohäsion ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass ein Gemeinwesen Einwirkungen von Aussen und Störungen im Innern verarbeiten kann. , Für altersgerechte sozialräumliche Entwicklungen spricht die demografische Entwicklung. , Jugendliche oder Randgruppen erleben oft geringe Akzeptanz im eigenen Lebensraum und flüchten in die anonymeren und aufgrund der intensiven Nutzung belasteteren Zonen der Stadtzentren. Nachhaltigkeit , Stärkere Identifikation mit und Verantwortlichkeit für das Gemeinwesen , Beratung im Internet bietet auch Möglichkeiten der Information/ Konsultation/ Beratung für Fachkräfte in sozialen und pädagogischen Aufgabenfeldern , Staatliches Engagement in der Quartierarbeit ist ein nachhaltiger Ansatz zur Verbesserung des Verantwortungsbewusstseins. , Quartiere erhalten Support, die Vielfalt in der Bevölkerung zu managen um Benachteiligungen zu kompensieren. ! 108! Standortimage/ Lebensqualität , Tugendkreis: Funktionale Ziele – Gutes Image – Interesse von aussen – Investitionen – Gute Lebensqualität – Sozialer Mix – Zufriedenheit – BewohnerInnen als Botschafter , Aneignung des Sozialraumes und die Erkenntnis, dass der öffentliche Raum für alle Lebensraum ist , Quartierarbeit zur Stärkung des Gemeinwesens und als Teil der Stadtentwicklung hat in Schweizer Städten Tradition. Soziale Probleme , Beratung im Internet wird insbesondere von Gruppen in Anspruch genommen, die von sich selbst bekunden, dass sie eine örtliche Beratungsstelle nicht oder noch nicht aufgesucht hätten. K Sozialräumliche Interdisziplinarität und Transdisziplinarität Zusammenfassung Datenanalyse In kleinräumigen Kontexten wird interdisziplinär zwischen Verwaltung, Architektur, Wirtschaft, Bildung, Gesundheitsbereich, Soziale Arbeit, u.a. zusammengearbeitet. Dabei werden Angebote und Leistungen aufeinander abgestimmt. Die gemeinsame strategische Planung von Sozialraumgestaltung und Entwicklung von Versorgungssystemen wird thematisiert, hat aber in der Umsetzung eine marginale Bedeutung. Der interdisziplinäre fachliche Austausch in überregionalen Gremien wird punktuell gepflegt im Sinne der konzeptionellen Entwicklung der Sozialraumarbeit. Eine Aufweichung von Gemeinde- und Verwaltungsgrenzen zu Gunsten von regionalen Versorgungssystemen und sozialräumlicher Kooperation ist wahrnehmbar. Vereinzelt werden Sozialraumkonferenzen durchgeführt. Kaum vorhanden ist bei den Organisationen eine transnationale und transdisziplinäre Zusammenarbeitsweise. Diese Entwicklung hängt von übergeordneten politischen und wissenschaftlichen Prozessen ab, die von der Praxis der sozialräumlichen Sozialen Arbeit nur sehr bedingt beeinflusst werden können. Bewertung in Experteninterviews Die sozialräumliche Interdisziplinarität nimmt zu, bleibt aber ein hohes und visionäres Ziel. Parallel dazu ist die verwaltungsinterne Kommunikationskultur zu fördern, wofür die Sozialraumarbeit die Legitimation der Politik braucht. In der sozialen Stadtentwicklung gibt es die Departements übergreifende Zusammenarbeit zwischen Polizei, Quartierarbeit, Schule, Sport, Jugendberatung, Integrationsförderung und Alter. Grundsätzlich bleibt dies ein politisches Führungsthema, worauf die Sozialraumarbeit bedingt Einfluss nehmen und mitgestalten kann. Die Sozialraumarbeit müsste an der Dialogbereitschaft der Verwaltung zur Bevölkerung arbeiten, was ein Dilemma ist. Dabei steht eine minimale Verwaltung im Widerspruch zur Förderung einer Mitwirkungskultur. Die Mitwirkung der Politiker in Partizipationsprozessen ist gewünscht und notwendig. Oft geht es in interdisziplinären Prozessen um gegenseitige Interessensicherung und eine Stärkenausrichtung, je nach Disziplin und gegenseitigem Respekt und punktuellem Einbezug nach Kompetenzen. ! 