HINTERGRUND 20 23. April 2008 PferdeWoche Ethologischule-Seminar «Fertig geflüstert» So lernen Pferde Wie lernen Pferde? Wann macht Strafen Sinn? Führt Belohnung zum Lernerfolg? Antworten darauf und auf viele weitere interessante Fragen erarbeiteten sich die Kursteilnehmenden des Ethologieschule-Seminars «Fertig geflüstert» im NPZ Bern wie auch im Health Balance Center in Uzwil während einer Woche. durch: hoch erhobener Kopf, zeigt Galopp und schnelle Richtungswechsel, respektive, steht still, schreitet und wälzt sich. Um anschliessend das gezeigte Verhalten richtig interpretieren zu können, ist es unerlässlich zu wissen, wie sich Pferde in der Wildnis benehmen. Yvonne Wickart «Mein Pferd scharrt immer in der Boxe und ist eifersüchtig auf seinen vierbeinigen Nachbarn.» Eine Aussage, wie sie in so manchem Pensionsstall zu hören ist. Aus der Sicht der Verhaltungsforschung sind solche Angaben ungenügend. Die Zeitangabe «immer» beschränkt sich bei den meisten Pferdebesitzer auf ihre rund zweistündige Anwesenheit im Stall pro Tag. Scharrt das Pferd auch in den 22 restlichen Stunden? Und scharrt das Pferd nur, bevor der Besitzer ein Begrüssungsleckerli verabreicht, gibt es noch weitere Auslöser oder scharrt das Pferd tatsächlich zwei Stunden ohne Unterbruch Seminarleiterin Jeannine Berger setzt sich gleich selber in den Sattel und setzt die Fotos: Yvonne Wickart Theorie in die Praxis um. bei Anwesenheit seines Besitzers? Bezüglich Eifersucht muss die Frage gestellt werden, welche Verhaltensweisen des Pferdes zu dieser subjektiven Interpretation des Besitzers führten. Dieses alltägliche Beispiel macht deutlich, wie unex- akt und vermenschlicht viele Pferdebesitzer das Verhalten ihrer Vierbeiner wahrnehmen. Doch wenn man am Verhalten interessiert ist, ist es unumgänglich, zuerst die objektiven Fakten zu sammeln, bevor man sich auf eine Diskussion einlässt. Und mit Verhalten setzten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Lerntheorie-Seminars der Ethologieschule von Andreas Kurtz während einer Woche intensiv auseinander. Als Referentin konnte er die Schweizer Tierärztin Dr. med. vet. Jeannine Berger gewinnen, welche seit zehn Jahren an der University of California, Davis (USA) in einer speziellen Abteilung tätig ist, welche verhaltensauffällige Pferde beobachtet und behandelt. Als erster Schritt in ihrem Seminar schärfte sie die Beobachtungsgabe der Teilnehmenden und die Fähigkeit, die Verhaltensweise des Pferdes objektiv und ohne zu interpretieren zu beschreiben. Eine Anforderung, welche ein Umdenken und eine andere Sichtweise verlangt. Beschreibungen wie ängstlich oder fühlt sich wohl, wurden ersetzt Ethologischule An der klassischen Dressur führt kein Weg vorbei. (pd) Die Ausbildung beabsichtigt, interessierte Menschen auszubilden, welche der angewandten Ethologie zur Verbreitung verhelfen oder für sich mehr Informationen zum Thema Pferd erfahren wollen. Ein begleitendes Lehrmittel mit vielen Arbeitsblättern bilden die Grundlage für den Unterricht. Der Unterricht findet in Kleinklassen (maximal acht Personen) statt. Die Schüler erhalten Videocamera und Laptop, um eigene Studien zu erfassen und diese auszuwerten. Dazu werden Sie in den Filmschnitt eingeführt und gestalten selber Unterrichtsmaterial