Konnektivistisches Lernen mit Web 2.0

Werbung
Inside Pädagogische HochSchulen
>
News, Projekte und Meinungen
Konnektivistisches Lernen
mit Web 2.0
Kurzserie Teil 1. Eine neue Lerntheorie für ein neues digitales Zeitalter?1
von Dr. Silvia Dreer
1. Einleitung
„Vor dreitausend Jahren formulierten besorgte Bürger in Mesopotamien
folgende Klage: ‚Mit unserer Erde geht es abwärts. Unehrlichkeit und Be­
stechung breiten sich aus. Die Kinder folgen ihren Eltern nicht mehr. Der
Untergang der Welt steht offensichtlich bevor.‘ Diese sogenannte mesopo­
tamische Klage wiederholt sich nunmehr seit Jahrtausenden. Sie taucht
vor allem dann auf, wenn Innovationen neue soziokulturelle Veränderun­
gen mit sich bringen und/oder implizit neue Wertemuster den bisherigen
gesellschaftlichen kulturellen Konsens in Frage stellen. Im 15. Jahrhun­
dert wurde mit dem Auf kommen des Buchdrucks gemutmaßt, dass Kin­
der und Jugendliche ihr Gedächtnis verlieren würden, weil sie durch das
Lesen von Büchern nicht mehr in der Lage seien, auswendig zu lernen (…)
Im 19. Jahrhundert warnten Wissenschaftler vor dem ‚Fahrradgesicht‘.
Sie waren davon überzeugt, dass der Fahrtwind das Gesicht verformt und
bereits eine Geschwindigkeit ab 25 km/h dem Gehirn schaden würde. Bei
der Einführung der Eisenbahn wurden gemutmaßt, dass es zu Gehirnzer­
setzungen kommen könne. (…) Dass der Computer zur Gewalttätigkeit
verführt und das Internet depressive Isolation fördert, ist bis heute als
Vorstellung weit verbreitet. Wenn nunmehr mit Web 2.0 wiederum ein
neues Medium die Ängste mobilisiert, wird der basso continuo fortgesetzt
(…) Neu ist, dass jetzt soziale Schichten in der Lage sind, sich öffentlich
zu präsentieren, die vorher aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen
waren. Das Internet und Web 2.0 führen zu einer Demokratisierung der
Herstellung von Öffentlichkeit. Nunmehr können sich gesellschaftliche
Schichten artikulieren, die bisher vom öffentlichen Diskurs ausgeschlos­
sen waren.“ (RÖLL, 2008, S. 4 f.)
1.1. Web 2.0 Begriffsklärung
Unter Web 2.0 ist keine Software in einer bestimmten Version zu
verstehen, sondern der Begriff dient als Sammelbezeichnung für
eine Entwicklung des Internets, wonach die Benutzer die Inhalte
erzeugen (z. B. persönliche Meinungen zu einem Buch bei einem
Online-Buchhandel, die andere Benutzer nachlesen können) (vgl.
Nagler/Korica-Pehserl/Ebner, 2007, S. 131).
Web 2.0 bietet gerade im Bereich der Bildung zusätzliche Potenziale für die Lehrenden und Lernenden, die herkömmliche Unterrichtsmethoden noch auf zusätzliche Weise fördern können (siehe
Tabelle 1, rechts).
Nach Röll (2008) verbringen bereits 97 % aller Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren täglich durchschnittlich ca. 155 Minuten
im Internet. Erwachsene benutzen das Internet eher zur Informationsrecherche, während bei Jugendlichen Chat, Online-Spiele, Freunde treffen und sich selbst darstellen (z. B. Facebook) im
30 wissenplus 2–10/11
Vordergrund stehen. Es hat sich mittlerweile auch eine „digitale
Kluft“ zwischen der jüngeren und älteren Generation gebildet (vgl.
Röll, 2008, S. 39).
Aus der Medienperspektive bedeutet das, dass sich die Umgebungen der Kommunikation aus der Perspektive von Jugendlichen
gesehen durch den Einfluss der neuen Medien ändern.
Die neuen Medien stellen für die Jugendlichen keine Fiktion
mehr dar, sondern sind eine Realität wie Straßen, Häuser oder Gegenstände (vgl. Röll, 2003, S. 177, zit. n. Kutscher & Otto, 2004,
S. 170).
Potenziale von Web 2.0 (auszugsweise)
Wiki
Gemeinsam erstellte und bearbeitete elektroni­
sche Dokumente, z. B. Wikipedia
Weblogs/Blogs
Ein Blog ist eine Webseite, die regelmäßig von
einer Person aktualisiert wird (z. B. Internetta­
gebuch).
Podcasts/Podcasting
Ein Podcast ist eine beispielsweise selbst erstellte
Audiodatei, die über das Internet veröffentlicht
wird.
Social Software
Social Software bezeichnet Systeme im Internet,
in der Menschen miteinander kommunizieren
und zusammenarbeiten.
E-Portfolio
digitale „Werkmappen“ oder Projektdokumen­
tationen
Tabelle 1: Potenziale von Web 2.0 (vgl. Alby, 2008)
2.Konnektivismus – eine neue Lehr- und Lerntheorie?
George Siemens hat vor wenigen Jahren eine Lernkonzeption entwickelt, die die durch die technologische Entwicklung des Internets in den letzten Jahren hervorgerufenen Veränderungen im
Bereich der Lernbedingungen aufgegriffen hat. Dabei liegt der
besondere Schwerpunkt im Bereich des Lernens im und durch das
Netzwerk. Siemens hat für seine Lerntheorie den Begriff „Connectivism“ (deutsch „Konnektivismus“) geprägt (vgl. Siemens, 2006,
zit. n. Kuhlmann/Sauter, 2008).
Beim Konnektivismus wird die Annahme vertreten, dass das
Wissen über Verknüpfungen (= connections, pipes) verteilt ist.
Wissen ist ein Lernprozess, der entsteht, wenn Informationen von
einer Verknüpfung A an die andere Verknüpfung B gesendet wird,
und zwar genau dann, wenn von der Verknüpfung B das Wissen
gerade benötigt wird. Lernen ist daher eine Fähigkeit, solche Netzwerkverknüpfungen zu erstellen und die Kompetenz, diese Verknüpfungen für seine Lernzwecke effektiv einzusetzen und über
die Verknüpfungen Informationen zu versenden (vgl. Hinrich,
2009). Y
Herunterladen