109! Unterkategorien Ausprägungen schwach mittel stark Transnationalität Interdisziplinäre Zusammenarbeit x Transdisziplinäres Vorgehen Über Gemeindeund Ämtergrenzen x Sozialraumkonferenzen x Leistungskoordination x x x Ankerbeispiele Interdisziplinäre Zusammenarbeit , Unparteiisches, partnerschaftliches und transparentes Zusammenarbeiten mit diversen Akteuren , Offene Partizipationsprozesse bedingen ein integriertes (interdisziplinäres und ämterübergreifendes) Vorgehen , In Zusammenarbeit mit dem Bereich Bau und Stadtentwicklung ein Konzept, sowie konkrete Umsetzungsvorschläge erarbeitet Transdisziplinäres Vorgehen , Bei der Quartierentwicklung geht es um übergeordnete gesellschaftliche Planungs- und Steuerungsaufgaben, die nur interdisziplinär und mit einer hohen Intensität an Zusammenarbeit und Koordination gelöst werden. Über Gemeinde- und Ämtergrenzen , Mitarbeit in Fachgremien und regionalen, nationalen und internationalen Netzwerken , Berät Verwaltungsstellen bei Mitwirkungsprozessen und Entwicklungsaufgaben , Zusammenarbeit mit Mitbewerbenden und Ausbildungsstätten , Die Schule ist vermehrt mit gemeinwesenorientierten Herausforderungen konfrontiert. Sozialraumkonferenzen , Jeweilige Strukturen anpassen an partizipative Prozesse und Schnittstellen entwickeln , Einbindung der öffentlichen Organe und erarbeiten von Lösungsvorschlägen und sozialpolitisches Entscheidungsargumentarium , Sozialräumliche Interventionen zu fördern und mittels Sozialraumkonferenzen die Arbeit der subventionierten Leistungserbringer aufeinander abzustimmen Leistungskoordination , Im Netzwerkmanagement grösstes Potential für die Erhöhung der Wirkung von sozialen Leistungen im Sozialraum , Einbezug der verschiedenen Anspruchsgruppen zur Erlangung von Steuerungsinformationen , Funktion und Rolle des/ der KoordinatorIn muss von allen Beteiligten im Unterstützungssystem anerkannt werden, damit die Umsetzung optimal funktioniert , Leistungskoordination der im Netzwerk beteiligten Institutionen , Bezeichnung von zuständigen Stellen innerhalb der Direktionen und Dienststellen mit ausgewiesenen Serviceleistungen gegenüber den Quartieren ! 110! L Bearbeitung Sozialer Probleme im Sozialraum Zusammenfassung Datenanalyse Soziale Probleme von Bevölkerungsgruppen und die Ursachen im Sozialraum von Sozialen Problemen stehen im Fokus der sozialräumlichen Sozialen Arbeit. Die verschiedensten Faktoren im Sozialraum, die einen Einfluss auf das Zusammenleben und die Lebensqualität haben, werden von der Sozialraumarbeit präventiv oder bewältigend bearbeitet. Negative Phänomene wie destruktives Verhalten von Personen und benachteiligte Gruppen werden in der Öffentlichkeit thematisiert, an deren Ursachen gearbeitet und notwendige unterstützende Ressourcen gefördert. Umweltbelastungen und fehlende Sicherheit im Quartier haben grossen Einfluss auf das Wohlbefinden der Bevölkerung und den Gemeinsinn. Diese Vermittlungsfunktion der sozialräumlichen Sozialen Arbeit zur Gemeindeverwaltung für Verbesserungen ist verbreitet. Die Verschiebung von Sozialräumen durch die virtuelle Kommunikation und Informationsflut durch Medien, sowie die abnehmende Segregation in der Bevölkerung werden wahrgenommen. Es gibt aber kaum explizite Massnahmen dagegen. Bewertung in Experteninterviews Oft geht es um die Wiederherstellung, dass Hilfe in Anspruch genommen wird. Folgende Themen bekommen zunehmende Bedeutung: Alter und Migration, Verwahrlosung und die aufsuchende Beratung. Die sozialräumliche Soziale Arbeit ist weniger problemorientiert, als die Soziale Arbeit insgesamt. Unterkategorien Ausprägungen schwach mittel stark Benachteiligte Gruppen Segregation in Bevölkerung x Emissionen/ fehlende Sicherheit Schwindender Gemeinsinn Medien/ Informationsflut Destruktives Verhalten x x x x x Ankerbeispiele Benachteiligte Gruppen , Marginalisierte und stigmatisierte Bevölkerungsgruppen , Vernachlässigte Quartiere mit beeinträchtigter Lebensqualität Segregation in Bevölkerung , Soziale Probleme im Quartier, die das Zusammenleben betreffen , Segregation in den Quartieren, und der Zusammenhalt in der Bevölkerung schwindet , Quartiere mit dichter Bebauung und sozioökonomischer Entmischung Emissionen/ fehlende Sicherheit , Littering, Vandalismus, Lärmemissionen, Migration, Verkehr/ Wohnqualität, bauliche Hindernisse, Erziehungsprobleme, Ghettoisierung, Wertelosigkeit, mangelnder sozialer Austausch und Vernetzung, Verständnis und Respekt , Übernutzung führt zu negativen Folgeerscheinungen im öffentlichen Raum , Sozialkontrolle nimmt ab als Folge der Individualisierung, der modernen Wohnformen und der soziodemografischen Zentrumslasten ! 111! Schwindender Gemeinsinn , Mangel an Handlungskompetenz der Bevölkerung , Fortschreitende Erosion des Gemeinwesens und des Gemeinsinns , Entfremdung im eigenen Lebensraum und Verschiebung des Bezugsrahmens nach Aussen , Im Sozialraum spiegeln sich eine Polarisierung und eine soziale Entmischung ab. Medien/ Informationsflut , Fehlende Transparenz der Behörden und Verwaltung , Die unglaublich vielseitige multimediale Welt des Internet und der sozialen Netzwerke erzeugt große Unsicherheiten. , Innensicht eines Quartiers oft positiver als die Aussensicht Destruktives Verhalten , Negative Situationen genau erfassen und verstehen , Deviantes, dissoziales und destruktives Verhalten ! 112! Ergebnisse der Interviews mit Expertinnen und Experten der sozialräumlichen Sozialen Arbeit Kodierregeln , , , , Ziehen sich durch die Interviewtypen hindurch: I1 – Koordination Versorgungssystem (Selbst- und Fremdverständnis) I2 – Gemeinwesenarbeit (1 Person Selbst- und 1 Person Fremdverständnis) I3 – Stadtentwicklung (Fremdverständnis) Hauptthemen (Codes mit Mehrfachnennungen) sind fett markiert und werden in den Memos beschrieben. Ankerbeispiele aus dem Interview sind kursiv dargestellt. Die minimale Grösse der Kodiereinheit richtet sich nach der Verständlichkeit des Satzteils. Entwicklungen und sozialpolitische Transformationen in Organisationen der sozialräumlichen Sozialen Arbeit I1: Selbstverantwortung und Individualität, finanzielle Effizienz, Normalität in allen Lebenslagen, Nachbarschaftshilfe, steuern mit Projekten im Quartier, Generationenhaus, Professionalität und Freiwilligenarbeit, generationengerechte Quartiergestaltung, Umverteilungsmechanismen, Ideenvielfalt versus finanzielle Ressourcen, Solidarität und soziale Sicherheit Memo: Der grosse Trend wird wahrgenommen in Richtung wachsender Selbstverantwortung und individueller Lebensstile. Versorgungssysteme müssen zunehmend, nicht nur im Altersbereich, darauf ausgerichtet werden: ‚so lange wie möglich zu Hause unterstützen, mit guter Infrastruktur im Quartier, mit der Nachbarschaftshilfe und all den professionellen Dienstleistern’. Dass dabei die finanzielle Effizienz ein wichtiger Faktor ist, erstaunt nicht. Ambulante Systeme sind kostengünstiger: ‚wir bieten Unterstützung und es kommt der Stadt finanziell zu Gute’. Die Nachbarschaftshilfe oder regionale Solidaritätsnetzwerke, beruhend auf freiwilligem Engagement, als eine weitere Säule der sozialen Sicherheit werden in Zukunft mehr gefördert werden und können den finanziellen Generationenvertrag entlasten und ergänzen. Da werden zusätzliche Ressourcen gesehen, ‚da sich die Alten sehr engagieren und viel an das gesellschaftliche Kapital beitragen’, die im Sinne einer Selbstverwirklichung der Bürgerinnen und Bürger genutzt werden sollte. Die sozialräumliche Soziale Arbeit kann in diesen Prozessen professionell steuern, auch in der Freiwilligenarbeit/ Netzwerkbildung und in der sozialen Quartiergestaltung. I2: Kompensation Begegnung im Quartier, Nachbarschaftshilfe, Generationendialog fördern, Ideenvielfalt versus finanzielle Ressourcen, Generationen- und Gemeinschaftshaus, Visionen verwirklichen, soziale Investitionen, Strukturen überprüfen und optimieren, Versorgungssystem Soziale Arbeit Memo: Dass die sozialräumliche Soziale