in Form einer DVD. Verhalten unwesentlich verändert Zudem stellt sich die Frage, welche Verhaltensweisen angeboren sind und welche erlernt werden müssen? Trinken, stehen und wiehern beispielsweise können Fohlen umgehend nach der Geburt. Hufe geben hingegen müssen sie lernen. Das gezeigte Verhaltensrepertoire setzt sich demnach aus angeborenem und erlerntem Verhalten zusammen. Obwohl das Pferd seit rund 5000 Jahren domestiziert ist, hat es seine seit 60 Millionen Jahren etablierten Verhaltensweisen unwesentlich verändert. «Die Domestikation führt zu quantitativer jedoch nicht qualitativer Veränderung im Verhalten», erklärt Jeannine Berger, die den Titel ACVB (Diplomate of the American College of Veterinary Behavior) trägt. «Wenn ein Pferd erschrickt, zeigt es dasselbe Verhalten, wie ein Wildpferd, allerdings ist die Schwelle bis es erschrickt höher, als beim wilden Verwandten.» Weiterbildungen: • Stallbauberatung • Klassische Lerntheorie in der Praxis mit Dr. med. vet. Jeannine Berger Vorträge: • Auf Pferdespuren mit Professor Dr. Ewald Isenbügel zum Thema: «Vom Wildpferd zum Reitpferd» im Tiergesundheitszentrum Uzwil, Freitag, 27. Juni 08 um 19 Uhr (Eintritt 40 Franken an der Abendkasse) • «Die wilden Verwandten des Pferdes Kiang, Kulan, Onager,Wildesel, Przewalski», Professor Dr. Ewald Isenbügel im Nationalen Pferdezentrum Bern, Donnerstag 10. Juli 08 19 Uhr (Eintritt 40 Franken an der Abendkasse) Anmeldung: www.ethologieschule.ch HINTERGRUND PferdeWoche 23. April 2008 23 reichen können», fordert Jeannine Berger. Eine besonders klare und durchdachte Vorgehensweise ist angebracht, wenn ein unerwünschtes Verhalten behandelt werden soll. Die operante Konditionierung Bei der operanten Konditionierung kann ein ursprünglich unbedeutendes Spontanverhalten durch Belohnung bevorzugt werden. Spielt ein Pferd an der Boxentürverriegelung und diese springt plötzlich auf, woraufhin das Pferd auf die Weide gelangt, wird das Pferd immer wieder versuchen, die Türe zu öffnen und dabei immer geschickter und schneller werden. Ein wohl klassischer Fall operanter Konditionierung im Pferdestall. Im Unterschied zur klassischen Konditionierung wird bei der operanten Konditionierung nicht nur ein Reflex, sondern ein Bewegungsablauf ausgelöst. In der Ausbildung zeigt das Pferd oft Bewegungsabläufe, die unter Umständen momentan noch gar nicht gefragt sind – beispielsweise der fliegende Galoppwechsel – doch sollte der Trainer so flexibel sein, und dieses Angebot trotzdem dankend annehmen. Lob und Strafe Die Bestrafung/Belohnung bildete einen weiteren interessanten The- Health Balance Center (pd) Zeitgemässe Tiermedizin ist für das Team von HealthBalance eine sinnvolle Kombination von alternativen und klassischen Diagnose- und Therapieverfahren. Im Health Balance Center wird die individuellen Bedürfnisse jedes einzelnen Tieres als Voraussetzung für die Erhaltung beziehungsweise Wiedererlangung der Gesundheit berücksichtigt. Dabei wird auch die Beziehung zwischen Mensch-Tier berücksichtigt. KOMMENTAR Denn sie wissen nicht, was sie tun Neue Umweltreize wie beispielsweise ein Regenschirm kann Abwehr und Stress oder einen Lernprozess auslösen. menblock des Seminars. Belohnt wird, indem etwas Angenehmes hinzugeführt wird (positive Belohnung) – beispielsweise Belohungswürfel oder durch Entfernen von etwas Unangenehmen (negative Belohnung) wie das Weglassen des Sporeneinsatzes. Die pferdefreundlichen Klassischen Reitmeister waren Spezialisten im Belohnen durch blitzschnelles Reduzieren des ausgeübten Druckes auf das Pferd. Sie verstanden es zudem, die Pferde zuerst Klassisch und dann operant zu konditionieren – die Voraussetzung, um mit reduzieren des Kontaktes belohnen zu können. Diese Art Kurs: • SRS - Schulter und Rückenschule für Pferde. Die Beziehung zwischen Reiter und Pferd ist etwas ganz besonderes. Jeder Reiter sollte spüren, wie sensibel das Pferd auf ihn und seine Art es zu führen reagiert. Um dies zu erreichen, braucht es zuerst einmal die Balance des Pferdes durch das Freimachen der Pferdeschulter. Wie macht man es nun richtig? Wie bringt man die Potenziale von Reiter und Pferd zusammen? Zwei wichtige Fragen, die unter anderem bei dieser Ausbildung ein zentrales Thema sind. www.healthbalance.ch der Belohnung braucht sehr viel reiterliches Verständnis, um im richtigen Moment unmittelbar reagieren zu können. Positiv und negativ Bei der Bestrafung wird ebenfalls zwischen positiver und negativer Bestrafung unterschieden. Bei der positiven Bestrafung wird etwas Unangenehmes hinzugefügt – beispielsweise der Einsatz der Peitsche. Bei der negativen Bestrafung hingegen wird etwas Angenehmes entfernt, wie beispielsweise Futter. «Wenn sich ein Verhalten mit Einsatz von Bestrafung nicht reduziert, handelt es sich nicht mehr um Bestrafung, sondern um Tierquälerei», betont Jeannine Berger. Zudem kann positive Bestrafung zu zusätzlichem unerwünschten Verhalten führen, so fängt ein Pferd unter Umständen nach Bestrafung mit der Gerte an zu steigen. Die Bestrafung muss unmittelbar erfolgen. Doch die Bestrafung muss immer wieder hinterfragt werden. Denn oft stellt sich heraus, dass die Bestrafung bloss eine Belohnung für den Bestrafer ist. Die positive Bestrafung erfordert keine Planung – Gerte und Sporen sind je- derzeit einsatzbereit. «Die schlechten Eigenschaften unserer Pferde erkennen wir schnell und nehmen die guten als selbstverständlich hin», warnt die Tierärztin. Durch die Bestrafung teilen wir dem Pferd zwar mit, was es nicht tun soll, aber zeigen ihm nicht, was wir von ihm möchten. Zudem verbindet das Pferd die Bestrafung schnell mit dem Reiter, was zu einem Vertrauensbruch führen kann. «Um ein Verhalten zu ändern, müssen wir uns zuerst überlegen, wie sich unser Pferd zeigen sollte. Dann muss die Ursache für die Widersetzlichkeit gefunden und ein Plan erstellt werden, der dem Pferd erlaubt, eine gewünschte Reaktion zu zeigen. Die Anforderungen müssen so gestellt werden, dass das Pferd sie problemlos und ohne Widersetzlichkeit bewältigen kann. Das Pferd hat meist kein Problem mit seinem Verhalten. Wir sind das Problem.» Bei allen Verhaltensauffälligkeiten sollte ein Tierarzt einen Gesundheitscheck durchführen. «In unserer Praxis zeigen rund 30 Prozent der so genannten Problempferde medizinische Ursachen.» So lange mein Pferd brav ausführt, was ich von ihm verlange, werde ich kaum hinterfragen, weshalb es meinen Anforderungen so freundlich nachkommt. Erst wenn es anfängt, sich zu widersetzen schaltet sich – hoffentlich – mein Reiterhirn ein. Doch anstatt in solchen Momenten die Ursache in der ReiterPferd-Beziehung zu suchen, entscheiden sich viele, das Pferd in der Boxe stehen zu lassen und das Problem eingehend im Reiterstübli mit den Stallkollegen zu diskutieren. Und ich schliesse mit Ihnen eine Wette ab, dass Kommentare wie «du musst dich durchsetzen», «schmier ihm eine», «der ist einfach frech», «mach so lange weiter, bis er willig wird» in die Runde geworfen werden.Wurde Ihnen in solchen Situationen mal die Frage gestellt: «Welche Aktionen gehen der Widersetzlichkeit voraus?» Oder den Rat gegeben: «Vermeide vorerst Konfliktsituationen, bis das Vertrauensverhältnis Pferd-Mensch genügend stabilisiert ist.» Nein, denn das tönt schwer nach «Warmduscher». Und vor allem müsste man sich hinsetzen, sein eigenes Handeln und das des Pferdes reflektieren und verstehen sowie einen Korrekturplan ausarbeiten – das hat doch nichts mit echtem Reiten zu tun. Doch.Auf jeden Fall mit echtem Pferdeverstand. Übrigens: nicht nur Pferde sind äusserst lernfähig, auch Reiter und Reiterinnen verfügen über diese Ressource, welche es ihnen erlaubt, sich Neuem gegenüber zu öffnen. Yvonne Wickart, Redaktorin HINTERGRUND 22 23. April 2008 Spass muss sein – setzt allerdings ein solides Vertrauensverhältnis zwischen Pferd und Reiter voraus. spielsweise in Form einer Blache – hinzu. Kam das Pferd ins Stocken und widmete seine ganze Aufmerksamkeit der Blache, Bombenalarm (pd) Ein weiteres Beispiel der klassischen Konditionierung: Das Fallen der Bomben im Zweiten Weltkrieg hat bei den Menschen Angst und Schrecken ausgelöst. Meistens jedoch ertönte vor dem Fallen der ersten Bomben der Fliegeralarm. Bei vielen Menschen hat nach der zweiten Wiederholung jener Signalabfolge schon der Fliegeralarm selbst Angst und Schrecken verursacht. «Auch in Friedenszeiten löst die Sirene bei zahlreichen Menschen Angst aus, selbst wenn es sich nur um einen Probealarm handelt.» (Edelmann, 1996, S. 63) Für den unkonditionierten Menschen würde der Alarm alleine keine signi- wurde es zurück in die Komfortzone geführt und musste die Grundfragen beantworten. So konzentrierte es sich wieder auf fikante Reaktion auslösen. Erst durch die Kombination von Fliegeralarm und dem Fallen der Bomben wird die Reaktion (Angst und Schrecken) konditioniert. Hätten diese beiden Reize nicht in einem zeitlichen Verhältnis zueinander gestanden, hätte man den Fliegeralarm nicht mit dem Fallen der Bomben assoziiert, und die unbedingte Reaktion, Angst bei dem Ertönen des Heulens zu verspüren, wäre nie zu einer bedingten Reaktion geworden. Das Modell der klassischen Konditionierung ist noch erweitert worden, nachdem festgestellt wurde, dass allein die Vorstellung des Ertönens des Fliegeralarms zu Angstzuständen führte. seinen Führer, der es immer wieder ausgiebig lobte. Ganz nebenbei näherten sich Zwei- und Vierbeiner der Blache, die erstaunlich schnell ihre Schreckwirkung verloren hatte. Auch jene Teilnehmer, welche während der Theorie noch überzeugt waren, mit dem Pferd schnurstracks auf die Blache zuzulaufen, eventuell mit leichtem Gerteneinsatz, um dort so lange stehen zu bleiben bis das Pferd diese akzeptiert hat, waren nach diesen Übungen bekehrt. Denn das so genannte Fluten – das