Krebstherapie: „Wir entfesseln das Immunsystem!“

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Krebstherapie: „Wir entfesseln das
Immunsystem!“
Von Christiane Fux, Medizinredakteurin
Eine Immuntherapie hilft manchen Krebspatienten, für die es sonst kaum noch
Überlebenschancen gibt. Pharmakologe Prof. Stefan Endres* erklärt im NetDoktorGespräch, wie das Immunsystem gegen Krebs scharfgemacht wird – und was man sich
wirklich davon erhoffen kann.
© royaltystockphoto - Fotolia
Herr Prof. Endres, die Immuntherapie gilt inzwischen, neben Operation, Chemo- und
Strahlentherapie, als vierte Säule der Krebsmedizin - und als großer Hoffnungsträger.
Was ist das Besondere daran?
Es ist ein ganz anderer Ansatz als bei den klassischen Krebstherapien, die uns bisher zur
Verfügung standen. Eine Immuntherapie richtet sich nicht direkt gegen die Krebszellen,
sondern aktiviert das Immunsystem so, dass dieses die Krebszellen vernichtet.
© Prof. Stefan Endres
Eine ziemlich elegante Strategie: einen Abwehrmechanismus zu nutzen, den der Körper
selbst bereitstellt, um Krankheitserreger zu bekämpfen.
Der Körper setzt das Immunsystem auch sehr oft ein, um alte oder kranke Körperzellen zu
beseitigen – auch entartete Zellen. Für manche Krebszellen funktioniert die Selbstheilung, bei
anderen versagt sie und die Tumorzellen beginnen, sich ungehindert zu vermehren.
Hängt das damit zusammen, dass Krebszellen auch Körperzellen sind und vom
Immunsystem nicht so recht als Feind erkannt werden?
Ganz genau. Hilfreich können dann spezielle Antikörper gegen Krebs sein, die man dem
Patienten verabreicht. Sie heften sich an die Krebszelle und markieren sie so für die
sogenannten T-Zellen. Das sind Zellen des Immunsystems, die von Viren befallene Zellen,
aber auch Krebszellen vernichten können.
Das funktioniert im Grunde also ähnlich, wie wenn der Körper selbst Antikörper gegen
Krankheitserreger bildet.
Man nutzt den gleichen Mechanismus. Inzwischen hat man aber auch andere, noch
vielversprechender Strategien: Vor allem die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren geben
Anlass zur Hoffnung.
Checkpoint – also Kontrollpunkt – wird hier gesteuert, ob und wann das Immunsystem
aktiv wird?
So ist es. Die T-Zellen sind mit Checkpoints ausgerüstet. Das sind Schalter, die
normalerweise verhindern, dass diese Immunzellen gegen gesunde Körperzellen vorgehen.
Manche Krebszellen aktivieren bei den T-Zellen genau diese Bremsfunktion, und die TZellen lassen sie in Ruhe. Mit der Immuntherapie können wir diese Handbremse wieder
lockern – dann greifen die Immunzellen die Krebszellen an. Wir entfesseln das Immunsystem
wieder.
Entfesseln, das klingt riskant.
Ohne Risiko sind leider auch diese Therapien nicht. Entfesselte Immunzellen können sich
auch gegen körpereigene Zellen richten – also genau die Autoimmunreaktionen auslösen, die
die Immun-Checkpoints normalerweise stoppen.
Was kann passieren?
Relativ häufig sind autoimmune Hautreaktionen. Seltenerer, aber auch gefährlicher, ist ein
entzündeter Darm – oder sogar eine Autoimmunenzephalitis, von der das Gehirn betroffen ist.
Dann müssen wir mit Medikamenten gegensteuern, die die Immunaktivierung wieder
dämpfen, beispielsweise Cortison. Oft werden Immuntherapien aber gut vertragen – meist
besser als eine Chemotherapie. Auch das Spektrum der Nebenwirkungen ist anders. Man
verliert zum Beispiel nicht die Haare.
Nebenwirkungen sind das Eine. Ein weiteres Problem ist, dass die Behandlung nicht bei
jedem Patienten anschlägt. Weiß man warum?
Leider nein. Das herauszufinden, ist wichtig. Auch, weil die Kosten so hoch sind: 60.000
Euro pro Patient und Jahr.
Für welche Krebsformen stehen überhaupt schon Immuntherapeutika zur Verfügung?
Gegen das maligne Melanom, also den Schwarzen Hautkrebs, wenn es bereits Metastasen
gebildet hat, außerdem bei bestimmten Lungenkrebstypen. Auch bei Nierenzellkrebs wird
schon mit Checkpoint-Inhibitoren behandelt.
Was können sich Krebspatienten konkret erhoffen? Wie viel Lebenszeit gewinnen sie?
Auch wenn die Therapie anschlägt, ist das unterschiedlich. Bei einigen Tumorarten steigt die
mittlere Überlebenszeit, vom Zeitpunkt der Diagnosestellung gerechnet. Insbesondere beim
metastasierten Schwarzen Hautkrebs gibt es Fälle, in denen Patienten statt Monaten Jahre
weiterleben. Das ist auch der Grund, warum so viel geforscht wird in diesem Bereich.
Was ist mit Krebsimpfungen, von denen man immer wieder liest?
Das ist eine spezielle Art der Immuntherapie. Ein Beispiel ist die sogenannte adoptive TZelltherapie. Dabei insoliert man aus dem Blut des Patienten T-Zellen, rüstet sie mit
besonderen Proteinen aus und vermehrt sie. Anschließend werden sie zurück in den Körper
geschleust. Dank ihrer Ausstattung können sie Krebszellen besser aufspüren und vernichten.
Klingt aufwendig.
Das ist es auch. Es gibt aber gerade hier eindrucksvolle Erfolge, sogar echte Heilungen.
Allerdings funktioniert das nur bei bestimmten Leukämieformen. Bei soliden Tumoren waren
die Ergebnisse bisher eher enttäuschend.
Präsident Nixon hat schon vor fast einem halben Jahrhundert den Kampf gegen den
Krebs ausgerufen - und in Aussicht gestellt, dass dieser bald besiegt sein werde. Ist das
überhaupt möglich?
Den Krebs vollständig zu besiegen, ist schon deswegen so schwierig, weil es so viele
verschiedene Krebsformen gibt. Auch Lungenkrebs ist nicht gleich Lungenkrebs. Letztlich
sind Krebszellen auch Körperzellen - und die sind von Mensch zu Mensch verschieden.
Jeder hat seinen eigenen Krebs.
Richtig. Auch die Immuntherapie ist kein Wundermittel. Aber mit ihr haben wir einen
wesentlichen Schritt nach vorn getan.
*Prof. Dr. med. Stefan Endres ist Leiter der Abteilung für Klinische Pharmakologie am
Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München und Forschungsdekan der
Medizinischen Fakultät.
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