Arbeit verstärkt Kompensationshandlungen zwischen Personen und Gruppen injizieren muss, wird betont: ‚Begegnung im Quartier und von Jüngeren zu Älteren werden seltener’. Dieser Dialog und diese Vernetzung sind fundamental für die soziale Sicherheit. Um den Generationendialog zu fördern und das Versorgungssystem im Sozialraum optimal zu gestalten, wird an der Entwicklung eines ‚Generationenhauses mit Begegnungsmöglichkeiten und einer Schnittmenge mit Verwaltung und z.B. Sozialer Arbeit’ gearbeitet. Dabei werden zentrale und dezentrale Strukturen vorgeschlagen. Da die finanziellen ! 113! Ressourcen knapp sind und diese soziale Investition als äusserst wirksam eingeschätzt wird, wird ein gemeinsamer ,frühzeitiger Plan mit den verschiedenen Akteuren als Realisierungschance’ entwickelt. Die Konsensfindung und die Optimierung des sozialräumlichen Versorgungssystems der Sozialen Arbeit gemeinsam mit anderen Disziplinen kommt immer mehr in den politischen und fachlichen Fokus. I3: Bewertung von Freiwilligenarbeit, Nachbarschaftshilfe, Subsidiarität des Staates, Individualismus, Mehrgenerationenhäuser, Mitwirkung/ Mitbestimmung versus politische Entscheidung, soziale Quartieraufwertung, den Interessen angepasste Partizipation, steuern mit Projekten im Quartier, soziale Investitionen, Kaderschulung zu Partizipation/ Mitwirkung, Erfüllung Partizipationseignung Memo: Die Subsidiaritätsleistungen des Staates ergänzen das bürgerschaftliche Engagement und es ist ‚eine grundsätzliche gesellschaftliche Frage, wie weit Freiwilligenarbeit’ gehen kann und soll. Das Potenzial wird als sehr gross eingeschätzt, aber die sozialräumlichen Einrichtungs- und Unterstützungsstrukturen haben einen enormen Entwicklungsbedarf, um diese Ressourcen zu nutzen. Mit Quartierprojekten kann das Bürgerengagement gesteuert werden. ‚Es gibt die politischen Prozesse mit politisch legitimierten Personen, die indirekt Bedürfnisse der Bevölkerung einbringen sollten.’ Die Klärung der Abstimmung von politischer Entscheidung mit einer Mitwirkungs- und Mitbestimmungskultur in der Bevölkerung steht an. Je nach Interessen und Gegenstand ist ein Verfahren auszuwählen, zwischen ,mehr Information anstatt Mitwirkung und im anderen Fall bis Mitbestimmung’ durch die Bevölkerung. ‚Konkurrenzsituationen gegenüber den politisch legitimierten Prozessen’ entstehen mit der Partizipation der Bevölkerung und führen zu grundlegenden Konflikten. ‚Nichts schlimmeres, als wenn Erwartungen der Bevölkerung nicht erfüllt werden oder gar nie erfüllt werden konnten.’ Eine durch die Bevölkerung in partizipativen Prozessen zu beurteilende Vorlage muss zwingend zuerst auf ihre Erfüllung der Partizipationseignung geprüft werden. Spannungsfelder und Dilemmata in der Sozialraumarbeit I1: Projektfinanzierung, finanzielle Effizienz, Zugänglichkeit zu Hilfe, Migration und Alter, Mitwirkungskultur versus Verwaltung, Qualität und Finanzstärke des Staates, bürgerschaftliches Engagement und Effektivität, Sozialraumdiskussion und Bevölkerung Memo: Ein grosses Spannungsfeld ist die differente Kultur in der Verwaltung und in der Sozialraumarbeit: ,die Schwierigkeit liegt in den verschiedenen Systemen der Hierarchie und der Mitwirkung’. Die beiden Systeme anzunähern, in Richtung einer Mitwirkungskultur der Bevölkerung und einer Vermittlungskultur zwischen den Interessengruppen, ist eine unglaubliche Knacknuss. Das Kerngeschäft der Sozialraumarbeit ist die Mobilisierung des Engagements von Bürgerinnen und Bürgern. Dies professionell zu steuern, ist die Herausforderung, damit die Effektivität zu steigern und Modelle der Selbstverwaltung zu fördern: ,das Mehrgenerationenhaus ist selbstverwaltet, entstand aus einer Bürgerinitiative’. Sehr sinnvoll wird die sozialräumliche Thematisierung in der Fachwelt bewertet und gefragt: ,wie kann die sozialräumliche Soziale Arbeit im Alltag benennt werden?.’ Eine praxis- und alltagsnahe Debatte des brisanten Themas wird gewünscht. ! 114! I2: Mitwirkungskultur versus Verwaltung, Quartierentwicklung als Gemeindeaufgabe, Legitimation der Sozialraumarbeit, soziale Innovation versus Verwaltung, Konkurrenzkampf Soziale Organisationen, Problemzentrierung und Sozialraumarbeit, Offenheit für alle Bevölkerungsgruppen, Räume für verschiedene Bedürfnisse, Organisationsform und Auftrag, der Gemeinde angepasste Sozialraumarbeit Memo: Die Gemeinde erachtet die Quartierentwicklung nicht als ihre Aufgabe und überlässt sie weitgehend Bürgerinitiativen. Der Blick in die ‚Gemeindeverfassung: hohe Werte und Ziele der Bevölkerungszufriedenheit und Identifikation mit dem Quartier’, gilt es einzufordern. Da die Tradition von Sozialraumarbeit in dieser Gemeinde fehlt, bleibt dieser Institutionalisierungsprozess bis jetzt weitgehend ein Dilemma. Zusammenhängend damit ist die Kultur in der Verwaltung, als Teil des Sozialraums: ‚Gemeinde verwalten oder innovativ entwickeln’. Wenn soziale Innovation und interdisziplinäre Zusammenarbeit keine Beachtung finden, haben es sozialräumliche Anliegen schwer und die sozialräumliche Soziale Arbeit verpufft ihre Energie und kann Ziele nicht nachhaltig umsetzen. Dies wird noch verstärkt, solange der gemeinsame Nenner der sozialen Organisationen Konkurrenz ist. Die örtliche Gestaltung der Sozialraumarbeit ist von den verschiedensten Interessen geprägt, die teilweise diametral zueinander verlaufen. Entsprechende Räume anbieten zu können ist eine Ressourcenfrage. ‚Herausforderung ist, die abzuholen, die es brauchen, und offen sein für die andern’ bringt zudem die methodische Knacknuss zum Ausdruck, allen Bevölkerungsgruppen gerecht zu werden und mit bestehenden Konflikten umgehen zu können. I3: Mitwirkungskultur versus Verwaltung, Vermittlung und Informationsfluss zwischen Behörden und Bevölkerung, Relationen der Mitwirkung, finanzielle Ressourcenknappheit, Eigentümergesellschaft - Individualismus, Bürgerbewegungen - Vereinskultur, KnowhowTransfer Städte zu Gemeinden, Dezentralisierung Sozialraumarbeit, Theorie versus Praxis Sozialraumarbeit Memo: Die zentrale Funktion der Quartierentwicklung liegt in der Vermittlung und der Gewährleistung des Informationsflusses zwischen den Behörden/ der Verwaltung und der Bevölkerung. Sie ist angesiedelt ‚zwischen Verwaltung und Bevölkerung und von wem soll sie Anwalt sein?’ stellt sich die berechtigte Frage. Es geht um die differenzierte Bearbeitung von Spannungsfeldern durch die sozialräumliche Soziale Arbeit: ‚Könnte Ihnen 1000 Spannungsfelder aufzählen, in jedem Quartier ist es anders’. Auch Rollenkonflikte gehören dazu und daher sinnvoll: ‚Konflikte sind politisch zu bewerten’. Grundsätzlich kann bei baulichen Projekten gelten: ‚bei der Detailgestaltung macht eine Mitsprache Sinn’. Die Relation zum Projekt und der Mitwirkung muss unbedingt bewahrt werden, sonst können keine politischen Ziele erreicht werden. Eine tendenzielle Entwicklung der Gesellschaft zu Eigentümern und Individualisten kann zu Dilemmata führen: ‚Eigeninteresse steht oft über dem Quartierinteresse’. Die grosse Herausforderung auch der sozialräumlichen Sozialen Arbeit ist, an der Frage zu arbeiten: ‚Wie lassen sich Interessen in Zukunft bündeln?’ Wichtig um an solchen Projekten zu arbeiten ist, dabei die ‚Steuerung durch Präsenz und Verortung im Quartier’ herzustellen. ! 