Pferd wird dem als gefährlich wahrgenommenen Umweltreiz so lange ausgesetzt, bis es darauf nicht mehr reagiert – bedeutet Stress für Mensch und Tier. Und unter Stress lässt sich schlecht lernen. Zudem darf das Pferd auf keinen Fall fliehen können, ansonsten zeigt es unter Umständen das nächste Mal verstärkt Angst. Die Lektion muss unter allen Umständen zu Ende geführt werden. Diese Methode birgt ein hohes Gefahrenpotential für Mensch und Tier. Häufig hat sich das Pferd durch das Fluten nicht an einen Furcht einflössenden Gegenstand gewöhnt, sondern ergibt sich vor Erschöpfung. So bald es sich erholt hat, reagiert es wieder auf denselben Umweltreiz. So erstaunt es nicht, dass viele Pferdebesitzer jeden Sommer wieder das selbe oder gar verstärkte Theater beim Einsprayen ihrer Pferde mit Antifliegenmittel erleben wie im Jahr zuvor. Das Pferd hat nie gelernt, den Antifliegen-Spray als ungefährlich zu akzeptieren. Die klassische Konditionierung Ein weiterer Schwerpunkt des Seminars war die Erarbeitung der klassischen Konditionierung. Lernen durch klassische Konditionierung wurde von Iwan Petrowitsch Pawlow beschrieben. Der Mediziner beobachtete eher beiläufig, dass einige der Hunde,mit denen PferdeWoche Nachgefragt Lehrmeister bedienten sich der Bodenarbeit. Unter an(yw) Ab Januar 2008 trat die derem verbessert sie die Neuorganisation der PferKommunikation zwischen deberufe in Kraft. Diese setzt Pferd und Mensch.» unter anderem neue Akzente in der Lehrplangestaltung. «PferdeWoche»: Neu wurde Stehen den Auszubildenden die Ethologie in den Ausbil- in den Pferdeberufen entdungsplan integriert. Was be- sprechende Fachpersonen wegte die OdA (Organisa- zur Verfügung? tion der Arbeitswelt) zu die- «Wir scheuen uns nicht, auch externe Experten hinzuzusem Schritt? Patrick Rüegg, Präsident der ziehen. In überbetrieblichen OdA Pferdeberufe: «Die Kursen lernen die AuszubilOdA legt Wert darauf, die denden beispielsweise die Pferdeberufe marktgerecht Grundlagen der Bodenarzu gestalten. Die Nachfrage beit. Zudem werden auch die nach Pferdefachleuten mit Lehrmeister wieder die Ethologiekenntissen nimmt Schulbank drücken und sich Neuem gegenüber öffnen. stetig zu.» Die Lehre ist jedoch nur eine Ebenfalls fand die Bodenar- Grundausbildung. Die Spebeit Einzug in den Stunden- zialisierung erfolgt anschliessend – beispielsweise in der plan. Weshalb? «Bereits die alten klassischen höheren Berufsausbildung.» er experimentierte, um Näheres über die Speichelsekretion herauszufinden, schon vor Beginn des Experimentes Speichel absonderten. Eine genauere Betrachtung ergab, dass dies nur bei jenen Hunden auftrat, die schon länger im Labor waren und den Ablauf der Experimente kannten. Dieser Speichelfluss konnte daher nicht auf den Geruch oder den Anblick des Futters zurückgeführt werden, sondern musste eine andere Ursache haben. Um dies zu analysieren, liess Pawlow in einem Versuch kurz vor dem Vorsetzen von Futter einen Glockenton ertönen. Nach einigen Wiederholungen floss der Speichel bei diesen «Pawlowschen Hunden» schon beim Glockenton, obwohl kein Futter gegeben wurde. Bei der Ausbildung des Pferdes nimmt die klassische Konditionierung eine wichtige Stellung ein. Beispielsweise bei den treibenden Hilfen. Für ein rohes Pferd