Sozialraum als Chance zur Teilhabe behinderter Menschen Dr. Johannes Schädler Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE), Universität Siegen Menschen als soziale Wesen in Zeit und Raum Als gesellschaftliche Wesen leben wir in einer bestimmten Zeit, an bestimmten Orten und sozialen Räumen, und wir entwickeln unsere Biographie in Auseinandersetzung mit einem ‚normierten‘ Lebenslauf. Vergangenheit Gegenwart Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste | Universität Siegen Zukunft ……. z.B. Anne (5 J.) aus D. Vergangenheit Gegenwart Zukunft ………. Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste | Universität Siegen Halid, (7 J.) aus G. Vergangenheit …………Gegenwart ………… Zukunft…….... Thomas (8 J.) aus S. Der soziale Raum als Feld sozialer Verteilungskämpfe: Ungleiche Verteilung von • Ökonomischem Kapital • Kulturellem Kapital • Sozialem Kapital - Vergangenheit………………Gegenwart ………………Zukunft……….……. Kann man Annes, Halid, Thomas Zukunft voraussagen? Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste | Universität Siegen Wie wird ihr Leben sein…? Morgen…? Nächsten Monat…? Nächstes Jahr…? In 10 Jahren…? In 20 Jahren…? … Bedingungen für ein ‚gutes‘ Leben • Der Grad an Anerkennung ihrer bürgerlichen Rechte • Die herrschenden Vorstellungen über Normalität und die Sensibilität für Diskriminierungsrisiken ; • Grad an Barrierefreiheit der ‚Institutionen‘, der bebauten Umwelt und des öffentlichen Lebens • Grad der Ausprägung einer solidarischen Kultur des Zusammenlebens • die Art der Unterstützung durch professionelle Dienste; • …wie sie selbst es lernen (können), mit ihren Einschränkungen ihr Leben aktiv zu gestalten Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste | Universität Siegen Verständnis von Behinderung im Wandel • Behinderung : aus Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren, die Teilhabe erschweren. • Behinderung entsteht in konkreten Situationen: Relativierung von Gewissheiten über ‚Behinderung‘ • Beschaffenheit des sozialen Nahraums wird von zentraler Bedeutung für die individuelle Lebensführung Wer ist eigentlich behindert? Perspektiven auf den sozialen Raum 1. Sozialraumorientierung als „Fachkonzept der Sozialen Arbeit“ (SRO) 2. Sozialraum /Quartier als administrative Steuerungseinheit 3. Sozialraum als Teil eines politisch definierten Gemeinwesens (Kommunale Gebietskörperschaft mit Haushaltsrecht /Parlament) Zu 1. SRO als „Fachkonzept“ Wolfgang Hinte: Prinzipien der Sozialraumorientierung 1. Ausgangspunkt jeglicher Arbeit ist der „Wille“, in Abgrenzung zum „Wunsch“ 2. Vorrang der aktivierender vor betreuender Hilfe 3. Orientierung an personalen und sozialräumlichen Ressourcen 4. Aktivitäten immer zielgruppen- und bereichsübergreifend anlegen 5. Vernetzung und Integration verschiedener soziale Dienste in Bezug auf Einzelfall Wolfang Hinte: vom Fall zum Feld • Kritisiert „Fallsucht“ und fordert für die Soziale Arbeit • weniger ‚fallorientierte Arbeit‘, und • mehr fallübergreifende bzw. • mehr fallunspezifische professionelle Aktivitäten Zu 1. SRO als Fachkonzept: SONI-Schema Struktur Organisation Netzwerk Individuum Vgl. Budde/Cyprian/Früchtel 2007) Zu 2. Sozialraum als administrative Steuerungseinheiten • Sozial(raum)planung: Aufteilung des kommunalen Territoriums in sozialgeographische Einheiten • Ressourcensteuerung nach Sozialräumen • Koordinierung von Leistungen und Interventionen verschiedener Hilfebereiche • Sozialraum als Planungsgröße Zu 3. Sozialraum als Teil des politischen Gemeinwesens / der Kommune • die Kommune ist die politisch-staatliche Ebene, die dem sozialen Nahraum der Bürger/innen am nächsten ist; • Gemeindeordnungen regeln allgemeine Nutzungsrechte örtlicher Infrastruktur • Durch (EU-)Gleichstellungsgesetzgebung und UNKonvention zum Abbau bzw. zur Vermeidung von Diskriminierung und Barrieren verpflichtet“; • Behindertenpolitik hat in der Kommunalpolitik keine Tradition: Stärkung der politischen ReKommunalisierung durch UN BRK Zu 3. Sozialraum als Teil des politischen Gemeinwesens / der Kommune Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen November 2012: 103 Staaten haben ratifiziert, darunter auch die EU sowie viele Entwicklungsländer UN-Behindertenrechtskonvention Artikel 19 der UN-BRK: Inklusion und Partizipation Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens anerkennen das gleiche Recht aller Menschen mit Behinderungen, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben, und treffen wirksame und geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen den vollen Genuss dieses Rechts und ihre volle Einbeziehung in die Gemeinschaft und Teilhabe ( „inclusion“ – „participation“) an der Gemeinschaft zu erleichtern, … Aktionspläne zur UN-BRK in den deutschen Bundesländern - Bundesland Baden-Württemberg Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-Vorp. Aktionsplan UN BRK Liegt vor Aktionsplan UN BRK in der Erarbeitung In der Erarbeitung In der Erarbeitung Aktionsplan UN BRK Derzeit nicht geplant Liegt vor Liegt vor In der Erarbeitung in der Erarbeitung Liegt vor Derzeit nicht geplant In der Erarbeitung Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen Liegt vor Liegt vor Liegt vor In der Erarbeitung Derzeit nicht geplant Derzeit nicht geplant Liegt vor Prof. Dr. Albrecht Rohrmann Prof. Dr. Albrecht Rohrmann Kommunale Beschlüsse zur UN BRK in NRW Kommunale Beschlüsse: Hauptinhalt Handlungsdimensionen von kommunaler Behindertenpolitik: 1. Zugänglich machen von öffentlicher Infrastruktur, um Diskriminierung zu vermeiden. 2. Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Rechte und Diskriminierungsrisiken 3. Ausbau von Beteiligungsformen behinderter Menschen und Ermöglichen von EmpowermentErfahrungen 4. Entwicklung eines örtlichen Hilfesystems, das inklusionsorientiert ausgerichtet ist Konsequenzen der Orientierung an Inklusion und Sozialen Räumen für kommunale Politik • Behindertenpolitik entwickeln, die fachliche Konzepte, administrative Steuerungs-aspekte und Partizipationsforderungen integriert. • Mittel hierfür sind Instrumente der Sozialplanung. Inklusives Gemeinwesen • Ein programmatischer und strategiefähiger Begriff dafür, Bedingungen im örtlichen Gemeinwesen zu schaffen, die es Anne, Halid und Thomas ermöglichen, ohne Diskriminierung am gesellschaftlichen Leben in Dornbirn, Graz oder Salzburg… teilhaben zu können. • Inklusion: Zugänglichkeit von normalen ‚Institutionen‘ und öffentlicher Infrastruktur, • vom ‚Kindergarten‘ … bis zum ‚Ruhestand‘ Örtliche Teilhabeplanung für und mit Menschen mit Behinderungen „ein partizipativer und lernorientierter Prozess unter politischer Federführung der Kommunen, in dem sich die örtlich relevanten Akteure auf den Weg machen, die Zielsetzungen eines ‚inklusiven Gemeinwesens‘ unter den spezifischen örtlichen Bedingungen zu verwirklichen“. z.B. Planungsprojekt „Dornbirn auf dem Weg zu einem inklusiven Gemeinwesen“ Beharrungsvermögen und Sperrigkeiten des etabilierten Hilfesystems müssen überwunden werden Die Anstalt als Modell des 19. Jh.: zentralisierte Unterbringung an abgelegenen Orten Das teilstationäre Modell des 20. Jh. Sonderkiga, Sonderschule, ‚24er Wohnheim‘, WfbM… Personenzentrierte Unterstützung in inklusiven Gemeinwesen als Modell des 21. Jahrhunderts z.B. Ermöglichung von privatem Wohnen in der eigenen Häuslichkeit durch flexible, verlässliche und bedarfsgerechte Unterstützung in individuellen Arrangements. Partizipation als Grundsatz Fazit 1. Fachlicher Paradigmenwechsel und gestiegene kommunale Verantwortlichkeit erfordern konzeptionelle Anpassung 2. Hinwendung zu örtlicher Planung und zum sozialen Raum stellt das ‚marktförmige Geschäftsmodell“ sozialer Unternehmen in Frage („strategisches Dilemma“ (Wasel 2012) 3. Aber Nichtübernahme der Innovationsanforderungen kann negative Folgen für die Organisation haben, daher Gefragt ist Mut zur Veränderung bei begrenztem Risiko • Vor allem für etablierte Anbieterorganisationen gilt vielleicht auch in Österreich: • „Too holy to fail!“ Vielen Dank für Ihr Aufmerksamkeit ! Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste der Universität Siegen Adolf-Reichwein-Straße 2 57068 Siegen Tel. 0271/740-2228 www.zpe.uni-siegen.de