115! informiert engagiert vernetzt Berufsbild der Professionellen Sozialer Arbeit Professionelle Soziale Arbeit Schweiz Professionnels travail social Suisse Professionisti lavoro sociale Svizzera Allgemeines Dieses Berufsbild der Professionellen Sozialer Arbeit1 wurde von AvenirSocial entwickelt2. Es stützt sich auf Unterlagen des Internationalen Verbandes für Soziale Arbeit (IFSW) und die Berufsbilder der Schulen für Soziale Arbeit sowie auf einschlägige Fachliteratur. Zusammen mit den normativen Grundlagen der Profession (Berufskodex von AvenirSocial) bildet es für die Mitglieder von AvenirSocial das Profil ihrer Professionalität ab. Dieses Berufsbild richtet sich an alle Professionellen der Sozialen Arbeit, an ihre Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen, an die Verantwortlichen in den Ausbildungsstätten Sozialer Arbeit sowie an die interessierte Öffentlichkeit. Es hält in knapper Form zentrale Merkmale der Profession Soziale Arbeit und ihrer Wirkungsweise im schweizerischen Sozialwesen fest. Ausgangspunkt der Beschreibung der Sozialen Arbeit ist die internationale Definition, welche im Jahre 2000 von rund 70 Nationalverbänden verabschiedet wurde. Sie lautet: «Die Profession Soziale Arbeit fördert den sozialen Wandel, Problemlösungen in menschlichen Beziehungen sowie die Ermächtigung und Befreiung von Menschen, um ihr Wohlbefinden zu heben. Unter Nutzung von Theorien menschlichen Verhaltens und sozialer Systeme vermittelt Soziale Arbeit am Punkt, wo Menschen und ihre sozialen Umfelder aufeinander einwirken. Dabei sind die Prinzipien der Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit für die Soziale Arbeit fundamental.»3 1 Die Profession Soziale Arbeit umfasst die Berufsgruppen Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziokulturelle Animation, Kindererziehung und Arbeitsagogik. Die Professionellen Sozialer Arbeit haben an einer höheren Fachschule, einer Fachhochschule oder einer Universität eine Grundausbildung absolviert, welche mindestens drei Jahre dauert. 2 Das vorliegende Berufsbild entstand aus den Berufsbildern der bisherigen Berufsverbände SBS und SBVS und wurde am 5.5.2006 vom Vorstand Schweiz von AvenirSocial verabschiedet. Die so genannte Montrealer Definition der Profession Soziale Arbeit wurde nach einem rund fünfjährigen Diskussions- und Aushandlungsprozess aufgrund der Vernehmlassungen in über 70 Nationen in fast doppelt so vielen Verbänden anlässlich der Joint International Conference of IASSW (Internationale Assoziation der Schulen für Soziale Arbeit) und IFSW (Internationale Föderation der Berufsverbände) in Montreal/Québec (CAN) von rund 2000 anwesenden Konferenzteilnehmern und -teilnehmerinnen aus allen fünf Kontinenten im Juli 2000 unter dem Titel Promoting Equitable Societies in a Global Economy – Social Work in the 21st Century proklamiert. 3 Gegenstand der Sozialen Arbeit Die Profession Soziale Arbeit umfasst ein heterogenes Konglomerat von differenzierten fachspezifischen Tätigkeiten. Sie alle drehen sich um das Vorbeugen, Lindern und Lösen von Problemen, welche im Zusammenhang mit der Einbindung von Menschen in die Sozialstruktur – am Punkt, wo Menschen und ihre sozialen Umfelder aufeinander einwirken – entstehen können. Die Konsequenz solcher «sozialen» Probleme besteht darin, dass die Befriedigung biologischer, psychischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Bedürfnisse für Individuen, Gruppen, Gemeinwesen und gesellschaftliche Systeme be- oder verhindert wird. Diese Probleme entstehen aus vielerlei Gründen: durch unterschiedliche persönliche und/oder soziale Voraussetzungen, durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, durch den gesellschaftlichen, politischen oder ökonomischen Wandel, aber auch durch behindernde Machtprozesse und -strukturen. Die Aufgabe der Profession ist es, mit ihrer Tätigkeit und in Kooperation mit anderen Professionen die Handlungsfähigkeit der betroffenen Menschen und Bevölkerungsgruppen (wieder) herzustellen, damit diese selber diejenigen sozialen Beziehungen eingehen und pflegen können, welche ihnen die Befriedigung ihrer Bedürfnisse und die Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse erst ermöglichen. Die Professionellen Sozialer Arbeit intervenieren deshalb auf drei Ebenen: • auf der individuellen Ebene, d.h. mit den direkt Betroffenen und ihren Bezugspersonen (mikrosoziale Ebene); • im Rahmen von