hat ein feines Anspannen der Wadenmuskulatur des Reiters keine Bedeutung. Ein gut ausgebildetes Reitpferd wird hingegen auf diese Anforderung hin energischer und trotzdem kontrolliert vorwärts gehen. Am Anfang der Ausbildung wird der Reiter mit Hilfe angepassten Gerteneinsatzes das Pferd zum Vorwärtsgehen motivieren und bei der richtigen Reaktion wird er es sofort loben. Mit einer Gerte kann jeder – auch pferdeunkundige Personen – einen Vierbeiner zum Vorwärtsgehen bewegen. Genau so wie Futter beim Hund reflexartig Speichel auslöst. Die Reitweise auf diesem Niveau wird auch Signalreiten genannt. Um jedoch einen feineren Reitstil zu erlangen, kommt nun die klassische Konditionierung ins Spiel. Zuerst erfolgt der Schenkeldruck – der für das Pferd anfänglich keine Bedeutung hat – unmittelbar danach kurz die Gerte, das Pferd geht nach vorn und nun wird gelobt. Innert kürzester Zeit wird das Pferd den Schenkeldruck als Zeichen zum Vorwärtsgehen verstehen und der Gerteneinsatz wird auf ein Minimum reduziert. Genauso wie die «Pawlowschen Hunde» das Glockenzeichen – welches anfänglich ebenfalls kein Speichel auslöste – mit Futter in Verbindung setzten. Um die klassische Konditionierung effektiv einzusetzen, muss sich der Ausbilder stets bewusst sein, welche Hilfsmittel er in welcher Reihenfolge einsetzt. «Bevor wir mit einem Pferd arbeiten, müssen wir einen Plan ausarbeiten, was wir von ihm wollen und wie wir das Ziel auf einem guten Weg für alle Beteiligten er- HINTERGRUND PferdeWoche 23. April 2008 21 Martin Aeschlimann (Uzwil) Corina Burkhardt (Uzwil) «Der Kurs war eine grosse Bereicherung und zeigte andere Wege auf, um das Pferd zu spüren und zu verstehen. Die Bindung zu meinem Pferd wurde intensiviert.» «Der Kurs mit Jeannine Berger hat mir sehr gut gefallen. Sie hat uns einerseits klar und verständlich das theoretische Wissen zum Thema Verhalten Pferd und Lerntheorie vermittelt, andererseits hat sie uns praktisch demonstriert und beigebracht wie man sich auf ganz feine, klare Weise mit einem Pferd verständigen kann. Die Pferde und wir alle bedanken uns von ganzem Herzen.» Um eine Beziehung zum Pferd aufbauen zu können, muss eine pferdegerechte Kommunikation stattfinden. Verhaltensprobleme verhindern In der Gefangenschaft bestimmt der Mensch, mit welchen Tieren gezüchtet wird. Im Gegensatz zur freien Wildbahn, wo das Prinzip gilt «Survival of the fittest» – der Lebenstüchtigste überlebt. Das hat zur Folge, dass sich sowohl das Aussehen wie auch die Genetik der Hauspferde gegenüber den Wildpferden verändert haben. So ist die Hirngrösse geschrumpft, die Tiere zeigen länger ein jugendliches Verhalten, die Fellfarbe hat sich verändert und die Tiere wurden zahmer. Diese künstliche Selektion für Zahmheit ist jedoch gleichzeitig eine Verpflichtung für den Menschen, die natürlichen Bedürfnisse trotz Gefangenschaft zu berücksichtigen. «Wenn wir einen 24Stunden-Tag eines frei lebenden Pferdes mit dem eines Pferdes in einer Boxe vergleichen, finden wir einen signifikanten Unterschied in Hinsicht auf die Zeit, die ein Pferd in den zwei verschiedenen Haltungsarten mit Laufen und mit Nahrungsaufnahme verbringt», betont die Tierärztin. Während ein frei lebendes Pferd etwa 60 Prozent seiner Zeit frisst und 20 Prozent