Gruppen und spezifischen Kollektiven (mesosoziale Ebene); • auf gesellschaftlicher Ebene mit ganzen sozialen Systemen, d.h. in Bezug auf Organisation, Strukturierung und Entwicklung von Gemeinwesen (makrosoziale Ebene). Weil ihre Interventionen immer Menschen betreffen, sind die Professionellen der Sozialen Arbeit verpflichtet, die «sozialen» Probleme mit den betroffenen Individuen, Gruppen und gesellschaftlichen Systemen gemeinsam anzugehen. Sie achten auf grösstmögliche Selbstbestimmung und vermeiden neue Verletzungen der Menschenwürde und der Prinzipien von Gerechtigkeit und Gleichheit aller Menschen. Ziele der Sozialen Arbeit Die Professionellen der Sozialen Arbeit streben für ihre Klientinnen und Klienten die grösstmögliche Autonomie (maximale Selbstständigkeit und Selbstbestimmung) an, welche ihnen erlaubt, an gesellschaftlichen Prozessen teilzuhaben, um sich besser zu integrieren und um bessere Entwicklungsmöglichkeiten in allen Belangen zu erhalten. Damit wird bezweckt, dass alle Menschen ihre Bedürfnisse befriedigen und selbstbestimmt Verantwortung für das eigene Handeln und für andere Menschen übernehmen können. Die professionelle Begleitung geht dabei so weit, bis die vorhandenen psychischen und sozialen Ressourcen gesichert und aktiviert werden, die betroffenen Menschen (wieder) an den kulturellen und materiellen Ressourcen der Gesellschaft partizipieren (Teilhabe) und diese auch mitgestalten (Teilnahme) können. Diese spezifische Gestaltung des Sozialen verbindet zwei Interventionsrichtungen gleichzeitig: vom Individuum oder der Gruppe hin zur Gesellschaft und von der Gesellschaft hin zum Individuum oder zur Gruppe. Auf der Ebene des Individuums und der Gruppe zielen Professionelle der Sozialen Arbeit bei der Unterstützung der Klientinnen und Klienten auf Veränderung und Entwicklung, die es ihnen ermöglichen, sich besser an die sie umgebende soziale Umwelt anzupassen. Gleichzeitig arbeiten sie auf der gesellschaftlichen Ebene auf denjenigen sozialen Wandel hin, der den Einzelnen die Befriedigung der biologischen, psychischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Bedürfnisse und ihre Entfaltung ermöglicht. Somit wird offensichtlich, dass sich die Professionellen der Sozialen Arbeit im Spannungsfeld von gesellschaftlichen Erwartungen und individuellen Bedürfnissen bewegen. Methoden und Ressourcen Die Professionellen der Sozialen Arbeit wählen ihre Methoden differenziert je nach der Lage der Situation, den individuellen Gegebenheiten und spezifischen Aufgabengebieten der Organisationen, in deren Dienst sie stehen. Sie gründen ihre Interventionen auf wissenschaftliche Erkenntnisse, die ihnen erlauben, Situationen richtig zu analysieren, zu beurteilen und methodisch zielgerichtet und wirkungsvoll zu gestalten. Sie tun dies vorbeugend, erziehend, stützend, ergänzend oder ersetzend, je nachdem, was die Situation erfordert. Ihrer Tätigkeit liegt eine reflektierende und systematische Herangehensweise zugrunde, die vom Respekt der Menschenwürde und den berufsethischen Normen geleitet ist. Zu ihren Methoden zählen: • die Erschliessung von Ressourcen, Animation, Beratung, pädagogische Begleitung, Handlungstraining, Bewusstseinsbildung, welche zur Verbesserung der Handlungskompetenz von Einzelnen, Gruppen und Gemeinschaften geeignet sind, • Betriebsführung, welche auf die Leitung sozialer Einrichtung zugeschnitten ist, • die Nutzung von Verfahren zur sozialen und organisatorischen Vernetzung, zur Veränderung von behindernden Machtstrukturen und zur Gestaltung der Abläufe und Kommunikation innerhalb sozialer Organisationen. Professionelle Sozialer Arbeit sind insbesondere Spezialist/innen für soziale Beziehungen. Es ist daher unerlässlich, dass die Professionellen der Sozialen Arbeit mindestens über folgende Kernkompetenzen verfügen: • Situationen und Prozesse von Individuen, Gruppen und gesellschaftlichen Systemen systematisch analysieren und beurteilen zu können, • Problemlösungs- bzw. Veränderungsprozesse zielgerichtet, empathisch und in Kooperation mit den Klient/innen steuern zu können, • externe Ressourcen erschliessen und verwalten zu können, • mit Angehörigen, anderen Fachleuten, Mitgliedern u.a.m. konstruktiv kooperieren zu können, • die einzigartigen Einblicke in prekäre Lebenssituationen und -verhältnisse in sozialpolitisches Engagement umlenken zu können, • das eigene berufliche Handeln aufgrund fachlicher Qualitätskriterien der Profession reflektieren, beurteilen und gegebenenfalls verändern sowie dokumentieren zu können. Die Professionellen Sozialer Arbeit verbessern ihre Handlungsweise und erweitern ihr operatives Handlungswissen durch kollegiale Kontrolle, regelmässige Intervision und Supervision und indem sie sich innerhalb institutionell angebotener Schulung und Forschung kontinuierlich weiterbilden. Um «soziale» Probleme zu vermeiden, zu lindern oder zu lösen, müssen die Professionellen Sozialer Arbeit über die dazu nötigen und angepassten menschlichen, zeitlichen, materiellen und finanziellen Ressourcen und über eine geeignete Infrastruktur verfügen können. Fehlen diese, setzen sie sich öffentlich dafür ein, dass diese Mittel zur Verfügung gestellt werden. Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit Die Professionellen der Sozialen Arbeit sind in unterschiedlichen Bereichen tätig. Ihre Tätigkeitsbereiche können beispielsweise nach folgenden Merkmalen gegliedert werden: • Trägerschaften und Organisationen, die Professionelle anstellen: öffentliche und private Einrichtungen aus dem Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsbereich wie Schulen, Heime, Freizeit- und Kulturzentren usw, • Betroffenen bzw. adressierten Personen: Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, Erwachsene, ältere Menschen; Frauen, Männer; Familien, die Bevölkerung eines Quartiers usw, • zu bearbeitenden Problemkreisen: Armut/Existenzsicherung, Gesundheit, Behinderung, Migration, Gewalt, Bildung/Sozialisation, Diskriminierung usw. Grundhaltung, Werte, Menschenbild Für Professionelle der Sozialen Arbeit sind in erster Linie Werte wie Menschenwürde, Gerechtigkeit, Gleichheit, Demokratie und Solidarität zentral. Das zugrunde liegende Menschenbild ist humanistisch und orientiert sich an den Menschenrechten und den daraus abgeleiteten ethischen Prinzipien. Die Professionellen Sozialer Arbeit handeln im Dienste eines Lebens, in dem die physischen, psychischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Menschen anerkannt und befriedigt werden und die unveräusserliche Würde und der Wert jeder einzelnen Person Anerkennung und Schutz finden. Die Professionellen der Sozialen Arbeit sind solidarisch gegenüber den gesellschaftlich Ausgeschlossenen. Durch ihren Einsatz tragen sie dazu bei, Not zu lindern und die Entfaltung von Einzelnen und Gruppen zu fördern. Sie verteidigen die demokratischen Prinzipien in jeder gesellschaftlichen Organisation, und sie fordern von Staat und Gesellschaft, dass auch sie sich an den Menschenrechten orientieren und diese anwenden. In dem Masse, wie die Handlungsfähigkeit der Individuen bzw. Gruppen gestärkt und ihre Teilnahme und Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht wird, zeigt sich, wie «sozial» diese Gesellschaft ist. Die professionelle Soziale Arbeit ist eine konkrete Leistung dieser Gesellschaft, ein Handlungsinstrument und zugleich Ausdruck ihrer Solidarität. Die ethischen Prinzipien der Sozialen Arbeit als einer Menschenrechtsprofession aber sind in den internationalen Normen der IFSW und davon abgeleitet in den nationalen normativen Grundlagen (Berufskodex) von AvenirSocial definiert. AvenirSocial Geschäftsstelle Schweiz Postfach 8163 CH-3001 Bern Tel. + 41 (0)31 382 28 22 Fax + 41 (0)31 382 11 25 [email protected] www.avenirsocial.ch © AvenirSocial, 2006