seiner Zeit still steht, verbringt ein Pferd in seiner Boxe ohne Kontakt zu anderen Pferden, 65 Prozent seiner Zeit still stehend und nur 15 Prozent seiner Zeit mit Fressen. «Der enorme Unterschied im Tagesablauf ist für viele Verhaltensprobleme bei Pferden verantwortlich. Wenn wir anstreben, die Bedingungen den Verhältnissen der freien Wildbahn so gut wie möglich anzupassen, sind wir einen Schritt näher, gewisse Verhaltensprobleme zu verhindern.» Lernen ohne Angst Der Reiter ist bestrebt, dass sein Pferd möglichst nur gewünschtes Verhalten zeigt. Doch kommt der Vierbeiner nicht als perfekt ausgebildetes Reitpferd auf die Welt, sondern muss diese Qualitäten lernen. Lernen heisst, Situationen einschätzen, sich daran anpassen und daraus Schlüsse für die Zukunft ziehen. Lernen ist das Resultat von Erfahrung. «Pferde zeigen bereits alle Verhalten, die wir abfragen können. Wir trainieren mit ihnen, damit sie diese länger zeigen als sie es in der Natur tun», hält Jeannine Berger fest. Die einfachste Form des Lernens ist die Gewöhnung und die Sensibilisierung. Bei der Sensibilisierung reagiert das Pferd immer stärker auf einen Umweltreiz – zeigt sich beispielsweise zunehmend ängstlicher bei entgegenkommenden Lastwagen. Bei der Gewöhnung tritt das Gegenteil ein: Das Pferd zeigt keine Reaktion mehr, wenn ein Lastwagen vorbeifährt. Bei der Gewöhnung stehen zwei verschiedene Methoden zur Verfügung: die Desensibilisierung und das Fluten. Bei der Desensibilisierung wird das Pferd Schritt für Schritt an den ungewohnten Gegenstand oder an die ungewohnte Situation herangeführt. Das Pferd darf dabei in keinem Moment Angst zeigen. Dies setzt voraus, dass Anzeichen für Angst richtig und schnell erfasst werden können. «Diese Methode funktioniert immer. Zudem kann die Lektion jederzeit unterbrochen werden, da das Pferd immer unter Kontrolle ist und für sein gutes Verhal- Siegfried Schneider (Uzwil) «Sehr kompetenter, professioneller Unterricht begleitet von viel Einfühlungsvermögen, sowohl für die Pferde, als auch für die Teilnehmer. Insbesondere beeindruckte mich wie fein man Reaktionen und beziehungsweise Verhalten des Pferdes lesen (wahrnehmen) gelernt hat und somit mit wenig veränderten Positionen seitens des Ausbilders auf das jeweilige Pferd einwirken kann.» ten belohnt werden kann.» Ein Pferd, das sich entspannen kann, ist auch fähig zu lernen. Was in der Theorie als sehr tiergerecht daherkommt, muss sich auch im täglichen Umgang mit dem Pferd bewähren. Als erste Aufgabe mussten die Teilnehmer zeigen, dass sie ihre Pferde im Round-Pen in jede gewünschte Richtung in allen Tempi leiten konnten und dass die Vierbeiner auf Anfrage zu ih- Peter Tester (Jonen) «Der Kurs hat mir sehr gut gefallen, auch wenn ich mir für den umfangreichen Stoff etwas mehr Zeit gewünscht hätte.» nen hin kamen und willig hintendrein marschierten – selbstverständlich ohne Strick. Die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit war gelegt. Nun wurde an der Kommunikation gefeilt. Kann der Führer die Schulter und die Hinterhand des Pferdes zur Seite schicken? Geht das Pferd rückwärts und willig wieder nach vorn? So bald diese paar Grundfragen in gewohnter Umgebung vom Pferd gut beantwortet wurden, kam ein neuer Umweltreiz – bei-